"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 31. März 2018

Strandgut der Woche

Mittwoch, 28. März 2018

Stumm & Phantastisch (1): "Himmelskibet"

Letzten Monat konnten wir den einhundertsten Geburtstag eines Filmes feiern, der manchmal als der erste Space Opera - Streifen der Geschichte bezeichnet wird. Grund genug, eine alte Idee wieder aufzugreifen und mich auf meinem Blog einmal der Phantastik der Stummfilmära zuzuwenden. Ob daraus mehr werden wird als dieser vereinzelte Beitrag, bleibt abzuwarten. Angesichts der Tatsache, dass ich bisher nur eine einzige meiner vollmundig angekündigten Blogpost - Reihen* tatsächlich zum Abschluss gebracht habe, sollte ich wohl endlich damit anfangen, mich in dieser Hinsicht etwas zurückzuhalten. Trotzdem gebe ich diesem Post den Titel "Stumm & Phantastisch (1)", in der Hoffnung, dass es irgendwann auch ein (2) oder (3) geben wird. Heute jedenfalls wollen wir uns dem dänischen Science Fiction - Streifen Himmelskibet (Das Himmelsschiff) zuwenden, der am 22. Februar 1918 im heimatlichen Kopenhagen das Licht der Kinowelt erblickte.

Der SciFi-Film selbst ist natürlich deutlich älter. Ich verweise da bloß auf George Méliès' von Jules Verne und H.G. Wells inspirierten Le Voyage Dans La Lune (1902), aus dem das ikonische Bild des von einem Projektil ins Auge getroffenen Mondgesichtes stammt und der rasch zu so großer Berühmtheit gelangte, dass Segundo de Chomón bloß sechs Jahre später mit Excursion En La Luna ein wirklich schamloses Rip-off {oder Reboot?} kreierte, das das Original bis in einzelne Szenen hinein kopiert. {Und doch seinen eigenen Charme besitzt. Von dem möglichen antikolonialistischen Subtext findet sich hier zwar nichts mehr, doch dafür können wir uns an dem bezaubernden Auftritt eines kleinen Mondballetts erfreuen.}**

Dass Dänemark zu den führenden filmproduzierenden Nationen der Ära vor dem 1. Weltkrieg gehörte, dürfte den meisten heute wahrscheinlich eher unbekannt sein. Weniger überraschend ist dann vermutlich, dass die von Ole Olsens 1906 gegründetem Unternehmen Nordisk Film dominierte dänische Filmindustrie jener Zeit in erster Linie vom Export lebte. Der Kriegsausbruch bereitete jedoch nicht von vornherein Probleme. Vielmehr bemühte sich Nordisk in den ersten Jahren mit einigem Erfolg darum, den deutschen Markt zu erobern, von dem der große Rivale Pathé nun verbannt war. Doch spätestens 1917 ging es endgültig abwärts. Staatliche Maßnahmen hatten die Firma inzwischen aus Deutschland verdrängt und nun brach mit der Revolution auch der russische Markt zusammen. Die Blütezeit der frühen dänischen Filmindustrie war unwiderruflich zuende. Dennoch gelang es Nordisk ein Jahr später mit Himmelskibet noch rasch, sich  einen fetten Eintrag in die Annalen des Science Fiction - Films zu verdienen.*** Auch wenn die Bezeichnung "erste Space Opera" schon etwas irreführend ist, wie wir gleich sehen werden.

Inspiriert von den visionären Ideen seines Vaters Professor Planetaros (Nicolai Neiiendam) macht sich der stets zu neuen Abenteuern bereite Avanti Planetaros (Gunnar Tolnæs) daran, einen bemannten Raumflug zum Mars auf die Beine zu stellen. Dabei steht ihm sein enger Freund Dr. Krafft (Alf Blütecher), der außerdem eine keusch-leidenschaftliche Liebesbeziehung zu Avantis Schwester Corona (Zanny Petersen) unterhält, als engster Mitstreiter zur Seite. Trotz der gehässigen Versuche des missgünstigen Professors Dubius (Frederik Jacobsen), das Projekt öffentlich lächerlich zu machen, gelingt es den beiden innerhalb eines Jahres, das Raumschiff Excelsior -- das eher einem sympathisch schmerbäuchigen Flugzeug ähnelt -- zu konstruieren und eine Mannschaft für ihre Expedition zu rekrutieren. Selbige ist erstaunlich multinational. Neben dem {leider trunksüchtigen} Amerikaner David Dane (Svend Kornbeck) gehört auch ein äußerst ehrenhafter Vertreter "des Ostens" zur Crew, unter dem wir uns vermutlich einen Chinesen oder Japaner vorstellen sollen, auch wenn der Schauspieler nicht im Entferntesten etwas Asiatisches an sich hat.

Zusammen mit der angenehmen Abwesenheit jedweden patriotischen Traras, an dessen Stelle das Beschwören eines universalen Menschheitsideals tritt, deutet dies bereits darauf hin, dass wir es nicht mit der typischen Weltraumforschersaga zu tun haben. Na ja, die ulkigen Namen sind natürlich auch ein Hint.
Als Himmelskibet gedreht wurde, befand sich Europa im vierten Jahr des großen Völkergemetzels, dem zu diesem Zeitpunkt Millionen zum Opfer gefallen waren und das ganze Landstriche in öde Wüsteneien verwandelt hatte. Vor diesem Hintergrund wollten Ole Olsen und der Schriftsteller Sophus Michaëlis, die zusammen für das Drehbuch verantwortlich waren, mit ihrem SciFi - Film offenbar einen Appell für Frieden und Völkerverbüderung auf die Leinwand bringen. Ein ehrenwertes Anliegen, das jedoch nicht notwendigerweise zu einem gelungenen Film führen musste.

