"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 27. Juni 2014

Strandgut der Woche

Donnerstag, 26. Juni 2014

Teenage Mutant Ninja Turtles - Der neueste Trailer

Mich verbinden keinerlei nostalgische Erinnerungen mit den Teenage Mutant Ninja Turtles. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre  als Leonardo, Michelangelo, Donatello und Raphael ihren ersten großen Triumphzug antraten war mir ihre Existenz dank eines Kumpels, der ein großer Fan der Turtles war, zwar sehr wohl bekannt, ich selbst habe jedoch bis heute weder einen der Comics gelesen noch eine der Cartoon-Serien gesehen. Selbst was die Kinofilme angeht, beschränkt sich mein Wissen hauptsächlich auf den allerersten Streifen, der 1989 unter der Regie von Steve Barron gedreht wurde. Selbigen finde ich ganz neckisch und unterhaltsam, trotz des etwas problematischen Subtextes über sozial entfremdete / rebellische Jugendliche, die in eine kriminelle "Subkultur" abrutschen. {Man sollte meinen, ein Film über vier mutierte Teenagerschildkröten, die in der Kanalisation von New York leben, würde etwas mehr Sympathie für Außenseiter und Underdogs aufbringen.} Die in Jim Hensons Creature Shop kreierten Turtles (plus Meister Splinter) sind außerdem wunderschöne Vertreter der guten alten Kunst der Animatronics.*

Die Aussicht, dass in diesem August ein neuer TMNT - Film in die Kinos kommen wird, weckt in mir darum keinerlei starke Emotionen. Dennoch fühle ich mich dazu getrieben, einen kurzen Kommentar zu dem vor einigen Tagen auf die Werbetour durchs Netz geschickten dritten (?) Trailer abzugeben.



1) Die Teenage Mutant Ninja Turtles waren ursprünglich als eine Parodie auf die Superhelden-Comics der Zeit gedacht. Und auch wenn sich das Franchise später in andere Richtungen entwickelt hat, ist das Grundkonzept heute doch noch ebenso absurd wie 1984, als Kevin Eastman und Peter Laird den allerersten TMNT - Comic kreierten. Sollte sich das nicht im Look des Filmes widerspiegeln? Was wir im Trailer zu sehen bekommen wirkt jedoch leider fürchterlich generisch. Sollte ein Turtles - Film nicht etwas durchgedrehter und – ja – bunter aussehen? Ich weiß, ich weiß ... die frühen Comics sollen recht düster und "edgy" gewesen sein. Aber nachdem inzwischen selbst Superman in die Gefilde von Grim & Gritty umgesiedelt wurde, wirkt ein entsprechender Look einfach nur noch banal und langweilig. Etwas mehr Individualität in Hollywoods Design-Abteilungen wäre wirklich äußerst wünschenswert.

2) Muss es in einem phantastischen Action-Film heute eigentlich grundsätzlich immer gleich um die drohende Vernichtung der Welt – oder wenigstens einer Millionenstadt – gehen? Die offizielle Plot-Zusammenfassung für diesen Flick liest sich so:
The city needs heroes. Darkness has settled over New York City as Shredder and his evil Foot Clan have an iron grip on everything from the police to the politicians. The future is grim until four unlikely outcast brothers rise from the sewers and discover their destiny as Teenage Mutant Ninja Turtles. The Turtles must work with fearless reporter April and her wise-cracking cameraman Vern Fenwick to save the city and unravel Shredder's diabolical plan.
Yep, einmal mehr will man uns hier offensichtlich das inzwischen sattsam bekannte dystopische Szenario nach Schema F auftischen. Garniert mit ein paar Bröckchen Terrorismus - Paranoia, wenn der Trailer nicht täuscht. Hoffentlich renk ich mir beim Gähnen nicht den Kiefer aus. Es wäre wirklich wunderschön, wenn ein Film dieser Sorte die Handlung endlich einmal wieder auf einem etwas niedrigeren bescheideneren Level halten würde.

3) Regisseur des Films ist Jonathan Liebesman, dessen letzte Großtaten aus Battle: Los Angeles (2011) und Wrath of the Titans (2012) bestanden haben. Nicht eben besonders aufmunternd. Schlimmer jedoch ist, dass Michael Bay als Produzent verantwortlich zeichnet. Und was wir an Action in dem Trailer zu sehen bekommen, trägt eindeutig die Handschrift des Schöpfers der Transformers - Blockbuster. Bay verkörpert in besonders reiner Form, was in Hollywoods Action-Kino momentan im Argen liegt. Die Art und Weise, in der er Action-Sequenzen in Szene setzt, ist hysterisch und zusammenhangslos, das Resultat irritierend und langweilig. Und Liebesman scheint getreulich dem Rezept seines Meisters gefolgt zu sein: Möglichst viele Schnitte und das Herumgehopse zwischen möglichst vielen, völlig willkürlichen Kameraperspektiven, um den Eindruck von Dynamik zu erwecken. Nichts könnte öder sein.


* Nur so am Rande: Barron hatte zuvor bereits bei drei Episoden von Jim Hensons Storyteller Regie geführt: Hans My Hedgehog, Fearnot und Sapsorrow.  

Sonntag, 22. Juni 2014

Sooner than you think (I)

Die Nigel Kneale - Tour #5: The Year of the Sex Olympics (1968) 


Nach fast einem Jahr möchte ich nun endlich meine kleine Tour durch das Oeuvre des britischen Drehbuchautors Nigel Kneale (1922-2006) fortsetzen, der ganz sicher zu den bedeutendsten Vertretern der TV-Phantastik des 20. Jahrhunderts gehört. Bisher besteht die Reihe aus: Vorwort * Nineteen Eighty-Four * The Quatermass Experiment * Quatermass II * The Abominable Snowman * Quatermass and the Pit 


Nach Quatermass and the Pit (1958/59) hatte Nigel Kneale erst einmal genug von dem guten Professor. Wie er später einmal erzählt hat: "I didn't want to go on repeating because Professor Quatermass had already saved the world from ultimate destruction three times, and that seemed to me to be quite enough." Mitte der 60er Jahre schrieb er zwar noch das Drehbuch zu Hammers Kinoversion von Quatermass and the Pit und war mit dem unter der Regie von Roy Ward Baker (1) gedrehten Film sehr viel zufriedener als mit seinen Vorgängern, die vierte und letzte Quatermass-Serie entstand jedoch erst 1979.

