Ellen Datlow ist ohne Zweifel eine der bedeutendsten lebenden Herausgeberinnen in den Bereichen Horror und Fantasy. Von 1988 bis 2008 gab sie zusammen mit Terri Windling The Year's Best Fantasy & Horror heraus. Seit 2009 ist Datlow für die The Best Horror of the Year - Bände von Night Shade Books verantwortlich. Daneben hat sie eine stattliche Anzahl meist thematisch ausgerichteter Anthologien veröffentlicht, in den letzten Jahren u.a. The Doll Collection (2015), Black Feathers: Dark Avian Tales (2017), Mad Hatters and March Hares (2017), The Devil and the Deep: Horror Stories of the Sea (2018) und Final Cuts: New Tales of Hollywood Horror and Other Spectacles (2020).A music box played the up-tempo notes of a murder ballad. Far from welcoming lands, the company built a campfire and watched it burn down. A young woman in antique scale armor, two old men (one in mismatched leathers, the other in buckskins), a grizzled dog and an equally grizzled horse.
Dass sich in einer ganzen Reihe der von ihr zusammengestellten Storysammlungen Werke von Laird Barron finden, ist weiter nicht verwunderlich, gilt der in Alaska aufgewachsene Schriftsteller doch wohl nicht ohne Grund als einer der Großen der zeitgenössischen Weird Fiction. Mit seiner Isaiah Coleridge - Serie hat er sich jüngst zwar stärker dem klassischen Noir - Format zugewandt, doch selbst in diese Romane beginnt allmählich wieder das Übernatürlich-Unheimliche einzudringen. Zugleich scheint er in seinen phantastischen Kurzgeschichten vermehrt mit unterschiedlichen Genres und ihren Versatzstücken zu experimentieren.
Ein Beispiel dafür ist seine 2015 in Ellen Datlows Children of Lovecraft erschienene Story Oblivion Mode, deren unverkennbare Sword & Sorcery - Elemente es rechtfertigen, dass wir uns hier kurz mit ihr beschäftigen.
Reduziert man den Plot von Oblivion Mode auf sein Grundgerüst, so klingt er tatsächlich nach einer ziemlich typischen Sword & Sorcery - Geschichte: Junge Heldin macht sich zusammen mit zwei ergrauten und heruntergekommenen Veteranen auf, um einen aristokratischen Untoten zu bezwingen, der einst ihre Eltern ermordete.
Dass zu der kleinen Truppe auch noch zwei sprechende Tiere – der Hund Mantooth und das Pferd Flint – gehören, schlägt schon etwas aus der Art, ist im Vergleich zur Bizzarerie der Gesamtstory aber noch eher harmlos.
Die Erwähnung einer "music box" im Eröffnungssatz deutet bereits darauf hin, dass wir es nicht mit einer klassischen Fantasywelt zu tun haben. In der Tat fällt es schwer, zu bestimmen, wo diese Geschichte angesiedelt sein soll. In einer mythischen Vergangenheit oder einer fernen Zukunft? Auf der Erde oder in irgendeiner Parallelwelt? Die Indizien weisen in unterschiedlichste Richtungen. So trägt unsere Heldin Karl(a) Lochinvar zwar ihr treues Schwert "Rebuke" an der Seite, doch nach dem überstandenen Endkampf gegen den Vampir Baron Need zündet sich einer ihrer Gefährten erst mal eine Zigarette an.
Dieser eigenartige Mix spiegelt sich auch in den Figuren wieder.
Marion Hand – "ex-Royal Dragoon of the disgraced Ninth Regiment" – erscheint in Szenen, die in der Vergangenheit spielen und seine erste Konfrontation mit dem Baron beschreiben, als eine Art "strahlender Ritter" und er wird manchmal ganz ausdrücklich als "knight" bezeichnet. Auch war er wohl einst der Gefährte von "John Foot, the Emperor's warlock in exile". Doch wenn wir ihn in der Gegenwart sehen, klimpert er auf einer "Stradivarius guitar" herum und seine zerlumpte Decke wird von "peace signs and anarchy symbols" geziert.