Dem anzitierten Vorbild Kolumbus entsprechend kommt es während des Marsflugs beinah zu einer Meuterei auf der Excelsior, bei der sich Dane als Haupträdelsführer und der "Asiate" als einzig vertrauenswürdiger Kamerad unserer Helden erweist. Doch bevor offene Gewalttätigkeiten ausbrechen, sorgen die Marsianer mit ihrer überlegenen Technik dafür, dass das Erdenschiff früher als geplant auf dem roten Planeten ankommt.
Traditionellerweise gilt Mars natürlich als Planet des Kriegsgottes. Und angesichts des metaphorischen Charakters von Himmelskibet ist es sicher kein Zufall, dass sich unsere mutigen Forscher gerade diesen Himmelskörper als Ziel ausgesucht haben.**** Was sie dort erwartet, ist jedoch das genaue Gegenteil: Ein pazifistisches Paradies, bevölkert von weisen Vegetariern in weißen Roben und Gewändern.
Sich Gedanken über das klügste Vorgehen bei einem Erstkontakt zu machen, gehörte offenbar nicht zu Avantis Expeditionsvorbereitungen, denn um zu demonstrieren, wie wir Erdlinge an unser Essen kommen, zieht er rasch seine Pistole und schießt eine Gans vom Himmel. Als wie zu erwarten ein Tumult unter den geschockten Marsianern ausbricht, schleudert der stumpfsinnige Dane auch noch eine Handgranate in die aufgebrachte Menge. Unsere Helden haben verdammtes Glück, dass die sanftmütigen Marsbewohner in ihrer Gesellschaft das Konzept von "Strafe" schon vor langem abgeschafft haben. Statt wegen versuchten Totschlags vor Gericht gestellt zu werden, gibt man ihnen eine Lektion über die Unsinnigkeit von Gewalt. Nach ihrer mirakulös raschen Bekehrung zu Love & Peace werden die Raumfahrer in die weißen "Mäntel  der Unschuld" gekleidet und dürfen sich in aller Ruhe an der arkadischen Schönheit des Mars erfreuen.
Wie sich's gehört verliebt sich Avanti natürlich sofort in eine marsianische Schönheit (Lilly Jacobson), was uns die Gelegenheit gibt, solch poetisch benamste Orte wie den "Baum des Verlangens" und den "Wald der Liebe" kennenzulernen.
Daheim auf der Erde geht es dem alten Professor Planetaros und Corona allerdings weit weniger gut, müssen sie doch fürchten, dass ihre Liebsten für immer im All verschollen sind. Die ewigen Sticheleien des fiesen Dubius helfen da auch nicht grade. 
Schließlich drängt Dr. Krafft zur Rückkehr. Die Sehnsucht nach seiner geliebten Corona ist einfach zu stark. Gemeinsam mit Avantis marsianischer Angetrauten macht sich die Crew der Excelsior auf den Rückflug, um der Menschheit die Botschaft von Liebe, Frieden und Völkerverbrüderung zu bringen.

Himmelskibet ist zweifelsohne fürchterlich naiv. Vergegenwärtigen wir uns kurz den historischen Kontext: Wenige Monate zuvor war in Russland die Oktoberrevolution ausgebrochen. Die Bolschewiki hatten nach ihrer Machtergreifung umgehend die Völker aller kriegsführenden Nationen zum Abschluss eines demokratischen Friedens aufgerufen, "ohne Annexionen und Wiedergutmachungen, auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker". Sie nutzten die Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten in Brest-Litowsk als Plattform, um diesem Aufruf weltweit Gehör zu verschaffen. Daraufhin war es im Januar erst in Wien, dann in Berlin zu gewaltigen Streiks gekommen, an denen sich Hunderttausende beteiligten. An der Spitze der Forderungen der Arbeiter und Arbeiterinnen hatte der Ruf nach einem demokratischen Frieden gestanden. In Österreich-Ungarn war es sogar bereits zur Bildung erster Arbeiterräte gekommen. Staatliche Repressionen und die verräterische Politik der Sozialdemokraten***** hatten die Bewegung vorerst abgewürgt. In der selben Woche, in der Himmelskibet in die dänischen Kinos kam, begannen die Armeen der Mittelmächte ihren Vormarsch in die Ukraine und das Baltikum, nachdem die Verhandlungen in Brest-Litowsk abgebrochen worden waren.
Zu glauben, ein simpler Appell an das Gute im Menschen und die Macht der Liebe könnte ausreichend sein, um die Welt vom Krieg zu befreien, musste angesichts dieser heftigen Kämpfe selbst aus Perspektive des neutralen Dänemark ziemlich absurd wirken.
Interessanterweise verweist Himmelskibet nie direkt auf den Weltkrieg, auch wenn der Film ganz ohne Zweifel als eine Reaktion auf diesen verstanden werden muss. Vielleicht schreckten Ole Olsen und Sophus Michaëlis davor zurück, ganz direkt politisch Stellung zu beziehen. Wer weiß? Wenn dem friedvollen Idyll des Mars die "böse Erde" entgegengestellt wird, bekommen wir jedenfalls keine Bilder von Schützengräben und dem granatenzerfurchten Niemandsland zu sehen, sondern Szenen von nächtlich-mondänen Parties. Was die mit Gewalt zu tun haben sollen, ist zwar nicht so ganz klar, doch verweisen sie recht deutlich darauf, dass der Pazifismus von Himmelskibet auf einer christlich-protestantischen Grundlage basiert. Der Krieg ist bloß ein weiteres Beispiel für "sündiges Verhalten", ganz so wie der übermäßige Genuss von Alkohol {nicht zufällig ist David Dane ein Säufer}. Mehr als einmal sinken unsere Helden zum Gebet auf die Knie, und in der utopischen Marsgesellschaft zelebriert man den "Tanz der Keuschheit". Die weisen Marsianer in ihren mit dem Ankh verzierten Roben haben zwar etwas leicht theosophisches, vielleicht auch freimaurerisches an sich, aber das scheint mir nicht dem protestantischen Grundton zu widersprechen. Derselbe erklärt vielleicht auch, warum Professor Dubius ein so alttestamentarisches Ende findet und vom Blitz erschlagen wird {dabei hatte er doch eigentlich nichts schlimmeres getan als gehässige Reden zu schwingen}.

Dennoch bleibt Himmelskibet aufgrund seiner pazifistisch-humanistischen Message ein durchaus sympathischer Streifen. Und auch wenn es ihm ein wenig an Dynmaik und echten Konflikten mangelt, gibt es doch genug Gründe, warum Freundinnen & Freunde des SciFi-Films ihn sich bei Gelegenheit einmal anschauen sollten. Hauptdarsteller Gunnar Tolnæs mag ein wenig sehr zu theatralischen Gesten neigen, aber daran gewöhnt man sich nach einiger Zeit. Die Excelsior ist ein wirklich putziges Raumschiff, eine Art geflügelter Kleinbus, dessen Inneres bloß ein wenig zu geräumig erscheint, und so immer noch etwas von der klaustrophobischen Atmosphäre einer realen Weltraumexpedition an sich hat. Regisseur Holger-Madsen und Kameramann Louis Larsen verstanden ihr Handwerk sehr gut und erfreuen uns sowohl mit als düstere Silhouetten gestalteten Szenen von der Erde als auch mit hübsch-romantischen Landschaftsbildern vom Mars.

