Als vor einigen Wochen – um genau zu sein, am 9. Oktober – der famose Brian Blessed seinen achtzigsten Geburtstag feiern konnte, fühlte ich mich auf einmal dazu animiert, mir einmal die Mitte der 70er Jahre von der BBC produzierte TV-Adaption von Robert Graves' I, Claudius anzuschauen, in der der gute Mann in die Rolle des ersten römischen Imperators Octavianus Augustus geschlüpft war.
Eine impulsive Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Die zwölfteilige Miniserie ist ein alles in allem ziemlich faszinierendes Stück televisionären Schaffens, gesegnet mit einem ausgesprochen beeindruckenden Ensemble, zu dem neben Brian Blessed u.a. Derek Jacobi als Claudius, John Hurt als Caligula, Siân Phillips als Livia und Patrick Stewart als Sejanus gehören.
Eine impulsive Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Die zwölfteilige Miniserie ist ein alles in allem ziemlich faszinierendes Stück televisionären Schaffens, gesegnet mit einem ausgesprochen beeindruckenden Ensemble, zu dem neben Brian Blessed u.a. Derek Jacobi als Claudius, John Hurt als Caligula, Siân Phillips als Livia und Patrick Stewart als Sejanus gehören.
Ich sollte vielleicht vorausschicken, dass ich Robert Graves' historische Romane I, Claudius und Claudius the God nicht gelesen habe, und meine Kenntnisse über die frühe römische Kaiserzeit, die Ära der Julisch-Claudischen Dynastie, eher bescheiden sind. Ich kann deshalb weder beurteilen, wie getreu die von Drehbuchautor Jack Pulman und Regisseur Herbert Wise kreierte Serie ihrem literarischen Vorbild folgt, noch bin ich wirklich in der Lage, zu bestimmen, wie weit das Dargestellte von der historischen Realität abweicht. Robert Graves scheint eine ziemlich interessante Persönlichkeit gewesen zu sein. So gehörte er z.B. zur Gruppe der sog. "War Poets" und war ein enger Freund von Siegfried Sassoon, aber auch von T.E. Lawrence ("Lawrence of Arabia"). Seine historischen und literaturhistorischen Theorien, die er in Büchern wie King Jesus, The White Goddess und The Greek Myths entwickelte, sollen jedoch etwas exzentrisch sein. Inwieweit das auch auf seine fiktive Autobiographie des vierten römischen Kaisers zutrifft, von der Graves später behauptet haben soll, er habe sie ausschließlich aus finanziellen Beweggründen geschrieben, weiß ich zwar nicht, doch habe ich mir I, Claudius ohnehin nicht mit der Prämisse angeschaut, dabei eine Lektion in römischer Geschichte zu bekommen. Mich interessierte das Drama, und auch wenn der Umstand, das selbiges auf historischen Ereignissen fußt, natürlich nicht ohne Bedeutung ist, spielte er für mich doch nur eine untergeordnete Rolle. {Dass die Serie all die von antiken Historikern überlieferten Skandalgeschichten, von denen manche wohl nichts anderes als aus propagandistischen Gründen aufgeblähte Gerüchte oder simple Lügen waren, für bare Münze nimmt, versteht sich beinah von selbst. Aber mal ehrlich – wer wollte z.B. einen Caligula auf Leinwand oder Fernsehschirm sehen, der kein größenwahnsinniger Psychopath wäre?}
Wie dem auch sei, kommen wir nun zu I, Claudius selbst.
Der erste Gedanke, der mir während der anderthalbstündigen Pilotfolge A Touch of Murder kam, war, dass es heutzutage völlig unmöglich wäre, eine TV-Serie wie diese zu produzieren – ausschließlich im Studio gedreht; ohne irgendwelche gewaltigen Massenszenen oder ausufernden Actionsequenzen; ganz konzentriert auf den Dialog und die Interaktion zwischen einer Handvoll von Charakteren. Das krasse Gegenteil sowohl von Hollywoods pompösen Antikeschinken der 50er/60er Jahre, als auch von den "grim & gritty" - Antikeshows unserer Tage wie Rome oder Spartacus. Und interessanterweise war die Entscheidung der Macher, sich beim Filmen der Geschichte völlig auf Studiosets zu beschränken, offenbar in erster Linie künstlerisch und nicht monetär motiviert gewesen {wie ich spontan angenommen hatte}. Ich fürchte, so etwas wäre heute schlicht undenkbar. Und das aus durchaus nahvollziehbaren Gründen, fände sich vermutlich doch kaum ein ausreichend großes Publikum für eine so bewusst zurückhaltend inszenierte Serie. Jedenfalls nicht in diesem Genre. Was ich sehr schade finde.