In den nächsten Jahren konzentrierte sich Nigel Kneale hauptsächlich auf das Adaptieren von Theaterstücken und Romanen, wobei seine bedeutendste Leistung das Verfassen der Drehbücher zu den John Osborne - Verfilmungen Look Back in Anger (1958) und The Entertainer (1960) gewesen sein dürfte. Doch unsere Tour soll sich auf Kneales phantastisches Oeuvre beschränken, und in dieser Hinsicht erwähnenswert sind vor allem die H.G. Wells - Verfilmung First Men in the Moon (1964), die ihren Charme freilich in erster Linie Ray Harryhausens Kreationen verdankt, sowie The Witches (1966), eine Adaption von Norah Lofts (aka "Peter Curtis'") Roman The Devil's Own.



Cyril Frankels Film verdient nicht nur deshalb Interesse, weil die große Joan Fontaine in ihm ihren letzten Kinoauftritt hatte. Unter den Hammer-Flicks der Zeit zeichnet er sich auch durch eine Reihe auffälliger Besonderheiten aus. Zuerst einmal ist er in der Gegenwart angesiedelt und besitzt deshalb nicht jenes "gotische" Flair, das vor allem dank Dracula und Frankenstein zum Markenzeichen der führenden Brit-Horror-Schmiede geworden war. Sein ländliches Setting und seine auf subtile Weise beunruhigende Atmosphäre erinnern vielmehr an den "Folk Horror" der frühen 70er Jahre, auch wenn The Witches ganz sicher nicht die Qualität und Intensität von Filmen wie Blood on Satan's Claw (1970) oder The Wicker Man (1973) erreicht. Vor allem das Finale ist leider eher etwas enttäuschend. Ins Auge fällt außerdem, dass alle Hauptfiguren Frauen sind, derweil die wenigen wichtigeren männlichen Charaktere ausnahmslos einen ziemlich hilflosen und schwächlichen Eindruck hinterlassen. Für einen Horrorfilm der 60er Jahre ein außergewöhnliches Charakteristikum. Und zuguterletzt lässt sich The Witches zumindest streckensweise als Geschichte über eine Gesellschaft interpretieren, die angesichts des Zerfalls traditioneller Werte und Institutionen in die Barbarei abzugleiten droht, wobei dem Ganzen ein nie offen ausgesprochener, aber nichtsdestoweniger deutlich spürbarer Klassengegensatz zugrundeliegt.

Einige andere Projekte, an denen Nigel Kneale Anfang der 60er Jahre beteilgt war, gelangten leider nie zur Vollendung. Dies gilt vor allem für eine geplante Verfilmung von Aldous Huxleys Brave New World.
The largest film I took on was an adaptation of Brave New World in 1963. Jack Cardiff was going to direct. We spent weeks working out an approach, and I wrote a long script. It was all set up to be shot in Spain (at that time the production company behind the project was very thick with the Spanish government so they could raise money). So Jack set off to Spain and I was getting our children ready to go and join him and settle down for some months when suddenly the next day he rang up to say "It's all off! They're selling the cars!" The company had gone bust and fallen out of favour with the government.
Vieles aus Huxleys Klassiker sollte sich fünf Jahre später in Kneales eigener Dystopie The Year of the Sex Olympics wiederfinden. Doch soweit sind wir noch nicht.

1963 war auch das Jahr, in dem das britische Fernsehpublikum endlich wieder ein Kneale'sches Original zu sehen bekam: Den als verloren geltenden Film The Road, der von den Bewohnern eines Dorfes erzählt, die im 18. Jahrhundert von Visionen eines künftigen Atomkriegs heimgesucht werden. (2)

Ein weiteres Projekt, an dem der Autor 1965 zu arbeiten begann, sollte eine Epidemie von Selbstmorden unter Jugendlichen zum Thema haben. Doch der BBC schien der Inhalt zu heikel, so dass es nicht zur Produktion kam. Ein Versuch, den Film zusammen mit Produzent & Regisseur Ronnie Neame zu realisieren, scheiterte am Zensor.
Was Nigel Kneale in einem Interview mit Jack Kibble-White 2003 über die Entstehung des Drehbuchs zu The Big Giggle erzählt hat, wirft ein grelles Licht auf seine damalige Weltsicht: "It seemed in 1965 that it would be extremely likely that there would be a takeover by the youth, and the biggest thrill they could have was to kill themself". Kneale sah im kulturellen Umbruch der Swinging Sixties offenbar nichts befreiendes, sondern ganz im Gegenteil eine weitere Etappe im gesellschaftlichen Niedergang. Wenn er von einer "drohenden Machtübernahme durch die Jugend" spricht, glaubt man einen typischen konservativen Spießer zu hören, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit Jeremiaden auf den moralischen Verfall der nachwachsenden Gerneration anstimmt. Tatsächlich hasste Kneale vieles an der "Counter Culture" der 60er Jahre: "I didn't like the Sixties at all because of the whole thing of 'let it all hang out' and let's stop thinking [...] which was the all too frequent theme of the Sixties which I hated." Fraglos steckte in Nigel Kneale manchmal ein kleiner Snob, und sein zunehmend pessimistischer Blick auf die Welt und den Menschen, den wir schon bei Quatermass and the Pit beobachten konnten, mochte diesen Charakterzug noch weiter verstärken. Doch das heißt nicht, dass er sein Talent als Drehbuchschreiber oder seinen scharfen Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge und beunruhigende kulturelle und soziale Entwicklungen verloren hätte. In The Year of the Sex Olympics werden wir beiden Seiten des Autors begegnen.