        


* Diese glorreiche Ausnahme ist "Vampire in Amerika", in der ich mich mit einigen amerikanischen Vampirfilmen der 70er Jahre beschäftige: Teil 1 * 2 * 3 * 4 * 5 * 6 * 7 * 8
** Ich verweise alle Interessierten auf Fritzi Kramers Besprechungen der beiden Filme: Méliès / Chomón. Nebenbei bemerkt verdanke ich meine Bekanntschaft mit Himmelskibet gleichfalls der wundervollen Fritzi, deren eigenen Beitrag zu dem Streifen man hier auf ihrem Blog Movies Silently findet.
*** Ein Genre, zu dem die Dänen übrigens erst vierundvierzig Jahre später mit dem Schlock-Klassiker Reptilicus (1962) zurückkehren sollten. Der wäre auch mal einen Blogpost wert ...
**** Freilich hatte der Film zuvor bereits eine weitere symbolische Dimension eingeführt. Auf Dantes Divina Comedia Bezug nehmend, in der die Marssphäre den Himmel der Märtyrer bildet, war Mars als der Leitstern jener bezeichnet worden, die zur Erreichung eines edlen Ziels bereit sind, die größten Opfer zu bringen.
***** Friedrich Ebert in einer Rede an die Streikenden: "It is the duty of the workers to support their brothers and fathers who are at the front and to make the best possible weapons for them ... as the English and French workers are doing for their brothers at the front in their working hours ... Victory is the dearest wish of all Germans." (Zit. nach: Pierre Broué: The German Revolution 1917-1923. S. 107.) 

Samstag, 24. März 2018

Strandgut der Woche(n)

    Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich ein Strandgut habe ausfallen lassen, aber ich war für eine Woche im Urlaub. Nichts großartiges, aber es war sehr schön. 
    Nachdem ich nun heute in meine Heimatbasis zurückgekehrt bin, habe ich rasch versucht, eine Liste dessen zusammenzustellen, was in den letzten vierzehn Tagen hier so angespült wurde.
     

    Montag, 19. März 2018

    Notizen von unterwegs

    Was macht man, wenn man sich zu einem kleinen Urlaub in eine Stadt abgesetzt hat, die man im Grunde gar nicht kennt, in dem naiven Glauben, man werde schon irgendwie Ablenkung und Unterhaltung finden?
    Na ja, wenn der Abend zu kalt ist, um einfach durch die Gegend zu streifen und sich überraschen zu lassen, erscheint das um die Ecke gelegene Kino eigentlich als eine gute Alternative, oder? Wobei ich wohl hinzufügen sollte, dass es in meiner heimatlichen Waldeinsamkeit keine Lichtspielhäuser gibt*, ein Kinobesuch für mich also nicht *ganz* so banal ist, wie das anderen vielleicht vorkommen mag. Doch leider war die Auswahl an Filmen nicht gar so üppig, weshalb ich schließlich in Maria Magdalena gelandet bin.

    Vielleicht sollte ich ein paar Worte über mein Verhältnis zu Bibelfilmen im Allgemeinen vorausschicken.

    Ich bin christlich-katholisch aufgewachsen. Meine Eltern waren ziemlich fromm, in einem durchaus traditionellen Sinne. Beengt oder unterdrückt habe ich mich dadurch aber eigentlich nie gefühlt. Meine spätere Abwendung von der Religion hatte nur wenig mit einer Rebellion gegen das Elternhaus zu tun. Für einige Zeit gehörte der sonntägliche Gottesdienstbesuch zu meiner ganz normalen Wochenroutine, ohne dass ich je dazu gezwungen worden wäre. Mit 14/15 war ich vielmehr selbst zimelich gläubig, wenn auch wohl schon damals nicht im streng "orthodoxen" Sinne. Wenig später folgte eine relativ kurze Phase der religiösen Suche und des "Ausprobierens" {wenn es gestattet ist, hierfür einen so vulgären Ausdruck zu verwenden}, über die ich jetzt aber nichts weiter erzählen will. Mit 17/18 schließlich wurde ich zu dem überzeugten Atheisten und Materialisten, der ich bis heute geblieben bin.

    Eine Faszination für Religionen hat sich freilich auch später erhalten. Und das nicht nur in einem "historischen" Sinn {auch wenn ich Religionsgeschichte ungemein spannend finde}. 
    Alle religiösen Lehren und Mythen waren irgendwann einmal Ausdruck sehr starker kollektiver Empfindungen. Und ganz so wie manche z.T. uralte Kunstwerke, können uns auch einige von ihnen selbst heute noch auf einer emotionalen Ebene berühren, weil wir die ihnen zu Grunde liegenden Gefühle, Ängste, Hoffnungen usw. nach wie vor in uns tragen.

    Was nun Bibelfilme angeht, so gestehe ich gerne, dass ich eine große Schwäche für die Monumentalschinken der 50er/60er Jahre à la Quo Vadis? (1951), Das Gewand (1953), König der Könige (1961) oder Die größte Geschichte aller Zeiten (1965) habe. Auch empfinde ich eine Menge Sympathie für den großen Cecil B. De Mille (Die zehn Gebote [1923 und 1956]). Der gute Mann liebte prächtigen Schlock ebenso sehr wie er die Bibel verehrte, und es ist genau diese Mischung aus Kitsch und Ernsthaftigkeit, die ich so anziehend finde. 
    Darüberhinaus findet sich in vielen dieser alten Streifen ein Element der Auflehnung gegen Tyrannei und Ungerechtigkeit. Das frühe Christentum erscheint in ihnen für gewöhnlich als eine Bewegung der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Inwieweit dieses Bild der historischen Wirklichkeit entspricht, sei jetzt mal dahin gestellt. Und natürlich sind diese farbenfrohen Epen nicht eben subtil oder tiefgründig, wenn es um dieses Motiv geht. {Sie sind es eigentlich nirgendwo.} Aber dennoch trägt auch dies zu dem Charme bei, den diese alten Schinken für mich haben.
    Nicht unerwähnt bleiben darf außerdem Pier Paolo Pasolinis Matthäusevangelium (1964), der nun freilich in eine ganz andere Kategorie von Film gehört. Unter den Adaptionen biblischer Stoffe bleibt das Werk des großen italienischen Regisseurs in seiner poetischen Kraft und Humanität für mich bis heute unübertroffen.
    Mit neueren Bibelfilmen habe ich es allerdings nicht so. Martin Scorseses Letzte Versuchung Christi (1988) hab' ich seinerzeit im Kino gesehen, aber außer dem Trara, den der Streifen damals auslöste {yep, da waren tatsächlich protestierende Fromme am Eingang}, ist bei mir wenig im Gedächtnis hängengeblieben. Auf Mel Gibsons fundamentalistische Folterorgie The Passion of the Christ (2004) habe ich dankend verzichtet. Und leider hat auch Maria Magdalena diesen Trend nicht ändern können.

