Im Jahre 1911 beschloss ein
fünfunddreißigjähriger Vertreter für Bleistiftanspitzer, es nach
dem Scheitern einiger anderer Geschäftsideen einmal als Autor für
Pulp-Magazine zu versuchen. Sein Gedankengang war ebenso simpel wie bestechend:
I had gone thoroughly through some of the all-fiction magazines and I made up my mind that if people were paid for writing such rot as I read I could write stories just as rotten.
Ein Jahr später erschien die erste
Geschichte aus seiner Feder in serialisierter Form auf den Seiten des
Magazins The All-Story und veränderte für immer das Antlitz der
SciFi- und Abenteuerliteratur. Ihr Titel war A Princess of Mars*, der
Name ihres Verfassers: Edgar Rice Burroughs.
Wie groß Burroughs' Einfluss gewesen ist, zeigte sich 2012 auf ironische Weise beim Erscheinen der John Carter of Mars - Verfilmung. Auf viele wirkte der Streifen klischeehaft und unoriginell. Was natürlich daran lag, dass die ihm zugrundeliegenden Barsoom - Romane zahllose Konventionen und Klischees des Genres überhaupt erst geschaffen haben. So gesehen war die Kritik zugleich unfair und nachvollziehbar.
Doch um ERB soll es heute eigentlich gar nicht gehen. Wenn ich meinen Post trotzdem mit ihm begonnen habe, so weil A Princess of Mars als der erste Vertreter eines Subgenres der Science Fiction gilt, das man gemeinhin als "Planetary Romance" bezeichnet. Anders als in der "Space Opera", die anderthalb Jahrzehnte später von Leuten wie E.E. "Doc" Smith geprägt wurde, bleibt der Handlungsschauplatz hier ganz auf die Oberfläche eines Planeten beschränkt. Bei vielen frühen Vertretern des Subgenres wie den Barsoom - Büchern gelangt der irdische Held mittels Astralreise oder ähnlicher mystisch-magischer Tricks auf diese fremde Welt, so dass auf Raumschiffe und vergleichbares technisches Spielzeug sogar ganz verzichtet werden kann. Aber auch wenn sich dies später ändert, bleibt die Welt interplanetarischer Raumflüge doch meist ganz im Hintergrund und hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die eigentliche Handlung, die zumindest bei Burroughs und seinen unmittelbaren Nachfolgern den Charakter typischer Swashbuckler-Abenteuer besitzt.
Als die achtjährige Leigh Brackett 1924 Burroughs' zweiten Barsoom - Band The Gods of Mars in die Finger bekam, war dies der Beginn einer lebenslangen Liebesbeziehung zum Genre. Sie selbst hat es später einmal so ausgedrückt:
Das im Winter 1939 erstmals erschienene Magazin bezahlte seine Autoren & Autorinnen selbst für die Verhältnisse auf dem Pulp-Markt außergewöhnlich schlecht. Und natürlich war es ganz allgemein nicht gerade leicht, in diesen Jahren als reiner SciFi-Autor wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Von familiärer Seite erhielt Leigh Brackett keinerlei Unterstützung. Dort dachte man, wenn sie sich schon als Schriftstellerin versuchen wollte, könnte sie doch wenigstens Geschichten für das Ladies Home Journal schreiben, und nicht für diese fürchterlichen Pulps. Dazu jedoch besaß sie nicht die geringste Neigung, und als sie aus finanziellen Beweggründen tatsächlich daran ging, es auch einmal in anderen Genres zu versuchen, fiel ihre Wahl auf etwas, was ihrer Sippschaft noch sehr viel weniger gefallen haben dürfte: Sie schrieb eine "hard-boiled detective story" im Stile von Raymond Chandler und Dashiell Hammett