Mein zweiter Gedanke war, dass man I, Claudius in gewisser Hinsicht als das Game of Thrones einer vergangenen Ära bezeichnen könnte. Selbstverständlich nicht was den Stil betrifft, aber wenn man gewillt ist, dem HBO-Dauerbrenner einen ernstzunehmenden thematischen Kern zuzugestehen, so handelt es sich bei diesem doch wohl um den Kampf um die Macht und seine monströsen Folgen. Und ganz dasselbe gilt auch für I, Claudius. Und auch wenn die Serie – trotz einiger durchaus verstörender Szenen – in der Darstellung von Gewalt und Sex natürlich meilenweit entfernt ist von dem, was wir bei Game of Thrones zu sehen bekommen, ist sie letztenendes ähnlich düster, illusionslos und pessimistisch. {Immer vorausgesetzt, man ignoriert die leider etwas versöhnlerische Schlussszene, doch dazu später mehr.}
Ich beabsichtige nicht, die ausufernde Handlung von I, Claudius hier im Detail nachzuzeichnen oder jede ihrer zahlreichen Wendungen eingehender zu besprechen. Schließlich umspannt die Serie einen Zeitraum von beinah acht Jahrzehnten, vom Jahr 24 v.u.Z. bis zum Tod des Protagonisten und Erzählers im Jahr 54.
Dass eine ganze Reihe der Charaktere, die im Verlauf dessen eingeführt werden, nur einige wenige Auftritte haben und entsprechend unterentwickelt bleiben, mag man bedauern {ich z.B. hätte sehr gerne mehr von Caligulas Gemahlin Caesonia gesehen}, doch angesichts der Menge an Stoff, die in ca. 6½ Stunden bewältigt werden muss, war das wohl unvermeidlich.
Das zentrale Thema von I, Claudius, wie es sich für mich im Verlaufe der Serie herauskristallisiert hat, ist die monarchische Herrschaft und ihre verheerenden Folgen. Der Sturz der Republik und die Errichtung des Prinzipats beendet zwar den Bürgerkrieg, entfacht jedoch zugleich einen endlosen Machtkampf innerhalb der nunmehr herrschenden Julisch-Claudischen Familie, dem nach und nach beinah alle ihrer Mitglieder zum Opfer fallen. Dabei wird das dynastische Prinzip, das beinah unauflöslich mit der Monarchie als Herrschaftsform verbunden ist, zur zentralen Achse für all die Intrigen und mörderischen Machenschaften.
Die ersten fünf Episoden drehen sich hauptsächlich darum, wie Livia – die Ehefrau von Augustus – all jene aus dem Weg räumt, die der künftigen Thronbesteigung durch ihren Sohn aus erster Ehe – Tiberius – im Weg stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihre Opfer überhaupt Ambitionen auf die Krone haben oder nicht. Und das kann es auch nicht, denn innerhalb einer Erbmonarchie ist der Grad der Verwandtschaft zum Herrscher Grund genug, um jemanden zu einem Rivalen zu machen, der beseitigt werden muss.
Wenn Augustus im Vergleich zu seiner skrupellosen Gattin relativ gutmütig und sympathisch erscheint, darf man nicht vergessen, dass die Handlung {anders als im Roman} Jahre nach seiner Machtergreifung und der Konsolidierung seiner Herrschaft einsetzt. Die Methoden, derer er sich bedient hat, um dorthin zu gelangen, wo er am Anfang der Serie steht, bekommen wir nicht zu sehen. Aber wir können davon ausgehen, dass sie nicht weniger rücksichtslos waren als die Livias. Einen kleinen Einblick davon erhalten wir, wenn er in A Touch of Murder im Interesse seines Schwiegersohns Marcellus seinen alten Freund Agrippa ohne zu zögern ins Quasi-Exil schickt, nur um ihn nach dem vorzeitigen Tod des Favoriten rasch nach Rom zurückzuholen, damit er denn rebellisch gewordenen "Pöbel" beruhigt. Und um dies zu erreichen, ist er bereit, seine eigene Tochter Julia an den alten General zu verschachern. Nein, auch der Augustus von I, Claudius ist nicht der nette Onkel, den manche in ihm sehen wollen. Er wird uns mehr als Mensch, denn als Imperator gezeigt, und das macht es leichter, mit ihm zu sympathisieren. Zu einer moralisch unbefleckten Person macht es ihn deshalb noch lange nicht. Wenn er weniger blutrünstig einherkommt als seine Gemahlin, so weil er sich bereits im Besitz der Macht befindet. Auf welche Weise er sie ursprünglich gewonnen hat, ist hingegegen eine ganz andere Frage.
Anhand von Julia (Frances White) und Tiberius (George Baker) führen uns die ersten Episoden außerdem vor Augen, welch verheerende Auswirkungen diese aristokratischen Machtspiele auch auf jene Menschen haben können, die nicht auf einer "Killing List" landen, aufgrund ihrer Verwandtschaftsbeziehungen aber dennoch in den Mahlstrom der Intrigen hineingezogen werden. Julia hegt keinerlei politische Ambitionen, doch als Tochter des Imperators wird sie automatisch zu einer Schachfigur im großen Spiel um die Macht. Ihre drei Ehen {mit Marcellus, Agrippa und Tiberius} werden von anderen aus politischen Gründen arrangiert. Und als es ihr endlich vergönnt ist, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu genießen, was sie dazu nutzt, sich den bescheidenen Freuden von gutem Essen und gutem Sex hinzugeben, wird genau dies von Livia dazu ausgenutzt, sie zu diskreditieren und für ihre äußerst grausame Verbannung zu sorgen – stellt sie doch eine potentielle Bedrohung für ihren Sohn dar. Tiberius selbst wiederum will zu Beginn eigentlich überhaupt nicht Imperator werden, doch seine ehrgeizige Mutter zwingt ihn dazu, seine glückliche Ehe mit Vipsania aufzulösen, damit er Julia ehelichen kann, da ihn das in der Erbfolge aufrücken lässt. Als dann auch noch sein geliebter Bruder Drusus, der republikanische Überzeugungen hegt, einen verdächtig frühen Tod findet, versinkt er endgültig in Bitterkeit und Depression, was ihn später zu einem besonders unmenschlichen Despoten machen wird.