    Man wäre vielleicht versucht zu glauben, dass ein Film, der Maria aus Magdala zur Heldin hat, beinah automatisch irgendwie ein bisschen subversiv sein müsste. Doch leider ist dem ganz und gar nicht der Fall. Vielmehr ist die Botschaft des Streifens alles in allem äußerst konventionell. Nichts, was wir zu sehen oder zu hören bekommen, ist irgendwie neu oder provokant.
    Für die erste halbe Stunde erzählt der Film ungefähr die Geschichte, die man erwarten konnte.
    Maria ist eine selbstbewusste junge Frau, die nicht bereit ist, sich in die Rolle der gehorsamen Tochter und künftigen Ehefrau und Mutter zu fügen. Als sie sich weigert, den von ihrer Familie ausgesuchten Mann zu heiraten und damit "Schande" über ihre Sippe bringt, erklären ihre männlichen Verwandten sie zu einer von Dämonen Besessenen und unterziehen sie einem grausamen "Exorzismus", der als eine pervertierte Form eines Taufrituals erscheint. Als auch dies nicht zu fruchten scheint, ruft man den Wanderprediger Jesus herbei, dem der Ruf eines Wundertäters vorausgeht. Dieser erkennt natürlich sofort, dass er es nicht mit einer Besssenen zu tun hat. Gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer Familie schließt sich Maria Magdalena dem charismatischen Rabbi an. Petrus erhebt zwar Einspruch gegen die Aufnahme der jungen Frau in die Gemeinschaft der Jünger, da dies ihren Ruf schädigen könnte, doch es dauert nicht lange und Maria wird zur engsten Vertrauten Jesu.
    All das ist nicht wirklich welterschütternd, gibt aber auch keinen Anlass für Kritik. Doch dann verrückt sich sehr deutlich die inhaltliche Achse des Films. Um das Aufbegehren gegen eine patriarchalische Ordnung geht es im Weiteren kaum mehr. Ins Zentrum rückt ein völlig anderes Thema.
    Die männlichen Apostel sind allesamt überzeugt davon, dass das von ihrem Rabbi verkündete Königreich Gottes ein irdisches Reich der Freiheit und Gerechtigkeit sein werde, dessen Errichtung durch einen bewaffneten Volkaufstand gegen die römische Fremdherrschaft eingeleitet werden müsse. Sie sehen es deshalb als ihre eigentliche Aufgabe, Kämpfer für diese Revolution zu rekrutieren. Einzig Maria hält dies von Beginn an für ein Missverständnis. Sie will kein "Soldat" sein.
    Als sich die Gemeinschaft zum Pessachfest nach Jerusalem aufmacht, glaubt Petrus, der Zeitpunkt des Kampfes sei gekommen. Er und die übrigen Apostel sehen in Jesu Vertreibung der Händler aus dem Tempel den Startschuss für den allgemeinen Aufstand. Doch wie wir alle wissen, kommt es natürlich ganz anders. Der anschließende Verrat des Judas wird als Versuch interpretiert, Jesus doch noch zur messianisch-revolutionären Machtergreifung zu zwingen. Keine wirklich neue Idee. Auch hätte sie meiner Ansicht nach besser funktioniert, wenn der "Verräter" aus reinem eschatologischen Fanatismus handeln würde, und nicht, weil er seine verstorbene Frau und Tochter im Zuge der erhofften Auferstehung der Toten zurückbekommen will.**
    In der finalen Konfrontation zwischen Maria Magdalena und Petrus kommt der eigenartige Doppelcharakter des Streifens noch einmal sehr schön zum Ausdruck. Maria ist soeben als Erste dem Auferstandenen begegnet. Doch die frohe Botschaft stößt bei den Männern auf Unglauben. Petrus wird dabei zur metaphorischen Verkörperung der künftigen Kirche, die die Frau zum Schweigen verurteilt. Dazu passt jedoch nicht wirklich, dass es in der Auseinandersetzung zugleich noch einmal um den Charakter des Gottesreiches geht. Maria erklärt, das Reich sei angebrochen, denn es lebe "in ihnen". Dem hält Petrus entgegen, das die Welt nicht besser geworden sei, die Leidenden sind nicht erlöst, die Sklaven nicht befreit, die Hungernden nicht gesättigt.

    Glaubte der historische Jesus von Nazareth an den unmittelbar bevorstehenden Anbruch eines messianischen Friedensreiches auf Erden? Wer könnte das mit Gewissheit sagen. Sicher ist jedoch, dass die ersten Christen daran glaubten. Erst als das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Imperiums wurde, machten sich Leute wie Augustinus daran, die Lehre vom 1000jährigen Reich endgültig zu einer bloßen Metapher zu erklären. 
    Aber selbstverständlich macht es wenig Sinn, einen Bibelfilm auf seine historische Authentizität hin zu hinterfragen.*** Noch keiner von ihnen hat versucht, ein realistisches Bild dessen zu zeichnen, was sich unter der Statthalterschaft von Pontius Pilatus in Judäa abgespielt haben könnte. Darin besteht nicht der Sinn dieser Art von Filmen. Sie wollen eine Botschaft für heute vermitteln.
    Doch gerade unter diesem Blickwinkel betrachtet wirkt Maria Magdalena fast schon perfide. Der Film nutzt einen vermeintlich "feministischen" Ansatz, um eine im Kern extrem konservative Message rüberzubringen. Die Ideen von Revolution und aktivem Widerstand gegen Unterdrückung und Tyrannei, das Verlangen, die reale, materielle Welt gerechter gestalten zu wollen, werden als Ausdruck "männlicher" Aggressivität und Arroganz diffamiert. Und mit dem Munde Maria Magdalenas wird uns die quietistische Lehre vom "Nicht-Widerstehen-dem-Übel", von der inneren moralischen Reinigung des Einzelnen als der Weg zum Heil {und wohl irgendwie auch zu einer besseren Welt} gepredigt.
    So gesehen passt es ganz ausgezeichnet, dass der Streifen mit der Erklärung ausklingt, dass der Vatikan 2016 entschieden habe, Maria Magdalena in den Rang einer "Apostolin der Apostel" zu erheben. In der Tat passt er sehr gut zu der kosmetischen Auffrischung, die der reaktionäre Dinosaurier Katholische Kirche unter dem Pontifikat von Franziskus (Jorge Mario Bergoglio) erfahren hat. Man gibt sich einen "progressiven" Anschein, doch predigt weiter die alten Ideen.

    PS: Seit diesem etwas missglückten Kinobesuch habe ich u.a. Käthe Kollwitz' Zyklen Ein Weberaufstand und Der Bauernkrieg im Original gesehen, sowie Ziegen, Schafe und Esel gefüttert. Es geht aufwärts!



