"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 13. Februar 2013

Amicus, Edgar Rice Burroughs & Michael Moorcock

Als sich die legendäre englische Filmproduktionsfirma Amicus Productions Mitte der 70er Jahre plötzlich dem Werk des alten Pulp-Meisters Edgar Rice Burroughs zuwandte, stellte dies vermutlich einen Versuch dar, sich aus den zunehmend unprofitabel erscheinenden Gefilden des Brit-Horrors zurückzuziehen und sich einen neuen, gewinnversprechenderen Markt zu eröffnen. Spätestens seit dem gewaltigen internationalen Erfolg von The Exorcist (1973) schien das Schicksal des bereits zuvor kränkelnden Genres endgültig besiegelt zu sein, und Amicus' Versuch, mit Madhouse (1974) der Entwicklung hin zu mehr Blut und expliziter Gewalt nachzueifern, war aus verschiedenen Gründen gescheitert.* Andererseits hatte die Firma sich nie ausschließlich auf Horror beschränkt. So war sie z.B. Mitte der 60er Jahre für die Produktion der beiden Dr. Who - Kinofilme mit Peter Cushing verantwortlich gewesen. Sich erneut einer familienfreundlicheren Form der Phantastik zuzuwenden, erschien Subotsky und Rosenberg deshalb vermutlich naheliegend.
Erstaunlicherweise hatte von Edgar Rice Burroughs' Kreationen bisher eigentlich nur Tarzan seinen Weg auf die Leinwand gefunden – angefangen mit dem ungeheuer erfolgreichen Tarzan of the Apes von 1918 und den Johnny Weissmueller - Flicks der 30er & 40er Jahre, die bis heute das populäre Bild des Herrn des Dschungels prägen. Dabei hätte dessen umfangreiches Oeuvre findigen Filmproduzenten eigentlich als eine wahre Goldgrube erscheinen müssen, und als man bei Amicus nun ERB's 1918 erschienene Story The Land That Time Forgot hervorkramte, war den Verantwortlichen offenbar auf Anhieb klar, dass sie den idealen Stoff für einen phantastischen Abenteuerfilm in Händen hielten. Das größte Problem stellte die Finanzierung dar. Für sich alleine hätte Amicus unmöglich das Budget aufbringen können, das nötig erschien, um den von Sauriern und Affenmenschen bevölkerten Kontinent Caprona in die Kinowirklichkeit zu übertragen. Also handelte man eine Kooperation mit American International Pictures aus, mit denen man zuvor bereits bei Madhouse zusammengearbeitet hatte. In der amerikanischen Schlock-Schmiede war man inzwischen gleichfalls zu der Überzeugung gelangt, dass der Horrorboom der 60er Jahre, als Roger Cormans Poe-Adaptionen mit Vincent Price AIPs ertragreichste Produkte gewesen waren, sein Ende erreicht hatte. Unter der Leitung von Samuel Z. Arkoff hatte man sich verstärkt der Produktion von Filmen wie Martin Scorseses Boxcar Bertha (1972) oder der legendären Blaxploitation-Flicks Blacula (1973) und Foxy Brown (1974) zugewandt. Eine Edgar Rice Burroughs - Adaption schien Arkoff jedoch offenbar gleichfalls eine vielversprechende Idee zu sein. Neben dem nötigen Geld steuerte AIP vor allem seinen Action-Star Doug McClure zu dem Projekt bei.

Zuvor hatte man natürlich auch noch die Filmrechte an der Story erwerben müssen. Dabei hatten Edgar Rice Burroughs' Erben ihr Einverständnis an die Bedingung geknüpft, dass es sich um eine vorlagengetreue Verfilmung handeln müsse. Als es daran ging, einen Drehbuchautor zu finden, der diese Transformation bewerkstelligen sollte, landete Amicus einen wahren Geniestreich: Man engagierte Michael Moorcock.
Der SF- und Fantasyautor hat seine Pulpwurzeln nie verleugnet und mehr als einmal seiner großen Liebe zu Edgar Rice Burroughs Ausdruck verliehen. Bevor er mit eigenen Werken und als Herausgeber von New Worlds seinen Beitrag zum Durchbruch der "New Wave" leistete, hatte er sich seine literarischen Sporen u.a. als Herausgeber von Tarzan Adventures verdient (und das im Alter von siebzehn Jahren!). Hätte man einen besseren Kandidaten für den Job finden können?

