"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 31. Januar 2021

Strandgut

Samstag, 30. Januar 2021

Northwest Smith und seine Schöpferin

Northwest Smith was a hard-boiled guy
With an iron fist and a roving eye  
Of which the less is said the better (1)  
 
Wer kennt ihn nicht, den SciFi-Archetyp des verwegenen und etwas zwielichtigen Abenteurers, Gauners, Weltraumpiraten, daheim in verräucherten Kaschemmen, schnell mit der Hand am Abzug seines Blasters, stets in Konflikt mit den Autoritäten, nach außen hin zynisch und abgebrüht, doch im Herzen ein guter Kerl? Selbst wer nie eine Science Fiction - Geschichte gelesen hat, wird dank Star Wars und Han Solo mit ihm vertraut sein. 

Sehr viel weniger bekannt dürfte dagegen sein, dass wir seinen Eintritt in das Genre C. L. Moore verdanken, einer der großartigsten Phantastikautorinnen der Pulp-Ära. Und da wir vergangenen Sonntag deren 110. Geburtstag feiern konnten, dachte ich mir, es wäre an der Zeit, dass wir uns auf diesem Blog einmal mit einigen der Abenteuer ihres Helden Northwest Smith beschäftigen.

Unsere Geschichte beginnt im Indianapolis der Großen Depression. Im Herbst 1930 sah sich die neunzehnjährige Catherine Lucille Moore nach gerade einmal drei Semestern gezwungen, ihr Studium an der Indiana University - Bloomington abzubrechen und in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Die wirtschaftliche Lage der Familie machte es notwendig, dass sich die Tochter einen Job suchen und eigenes Geld verdienen musste. Sie fand recht schnell eine Anstellung als Sekretärin bei einer Bank, der Fletcher Trust Company. Eine Tätigkeit, die sie ganz sicher nicht ausfüllte.

Moore hatte schon sehr früh mit dem Schreiben begonnen. "Reared on a diet of Greek mythology, Oz books and Edgar Rice Burroughs", kreierte sie bereits im Alter von neun zusammen mit einer engen Freundin das phantastische Königreich von Coronel, das sich über die Jahre zum Schauplatz für ein gewaltiges Längeres Gedankenspiel auswachsen sollte. Wie sie später in einem Brief an R.H. Barlow erzählte:

We've a very detailed theology and mythology, maps all water-colored and scroll-bordered and everything, a ruling house whose geneology and family tree and so forth has been worked out in tables and charts from the year minus oh, just about everything that two imaginative girls could think of over the space of fifteen years. [...] We have songs and long sagas of heroes, and a literature full of tradition and legends, and we even made and colored a series of paper dolls to illustrate the different types and their costumes, and then there were wars and plans of battle, and we have the maps of all our favorite cities, and we've written a good deal of history. And that history is what I take seriously. (2) 

Während ihrer kurzen Unizeit erschienen drei Geschichten aus ihrer Feder in der Studentenzeitung The Vagabond (3). Und einer ihrer dortigen Mitstreiter pries sie bereits enthusiastisch als "the most promising prose writer who has been at Indiana for some time." (4)

Enige Monate nachdem sich Catherine Moore hinter den Schreibtisch im Vorzimmer des Vizepräsidenten von Fletcher Trust verbannt fand, bekam sie mit der Septemberausgabe 1931 von Amazing Stories ihr erstes SF-Pulpmagazin in die Finger. "From that moment on, I was a convert. A whole new field of literature opened up before my eyes." Schon bald nutzte sie auch auf der Arbeit jede sich bietende Gelegenheit, um sich heimlich in die Lektüre der Hefte zu vertiefen. Ihre Mutter war zwar zutiefst schockiert, als sie herausfand, mit welchem "Trash" sich ihre Tochter da die Zeit vertrieb, doch nachdem sie erkannt hatte, wie viel ihr die Geschichten bedeuteten, akzeptierte sie zähneknirschend die Anwesenheit der "magazines with the screaming naked girls on the cover". Und es verwundert nicht, warum Moore von einer so tiefen Begeisterung für die Pulp-Phantastik erfasst wurde. Wie sie selbst später einmal erklärte:

It was pure escapism. I should think that any middle-class girl, reared as I was in middle America, would have been enormously grateful for the opportunity to go to Mars. I certainly was. (5)  

Nachdem sie die wilde Welt der Pulps für sich entdeckt hatte, begannen sich auch Moores schriftstellerische Ambitionen in diese Richtung zu entwickeln. Anscheinend begann sie, Stories an verschiedene Fanzines zu schicken. Ob diese abgedruckt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Oft blieb sie nach der Arbeit noch lange auf dem Balkon des Bankgebäudes sitzen und arbeitete dort an ihren Geschichten. Sie liebte es, beim Schreiben eine schöne Aussicht vor Augen zu haben. Aber auch während der Arbeitszeit nutzte sie jede Gelegenheit, um sich ihrer wahren Leidenschaft hinzugeben. Und so entstand schließlich die Geschichte, mit der sie auf einen Schlag zu einer Berühmtheit in Genrekreisen werden sollte. In einem Brief an R.H. Barlow hat sie dies später so geschildert:
[I]t was a rainy afternoon in the middle of the Depression, I had nothing to do but I really should’ve looked busy because jobs were hard to get! I didn’t want to appear that I wasn’t earning my daily keep! To take up time, I was practicing things on the typewriter to improve my speedthings like ‘the quick brown fox jumped over the lazy dog.” That got boring, so I began to write bits of poetry I remembered from my college courses...in particular, I was quoting a poem called “The Haystack in the Flood.” [...] The poem was about a woman in 13th century France who is being pursued by enemies of some kind...she was running across a field and these men were after her. I had misquoted a line in my mind, as well as on the typewriter, and referred to a “Red, running figure.” [...] At the time I thought, “Ha! A red, running figure! Why is she running? Who is she running from and where is she running to? What’s going to happen to her? Strangely enough, I just swung from that line of poetry into the opening of “Shambleau.” (6)

Wenn es um das Erfinden von Namen für ihre Stories ging, bediente sich Moore oft in ihrer unmittelbaren Umgebung. "I usually glance around in desperation and seize on the first thing that I see." (7) So verdankte Northwest Smith seinen Namen einem regelmäßigen Bankkunden, der mit "N. W. Smith" unterschrieb, sein venusischer Kumpel Yarol den seinen der Royal - Schreibmaschine, auf der Moore die Geschichte runtertippte.

Und da wir gerade dabei sind: Als Moore ihr Manuskript an Weird Tales einschickte, benutzte sie nicht ihren vollen Namen, sondern nur die Initialen "C. L.". Bis heute hält sich sehr hartnäckig der Glaube, sie habe dies getan, um ihr Geschlecht zu verschleiern. Weshalb C. L. Moore auch immer noch gerne als Paradebeispiel dafür angeführt wird, dass Autorinnen nur dann eine Chance gehabt hätten, Aufnahme in die Phantastik-Pulps der 30er/40er zu finden, wenn sie nicht als Frauen zu erkennen gewesen wären. Die Schriftstellerin selbst hat allerdings wiederholt in aller Deutlichkeit erklärt, "that she 'was not all pretending to be a man'". (8) Der tatsächliche Grund habe darin bestanden, zu verhindern, dass ihrem Arbeitgeber ihre schriftstellerische Nebentätigkeit bekannt werden könnte:

I used the initials “C. L.” simply because I didn’t want it to be known at the bank that I had an extra source of income. I wrote “Shambleau” in the midst of the Depression.  The bank was a very paternalistic organization. It was always firing those people whose services weren’t really needed. I had the feeling they might have fired me had they known I was earning extra income. Using my initials was simply a means of obscuring my identity. (9)

Sie verdiente zu diesem Zeitpunkt $25 die Woche und musste damit anscheinend auch für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen. Der Verlust ihres Jobs wäre eine Katastrophe für die gesamte Familie gewesen.
Hinzufügen sollte man wohl auch noch, dass gerade bei Weird Tales kaum ein Grund dafür bestanden hätte, zu befürchten, als Autorin nicht aufgenommen zu werden. Von allen Phantastik-Pulps der Zeit druckte das "Unique Magazine" wohl am meisten Stories und Gedichte aus der Feder von Frauen ab. C. L. Moore sollte die Einhundertsechzehnte in der langen Reihe der "Weird Sisters" werden. Und es ist kaum vorstellbar, dass ihr bei ihrer regelmäßigen Lektüre des Magazins die weiblichen Bylines entgangen sein sollten.
Irgendwann möchte ich über dieses ganze Thema noch einmal einen ausführlicheren Beitrag verfassen. Doch für den Moment soll das genügen.