    * Es gab mal eins im Nachbardorf, aber das ist schon seit langem aufgegeben und beherbergt inzwischen ein türkisches Café. Auch nett, aber halt nicht wirklich ein Ersatz ...
    ** Allerdings war der letzte Abschied zwischen Maria und Judas am Tage nach der Kreuzigung eine der wenigen Szenen des Filmes, die ich irgendwie berührend fand.
    *** Etwas irritiert hat mich aber trotzdem, dass Jesus und seine Jünger Taufrituale durchführen, denn in dieser Frage sind sich die Evangelien einig: Jesus wurde zwar von Johannes getauft und erteilt den Jüngern nach seiner Auferstehung den Auftrag zur Taufe, doch der Nazarener selbst tauft nicht.

    Samstag, 10. März 2018

    Strandgut der Woche

    Freitag, 9. März 2018

    Willkommen an Bord der "Liberator" – S02/E07: "Killer"

    Ein Blake's 7 - Rewatch
     
    Nachdem wir mit Pressure Point und Trial zwei der bislang besten Episoden der zweiten Staffel und einen ersten dramatischen Höhepunkt präsentiert bekommen haben, ist es vielleicht nicht gar zu überraschend, dass wir uns diesmal mit schlichtem Mittelmaß begnügen müssen.  
    Killer hat durchaus seine Momente, aber allein der Umstand, dass ein Gutteil des Plots auf einer nicht eben unbedeutenden Ergänzung zum Weltenbau von Blake's 7 beruht, auf die die Serie nie wieder zurückkommen wird, ist denke ich ein Problem.
    Andererseits erfreut uns die Episode mit einigen der bizarrsten Kostüme, die wir bisher zu sehen bekommen haben. Und das will bei Blake's 7 schon einiges heißen. Dieser Auftritt des Michelin-Männchens ist da noch eines der harmloseren Beispiele.

    Das Drehbuch für Killer war der erste Beitrag von Robert Holmes zu Blake's 7. Der Dr. Who - Veteran, der eine prägende Rolle in der Ära des vierten Doctors Tom Baker gespielt hatte, war die erste Wahl als Script Editor für die Serie gewesen, hatte dieses Angebot aber abgelehnt und stattdessen Chris Boucher ins Spiel gebracht. Während seiner Zeit bei Doctor Who hatte Holmes sich den besonderen Zorn von Mary Whitehouse, der christlich-reaktionären Führerin der NVAL (National Viewers' and Listeners' Association), zugezogen, da die Show unter seiner Leitung düsterer, surrealer und morbider geworden war. In seinen eigenen Worten: "[T]he secret of good Doctor Who was to walk the line between 'Grand Guignol gothic horror on one side and Monty Python on the other'" Etwas davon findet sich auch in seinen Beiträgen zu Blake's 7. Was natürlich bloß für sie spricht.

    Der in Pressure Point und Trial begonnene Handlungsbogen wird vorerst nicht weitergeführt. Mit Ausnahme der von Avon entwickelten Tarnvorrichtung erinnert nichts in Killer an die unmittelbar vorangegangenen Ereignisse. Vielmehr ist die Crew der Liberator wieder einmal auf der Jagd nach einer Dechiffriermaschine, die es ihnen erlauben soll, die Kommunikation der Föderation abzuhören und ihren Verfolgern auszuweichen.
    Da trifft es sich ausgezeichnet, dass der technische Leiter einer halb-militärischen, halb-wisenschaftlichen Basis auf dem Planeten Fosforon ein Bekannter von Avon ist, bei dem unser zynisches Computergenie noch eine alte Schuld aus den Tagen ihrer gemeinsamen kriminellen Machenschaften einzutreiben hat. Nicht dass Tynus besonders glücklich wäre, als sein alter Kumpel plötzlich zusammen mit Vila in seinem Büro auftaucht. Aber wenn das Beschwören früherer Freundschaftsbande nicht ausreicht, um die gewünschte Kooperation zu erreichen, hat der gute Avon selbstverständlich keine Skrupel, mit ein wenig Erpressung nachzuhelfen.
    Zur selben Zeit entdeckt die Liberator ein uraltes Raumschiff von der Erde, das in der Nähe von Fosforon durchs All trudelt. Auch in siebenhundert Jahren sollte es das Ding eigentlich längst noch nicht bis hierher geschafft haben! Auch glaubt Cally, die Anwesenheit einer bösartigen Lebensform an Bord des Wracks spüren zu können. Als die Föderationsbasis ein Bergungsteam losschickt, fühlt sich Blake deshalb verpflichtet, eine anonyme Warnung zu übermitteln. Ohne Erfolg. Also beschließt er, sich selbst hinunter zu teloportieren. Schließlich gibt es genug Zeit, denn der Diebstahl der Deffrichiermaschine wird einige Stunden in Anspruch nehmen. {Und nein, es macht keinen Sinn, dass Blake sich einfach in die Basis teleportieren kann, während Vila und Avon den Umweg über die Abwasserkanäle nehmen mussten}.
    Der wissenschaftliche Leiter der Station, Dr. Bellfriar, erweist sich als ein äußerst umgänglicher Zeitgenosse, was sich auch dann nicht ändert, als ihm bewusst wird, dass sein eigentümlicher Gast der meistgesuchte "politische Verbrecher" der Föderation ist. {Es wird angedeutet, dass der brillante Forscher sich absichtlich auf diese gottverlassene Station hat versetzen lassen, weil ihm das ewige Intrigenspiel auf der Erde über war.} Doch als der mumifizierte Leichnam aus der antiken Raumkapsel während seiner Obduktion plötzlich für ein paar Minuten zum Leben erwacht, und sich wenig später eine tödliche Seuche auf der Basis auszubreiten beginnt, sieht die Lage gar nicht mehr so nett aus. Und dass Tynus selbstverständlich die erste sich bietende Gelegenheit genutzt hat, um seinen "alten Freund" Avon zu verraten und Servalans Hauptquartier zu alarmieren, verbessert die Situation auch nicht gerade.

    Ich weiß wirklich nicht viel über diese Episode zu sagen.
    Der Auftritt der Monstermumie aus dem Weltall ist sehr nett, und dass die Seuche trotz aller Bemühungen Bellfriars und Blakes nicht eingedämmt oder kuriert werden kann, gibt Killer eine hübsch düstere Note. {Allerdings fragt man sich schon, warum Blake und Genossen scheinbar immun gegen die Krankheit sind.} Auch ist es immer wieder erfreulich, wenn die Serie uns zeigt, dass die Föderation nicht bloß aus Bösewichtern besteht.
    Die Idee, dass es sich bei dem Virus um eine biologische Waffe handelt, die von irgendeiner geheimnisvollen Zivilisation entwickelt wurde, um zu verhindern, dass die Menschheit sich über ihren Heimatplaneten hinaus ausbreitet, ist an sich nicht uninteressant. {Freilich bleibt die Frage, warum die Schöpfer dieser Waffe keine anderen Versuche unternommen haben, um ihr Ziel zu erreichen, hat der Virus-Trick doch offensichtlich nicht wirklich funktioniert.} Leider jedoch hatten wir zuvor noch nie etwas von dem interstellaren Bermuda-Dreieck gehört, in dem besagte Zivilisation vermutlich beheimatet ist. Und natürlich werden wir auch später nie wieder etwas darüber zu hören bekommen.
    Ich bin ja durchaus ein Freund der heute so gänzlich aus der Mode gekommenen Form des episodischen Fernsehens. Aber hier zeigt sich doch sehr deutlich einer der Schwachpunkte des Formats.