Als die BBC 1967 mit dem Wunsch an Nigel Kneale herantrat, er möge eine Folge für ihre Serie Theatre 625 schreiben, lehnte der Autor dies zuerst ab. Es heißt, er sei immer noch wütend darüber gewesen, dass der Sender die Verfilmungsrechte für The Quatermass Experiment an Hammer verhökert hatte, ohne dass er selbst dabei ein Wörtchen hatte mitreden dürfen. Schließlich intervenierte Director-General Hugh Greene persönlich und ließ Kneale 3000£ als zusätzliche Vergütung für seine Quatermass-Serien zukommen, was den Autor offenbar versöhnte.

Hugh Carleton Greene – Bruder des großen Schriftstellers Graham Greene – war 1960 General-Director der BBC geworden und hatte einen radikalen Umbruch eingeleitet, mit dem eine Ära begann, die man mit gutem Recht als das Goldene Zeitalter des britischen Fernsehens bezeichnen kann. Unter seiner Leitung rückte der Sender von seiner traditionellen Verbundenheit zu Moral und Geschmack der konservativen Mittelklasse ab und öffnete sich für jüngere und in der Mehrzahl radikalere Kulturschaffende. Einige von ihnen stammten sogar aus der Arbeiterklasse wie der Schauspieler und Produzent Tony Garnett: 
The BBC was changing in response to the cultural changes in the country. The BBC helps to create culture, but also responds to it. Its income was increasing every year as more people bought televisions and there was a move to colour.
BBC Director General Hugh Carlton Greene realised that “Auntie” [the BBC] had to take off her corset and put on a mini-skirt. There was big opposition to that, but he had the authority to push it through. 
One of the consequences was that rough kids – like me, [und die Drehbuchschreiber] Roger Smith and John McGrath – became some of the lucky few scholarship boys that were allowed to go into the BBC. A window opened.
In der Reihe The Wednesday Play, bei deren Entwicklung Garnett als Story Editor und Produzent eine zentrale Rolle spielte, wandten sich linke Autoren und Regisseure wie Jim Allen, David Mercer und Ken Loach ab 1964 sozialen Problemen und dem Leben der Arbeiterklasse zu. Viele dieser Künstler wurden Ende der 60er Jahre zu Sympathisanten der trotzkistischen Socialist Labour League. (3)
Aber es wäre falsch, wollte man die Blütezeit des britischen Fernsehens in den 60er und 70er Jahren bloß auf eine verstärkte Hinwendung zum Sozialrealismus zurückführen. Der nonkonformistische, kritische und experimentierfreudige Geist, der sie besselte, konnte seinen Ausdruck sowohl in naturalistischen wie in phantastischen Formen finden. Sucht man nach ihren Wurzeln, so hat man sich zum einen die allgemeineren gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Zeit zu vergegenwärtigen, und ist zum anderen Hugh Greene zu großem Dank verpflichtet, der gegen zahllose Widerstände einen künstlerischen Freiraum in der BBC schuf und verteidigte, in dem neue Talente sich ausprobieren und entfalten konnten. Davon profitierte die Phantastik ebensosehr wie der Realismus. Wie Taylor Parkes letzten Novbember in einem sehr lesenswerten  Essay zum fünfzigsten Geburtstag von Doctor Who geschrieben hat:
Doctor Who could probably only have been made by the BBC as it was in the 60s and early 70s; all its strengths and weaknesses seem to correspond to those of the Corporation in what were, and look increasingly likely to remain, its glory days.
Those strengths were only made possible by that amazing, never-to-be-repeated freedom in programme-making - one which included the freedom to make mistakes, the most important freedom of all.
Ganz ähnlich äußerte sich einmal Lawrence Gordon Clarke, der Schöpfer der klassischen Ghost Stories for Christmas (4):
The BBC at that time gave you the space to fail, and generously so too. They backed you up with marvellous technicians, art departments, film departments and so forth.
Mindestens ebenso wichtig waren die Werte, die Filmen und Serien wie dem klassischen Doctor Who zugrundelagen. In Taylor Parkes' Worten: "Generosity and human decency, a sense of endless possibility" – Ausdruck einer Ära, "where some things were more important than how much fucking money you'd spent". (5)

Es fällt mir nach wie vor sehr schwer, zu verstehen, warum Realismus und Phantastik einander so oft als zwei verfeindete Prinzipien gegenübergestellt werden. Und es sind nicht allein irgendwelche Kultursnobs, die sich in dieser Hinsicht schuldig machen. Nach meiner Erfahrung kommt auf jeden "Realisten", der die Phantastik als infantil und eskapistisch beschimpft, ein "Phantast", der den Sozialrealismus als langweilig und fantasielos verhöhnt. Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn einem die eine oder die andere Spielart eher zusagt. Persönlicher Geschmack ist nichts, worüber man streiten sollte. Aber warum das Ganze zu einer Prinzipienfrage erklären? Und weshalb wird dabei häufig ein so gehässiger oder herablassender Ton angeschlagen? Ich selbst halte es jedenfalls für äußerst bereichernd, mich in beiden Feldern umzutun. Und die Blütezeit der BBC hat reihenweise faszinierender Werke sowohl sozialrealistischer wie phantastischer Provinienz zu bieten. Auf der einen Seite haben wir da solche beeindruckenden naturalistischen Filme wie Ken Loachs Up the Junction (1965) und Cathy Come Home (1967), Ken Loachs & David Mercers In Two Minds (1967), Ken Loachs & Jim Allens The Big Flame (1969) und Days of Hope (1975), Jack Golds & Jim Allens The Lump (1967) sowie Trevor Griffiths All Good Men (1974). Auf der anderen solche Juwelen der Phantastik wie Joanthan Millers Whistle And I'll Come To You (1968), James MacTaggarts Robin Redbreast (1970), die Ghost Stories for Christmas (1971-78), Don Taylors The Exorcism (1972), Nigel Kneales The Year of the Sex Olympics (1968) und The Stone Tape (1972) sowie David Rudkins & Alan Clarkes Penda's Fen (1974), nicht zu vergessen der klassische Dr. Who. (6)