Als das Manuskript von Shambleau im Büro von Farnsworth Wright eintraf, löste es dort auf jedenfall helle Begeisterung aus. Es wird erzählt, der Weird Tales - Boss habe zur Feier dieses Ereignisses die Redaktion für einen Tag dicht gemacht, und E. Hoffman Price hat diesen denkwürdigen Moment später so geschildert:

“Read this!” he commanded, the moment I stepped into the new editorial rooms at 840 North Michigan Avenue, in Chicago. 
I obeyed. The story commanded my attention. There was no escape. I forgot that I needed food and drink I’d driven a long way. [...] The stranger’s narrative prevailed until, finally, I drew a deep breath, exhaled, flipped the last sheet to the back of the pack, and looked again at the by-line. Never heard of it before. 
“For Christ’s sweet sake, who and what is this C. L. Moore?” 
He wagged his head, gave me an I-told-you-so-grimace. 
We declared C. L. Moore day. I’d met Northwest Smith, and Shambleau.

Wie man sich denken kann, war die Reaktion nicht weniger enthusiastisch, als Wrights Antwortschreiben in Indianapolis eintraf;

[...] after I sent it off to WT, I more or less forgot about it. One day I came home from work and there was a long letter on the hall table for me. I opened it up and it said that they were going to pay me a hundred dollars. And that was like TEN THOUSAND dollars at that time. I screamed at the top of my voice! My father came charging downstairs thinking that I had been murdered or something (laughter) and nobody believed it until they read the letter. Then joy was completely unconfinedeveryone was so happy about it. (10)
Shambleau erschien in der Novemberausgabe 1933 von Weird Tales. Und ganz offenbar wurde das neue Talent von der Leserschaft des "Unique Magazine" mit vergleichbarer Begeisterung begrüßt. C. L. Moores Debüt wurde auf Anhieb zur beliebtesten Story der Nummer gewählt und schlug damit Beiträge solch alteingesessener Autoren wie Clark Ashton Smith, Edmond Hamilton und E. Hoffman Price aus dem Feld. Einer der ersten, der im Januar 1934 in den Spalten von The Eyrie seinem Enthusiasmus Ausdruck verlieh, war niemand anderes als H. P. Lovecraft:

Shambleau is great stuff. It begins magnificently, on just the right note of terror, and with black intimations of the unknown. The subtle evil of the Entity, as suggested by the unexplained horror of the people, is extremely powerfuland the description of the Thing itself when unmasked is no letdown. It has real atmosphere and tension rare thing amidst the pulp traditions of brisk, cheerful, staccato prose and lifeless stock characters and images. The one major fault is the conventional interplanetary setting. (11)
Der überwältigende Eindruck, den C. L. Moores Geschichte auf die Leserschaft machte, war sehr viel mehr als eine momentäre Begeisterung. Jahrzehnte später sollte Lester Del Rey in seinem Vorwort zu The Best of C. L. Moore schreiben:

It is probably impossible to explain to modern readers how great an impact that first C. L. Moore story had….
[L]ife was never quite the same afterward. Up to that time, science-fiction readers had accepted the mechanistic and unemotional stories of other worlds and future times without question. After [Shambleau], however, the bleakness of such writing would never again be satisfactory… Here…we find mood, feeling, and color… (12)

Shambleau beginnt mit dem Bild eines Lynchmobs, der eine junge Frau in einem scharlachroten Kleid durch die Gassen der marsianischen Stadt Lakkdarol hetzt. Outlaw und Abenteurer Northwest Smith, "whose name is known and respected in every dive and wild outpost on a dozen wild planets", wird zufällig Zeuge des Geschehens. Mehr einem spontanen Impuls folgend, denn aus aktivem Mitgefühl, beschließt er, sich schützend vor die Gejagte zu stellen. Ihre Verfolger reagieren darauf mit einer eigentümlichen Mischung aus Wut und Verachtung, ziehen sich aber schließlich doch zurück, nachdem Smith einen lässigen Warnschuss aus seiner "heat-gun" abgegeben hat. Die Frau, die von dem Mob als "Shambleau" bezeichnet wurde, entpuppt sich sich als eindeutig nichtmenschlich:

He turned to face her, sheathing his gun and stared at first with curiosity and then in the entirely frank openness with which men regard that which is not wholly human. For she was not. He knew it at a glance, though the brown, sweet body was shaped like a woman's and she wore the garment of scarlet he saw it was leather with an ease that few unhuman beings achieve toward clothing. He knew it from the moment he looked into her eyes, and a shiver of unrest went over him as he met them. They were frankly green as young grass, with slit-like, feline pupils that pulsed unceasingly, and there was a look of dark, animal wisdom in their depths that look of the beast which sees more than man.

There was no hair upon her faceneither brows nor lashes, and he would have sworn that the tight scarlet turban bound around her head covered baldness. She had three fingers and a thumb, and her feet had four digits apiece too, and all sixteen of them were tipped with round claws that sheathed back into the flesh like a cat's. She ran her tongue over her lipsa thin, pink, flat tongue as feline as her eyesand spoke with difficulty. He felt that that throat and tongue had never been shaped for human speech.

Shambleau beharrt darauf, bei ihrem "Retter" zu bleiben, obwohl dieser davon zuerst nicht wirklich begeistert ist. Denn es gibt momentan wichtigere Dinge, um die Smith sich zu  kümmern hat. Er hat die letzten Arrangements für eine große Schmuggelaktion zu treffen, bevor sein Kumpel Yarol mit ihrem Raumschiff Maid auf dem Mars ankommt. Dennoch gewährt er Shambleau Unterschlupf in seiner engen Behausung. Auch lässt sich nicht leugnen, dass die Kreatur eine starke sexuelle Anziehung auf ihn ausübt, auch wenn diese stets mit einem unerklärlichen Abscheu vermischt ist.

Als Shambleau schließlich ihre wahre Natur offenbart, erweist sich unser Held als gänzlich hilflos. Unter ihrem Turban verbirgt sich eine Masse feuerroter, schlangengleicher, lebendiger "Haare", mit denen sie seinen Körper umschlingt. Er ist unfähig sich zu wehren, und während sie ihm die Lebenskraft aussaugt, erfüllen ihn zugleich tiefer Ekel und eine unbeschreibliche Ekstase:

In nightmares until he died he remembered that moment when the living tresses of Shambleau first folded him in their embrace. A nauseous, smothering odor as the wetness shut around himthick, pulsing worms clasping every inch of his body, sliding, writhing, their wetness and warmth striking through his garments as if he stood naked to their embrace.