Die Hintergrundsgeschichte des ehemaligen Fährtensuchers ("scout") Jonathan Bowie spielt sehr deutlich auf den Völkermord an den amerikanischen Indianern an:
During the peak of the Westward Expansion handbills bore his likeness and pennants flew in his honor. Even then, wags at the Capital called him Peloki-Killer behind their sleeves. He'd seperated hundreds of blue-painted devils from their heads. Men, women, and children without discrimination.Sehr subtil ist das nicht gerade, soll doch bereits der Name des Kerls offensichtlich an die Frontier-Legende Jim Bowie erinnern. Und ja, auch er nennt ein besonderes Messer sein Eigen ...
Wirklich durchgeknallt wird es dann, wenn wir uns der eigentlichen Heldin zuwenden. Der Anweisung ihrer Mutter folgend, gräbt Lochinvar inmitten eines Kreises von Stehenden Steinen nach ihrem "Erbe". Was sie dabei findet ist nicht ganz klar, doch führt die Entdeckung zu einer bizarren Szene, in der Unmassen von Mücken in ihren Körper eindringen und ihn von innen heraus auflösen, derweil eine merkwürdig metallische Stimme erklärt: "Genetic match verified. Omega protocol intiated. Dematerialization imminent." Ihr Bewusstsein wird in die Große Finsternis der Kosmischen Leere geschleudert, wo sie von einer mysteriösen Entität – dem "Overmind" – trainiert wird, um sich Jahre später erneut auf der Erde (?) zu materialisieren mit dem Auftrag: "Wreak havoc – here, and in every possible universe".
Baron Need ist gleichfalls kein simpler Vampir – "Vampirism is an acceptable horror, romanticized as a metaphor for sexual repression. As usual, the truth is worse." –, sondern die irdische Manifestation jener nimmersatten Kosmischen Großen Finsternis, für ewig dazu verdammt, Leben zu verschlingen, ohne je echte Sättigung zu erfahren.
Ach ja, und dann gibt es da auch noch Rabbit Abbot, eine Art kriegerischen Van Helsing in Kaninchengestalt, der für den ersten {vorläufigen} Sieg über den Baron verantwortlich war.
All das gibt nur einen sehr vagen Eindruck von dem exzentrischen Charakter von Oblivion Mode. Doch hat mir die Geschichte gefallen? Schwer zu sagen.
Es dürfte kein Geheimnis sein, dass ich Bizarrerien aller Art liebe. Auch finde ich Welten wie diese, in denen sich Altertümliches und Modernes, Bekanntes und Fremdartiges miteinander mischen, und die sich nicht genau in Raum und Zeit verorten lassen, durchaus ansprechend. Und Laird Barrons sprachlicher Stil, der zwischen düsterer Poesie und humoristischer Farce hin und her pendelt, besitzt gleichfalls seinen Reiz. Doch mehr als einmal kam mir beim Lesen von Oblivion Mode der Gedanke, dass ein bestimmter Satz nur deshalb da steht, weil Barron dachte, dass er cool klingt. Für die eigentliche Story ist er irrlevenat und verwirrt den Lesenden im Grunde nur unnötig. Zu oft hatte ich das Gefühl, das Herumgespiele mit vagen Andeutungen sei bloßer Selbstzweck und erwecke den Eindruck, die Geschichte besitze sehr viel mehr Substanz als in Wirklichkeit der Fall ist. Nicht dass ich von einer Story wie dieser erwarten würde, dass sie sich zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügt. Das würde ihrer Natur widersprechen. Worauf es ankommt ist die Atmosphäre. Aber das bedeutet nicht, dass der Autor seine Leserschaft einfach mit einer Unzahl von Bildern und Ideen bombardieren kann, die ohne Kontext dastehen und nicht weiter verfolgt werden. Etwas mehr Zurückhaltung und Disziplin auf Seiten des Autors hätten der Geschichte meines Erachtens gut getan.
All jenen, die ihre Sword & Sorcery gerne mal etwas bizarrer und "postmoderner" haben, würde ich dennoch empfehlen, sich Oblivion Mode bei Gelegenheit einmal zu Gemüte zu führen. Auch wenn sie mich als Ganzes nicht recht zu überzeugen vermochte, enthält die Story doch genug interessanter kleiner Details und eindringlicher Passagen, um eine Lektüre lohnend erscheinen zu lassen. Auch wenn der nihilistische Grundton, der in einer extrem zynischen finalen Wendung kulminiert, sicher nicht ganz nach meinem persönlichen Geschmack ist.
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