{Nebenbei bemerkt: Don Taylor drehte 1965 zwei Episoden von The Wednesday Play und würde 1976 bei zwei Episoden von Nigel Kneales Beasts die Regie übernehmen. Kneale selbst sollte 1969 und '70 zwei Drehbücher für The Wednesday Play beisteuern, von denen eines (Bam! Pow! Zapp!) realistisch, das andere (Wine of India) phantastisch ausgerichtet war. (7) Und Jack Gold schließlich würde 1978 mit The Medusa Touch für einen der kleinen Klassiker des phantastischen Kinos verantwortlich zeichnen. Soviel zum unversöhnlichen Gegensatz von Sozialrealismus und Phantastik!}

Dass Hugh Greene sich persönlich darum bemühte, Nigel Kneale für Theatre 625 zu gewinnen, zeigt, dass der Director-General nicht nur Neuerungen durchzusetzen wusste, sondern auch an das Beste aus dem Erbe der BBC anzuknüpfen verstand.
Am 7. April 1967 nahm Kneale den Auftrag von Theatre 625 - Produzent Michael Bakewell an, ein Script für die Reihe zu schreiben. Ein halbes Jahr später reichte er das Drehbuch zu The Year of the Sex Olympics ein, das am 25. Oktober von Bakewells Nachfolger Ronald Travers offiziell akzeptiert wurde. Die Dreharbeiten begannen Anfang 1968 unter der Leitung des erfahrenen Theater- und Fernsehregisseurs Michael Elliott.

Zuvor hatte man allerdings noch die Attacken der berüchtigten christlich-konservativen Aktivistin Mary Whitehouse zurückschlagen müssen, die das Projekt mit allen Mitteln zu torpedieren versuchte.
Die Führerin der "Clean Up TV" - Kampagne und der National Viewers' and Listeners' Association (NVALA) wird heute manchmal als eine etwas lächerliche Figur dargestellt. Eine weltfremde, verklemmte Spießerin, die moralisch und kulturell im viktorianischen Zeitalter steckengeblieben war. Tatsächlich jedoch genoss sie die Unterstützung einflussreicher Tory-Politiker, die in ihrem Kreuzzug gegen die "halb kommunistische" und "moralisch verrottete" BBC und diverse andere Erscheinungsformen von "Dekadenz" und "Perversion" eine Möglichkeit sahen, Teile der Mittelklasse gegen all jene zu mobilisieren, die es wagten, die überkommene gesellschaftliche Ordnung in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Wenn Whitehouse z.B. die Fernsehberichterstattung über den Vietnamkrieg als "pazifistische Propaganda" kritisierte und 1970 erklärte "However good the cause ... the horrific effects on men and terrain of modern warfare as seen on the television screen could well sap the will of a nation to safeguard its own freedom, let alone resist the forces of evil abroad", zeigte sie damit sehr schön, warum die Konservativen in ihr eine wertvolle Verbündete sahen. In den 30er Jahren hatte Whitehouse der nazifreundlichen Oxford Group von Frank Buchman angehört, und auch ihren späteren Aktivitäten hing stets ein leicht faschistoider Geruch an. In den 70er Jahren führte sie u.a. einen unermüdlichen Kampf gegen Doctor Who, und dass Drehbuchautor Robert Holmes, der wie kein anderer die Ära des Vierten Doktors (Tom Baker) geprägt hatte, die Serie 1977 schließlich verließ, dürfte mit eine Folge ihrer langjährigen Attacken gewesen sein. Noch in den frühen 80er Jahren sollte Whitehouse eine wichtige Rolle bei der Initiierung der "Video Nasties" - Panik spielen. (8) "A very terrible woman", wie Nigel Kneale sie einmal ganz richtig genannt hat. 
Einmal mehr muss man Hugh Greene Respekt zollen, der zu keinem Zeitpunkt bereit war, auch nur ansatzweise auf die Forderungen dieser selbsterklärten Vertreterin der "schweigenden Mehrheit" einzugehehen. Selbst ein informelles Zusammentreffen mit Mary Whitehouse kam für ihn als General-Director der BBC niemals in Frage. Die Versuche der Aktivistin und ihrer Anhänger, Kneales The Year of the Sex Olympics zu stoppen, konterten er und seine Verbündeten in der Leitung des Senders, indem sie die "besorgten Bürger" kurzentschlossen vor die Tür setzten. Hew Wheldon, Director of Television, gab Kneale zu verstehen: "You go ahead. I'm going to take full responsibility - I want it."  Und damit war die Sache geklärt.

Während des Drehs gab es dann auch noch Probleme mit einem Streik des technischen Personals, doch am 29. Juli 1968 war es schließlich so weit. Kurz nach neun Uhr abends strahlte BBC2 The Year of the Sex Olympics aus.


Fortsetzung folgt ...





