"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Donnerstag, 20. April 2017

Die Königin der Pulps

Enthusiasm impels me to pause from burning spines off cactus for my drouth-bedeviled goats long enough to give three slightly dust-choked cheers for the April cover illustration. The color combination is vivid and attractive, the lady is luscious, and altogether I think it’s the best thing Mrs. Brundage has done since she illustrated my “Black Colossus.”

Robert E. Howard
in einem Brief an Weird Tales vom Mai (?) 1936 


Wenn der Name Weird Tales fällt, dann werden die meisten Freundinnen & Freunde der Phantastik vermutlich zuallererst an das legendäre Triumvirat H.P. Lovecraft, Robert E. Howard und Clark Ashton Smith denken. Wozu ich kurz anmerken will, dass es mir zwar genauso geht, die drei jedoch keineswegs die am häufigsten in Farnsworth Wrights legendärem Pulp-Magazin abgedruckten Autoren waren. Mr. Seabury Quinn z.B. war allem Anschein nach zu seiner Zeit sehr viel populärer als die "drei Musketiere". Doch der Name, der den meisten nach den "großen Drei" in den Sinn kommen wird, ist wahrscheinlich gar nicht der eines Schriftstellers, sondern der einer Illustratorin – Margaret Brundage. Von 1933 bis 1938 – d.h. in der Hochzeit von Weird Tales – gehörten die von ihr kreierten Cover zu den unverkennbaren Markenzeichen des Magazins. (1)

Ich muss gestehen, dass ich selbst nicht der allergrößte Fan ihrer pastellfarbenen Werke bin, die in einer Mischung aus Pin-up, Fantasy und Horror meist mehr oder minder entblößte Frauen darstellen, die von irgendwelchem finsteren Gelichter bedroht werden, wobei nicht selten leicht fetischistische Untertöne oder ein Hauch Sadomasochismus mit hineinspielen. Wohlgemerkt ist es nicht diese Thematik, mit der ich Probleme habe, sondern der zeichnerische Stil. Ich kann mir nicht helfen, aber mitunter scheint mir Clark Ashton Smiths abfällige Bemerkung über Margaret Brundages "weird ideas of anatomy" (2) ein Körnchen Wahrheit zu enthalten.
Was nicht heißen soll, dass nicht auch ich einige ihrer Bilder sehr ansprechend finden würde. Doch wenn ich mich daran gemacht habe, einen kurzen Blogpost über die Künstlerin zu verfassen, so in erster Linie, weil die Geschichte ihres Lebens ein faszinierendes Beispiel für eine Überschneidung zwischen den Welten der linken Bohème und der Pulps darstellt. Eine biographische Facette, die in den meisten Netzbeiträgen über Maragret Brundage, die ich gelesen habe, entweder völlig ignoriert oder nur am Rande erwähnt wird.

Die Künstlerin wurde am 9. Dezember 1900 als Margaret Hedda Johnson in Chicago geboren. Ihr Vater starb, als sie acht Jahre alt war, und so wuchs sie ganz unter der Obhut ihrer Mutter und Großmutter auf, die beide überzeugte Anhängerinnen der "Christian Science" waren  einer bizarren religiösen Strömung, deren unbedingter Glaube an die quasi-magische "Macht des Gebetes" ihren Mitgliedern dringend "nahelegt", in keinem Fall die Hilfe der modernen Medizin in Anspruch zu nehmen.
Während ihrer Zeit an der McKinley High School wurde sie die Herausgeberin der Schulzeitung, zu der auch ein Klassenkamerad mit dem Namen Walter Elias Disney einige Cartoons beisteuerte. Derweil der gute Walt die Schule abbrach, weil er unbedingt am patriotischen Gemetzel des Ersten Weltkriegs teilnehmen wollte {was ihm letztlich nicht vergönnt war}, machte Margaret ihren Abschluss und setzte ihre Ausbildung am Art Institute of Chicago fort. Dort studierte sie von 1921 bis '23 Modedesign und begegnete kurioserweise erneut dem jungen Disney. Diesmal war sie es, die es nicht bis zum Abschluss brachte. In den folgenden Jahren arbeitete sie als freischaffende Zeichnerin für verschiedene Modemagazine.
Die mir zur Verfügung stehenden Quellen enthalten leider keinen Hinweis darüber, wann Margaret Brundage gegen die religiös-kleinbürgerliche Atmosphäre, in der sie aufgewachsen war, aufzubegehren begann. Doch irgendwann muss es zu einer solchen Rebellion gekommen sein, denn sie wurde alsbad zu einem Mitglied der ebenso vielgestaltigen wie unkonventionellen Bohème von Chicago.