Ohne Frage erscheint Livia bei all dem in einem besonders ungünstigen Licht. Doch in einer Art "Beichte" gegen Ende ihres Lebens erklärt sie, es sei ihr vor allem darum gegangen, die Stabilität des Imperiums sicherzustellen und einem Rückfall in das Chaos des Bürgerkriegs vorzubeugen. Wir als Zuschauer werden diese Einschätzung kaum teilen können, doch die Umstände der "Beichte" legen nahe, dass Livia selbst dies wohl wirklich glaubt oder sich zumindest einzureden versucht. In gewisser Weise erscheint darum selbst sie als eine Art Opfer des monarchischen Prinzips, ist sie sich des unverzeihlichen Charakters ihrer Handlungen doch vollauf bewusst und lebt in der ständigen Furcht vor einer höllischen Bestrafung im Jenseits.
Claudius, dem gegenüber Livia diese "Beichte" ablegt, gelingt es nur deshalb all das Morden unbeschadet zu überstehen, weil er konseuquent dem Rat seines Jugendfreunds Herodes Agrippa (James Faulkner) folgt und den Trottel spielt. Aufgrund seines Klumpfußes, seines Stotterns und seines erst im Alter nachlassenden zwanghaften Zuckens des Kopfes halten ihn die meisten ohnehin für einen Idioten und darum für keinen ernstzunehmenden Konkurrenten im nie endenden Kampf um die Macht. Nur die wirklich intelligenten Vertreter der herrschenden Clique wie Augustus oder Livia realisieren zumindest am Ende, dass sie es bei ihm mit einem klugen und zugleich erstaunlich integren Menschen zu tun haben. Nicht so der Rest der adeligen Baggage. Er selbst hegt keinerlei politische Ambitionen, auch wenn er im Herzen ein Republikaner ist, sondern sieht sich ganz in der Rolle des Beobachters und einzig der Wahrheit verpflichteten Chronisten. Auf diese Weise schafft er es, selbst die Terrorherrschaft von Tiberius und des machthungrigen Gardepräfekten Sejanus sowie die irre Despotie Caligulas zumindets physisch unbeschadet zu überstehen.
Der von John Hurt brillant gespielte Caligula ist – wie nicht anders zu erwarten – die extremste Verkörperung des Cäsarenwahns. Schon als kleines Kind von beunruhigender Grausamkeit, erlaubt es ihm das monarchische Herrschaftssystem nach seiner Thronbesteigung endgültig alle Hemmungen abzulegen und sich ganz seinem Größenwahn und seinen sadistischen Neigungen hinzugeben. Wie absurd seine Proklamation, ein fleischgewordener Gott zu sein, auch auf alle Mitglieder der herrschenden Clique wirken mag, es finden sich mehr als genüg rückgratlose Höflinge, die willens sind, ihm als irdischer Inkarnation des Zeus zu huldigen. Um genau zu sein, es gibt niemandem, der dieser abstrusen Scharade öffentlich zu widersprechen wagt. Zugleich jedoch – und hier zeigt sich wieder einmal die besondere Stärke von I, Claudius {und die von John Hurt} – wirkt Caligula in gewisser Hinsicht bemitleidenswert. Offensichtlich geisteskrank, gequält von paranoiden Wahnvorstellungen und umgeben von feigen Speichelleckern, vermittelt er bei aller Widerlichkeit doch ein tragisches Gefühl absoluter Einsamkeit.
Sein Größenwahn treibt ihn u.a. dazu, den Menschen zu töten, für den er vermutlich am meisten empfindet. Als seine Schwester Drusilla, mit der er eine sexuelle Beziehung unterhält, schwanger wird, fühlt er sich durch das ungeborene Kind bedroht und folgt dem mythischen Vorbild des Zeus. Den Entscheidungsträgern bei der BBC war die Szene wohl etwas zu extrem, so dass sie uns nur in gekürzter Fassung erhalten geblieben ist. Was sie jedoch vielleicht nur noch verstörender macht. Wenn Caligula mit blutverschmiertem Mund aus seinem Schlafgemach getaumelt kommt, wissen wir, dass er nicht nur den Embryo aus dem Leib der Mutter geschnitten, sondern diesen auch aufzufressen versucht hat – ganz wie Zeus die ungeborene Pallas Athene. Brauchen wir die Folgen dessen wirklich zu sehen? Ich denke nicht. Das Bild in unserem Kopf wird allemal gruseliger sein als alles, was uns die Macher der Serie hätten präsentieren können.