(1) Für Baker war der 1967 in die Kinos gelangte Film der Startpunkt seiner Brit-Horror-Karriere, die er mit Scars of Dracula (1970), The Vampire Lovers (1970), Dr Jekyll and Sister Hyde (1971), Asylum (1972) und The Vault of Horror (1973) fortsetzen sollte..
(2) Es gibt ein Amateur-Remake von The Road, das in seiner {ähem} bescheidenen Qualität jedoch kaum geeignet sein dürfte, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie das Original einmal ausgesehen haben mag. {Ehrlich gesagt habe ich es bisher nicht geschafft, mir mehr als zehn Minuten davon anzuchauen.}
(3) Wer sich etwas eingehender über diese politisch-kulturellen Entwicklungen informieren will, sei neben dem zweiteiligen Interview mit Tony Garnett dieser Artikel über Jim Allen, der Nachruf der World Socialist Web Site auf Corin Redgrave sowie das ausführliche Gespräch zwischen David Walsh und Autor Trevor Griffiths empfohlen. 
(4) Ich habe diese wunderbare Serie in drei Blogeinträgen hier hier & hier besprochen.
(5) Sydney Newman, der Initiator von Doctor Who, hatte ursprünglich auch Nigel Kneale für die Serie zu gewinnen versucht. Diesem jedoch hatte das Konzept ganz und gar nicht zugesagt, und auch späterhin äußerte er sich über Serien wie Doctor Who oder Blake's 7 nie anders als mit tiefster Verachtung.
(6) Diese Liste enthält ausschließlich Produktionen der BBC, weshalb solche Klassiker der britischen TV-Phantastik wie The Avengers, The Prisoner, Children of the Stones, Nigel Kneales Beasts sowie Sapphire and Steel, die allesamt von ITV ausgestrahlt wurden, außen vor bleiben.
(7) Auf Youtube kann man sich eine Inszenierung von Wine of India anschauen, die 2013 im Rahmen des Manchester Fringe Festival aufgeführt wurde. Die Qualität des Videos ist nicht besonders gut, doch da der ursprüngliche Film nicht länger existiert, bietet sich hier zumindest die Gelegenheit, einen Einblick in das Werk zu erhalten. Wine of India porträtiert eine Gesellschaft, in der der Traum ewiger Jugend Wirklichkeit geworden ist. Der Preis allerdings ist hoch: Um ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum zu verhindern, verpflichten sich die ewig jungen "Unsterblichen" dazu, nach ca. hundert Jahren Selbstmord zu begehen. 
(8) Vgl. Jim Moons Hypnobobs #11 und natürlich Chris Browns Video Nasties Podcast {dessen Folgen stets mit einer berüchtigten Äußerung von Mary Whitehouse beginnen}, insbesondere die Einführungsepisode. All denen, die sich etwas eingehender mit dem Thema beschäftigen wollen, sei Jake Wests Dokumentarfilm Video Nasties: Moral Panic, Censorship and Videotapes empfohlen.

From Darkness into Darkness




Space: the final frontier. 
These are the voyages of the starship Enterprise ...

Wer hätte ahnen können, in welch gruselige Regionen des filmischen Universums diese Reisen Captain Kirk und seine Crew einmal führen würden? Die neuesten Nachrichten aus Hollywood lassen in dieser Hinsicht jedenfalls nichts Gutes erahnen ...

Die wahre Heimat von Star Trek war stets das Fernsehen. Unter den ersten sechs Kinofilmen konnte man zwar manch Interessantes, Unterhaltsames und sogar Großartiges entdecken {ich bemühe mich verzweifelt, die Tatsache, dass The Final Frontier existiert, zu verdrängen}, aber nach The Undiscovered Country (1991) hat es eigentlich keinen wirklich guten Trek-Film mehr gegeben. {Und nein, davon nehme ich auch The First Contact nicht aus!} Dennoch fühle ich mich als Immer-noch-Fan des Franchises durch die Reboot-Filme stärker beleidigt als selbst durch solch unterirdische Machwerke wie Insurrection oder Nemesis. Zumindest seit ich das Pech hatte, mir Star Trek Into Darkness im Kino anzuschauen. – Warum diese extreme Reaktion? Ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich nervt es mich einfach, zusehen zu müssen, wie die Welt von Star Trek in eine weitere generische Provinz des aktuellen SciFi-Action-Blockbuster-Universums verwandelt wird, und dabei unter den Händen talentloser Hacks jeden Rest von Individualität einbüßt. Alle Irrwege und Inkompetenzen der TNG-Filme wirken im Vergleich dazu beinahe harmlos ...
Doch wenn uns Hollywood in den letzten zwei Jahrzehnten eins bewiesen hat, dann, dass es nach unten hin keine Grenzen gibt. Eine Filmindustrie, in der sich Leute wie Michael Bay oder Roland Emmerich immer noch als große Macher aufführen dürfen, befindet sich längst jenseits von Gut und Böse. Und so hätte ich mich eigentlich nicht wundern dürfen, als bekannt wurde, dass bei Star Trek 3 – wie schon seit längerem gemunkelt – tatsächlich Roberto Orci auf dem Regiestuhl Platz nehmen wird. Passt doch ins Schema! Dennoch fällt es mir sehr schwer, auf diese Nachricht mit vulkanierhafter Emotionslosigkeit zu reagieren. Zusammen mit seinem Kumpel Alex Kurtzman ist Orci der lebendige Beweis dafür, dass man als Drehbuchschreiber im heutigen Blockbuster-Hollywood auch nicht die leiseste Ahnung davon haben muss, wie man eine Geschichte filmisch erzählt, und dennoch zum Multimillionär werden kann. Warum der nicht gänzlich talentlose JJ Abrams seinen Einfluss geltend gemacht hat, um Orci nun zu allem Überfluss auch noch zu einem Debüt als Regisseur zu verhelfen, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch an einem besteht für mich kein Zweifel: Opfer dieses Freundschaftsdienstes wird das Star Trek - Franchise sein ... Ach ja, wie nicht anders zu erwarten, wird Orci – zusammen mit J.D. Payne –  selbstverständlich auch das Drehbuch für den für 2016 angekündigten Film hinschludern. Darin wollen sich die beiden offenbar mit "moral gray areas" beschäftigen. Ich denke, wir alle wissen, was das zu bedeuten hat ...

Nein, es ist keine gute Zeit für Trek-Fans. Ich persönlich tröste mich mit der Überzeugung, dass diese Streifen in Wirklichkeit gar keine Star Trek - Filme sind. Wir alle wissen doch, dass Hollywood von einer Bande geldgieriger Ferengi kontrolliert wird. Und wie lautet doch gleich die zweihundertneununddreißigste Erwerbsregel: "Never be afraid to mislabel a product".

Samstag, 21. Juni 2014

Strandgut der Woche

Samstag, 14. Juni 2014

Strandgut der Woche

Dienstag, 10. Juni 2014

Minus plus Minus ergibt nicht notwendigerweise Plus

Es amüsiert mich immer wieder, dass Google ab und an Leute auf diesen Blog schickt, die unter Garantie nach ganz etwas anderem Ausschau gehalten haben. Den Suchbegriffen nach zu urteilen vermutlich nach BDSM-Porn. Schuld daran scheint vor allem das "Skalpell" im Titel zu sein.