    Sonntag, 4. März 2018

    Auf nach Pellucidar!

    Freundinnen & Freunden des britischen Horrorfilms dürfte Amicus Productions in erster Linie als Hammers großer kleiner Nebenbuhler und Geburtsstätte zahlreicher Portmanteau-Streifen wie Dr. Terror's House of Horrors (1965), Torture Garden (1967), The House That Dripped Blood (1970), Asylum (1972), Tales From The Crypt (1972), The Vault of Horror (1973) und From Beyond The Grave (1974) bekannt sein.* Doch ganz wie ihr großer Konkurrent musste sich auch die Firma von Milton Subotsky und Max Rosenberg nach Alternativen umschauen, als der klassische Brit-Horror in der ersten Hälfte der 70er Jahre allmählich auf sein Totenbett sank.
    Allgemein gilt das Jahr 1973 als der ultimative Wendepunkt und The Exorcist als der Film, der dem stilvoll-dekadenten Horror der 60er Jahre, wie ihn nicht nur die Briten, sondern auch American International Pictures (AIP) verkörpert hatten, den Todesstoß versetzte. Während Friedkins Schocker mit einem Einspielergebnis von $66,3 Mio. 1974 zum zweiteinträglichsten Film auf dem amerikanischen Markt wurde, produzierte Amicus mit Madhouse und The Beast Must Die seine letzten Horrorstreifen {wenn man von dem bizarren Nachzügler Monster Club [1981] einmal absieht, der aber eher für ein jüngeres Publikum gedacht war}.
    Beide Filme lassen etwas von dem Wandel im Genre erahnen, mit dem Amicus zu ringen hatte. Madhouse  eine von zahlreichen Problemen belastete Koproduktion mit AIP {was das Mitwirken von Vincent Price erklärt} lässt sich als eine Art Metakommentar auf denselben interpretieren, wie ich vor Zeiten in meinem Count Yorga - Post beschrieben habe. The Beast Must Die wiederum ist in seiner kuriosen Mixtur aus Werwolfflick,  Whodunit und Blaxploitation garniert mit dem William Castle - mäßigen Gimmick der "Werewolf Break"** – ein deutlicher Versuch, dem Genre neue Facetten abzugewinnen, ohne der inzwischen in Mode gekommenen Tendenz zu mehr Gore und Sex zu folgen, die Milton Subotsky gar nicht behagte.***
    Letztenendes suchte Amicus sein Heil aber in anderen Gefilden. 
    Mitte der 60er Jahre hatte die Firma die beiden Dr. Who - Filme mit Peter Cushing produziert {Dr. Who and the Daleks [1965] und Daleks – Invasion Earth: 2150 A.D. [1966]}. Das Ende des "klassischen" Horrors vor Augen, beschlossen Subotsky und Rosenberg nunmehr, sich erneut SciFi und Fantasy zuzuwenden. Zur Vorlage nahmen sie sich dafür Werke des Genre-Altmeisters Edgar Rice Burroughs. Heraus kam dabei eine äußerst charmante Trilogie von Filmen voller phantastischer Abenteuer und liebenswerter Gummimonster: The Land That Time Forgot (1975), At the Earth's Core (1976) und The People That Time Forgot (1977).
    Da Amicus' finanzielle Ressourcen ganz sicher nicht ausgereicht hätten, die exotischen Welten von Caprona und Pellucidar zum B-Movie-Leben zu erwecken, tat man sich erneut mit AIP zusammen, die unter der alleinigen Leitung von Samuel Z. Arkoff dem Horrorgenre inzwischen gleichfalls weitgehend den Rücken gekehrt hatten. Den Amerikanern war es auch zu verdanken, dass Doug McClure mit an Bord kam, der in allen drei Filmen die Hauptrolle spielte. Die Regie der Trilogie übernahm Kevin Connor, der sein Debüt ein Jahr zuvor in Amicus' letzter "echten" Horror-Anthologie From Beyond The Grave (1974) hatte feiern können.

    Bei The Land That Time Forgot war Amicus ein echter Geniestreich gelungen, als man zur Erarbeitung des Drehbuchs Michael Moorcock engagierte. Ich bin überzeugt davon, dass wir es in erster Linie dem alten Anarchisten zu verdanken haben, dass Burroughs' Story in einigen wichtigen Punkten eine humanistische Aufbesserung erfuhr, ohne dabei etwas von ihrem Pulp-Charme einzubüßen, wie ich vor einer halben Ewigkeit  in diesem Post ausgeführt habe.
    Vergleichbares lässt sich über At the Earth's Core zwar nicht sagen, doch tut dies dem Spaß keinen Abbruch, den man mit mit diesem Flick haben kann.
    Verglichen mit dem ersten Caprona-Abenteuer kommt der Abstecher in die Hohlwelt von Pellucidar sehr viel lockerer und humorvoller daher. Sicher kein Film, der einen tief berühren wird, aber dafür altmodisch-fröhlich-farbenfroher Eskapismus. Und dass dem guten Doug McClure in seinem Kampf gegen telepathisch begabte Dino-Papageien Peter Cushing und Caroline Munro zur Seite stehen, lässt den Film zumindest für mich sofort noch ein paar Rangstufen höher klettern. 