All this in a graven instantand after that a tangled flash of conflicting sensation before oblivion closed over him for he remembered the dreamand knew it for nightmare reality now, and the sliding, gently moving caresses of those wet, warm worms upon his flesh was an ecstasy above wordsthat deeper ecstasy that strikes beyond the body and beyond the mind and tickles the very roots of soul with unnatural delight.

Einzig das Eintreffen seines Freundes Yarol rettet Northwest Smith vor einem lustvollen Tod.

Shambleau ist über die Jahrzehnte sehr unterschiedlich interpretiert worden. So sah die feministische Kritikerin Natalie Rosinsky in den späten 70er Jahren in der Geschichte vor allem einen Beleg für "internalisierte Misogynie", "Selbstentfremdung" und Moores Unsicherheit im Umgang mit der eigenen Weiblichkeit. Eine ganze Reihe ihrer Kolleginnen folgten ihr in dieser Ansicht und erklärten die Story außerdem zu einer Art "Schlüsseltext", durch den sie das gesamte Frühwerk Moores betrachteten, wobei sie stets davon ausgingen, die Autorin habe aus einer Position der "Verunsicherung" angesichts des angeblich ultra-sexistischen Umfelds der Pulps geschrieben und sei deshalb nie in der Lage gewesen, eine "authentische Stimme" zu entwickeln. (13) Inzwischen gibt es allerdings auch sehr viel positivere Interpretationen der Geschichte. So erklärt etwa Lisa Yaszek Shambleau in Sisters of Tomorrow zu einer "subversive feminist story" und einer "critique of assumptions about sex and gender roles". (14)

Mir selbst fällt es nicht leicht, hier eine eindeutige Stellung zu beziehen. Dass das medusahafte Wesen unschwer als eine Verkörperung weiblicher Sexualität gelesen werden kann, ist klar. Die Ähnlichkeiten zur vampirischen Femme Fatale des Fin de Siècle sind offensichtlich. Und auch Shambleaus feline Züge erinnern an vergleichbare Décadence-Motive. (15) Doch bedeutet das automatisch, dass C. L. Moore hier einfach unreflektiert einen misogynen Stereotyp übernommen hat? Die Schriftstellerin hat einmal erklärt, ihre Sword & Sorcery - Heldin Jirel of Joiry und Shambleau seien "versions of the self" gewesen, das sie selbst gerne gewesen wäre. (16) Und es ist ja sicher kein Zufall, dass beide rote Haare haben, ganz wie ihre Schöpferin. Aus dieser Selbstidentifikation mit dem "Monster" ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Sexualität heraus psychoanalysieren zu wollen, finde ich extrem fragwürdig. Mir erscheint es da schon wahrscheinlicher, dass man Shambelau als eine Geschichte über männliche Angst vor weiblicher Sexualität sobald die Frau die Rolle der "Aggressorin" übernimmt interpretieren sollte. Zumal es in der zweiten Northwest Smith - Geschichte Black Thirst wie wir noch sehen werden dann ziemlich eindeutig um den männlichen Blick auf die Frau geht. C. L. Moore erzählte ihres Stories zwar aus der Perspektive eines Mannes unseres Helden mit den "colorless eyes" –, aber anders als ihr das in der Vergangenheit häufig unterstellt wurde, ahmte sie dabei nicht einfach die Sichtweise ihrer männlichen Kollegen nach. Allein schon der Umstand, dass Shambleau zu Beginn der Geschichte als Opfer eines (allem Anschein nach rein männlichen) Lynchmobs erscheint, spricht für mich dafür, dass man die Story zumindest ambivalenter auffassen sollte, als dies eine oberflächliche Lektüre vielleicht nahelegt.

Doch unabhängig davon, wie man den motivischen Gehalt von Shambleau nun einschätzt, die Story demonstriert auf jedenfall bereits drei der Eigenschaften, die alle Northwest Smith - Geschichten C. L. Moores auszeichnen. Da wäre zuerst einmal der poetisch-evokative Sprachstil, den Lovecraft zurecht deutlich von der "brisk, cheerful, staccato prose" der durchschnittlichen Pulp-Elaborate abhob, und der den Erzählungen ihre ganz eigene, phantasmagorische Qualität verleiht. Dem entspricht, dass Northwest Smith trotz seiner Charakterisierung als abenteuernder Halunke keine "swashbuckling adventures" im Stile von Edgar Rice Burroughs erlebt. Das Setting der Geschichten stammt zwar aus der Tradition der Planetary Romance, in Inhalt und Atmosphäre aber stehen sie der Weird Fiction sehr viel näher. Und schließlich weicht auch der Held selbst deutlich von den gängigen SciFi-Klischees der Zeit ab. Er ist kein strahlender Heros, sondern ein zwielichtiger Outlaw, den immer mal wieder das Heimweh nach der Erde packt, deren "grüne Hügel" er dank seines Strafregisters wohl nie mehr wiedersehen wird. Trotz seines legendären Rufes (in Kneipen und Polizeirevieren) ist er nicht der typische hyperkompetente Übermensch, von denen so viele die Pulp - SF der 30er und 40er Jahre bevölkerten. Er ist kein wissenschaftlich-technisches Genie wie etwa Edmond Hamiltons "Wizard of Science" Curtis Newton aka Captain Future. Seine Fähigkeiten beschränken sich darauf, recht geschickt mit einer Ray-Gun umgehen zu können und sich in der kriminellen Unterwelt der "three worlds" (Erde, Mars und Venus) und mit den Fährnissen der "spaceways" auszukennen. Er wird zwar als "street-wise" und umsichtig beschrieben, doch stolpert er immer wieder beinah unbedarft in extrem gefährliche Situationen. Und auch wenn er sicher eine Art Macho-Gestalt ist, ist er doch schon in seinem allerersten Abenteuer auf die Hilfe seines Kumpels Yarol angewiesen, um dem sicheren Tod zu entgehen. Und das ist nicht das letzte Mal, dass andere Northwest Smith retten müssen. Sein venusischer Freund mit der beinah feminin anmutenden Gestalt, dem "cherubhaften" Gesicht und dem diabolischen Funkeln in den Augen ist gleichfalls nicht ganz der Typ, den man an seiner Seite erwarten würde.

Black Thirst erschien in der Aprilausgabe 1934 von Weird Tales und wurde von der Leserschaft erneut zur beliebtesten Story der Nummer gewählt. Sie zementierte C. L. Moores Ruf als ein großes neues Talent des "Unique Magazine". Von nun an beginnen sich die Leserbriefe zu häufen, in denen sie in einem Atemzug mit Robert E. Howard, Lovecraft, Clark Ashton Smith und Seabury Quinn (dem eigentlichen "Starautor" von WT) genannt wird.