Im Jahre 1944 veröffentlicht, war No Good from a Corpse Leigh Bracketts erstes Werk, das in Buchform erschien. Für ihre weitere Karriere am wichtigsten war ohne Zweifel, dass sich ihr damit die Tür zu Hollywood öffnete. Genau genommen hatte sie ihre ersten Aufträge als Drehbuchschreiberin für Republic Pictures zwar ihrem Agenten Hugh King zu verdanken. Das Studio war bemüht, verspätet auf die zweite große Horrorwelle, die 1938 von den legendären Dracula-Frankenstein-Double Bills ausgelöst worden war, aufzuspringen, und da die Bosse zwischen SF und Horror nicht recht zu unterscheiden verstanden -- "to [them] it was all the same - 'bug eyed monsters'" --, ließen sie sich von King überzeugen, die Autorin für The Vampire's Ghost (1945) zu engagieren. Aber es war die Lektüre von No Good from a Corpse, die Howard Hawks dazu animierte, Brackett neben William Faulkner als Drehbuchautorin für seine Chandler-Adaption The Big Sleep (1946) zu engagieren. Der Beginn einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit, zu der u.a. auch der John Wayne - Klassiker Rio Bravo (1959) gehörte.***** Daneben würde Leigh Brackett außerdem sehr viel später das Drehbuch für einen meiner absoluten Lieblingsfilme schreiben -- Robert Altmans The Long Goodbye (1973).****** Und natürlich stammte auch der erste Scriptentwurf für The Empire Strikes Back aus ihrer Feder.*******
In der kalifornischen SF-Szene jener Jahre herrschte allgemein ein optimistisch-utopistischer Geist, wie es Jason V. Brock in Last of the Titans, seinem Nachruf auf Ray Harryhausen, beschrieben hat:
Als die achtjährige Leigh Brackett 1924 Burroughs' zweiten Barsoom - Band The Gods of Mars in die Finger bekam, war dies der Beginn einer lebenslangen Liebesbeziehung zum Genre. Sie selbst hat es später einmal so ausgedrückt:
I was never the same after that. Suddenly, I became aware of other worlds out there and then, from that time on, I was destined to be a science fiction writer.Es verwundert darum auch nicht, dass für die Autorin, der später oft der Titel "Queen of Space Opera" verliehen wurde, die "Planetary Romance" immer das bevorzugte Subgenre blieb. Was nicht etwa heißen soll, sie sei eine Burroughs - Epigonin gewesen. In ihren eigenen Worten:
[T]he Mars stories, all my Mars stories came out of Burroughs -- I tried never to exactly copy his Mars, I tried to make it my own, but I think my fascination for Mars came from the fascination for his Mars.Wie die meisten literarischen Marslandschaften verdanken auch die ihren ohne Zweifel einiges dem Vorbild Barsooms, aber vor allem der Charakter ihrer Helden unterscheidet Bracketts SciFi - Stories denn doch sehr deutlich von denen ERBs. Wie Michael Moorcock in einem Essay über die von ihm bewunderte Schriftstellerin schreibt:
Burroughs' [...] heroes were fundamentally country (occasionally arboreal) gents, while Leigh’s, wherever their actual adventures took place, were fundamentally urban rough diamonds. They tended to bring metropolitan experience and values to the frontier. [...] She antedated cyberpunk by some fifty years, by bringing the spare, laconic prose and psychically wounded heroes of Hemingway, Hammett and Chandler into the sf pulp**Einer der Gründe für diesen Unterschied ist denke ich im Charakter der Ära zu suchen, in der Bracketts literarische Karriere ihren Anfang nahm.
Erste kleinere Erfolge hatte sie schon in ihren Schuljahren im Zusammenhang mit ihren Schauspielklassen feiern können, doch eine weiterführende College -Ausbildung war ihr trotz eines angebotenen Stipendiums aus ökonomischen Gründen verwehrt geblieben.
In den späten 30ern wurde sie Teil des kalifornischen SF - Fandoms und begann, eigene Genrestories zu schreiben.
1939 schloss sie sich der gerade gegründeten*** Los Angeles Science Fantasy Society (LASFS) an. Zu dem Milieu aus Fans und {angehenden} Künstlern, in dem sie sich bewegte, gehörten Leute wie Ray Bradbury, Robert Heinlein, Henry Kuttner, Catherine L. Moore, Forrest J. Ackerman und Ray Harryhausen. Mit den ersten beiden schloss sie schon bald innige und langwährende Freundschaften. 1940 lernte sie den SciFi-Autor Edmond Hamilton {yep, den Schöpfer von Captain Future} kennen, den sie sechs Jahre später heiraten würde.In den späten 30ern wurde sie Teil des kalifornischen SF - Fandoms und begann, eigene Genrestories zu schreiben.
