"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 26. Dezember 2015

Strandgut der Woche

    Freitag, 25. Dezember 2015

    Spirits and ghosts that glide by night

    Now I remember those old women's words,
    Who in my wealth would tell me winter's tales,
    And speak of spirits and ghosts that glide by night

    Christopher Marlowe, The Jew of Malta


    Die englische Tradition, sich in der dunklen Jahreszeit mit dem Erzählen phantastischer und unheimlicher Geschichten zu unterhalten, ist alt. Niemand weiß genau, wie alt, doch schon in den elisabethanischen Tagen von Marlowe und Shakespeare scheint es sich um einen allseits bekannten und vermutlich in sehr viel ältere Zeiten zurückreichenden Brauch gehandelt zu haben. Wann genau er mit Weihnachten verknüpft wurde, ist gleichfalls nicht eindeutig festzumachen, doch als das viktorianische Bürgertum im 19. Jahrhundert daran ging, viele der Formen, in denen dieses Fest bis heute im Vereinigten Königreich gefeiert wird, zu "kodifizieren", gehörte das Erzählen von Gespenstergeschichten zum festen Programm für die Feiertage. Leider einer der Teile der viktorianischen Weihnacht, die es nicht bis ins 21. Jahrhundert geschafft haben. Zumindest nicht in der ursprünglichen Form.

    Ich habe mich in einer ganzen Reihe von älteren Blogposts (hier, hier, hier, hier & hier) bereits recht ausführlich darüber ausgelassen, wie das britische Fernsehen seit dem Ende der 60er Jahre immer mal wieder versucht hat,. diese höchst sympathische Tradition in filmischer Weise wiederzubeleben. Heute möchte ich stattdessen zwei außergewöhnliche kleine Werke des Indie-Filmemacher-Paares Daniel und Richard Mansfield vorstellen, von denen zwar nur das zweite den "offiziellen Titel" einer "Ghost Story for Christmas" trägt, die mir jedoch alle beide großartig geeignet erscheinen, um für etwas spukig-weihnachtliche Unterhaltung zu sorgen:      
    The Phantom Coach
    nach der Kurzgeschichte von Amelia B. Edwards

                     &

    The Room in the Tower
    nach der Kurzgeschichte von E.F. Benson
    Ich habe keinen der übrigen Filme, die von Mansfield Dark bislang produziert wurden, gesehen, doch bin ich auf jedenfall neugierig geworden. Und zumindest ihre dieses Jahr fertiggestellte Adaption von M.R. James' klassischer Horrorstory Count Magnus werde ich mir, sobald ich die Möglichkeit dazu habe, ganz sicher besorgen.


    Samstag, 19. Dezember 2015

    Strandgut der Woche

    Donnerstag, 17. Dezember 2015

    "Horus hacketh thee in pieces"


    Thy head shall be cut off, and the slaughter 
    of thee shall be carried out. [...]
    Horus hacketh thee in pieces, 
    he spitteth upon thee; 
    thou shalt not rise up towards heaven, 
    but shalt totter downwards, O feeble one, 
    without strength, cowardly, unable to fight, 
    blind, without eyes, 
    and with thine head turned upside down. 
    Lift not up thy face. 
    Get thee back quickly, and find not the way. 
    Lie down in despair ...

    Incantations Against Reptiles and Noxious Creatures in General*


    Ich mache Alessandra Reß für diesen Blogpost verantwortlich, haben mir ihre Novemberansichten doch die Existenz von Gods of Egypt und der Kontroverse, die der Film bereits Monate vor seiner Kinopremiere ausgelöst hat, ins Gedächtnis zurückgerufen. Ob ich ihr dafür dankbar sein sollte? Keine Ahnung ...



    Basierend auf diesem trailerüblichen Szenengeschnipsel wage ich zu behaupten, dass mir der Streifen {falls ich ihn denn je sehen sollte} aller Wahrscheinlichkeit nach nicht annähernd so viel Vergnügen bereiten wird, wie einige von Alex Proyas' älteren Werken {The Crow [1994]; Dark City [1998]}. Aber sieht das Ganze wirklich soooo mies aus? Hmmm ... Ja und nein.

    Im Normalfall würde Gods of Egypt vermutlich nicht mehr Aufmerksamkeit erregt haben als vor zwei Jahren The Legend of Hercules einfach ein weiteres Fantasy-Mythen-CGI-Action-Spektakel. Kein Grund für hitzige Debatten, höchstens für ein frustriertes Kopfschütteln. Wenn da nicht der Vorwurf des "Whitewashing" wäre. Und hier wird's für mich problematisch.

