"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 10. Januar 2021

"By the ten tinted toenails of Tanit!"

Knapp drei Jahre bevor Red Sonja in Nr. 23 von Conan the Barbarian die Comics-Bühne betrat (und sogar fünf Monate bevor der Cimmerier selbst dort debütierte) galoppierte im Mai 1970 auf den Seiten von Eerie bereits eine waschechte Sword & Sorcery - Heldin in die Welt der modernen Bildergeschichten und hatte dabei auch noch den grandiosen Fluch "By the ten tinted toenails of Tanit" auf den Lippen – Gardner F. Fox' Amazonia!

Zugegeben, nach den ersten gloriosen Jahren waren Eerie und Schwestermagazin Creepy zu dieser Zeit in einer erschreckend miesen Form. Wie Verleger Jim Warren selbst später einmal erzählt hat:

During that period we had to rely on reprints for covers and the insides, the magazines went to 48 pages, and I was ashamed of the product. It was awful. There were misspellings, we didn't credit the right people for stories, and sometimes there were no credit lines at all. It was hellfor both myself and our readers.

Und Amazonia macht da keine echte Ausnahme. Die Zeichnungen von Miguel Fernandez (der scheinbar nur diesen einen Abstecher in die Welt der Comics machte) schwanken zwischen zum Teil recht ansehnlicher, zum Teil amateurhafter Skizze, Cartoonhaftigkeit und schlichter Schludrigkeit. Der Text wimmelt von Schreibfehlern. Schon beim Eröffnungsfluch hat man das "the" vergessen. Der Plot stolpert, springt und sprintet auf geradezu groteske Weise dahin, zumal Fox die irre Idee hatte, auf gerade einmal sieben Seiten eine "epische" Geschichte erzählen zu wollen.

Und doch ist die Story nicht ohne Charme. Dafür ist vor allem Gardner Fox' grandios hyperbolischer Sprachstil verantwortlich, der es einem schwer macht, zu entscheiden, wie ernst es dem Autor mit dieser konfusen Mär wohl gewesen ist. 
"East of the wind and west of the road lies that land called Karkassone." Ist das eine ironisch-absurde Anspielung auf das norwegische Märchen Østenfor sol og vestenfor måne (East of the Sun West of the Moon) mit einem leichten Hauch von Lord Dunsany? Und dann auch noch auf die provencalische Stadt Carcassonne, die ihre Berühmtheit u.a. ihrer Rolle im Albigenserkreuzzug verdankt? Who knows ...
Weiter geht's jedenfalls in diesem Stil:

Deep in the demon-haunted glades of Wizard's Wood a maid comes galloping ... Galloping between the ghastly ghouls and evil kobolds infesting this corner of her world! Death gibbers from every branch, every leaf! Yet, onward she hurtles, ever onward toward the destiny written for her in the eternal pages of the book of the Elder Gods. For this is Amazonia, barbaric daughter of Fedrik, who was aforetime king in Karkassone.  

Warum ihr Vormund, der Magier Dyzlann, unsere Heldin in diesen monsterverpesteten Wald geschickt hat, wird nie ganz klar. Auf jedenfall befreit sie einen Söldner, der als Menschenopfer für den finsteren Gott Skorpovion gedacht war, schlägt sich mit selbigem herum, findet das magische Schwert Excalifer (!), prügelt sich noch einmal mit einem Dämon, der von der bösen Zauberin Llyrith heraufbeschworen wurde, und erreicht schließlich den Thronsaal des Usurpators Hermotinos the Hateful. Als sie diesem gemäß der Weisung der Älteren Götter die wundersame Eiserne Krone aufs Haupt presst, verwandelt er sich überraschenderweise in ihren lang verschollenen Vater Fedrik, der die ganze Zeit unter Llyriths Bann gestanden hatte. Der greise König haucht in den Armen seiner Tochter das Leben aus und Amazonia tritt die Herrschaft über das nun vom Bösen befreite Karkassone an. 

Ich wiederhole noch einmal: Die Geschichte umfasst sieben Seiten!