Ich habe absolut nichts gegen die Vorlieben dieser Leute {pflege ich doch selbst eine ganze Reihe eigener Fetische}, aber ich dachte mir, es sei irgendwie lustig, hier einmal etwas zu präsentieren, was den erwähnten Anfragen zumindest ein bisschen entgegen kommen würde. Und was wäre dazu besser geeignet, als ein kleiner Abstecher in die etwas zwielichtigeren Winkel des italienischen Horror- und Exploitationfilms? Schließlich bestritten eher berüchtigte denn berühmte Schlockmeister wie Bruno Mattei oder Joe D'Amato den Großteil ihrer Karriere mit der Produktion ebenso billiger wie reißerischer Flicks, in denen jede sich bietende Gelegenheit genutzt wurde, um dem Publikum einen wilden Mix aus Sex und Gore vorzusetzen.
Meine Wahl fiel dabei auf D'Amatos Emanuelle e gli ultimi cannibali / Emanuelle and the Last Cannibals, auch bekannt unter dem neckischen Titel Trap Them And Kill Them. Grund dafür war, dass der 1977 in die Kinos gelangte Streifen nicht nur die schon erwähnten Eigenschaften eines typischen D'Amato - Flicks  aufweist, sondern darüberhinaus eine echte Kuriosität in der Geschichte des italienischen B-Movies darstellt.

Doch beginnen wir mit dem Regisseur. Fantasyfans werden Aristide Massaccesi alias Joe D'Amato wenn überhaupt, dann als Schöpfer der ersten beiden Ator-Filme kennen – billigen Conan - Knock-offs aus den 80er Jahren. Freundinnen und Freunde des Horrorgenres ihrerseits mögen bei seinem Namen vor allem an den berüchtigten Kultstreifen Anthropophagous aus dem Jahr 1980 denken. Tatsächlich jedoch hat sich der 1999 verstorbene Filmemacher im Laufe seiner äußerst produktiven Karriere {IMDB zählt unter seinem Namen 199 Titel auf} in so gut wie allen Genres des italienischen B-Movies betätigt – von Peplums, Giallos und Spaghettiwestern über Horror- und Kriegsfilme bis hin zu Nunsploitationflicks und einem Caligula - Rip-off. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, er habe einen Platz im Pantheon der großen Maestros à la Mario Bava, Dario Argento oder Lucio Fulci verdient. Doch um ehrlich zu sein, bestand darin auch nie Massaccesis Ehrgeiz. Wie er selbst einmal erklärt hat: "I am very proud to do movies, any kind of movie, I am a filmmaker. For me it is good to make really any kind of movie. I also make porno movies, and I do a porno movie like I do a horror movie." In der Tat darf man wohl die Mehrheit seiner Filme dem Pornogenre zurechnen. Doch ist das für mich kein Grund, verächtlich auf einen Mann herabzuschauen, der offenbar von einer großen Leidenschaft für das Filmemachen besselt wurde, und ehrlich und bescheiden genug war, um immer wieder zu betonen, er sei nichts anderes als ein simpler "Handwerker", der produzierte, was sich verkaufen ließ. Auf seine Art finde ich den guten Joe sogar recht sympathisch.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre konnte D'Amato recht ordentliche Gewinne mit dem Franchise der Black Emanuelle - Filme einfahren. Dabei war der erste Streifen in der Reihe – Emanuelle nera (1975) – ironischerweise gar nicht von ihm, sondern von Bitto Albertini gedreht worden. Albertini darf auch als der eigentliche Entdecker von Laura Gemser gelten, die zu einem der weiblichen Stars des italienischen Exploitationfilms der 70er und 80er Jahre werden sollte, vor allem dank ihrer Zusammenarbeit mit D'Amato und Bruno Mattei.
Dass der große Erfolg der französischen Verfilmung von Emmanuelle Arsans erotischem Roman* aus dem Jahre 1974 mit Sylvia Kristel in der Hauptrolle alsbald zu einer Flut von Cash-ins und Pseudo-Fortsetzungen führte, ist nicht weiter verwunderlich. Während Albertini seine "schwarze Emmanuelle" ins Rennen schickte, versuchte D'Amato im selben Jahr mit Emanuelle e Françoise le sorelline / Emanuelle's Revenge gleichfalls seinen bescheidenen Gewinn aus der einsetzenden Welle zu ziehen. Inhaltlich hatte keiner der beiden Flicks besonders viel mit dem französischen Softporno-Klassiker gemein, doch offenbar erwies sich Laura Gemser als ein echter Publikumsmagnet, und so warb D'Amato sie rasch ab und machte sich ganz frech daran, das Black Emanuelle - Format unter eigener Regie zu einem regelrechten Franchise auszubauen. Der arme Albertini war gezwungen, seine eigene Fortsetzung zu Emanuelle nera mit einer anderen Hauptdarstellerin zu drehen, was entscheidend zum Misserfolg des Flicks ( Emanuelle nera n° 2) beigetragen haben dürfte.
Die Geschichte des europäischen B-Movies steckt voller solch bizarrer Anekdoten. Doch wie auch immer D'Amato dieser Coup gelungen sein mag {gab es da überhaupt keine rechtlichen Probleme?}, auf jedenfall bekam das geneigte Publikum von 1976-78 fünf weitere Black Emanuelle - Streifen von ihm serviert. Spätestens ab Emanuelle in America (1977) enthielten diese neben der üblichen Softporno-Bettgymnastik auch extreme Gewaltszenen und andere eher fragwürdige Zutaten, die regelmäßig den Zensor auf den Plan riefen. So gesehen stellte Film Nr. 4 Emanuelle and the Last Cannibals keinen wirklichen Bruch mit D'Amatos inzwischen etabliertem Konzept dar. Dennoch kann er als eine Art filmischer Sonderling gelten, und das aufgrund seiner Stellung innerhalb der Geschichte des Kannibalenfilms.