    Ohne Zweifel lassen sehr viele Blockbuster in Sachen "Diversität" nach wie vor eine Menge zu wünschen übrig, aber darum geht es in diesem speziellen Fall eigentlich gar nicht. Kritisiert wird vielmehr, dass die Hauptrollen in einem Film, der in Ägypten spielen soll und einige seiner Motive der altägyptischen Mythologie entlehnt hat, beinah ausnahmslos mit weißen Schauspielern & Schauspielerinnen besetzt wurden.
    Ich zitiere aus einem Daily Life - Artikel von Ruby Hamad:
    Australian director Alex Proyas' blockbuster Gods of Egypt started shooting in Sydney last Wednesday. The $150 million epic centres on the showdown between the evil god Set (Gerard Butler) and Horus (Danish Game of Thrones star Nikolaj Coster-Waldeu). It also stars "our own" Geoffrey Rush as the sun god Ra and Brenton Thwaites as a "common thief" who joins the mythical figures on their magical quest.
    In other words, it's a film set in Egypt with Egyptian characters, but (with the exceptions of Chadwick Boseman and Elodie Yung in minor roles) a white cast.
    And so, the time-honoured tradition of Hollywood whitewashing continues.
    Auf den ersten Blick mag das recht vernünftig klingen, schließlich dürften die Bewohner des Pharaonenreiches kaum wie weiße Europäer (oder Australier) des 21. Jahrhunderts ausgesehen haben. Doch was ist mit Boseman und Yung? Kommen ein Afroamerikaner und eine Französin kambodschanischer Abstammung dem Erscheinungsbild alter Ägypter wirklich näher? Vermutlich nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es nach dem aktuellen Stand der Forschung überhaupt möglich wäre, mit einiger Sicherheit zu bestimmen, welche heute existierende ethnische Gruppe den alten Ägyptern am meisten ähneln würde. Zumal ich mir denke, dass die Zusammensetzung der Bevölkerung des Pharaonenreiches im Laufe seiner über drei Jahrtausende umfassenden Geschichte einigen Wandlungen unterworfen gewesen sein wird.

    Ruby Hamads Argumentation macht nur im Kontext jener kruden Schwarz-Weiß-Dichotomie Sinn,  die vor allem bei amerikanischen "Progressiven“ {offenbar aber auch bei ihren australischen Nachahmern} weit verbreitet ist, wenn es um Rassismus und verwandte Fragen geht.** Dem ideologischen Konstrukt der "Weißheit" ("Whiteness"), das historisch auf den transatlantischen Sklavenhandel, die auf Sklavenarbeit basierende Plantagenwirtschaft Amerikas und den Kolonialismus zurückgeführt werden kann, wird dabei in Gestalt der "People of Colour" (PoC) ein ebenso künstliches Gebilde gegenübergestellt. Die "People of Colour" sind ja keine real existierende ethnische oder kulturelle Gemeinschaft. Als Gruppe werden sie ausschließlich durch ihre "Nicht-Weißheit" definiert, wobei sich die Anhänger dieser Denkweise mitunter lang und breit darüber streiten, wer genau sich zu der Gruppe der "Nicht-Weißen" zählen darf und wer nicht. In gewisser Hinsicht ist das PoC-Konstrukt das bizarre Spiegelbild der rassistischen Idee der "Weißheit". Statt die künstlichen Kategorien von "Rasse", die letztenendes dazu dienen, die Arbeiterklasse zu spalten, als solche zu entlarven und zu kritisieren, wird eine weitere "rassische" Identität konstruiert. In der Praxis wird die Spaltung damit bloß weiter vertieft.***

    Die Bewohner des Pharaonenreiches hätten sich selbst ganz sicher nicht als "Farbige" bezeichnet. Derlei Kategorien wären ihnen völlig fremd und unverständlich gewesen. Doch die meisten Anhänger der Identitätspolitik haben keine Probleme damit, ihre ideologischen Konstruktionen zusammen mit ihren Moralvorstellungen auf jede beliebige vergangene Geschichtsepoche zu übertragen. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie die alten Ägypter als "People of Colour" betrachten. Wenn Leute wie Ruby Hamad die Besetzung von Gods of Egypt kritisieren, geht es ihnen darum auch nicht wirklich um historische, sondern um "rassische" Authentizität. Deshalb erhalten Yung und Boseman anders als Coster-Waldeu und Brenton Thwaites ihren Segen, obwohl sie in ihrem äußeren Erscheinungsbild den alten Ägyptern kaum ähnlicher sein dürften als ihre "weißen" Kollegen.