Als Caligula ermordet wird, findet sich Claudius urplötzlich in einer Position wieder, in der er weitreichende politische Entscheidungen fällen muss. Die Verschwörer streben eine Wiedererrichtung der Republik an, was seinen eigenen Idealen entspricht. Doch um jeder Möglichkeit einer "Konterrevolution" den Riegel vorzuschieben, beabsichtigen sie, sämtliche Mitglieder der herrschenden Dynastie zu töten. Zugleich sieht sich Claudius mit einer drohenden Revolte der Prätorianergarde konfrontiert, für die in einer republikanischen Ordnung kein Platz mehr wäre und die deshalb nicht bereit ist, den Sturz der Monarchie einfach hinzunehmen. Um sein eigenes Leben und das der ihm Nahestehenden zu retten sowie einen Bürgerkrieg zwischen Senat und Garde zu verhindern, ist Claudius deshalb bereit, sich von den Soldaten zum Kaiser ausrufen und das Haupt der Verschwörung hinrichten zu lassen. Damit verrät er im Grunde seine tiefsten Überzeugungen und zeigt sich als Gefangener einer politischen Dynamik, die er nicht kontrollieren kann.
Den Großteil der letzten Episoden nimmt die Geschichte von Messalina (Sheila White) ein – wie wohl nicht anders zu erwarten, einer der problematischsten Teile der Serie. Claudius' berüchtigte dritte Gemahlin wird als eine intelligente, willensstarke und äußerst ehrgeizige Frau eingeführt, die nicht willens ist, sich mit der Rolle von Eheweib & Mutter zu bescheiden, sondern aktiv an der Gestaltung des Imperiums mitzuwirken wünscht. Dabei erscheint sie zwar als ziemlich skrupellos, zugleich aber auch als durchaus kompetent. Ein interessanter und nicht unbedingt unsympathischer Charakter. Leider verpufft das in dieser Figurenzeichnung angelegte Potential ungenutzt, wenn die Serie in der vorletzten Episode A God in Colchester dann doch auf die von antiken Historikern geschaffene Karrikatur der sexuell unersättlichen "kaiserlichen Hure" zurückfällt. Ob man diese Darstellung als misogyn einzuschätzen hat, muss jeder selbst entscheiden, auf jedenfall ist sie weit weniger interessant. Auch in anderer Hinsicht passt der Eindruck, den Messalina in A God in Colchester hinterlässt, nicht zu dem zuvor von ihr gezeichneten Bild. Wenn sie ihren Liebhaber Gaius Silius heiratet, bedeutet dies zugleich den Auftakt zu einem Coup d'etat. Die clevere Messalina aus Fool's Luck wäre sich bewusst gewesen, dass es sich dabei um ein Spiel auf Leben und Tod handelt. Die Messalina aus A God in Colchester hingegen wirkt ungläubig und geschockt, als nach der raschen Niederschlagung des Aufstandsversuchs ihre Hinrichtung befohlen wird und die Prätorianer mit gezückten Schwertern in ihrem Gemach auftauchen.
Alles in allem, eine vertane Chance. Nun denn, dafür erreicht die Serie in der allerletzten Episode Old King Log noch einmal einen ihrer Höhepunkte.
Nicht nur von seiner Frau, sondern auch von seinem besten Freund Herodes Agrippa hintergangen und verraten, ist der alte Claudius vereinsamt und endgültig desillusioniert. Als er seine intrigante Nichte Agripinilla ehelicht, macht er ihr von vornherein klar, dass er sie weder sexuell begehrt noch als Mensch schätzt. Welches Ziel er mit dieser eigenartigen Verbindung verfolgt, bleibt vorerst unklar. Noch seltsamer muss es erscheinen, dass er sich ohne zu zögern bereit erklärt, ihren Sohn Nero zu adoptieren, mit seiner eigenen Tochter zu vermählen und zum gleichberechtigten Erben neben seinem eigenen Sprössling Britannicus einzusetzen. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass er weiß, dass Agripinilla plant, Nero den Thron zu sichern. Im Grunde scheint er mit diesen exzentrisch anmutenden Entscheidungen, offenen Auges sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen.
Schließlich enthüllt Claudius seinem freigelassenen griechischen Berater seinen Plan: Er habe versucht, ein guter Imperator zu sein. Dies sei ein Fehler gewesen. Die Monarchie könne nicht reformiert, sie müsse für immer zerstört werden. Deshalb habe er alles getan, um einer Thronbesteigung Neros den Weg zu ebnen. Dessen Herrschaft werde die Monarchie in den Augen des römischen Volkes endgültig diskreditieren, was schließlich zur Rückkehr der Republik führen müsse.
Im Grunde sagt Claudius hier, dass es keine guten Kaiser geben kann, weil das monarchische System selbst verbrecherisch ist. Eine so kompromisslose Verdammung der Monarchie mutet in einer britischen Fernsehserie subversiv, ja beinah radikal an.
Doch selbstverständlich geht der Plan am Ende nicht auf. Britannicus, dem Claudius die Rolle des Wiederherstellers der Republik zugedacht hat, weigert sich diese zu übernehmen. Nicht nur verbietet ihm sein verqueres Bild der eigenen "Männlichkeit", den zu erwartenden Anschlägen auf sein Leben durch ein freiwilliges Exil in Britannien auszuweichen, er erklärt seinem Vater auch ganz unumwunden, dass er nicht an die Republik glaube. "Niemand glaubt mehr an sie. Niemand außer dir."
Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte I, Claudius auf dieser zugleich subversiven wie tragischen Note ausklingen lassen. Unser Held hat erkannt, dass die Monarchie ein durch und durch verwerfliches, nicht zu reformierendes System der Herrschaft ist. Zugleich jedoch muss er realisieren, dass er als einzelner nicht in der Lage ist, den Gang der Geschichte auf fundamentale Weise zu beeinflussen. Dem hätte sich auch das innerhalb der Serie immer mal wieder aufscheinende Motiv von Schicksal und Prophezeiung perfekt eingefügt. Doch leider nimmt die allerletzte Szene von Old King Log all dem die Spitze:
Claudius ist gestorben. Die Sibylle tritt an sein Totenbett heran und gewährt ihm einen kurzen Blick in die Zukunft: Neros Herrschaft wird sich als so monströs erweisen, wie er es vorausgesehen hat, doch wird sie nicht zum Untergang der Monarchie, bloß zum Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie führen. Soweit ist das alles noch in Ordnung, doch dann erklärt die Prophetin, dass die kommenden Kaiser sich alles in allem als gar nicht so schlecht erweisen würden. Es ist dieser eine kleine Satz, der mir das Ende von I, Claudius ein wenig vergällt hat. Er entschärft die antimonarchische Stoßrichtung der Serie und schwächt zugleich die Tragik von Claudius' Schicksal ab. In meinen Augen ein bedauernswerter Fehltritt, aber keiner, der dieser exquisiten TV-Serie ihren bleibenden Wert rauben würde.
Wie dem auch sei, kommen wir nun zu I, Claudius selbst.
Der erste Gedanke, der mir während der anderthalbstündigen Pilotfolge A Touch of Murder kam, war, dass es heutzutage völlig unmöglich wäre, eine TV-Serie wie diese zu produzieren – ausschließlich im Studio gedreht; ohne irgendwelche gewaltigen Massenszenen oder ausufernden Actionsequenzen; ganz konzentriert auf den Dialog und die Interaktion zwischen einer Handvoll von Charakteren. Das krasse Gegenteil sowohl von Hollywoods pompösen Antikeschinken der 50er/60er Jahre, als auch von den "grim & gritty" - Antikeshows unserer Tage wie Rome oder Spartacus. Und interessanterweise war die Entscheidung der Macher, sich beim Filmen der Geschichte völlig auf Studiosets zu beschränken, offenbar in erster Linie künstlerisch und nicht monetär motiviert gewesen {wie ich spontan angenommen hatte}. Ich fürchte, so etwas wäre heute schlicht undenkbar. Und das aus durchaus nahvollziehbaren Gründen, fände sich vermutlich doch kaum ein ausreichend großes Publikum für eine so bewusst zurückhaltend inszenierte Serie. Jedenfalls nicht in diesem Genre. Was ich sehr schade finde.
Mein zweiter Gedanke war, dass man I, Claudius in gewisser Hinsicht als das Game of Thrones einer vergangenen Ära bezeichnen könnte. Selbstverständlich nicht was den Stil betrifft, aber wenn man gewillt ist, dem HBO-Dauerbrenner einen ernstzunehmenden thematischen Kern zuzugestehen, so handelt es sich bei diesem doch wohl um den Kampf um die Macht und seine monströsen Folgen. Und ganz dasselbe gilt auch für I, Claudius. Und auch wenn die Serie – trotz einiger durchaus verstörender Szenen – in der Darstellung von Gewalt und Sex natürlich meilenweit entfernt ist von dem, was wir bei Game of Thrones zu sehen bekommen, ist sie letztenendes ähnlich düster, illusionslos und pessimistisch. {Immer vorausgesetzt, man ignoriert die leider etwas versöhnlerische Schlussszene, doch dazu später mehr.}
Ich beabsichtige nicht, die ausufernde Handlung von I, Claudius hier im Detail nachzuzeichnen oder jede ihrer zahlreichen Wendungen eingehender zu besprechen. Schließlich umspannt die Serie einen Zeitraum von beinah acht Jahrzehnten, vom Jahr 24 v.u.Z. bis zum Tod des Protagonisten und Erzählers im Jahr 54.
Dass eine ganze Reihe der Charaktere, die im Verlauf dessen eingeführt werden, nur einige wenige Auftritte haben und entsprechend unterentwickelt bleiben, mag man bedauern {ich z.B. hätte sehr gerne mehr von Caligulas Gemahlin Caesonia gesehen}, doch angesichts der Menge an Stoff, die in ca. 6½ Stunden bewältigt werden muss, war das wohl unvermeidlich.
Das zentrale Thema von I, Claudius, wie es sich für mich im Verlaufe der Serie herauskristallisiert hat, ist die monarchische Herrschaft und ihre verheerenden Folgen. Der Sturz der Republik und die Errichtung des Prinzipats beendet zwar den Bürgerkrieg, entfacht jedoch zugleich einen endlosen Machtkampf innerhalb der nunmehr herrschenden Julisch-Claudischen Familie, dem nach und nach beinah alle ihrer Mitglieder zum Opfer fallen. Dabei wird das dynastische Prinzip, das beinah unauflöslich mit der Monarchie als Herrschaftsform verbunden ist, zur zentralen Achse für all die Intrigen und mörderischen Machenschaften.