Als ich mir angeregt von Jim Moons The McClure Quartet kürzlich wieder einmal The Land That Time Forgot anschaute, begann ich mich zu fragen, wie groß genau Moorcocks Anteil an der Geschichte wohl war, die sich da vor meinen Augen entfaltete. Vor allem die sympathisch humanen und fortschrittlichen Züge des Films schienen mir sehr deutlich die Handschrift des alten Anarchisten zu verraten. Also beschloss ich, zum Vergleich das Original zu lesen.**

Abgesehen von dem kataklysmischen Finale, bei dem ein Großteil Capronas der Zerstörung durch einen Vulkanausbruch anheimfällt (eine altbewährte Methode zur Entsorgung Verlorener Welten), hält sich Kevin Connors Film im Großen und Ganzen tatsächlich recht eng an seine literarische Vorlage.


Im Jahr 1916 wird ein englisches Passagierschiff im Atlantik von einem deutschen U-Boot unter dem Kommando von Kapitän Von Schoenvorts (John McEnery)*** torpediert und versenkt. An Bord befinden sich u.a. der Amerikaner Bowen Tyler (Doug McClure) und die junge Lisa Clayton (Susan Penhaligon). Die überlebenden Briten kapern unter Tylers Führung das U-Boot. Es gelingt ihnen jedoch nicht, wie geplant zu einem englischen Hafen zu fahren, stattdessen landen sie nach Meutereien und Kontermeuterein schließlich in der Antarktis, wo sie auf den von unüberwindlichen Klippen umgebenen legendären Kontinent Caprona stoßen. Nach der riskanten Fahrt durch einen unterseeischen Kanal taucht das U-Boot inmitten einer tropischen, von urzeitlichen Tieren und neandertalerartigen Höhlenmenschen bevölkerten Welt auf. Briten und Deutsche beschließen, ihre Animositäten erst einmal beizulegen, und gemeinsam den Gefahren dieser fremden Welt zu trotzen und einen Weg zu suchen, um in die Zivilisation zurückzukehren. Dabei kommt es nicht nur zu einigen recht unfreundlichen Begegnungen mit diversen Dinosauriern, unsere Helden entdecken außerdem, dass die Evolution auf diesem mysteriösen Eiland recht seltsame Wege beschritten hat. Offenbar werden die meisten Lebewesen hier in ihrer primitivsten Form geboren, um im Laufe ihres Lebens sukzessive alle weiteren Entwicklungsstufen zu durchlaufen und dabei gleichzeitig immer weiter ins Inland abzuwandern. Dies zeigt sich vor allem an den unterschiedlichen Menschenrassen, denen Tyler, Lisa und Von Schoenvorts während ihrer Expeditionen begegnen.

Eine ähnlich knappe Zusammenfassung von Edgar Rice Burroughs' Roman würde nicht viel anders klingen. Der auffälligste Unterschied wäre, dass die Protagonistin dort Liz La Rue heißt. Und doch sind Michael Moorcocks Eingriffe überdeutlich, insbesondere was die Zeichnung der Charaktere Lisa und Von Schoenvorts angeht.
Der U-Boot-Kapitän ist bei ERB eine durch und durch unsympathische Figur, die in vielen Punkten dem von der damaligen amerikanischen Kriegspropaganda gezeichneten Bild der "Bestie von Berlin" entspricht.**** Der preußische Aristokrat ist arrogant, brutal und verräterisch. Völlig anders im Film. Dort erweist sich Von Schoenvorts als zivilisiert, gebildet und außergewöhnlich ehrenhaft. Er ist es, der als erster eine Kooperation zwischen Briten und Deutschen vorschlägt, und er ist es auch, der zusammen mit Lisa dem biologischen Geheimnis von Caprona auf die Spur kommt.
Und während Liz in erster Linie die Rolle von Tylers "unsterblicher Liebe" und der "damsell in distress" zu spielen hat, erweist sich ihr Gegenstück Lisa – wunderbar verkörpert von Susan Penhaligon – nicht nur als mutig und selbstständig, sondern auch als eine äußerst kompetente Wissenschaftlerin.