    Doch selbst da, wo Hamad über die simplistische Schwarz-Weiß-Dichotomie hinauszugehen und sich der Realität etwas stärker anzunähern scheint, bleibt sie eine Gefangene ihrer Ideologie:
    However, Gods of Egypt did request extras of Middle-Eastern appearance. I spoke with Mohab Kamel, an Egyptian-Australian broadcaster at SBS Radio who responded to the casting call. Kamel was told all roles had been cast but is sceptical that they were filled by any actual Egyptians. In his experience, producers are keen to cast extras who "look the part" but don't necessarily have any connection to the race or culture they will be depicting.
    "Actual Egyptians"? Lässt sich ernsthaft behaupten, es bestehe eine kulturelle Verbindung zwischen heute lebenden Ägyptern & Ägypterinnen und dem Reich der Pharaonen? Worin sollte diese bestehen?

    Jonas Kyratzes hat kürzlich einen sehr lesenswerten Blogpost veröffentlicht, in dem er eines der frustrierendsten Phänome unserer Zeit beschreibt: Die technischen und kulturellen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben die Ausbildung eines internationalistischen Bewusstseins sehr viel leichter und naheliegender gemacht als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Die Mehrheit der "Linken" aber "promotes the separation of people into increasingly tiny categories, and defends these categories as if they carried all the moral weight in the world".  Kyratzes' Post trägt den Titel The End of Nationalism, und tatsächlich besitzt die Ideologie der Identitätspolitik große Ähnlichkeiten mit der des Nationalismus. Beide machen die Zugehörigkeit zu einem abstrakten Kollektiv {der "Nation" auf der einen, den "Frauen", "PoC", "LGBT" etc. auf der anderen Seite}, in dem alle realen Klassenunterschiede ihre Bedeutung verlieren, zum Zentrum ihres Denkens. Beide tendieren dazu, dieses Kollektiv in seiner Gegnerschaft zu anderen Kollektiven {den übrigen "Nationen", den "straight white males"} zu definieren. Oft knüpfen diese vermeintlich "Progressiven" in gewisser Hinsicht sogar an die wohl reaktionärste Form des Nationalismus an seine "völkische" Variante. Sie verbinden kulturelle Zugehörigkeit mit {fiktiver oder tatsächlicher} Blutsverwandtschaft. Die Idee einer ägyptischen "Nation", die bis zu Pharao Ramses II. oder Königin Hatschepsut zurückreicht, ist ebenso absurd wie die Idee einer deutschen "Nation", die bis zu Karl dem Großen oder Hermann dem Cherusker zurückreicht. Beides sind ahistorische ideologische Konstrukte. Aber im Denken von Leuten wie Ruby Hamad scheint eine solche Kontinuität tatsächlich zu bestehen, und ihre Grundlage ist "rassischer" Natur. Wer "ägyptisches Blut" in den Adern hat besitzt offenbar eine geradezu mystisch anmutende Verbindung zur Kultur des Pharaonenreiches und ist als Schauspieler deshalb besser geeignet, einen Vertreter dieser seit langem untergegangenen Zivilisation zu verkörpern. Auf jedenfall ist er {oder sie} in höherem Maße dazu legitimiert.

    Interessanterweise gilt dasselbe jedoch nicht für "weiße" Kulturen. Als 2010/11 bekannt wurde, dass Idris Elba in Kenneth Branaghs Thor die Rolle des Heimdall spielen würde, rief dies bei manchen Leuten ziemlich negative  Reaktionen hervor. Viel davon war ganz ohne Zweifel Ausdruck von Bigotterie, dennoch wirkt es reichlich inkonsequent, wenn Hamad diese Episode ausschließlich als einen weiteren Beleg für den Rassismus in der Fangemeinde anführt. Müsste sie nicht dieselbe Position beziehen wie weiland der berühmte afroamerikanische Fantasyautor Charles R. Saunders, der aus sicher ganz und gar nicht rassistischen Beweggründen diese Besetzung gleichfalls abgelehnt hatte? Schließlich ist Heimdall Teil des altnordischen Götterpantheons, hätte er da nach Hamads eigener Weltanschauung nicht vorzugsweise von einem isländischen oder norwegischen Darsteller gespielt werden müssen?