Allerdings gingen die Leser*innen dabei vorerst ganz selbstverständlich davon aus, es mit einem männlichen Autor zu tun zu haben. Darin spiegeln sich zwar ohne Zweifel sexistische Vorurteile der Zeit wider, aber nicht in dem Sinne, dass man geglaubt hätte, Schriftstellerinnen hätten nichts in SF oder Weird Fiction verloren. Die Leserschaft von Weird Tales hatte keine Probleme damit, die Geschichten von Autorinnen wie Mary Elizabeth Counselman in höchsten Tönen zu preisen. Es handelt sich hier um eine "mildere" Form von Sexismus, insofern bei einem neuen Künstler halt immer erst einmal angenommen wurde, dass es sich um einen Mann handelte, wenn man nichts gegenteiliges wusste. Und Farnsworth Wright hatte es scheinbar nicht eilig, das Geschlecht seines neuen Stars offenzulegen. Über die Gründe dafür kann man allerdings bloß spekulieren.
Julius Schwartz und Mort Weisinger ließen bereits im Mai 1934 auf den Seiten des Fantasy Fan die Katze aus dem Sack: ""C. L. Moore, who is creating a hit with the ‘Northwest’ Smith stories in W T, is also a woman!" (17) Doch die Reichweite dieses Fanzines war sicher nur klein. Etwas anders sieht es mit E. E. "Doc" Smiths begeistertem Kommentar zu Moores The Bright Illusion in der Januarausgabe 1935 von Astounding Stories aus, in der er ganz selbstverständlich von "Miss (or Mrs.) Moore" spricht (18). Zumindest in der "harten" SF-Gemeinde dürfte der "Vater der Space Opera" damit früh alle Missverständnisse aus dem Weg geräumt haben. Doch die Schnittmenge zwischen dieser und der Anhängerschaft von Weird Tales scheint klein gewesen zu sein. Denn in den in The Eyrie veröffentlichten Leserbriefen blieb es noch lange Zeit üblich, von C. L. Moore als von einem männlichen Autor zu reden. Der erste Brief, in dem korrekterweise von "her" die Rede ist, den ich finden konnte, erschien erst im September 1935. (19) Aber auch danach scheint die überwältigende Mehrheit nach wie vor davon überzeugt gewesen zu sein, es mit einem Mann zu tun zu haben. Das galt auch für C. L. Moores künftigen Ehemann Henry Kuttner, der sie in seinem ersten persönlichen, im Frühling 1936 abgeschickten Brief als "Dear Mr. Moore" anredete. Man mache daraus, was man will.
 
Black Thirst beginnt in den nächtlichen Gassen des heruntergekommenen Hafenviertels der venusischen Stadt Ednes. Warum Northwest Smith hier herumlungert ist nicht ganz klar, aber zu seiner Überraschung taucht aus dem Dunkel plötzlich eine atemberaubend schöne Frau mit bronzenem Haar auf. Wie er auf den ersten Blick erkennt, keine gewöhnliche Prostituierte, sondern ein "Minga maid". Diese begehrtesten Konkubinen der "drei Welten", welche sich nur die allerreichsten Potentaten für ihre Harems leisten können, werden in der festungsartigen "Minga", einer Stadt in der Stadt, als perfekte Verkörperungen weiblicher Schönheit "gezüchtet". Man begegnet ihnen nicht einfach auf der Straße und schon gar nicht ohne "Aufpasser"!
Als ihn die Frau, die sich Vaudir nennt, anspricht und ihm  hundert Goldstücke als Belohnung anbietet, falls er bereit sein sollte, sie in der Minga aufzusuchen und einen Auftrag für sie zu übernehmen, reagiert unser Held erst einmal skeptisch und vorsichtig. Schließlich erzählt man sich gar grausige Geschichten über die Strafen, die all jenen drohen, die versuchen sollten, die verbotenen Gemächer zu betreten. Aber schließlich obsiegt seine Neugierde. So ist Northwest Smith nun einmal.
Zu Beginn läuft alles verdächtig glatt. An der von Vaudir angegebenen Pforte wartet ein Eunuch, der Smith durch die weitgehend ausgestorben wirkenden Gänge und Hallen der Minga führt. Von Wächtern ist nichts zu sehen. Als man schließlich Vaudirs Gemach erreicht hat, weiht diese unseren Helden in einige der finsteren Geheimnisse der Minga ein: Die Festung und der "Orden" sind uralt, viel älter als die sie umgebende Stadt Ednes. Über sie herrscht der mysteriöse Alendar, dessen eigentliche Ziele schleierhaft sind. Denn nur die mittelmäßigen "Produkte" seines Zuchtprogramms werden tatsächlich an irgendwelche Potentaten verkauft. Die wahren "Erfolge", deren Schönheit beinahe über das menschliche Fassungsvermögen hinausgeht, gelangen nie in die Außenwelt. Sie bleiben für immer in den Tiefen der Festung, bis sie plötzlich auf unerklärliche Weise "verschwinden". Und Vaudir fürchtet, dass sie ein ähnliches Schicksal erwartet, seit sie dem Alendar einmal unter die Augen gekommen ist. Obwohl sie selbst zu den "Mittelmäßigen" gehört.
Mitten im Gespräch erstarrt sie plötzlich. Ihre Bewegungen gleichen denen eines Automaten, als sie Northwest Smith wenig später eine unendlich lang erscheinende Treppe hinabführt. Tief unter der Venusoberfläche werden die beiden von dem Alendar erwartet. Der hypnotische Blick seiner unmenschlichen, schwarzen Augen fesselt Smiths Willen. Er führt das Paar durch eine Reihe von Gemächern, in denen sich Frauen von immer überirdischerer Schönheit befinden. Schließlich erreichen die drei das Steilufer eines unterirdischen, schwarz-urschleimigen Ozeans. Dies ist der wahre Ursprungsort des Alendar, einer uralten, monströsen Lebensform, die vor Jahrhunderten menschliche Gestalt annahm, um die Minga zu gründen:

For many centuries, as mankind counts time, the Alendar has dwelt here, breeding beauty. In later years he has sold some of his lesser beauties, perhaps to explain to mankind's satisfaction what it could never understand were it told the truth. Do you begin to see? My race is very remotely akin to those races which suck blood from man, less remotely to those which drink his life-forces for nourishment. I refine taste even more than that. I drink – beauty. I live on beauty. Yes, literally.

Als die finsteren Geisteskräfte des Alendar Smith endgültig zu überwältigen drohen, sind es allein ein gewaltiger Willensakt Vaudirs und seine schnellen Reflexe, die ihn vor Wahnsinn und Verderben bewahren. Von der Ray Gun niedergestreckt, zerfließt der Alendar wieder in seine ursprüngliche Urschleimgestalt. Aber Vaudirs Seele ist bereits zu stark von seiner Essenz vergiftet worden. Es gelingt ihr noch, Smith aus der labyrinthischen Minga herauszuführen, doch dann verlassen sie ihre Kräfte. Da sie nicht auf Ewigkeit in der geistigen Höllendimension gefangen sein will, in die der Alendar ihre Seele gezerrt hat, bittet sie unseren Helden, ihr den Gnadenschuss zu verabreichen, bevor die seelische Metamorphose abgeschlossen ist.  
 
Black Thirst ist in meinen Augen eine der faszinierendsten Northwest Smith - Geschichten. Und das vor allem, weil sie sehr deutlich auf zwei Ebenen operiert.

Zum einen handelt es sich um eine Erzählung von uraltem, quasi-lovecraftianischem, kosmischem Grauen. Vaudir bringt dieses Motiv sehr schön zum Ausdruck, wenn sie sagt:

You see, we on Venus are closer to our beginnings than you. Life here developed faster, of course, and along lines more different than Earthmen realize. On Earth civilization rose slowly enough for the – the elementals – to sink back into darkness. On Venus – oh, it's bad, bad for men to develop too swiftly! Life rises out of dark and mystery and things too strange and terrible to be looked upon. Earth's civilization grew slowly, and by the time men were civilized enough to look back they were sufficiently far from their origins not to see, not to know. But we here who look back see too clearly, sometimes, too nearly and vividly the black beginning....

Man darf wohl annehmen, dass es dies war, was den alten Gentleman von Providence so stark an ihr anzog. Und C. L. Moore versteht es in der Tat meisterlich in ihrem evokativen Sprachstil eine entsprechende Atmosphäre zu weben.