Aber die großartige Absurdität ist nicht das einzig ansprechende an ihr. Denn so wirr der Plot auch sein mag, Amazonia ist eine erstaunlich starke und eigenständige Heldin. Sie überwindet alle Gegner und Hindernisse ohne fremde Hilfe (von der Magie der Eisernen Krone einmal abgesehen). Der namenlose Söldner ist weder ein "love interest" für sie, noch ein ernstzunehmender Beistand. Am Ende besteigt "the girl-barbarian" den Thron ihres eigenen Reiches. 
Das scheint mir für eine Sword & Sorcery - Comics - Heldin aus dem Jahre 1970 schon recht beachtlich. Und glücklicherweise durfte Amazonia sogar noch zwei weitere Abenteuer erleben. Die außerdem in so gut wie jeder Hinsicht sehr viel besser ausschauen als ihr Debüt. Nicht zuletzt, weil bei ihnen Billy Graham den Zeichenstift führte.

Doch bevor wir uns den beiden zuwenden, wollen wir zuerst einen kurzen Blick in die Geschichte von Warren Publishing werfen. Denn ich denke, es ist kein Zufall, dass die Sword & Sorcery erstmals in deren Publikationen auftauchte, einige Jahre bevor sich dann auch die Riesen Marvel und D.C. dem Genre anzunehmen begannen.

Jim Warrens Karriere als Verleger hatte Mitte der 50er Jahre wenig glorreich mit der Playboy - Imitation After Hours begonnen, die ihm schon nach vier Nummern eine (später niedergeschlagene) Anklage wegen "Verbreitung obszöner Schriften" einbrachte, wobei die nackten Brüste von Bettie Page scheinbar das wichtigste Corpus Delicti darstellten. 
Immerhin hatte er im Zuge dieses Unternehmens Forrest J. Ackerman kennengelernt, und so machten sich die beiden Anfang 1958 daran, ein Magazin ins Leben zu rufen, das nicht nur den amerikanischen Zeitschriftenmarkt revolutionieren, sondern auch zur Quelle der Inspiration für eine ganze Generation junger Phantastikfans werden sollte Famous Monsters of Filmland! Wie Stephen King in seinem Buch On Writing schreibt: 
Ask anyone who has been associated with the fantasy-horror-science fiction genres in the last thirty years about this magazine, and you’ll get a laugh, a flash of the eyes, and a stream of bright memoriesI practically guarantee it.*
1960 übersiedelte Warren nach New York und begann zusammen mit Harvey Kurtzman, einem der Schöpfer von MAD, das Satiremagazin Help! herauszugeben. Redaktionsassistenten waren zuerst Gloria Steinem und später Terry Gilliam.
Als großem Comics-Liebhaber war es immer schon Warrens Ziel gewesen, irgendwann auch in diesem Bereich tätig zu werden. Und da sein Verlag dank Famous Monsters of Filmland bereits ein entsprechendes Image besaß, schien es ihm nur naheliegend, dabei auf das Horrorgenre zu setzen. Seit der "moral panic" der Mitt-50er, die zur Einführung des Comics Code und zum Untergang von E.C. - Comics geführt hatte**, lag dieses Feld vollständig brach. Doch der findige Verleger fand einen eleganten Weg, die Zensurregeln zu umgehen. Der Code galt ausschließlich für Comic*bücher*, also ließ er Creepy (1964) und Eerie (1966) im Magazinformat und in Schwarz-Weiß erscheinen. Dabei stellte er ein beeindruckendes Team von Künstlern zusammen, von denen viele alte E.C.-Veteranen waren: Neal Adams, Dan Adkins, Reed Crandall, Johnny Craig, Steve Ditko, Frank Frazetta, Gray Morrow, John Severin, Angelo Torres, Alex Toth, Al Williamson und Wally Wood. Der eigentliche "spiritus rector" des Unternehmens wurde Archie Goodwin, der 1965 die Leitung von Creepy übernahm und die meisten Stories auch selber schrieb.
Inspiriert von Harvey Kurtzmans humanistischer Herangehensweise in Frontline Combat (1951-1954), kreierte Jim Warren 1965 zusammen mit Goodwin die Comics-Serie Blazing Combat, deren Geschichten ein unromantisiertes, dreckig-realistisches Bild des Krieges zeichneten. Er selbst war zwar alles anderes als ein linker Radikaler "I had a militant right-wing approach to many problems" –, aber dennoch ein überzeugter Gegner des Vietnamkrieges. Was sich auch in einigen der Stories widerspiegelte. Das gilt insbesondere für Landscape! von Archie Goodwin & Joe Orlando, die aus der Perspektive eines alten vietnamesischen Bauern erzählt wird. Warren Publishing bekam sehr schnell Probleme mit rechten Organisationen wie der American Legion und dem US-Militär. Das Projekt führte zu großen finaziellen Verlusten und wurde nach vier Nummern 1966 wieder eingestellt.
Zwei Jahre später schien der Verlag in rapidem Niedergang begriffen. Doch dann gelang Warren ein letzter großer Streich. Im September 1969 erschien die erste Ausgabe von Vampirella mit einem Cover von Frank Frazetta (Vampis Kostümdesign stammte allerdings von Trina Robbins) und einer ersten Story über die sexy Blutsaugerin vom Planeten Drakulon aus der Feder von Forry Ackerman. Die Verkaufszahlen schossen in die Höhe und bald erlebten auch Creepy und Eerie eine Art Wiedergeburt. Obwohl D.C., Marvel und Charlton begannen, den Stil von Warrens Horror-Comics und seine Methoden, die Zensur zu umgehen, zu kopieren und viele seiner Künstler abwarben, erlebte der Verlag in den 70ern doch noch einmal eine zweite Blüte. Dazu trugen u.a. die vielen spanischen Zeichner von S.I. Studio bei. 1976 übernahm Louise Jones die Leitung der drei Comics. Obwohl Warren ihr erklärt hatte "Just don't go overboard and bring in women writers and artists to make up for the last 100 years.", begann sie, genau das zu tun. Und er ließ sie machen.
Mit Beginn der 80er Jahre begann dann der endgültige Niedergang des Verlags. Krankheitsbedingt büßte Jim Warren viel seiner einst so unerschöpflichen Energie ein. Und ohne seine Initiative schien auch die Innovationskraft des Unternehmens dahinzuschwinden.