Sure enough, there wasn't a heck of a lot of money in it, but it was a heck of a lot of fun; there's some awfully nice people. It was a very chummy world in those days because there weren't very many of us writing, or reading science fiction
Im selben Jahr wurde ihre erste eigene Story Martian Quest in John W. Campbells Astounding Science-Fiction veröffentlicht. Aber wie für manch andere Autoren auch, machten Campbells rigide und mitunter recht exzentrische Vorstellungen davon, wie "richtige" Science Fiction auszusehen habe, eine längerfristige Zusammenarbeit für Brackett unmöglich.**** Es könnte sein, dass dabei auf Seiten Campbells auch sexistische Vorurteile mit hineinspielten, auch wenn Brackett selbst stets erklärt hat, dass sie nie das Gefühl gehabt habe, in der SciFi-Szene aufgrund ihres Geschlechtes unfair behandelt worden zu sein. Das heißt, vereinzelte Leserkommentare im Stile von "Frauen können keine Science Fiction schreiben" erwähnt sie in Interviews zwar schon, doch scheint sie diese nie besonders ernst genommen zu haben. Im Ganzen gesehen habe sie sich jedenfalls in der Szene stets Willkommen gefühlt: "They all welcomed me with open
arms. There were so few of us nuts that they were just happy to
receive another lamb into the fold."
Wie dem auch sei, ihre bevorzugte Heimat fand sie später jedenfalls bei Planet Stories.Das im Winter 1939 erstmals erschienene Magazin bezahlte seine Autoren & Autorinnen selbst für die Verhältnisse auf dem Pulp-Markt außergewöhnlich schlecht. Und natürlich war es ganz allgemein nicht gerade leicht, in diesen Jahren als reiner SciFi-Autor wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Von familiärer Seite erhielt Leigh Brackett keinerlei Unterstützung. Dort dachte man, wenn sie sich schon als Schriftstellerin versuchen wollte, könnte sie doch wenigstens Geschichten für das Ladies Home Journal schreiben, und nicht für diese fürchterlichen Pulps. Dazu jedoch besaß sie nicht die geringste Neigung, und als sie aus finanziellen Beweggründen tatsächlich daran ging, es auch einmal in anderen Genres zu versuchen, fiel ihre Wahl auf etwas, was ihrer Sippschaft noch sehr viel weniger gefallen haben dürfte: Sie schrieb eine "hard-boiled detective story" im Stile von Raymond Chandler und Dashiell Hammett
Im Jahre 1944 veröffentlicht, war No Good from a Corpse Leigh Bracketts erstes Werk, das in Buchform erschien. Für ihre weitere Karriere am wichtigsten war ohne Zweifel, dass sich ihr damit die Tür zu Hollywood öffnete. Genau genommen hatte sie ihre ersten Aufträge als Drehbuchschreiberin für Republic Pictures zwar ihrem Agenten Hugh King zu verdanken. Das Studio war bemüht, verspätet auf die zweite große Horrorwelle, die 1938 von den legendären Dracula-Frankenstein-Double Bills ausgelöst worden war, aufzuspringen, und da die Bosse zwischen SF und Horror nicht recht zu unterscheiden verstanden -- "to [them] it was all the same - 'bug eyed monsters'" --, ließen sie sich von King überzeugen, die Autorin für The Vampire's Ghost (1945) zu engagieren. Aber es war die Lektüre von No Good from a Corpse, die Howard Hawks dazu animierte, Brackett neben William Faulkner als Drehbuchautorin für seine Chandler-Adaption The Big Sleep (1946) zu engagieren. Der Beginn einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit, zu der u.a. auch der John Wayne - Klassiker Rio Bravo (1959) gehörte.***** Daneben würde Leigh Brackett außerdem sehr viel später das Drehbuch für einen meiner absoluten Lieblingsfilme schreiben -- Robert Altmans The Long Goodbye (1973).****** Und natürlich stammte auch der erste Scriptentwurf für The Empire Strikes Back aus ihrer Feder.*******
In der kalifornischen SF-Szene jener Jahre herrschte allgemein ein optimistisch-utopistischer Geist, wie es Jason V. Brock in Last of the Titans, seinem Nachruf auf Ray Harryhausen, beschrieben hat:
Clifton’s Cafeteria was a safe haven for individuals with like minds who believed fervently in the dawning scientifically oriented future, and who maintained a devout sense of awe about the expansion of human knowledge and the coming futuristic age, as represented by rockets, Mars, utopias, and the prospect of peace in the world. [...] Even when issuing warnings about fading morality and technology run amok, there was still a basic optimism in the work and conversation of the LASFS, an abiding sense that tomorrow would bring more than fear, pain, and misery; indeed, tomorrow promised hope, opportunity, and change for the betterment of humanity.