Nun kann ich nicht behaupten, dass ich diesem Genre, das an der Wende von den 70er zu den 80er Jahren eine kurze Blüte im italienischen Exploitation-Kino erlebte, besonders viel Interesse entgegenbringen würde. Hauptgrund dafür ist gar nicht einmal so sehr, dass diese Flicks durch die Bank recht unappetitlich sind und nicht nur mit Menschenfresserei und rassistischen Klischees, sondern für gewöhnlich auch mit exzessiven Szenen von sexueller Gewalt und dem Abschlachten lebendiger Tiere aufwarten. Der Punkt ist vielmehr, dass ich das Thema Kannibalismus für ziemlich langweilig halte.
Doch niemand, der sich für die Geschichte des italienischen Horrorfilms interessiert, kommt daran vorbei, den Menschenfressern vom Amazonas {oder sonstwoher} zumindest einen kurzen Besuch abzustatten. Vor allem, da es zu Beginn der 80er Jahre zu einigen Überschneidungen zwischen diesem Genre und dem des Zombiefilms kam, der nach dem gewaltigen Erfolg von George A Romeros {& Dario Argentos} Zombi: L'Alba dei Morti Viventi {so der italienische Titel von Dawn of the Dead} zu dieser Zeit gerade seinen ersten großen Triumphzug durch die Gefilde des B-Movies antrat. Am deutlichsten zeigt sich dies bei Marino Girolamis Zombie Holocaust (1980) – in Amerika unter dem grandiosen Titel Dr. Butcher M.D. (Medical Deviate) vermarktet –, aber auch andere frühe Zombieflicks wie Lucio Fulcis Klassiker Zombi 2 (Zombie Flesh Eaters) scheinen zumindest einen Teil ihrer Inspiration aus dem Kannibalengenre bezogen zu haben.**

Stämme wilder Menschenfresser, deren Lieblingsbeschäftigung darin besteht, alle Weißen, die sich in ihren Urwald verirren, in den Kochtopf wandern zu lassen, waren natürlich spätestens zur Zeit der Pulps ein gängiges Klischee westlicher Abenteuerliteratur geworden. Doch die eigentlichen Wurzeln des italienischen Kannibalenfilms sind vor allem im Genre der sog. Mondos zu suchen. So zumindest die allgemein verbreitete Ansicht.
1962 eröffnete Mondo Cane von Gualtiero Jacopetti, Paolo Cavara & Franco E. Prosperi einen Reigen von {*ähem*} "Dokumentarfilmen", in denen dem Publikum eine mehr oder weniger wüste Mischung aus bizarren, schockierenden, blutrünstigen und exotischen Szenen aus aller Welt präsentiert wurde. {Viele Mondo-Macher reicherten ihre Streifen auch mit gestellten oder vollständig gefaketen Szenen an.} Der Erfolg dieser sensationalistischen "Shockumentaries" war gewaltig, und das Genre lebte bis weit in die 80er und sogar die 90er Jahre fort, wobei es bald schon auch jenseits von Italiens Grenzen Anklang und Nachahmer fand. Vertreter und Vertreterinnen meiner Generation mögen sich vielleicht noch an Gesichter des Todes / Faces of Death erinnern, der obwohl bereits 1978 produziert noch über ein Jahrfünft später in Schulhofgesprächen als der "ekligste Film aller Zeiten" gehandelt wurde, was ihn mit einer Art magischen Aura umgab. Die [gefakete] Szene, in der Affengehirne gegessen werden, galt bei uns als nachgerade legendär ...

Die Mischung aus Exotismus, Sensationalismus und exzessiver Gewaltdarstellung stellt ohne Zweifel eine Verbindung zwischen Mondo- und Kannibalenfilmen dar. Und der berühmteste und berüchtigste aller Menschenfresserflicks – Ruggero Deodatos Cannibal Holocaust (1980) spielt sogar ganz bewusst auf die Tradition der Mondos an {vor allem auf Jacopettis & Prosperis Africa Addio von 1966}. Der erste "offizielle" italienische Kannibalenfilm, Umberto Lenzis Il paese del sesso selvaggio / Deep River Savages von 1972, bezog seine Inspiration freilich mindestens ebensosehr von Elliot Silversteins berühmtem Western A Man Called Horse (1970). Und wenn ich dem Urteil des guten Chris Brown vom Video Nasties Podcast vertrauen darf, so ist Lenzis Streifen gar nicht einmal so übel. Allerdings war es auch nicht er, der die Menschenfressermode so richtig ins Rollen brachte. Dafür muss Deodatos Ultimo Mondo Cannibale aus dem Jahr 1977 verantwortlich gemacht werden. Ein Film, der sich ganz im Stile der Mondos als eine Wiedergabe realer Ereignisse gibt. Bei weitem nicht so drastisch wie Cannibal Holocaust, war der Streifen doch ein echter Hit, was Joe D'Amato dazu veranlasste, aus seinem vierten Black Emanuelle - Flick zugleich ein Deodato - Cash-in zu machen. Und so erblickte gut achteinhalb Monate nach Ultimo Mondo Cannibale im Oktober 1977 Emanuelle e gli ultimi cannibali das Licht der Kinowelt.

{Normalerweise würde ich an dieser Stelle den Trailer einfügen, aber da ich keinen Ärger mit Bloggers Regeln über "erwachsene" Inhalte haben will, soll dieser Link genügen.}

Horror- und Pornoelemente in einem Film durcheinanderzurühren, war spätestens seit den späten 60er Jahren nichts mehr wirklich Außergewöhnliches. Doch im Normalfall geschah dies eher gegen Ende einer thematischen Modewelle, sei es als Parodie, sei es als verzweifelter Versuch, das abwandernde Publikum auf diese Weise noch einmal in die Kinos zu locken. Das Kuriose an Emanuelle and the Last Cannibals ist, dass der Flick kein Nachzügler war, sondern vielmehr zu den legitimen Initiatoren der Kannibalenmode gezählt werden darf. Wie groß sein Einfluss auf spätere Filme tatsächlich gewesen ist, kann ich nicht abschätzen.*** Was mir allerdings aufgefallen ist: Auch wenn seine Gore-Szenen im Grunde nicht wirklich extremer sein mögen als die von Ultimo Mondo Cannibale, so haben sie bei mir doch einen sehr viel unangenehmeren Eindruck hinterlassen, besitzen sie doch oft ein stark sexuelles Element. In dieser Hinsicht könnte Emanuelle and the Last Cannibals tatsächlich als eine eigenständige Stufe in der Entwicklung des Genres gelten. Was selbstredend nichts über die Qualität des Filmes oder seinen Unterhaltungswert aussagen soll.