Eine der großen Stärken von Warren Publishing hatte stets darin bestanden, neue Pfade zu beschreiten. Wie der Verleger 1999 in einem Interview mit John C. Cooke in Bezug auf das Erscheinen von Help! vergnügt erzählte:

Again, they didn't know where to place it on the newsstands. It didn't belong next to Mad. They wouldn't put it next to the New Yorker. Distributors were fed up with me because each time I came out with a new magazine it created a new category. They didn't know where the hell to put it. The fact that I was breaking new ground and creating a field that didn't exist before didn't matter to them. [...] "Here's another strange Warren magazine! Where the hell are we going to put this one?"[...] "Why the hell doesn't Warren give us normal magazines like all the other publishers?"

Und da dabei stets eine Affinität zum Phantastischen bestanden hatte, verwundert es mich nicht, dass auch die Sword & Sorcery hier zuallererst die Bühne der amerikanischen Comics betrat.*** Natürlich lag der Fokus von Creepy und Eerie ganz auf klassischen Horrormotiven wie Vampiren, Spukhäusern, Werwölfen und Lebenden Mumien. Doch schon im Juni 1966 erschien in Creepy #9 Dark Kingdom von Archie Goodwin & Gray Morrow, in dem ein spartanischer Krieger phantastische Abenteuer erlebt. Dem folgte im November Cave of the Druids von Goodwin & Reed Crandall mit einem römischen Legionär als Helden. Es dauerte nicht lange, und man streifte auch das antike Setting ab. In Creepy #14 erschien im Januar 1967 mit Where Sorcery Lives! von Goodwin & Steve Ditko die erste lupenreine S & S - Story, die sogar mit den Worten anhob: ""Sword and Sorcery time, fear fanatics ..." Das war knapp zwei Jahre bevor Denny O'Neil erfolglos versuchen sollte, mit Nightmaster einen S & S - Helden bei D.C. zu etablieren! Und stellt außerdem eine überraschend frühe Verwendung des Genrenamens dar.**** Weitere frühe Beispiele sind City of Doom (Goodwin/Ditko; Creepy #15) und Warrior of Death (Goodwin/Ditko; Eerie #10).

Befand sich Warren Publishing also ohnehin bereits in der vordersten Front der Entwicklung, setzte man mit Amazonia in gewisser Hinsicht noch eins drauf, stellten starke und eigenständige Heldinnen doch auch im literarischen Genre, das zu dieser Zeit noch ganz von Conan und seinen Klonen dominiert wurde, nach wie vor eine große Seltenheit dar.***** Und wenn ihr erstes Abenteuer vielleicht auch nicht so ansehnlich (und ziemlich wirr) war, wurde dieser Schönheitsfehler in The Demon in the Crypt und The Eye of Ozirios weitgehend behoben. Die beiden Stories erschienen in Nr. 8 (November 1970) und Nr. 12 (Juli 1971) von Vampirella. Der Autor war erneut Gardner Fox, doch die Zeichnungen stammten diesmal von Billy Graham. 
In der äußerst "weißen" Welt der amerikanischen Comicindustrie jener Zeit war der Afroamerikaner Graham eine Art Ausnahmeerscheinung. Was Jim Warren nicht davon abhielt, ihn sehr schnell zum Art Director zu befördern. Dennoch wechselte er 1972 zu Marvel, wo er später u.a. bei den ersten beiden Soloabenteuern des Black Panther im wiederbelebten Jungle Action - Magazin (1973-76) mitwirken sollte: The Panther's Rage und The Panther vs. The Klan.