Doch vergessen wir nicht, dass der historische Hintergrund für diesen {mitunter etwas exzentrische Formen annehmenden*******} Zukunftsoptimismus die Ära der Großen Depression und des Zweiten Weltkriegs war. Eine Zeit wirtschaftlichen Elends, tiefer Verunsicherung und extrem heftiger Klassenkämpfe in den USA, sowie des blutigen Grauens von Faschismus und Krieg in Europa und Ostasien.
Soweit ich das beurteilen kann, scheint die kalifornische SF-Gemeinde weniger "links" gewesen zu sein als etwa die New Yorker Futurians*********, aber auch ihre Mitglieder werden von den ökonomischen und politischen Konflikten ihrer Zeit nicht unberührt geblieben sein. Das naive Vertrauen in den unaufhaltsamen Triumphzug des Kapitalismus, das bei vielen Amerikanern während der Boomära der 20er Jahre geherrscht hatte, war durch die Weltwirtschaftskrise zutiefst erschüttert worden. Natürlich zog daraus nicht jeder sozialistisch-revolutionäre Schlüsse, aber auch bei vielen von denen, die das nicht taten, schärfte sich der kritische Blick auf die Wirklichkeit. Bis dato unerschütterliche "Wahrheiten" gerieten ins Wanken. Die offizielle Fassade der US-Gesellschaft hatte tiefe Risse bekommen, und was dahinter zum Vorschein kam, war ziemlich hässlich und beunruhigend.
In ihren besten Vertretern war die "hard-boiled detective story" Ausdruck dieser veränderten Perspektive. Wenn Leigh Brackett sich dem Genre nicht nur aus monetären Erwägungen zuwandte, sondern Hammett und Chandler darüberhinaus für zwei ihrer größten literarischen Inspirationen hielt -- was der Fall war --, so lässt sich denke ich vermuten, dass die Erfahrungen dieser Zeit auch für sie von ähnlich prägender Bedeutung waren. Anders als etwa Hammett {oder einige der Futurians} wandte sich zwar nie dem Sozialismus zu -- Moorcock erwähnt in seinem Essay, dass Brackett in politischer Hinsicht wohl eher John Wayne als ihm selbst nahegestanden habe --, aber wie ihre Stories sehr deutlich zeigen, besaß sie eine große Sympathie für Underdogs und Rebellen aller Art und eine ebenso große Skepsis gegenüber den Reichen und Mächtigen. Und dies ist einer der Punkte, der ihre "Planetary Romances" deutlich von denen Edgar Rice Burroughs' unterscheidet.
Als Beispiel sollen ihre ersten drei Eric John Stark - Stories dienen, die ich vor kurzem zum ersten Mal und mit großem Vergnügen gelesen habe.
Wenn wir unserem Helden am Anfang von Queen of the Martian Catacombs (1949) zum ersten Mal begegnen, flieht er gerade durch die marsianische Wüste, verfolgt von einem terranischen Polizeitrupp, der ihn in die Luna-Strafkolonie überführen soll, wo man ihn für das Verbrechen einzukerkern gedenkt, Waffen für die rebellischen Venusstämme geschmuggelt zu haben, die sich gegen den Großkonzern Terro-Venusian Metals erhoben hatten. Starks Lage scheint aussichtslos und wir bekommen einen ersten Einblick in seine Psyche: "He recognized the inevitable. He was used to inevitables -- hunger, pain, loneliness, the emptiness of dreams. He had accepted a lot of them in his time. Yet he made no move to surrender." Stark ist kein strahlender Recke, sondern ein einzelgängerischer Outlaw.