Die Stadt besaß eine lange Tradition als eines der Zentren von Radikalismus und revolutionärem Sozialismus in den USA, was natürlich viel mit ihrem industriellen Charakter zu tun hatte. (3) Hier hatte 1886 die berühmte Haymarket-Revolte stattgefunden, der zu Ehren der erste Mai von der internationalen Arbeiterbewegung zu ihrem Kampf- und Festtag erklärt wurde. Von hier hatte der landesweite Pullman-Streik von 1894 seinen Anfang genommen, dessen Niederschlagung zu Eugene V. Debs Hinwendung zum Sozialismus und zur Gründung der Social Democracy of America (SDA), einer der Vorläuferinnen der Socialist Party, geführt hatte. Hier waren 1905 die revolutionär-syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW) gegründet worden. Hier hatte William Z. Fosters Karriere als radikaler Gewerkschaftler begonnen, in deren Verlauf er u.a. zu einem der Führer des großen Stahlstreiks von 1919 geworden war. (4)
Hinzu kam, dass Chicago eines der wichtigsten Zielpunkte der "Great Migration" war, in deren Verlauf zwischen 1916 und 1930 Hunderttausende Afroamerikaner aus dem Süden der Vereinigten Staaten in die industriellen Zentren des Nordens abwanderten. Schon zuvor war die Stadt ein wichtiges Zentrum afroamerikanischen Lebens gewesen. Hier erschien seit 1905 der berühmte Defender, die meist gelesene schwarze Zeitung ihrer Zeit. 
Der schwarze Bevölkerungsanteil Chicagos stieg von 44.103 im Jahr 1910 auf 233.903 im Jahr 1929. Die meisten der Neuankömmlinge waren gezwungen, sich in dem als "Black Belt" bekannten Stadtteil auf der Southside niederzulassen. Mit seinen Kinos, Nachtclubs, Dance-Halls wurde das Viertel in den Roaring Twenties zur "Black Metropolis" der Jazz-Ära. In seiner Biographie von Louis Armstrong, der 1923 auf Einladung von "King" Oliver nach Chicago gekommen war, beschreibt Laurence Bergreen das Lebensgefühl seiner Bewohner wie folgt:.
Louis's black neighbors, hardworking porters, stevedores, postal clerks, and laborers by day, went home, rested, washed, and in the middle of the night at 2:00 A.M.! rose, dressed in their best, and went out to the street to meet companions, to find women, to go to the joints over on 35th Street where New Orleans jazz was heard: the Dreamland, the Plantation, the Sunset, the De Luxe, and the Elite Cafe. (5)
In den 30er/40er Jahren wurde der Stadtteil nun oft "Bronzeville" genannt zur Heimstatt einer blühenden kulturellen Bewegung, die große Ähnlichkeiten mit der sehr viel bekannteren Harlem Renaissance aufweist und deshalb als "Black Chicago Renaissance" bezeichnet wird. Malerei, Musik, Ballett, Lyrik und Literatur umfassend, entwickelte sie sich vor dem Hintergrund der von ökonomischem Elend und heftigen sozialen und politischen Kämpfen geprägten Ära der Großen Depression. Kommunisten und andere Radikale gründeten Arbeitslosenkomitees in "Bronzeville" und organisierten den Kampf gegen Mietwucher und Zwangsräumungen. Anders als die alten Gewerkschaften des AFL, die keine Afroamerikaner in ihren Reihen geduldet hatten, bemühten sich die neuen Industriegwerkschaften des CIO unter dem Slogan "Negro and White: Unite and Fight” alle Teile der Arbeiterklasse zu organisieren – unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft. Viele Vertreter und Vertreterinnen der "Black Chicago Renaissance" waren von sozialistischem Gedankengut beeinflusst. Richard Wright, Autor von Native Son und treibende Kraft der South Side Writers Group, stand der KP nahe, der er 1937 schließlich offiziell beitrat. (6)

Einer der beliebtesten Treffpunkte der Chicagoer Bohème war der Dil Pickle Club.1914 als ein Ort der freien Rede und des Gedankenaustauschs von dem Ex-Wobblie (7) und Anarchisten Jack Jones gegründet, der eine Zeit lang mit "Rebel Girl" Elizabeth Gurley Flynn (8) verheiratet gewesen war, entwickelte sich der Club in den 20er Jahren zu einer einmaligen Mixtur aus Hörsaal, Kleinbühne, Dance-hall und Speakeasy (9). Politische Vorträge, literarische Lesungen, Theateraufführungen, Jazz, Alkohol all das und noch mehr hatte der Dil Pickle Club seinen Besuchern zu bieten. Zu diesen gehörten über die Jahre so bekannte Persönlichkeiten wie Sherwood Anderson, Djuna Barnes, Clarence Darrow, Emma Goldman, Big Bill Haywood, Ben Hecht, Lucy Parsons, Carl Sandburg, Upton Sinclair und William Carlos Williams.