    TRAILER
         
    Der englische Ingenieur Dr. Abner Perry (Peter Cushing) und sein amerikanischer Finanzier David Innes (Doug McClure) haben eine gewaltige, bemannte Bohrmaschine entwickelt, die den Bergbau zu revolutionieren verspricht. 
    Die Jungernfahrt beginnt mit Champagner und Blaskapelle, nur um schon bald eine katastrophale Wendung zu nehmen, als sich herausstellt, dass es unmöglich ist, den Eisernen Maulwurf von seinem vertikalen Kurs abzubringen. Das Gefährt bohrt sich unaufhaltsam immer tiefer in die Erde. Doch statt in glühender Magma zu enden, landen die beiden schließlich in der von bizarren Urzeitmonstern, neckischen Riesenpilzen und -farnen, Steinzeitmenschen und orkartigen Sagoths bevölkerten Hohlwelt Pellucidar. 
    Es dauert nicht lange, und schon sind sie Teil einer Sagoth-Sklavenkarawane und auf dem Weg zur Metropole der Mahars, jener schon erwähnten Dino-Papageien, die über Pellucidar herrschen. Unterwegs erhält man die Gelegenheit, dem Duell zweier putziger Ungeheuer beizuwohnen, und David findet außerdem noch Zeit, sich in die hübsche Mitgefangene Dia (Caroline Munro) zu verlieben, nur um sich beinah im selben Augenblick ihren unversöhnlichen Zorn zuzuziehen, da er mit Pellucidars Sitten nicht vertraut ist. Zugleich macht er sich den feige-verräterischen Hoojah the Sly One (Sean Lynch) zum Feind.
    In der von gewaltigen Lavaströmen durchzogenen unterirdischen Stadt der Mahars werden unsere Helden erst Zeuge der telepathischen Macht der grotesken Flügelechsen, doch dann entdeckt Perry bei seiner Arbeit im herrschaftlichen Archiv zufällig deren große Schwachstelle. Worum genau es sich dabei handelt, bleibt im Film seltsam verschwommen, aber bevor wir uns darüber gar zu viele Gedanken machen können, ist David auch schon die Flucht aus der Metropole gelungen. Wieder in Freiheit begegnet er dem stolzen Krieger Ra (Cy Grant), mit dem er trotz einer anfänglichen Prügelei Freundschaft schließt, nachdem er ihn vor einer wunderhübschen freischfressenden Pflanze gerettet hat. 
    Nach einigen weiteren Abenteuern, zu denen auch Davids Arenakampf gegen ein Urzeitmonster gehört, dem Wiederauftauchen Dias und der Befreiung Perrys, machen sich unsere Helden daran, die Stämme Pellucidars zu vereinen und in den großen Endkampf gegen die Mahars zu führen.

    Alles in allem hält sich der Film erstaunlich eng an seine literarische Vorlage. Wenn man vom finalen Sturm auf die Stadt der Mahar absieht, wird man für beinahe jede Szene ein Äquivalent in Burroughs' Roman finden können, auch wenn diese stets einer mehr oder weniger starken Veränderung unterzogen wurden. So ist es im Roman z.B. nicht David, der in der Arena kämpfen muss, sondern ein namenloses Sklavenpaar; es gibt keine Lavaströme in der Stadt der Mahars und deren "großes Geheimnis" schaut deshalb auch weit weniger spektakulär aus; Ra {der bei Burroughs Ja heißt} wird nicht von einer dämonischen Monsterpflanze, sondern von einer riesigen Seeschlange {oder einem Plesiosaurus?} bedroht usw.
    Sehr nett in diesem Zusammenhang ist die Szene, in der David auf einem schmalen Felsgrat Dia wiedertrifft. Im Buch werden die beiden von einem Pterodactylus angegriffen, und natürlich darf unser Protagonist sofort in die Rolle des heroischen Retters seiner Angebeten schlüpfen. Im Film hingegen dürfen wir uns an dem Auftritt einer feuerspeienden Riesenkröte delektieren, und es ist nicht David, der das Ungeheuer zur Strecke bringt, sondern der alte Doc Perry, der seinen Steinzeitbogen mit großer Akkuratess und sichtlichem Vergnügen zu handhaben versteht.

    Von allen Figuren unterscheidet sich Abner Perry sicher am stärksten von seiner Vorlage. Der religiöse Fanatismus des im Buch natürlich amerikanischen Ingenieurs ist gänzlich gestrichen worden, und stattdessen präsentiert sich uns Doc als der typische exzentrische Professor – sehr britisch-viktorianisch {"You can't mesmerize me. I'm British!"}; stets auf Höflichkeit und das Wahren der Form bedacht {sein Regenschirm scheint ihm sein wichtigstes Besitztum zu sein}; etwas weltfremd, zerstreut und voller Enthusiasmus {mitten während der Flucht aus der Mahar-Stadt fragt er David plötzlich: "What would you think of going to the moon?"}; alles in allem völlig ungeeignet für die Abenteuer, in die er verwickelt wird. Peter Cushing hatte offensichtlich großen Spaß mit der Rolle, in der er zur Abwechselung einmal sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen konnte.

    Dass Caroline Munros Rolle in der Story ziemlich unbedeutend ist, werde sicher nicht nur ich bedauern. Der Fairness halber muss allerdings hinzugefügt werden, dass Dia in Burroughs' Roman noch blasser rüberkommt als in der Filmvariante. Milton Subotsky, der auch das Drehbuch verfasste, hat zumindest versucht, sie etwas aufzuwerten. Dennoch bleibt sie mehr oder weniger in den Klischees von "Love Interest" und "Damsel in Distress" gefangen. Caroline Munro mag nicht die brillanteste Schauspielerin aller Zeiten sein, aber sie besitzt eine leidenschaftliche Austrahlung, die es jedesmal zu einem Vergnügen macht, sie auf der Leinwand {oder dem Bildschirm} zu sehen. Und wie Ryan Harvey in seiner Besprechung des Filmes schreibt: " It helps that Munro looks like she broke free from a Frank Frazetta painting. Few actresses are so visually suited for Burroughs she could’ve hammered down the part of Dejah Thoris if A Princess of Mars were filmed at the time." Ein Jammer, dass ihr in At the Earth's Core kaum Gelegenheit gegeben wird, ihr Charisma voll zu entfalten.

    Ras Rolle in der Geschichte ist gegenüber der Romanvorlage deutlich ausgebaut worden.
    Bei Burroughs ist der Jäger Teil einer längeren Abschweifung von der Haupthandlung, die der ursprünglichen Story hinzugefügt wurde, um die geforderte Wortzahl zu erreichen. Der Autor hatte zuerst versucht, seine Hohlweltgeschichte in John S. Phillips' respektablerem American Magazine unterzubringen, wenn auch mit geringer Hoffnung auf Erfolg: "[I] is so wildly ridiculous that I am quite sure you would not care for it." Diese Einschätzung bestätigte sich rasch, und so wandte Burroughs sich erneut dem bewährten Pulp-Markt zu. Dazu allerdings musste er At the Earth's Core von ca. 30.000 Wörtern auf Romlänge aufstocken.
    Im Film ist Ra der engste Verbündete von David, Perry und Dia in ihrem Kampf gegen die Mahars. Ihm gelingt es als erstem, einen der monströsen Tyrannen Pellucidars zu töten, und zusammen mit Gakh the Hairy One (Godfrey James) spielt er eine zentrale Rolle bei der Vereinigung der Stämme.
    Sympathischerweise erscheint diese Vereinigung im Film ausschließlich als Teil eines gemeinsamen Befreiungskampfes. Anders als bei Burroughs träumt David Innes hier nicht in kolonialistischer Manier davon, sich mit Hilfe der Technik der Oberwelt zum Kaiser von Pellucidar aufzuschwingen – was er dem frommen Perry gegenüber sogar als die Erfüllung einer göttlichen Mission verkauft.

