"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Mittwoch, 23. März 2016

Das Auge des Bösen

Die meisten Horrorfans werden bei Lucio Fulci vermutlich zuallererst an Zombi 2 aka Zombie Flesh Eaters (1979) das erste der bald schon kaum mehr zu zählenden Pseudo-Sequels zu George A. Romeros Dawn of the Dead (1978)* sowie an die sog. "Gates of Hell" - Trilogie denken müssen: Paura nella città dei morti viventi / City of the Living Dead (1980),  L'aldilà / The Beyond (1981) und Quella villa accanto al cimitero / The House by the Cemetery (1981).  
In späteren Jahren reagierte der Regisseur oft ziemlich ungehalten, wenn man diese Filme als den Höhepunkt seines Oeuvres darzustellen versuchte:
Massimo F. Lavagnini: Your golden time has been that of the famous trilogy started with Gates of Hell.
Fulci: (angry) I'm bored with all the critics who talk of a "Trilogy". I think my real golden time was in the early seventies, with Perversion Story, Don't Torture a Duckling ...
Nun käme es in der Tat einem Verbrechen gleich, wollte man über Fulcis berühmtesten Werken seine diesen vorangegangenen Arbeiten im Giallo-Genre vernachlässigen. Andererseits lässt sich kaum leugnen, dass er in der "Gates of Hell" - Trilogie seinem Ziel, einen "absoluten" Film "with all the horrors of our world", "a visual rendering of the metaphysical side of bad dreams" zu erschaffen, wohl am nächsten gekommen ist.
Bei seinem Versuch, der Essenz eines Alptraums filmische Gestalt zu verleihen, warf Fulci viele der üblichen erzählerischen Konventionen des Kinos über Bord. Auf viele Betrachter wirken die drei Filme deshalb zuerst einmal ziemlich verwirrend, und manch einer hat aus ihnen sogar den Schluss ziehen wollen, Fulci sei im Grunde ein schludrig arbeitender Hack-Meister gewesen, der die offensichtliche Absurdität seiner Scripts durch extreme Gore-Szenen zu überspielen versucht hätte. Doch eine solche Einschätzung würde dem Werk des großen Horror-Maestros wirklich nicht gerecht. In der Tat gehorchen die "Gates of Hell" - Filme keiner konventionellen erzählerischen Logik, weshalb der Plot nicht selten unsinnig, undurchsichtig oder widersprüchlich erscheint. Doch ist das kein Beleg filmerischer Inkompetenz, sondern ein bewusst eingesetztes künstlerisches Stilmittel. Fulci verfolgte in diesen Filmen nicht das Ziel, eine kohärente Geschichte zu erzählen. Wie er selbst über The Beyond gesagt hat: "It's a plotless film: a house, people, and dead men coming from The Beyond. There's no logic to it, just a succession of images." Diese Szenen und Bilder fügen sich zwar nicht zu einer stringenten Story, dafür aber zu einer extrem verstörenden und sinnlich überwältigenden Alptraumvision zusammen.** Ihre scheinbare Inkohärenz ist Teil des traumartigen, andersweltlichen Charakters der Filme. Bei allem Gore besteht die "Gates of Hell" - Trilogie nicht aus Horrorflicks im herkömmlichen Sinne, sie ist ein surrealistisches Triptychon des Grauens.
Diese Technik birgt natürlich gewisse Risiken. Wenn ein auf diese Weise konstruierter Film nicht die nötige Intensität besitzt, um die einzelnen Szenen gewissermaßen zu einer größeren Vision zu verschmelzen, droht er in seine Einzelteile zu zerfallen, die dann in der Tat bloß noch inkohärent und unsinnig wirken müssen.
Ein gutes Beispiel dafür ist meiner Meinung nach Fulcis Manhattan Baby aus dem Jahre 1982.