    Man missverstehe mich bitte nicht: Ich habe keinerlei Probleme mit Idris Elba als Heimdall, und der Wunsch, ein Film wie Gods of Egypt möge ein in ethnischer Hinsicht vielfältigeres Ensemble besitzen, genießt meine volle Sympathie. Doch der Vorwurf des "Whitewashing", der in anderen Zusammenhängen völlig angebracht sein kann, führt in diesem Fall beinah automatisch in ideologische Gefilde, denen ich äußerst kritisch gegenüberstehe. Auch erscheint er mir letztenendes aus folgendem Grund ziemlich absurd:
    Ruby Hamad bezeichnet Alex Proyas' Flick zusammen mit Ridley Scotts Exodus als "historical epics". Sorry, aber da kann ich ein Kichern nicht unterdrücken. Mit Geschichte hat keiner dieser beiden Filme irgendetwas zu tun. Höchstens mit alten mythischen Erzählungen.
    Und zumindest im Falle von Gods of Egypt wohl auch damit nicht wirklich. Außer einigen Götternamen, Pyramiden und Obelsiken erinnert nichts in dem Trailer an das pharaonische Ägypten oder seine Mythen. Das hier ist ganz ohne Frage eine Provinz von Filmfantasyland.
    In meinen Augen nichts, was notwendigerweise gegen den Streifen sprechen müsste. Schließlich haben z.B. die alten Ray Harryhausen - Sinbad - Flicks auch nur sehr wenig mit den entsprechenden Geschichten aus alf laila wa-laila (Tausendundeine Nacht) oder der islamisch-arabischen Welt des Mittelalters zu tun, ohne deshalb irgendetwas von ihrem Charme einzubüßen. Und was die Forderung nach größerer "Diversität" angeht, ist so ein "respektloser" Umgang mit den "Quellen" sogar von Vorteil. Verpflanzt man die Geschichte nach Fantasyland wird damit jeder Forderung nach "historischer" oder "kultureller" Authentizität der Boden entzogen. Das gilt für die konservative Variante des Arguments ganz genauso wie für die "progressive". Wir können unsere Welt mit Menschen jedweder Hautfarbe oder Herkunft bevölkern. In der Darstellung weiblicher oder nicht-heterosexueller Charaktere brauchen uns historische Geschlechterrollen oder Moralvorstellungen nicht zu interessieren usw. Was der einzelne Künstler oder die einzelne Künstlerin mit dieser Freiheit anfängt, ist natürlich eine andere Frage, doch niemand kann ihm oder ihr mit dem Spruch kommen: "Das ist unrealistisch. Damals war das nämlich so und so."

    Wenn ich Gods of Egypt dennoch eher skeptisch entgegenschaue, so aus gänzlich unpolitischen Gründen. 

    Von dem Bisschen ausgehend, was man dem Trailer entnehmen kann, besäße der Streifen vielleicht wirklich das Potential dazu, charmant-farbenfroh-verrückter Fantasyunsinn zu sein. Insbesondere die Beziehung zwischen dem menschlichen Dieb und dem Gott Horus würde da manch neckische Möglichkeiten eröffnen. Um ehrlich zu sein, mir gefällt das Dialogschnipselchen: "We should run." "Run?" "We mortals do it all the time." Aber ich werde die Befürchtung nicht los, dass sich das Ganze am Ende dennoch als ein lebloses und langweiliges Special Effects - Spektakel entpuppen wird wie etwa das Clash of the Titans - Remake von 2010. Jedenfalls scheint mir vieles in dem Trailer darauf hinzudeuten.

    Ich weiß, es klingt abgeschmackt, wenn man sämtliche Probleme des phantastischen Films der Gegenwart auf CGI zurückführt. Aber ich bin der Überzeugung, dass mit der Entwicklung dieser Technik tatsächlich in mancherlei Hinsicht eine Büchse der Pandora geöffnet wurde.
    Die alten Tricktechniken wie Animatronics und Stop-Motion waren extrem zeitaufwendig. Man denke z.B. an Ray Harryhausens berühmte Skelettkrieger aus Jason and the Argonauts (1963), über deren Anfertigung der große SFX-Magier einmal erzählt hat:
    I had three men fighting seven skeletons, and each skeleton had five appendages to move in each separate frame of film. This meant at least 35 animation movements, each synchronised to the actors' movements. Some days I was producing less than one second of screen time; in the end the whole sequence took a record four and a half months. 
    Schon aus diesem Grund konnten die entsprechenden Kreationen unmöglich zum alles dominierenden Element eines Filmes werden. Ihre Auftritte bildeten spektakuläre Höhepunkte und trugen sehr viel zum Flair eines Streifens bei, doch letztlich blieben sie der Story als solcher untergeordnet. Sie mussten es.
    Die CGI-Technik hat diese objektiven Grenzen, die dem Einsatz von Special Effects bis dahin gesetzt waren, beseitigt. Filmemacher sind nicht länger gezwungen, sich in dieser Hinsicht irgendwie einzuschränken. Es ist nunmehr möglich, alles und in jeder beliebigen Menge auf der Leinwand darzustellen.
    Für sich genommen ist das natürlich nichts schlechtes. Damit haben sich den Künstlern & Künstlerinnen potentiell ganz neue, nie gekannte Möglichkeiten eröffnet, eine Geschichte filmerisch zu erzählen. Leider jedoch sieht das Ergebnis vor allem im Fantasy-, SciFi- und Action-Bereich bisher viel zu oft eher so aus, dass das Erzählen einer Story durch ein Bombardement mit Special Effects - Szenen ersetzt wird, die keinem anderen Zweck dienen, als den, das Publikum visuell zu überwältigen. {Die Ironie besteht darin, dass Special Effects uns im Grunde gar nicht länger in Staunen versetzen und damit überwältigen können. Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, dass den CGI-Zauberern heute nichts mehr unmöglich ist.}
    Der Grund hierfür liegt nicht allein in einem Mangel an Selbstbeschränkung auf Seiten der Filmemacher, sondern in einer veränderten Herangehensweise an das Medium Film, welche zwar ganz sicher nicht direkt auf die Entwicklung der CGI-Technik zurückgeführt werden kann, doch mit dieser Hand in Hand gegangen ist. Von vielen wird der Film offenbar nicht länger als eine Form des Geschichtenerzählens betrachtet. Sie sehen ihn vielmehr als eine Aneinanderreihung von audio-visuellen Inputs, die bestimmte emotionale Reaktionen hervorrufen sollen. Dabei hat sich das traditionelle Verhältnis zwischen den einzelnen Sequenzen und der Story als Ganzem in sein Gegenteil verkehrt. Erstere dienen nicht länger hauptsächlich dazu, den Plot voranzubringen oder die Charaktere zu entwickeln, es ist vielmehr zur Hauptaufgabe des Plots geworden, die einzelnen Sequenzen miteinander zu verknüpfen. Auf Seiten des Publikums soll damit eine Art rauschhafter Zustand hergestellt werden, der oft mit dem Begriff "Immersion" umschrieben wird.

