"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Dienstag, 24. März 2015

"Hello, little green friend"

Fotographin Amanda Norman aus Liverpool konzentriert sich in ihrem Werk ganz auf das "Gotische" und "Unheimliche" sei es in ihren "alternativen Porträts", sei in stimmungsvollen Aufnahmen alter Kirchen und Friedhöfe. Vor kurzem machte sie sich auf eine kleine Tour durch Lincolnshire, die Heimat des 2012 verstorbenen Fotographen Simon Marsden. Dabei besuchte sie u.a. St. Botolph Church in der Nähe von Skidbrooke und Louth. In ihrem Blog schreibt sie darüber:
It’s a beautiful building and a sanctuary for bats, not that I saw any on my visit.
If you look this place up on the Internet, you will find numerous reports of it being haunted with the ghost of a monk and that it was a place used for Devil worship and animal sacrifices in the early 70’s and 80’s.   Whilst I was there, I did have the feeling of being watched, but when I looked around, I would find Mark taking sneaky shots of me. The location made me think of the film, Psychomania when I was out there.  I’m glad I didn’t see a motorbike in the distance heading for the lonely churchyard.
Durch diese Schilderung fühlte ich mich auf einmal dazu getrieben, besagtem Kultstreifen, den Kim Newman in seinen Nightmare Movies zu den "almost art-films"* zählt, die in den Randbereichen des Brit-Horrors der 60er und 70er Jahre entstanden seien, einen Besuch abzustatten.

Regisseur Don Sharp hatte in den 60er Jahren einige Filme für Hammer gedreht – u.a. Kiss of the Vampire (1963) und Rasputin, the Mad Monk (1966). Daneben hatte er mit The Face of Fu Manchu (1965) und The Brides of Fu Manchu (1966) für die ersten beiden Episoden in der von Produzent Harry Alan Towers initiierten filmischen Wiederauferstehung des chinesischen Superschurken verantwortlich gezeichnet. Als er sich 1971 im Auftrag der kleinen Produktionsfirma Benmar daranmachte, Psychomania zu filmen, zeichnete sich bereits recht deutlich das Ende der Ära des klassischen Brit-Horrors ab. Doch gerade diese Spätphase brachte ja noch einmal eine ganze Reihe origineller und interessanter Streifen wie z.B. The Vampire Lovers (1970), Blood on Satan's Claw (1971), Demons of the Mind (1972) und The Wicker Man (1973) hervor. Ob wir auch Psychomania dazuzählen dürfen? Schaun wir mal.

Die Eröffnungssequenz ist ganz ohne Frage grandios und erweckt den verführerischen Eindruck, dass wir es mit einem bizarren Mix aus Folk Horror und Bikerfilm zu tun bekommen werden:



Das Drehbuch für diesen Film stammte von Julian Zimet & Arnaud d'Usseau, die auch das Script für den ein Jahr später entstandenen Horror Express verfasst haben, der übrigens gleichfalls von Benmar (co)produziert wurde: Ein in Spanien gedrehter Low Budget - Streifen mit Christopher Lee, Peter Cushing und Telly Savalas, den ich hier schon einmal besprochen habe.

Es hilft nichts, groß darum herum zu reden: Der in besagtem Drehbuch entwickelte Plot ist an vielen Stellen wirr, undurchsichtig und unzusammenhängend: 