Und offenbar auch Margaret Johnson. Hier lernte sie ihren Ehemann "Slim" Brundage kennen, der als Hausmeister und Rausschmeißer des Dil Pickle Club arbeitete. Die beiden heirateten 1927. 
Die meisten Artikel über die Künstlerin, die ich gelesen habe, wissen wenig mehr über ihn zu berichten, als dass er ein versoffener Nichtsnutz gewesen sei, der von Margarets Einkommen lebte, wähend er gleichzeitig zahllose Affären mit anderen Frauen unterhielt. In der Tat endete die Ehe nach zwölf Jahren mit einer Scheidung. Dennoch ist diese Darstellung zumindest einseitig. "Slim" Brundage mag in vielem ein verantwortungsloser Charakter gewesen sein, zugleich jedoch war er ein Wobblie und radikaler Aktivist, und gemeinam waren die beiden offenbar an einer Vielzahl politischer und kultureller Unternehmungen beteiligt. Über die Details ihrer Tätigkeiten weiß ich leider nichts genaues, doch J. David Spurlock – Co-Autor von The Alluring Art of Margaret Brundage – hat Margaret und "Slim" in einem Interview mit der Weird Fiction Review einmal als "an important, revolutionary couple in the birth of the American counterculture" beschrieben, und der Begleitartikel lässt zumindest die Stichworte Dil Pickle Club, IWW und Bronzeville fallen.

Man mag sich zurecht fragen, wie eine politisch radikale Künstlerin aus der Chicagoer Bohème schließlich zur führenden Cover-Illustratorin von Weird Tales wurde. Auf den ersten Blick wirkt das sicher etwas eigentümlich, doch die Antwort ist denkbar einfach. Mit dem Einsetzen der Großen Depression fiel es Margaret Brundage zunehmend schwieriger, genug Aufträge von Modemagazinen zu erhalten, zumal sie inzwischen nicht nur für sich selbst, sondern auch für "Slim", ihren gemeinsamen Sohn Kerlynn und ihre invalide Mutter sorgen musste. Auch  begann es sie zu langweilen, ausschließlich Schwarzweiß-Zeichnungen anzufertigen. Sie wollte mit Farbe arbeiten. Also machte sie sich 1932 daran, die Redaktionsstuben sämtlicher in Chicago erscheinender Magazine abzuklappern, um ihre Dienste als Cover-Künstlerin anzubieten. Dabei landete sie schließlich auch im Büro von Farnsworth Wright. Dieser zeigte sich begeistert von ihren Arbeiten, und so erschien auf der Frühlingsausgabe von Oriental Stories zum erstenmal ein Cover von Margaret Brundage. Im September desselben Jahres folgte ihr erstes Cover für Weird Tales. Vom Juni 1933 bis zum August 1936 zierten ihre Illustrationen jede Ausgabe des "Unique Magazine".

Entgegen weitverbreiteter Vorstellungen waren die Pulps keine reine Männerwelt. Wie Keith West in seinem zugegeben provokant-polemischem, doch äußerst lesenswertem Artikel The Women Other Women Don't See schreibt:
In The Unique Magazine, 127 known women writers published 365 short stories and serials, or 13.45% of the fiction.  These figures do not include female poetry authors (63, or 40% of the poets), nor do they include authors of indeterminate gender.
Dennoch kam es zu einem Aufschrei moralischer Entrüstung, als Wright im Oktober 1934 enthüllte, dass sich hinter der Signatur "M Brundage" eine Frau verbarg. Viele "besorgte Bürger" waren offenbar der Ansicht, dass Frauen keine erotische Kunst herstellen dürfen, und wenn sie es doch tun, sind sie "verworfene Kreaturen".
Es ist nicht anzunehmen, dass sich Farnsworth Wright durch die Beschwerdebriefe, die sich auf einmal auf seinem Schreibtisch zu häufen begannen, sonderlich beeindrucken ließ. Der gute Satrap Pharnabosus – wie Lovecraft und Clark Ashton Smith ihn getauft hatten – wusste sehr gut, dass "Sex Sells" und ein kleiner "Skandal" die Verkaufszahlen seines Magazins eher anwachsen, denn schrumpfen lassen würde. 
Tatsächlich spricht manches dafür, dass Brundages Cover einen wichtigen Beitrag dazu leisteten, Weird Tales in den harten Jahren der Großen Depression vor dem Bankrott zu bewahren. Ihr größter Erfolg war ihre Illustration von Robert E. Howards The Slithering Shadow, die sie für die Septemberausgabe von 1933 anfertigte. Wie sie Jahrzehnte später in einem Interview erzählt hat:   
We had one issue (the September 1933 number) that sold out! It was the story of a very vicious female, getting ahold of the heroine and tying her up and beating her. Well, the public apparently thought it was flagellation, and the entire issue sold out. They could have used a couple of thousand extra (copies). 
Autoren wie Howard oder Seabury Quinn begannen, bewusst "erotisch-fetischistische" Szenen in ihre Geschichten einzubauen, um diesen den begehrten Status der Cover-Story zu sichern.