    Es wäre sicher interessant, der Frage nachzugehen, warum es zu dieser Entwicklung gekommen ist, doch dazu habe ich momentan keine Lust. Auf jedenfall finde ich diese Art Film im Allgemeinen eher langweilig und irritierend, denn fesselnd und überwältigend. Und der Umstand, dass mir Streifen dieser Machart trotz allem vorzugaukeln versuchen, es gehe ihnen um das Erzählen einer Geschichte, während die Zielsetzung in Wahrheit eine ganz andere ist, hinterlässt bei mir außerdem das Gefühl, verarscht worden zu sein. Und ich mag es nicht, wenn man glaubt, mich für dumm verkaufen zu können. 
          



    * E. A. Wallis Budge: Legends of the Gods. The Egyptian Texts, edited with Translations. S. 142f.
    ** Seine Basis hat dieses Konstrukt ganz offensichtlich in den gesellschaftlichen Verhältnissen der USA, ist aber selbst in dieser Hinsicht oberflächlich und simplistisch. Auch in der Geschichte der Vereinigten Staaten war Rassismus nicht immer mit Hautfarbe verbunden. Man denke z.B. an die Diskriminierung irischer oder osteuropäischer Einwanderer.
    *** Vieles an der Philosophie der Identitätspolitik, die in "linken" Kreisen heute so weit verbreitet ist, wird verständlicher, wenn man sich klarmacht, dass es sich bei ihr um eine Mittelklasse-Ideologie handelt, deren Ziel nicht darin besteht, eine radikale gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. Ich habe vor, einen zweiten Post als eine Art "Nachwort" zu diesem Artikel zu schreiben, in dem ich auf diese Frage etwas genauer eingehen werde.

    Sonntag, 13. Dezember 2015

    Amoklauf der Hirne

    Leigh Brackett, deren hundertsten Geburtstag wir letzten Montag feiern konnten, dürfte neben C.L. Moore die bekannteste SFF-Autorin des Goldenen Zeitalters der Pulps sein. Doch die beiden waren keineswegs die einzigen Frauen, die während der 30er und 40er Jahre auf den Seiten von Weird Tales oder Astounding Stories in phantastische Gefilde oder interplanetarische Weiten vorstießen. Eine weitere Pionierin jener Ära war z.B. die heute weitgehend in Vergessenheit geratene Amelia Reynolds Long (1904-1978). 
    Von 1928 bis 1940 erschienen gut zwanzig SciFi-Stories aus ihrer Feder in einer Reihe von Pulp-Magazinen,* bevor sie sich schließlich ganz der Detektiv-Geschichte zuwandte, in der sie gegen den Trend zur "hard-boiled detective story" à la Dashiell Hammett oder Raymond Chandlerdie Traditionen Agatha Christies und des klassischen "Whodunit" am Leben zu erhalten versuchte.