Doch zugleich scheint mir Black Thirst sehr klar eine Geschichte über weibliche Schönheit zu sein. Oder genauer gesagt, über den männlichen Blick auf weibliche Schönheit. Schon bevor ihre wahre Funktion enthüllt wird, ist die Minga eine wahrlich monströse Idee: Eine Zuchtanstalt, in deren Mauern Frauen "produziert" werden, die man anschließend an irgendwelche Herrscher verkauft. Die "Minga Maids" sind nicht allein durch ihren Sklavinnenstatus völlig zu Objekten degradiert. Der Sinn ihrer ganzen Existenz besteht darin, als Statussymbole für mächtige Männer zu dienen. Der Alendar bezeichnet sie nicht zufällig als seine "costly jewels". Dabei werden diese Frauen zugleich auf Trägerinnen einer einzigen Eigenschaft reduziert: Körperlicher Schönheit. Die "höchstentwickelten Exemplare", die Smith in den Tiefen der Festung zu sehen bekommt, wirken um so seelenloser und innerlich abgestorbener, je näher sie dem vermeintlichen Idealzustand gekommen sind. Denn der Alendar vertritt die Idee, dass "wahre" Schönheit sich nicht mit der Existenz einer Persönlichkeit verträgt:    

You must have noticed the vacuity that accompanies perfect beauty in so many women ... the force so strong that it drives out all other forces and lives vampirishly at the expense of intelligence and goodness and conscience and all else.

Wenn man die "schöne Frau" als ein bloßes Objekt betrachtet, das man besitzen und "konsumieren" kann (im Falle des Alendar sogar wortwörtlich), dann muss eine eigenständige Persönlichkeit natürlich als ein Makel erscheinen. 
Doch die Art, in der der Alendar auf Vaudir reagiert, führt seine eigene Philosophie implizit ad absurdum. Durch irgendeinen Zufall hat sie sich Attribute erhalten, die den "Minga Maids" eigentlich weggezüchtet werden sollten: Intelligenz, Mut, Willensstärke. Und gerade dadurch erscheint sie ihm seltsamerweise um so begehrenswerter:

Vaudir I took because I saw in her a sparkle of something that except in very rare instances has been bred out of the Minga girls. For beauty, as I have said, eats up all other qualities but beauty. Yet somehow intelligence and courage survived latently in Vaudir. It decreases her beauty, but the tang of it should be a change from the eternal sameness of the rest.

Dies führt natürlich nicht dazu, dass er sie nun anders betrachten würde als all seine übrigen "jewels", die er quasi als Schlachtvieh in goldenen Käfigen hält. Sie bleibt für ihn ein Objekt, das er verschlingen will. Aber auf gewisse Weise gesteht er damit doch auch den fundamentalen Fehler in seiner perversen Philosophie weiblicher Schönheit ein.
 
Die Leserschaft von Weird Tales musste nicht lange auf ein weiteres Abenteuer von Northwest Smith warten. Schon in der nächsten Nummer – Mai 1934 – erschien Scarlet Dream.
In motivischer Hinsicht erscheint mir diese Story weniger interessant als ihre beiden Vorgängerinnen. Auch leidet sie ein wenig unter einem sehr abrupten und etwas unbefriedigenden Abschluss. Aber allein schon die unwirklich-bizarre Atmosphäre, die hier noch einmal deutlich stärker ist, macht auch sie zu einer äußerst genussvollen Lektüre.

Northwest Smith schlendert durch das wuselnde Gewimmel des Lakkmanda-Marktes, als ihm ein eigenartiger Stoffschal in die Augen sticht, der am Stand eines marsianischen Händlers zum Verkauf angeboten wird. Seine Machart verrät den Einfluss unterschiedlichster Techniken und Kulturen. Doch ist es nicht das, was sein Interesse weckt:

Smith drew out the shawl. It clung to his hands like a live thing, softer and lighter than Martian "lamb's-wool." He felt sure it was woven from the hair of some beast rather than from vegetable fiber, for the electric clinging of it sparkled with life. And the crazy pattern dazzled him with its utter strangeness. Unlike any pattern he had seen in all the years of his far wanderings, the wild, leaping scarlet threaded its shameless design in one continuous, tangled line through the twilight blue of the background. That dim blue was clouded exquisitely with violet and green – sleepy evening colors against which the staring scarlet flamed like something more sinister and alive than color. He felt that he could almost put his hand between the color and the cloth, so vividly did it start up from its background.

Der Händler verlangt nur einen geringen Preis für das Stück – "gives me a headache to look at the thing" – und erzählt außerdem, dass der Vorbesitzer, der den Schal in einem alten Schiffswrack im Asteroidengürtel gefunden hatte, diesen scheinbar ebenfalls verdächtig billig verkaufte. Doch falls Northwest Smith die Warnsignale überhaupt wahrnimmt, beschließt er wieder einmal, sie zu ignorieren. Er erwirbt den Schal und kehrt in seine enge Behausung in einer der staatlichen Wohnkomplexe von Lakdarol zurück, in denen zwielichtige Gestalten wie er eine billige Unterkunft finden können.

In his little cubicle he switched on the light and saw a dozen blurred replicas of himself, reflected dimly in the steel walls, spring into being with the sudden glow. In that curious company he moved forward to a chair and pulled out the crumpled shawl. Shaking it in the mirror-walled room produced a sudden wild writhing of scarlet patterns over walls and floor and ceiling, and for an instant the room whirled in an inexplicable kaleidoscope and he had the impression that the four-dimensional walls had opened suddenly to undreamed-of vastnesses where living scarlet in wild, unruly patterns shivered through the void. Then in a moment the walls closed in again and the dim reflections quieted and became only the images of a tall, brown man with pale eyes, holding a curious shawl in his hands.

There was a strange, sensuous pleasure in the clinging of the silky wool to his fingers, the lightness of it, the warmth. He spread it out on the table and traced the screaming scarlet pattern with his finger, trying to follow that one writhing line through the intricacies of its path, and the more he stared the more irritatingly clear it became to him that there must be a purpose in that whirl of color – that if he stared long enough, surely he must trace it out. .

When he slept that mght he spread the bright shawl across his bed, and the brilliance of it colored his dreams fantastically.

That threading scarlet was a labyrinthine path down which he stumbled blindly, and at every turn he looked back and saw himself in myriad replicas, always wandering lost and alone through the pattern of the path. Sometimes it shook itself under his feet; and whenever he thought he saw the end it would writhe into fresh intricacies.

The sky was a great shawl threaded with scarlet lightning that shivered and squirmed as he watched, then wound itself into the familiar, dizzy pattern that became one mighty Word in a nameless writing, whose meaning he shuddered on the verge of understanding, and woke in icy terror just before the significance of it broke upon his brain.