Der Anführer des Polizeitrupps entpuppt sich als Simon Ashton, Eric John Starks Ziehvater, womit die Gelegenheit gegeben ist, die Hintergrundsgeschichte unseres Helden einzuführen. Als Kind terranischer Bergleute kommt er auf dem Merkur zur Welt, verliert seine Eltern sehr früh durch ein Grubenunglück und wird von den Mitgliedern eines primitiven einheimischen Stammes adoptiert. Sie geben ihm den Namen N'Chaka ("Mann ohne Stamm"), und er wächst im Glauben auf, einer der ihren zu sein. Jahre später wird der gesamte Stamm von einem weiteren Trup terranischer Kolonisten abgemetzelt. Einzig N'Chaka wird {vorerst} verschont und in einem Käfig als Kuriosität zur Schau gestellt. Dort findet ihn Simon Ashton, sorgt für seine Freilassung und nimmt sich seiner als einer Art Adoptivsohn an. Wann und unter welchen Umständen es schließlich zum Bruch zwischen den beiden gekommen ist, bleibt unklar.
Diese Hintergrundsgeschichte erhellt sowohl den Charakter Starks, als auch den der Welt, in der er lebt.
Die Geschichten spielen in einem kolonialistischen Kontext. Doch anders als in vielen anderen Pulp-SciFi-Stories der Zeit sind die Kolonisatoren von der Erde bei Leigh Brackett nicht die Helden. Ihre Interaktionen mit den "Eingeborenen" erscheinen selten in einem besonders guten Licht. Völkermörderische Massaker, wie Stark sie hat erleben müssen, mögen zwar nicht die Regel sein, aber es ist klar, dass die Ankunft der Händler, Siedler, Polizisten und Kolonialbeamten von der Erde für die Bewohner der anderen Welten kein Segen gewesen ist. Ebenso klar ist, dass wirtschaftliche Interessen hinter der kolonialen Expansion stecken, wobei Unternehmen wie Terro-Venusian Metals die Rolle der British East India Company übernommen haben.
Stark seinerseits ist der Urtyp des heimatlosen Außenseiters. Seine von der Merkursonne dunkelbraun gebrannte Haut ist ein äußeres Zeichen dieses Außenseitertums. Die einzige "Familie", die er je gekannt hat, wurde von seinen "eigenen Leuten" ermordet. Auch wenn er dank Simon Ashton in die "moderne" Gesellschaft reintegriert wurde, steckt immer noch viel von dem "Wilden" in ihm, was stets dann hervorbricht, wenn er sich bedroht fühlt oder in einer extremen Gefahrensituation steckt. Obwohl der Herkunft nach ein Terraner, hat er keinerlei emotionale Bindungen zur Erde. In Enchantress of Venus (1949) bemerkt er trocken: "I haven't been there for a long time. The police were too ready with a welcoming committee." Seine Sympathie gehört stets den "Eingeborenen", auch wenn er weiß, dass er auch unter ihnen nie wird heimisch werden können. Die einzigen echten Freunde Starks, denen wir in den Geschichten begegnen, sind Ureinwohner von Mars und Venus. Unter den Bewohnern dieser Planeten selbst bevorzugt er eindeutig die "Barbaren" und "Gauner" gegenüber den aristokratischen Herrschern der lokalen Stadtstaaten. Zwar hören wir an einer Stelle, "that [he] had led a native revolt somewhere in the Jovian Colonies", aber alles in allem ist er nicht der Typus des Revolutionärs. Eher schon ähnelt er dem einsamen Outlaw und Revolverhelden aus einem Italowestern. Ewig umherstreifend, immer mit einem Fuß im Gefängnis, nicht selten skrupellos und brutal, aber im Herzen doch ein aufrechter Mensch, der mitunter zu großem Heroismus fähig ist. Dabei sind seine Erfolge nicht selten bloß halbe Siege. Weder gelingt es ihm in Black Amazon of Mars (1951) die Eroberung der Stadt Kushat zu verhindern, noch kann er in Queen of the Martian Catacombs den marginalisierten Stämmen der Drylands zu ihrem Recht verhelfen. Das Beste, was er zu leisten vermag, ist es, sie von ihrem falschen Messias zu befreien, der sie zusammen mit einem marsianischen Verbrecherboss und einigen Terranern für seine eigennützigen Pläne missbrauchen wollte. Am erfolgreichsten ist Stark vielleicht noch in Enchantress of Venus, wenn er dazu beiträgt, die despotische Herrschaft eines dekadeten Adelsclans zu beenden, dessen Mitglieder grob der Julisch-Claudischen Dynastie aus Robert Graves' I, Claudius nachempfunden sind.