Von allen Autoren, die für Weird Tales schrieben, war "Two-Gun" Bob übrigens Margaret Brundages erklärter Liebling. Neben erwähntem Cover fertigte sie Illustrationen für acht weitere Conan-Stories an: Black Colossus, Queen of the Black Coast, The Devil in Iron, The People of the Black Circle, A Witch Shall Be Born, Shadows in Zamboula, The Hour of the Dragon und Red Nails. Die Nachricht von seinem Selbstmord im Juni 1936 erschütterte sie zutiefst: "When I learned of Robert Howard’s death, I was very upset . . . . (Wright and I) both just sat around and cried for most of the day. He was always my personal favorite.”     

Als Weird Tales 1938 von Short Stories, Inc. aufgekauft wurde, bedeutete dies den Anfang vom Ende für Margaret Brundages Karriere als "Königin der Pulps". Die Redaktion des Magazins wanderte zusammen mit Farnsworth Wright, der zwei Jahre später sterben sollte, nach New York. Unglücklicherweise erwies es sich als äußerst schwierig, Brundages Pastellgemälde per Post an die Ostküste zu befördern, ohne dass sie dabei stark beschädigt worden wären. Auch erschien das "Unique Magazine" nunmehr unter den harschen Zensurbestimmungen, die New Yorks Bürgermeister LaGuardia erlassen hatte, um die "öffentliche Moral" zu schützen. Der offene Erotizismus von Brundages Illustrationen war nicht länger tragbar. Die Künstlerin versuchte sich dem anzupassen und ihre Werke etwas zu "entschärfen". Dennoch erhielt sie immer seltener Aufträge von Weird Tales, die zudem deutlich schlechter bezahlt wurden {50$ statt wie bisher 90$ pro Illustration}. Ihr letztes Weird Tales - Cover erschien im Januar 1945.


(1) Eine Gallerie ihrer Cover-Illustrationen für Weird Tales und Oriental Stories / The Magic Carpet findet sich hier.
(2) Brief an Virgil Finlay vom 27. September 1937. In: David E. Schultz & Scott Connors (Hg.): Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 317.
(2) Man denke z.B. an die gewaltigen Schlachthöfe  jene industrielle Hölle, die Upton Sinclair in seinem Klassiker The Jungle beschrieben hat.
(3) Fosters politische Laufbahn endete auf denkbar unwürdige Weise mit seiner Degeneration zu einem von Stalins bevorzugten amerikanischen Handlangern.
(4) Zit. nach: Ian Bruce: The music of everyday events
(5) Das Verhältnis der KPUSA zur Schwarzenbewegung und ihre Kulturpolitik, die die für stalinistische Parteien üblichen, von Moskau diktierten Zickzack-Kurse durchliefen, sind ein zu komplexes Thema, um es hier anzupacken. Zur Beziehung zwischen "Black Chicago Renaissance" und kommunistischer Politik vgl. Alan Wald: African Americans, Culture and Communism (Part 2): National Liberation and Socialism.
(6) Wobblie = Spitzname für ein Mitglied der IWW.
(7) Elizabeth Gurley Flynn war eine der führenden Aktivistinnen der IWW. Joe Hill – der legendäre Barde der Wobblies – widmete ihr seinen Song "Rebel Girl". Traurigerweise endete auch sie als linientreue Stalinistin.
(8) Speakeasy = Bezeichnung für ein Etablissement, in dem während der Prohibition illegal Alkohol ausgeschenkt wurde.

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