Wie ihr Debüt sind auch Amazonias weitere Abenteuer nur je eine Handvoll Seiten lang. Doch ist der Inhalt der Geschichten diesmal ihrer Kürze sehr viel angemessener. Und Grahams Zeichnungen sind nicht nur von unermesslich höherer Qualität, sondern verleihen dem Ganzen auch eine hübsch düstere Atmosphäre.

In The Demon in the Crypt muss die frischgekrönte Königin feststellen, dass ihr Palast offenbar auf den Ruinen eines alten Tempels errichtet wurde. Und in den lange verlassenen unterirdischen Gewölben scheint kürzlich ein Dämon aus seinem Totenschlaf erwacht zu sein, dem nun schon ein paar unglückliche Knappen und Dienerinnen zum Opfer gefallen sind, die sich dort hinunter verirrt hatten. Alle Warnungen ihres Hofmagiers Theonides in den Wind schlagedn, zögert Amazonia nicht lange, schnappt sich ihr treues Schwert Excalifer und macht sich auf die Jagd. Auf diese Gelegenheit hat der Dämon nur gewartet, denn er glaubt, dass nun, da eine Frau den Thron von Karkassone bestiegen hat, gemäß einer alten Prophezeiung der Tag seines Triumphes gekommen sei. Tatsächlich verläuft der Kampf erst einmal nicht sehr gut für Amazonia und sie bleibt lebendig begraben zurück, während der Dämon in Frauengestalt die Herrschaft an sich zu reißen gedenkt. Doch dank ihrer Stärke und Klugheit (und vielleicht mit etwas Beistand der Göttin Tanit) gelingt es unserer Heldin schließlich doch, das Monster zu bezwingen und ihr Reich zu beschützen.

Mit ganz derselben Impulsivität macht sich Amazonia in The Eye of Ozirios daran, dem teuflischen Raubritter Throkklon das Handwerk zu legen, der von Grimkrag Castle aus das Umland terrorisiert. Erneut bekommt sie es dabei mit dämonischen Mächten zu tun. Die Story ist noch mal um einiges düsterer und spart auch nicht mit Blut & Gore. Dabei bekommen wir u.a. zu sehen, wie eine halbnackte Amazonia von Throkklons Kriegern "gekreuzigt" wird.****** Doch besitzen diese Szenen keinen "aufreizenden" Charakter. Überhaupt erscheint Amazonia im Vergleich zu späteren Heldinnen wie Red Sonja kaum sexualisiert. Und am Ende triumphiert sie wieder ganz aus eigener Kraft über ihre finsteren Widersacher.

Ich finde es ziemlich bedauerlich, dass Amazonia nur eine so kurze Laufbahn beschieden war. Hätte gerne noch ein paar mehr Abenteuer von ihr gelesen, vor allem wenn dabei erneut Billy Graham den Zeichenstift geführt hätte. Und es ist ja nun auch nicht so, als hätten wir einen Überfluss an starken, eigenständigen Sword & Sorcery - Comics-Heldinnen.   

   

PS: Dieser Blogpost wurde inspiriert von G. W. Thomas' Dark Worlds - Beitrag Gardner F. Fox’s Warren Sword & Sorcery.

 

* Stephen King: On Writing. A Memoir of the Craft. S. 35.

** Bin da im Kontext einer Besprechung von Freddie Francis' Tales From the Crypt (1972) schon mal etwas genauer drauf eingegangen.

*** Wenn man von der kurzen Karriere von Crom the Barbarian einmal absieht.

**** Vgl. dazu meinen Blogpost Groovy Sword & Sorcery vom letzten Mai.

***** Wobei wir Joanna Russ' Alyx einmal beiseite lassen.

****** Das passiert ja auffällig vielen Sword & Sorcery - Held*innen, wofür Robert E. Howards Conan-Story A Witch Shall Be Born verantwortlich sein dürfte.

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