Diese Beschreibung des mysteriösen Schals und der nachgerade psychedelischen Visionen, die seine Musterung in Northwest Smith auslösen, bilden für mich einen der Höhepunkt der gesamten Geschichte. Allein schon die Idee, dass ein auf den ersten Blick so harmloses Stück bearbeiteten Stoffs plötzlich eine so bedrohliche und verstörende Qualität annehmen kann, finde ich faszinierend. Ein ganz klein wenig fühlte ich mich dabei an die unheimlichen Tapetenmuster aus M. R. James' The Diary of Mr. Poynter und Charlotte Perkins Gilmans The Yellow Wallpaper erinnert.
Als Smith erneut einschläft, findet er sich im Traum auf einer gewaltigen Treppe wieder, wo er einer völlig verängstigten jungen Frau in einem blutbesudelten Kleid begegnet. Sie erzählt ihm, dass er nun ganz wie sie selbst in einer Traumdimension gefangen sei, aus der es kein Erwachen gibt. Natürlich glaubt er das anfangs nicht, doch schließlich sieht er sich gezwungen, seine Lage zu akzeptieren. Und es ist in der Tat eine ziemlich verstörende Anderswelt, in die es unseren Helden verschlagen hat. Der riesige Tempelbau, in dem ein nie genauer beschriebenes Ungeheur haust, dem früher oder später alle Gefangenen dieses Traumreiches als Nahrung dienen. Das unheimlich "lebendige", sich aus eigener Kraft bewegende und zudem auch noch vampirische Gras, das die Ebene draußen bedeckt. Die ebenso beunruhigenden Bäume, die gleichfalls auf bizarre Weise "wach" zu sein scheinen. Man erhält beinah den Eindruck, als sei diese ganze Welt eine einzige lebendige Kreatur. Seine Bewohner führen eine lethargische, hoffnungslose Existenz. Es gibt kein Entkommen von hier und jederzeit kann einen das Ungeheuer holen kommen. Wozu also sich Ziele setzen? Im Grunde warten hier alle bloß auf den Tod. Die einzige Leidenschaft, die sie kennen (und von der bald auch Smith erfasst wird) ist der gewaltige Hunger und die Gier, die sie immer wieder in den Tempel ziehen, wo sie in langen Reihen kniend und "with bowed heads, as if in prayer" aus Zapfhähnen Blut schlürfen – die einzige Nahrung die sie kennen und die einzige, die sie benötigen.            
 
Es ist die Schilderung dieser phantasmagorischen und verstörenden Anderswelt, die Scarlet Dream zu einer würdigen Nachfolgerin von Shambleau und Black Thirst macht.
 
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, im Rahmen dieses Blogposts alle in dem Sammelband Northwest of Earth abgedruckten Geschichten zu besprechen. Doch schließlich musste ich einsehen, dass das wohl doch ein etwas zu ehrgeiziges Unterfangen gewesen wäre. Stattdessen wird dieser Artikel nun (hoffentlich) der Beginn einer kleinen Reihe über Northwest Smith sein. Denn es gibt noch so manches zu berichten über den zwielichtigen Abenteurer und seine großartige Schöpferin.         
  

 

 

(1) "I have remotest glimmers of memory about a wild, wild Western that never went beyond the idea that there ought to be a One-Eyed Jack, (possibly of hearts) and a Northwest Smith on a ranch called the Bar-Nothing. Thence the name, but whence the character no one knows, least of all myself. When I first began to consider him as a space-ranger I was guilty of a saga which started out, 'Northwest Smith was a ..." C. L. Moore in: Karl Edward Wagner (Hg.): Echoes of Valor II. S. 37.

(2) C. L. Moore an R. H. Barlow (10. September - 9. Oktober 1934). Zit. nach: Bobby Derie: Conan and Jirel: Robert E. Howard and C. L. Moore. Part One.

(3) Die Stories (Happily Ever After; Semira & Two Fantasies) wurden vor noch nicht all zu langer Zeit von Carrie Schwier und Cynthia Lynn wiederentdeckt und lassen sich hier einsehen.

(4) Zit. nach: Lisa Yaszek & Patrick B. Sharp: Sisters of Tomorrow. The First Women of Science Fiction. S. 164.

(5) Vgl: Bobby Derie: Conan and Jirel: Robert E. Howard and C. L. Moore. Part One.  

(6) C. L. Moore an R. H. Barlow (31. Dezember 1934). Zit. nach: Ebd.

(7) C. L. Moore an R. H. Barlow (10. September - 9. Oktober 1934). Zit. nach: Ebd.

(8) Zit. nach: Jennifer Jodell: Mediating Moore: Indeterminate Identities in the Work of C.L. Moore. S. 41. 

(9) Zit. nach: Bobby Derie: Conan and Jirel: Robert E. Howard and C. L. Moore. Part One. 

(10) Zit. nach: Ebd.

(11) Weird Tales, Vol. 23, No. 1. S. 132. 

(12) Zit. nach: Jennifer Jodell: Mediating Moore. S. 24.

(13) Vgl.: Einleitung und Kapitel 1 von  Jennifer Jodell: Mediating Moore.

(14)  Lisa Yaszek & Patrick B. Sharp: Sisters of Tomorrow. S. 165f. 

(15) Man denke zum Beispiel an Baudelaires Gedicht Le Chat aus den Fleurs du mal.  

(16) Zit. nach: Jennifer Jodell: Mediating Moore. S. 4. Zu Jirel habe ich vor bald zwei Jahren einmal einen sehr ausführlichen Beitrag veröffentlicht, den ich teilweise für diesen Blogpost kannibalisiert habe.

(17) Zit. nach: Bobby Derie: Conan and Jirel: Robert E. Howard and C. L. Moore. Part One.

(18) "And last, but far from least, there is C. L. Moore. I read five of her stories without being impelled to rave. Good jobs they all were, and done in workmanlike fashion; but nothing calling for repeated reading. Then The Bright Illusion! Man, there is a job of workadult fare, that; no fooling! I have read it three times so far, and haven’t got it all yet. I have no idea whether Miss (or Mrs.) Moore is a young girl with an unusually powerful mind and a full store of unsullied idealism, or whether she is a woman whose long and eventful life has shown her that real love is man’s supreme power. But whoever or whatever she may be, I perceive in her Bright Illusion a flame of sublimity brighter, whiter, fiercer, and more intense even than the eternal fire of IL’s great temple." (Astounding Stories, Januar 1935, S. 153.)

(19) Vgl. Weird Tales, Vol. 26, No. 3. S. 399.

Sonntag, 10. Januar 2021

"By the ten tinted toenails of Tanit!"

Knapp drei Jahre bevor Red Sonja in Nr. 23 von Conan the Barbarian die Comics-Bühne betrat (und sogar fünf Monate bevor der Cimmerier selbst dort debütierte) galoppierte im Mai 1970 auf den Seiten von Eerie bereits eine waschechte Sword & Sorcery - Heldin in die Welt der modernen Bildergeschichten und hatte dabei auch noch den grandiosen Fluch "By the ten tinted toenails of Tanit" auf den Lippen – Gardner F. Fox' Amazonia!

Zugegeben, nach den ersten gloriosen Jahren waren Eerie und Schwestermagazin Creepy zu dieser Zeit in einer erschreckend miesen Form. Wie Verleger Jim Warren selbst später einmal erzählt hat:

During that period we had to rely on reprints for covers and the insides, the magazines went to 48 pages, and I was ashamed of the product. It was awful. There were misspellings, we didn't credit the right people for stories, and sometimes there were no credit lines at all. It was hellfor both myself and our readers.

Und Amazonia macht da keine echte Ausnahme. Die Zeichnungen von Miguel Fernandez (der scheinbar nur diesen einen Abstecher in die Welt der Comics machte) schwanken zwischen zum Teil recht ansehnlicher, zum Teil amateurhafter Skizze, Cartoonhaftigkeit und schlichter Schludrigkeit. Der Text wimmelt von Schreibfehlern. Schon beim Eröffnungsfluch hat man das "the" vergessen. Der Plot stolpert, springt und sprintet auf geradezu groteske Weise dahin, zumal Fox die irre Idee hatte, auf gerade einmal sieben Seiten eine "epische" Geschichte erzählen zu wollen.

Und doch ist die Story nicht ohne Charme. Dafür ist vor allem Gardner Fox' grandios hyperbolischer Sprachstil verantwortlich, der es einem schwer macht, zu entscheiden, wie ernst es dem Autor mit dieser konfusen Mär wohl gewesen ist. 
"East of the wind and west of the road lies that land called Karkassone." Ist das eine ironisch-absurde Anspielung auf das norwegische Märchen Østenfor sol og vestenfor måne (East of the Sun West of the Moon) mit einem leichten Hauch von Lord Dunsany? Und dann auch noch auf die provencalische Stadt Carcassonne, die ihre Berühmtheit u.a. ihrer Rolle im Albigenserkreuzzug verdankt? Who knows ...
Weiter geht's jedenfalls in diesem Stil:

Deep in the demon-haunted glades of Wizard's Wood a maid comes galloping ... Galloping between the ghastly ghouls and evil kobolds infesting this corner of her world! Death gibbers from every branch, every leaf! Yet, onward she hurtles, ever onward toward the destiny written for her in the eternal pages of the book of the Elder Gods. For this is Amazonia, barbaric daughter of Fedrik, who was aforetime king in Karkassone.  