    Lange nachdem sie selbst der Science Fiction den Rücken zugekehrt hatte, fand eine ihrer Geschichten sogar den Weg auf die Kinoleinwand. Verantwortlich dafür war niemand anderes als der legendäre Forrest J. Ackerman. Als Ms. Longs Literaturagent vermittelte Onkel Forry in der zweiten Hälfte der 50er Jahre den Verkauf der Verfilmungsrechte für ihre Story The Thought Monster an B-Movie - Produzenten Richard Gordon. Heraus kam dabei am Ende Fiend Without a Face (1958). Wie sie zwei Jahrzehnte später Chet Williamson erzählt hat,  war die Autorin, die sich den Flick im heimatlichen Harrisburg angeschaut hatte, offenbar nicht wirklich überwältigt: 
    It was on a double bill they had here mine and a Boris Karloff movie, the title of which I can't remember, but it wasn't one of his best. But then if it had been one of his best, mine would have looked so much worse!
    Ist der Film tatsächlich so mies? Schau'n wir mal.



    Beim SciFi - B-Movie der 50er Jahre denken wir zuallererst natürlich an US-Produktionen. Doch die amerikanischen Filmemacher besaßen nicht das Monopol auf außerirdische Invasoren oder die Menschheit terrorisierende Ungeheuer. Vergleichbare Streifen wurden in jenem Jahrzehnt auch im Vereinigten Königreich gedreht. Selbst Hammer's erster Abstecher in phantastische Gefilde war ein SciFi-Flick mit dem Titel Four Sided Triangle (1953). Der vielleicht bekannteste britische Science Fiction - Film jener Ära dürfte Wolf Rillas Wyndham - Adaption Village of the Damned (1960) sein. Im TV-Bereich stellen Nigel Kneales Quatermass - Serien den wohl bedeutendsten Beitrag Großbritanniens zur filmischen SciFi der 50er Jahre dar.** Doch während die Werke von Rilla und Kneale einen sehr distinktiven, wenn man so will "britischen", Charakter besitzen, versuchten andere englische Produktionen der Zeit ganz bewusst, ihre Herkunft zu verschleiern und das Modell des amerikanischen B-Movies möglichst genau nachzuahmen, um so ihre Chancen auf dem US-Markt zu verbessern. Zu letzterer Kategorie gehört ganz sicher auch der im Auftrag der ziemlich kurzlebigen Filmfirma Amalgamated Productions gedrehte Fiend Without a Face. Was jedoch nicht notwendigerweise gegen ihn spricht.

    Irgendwo in den Wäldern der kanadischen Provinz Manitoba hat die US-Luftwaffe eine Basis eingerichtet, um ihr neues Super-Radarsystem für die Raktenabwehr zu testen. Die einheimische Bevölkerung steht den Yankees skeptisch bis offen feindselig gegenüber. Viele fürchten, deren Atomreaktor sei keineswegs so sicher wie behauptet und verstrahle Vieh und Menschen der Umgebung. Als Farmer Griselle ganz in der Nähe der militärischen Einrichtung auf mysteriöse Weise zu Tode kommt, verschlechtert das die ohnehin angespannte Atmosphäre ganz erheblich. Major Cummings (Marshall Thompson) erhält daraufhin den Auftrag, als offizieller Repräsentant der Basis für eine Verbesserung der Beziehungen zu sorgen. Eine Mission, die er nur gar zu gerne ausführt, nachdem er Griselles hübsche Schwester Barbara (Kim Parker) kennengelernt hat. All zu viel Zeit zum Flirten bleibt unserem Helden freilich nicht, denn bald schon beginnen sich die Todesfälle in dem kanadischen Dorf zu häufen. Eine Autopsie ergibt, dass sämtlichen Opfern das Hirn und Rückenmark entfernt wurde. Ob der einsiedlerische Professor Walgate (Kynaston Reeves), bei dem Barbara als Sekretärin arbeitet und der sich mit PSI-Phänomen beschäftigt, etwas Licht in die Sache bringen kann? Vielleicht, doch zeigt sich der exzentrische Wissenschaftler nicht unbedingt kooperativ. Sollte er am Ende selbst hinter den unheimlichen Geschehnissen stecken?

    Ich nehme an, dass sich, von der Grundidee einmal abgesehen, nur wenig aus Amelia Reynolds Longs Story in Fiend Without a Face erhalten hat. Gar zu deutlich bedient sich der Film bei den üblichen Kalte Kriegs - Motiven des SciFi-Kinos seiner Zeit einschließlich der stets gern benutzten Stock-Footage-Einspielungen herumfliegender Kampfjets. 
    Ironischerweise ist das Bild, das der Streifen von unseren Air Force - Helden zeichnet, zu Beginn dennoch etwas zwiespältig. Ihr Verhalten gegenüber den kanadischen "Hinterwäldlern" ist nicht frei von einer quasi-kolonialistischen Arroganz, und als bei einem Testflug die Energie für das neue Radarsystem nicht ausreicht, befiehlt der Kommandant ohne groß zu zögern, die Auslastung des Atomreaktors zu erhöhen, obwohl der verantwortliche Techniker zu bedenken gibt, dies könne zu einer Kernschmelze führen. Das Misstrauen der Einheimischen scheint so gesehen mehr als berechtigt. Doch natürlich verfolgt der Film diese Motive, die wohl eher unbeabsichtigt in Herbert J. Leders Drehbuch gelangt sind, nicht weiter, und am Ende kämpfen Air Force - Offiziere und Dorfbewohner Seite an Seite gegen die wirkliche Bedrohung.