Was mich neben dem Underdog-Protagonisten an den drei Stories besonders stark angesprochen hat, ist Leigh Bracketts Stil: Meist sehr knapp, beinah lakonisch, dabei jedoch zugleich äußerst evokativ, mitunter beinah poetisch. Auch besitzen ihre außerirdischen Landschaften eine extrem dichte Atmosphäre, ganz gleich ob es sich bei ihnen um die halb zu Ruinen verfallene Stadt Valkis am Ufer eines längst ausgetrockneten Meeres in Queen of the Martian Catacombs, das aus brennendem Gas bestehende "Rote Meer" und die in ihr versunkene Metropole mit ihren "toten Wäldern" in Enchantress of Venus oder die zyklopischen Überreste uralter Türme und die Stadt unter dem Eis in Black Amazon of Mars handelt. Am stärksten beeindruckt hat mich übrigens die letztere. Und dass sie gewisse Reminiszenzen an Lovecrafts At the Mountains of Madness wachruft, war dafür nicht der Hauptgrund.
https://twitter.com/raskolnik2/status/862444160363712512
Als Beispiel sollen ihre ersten drei Eric John Stark - Stories dienen, die ich vor kurzem zum ersten Mal und mit großem Vergnügen gelesen habe.
Wenn wir unserem Helden am Anfang von Queen of the Martian Catacombs (1949) zum ersten Mal begegnen, flieht er gerade durch die marsianische Wüste, verfolgt von einem terranischen Polizeitrupp, der ihn in die Luna-Strafkolonie überführen soll, wo man ihn für das Verbrechen einzukerkern gedenkt, Waffen für die rebellischen Venusstämme geschmuggelt zu haben, die sich gegen den Großkonzern Terro-Venusian Metals erhoben hatten. Starks Lage scheint aussichtslos und wir bekommen einen ersten Einblick in seine Psyche: "He recognized the inevitable. He was used to inevitables -- hunger, pain, loneliness, the emptiness of dreams. He had accepted a lot of them in his time. Yet he made no move to surrender." Stark ist kein strahlender Recke, sondern ein einzelgängerischer Outlaw.
Der Anführer des Polizeitrupps entpuppt sich als Simon Ashton, Eric John Starks Ziehvater, womit die Gelegenheit gegeben ist, die Hintergrundsgeschichte unseres Helden einzuführen. Als Kind terranischer Bergleute kommt er auf dem Merkur zur Welt, verliert seine Eltern sehr früh durch ein Grubenunglück und wird von den Mitgliedern eines primitiven einheimischen Stammes adoptiert. Sie geben ihm den Namen N'Chaka ("Mann ohne Stamm"), und er wächst im Glauben auf, einer der ihren zu sein. Jahre später wird der gesamte Stamm von einem weiteren Trup terranischer Kolonisten abgemetzelt. Einzig N'Chaka wird {vorerst} verschont und in einem Käfig als Kuriosität zur Schau gestellt. Dort findet ihn Simon Ashton, sorgt für seine Freilassung und nimmt sich seiner als einer Art Adoptivsohn an. Wann und unter welchen Umständen es schließlich zum Bruch zwischen den beiden gekommen ist, bleibt unklar.