Warum ihr Vormund, der Magier Dyzlann, unsere Heldin in diesen monsterverpesteten Wald geschickt hat, wird nie ganz klar. Auf jedenfall befreit sie einen Söldner, der als Menschenopfer für den finsteren Gott Skorpovion gedacht war, schlägt sich mit selbigem herum, findet das magische Schwert Excalifer (!), prügelt sich noch einmal mit einem Dämon, der von der bösen Zauberin Llyrith heraufbeschworen wurde, und erreicht schließlich den Thronsaal des Usurpators Hermotinos the Hateful. Als sie diesem gemäß der Weisung der Älteren Götter die wundersame Eiserne Krone aufs Haupt presst, verwandelt er sich überraschenderweise in ihren lang verschollenen Vater Fedrik, der die ganze Zeit unter Llyriths Bann gestanden hatte. Der greise König haucht in den Armen seiner Tochter das Leben aus und Amazonia tritt die Herrschaft über das nun vom Bösen befreite Karkassone an. 

Ich wiederhole noch einmal: Die Geschichte umfasst sieben Seiten!

Aber die großartige Absurdität ist nicht das einzig ansprechende an ihr. Denn so wirr der Plot auch sein mag, Amazonia ist eine erstaunlich starke und eigenständige Heldin. Sie überwindet alle Gegner und Hindernisse ohne fremde Hilfe (von der Magie der Eisernen Krone einmal abgesehen). Der namenlose Söldner ist weder ein "love interest" für sie, noch ein ernstzunehmender Beistand. Am Ende besteigt "the girl-barbarian" den Thron ihres eigenen Reiches. 
Das scheint mir für eine Sword & Sorcery - Comics - Heldin aus dem Jahre 1970 schon recht beachtlich. Und glücklicherweise durfte Amazonia sogar noch zwei weitere Abenteuer erleben. Die außerdem in so gut wie jeder Hinsicht sehr viel besser ausschauen als ihr Debüt. Nicht zuletzt, weil bei ihnen Billy Graham den Zeichenstift führte.

Doch bevor wir uns den beiden zuwenden, wollen wir zuerst einen kurzen Blick in die Geschichte von Warren Publishing werfen. Denn ich denke, es ist kein Zufall, dass die Sword & Sorcery erstmals in deren Publikationen auftauchte, einige Jahre bevor sich dann auch die Riesen Marvel und D.C. dem Genre anzunehmen begannen.

Jim Warrens Karriere als Verleger hatte Mitte der 50er Jahre wenig glorreich mit der Playboy - Imitation After Hours begonnen, die ihm schon nach vier Nummern eine (später niedergeschlagene) Anklage wegen "Verbreitung obszöner Schriften" einbrachte, wobei die nackten Brüste von Bettie Page scheinbar das wichtigste Corpus Delicti darstellten. 
Immerhin hatte er im Zuge dieses Unternehmens Forrest J. Ackerman kennengelernt, und so machten sich die beiden Anfang 1958 daran, ein Magazin ins Leben zu rufen, das nicht nur den amerikanischen Zeitschriftenmarkt revolutionieren, sondern auch zur Quelle der Inspiration für eine ganze Generation junger Phantastikfans werden sollte Famous Monsters of Filmland! Wie Stephen King in seinem Buch On Writing schreibt: 
Ask anyone who has been associated with the fantasy-horror-science fiction genres in the last thirty years about this magazine, and you’ll get a laugh, a flash of the eyes, and a stream of bright memoriesI practically guarantee it.*
1960 übersiedelte Warren nach New York und begann zusammen mit Harvey Kurtzman, einem der Schöpfer von MAD, das Satiremagazin Help! herauszugeben. Redaktionsassistenten waren zuerst Gloria Steinem und später Terry Gilliam.
Als großem Comics-Liebhaber war es immer schon Warrens Ziel gewesen, irgendwann auch in diesem Bereich tätig zu werden. Und da sein Verlag dank Famous Monsters of Filmland bereits ein entsprechendes Image besaß, schien es ihm nur naheliegend, dabei auf das Horrorgenre zu setzen. Seit der "moral panic" der Mitt-50er, die zur Einführung des Comics Code und zum Untergang von E.C. - Comics geführt hatte**, lag dieses Feld vollständig brach. Doch der findige Verleger fand einen eleganten Weg, die Zensurregeln zu umgehen. Der Code galt ausschließlich für Comic*bücher*, also ließ er Creepy (1964) und Eerie (1966) im Magazinformat und in Schwarz-Weiß erscheinen. Dabei stellte er ein beeindruckendes Team von Künstlern zusammen, von denen viele alte E.C.-Veteranen waren: Neal Adams, Dan Adkins, Reed Crandall, Johnny Craig, Steve Ditko, Frank Frazetta, Gray Morrow, John Severin, Angelo Torres, Alex Toth, Al Williamson und Wally Wood. Der eigentliche "spiritus rector" des Unternehmens wurde Archie Goodwin, der 1965 die Leitung von Creepy übernahm und die meisten Stories auch selber schrieb.
Inspiriert von Harvey Kurtzmans humanistischer Herangehensweise in Frontline Combat (1951-1954), kreierte Jim Warren 1965 zusammen mit Goodwin die Comics-Serie Blazing Combat, deren Geschichten ein unromantisiertes, dreckig-realistisches Bild des Krieges zeichneten. Er selbst war zwar alles anderes als ein linker Radikaler "I had a militant right-wing approach to many problems" –, aber dennoch ein überzeugter Gegner des Vietnamkrieges. Was sich auch in einigen der Stories widerspiegelte. Das gilt insbesondere für Landscape! von Archie Goodwin & Joe Orlando, die aus der Perspektive eines alten vietnamesischen Bauern erzählt wird. Warren Publishing bekam sehr schnell Probleme mit rechten Organisationen wie der American Legion und dem US-Militär. Das Projekt führte zu großen finaziellen Verlusten und wurde nach vier Nummern 1966 wieder eingestellt.
Zwei Jahre später schien der Verlag in rapidem Niedergang begriffen. Doch dann gelang Warren ein letzter großer Streich. Im September 1969 erschien die erste Ausgabe von Vampirella mit einem Cover von Frank Frazetta (Vampis Kostümdesign stammte allerdings von Trina Robbins) und einer ersten Story über die sexy Blutsaugerin vom Planeten Drakulon aus der Feder von Forry Ackerman. Die Verkaufszahlen schossen in die Höhe und bald erlebten auch Creepy und Eerie eine Art Wiedergeburt. Obwohl D.C., Marvel und Charlton begannen, den Stil von Warrens Horror-Comics und seine Methoden, die Zensur zu umgehen, zu kopieren und viele seiner Künstler abwarben, erlebte der Verlag in den 70ern doch noch einmal eine zweite Blüte. Dazu trugen u.a. die vielen spanischen Zeichner von S.I. Studio bei. 1976 übernahm Louise Jones die Leitung der drei Comics. Obwohl Warren ihr erklärt hatte "Just don't go overboard and bring in women writers and artists to make up for the last 100 years.", begann sie, genau das zu tun. Und er ließ sie machen.
Mit Beginn der 80er Jahre begann dann der endgültige Niedergang des Verlags. Krankheitsbedingt büßte Jim Warren viel seiner einst so unerschöpflichen Energie ein. Und ohne seine Initiative schien auch die Innovationskraft des Unternehmens dahinzuschwinden.