Was mir an Moorcocks Umgang mit seiner Vorlage besonders gut gefällt, ist, dass er der Geschichte einen humaneren und fortschrittlicheren Geist einhaucht, ohne dabei ihren pulpigen Charme zu zerstören. Auch seine Version von The Land That Time Forgot ist vor allem eine spannende Abenteuerstory mit U-Booten, Faustkämpfen, Verlorenen Kontinenten, Dinosauriern und Affenmenschen. Nationaler Chauvinismus und sexistische Klischees sind kein Muss für solch ein Pulp-Adventure. Sie lassen sich ebenso leicht entfernen, wie der anarchistische Saboteur und die rassistischen Bemerkungen über die "negroiden" Züge der primitiven Urmenschen, denen wir in Edgar Rice Burroughs' Roman begegnen. Ja, man kann sie sogar ersetzen durch die "Botschaft" einer alles Misstrauen und alle nationale Feindschaft überwindenden menschlichen Solidarität, ohne dass man die Geschichte deshalb in ein politisches Lehrstück oder eine "Dekonstruktion" verwandeln müsste. Ein wenig erinnert mich das an Moorcocks Umgang mit der Sword & Sorcery in seinen frühen Elric-Romanen. Die Geschichten um den tragischen Albinofürsten von Melniboné stellen natürlich sehr viel deutlicher einen kritischen Gegenentwurf zu den Konventionen des Genres dar, aber auch sie sind zugleich Ausdruck der Liebe des Autors zu dessen Pulp-Wurzeln. Zumindest zu jener Zeit war Moorcocks kritischer Blick noch kein Blick von oben herab. So jedenfalls mein Eindruck. Er war vielmehr der Blick eines Fans, der weder bereit war, seine Augen vor den eher unappetitlichen Elementen in der "klassischen" Phantastik zu verschließen, noch deshalb gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Eine Einstellung die mir ausgesprochen sympathisch ist.    


* Jim Moon berichtet ausführlich über die unglücklichen Umstände, unter denen dieser Streifen entstand, in Episode 34 von Hypnobobs: You Only Live Price.
** IMDB führt als zweiten Drehbuchautor James Cawthorn an. Wie groß dessen Anteil an dem Script war, entzieht sich jedoch leider meiner Kenntnis. Allerdings hat Moorcock mehrfach betont, dass die letzten zwanzig Minuten des Films mit dem vulkanischen Finale nicht aus seiner Feder stammten. Im Umkehrschluss darf man wohl annehmen, dass der Rest seinen Intentionen entpspricht.
*** Die Stimme, die wir zu hören bekommen, gehört allerdings nicht McEnery, sondern dem aus Deutschland stammenden Anton Diffring, Liebhabern des phantastischen Kinos vermutlich vor allem als Fabian in François Truffauts Fahrenheit 451 bekannt.
**** Als Beispiel für diese antideutsche Hetze, deren Spuren wir nebenbei bemerkt auch noch in H.P. Lovecrafts 1920 verfasster Kurzgeschichte The Temple finden können, möchte ich rasch George Sterlings Gedicht Germany on the Seas zitieren. Ganz einfach, weil es mir so wunderbar zu The Land That Time Forgot zu passen scheint:

What monsters of the mythologic den
    Shall match the horror of the Hun at sea ?
    The frozen blood congeals, then, leaping free,
Goes furious on its outraged course again.
This is the work of devils, not of men!
    By this they do, know now that man may be
    Deeper below the beast than ever we
Have soared above the reptiles of the fen.

They do this open-eyed. This is their plan,
    Tho all the world go sick with qualms of it.
Such savageries do men devise for man,
        Conscious and nothing loth, as tho Hell's slime
    Took form to do the bidding of the Pit –
        A stench upon our days and ways of Time!

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