Wenn Tom Latham (Nicky Henson) und seine Bikergang "The Living Dead" nicht gerade in der Umgebung der "Seven Witches" – eines Kreises aus Stehenden Steinen – abhängen, amüsieren sie sich damit, Autos von der Straße zu drängen, die Bewohner ihrer Heimatstadt zu terrorisieren oder sich wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei zu liefern. Alles sicher sehr spaßig, doch für den verwöhnten Sohn einer reichen Witwe sind solche Eskapaden allmählich nicht mehr genug, um gegen Langeweile und Lebensüberdruss anzukommen. Während eines kleinen Techtelmechtels auf dem örtlichen Friedhof eröffnet er seiner Freundin Abby (Mary Larkin) deshalb, es sei endgültig an der Zeit, gemeinsam Selbstmord zu begehen. Nicht dass Tom dieser Welt auf ewig Ade zu sagen wünscht. Vielmehr ist er überzeugt davon, dass sie beide auf mysteriöse Weise zu einem neuen, völlig befreiten und ewigen Leben wiederauferstehen würden. Abby ist das verständlicherweise etwas unheimlich: "Sometimes you scare me, Tom!" Worauf dieser erwiedert: "It's not me that scares you it's the world!". Nur um sich im nächsten Augenblick voller Begeisterung auf die Jagd nach einer zwischen den Grabsteinen herumhüpfenden Kröte zu machen. "Hello, little green friend."
Klingt alles ziemlich abstrus? Nun ja, sobald wir erfahren, dass Toms Mutter (Beryl Reid) eine Okkultistin ist, die vor Zeiten offenbar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, macht das Ganze vielleicht ein klein Bisschen mehr Sinn. Und natürlich hat auch die Kröte irgendeine okkulte Bedeutung. Nachdem sich Tom trotz der Warnungen seiner Mama und ihres diabolischen Butlers Shadwell (George Sanders) Zugang zu dem geheimnisvollen "verschlossenen Zimmer" verschafft hat, in dem sein Vater Jahre zuvor gestorben ist, um dort einige recht bizarre Visionen zu durchleben, gelangt er zum Wissen um das Geheimnis der Unsterblichkeit. Im Grunde ist es ganz einfach: Man muss bloß wirklich sterben wollen, darf auch im letzten Augenblick keine Reue empfinden oder zögern, und man wird als Unsterblicher zurückkehren.
Nichts leichter als das: Bei der nächsten großen Verfolgungsjagd braust der gute Tom mit seinem Motorrad von der nächsten Brücke, und tatsächlich ... wenig später schon macht er als unverwundbarer Zombie-Biker die Gegend unsicher, killt dabei jeden, der ihm dumm kommt, und überzeugt schließlich alle seine Kumpels davon, denselben Weg wie er einzuschlagen. Nur die herzensgute Abby bekommt allmählich ein schlechtes Gewissen. Und auch Frau Mama bereitet die Entwicklung ihres von den Toten zurückgekehrten Sprösslings zunehmend Sorgen.

Zugegeben, nur wenige der Szenen in Psychomania sind ähnlich atmosphärisch wie die Eröffnungssequenz. Einige finden sich allerdings schon, so etwa Teile von Toms Visionen im "verschlossenen Zimmer" und Abbys Nahtoderfahrung. Und auch wenn die Geschichte um Toms Mutter, ihren Pakt mit dem Teufel und die Rolle, die Shadwell in dem Ganzen spielt, äußerst undurchsichtig bleibt, besitzen beinah alle Szenen, die in dem im mondänen Sixties-Stil eingerichteten Haus der Lathams spielen, eine leicht verstörende und gerade deshalb faszinierende Note. Verantwortlich dafür ist zum einen die zwar nur angedeutete, aber offensichtlich ziemlich ungesunde Beziehung zwischen Mutter und Sohn, zum anderen der großartige George Sanders, der tragischerweise im darauffolgenden Jahr in den Freitod gehen sollte. Gleichfalls recht beeindruckend wirken einige der Selbstmorde der Gangmitglieder. Vor allem, wenn man dabei auch noch Tom und "Hellcat" Jane (Ann Michelle; B-Movie Fans vielleicht am ehesten aufgrund ihrer Hauptrolle in Tigons Sexploitation-Horror The Virgin Witch bekannt) auf ihren Motorrädern zu sehen bekommt, wie sie ihre Kumpels auf stumme Weise anfeuern, den entscheidenden letzten Schritt zu tun.