Eine der großen Stärken von Warren Publishing hatte stets darin bestanden, neue Pfade zu beschreiten. Wie der Verleger 1999 in einem Interview mit John C. Cooke in Bezug auf das Erscheinen von Help! vergnügt erzählte:

Again, they didn't know where to place it on the newsstands. It didn't belong next to Mad. They wouldn't put it next to the New Yorker. Distributors were fed up with me because each time I came out with a new magazine it created a new category. They didn't know where the hell to put it. The fact that I was breaking new ground and creating a field that didn't exist before didn't matter to them. [...] "Here's another strange Warren magazine! Where the hell are we going to put this one?"[...] "Why the hell doesn't Warren give us normal magazines like all the other publishers?"

Und da dabei stets eine Affinität zum Phantastischen bestanden hatte, verwundert es mich nicht, dass auch die Sword & Sorcery hier zuallererst die Bühne der amerikanischen Comics betrat.*** Natürlich lag der Fokus von Creepy und Eerie ganz auf klassischen Horrormotiven wie Vampiren, Spukhäusern, Werwölfen und Lebenden Mumien. Doch schon im Juni 1966 erschien in Creepy #9 Dark Kingdom von Archie Goodwin & Gray Morrow, in dem ein spartanischer Krieger phantastische Abenteuer erlebt. Dem folgte im November Cave of the Druids von Goodwin & Reed Crandall mit einem römischen Legionär als Helden. Es dauerte nicht lange, und man streifte auch das antike Setting ab. In Creepy #14 erschien im Januar 1967 mit Where Sorcery Lives! von Goodwin & Steve Ditko die erste lupenreine S & S - Story, die sogar mit den Worten anhob: ""Sword and Sorcery time, fear fanatics ..." Das war knapp zwei Jahre bevor Denny O'Neil erfolglos versuchen sollte, mit Nightmaster einen S & S - Helden bei D.C. zu etablieren! Und stellt außerdem eine überraschend frühe Verwendung des Genrenamens dar.**** Weitere frühe Beispiele sind City of Doom (Goodwin/Ditko; Creepy #15) und Warrior of Death (Goodwin/Ditko; Eerie #10).

Befand sich Warren Publishing also ohnehin bereits in der vordersten Front der Entwicklung, setzte man mit Amazonia in gewisser Hinsicht noch eins drauf, stellten starke und eigenständige Heldinnen doch auch im literarischen Genre, das zu dieser Zeit noch ganz von Conan und seinen Klonen dominiert wurde, nach wie vor eine große Seltenheit dar.***** Und wenn ihr erstes Abenteuer vielleicht auch nicht so ansehnlich (und ziemlich wirr) war, wurde dieser Schönheitsfehler in The Demon in the Crypt und The Eye of Ozirios weitgehend behoben. Die beiden Stories erschienen in Nr. 8 (November 1970) und Nr. 12 (Juli 1971) von Vampirella. Der Autor war erneut Gardner Fox, doch die Zeichnungen stammten diesmal von Billy Graham. 
In der äußerst "weißen" Welt der amerikanischen Comicindustrie jener Zeit war der Afroamerikaner Graham eine Art Ausnahmeerscheinung. Was Jim Warren nicht davon abhielt, ihn sehr schnell zum Art Director zu befördern. Dennoch wechselte er 1972 zu Marvel, wo er später u.a. bei den ersten beiden Soloabenteuern des Black Panther im wiederbelebten Jungle Action - Magazin (1973-76) mitwirken sollte: The Panther's Rage und The Panther vs. The Klan.

Wie ihr Debüt sind auch Amazonias weitere Abenteuer nur je eine Handvoll Seiten lang. Doch ist der Inhalt der Geschichten diesmal ihrer Kürze sehr viel angemessener. Und Grahams Zeichnungen sind nicht nur von unermesslich höherer Qualität, sondern verleihen dem Ganzen auch eine hübsch düstere Atmosphäre.

In The Demon in the Crypt muss die frischgekrönte Königin feststellen, dass ihr Palast offenbar auf den Ruinen eines alten Tempels errichtet wurde. Und in den lange verlassenen unterirdischen Gewölben scheint kürzlich ein Dämon aus seinem Totenschlaf erwacht zu sein, dem nun schon ein paar unglückliche Knappen und Dienerinnen zum Opfer gefallen sind, die sich dort hinunter verirrt hatten. Alle Warnungen ihres Hofmagiers Theonides in den Wind schlagedn, zögert Amazonia nicht lange, schnappt sich ihr treues Schwert Excalifer und macht sich auf die Jagd. Auf diese Gelegenheit hat der Dämon nur gewartet, denn er glaubt, dass nun, da eine Frau den Thron von Karkassone bestiegen hat, gemäß einer alten Prophezeiung der Tag seines Triumphes gekommen sei. Tatsächlich verläuft der Kampf erst einmal nicht sehr gut für Amazonia und sie bleibt lebendig begraben zurück, während der Dämon in Frauengestalt die Herrschaft an sich zu reißen gedenkt. Doch dank ihrer Stärke und Klugheit (und vielleicht mit etwas Beistand der Göttin Tanit) gelingt es unserer Heldin schließlich doch, das Monster zu bezwingen und ihr Reich zu beschützen.

Mit ganz derselben Impulsivität macht sich Amazonia in The Eye of Ozirios daran, dem teuflischen Raubritter Throkklon das Handwerk zu legen, der von Grimkrag Castle aus das Umland terrorisiert. Erneut bekommt sie es dabei mit dämonischen Mächten zu tun. Die Story ist noch mal um einiges düsterer und spart auch nicht mit Blut & Gore. Dabei bekommen wir u.a. zu sehen, wie eine halbnackte Amazonia von Throkklons Kriegern "gekreuzigt" wird.****** Doch besitzen diese Szenen keinen "aufreizenden" Charakter. Überhaupt erscheint Amazonia im Vergleich zu späteren Heldinnen wie Red Sonja kaum sexualisiert. Und am Ende triumphiert sie wieder ganz aus eigener Kraft über ihre finsteren Widersacher.

Ich finde es ziemlich bedauerlich, dass Amazonia nur eine so kurze Laufbahn beschieden war. Hätte gerne noch ein paar mehr Abenteuer von ihr gelesen, vor allem wenn dabei erneut Billy Graham den Zeichenstift geführt hätte. Und es ist ja nun auch nicht so, als hätten wir einen Überfluss an starken, eigenständigen Sword & Sorcery - Comics-Heldinnen.   

   

PS: Dieser Blogpost wurde inspiriert von G. W. Thomas' Dark Worlds - Beitrag Gardner F. Fox’s Warren Sword & Sorcery.

 

* Stephen King: On Writing. A Memoir of the Craft. S. 35.

** Bin da im Kontext einer Besprechung von Freddie Francis' Tales From the Crypt (1972) schon mal etwas genauer drauf eingegangen.

*** Wenn man von der kurzen Karriere von Crom the Barbarian einmal absieht.

**** Vgl. dazu meinen Blogpost Groovy Sword & Sorcery vom letzten Mai.

***** Wobei wir Joanna Russ' Alyx einmal beiseite lassen.

****** Das passiert ja auffällig vielen Sword & Sorcery - Held*innen, wofür Robert E. Howards Conan-Story A Witch Shall Be Born verantwortlich sein dürfte.

Strandgut