    Die Ja/Ra - Kapitel enthalten eine der beeindruckendsten Szenen in Burroughs' Roman:
    Die Mahars versammeln sich zu einer ihrer religiösen Zeremonien in einem abgelegenen Tempel, dessen Innenraum aus einem künstlichen See besteht. Mit Hilfe ihrer telepathischen Kräfte zwingen sie menschliche Opfer dazu, immer wieder durch das Gewässer zu marschieren, wobei sie für längere Zeit vollständig untertauchen müssen. Und stets, wenn sie wieder an die Oberfläche kommen, fehlt ihnen ein weiterer Teil ihres Körpers. Auf diese Weise werden die willenlos gemachten Menschen nach und nach von den im Buch amphibischen Flugechsen aufgefressen. Ein wirklich verstörendes Szenario.
    Eine vergleichbare Opferzeremonie gibt es zwar auch im Film, aber natürlich ohne künstlichen See und ohne das makabre Schauspiel einer schrittweisen Verstümmelung willenloser Opfer. So etwas hätte kaum zum lockeren Ton des Filmes gepasst. Auch wäre das Budget für solche Extravaganzen kaum ausreichend gewesen.

    Solange sie bloß stumm und finster auf ihren Felsvorsprüngen hocken, und nicht an Drähten befestigt durch die Lüfte segeln, sind die Mahars durchaus passable Bösewichter. Recht wirkungsvoll ist, dass jeder Einsatz ihrer hypnotischen Kräfte von einem schrillen Ton und dem Glühen der Augen begleitet wird.
    Etwas schade ist es allerdings schon, dass wir anders als im Buch nichts über ihre Geschichte und Kultur erfahren. Bei Burroughs sind die Flügelechsen nämlich nicht bloß grausliche Ungeheuer. Von allen Völkern Pellucidars sind sie ohne Zweifel zivilisatorisch am fortgeschrittensten, weshalb Perry sich auch zuerst dagegen sträubt, einige von ihnen kaltblütig zu ermorden. Die weiblichen Vertreter der Spezies haben sich vor Zeiten als überlegen erwiesen, und mit Hilfe eugenischer und biochemischer Forschungen ist es ihnen schließlich gelungen, eine Methode der künstlichen Fortpflanzung zu entwickeln, woraufhin sie die Männchen zum Aussterben verurteilt haben.**** Das ist das "große Geheimnis" {und die Achillesferse} der Mahars. Die perverse "religiöse" Zeremonie, die David beobachtet, erklärt sich wiederum daraus, dass den Echsen ein unstillbares Verlangen nach Menschenfleisch innewohnt, dieser Trieb von ihnen jedoch als beschämend empfunden wird, weshalb sie seine Befriedigung in das Gewand eines okkulten Rituals gekleidet haben.
    Doch vermutlich hätten solche Details angesichts der simplen Geschichte, die der Film erzählen will, bloß unnötigen Ballast dargestellt.

    Dasselbe gilt wohl auch für die faszinierendste Eigenheit von Burroughs' Pellucidar, die der Film nur einmal am Rande kurz berührt. Da die Sonne der Hohlwelt {bei der er sich in Wirklichkeit um den glühenden Erdkern handelt} stets im Zenit steht und es keine Nacht gibt, ist den Bewohnern von Pellucidar das Prinzip Zeit fremd, denn es gibt für sie ja keine natürliche Möglichkeit, deren Ablauf zu messen. Auch David und Perry verlieren bald jedes annähernd genaue Zeitgefühl. Doch Burroughs geht noch weiter. Er stellt die Frage, ob Zeit unter diesen Verhältnissen überhaupt ein objektiv existierender Faktor ist. Die Erzählung deutet mehrmals an, dass dem nicht so ist. So etwa, wenn David nach seinen langen Abenteuern mit Ja/Ra in die Stadt der Mahars zurückkehrt und dort von einem Perry begrüßt wird, der davon überzeugt ist, erst vor wenig mehr als einer Stunde von seinem Gefährten getrennt worden zu sein. In sich schlüssig ist das Ganze sicher nicht, aber es verleiht Burroughs' Hohlwelt einen ganz eigenen, leicht surrealen Charakter.
    Davon hat sich im Film nur wenig erhalten. Ganz allgemein wirkt Pellucidar hier eher wie ein Verwandter der unterirdischen Welten aus Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde.

    Doch all das stört mich nur wenig. Dazu ist der altmodische Charme dieser im Studio erschaffenen phantastischen Welt mit ihren neckischen Riesenpilzen, schweinsgesichtigen Sagoths und prachtvollen Matte-Paintings, ihrer leicht violetten Beleuchtung und ihren famosen Gummimonstern einfach zu groß. Der Feuervorhang in der Mahar-Stadt ist sogar ein recht beeindruckender Effekt und neben dem wunderbar steampunkigen Eisernen Maulwurf sicher eines der Highlights des Streifens.

    At the Earth's Core ist der liebenswerte Vertreter einer Abart des phantastischen Films, die es fast gar nicht mehr zu geben scheint. Praller, farbenfroher, fantasievoller, abenteuerlicher Nonsense, der sich selbst nicht übermäßig ernst nimmt und nur ein Ziel verfolgt: Spaß zu machen. Ich finde, davon könnten wir auch heute wieder etwas mehr gebrauchen.   




    * Das Format war dem Vorbild des britischen Horrorklassikers Dead of Night (1945) entlehnt, und einige der Filme bezogen ihre Inspiration außerdem aus den legendären E.C.-Comics.
    ** Chris Brown spricht in einer Episode seines Last Horror Podcast über William Castle und The Art Of The Movie Gimmick.
    *** Vgl. Episode 16 des Exploding Helicopter Podcasts, in der Hypnobobs Mr. Jim Moon zu Gast ist, um über The Beast Must Die zu reden.
    **** Ich wüsste zwar nicht, dass es dafür konkrete Belege gibt, aber könnte Burroughs hier Mary E. Bradley Lanes feministisch-rassistische Utopie Mizora (1880/81) parodiert haben? Schließlich handelt es sich bei dieser gleichfalls um eine Hohlweltgeschichte, in der eine monogeschlechtliche Gesellschaft beschrieben wird, die allerdings aus eugenisch herangezüchteten, ultra-arischen Blondinen besteht. 

    Samstag, 3. März 2018

    Strandgut der Woche