Diese Hintergrundsgeschichte erhellt sowohl den Charakter Starks, als auch den der Welt, in der er lebt.
Die Geschichten spielen in einem kolonialistischen Kontext. Doch anders als in vielen anderen Pulp-SciFi-Stories der Zeit sind die Kolonisatoren von der Erde bei Leigh Brackett nicht die Helden. Ihre Interaktionen mit den "Eingeborenen" erscheinen selten in einem besonders guten Licht. Völkermörderische Massaker, wie Stark sie hat erleben müssen, mögen zwar nicht die Regel sein, aber es ist klar, dass die Ankunft der Händler, Siedler, Polizisten und Kolonialbeamten von der Erde für die Bewohner der anderen Welten kein Segen gewesen ist. Ebenso klar ist, dass wirtschaftliche Interessen hinter der kolonialen Expansion stecken, wobei Unternehmen wie Terro-Venusian Metals die Rolle der British East India Company übernommen haben.
Stark seinerseits ist der Urtyp des heimatlosen Außenseiters. Seine von der Merkursonne dunkelbraun gebrannte Haut ist ein äußeres Zeichen dieses Außenseitertums. Die einzige "Familie", die er je gekannt hat, wurde von seinen "eigenen Leuten" ermordet. Auch wenn er dank Simon Ashton in die "moderne" Gesellschaft reintegriert wurde, steckt immer noch viel von dem "Wilden" in ihm, was stets dann hervorbricht, wenn er sich bedroht fühlt oder in einer extremen Gefahrensituation steckt. Obwohl der Herkunft nach ein Terraner, hat er keinerlei emotionale Bindungen zur Erde. In Enchantress of Venus (1949) bemerkt er trocken: "I haven't been there for a long time. The police were too ready with a welcoming committee." Seine Sympathie gehört stets den "Eingeborenen", auch wenn er weiß, dass er auch unter ihnen nie wird heimisch werden können. Die einzigen echten Freunde Starks, denen wir in den Geschichten begegnen, sind Ureinwohner von Mars und Venus. Unter den Bewohnern dieser Planeten selbst bevorzugt er eindeutig die "Barbaren" und "Gauner" gegenüber den aristokratischen Herrschern der lokalen Stadtstaaten. Zwar hören wir an einer Stelle, "that [he] had led a native revolt somewhere in the Jovian Colonies", aber alles in allem ist er nicht der Typus des Revolutionärs. Eher schon ähnelt er dem einsamen Outlaw und Revolverhelden aus einem Italowestern. Ewig umherstreifend, immer mit einem Fuß im Gefängnis, nicht selten skrupellos und brutal, aber im Herzen doch ein aufrechter Mensch, der mitunter zu großem Heroismus fähig ist. Dabei sind seine Erfolge nicht selten bloß halbe Siege. Weder gelingt es ihm in Black Amazon of Mars (1951) die Eroberung der Stadt Kushat zu verhindern, noch kann er in Queen of the Martian Catacombs den marginalisierten Stämmen der Drylands zu ihrem Recht verhelfen. Das Beste, was er zu leisten vermag, ist es, sie von ihrem falschen Messias zu befreien, der sie zusammen mit einem marsianischen Verbrecherboss und einigen Terranern für seine eigennützigen Pläne missbrauchen wollte. Am erfolgreichsten ist Stark vielleicht noch in Enchantress of Venus, wenn er dazu beiträgt, die despotische Herrschaft eines dekadeten Adelsclans zu beenden, dessen Mitglieder grob der Julisch-Claudischen Dynastie aus Robert Graves' I, Claudius nachempfunden sind.