Die ersten fünf Episoden drehen sich hauptsächlich darum, wie Livia – die Ehefrau von Augustus – all jene aus dem Weg räumt, die der künftigen Thronbesteigung durch ihren Sohn aus erster Ehe – Tiberius – im Weg stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihre Opfer überhaupt Ambitionen auf die Krone haben oder nicht. Und das kann es auch nicht, denn innerhalb einer Erbmonarchie ist der Grad der Verwandtschaft zum Herrscher Grund genug, um jemanden zu einem Rivalen zu machen, der beseitigt werden muss.
Wenn Augustus im Vergleich zu seiner skrupellosen Gattin relativ gutmütig und sympathisch erscheint, darf man nicht vergessen, dass die Handlung {anders als im Roman} Jahre nach seiner Machtergreifung und der Konsolidierung seiner Herrschaft einsetzt. Die Methoden, derer er sich bedient hat, um dorthin zu gelangen, wo er am Anfang der Serie steht, bekommen wir nicht zu sehen. Aber wir können davon ausgehen, dass sie nicht weniger rücksichtslos waren als die Livias. Einen kleinen Einblick davon erhalten wir, wenn er in A Touch of Murder im Interesse seines Schwiegersohns Marcellus seinen alten Freund Agrippa ohne zu zögern ins Quasi-Exil schickt, nur um ihn nach dem vorzeitigen Tod des Favoriten rasch nach Rom zurückzuholen, damit er denn rebellisch gewordenen "Pöbel" beruhigt. Und um dies zu erreichen, ist er bereit, seine eigene Tochter Julia an den alten General zu verschachern. Nein, auch der Augustus von I, Claudius ist nicht der nette Onkel, den manche in ihm sehen wollen. Er wird uns mehr als Mensch, denn als Imperator gezeigt, und das macht es leichter, mit ihm zu sympathisieren. Zu einer moralisch unbefleckten Person macht es ihn deshalb noch lange nicht. Wenn er weniger blutrünstig einherkommt als seine Gemahlin, so weil er sich bereits im Besitz der Macht befindet. Auf welche Weise er sie ursprünglich gewonnen hat, ist hingegegen eine ganz andere Frage.
Anhand von Julia (Frances White) und Tiberius (George Baker) führen uns die ersten Episoden außerdem vor Augen, welch verheerende Auswirkungen diese aristokratischen Machtspiele auch auf jene Menschen haben können, die nicht auf einer "Killing List" landen, aufgrund ihrer Verwandtschaftsbeziehungen aber dennoch in den Mahlstrom der Intrigen hineingezogen werden. Julia hegt keinerlei politische Ambitionen, doch als Tochter des Imperators wird sie automatisch zu einer Schachfigur im großen Spiel um die Macht. Ihre drei Ehen {mit Marcellus, Agrippa und Tiberius} werden von anderen aus politischen Gründen arrangiert. Und als es ihr endlich vergönnt ist, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu genießen, was sie dazu nutzt, sich den bescheidenen Freuden von gutem Essen und gutem Sex hinzugeben, wird genau dies von Livia dazu ausgenutzt, sie zu diskreditieren und für ihre äußerst grausame Verbannung zu sorgen – stellt sie doch eine potentielle Bedrohung für ihren Sohn dar. Tiberius selbst wiederum will zu Beginn eigentlich überhaupt nicht Imperator werden, doch seine ehrgeizige Mutter zwingt ihn dazu, seine glückliche Ehe mit Vipsania aufzulösen, damit er Julia ehelichen kann, da ihn das in der Erbfolge aufrücken lässt. Als dann auch noch sein geliebter Bruder Drusus, der republikanische Überzeugungen hegt, einen verdächtig frühen Tod findet, versinkt er endgültig in Bitterkeit und Depression, was ihn später zu einem besonders unmenschlichen Despoten machen wird.
Ohne Frage erscheint Livia bei all dem in einem besonders ungünstigen Licht. Doch in einer Art "Beichte" gegen Ende ihres Lebens erklärt sie, es sei ihr vor allem darum gegangen, die Stabilität des Imperiums sicherzustellen und einem Rückfall in das Chaos des Bürgerkriegs vorzubeugen. Wir als Zuschauer werden diese Einschätzung kaum teilen können, doch die Umstände der "Beichte" legen nahe, dass Livia selbst dies wohl wirklich glaubt oder sich zumindest einzureden versucht. In gewisser Weise erscheint darum selbst sie als eine Art Opfer des monarchischen Prinzips, ist sie sich des unverzeihlichen Charakters ihrer Handlungen doch vollauf bewusst und lebt in der ständigen Furcht vor einer höllischen Bestrafung im Jenseits.