Die Versatzstücke, aus denen Fulci seinen Film zusammengebaut hat, sind altbekannt: Ein fluchbeladenes ägyptisches Grab, das unvorsichtigerweise von dem amerikanischen Archäologen George Hacker (Christopher Connelly) geöffnet und betreten wird, was diesem zumindest für einige Zeit das Augenlicht kostet. Ein ebenso fluchbeladenes Amulett, das Hackers Tochter Susie (Brigitta Boccoli) von einer mysteriösen blinden Frau erhält. Die Verwandlung von Susie und ihrem kleinen Bruder Tommy (Giovanni Frezza) in von Dämonen besessene "creepy kids", die nicht nur Au-pair - Mädchen Jamie Lee (Cinzia de Ponti) terrorisieren, sondern offenbar auch nächtliche Ausflüge in eine andere Dimension unternehmen. Ein exzentrischer Antiquitätenhändler und Okkultist (Cosimo Cinieri), der zuguterletzt eine Art Exorzismus an Susie durchführt.
Wie gesagt, nichts hiervon ist wirklich neu, und dem Film ist verschiedentlich vorgeworfen worden, motivisch gleich mehrere erfolgreiche amerikanische Horrorstreifen wie Rosemary's Baby, The Exorcist und Poltergeist geplündert zu haben. Doch ehrlich gesagt, habe ich damit keinerlei Probleme. Für mich ist die Frage bloß: Hat Lucio Fulci aus diesen Elementen etwas interessantes und eigenständiges kreiert? Und ich muss zugeben, dass ich mir da nicht so sicher bin.
Der Film trägt ohne Zweifel die Handschrift des großen Auteurs. So erreicht z.B. Fulcis legendärer Augen-Fetischismus in Manhattan Baby ganz neue Dimensionen. Der gesamte Streifen ist von ihm durchtränkt. Angefangen bei den milchig weißen Augen der blinden Frau, die Susie das Amulett gibt, über Hackers zeitweilige Erblindung, die noch dadurch besonders hervorgehoben wird, dass der Mann bizarrerweise seine Brille über den mit Binden verdeckten Augen trägt, bis hin zu unzähligen Close-ups der Augenpartien aller beteiligten Schauspieler und Schauspielerinnen. Und natürlich besitzt das "Amulett des Bösen" selbst die Form eines Auges.
Ich habe die große Rolle, die das Augenmotiv in Fulcis Filmen spielt, immer im Zusammenhang damit gesehen, dass seine Werke vor allem auf einer sinnlich-unmittelbaren Ebene operieren. Nicht ohne Grund habe ich in Bezug auf die "Gates of Hell" - Trilogie von "Visionen" gesprochen. Und tatsächlich enthält auch Manhattan Baby einige wirklich großartige, faszinierende und verstörende Szenen. So ist z.B. ein Gutteil der in Ägypten spielenden Anfangssequenz wirklich exzellent, vor allem, wenn es um Susie geht. Und auch später finden sich immer wieder Szenen, die erfüllt sind von einer beunruhigenden Atmosphäre des Bösen, der Bedrohung durch finstere, unerklärliche Mächte. Doch zumindest für mich reichten diese letztlich nicht aus, um den Streifen als Ganzes auf jene visionäre Ebene zu heben, die Fulcis beste Filme zu echten Meisterwerken des phantastischen Kinos macht.
Aus diesem Grund hatte ich bei Manhattan Baby auch sehr viel größere Probleme mit dem inkohärenten und widersprüchlichen Charakter des Plots. Freilich erreichte meine Irritation nie den Grad, an dem sie in offene Frustration umgeschlagen wäre. Auch wenn ich anders als bei der "Gates of Hell" - Trilogie nicht bereit war, über die mangelnde Logik der Story hinwegzusehen, konnte ich doch spüren, dass viele der scheinbaren Widersinnigkeiten des Plots einem Zweck dienen: Dem Heraufbeschwören einer Atmosphäre des Bösen, vor dem es kein Entrinnen gibt. Einmal mehr verleiht Fulci hier seinem tief empfundenen und gänzlich hoffnungslosen Pessimismus Ausdruck. Und ja, die mangelnde erzählerische Logik spielt dabei eine wichtige Rolle. So etwa, wenn Susies Exorzismus mit einer Szene parallelisiert wird, in der wir ihren offensichtlich nach wie vor besessenen Bruder sehen, der in seinem Zimmer sitzt, während der mumifizierte Arm der zuvor verschwundenen Jamie Lee durch die Wand bricht. Auf einer rein logischen Ebene macht schon Tommys Besessenheit keinen Sinn, noch viel weniger das Auftauchen des untoten Au pair - Mädchens. Dennoch funktioniert die Szene sehr gut, vermittelt sie uns doch das Gefühl, dass das Böse nicht an das Amulett und damit an Susie gebunden, sondern schier allgegenwärtig ist.
Nicht unerwähnt bleiben darf auch die von dem großen Fabio Frizzi komponierte Musik, die einen wichtigen Beitrag zur Atmosphäre des Filmes leistet.

 
Aber selbst hier war mein Genuss nicht frei von gewissen Irritationen, sind einige Szenen des Films doch mit Stücken aus Frizzis grandiosem Soundtrack für The Beyond unterlegt, was den Eindruck erweckt, als habe es dem Komponisten entweder an Zeit oder an Inspiration gemangelt. 

Alles in allem würde ich Manhattan Baby als eine Art "noble failure" bezeichnen. Ganz sicher nicht der Film, den ich als Einstieg in Lucio Fulcis Oeuvre empfehlen würde. Andererseits besitzt er ohne Zweifel einige recht interessante Momente. Und hey, selbst ein echter Meister kann nicht immer Meisterwerke erschaffen.                                                                                                                                                                      

* Die von Dario Argento neu geschnittene und mit dem vollständigen Goblin - Soundtrack versehene italienische Fassung von Romeros Klassiker trug den Titel Zombi - L'alba dei morti viventi, daher Zombi 2, obwohl Fulcis Film, der selbst ein unbestrittener Klassiker des Zombiekinos ist, inhaltlich rein gar nichts mit Romeros Werk zu tun hat.
** Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt bei den ersten beiden Filmen in diesem Zusammenhang natürlich auch die großartige Musik von Fabio Frizzi: City of the Living Dead * The Beyond.

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