Ja, zumindest streckenweise verfügt Psychomania tatsächlich über jene ebenso verwirrende wie faszinierende "weirdness", die man von den besten Vertretern britischer Filmphantastik der 70er Jahre gewohnt ist. Und auch wenn man die Story problemlos als konservativen Kommentar zur Jugendrevolte und "Counter Culture" der 60er Jahre verstehen kann – man braucht sich ja bloß den von David Whitaker & John Worth geschriebenen Song anzuhören, der Toms bizarrem Begräbnis unterlegt ist  –, so denke ich, dass man sie ebensogut als Illustration des selbstzerstörerischen Nihilismus interpretieren kann, in dem eben jene Rebellion für viele letztenendes mündete, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ein Bisschen Provokation und "Flower Power" nicht ausreichen würden, um die bürgerliche Gesellschaft zu Fall zu bringen. Freilich ist nicht ganz klar, wogegen Tom und seine Freunde eigentlich rebellieren, aber im Grunde ist das ja nur eine weitere Facette desselben Problems.

Die meisten Besprechungen des Films, die ich gelesen habe, bemängeln, dass die "Living Dead" für eine echte Bikergang der Zeit zu brav und beinah unschuldig-naiv wirken. In der Tat sehen sie weder aus wie echte Hells Angels, noch kommen sie entsprechend aggressiv und bedrohlich rüber – selbst wenn sie mit Messern herumspielen oder Autos von der Fahrbahn drängen. Ich gebe zu, auch ich fand das etwas problematisch, doch im Nachhinein kam mir der Gedanke, ob diese Darstellung nicht vielleicht zumindest teilweise Absicht gewesen sein könnte. Der Film spielt irgendwo im ländlichen England und die "Living Dead" sind letztenendes bloß eine Clique rebellischer Kleinstadtkids, keine Hardcore-Biker, auch wenn sie das vermutlich gerne wären.
Was der Film allerdings in der zweiten Hälfte wirklich gebraucht hätte, wären einige explizitere Gewaltszenen und etwas Gore gewesen. Schon am ersten Tag nach seiner Rückkehr aus dem Grab ermordet Tom ein gutes halbes Dutzend Leute, und nach ihrer Verwandlung in Untote benehmen sich seine Kumpels nicht weniger gewalttätig. Doch sämtliche Morde geschehen Off-Screen. Bestenfalls hört man ein paar Schreie. Dadurch büßt der Film viel an Intensität ein. Auch wird viel Zeit mit irgendwelchen Verfolgungsjagden verschwendet, die bald schon eher langweilig als aufregend wirken.
Hauptgrund für all das dürfte das winzige Budget gewesen sein, welches Don Sharp und seinem Team zur Verfügung stand. Überzeugende Szenen von Gore und Gewalt kosten halt Geld, und das war einfach nicht vorhanden. Die Stehenden Steine waren offenbar der teuerste Teil des Films, wie man der Website Psychomania Locations entnehmen kann. Freilich lässt sich damit nicht alles entschuldigen, so enthält der Streifen auch einige Szenen wie die in der Polizeistation oder die in der Leichenhalle, welche nicht aufgrund mangelnder Spezialeffekte, sondern mieser Regie unfreiwillig komisch wirken, obwohl sie doch bedrohlich und brutal hätten rüberkommen müssen.

Letztenendes kann ich nicht behaupten, dass Psychomania mich wirklich überzeugt hätte. Dazu sind seine Schwächen gar zu offensichtlich, ohne dass der Film dabei in die Regionen des "So mies, das es wieder toll ist" übergeht. Eine solche Einschätzung wäre auch deshalb unfair, weil er zuviele wirklich interessante und faszinierende Elemente enthält. Wer wie ich etwas für "weirdness" übrig hat, sollte sich Psychomania bei Gelegenheit auf jedenfall einmal anschauen. Doch sollte er oder sie nicht mit gar zu hohen Erwartungen an den Streifen herangehen, andernfalls könnte es zu einer argen Enttäuschung kommen. 


* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 20.

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