    Neben Kalter Kriegs - Paranoia war das Misstrauen gegenüber moderner Wissenschaft und Technik ein weit verbreitetes Motiv im SciFi-Film der 50er Jahre. Seine Helden waren zwar nicht selten selbst Professoren oder Lehrer, dennoch lässt sich in einer ganzen Reihe von Streifen der Zeit eine Art populistischer Antiintellektualismus ausmachen. Nach dem Motto: Wer weiß, was uns das, was sich diese Eierköpfe da oben so ausdenken, eines Tages noch einbrocken wird? In Filmen wie Howard Hawks' & Christian Nybys The Thing From Another World (1951) oder Jack Arnolds Tarantula (1955) drohten überehrgeizige oder eiskalt-arrogante Wisenschaftler Tod und Vernichtung über ihre Mitmenschen zu bringen. Und gar zu oft musste die Atomenergie als die Quelle aller übernatürlichen Übel herhalten. Letzteres war natürlich auch eine Reaktion auf die apokalyptische Zerstörungskraft, die diese neue Technik 1945 in Hiroshima und Nagasaki entfesselt hatte. Wohl am deutlichsten zeigt sich das in Ishiro Hondas Gojira (1954). Doch da viele Leute dazu neigten, die Hauptverantwortung für das Grauen der Atombombe eher bei den Physikern als bei den Politikern {oder gar dem Gesellschaftssystem, das diese vertraten und verteidigten} zu suchen, vermischte sich dieses Motiv sehr oft mit einem allgemeineren Antiintellektualismus.

    Fiend Without a Face lässt sich als ein besonders grotesker Ausdruck dieser Strömung interpretieren. Zumindest wenn man geneigt ist, ihn in seiner symbolischen Dimension erstzunehmen. Es wird wohl niemanden überraschen, dass in der Tat der eigenbrötlerische Prof. Walgate für die mörderischen Ereignisse in Manitoba verantwortlich ist. Doch das ist nur der Anfang. Was den besonderen Charakter des Filmes ausmacht ist die Natur des Grauens, das der verblendete Wissenschaftler unbeabsichtigterweise entfesselt hat. In seinem Bemühen, telekinetische Kräfte zu entfalten, ist es ihm unter Zurhilfenahme des benachbarten Atomreaktors, dem er auf irgendeine unerklärliche Weise Energie abgezapft hat, gelungen,  der Kraft seiner Gedanken eine von ihm selbst losgelöste, physische Realität zu verleihen. Doch unglücklicherweise haben diese Avatare seines Hirns ein höchst bösartiges Eigenleben entwickelt, machen Jagd auf Menschen, um deren Gehirne zu verspeisen, und vermehren sich zu allem Überfluss auch noch wie die Karnickel.
    Für einen kurzen Moment könnte man vielleicht glauben, Prof. Walgates fataler Fehler gleiche dem von Dr. Morbius aus Forbidden Planet (1956). Doch dem ist nicht so. Die mörderischen Kreaturen in Fiend Without a Face sind keine Verkörperungen des Unterbewussten ihres Schöpfers, sie sind einfach bloß Monster. Für den Großteil des Films treiben sie unsichtbar ihr Unwesen, doch wenn sie uns zum großen Finale endlich ihre wahre Gestalt enthüllen, präsentieren sie sich uns als Gehirne mit tentakelhaften Auswüchsen oder Gliedmaßen. Der antiintellektualistische Symbolgehalt des Ganzen ist ziemlich eindeutig: Hier laufen im wahrsten Sinne des Wortes Hirne Amok!