Hui, das ist jetzt aber eine ziemlich lange "Einleitung" geworden. Der Grund dafür ist vermutlich nicht schwer zu erraten: Über den Film selbst gibt es nur wenig interessantes zu berichten. 
Der Plot ist denkbar simpel: Als Journalistin Emanuelle (Laura Gemser) in einer Nervenheilanstalt auf eine junge Frau stößt, die scheinbar von einem als ausgestorben geltenden Kannibalenstamm aus dem Amazonasbecken aufgezogen wurde, macht sie sich gemeinsam mit dem Anthropologen Mark Lester (Gabriele Tinti)**** nach Südamerika auf, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Dort schließen sich der Truppe die junge Isabelle Wilkes (Mónica Zanchi) sowie Schwester Angela (Annamaria Clementi) an. Im Dschungel begegnen sie außerdem dem Ehepaar Donald und Maggie McKenzie (Donald O'Brien & Nieves Navarro) mit ihrem Diener Salvadore (Percy Hogan). Diese geben zwar vor, auf einer Jagdexpedition zu sein, suchen in Wirklichkeit jedoch nach einem abgestürzten Flugzeug mit einer Ladung Diamanten an Bord. Doch all das spielt ohnehin keine Rolle mehr, sobald die Kannibalen auftauchen und das große Schlachten, Vergewaltigen und Auffressen beginnen kann. 
Schon diese knappe Inhaltsangabe dürfte vermutlich wenig erbaulich klingen, doch man möge mir glauben, die Umsetzung ist noch um ein vielfaches erbärmlicher ausgefallen.
Der Film besteht aus zwei sehr deutlich voneinander zu unterscheidenden Teilen. Bei den ersten zwei Dritteln handelt es sich ganz einfach um einen billigen Softporno im für die Black Emanuelle - Filme typischen "exotisch-abenteuerlichen" Ambiente. Von einer einzigen Szene am Anfang abgesehen, enthält dieser Teil keinerlei Horrorelemente. Der Plot dient ausschließlich als Füller zwischen diversen Softcore-Sexszenen. Selbige sind, wie für einen Porno der Zeit wohl nicht anders zu erwarten, völlig frei von Leidenschaft oder echter Erotik. Selbst die Bewegungen der Darsteller und Darstellerinnen wirken so künstlich, dass man ein amüsiertes Kichern nicht unterdrücken kann. Freilich wird dieses leichte Amüsement schon sehr bald von gähnender Langeweile abgelöst.
Und dann folgt urplötzlich die große Wende, und wir finden uns in einem mittelprächtigen Gore-Fest wieder. Das Bizarre ist, dass sich das Konstruktionsprinzip des Films dabei nicht verändert. An die Stelle der Sex- treten ganz einfach Gewaltszenen. Der Plot bleibt genauso unzusammenhängend, schludrig und unterentwickelt wie zuvor. Doch was für einen Porno wohl einfach normal ist, muss in jedem anderen Zusammenhang verheerende Auswirkungen haben. Zu keinem Zeitpunkt kommt auch nur ein Minimum an Spannung auf. Auch wenn es eigentlich darum geht, dass unsere Helden einige ihrer Freunde aus den Klauen der Kannibalen zu befreien versuchen. Was die Gewaltszenen selbst angeht, so habe ich ja bereits gesagt, dass einige von ihnen eine unangenehme sexuelle Komponente enthalten. Ich will dazu nur noch soviel sagen: Die Darstellung einer Massenvergewaltigung war für mich dabei nicht das Unappetitlichste. Andererseits soll nicht unerwähnt bleiben, dass es in diesem Zusammenhang auch eine, in ihrer Absurdität wirklich großartige Szene gibt: Wenn die Wilden den armen Donald mit Hilfe irgendwelcher Stricke sauber in zwei Hälften teilen, wirkt das einfach wunderbar grotesk.

Ich kann niemandem guten Gewissens empfehlen, sich diesen Film einmal anzuschauen. Er ist zwar bei weitem nicht so unangenehm und verstörend wie Cannibal Holocaust, doch dafür besitzt er auch nicht dessen Intensität. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wie ich Ruggero Deodatos Werk einzuschätzen habe. Bei Joe D'Amatos Streifen stellt sich mir diese Frage nicht. Emanuelle and the Last Cannibals ist ganz einfach reizlos und langweilig. Einzig aus filmhistorischen Gesichtspunkten verdient er kursorische Beachtung. Was nicht rechtfertigt, dass man ihm anderthalb Stunden seines Lebens opfern sollte.



* Es ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich das Buch gelesen habe. Mein damaliger Eindruck war jedoch, dass es interessanter ist, als man erwarten würde. Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, so besteht das letzte Drittel hauptsächlich aus der Darlegung einer spezifisch "dekadenten" {im Sinne von Décadence} Betrachtungsweise von Erotik und Sex.
** Wer an einer detaillierten Schilderung der frühen Geschichte des modernen Zombiefilms interessiert ist, sei auf Episode 1 und 2 von Mr. Jim Moons Podcast-Serie Zombi Zombi verwiesen.
*** Glaubt man Wikipedia, so war er es und nicht etwa Ultimo Mondo Cannibale oder Sergio Martinos La montagna del dio cannibale / Mountain of the Cannibal God (1978) –, der den Produzenten Fabrizio De Angelis auf die Idee brachte, in Zombie Holocaust Motive aus Kannibalen- und Zombiefilm miteinander zu vermischen. 
**** Tinti und Laura Gemser waren seit 1976 verheiratet. Das Paar war bereits gemeinsam in Emanuelle nera: Orient reportage (1976),  Eva nera (1976) und Emanuelle in America (1977) sowie Bruello Rondis Veluto Nero (1976) aufgetreten.

Samstag, 7. Juni 2014

Strandgut der Woche