Claudius, dem gegenüber Livia diese "Beichte" ablegt, gelingt es nur deshalb all das Morden unbeschadet zu überstehen, weil er konseuquent dem Rat seines Jugendfreunds Herodes Agrippa (James Faulkner) folgt und den Trottel spielt. Aufgrund seines Klumpfußes, seines Stotterns und seines erst im Alter nachlassenden zwanghaften Zuckens des Kopfes halten ihn die meisten ohnehin für einen Idioten und darum für keinen ernstzunehmenden Konkurrenten im nie endenden Kampf um die Macht. Nur die wirklich intelligenten Vertreter der herrschenden Clique wie Augustus oder Livia realisieren zumindest am Ende, dass sie es bei ihm mit einem klugen und zugleich erstaunlich integren Menschen zu tun haben. Nicht so der Rest der adeligen Baggage. Er selbst hegt keinerlei politische Ambitionen, auch wenn er im Herzen ein Republikaner ist, sondern sieht sich ganz in der Rolle des Beobachters und einzig der Wahrheit verpflichteten Chronisten. Auf diese Weise schafft er es, selbst die Terrorherrschaft von Tiberius und des machthungrigen Gardepräfekten Sejanus sowie die irre Despotie Caligulas zumindets physisch unbeschadet zu überstehen.
Der von John Hurt brillant gespielte Caligula ist – wie nicht anders zu erwarten – die extremste Verkörperung des Cäsarenwahns. Schon als kleines Kind von beunruhigender Grausamkeit, erlaubt es ihm das monarchische Herrschaftssystem nach seiner Thronbesteigung endgültig alle Hemmungen abzulegen und sich ganz seinem Größenwahn und seinen sadistischen Neigungen hinzugeben. Wie absurd seine Proklamation, ein fleischgewordener Gott zu sein, auch auf alle Mitglieder der herrschenden Clique wirken mag, es finden sich mehr als genüg rückgratlose Höflinge, die willens sind, ihm als irdischer Inkarnation des Zeus zu huldigen. Um genau zu sein, es gibt niemandem, der dieser abstrusen Scharade öffentlich zu widersprechen wagt. Zugleich jedoch – und hier zeigt sich wieder einmal die besondere Stärke von I, Claudius {und die von John Hurt} – wirkt Caligula in gewisser Hinsicht bemitleidenswert. Offensichtlich geisteskrank, gequält von paranoiden Wahnvorstellungen und umgeben von feigen Speichelleckern, vermittelt er bei aller Widerlichkeit doch ein tragisches Gefühl absoluter Einsamkeit.
Sein Größenwahn treibt ihn u.a. dazu, den Menschen zu töten, für den er vermutlich am meisten empfindet. Als seine Schwester Drusilla, mit der er eine sexuelle Beziehung unterhält, schwanger wird, fühlt er sich durch das ungeborene Kind bedroht und folgt dem mythischen Vorbild des Zeus. Den Entscheidungsträgern bei der BBC war die Szene wohl etwas zu extrem, so dass sie uns nur in gekürzter Fassung erhalten geblieben ist. Was sie jedoch vielleicht nur noch verstörender macht. Wenn Caligula mit blutverschmiertem Mund aus seinem Schlafgemach getaumelt kommt, wissen wir, dass er nicht nur den Embryo aus dem Leib der Mutter geschnitten, sondern diesen auch aufzufressen versucht hat – ganz wie Zeus die ungeborene Pallas Athene. Brauchen wir die Folgen dessen wirklich zu sehen? Ich denke nicht. Das Bild in unserem Kopf wird allemal gruseliger sein als alles, was uns die Macher der Serie hätten präsentieren können.
Als Caligula ermordet wird, findet sich Claudius urplötzlich in einer Position wieder, in der er weitreichende politische Entscheidungen fällen muss. Die Verschwörer streben eine Wiedererrichtung der Republik an, was seinen eigenen Idealen entspricht. Doch um jeder Möglichkeit einer "Konterrevolution" den Riegel vorzuschieben, beabsichtigen sie, sämtliche Mitglieder der herrschenden Dynastie zu töten. Zugleich sieht sich Claudius mit einer drohenden Revolte der Prätorianergarde konfrontiert, für die in einer republikanischen Ordnung kein Platz mehr wäre und die deshalb nicht bereit ist, den Sturz der Monarchie einfach hinzunehmen. Um sein eigenes Leben und das der ihm Nahestehenden zu retten sowie einen Bürgerkrieg zwischen Senat und Garde zu verhindern, ist Claudius deshalb bereit, sich von den Soldaten zum Kaiser ausrufen und das Haupt der Verschwörung hinrichten zu lassen. Damit verrät er im Grunde seine tiefsten Überzeugungen und zeigt sich als Gefangener einer politischen Dynamik, die er nicht kontrollieren kann.