Was mich neben dem Underdog-Protagonisten an den drei Stories besonders stark angesprochen hat, ist Leigh Bracketts Stil: Meist sehr knapp, beinah lakonisch, dabei jedoch zugleich äußerst evokativ, mitunter beinah poetisch. Auch besitzen ihre außerirdischen Landschaften eine extrem dichte Atmosphäre, ganz gleich ob es sich bei ihnen um die halb zu Ruinen verfallene Stadt Valkis am Ufer eines längst ausgetrockneten Meeres in Queen of the Martian Catacombs, das aus brennendem Gas bestehende "Rote Meer" und die in ihr versunkene Metropole mit ihren "toten Wäldern" in Enchantress of Venus oder die zyklopischen Überreste uralter Türme und die Stadt unter dem Eis in Black Amazon of Mars handelt. Am stärksten beeindruckt hat mich übrigens die letztere. Und dass sie gewisse Reminiszenzen an Lovecrafts At the Mountains of Madness wachruft, war dafür nicht der Hauptgrund.
https://twitter.com/raskolnik2/status/862444160363712512
* Bei ihrer Erstveröffentlichung im Februar 1912 hieß sie noch Under the Moons of Mars, aber wirklich bekannt geworden ist sie unter dem Titel, den sie 1914 bei ihrem Erscheinen in Buchform erhielt.
** Michael Moorcock: Queen of the Martian Mysteries: An Appreciation of Leigh Brackett
*** Die LASFS war eine Abspaltung der älteren, 1934 von Hugo Gernsback ins Leben gerufenen Science Fiction League.
**** John O'Neill hat auf Black Gate kürzlich einen recht amüsanten und erhellenden Ausschnitt aus Alfred Besters Bericht über sein "one demented meeting with the great John W. Campbell, Jr." gepostet.
***** Wer sich für Bracketts Zusammenarbeit mit Hawks interessiert, findet Interessantes dazu in diesem Interview aus dem Starlog Magazine.
****** Wer diese großartig subversive Raymond Chandler - Adaption noch nicht kennt, lässt sich vielleicht durch die Eröffnungssequenz in Versuchung führen: Philip Marlowe versucht, seine Katze zu füttern.
******* Das Script findet man hier.
******** So scheint unter ihnen z.B. eine weitverbreitete Begeisterung für die künstliche "Weltsprache" Esperanto geherrscht zu haben. Das entnehme ich zumindest den Erinnerungen von Forry Ackerman.
********* Was J. Edgar Hoover nicht davon abhielt, in den 50er Jahren einen Undercover-Agenten des FBI in die LASFS einzuschleusen, der ein wachsames Auge auf die "kommunistische Infiltration" des SF-Fandoms halten sollte.
********** Die antikommunistische Hexenjagd der McCarthy-Ära der 50er Jahre muss zu einem Gutteil als Versuch der herrschenden Elite verstanden werden, die Erfahrungen der vorangegangenen zwei Jahrzehnte aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein auszulöschen.
** Michael Moorcock: Queen of the Martian Mysteries: An Appreciation of Leigh Brackett
*** Die LASFS war eine Abspaltung der älteren, 1934 von Hugo Gernsback ins Leben gerufenen Science Fiction League.
**** John O'Neill hat auf Black Gate kürzlich einen recht amüsanten und erhellenden Ausschnitt aus Alfred Besters Bericht über sein "one demented meeting with the great John W. Campbell, Jr." gepostet.
***** Wer sich für Bracketts Zusammenarbeit mit Hawks interessiert, findet Interessantes dazu in diesem Interview aus dem Starlog Magazine.
****** Wer diese großartig subversive Raymond Chandler - Adaption noch nicht kennt, lässt sich vielleicht durch die Eröffnungssequenz in Versuchung führen: Philip Marlowe versucht, seine Katze zu füttern.
******* Das Script findet man hier.
******** So scheint unter ihnen z.B. eine weitverbreitete Begeisterung für die künstliche "Weltsprache" Esperanto geherrscht zu haben. Das entnehme ich zumindest den Erinnerungen von Forry Ackerman.
********* Was J. Edgar Hoover nicht davon abhielt, in den 50er Jahren einen Undercover-Agenten des FBI in die LASFS einzuschleusen, der ein wachsames Auge auf die "kommunistische Infiltration" des SF-Fandoms halten sollte.
********** Die antikommunistische Hexenjagd der McCarthy-Ära der 50er Jahre muss zu einem Gutteil als Versuch der herrschenden Elite verstanden werden, die Erfahrungen der vorangegangenen zwei Jahrzehnte aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein auszulöschen.
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