Den Großteil der letzten Episoden nimmt die Geschichte von Messalina (Sheila White) ein – wie wohl nicht anders zu erwarten, einer der problematischsten Teile der Serie. Claudius' berüchtigte dritte Gemahlin wird als eine intelligente, willensstarke und äußerst ehrgeizige Frau eingeführt, die nicht willens ist, sich mit der Rolle von Eheweib & Mutter zu bescheiden, sondern aktiv an der Gestaltung des Imperiums mitzuwirken wünscht. Dabei erscheint sie zwar als ziemlich skrupellos, zugleich aber auch als durchaus kompetent. Ein interessanter und nicht unbedingt unsympathischer Charakter. Leider verpufft das in dieser Figurenzeichnung angelegte Potential ungenutzt, wenn die Serie in der vorletzten Episode A God in Colchester dann doch auf die von antiken Historikern geschaffene Karrikatur der sexuell unersättlichen "kaiserlichen Hure" zurückfällt. Ob man diese Darstellung als misogyn einzuschätzen hat, muss jeder selbst entscheiden, auf jedenfall ist sie weit weniger interessant. Auch in anderer Hinsicht passt der Eindruck, den Messalina in A God in Colchester hinterlässt, nicht zu dem zuvor von ihr gezeichneten Bild. Wenn sie ihren Liebhaber Gaius Silius heiratet, bedeutet dies zugleich den Auftakt zu einem Coup d'etat. Die clevere Messalina aus Fool's Luck wäre sich bewusst gewesen, dass es sich dabei um ein Spiel auf Leben und Tod handelt. Die Messalina aus A God in Colchester hingegen wirkt ungläubig und geschockt, als nach der raschen Niederschlagung des Aufstandsversuchs ihre Hinrichtung befohlen wird und die Prätorianer mit gezückten Schwertern in ihrem Gemach auftauchen.
Alles in allem, eine vertane Chance. Nun denn, dafür erreicht die Serie in der allerletzten Episode Old King Log noch einmal einen ihrer Höhepunkte.
Nicht nur von seiner Frau, sondern auch von seinem besten Freund Herodes Agrippa hintergangen und verraten, ist der alte Claudius vereinsamt und endgültig desillusioniert. Als er seine intrigante Nichte Agripinilla ehelicht, macht er ihr von vornherein klar, dass er sie weder sexuell begehrt noch als Mensch schätzt. Welches Ziel er mit dieser eigenartigen Verbindung verfolgt, bleibt vorerst unklar. Noch seltsamer muss es erscheinen, dass er sich ohne zu zögern bereit erklärt, ihren Sohn Nero zu adoptieren, mit seiner eigenen Tochter zu vermählen und zum gleichberechtigten Erben neben seinem eigenen Sprössling Britannicus einzusetzen. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass er weiß, dass Agripinilla plant, Nero den Thron zu sichern. Im Grunde scheint er mit diesen exzentrisch anmutenden Entscheidungen, offenen Auges sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen.
Schließlich enthüllt Claudius seinem freigelassenen griechischen Berater seinen Plan: Er habe versucht, ein guter Imperator zu sein. Dies sei ein Fehler gewesen. Die Monarchie könne nicht reformiert, sie müsse für immer zerstört werden. Deshalb habe er alles getan, um einer Thronbesteigung Neros den Weg zu ebnen. Dessen Herrschaft werde die Monarchie in den Augen des römischen Volkes endgültig diskreditieren, was schließlich zur Rückkehr der Republik führen müsse.
Im Grunde sagt Claudius hier, dass es keine guten Kaiser geben kann, weil das monarchische System selbst verbrecherisch ist. Eine so kompromisslose Verdammung der Monarchie mutet in einer britischen Fernsehserie subversiv, ja beinah radikal an.
Doch selbstverständlich geht der Plan am Ende nicht auf. Britannicus, dem Claudius die Rolle des Wiederherstellers der Republik zugedacht hat, weigert sich diese zu übernehmen. Nicht nur verbietet ihm sein verqueres Bild der eigenen "Männlichkeit", den zu erwartenden Anschlägen auf sein Leben durch ein freiwilliges Exil in Britannien auszuweichen, er erklärt seinem Vater auch ganz unumwunden, dass er nicht an die Republik glaube. "Niemand glaubt mehr an sie. Niemand außer dir."
Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte I, Claudius auf dieser zugleich subversiven wie tragischen Note ausklingen lassen. Unser Held hat erkannt, dass die Monarchie ein durch und durch verwerfliches, nicht zu reformierendes System der Herrschaft ist. Zugleich jedoch muss er realisieren, dass er als einzelner nicht in der Lage ist, den Gang der Geschichte auf fundamentale Weise zu beeinflussen. Dem hätte sich auch das innerhalb der Serie immer mal wieder aufscheinende Motiv von Schicksal und Prophezeiung perfekt eingefügt. Doch leider nimmt die allerletzte Szene von Old King Log all dem die Spitze:
Claudius ist gestorben. Die Sibylle tritt an sein Totenbett heran und gewährt ihm einen kurzen Blick in die Zukunft: Neros Herrschaft wird sich als so monströs erweisen, wie er es vorausgesehen hat, doch wird sie nicht zum Untergang der Monarchie, bloß zum Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie führen. Soweit ist das alles noch in Ordnung, doch dann erklärt die Prophetin, dass die kommenden Kaiser sich alles in allem als gar nicht so schlecht erweisen würden. Es ist dieser eine kleine Satz, der mir das Ende von I, Claudius ein wenig vergällt hat. Er entschärft die antimonarchische Stoßrichtung der Serie und schwächt zugleich die Tragik von Claudius' Schicksal ab. In meinen Augen ein bedauernswerter Fehltritt, aber keiner, der dieser exquisiten TV-Serie ihren bleibenden Wert rauben würde.