    Doch auch wenn das als "Botschaft" natürlich nicht wirklich sympathisch wirkt, ist Fiend Without a Face ein durchaus sehenswerter kleiner Film. Regisseur Arthur Crabtree, der einen SciFi-Flick offenbar für unter seiner Würde hielt, soll oft tagelang nicht auf dem Set erschienen sein, so dass Hauptdarsteller Marshall Thompson seine Aufgaben übernehmen musste. Ich bin mir deshalb nicht sicher, wem hier die Lorbeeren gebühren, doch entfaltet der Streifen über weite Strecken auf recht gelungene Weise eine unheimliche Atmosphäre. Die Attacken der unsichtbaren Monster sind stets effektvoll in Szene gesetzt, und der Auftritt eines wahnsinnig gewordenen Dorfbewohners macht im Rahmen der Story zwar überhaupt keinen Sinn, wirkt jedoch selbst heute noch leicht schockierend. In den Rang eines kleinen Klassikers steigt der Streifen allerdings erst im großen Finale auf. 
    Die Enthüllung des Monsters wirkt aufgrund der beschränkten tricktechnischen Möglichkeiten in vielen phantastischen Filmen der Zeit wie ein kleiner Dämpfer. Bei Fiend Without a Face ist genau das Gegenteil der Fall. Überraschenderweise hatte man sich bei Amalgamated Productions dazu entschieden, den Monstern eine zeitaufwendige und teure Stop-Motion-Behandlung angedeihen zu lassen. Dazu beauftragt wurden der deutsche SFX-Künstler Karl-Ludwig Ruppel und der österreichische Surrealist Florenz von Nordhoff. Das erhöhte die Kosten um einige zehntaused Pfund und verzögerte die Fertigstellung des Films nicht unbeträchtlich, wie sich Produzent Gordon in einem Interview mit Tom Weaver Jahre später erinnerte:
    When Ruppel and Nordhoff came into it we had a finished screenplay and they pretty much had to stick to it. They were working on their effects continuously while we were shooting, and then most of the special effects scenes were finished after the principal shoot was over. It did take rather longer than we expected, and the picture went way over schedule in the post-production because of the special effects.
    Doch der Aufwand machte sich bezahlt. Auf jedenfall sicherte er Fiend Without a Face einen ehrenwerten Platz in den Annalen des phantastischen Films. Nigel Honeybone schreibt über das große Finale:
    There can be no purer surrealism in cinema than the sight of these twitching brain-things besieging a house full of people, leaping and plopping like possessed frogs. The entire climax has the bizarreness of some mad medieval allegory, like a triptych by Hieronymus Bosch.
    Der Vergleich mit den phantasmagorischen Visionen des spätmittelalterlichen Malergenies mag etwas hoch gegriffen sein, doch sind es in der Tat vor allem die letzten zehn Minuten, die Fiend Without a Face aus der Masse seiner Artverwandten hervorheben.
    Auch ist die Darstellung des Endkampfs erstaunlich drastisch ausgefallen. Immer wieder bekommen wir zu sehen, wie die Hirnkreaturen von Pistolenkugeln getroffen aufplatzen und sich ihre "Innereien" unter widerlich schmatzenden Geräuschen auf den Boden oder irgendwelche Möbel ergießen. Aus heutiger Sicht natürlich nicht sonderlich aufsehenerregend, trieben diese Szenen die britischen Zensoren seinerzeit doch zur Weißglut. Selbst nach diversen Eingriffen mit der Schere durfte der Streifen nur mit dem Kainsmal "X" gebrandmarkt in den Kinos des Königreiches gezeigt werden. Und selbst in dieser verwässerten Form rief er bei den selbsternannten Sittenwächtern in der englischen Presse immer noch reichlich Empörung hervor: "What is the British film industry thinking by trying to beat Hollywood at its own game of overdosing on blood and gore". Angeblich löste er sogar eine kleine Parlamentsdebatte aus.
    Na wenn das keine Empfehlung ist ... 

    * Zumindest eine von ihnen kann man sich hier durchlesen. 
    ** Wer sich für meine Besprechungen von The Quatermass Experiment (1953), Quatermass 2 (1955) und Quatermass and the Pit (1958/59) interessiert,  findet diese hier, hier & hier.

    Strandgut der Woche

    Samstag, 5. Dezember 2015

    Strandgut der Woche

    Freitag, 4. Dezember 2015

    "Sie sollen einmütig handeln und ihre Herrschaft dem Tier übertragen"

    Es wurde ihm Macht gegeben über alle 
    Stämme, Völker, Sprachen und Nationen ...
    Die Kleinen und die Großen, die Reichen
    und die Armen, die Freien und die Sklaven,
    alle zwang es, auf ihrer rechten Hand
    oder ihrer Stirn ein Kennzeichnen
    anzubringen. Kaufen oder verkaufen
    konnte nur, wer das Kennzeichen trug:
    den Namen des Tieres oder die Zahl 
    seines Namens. 

    Offenbarung des Johannes, 13


    Richard Donners The Omen (1976) war der erste echte Blockbuster der Horrorfilmgeschichte. 
    Ein Jahr nach dem Überraschungserfolg von Steven Spielbergs Jaws, der als Pionier des Formats gelten darf, war der in über 500 Kinos gleichzeitig stattfindenden Premiere des Films ein gewaltiger PR-Feldzug vorausgegangen, der die für damalige Verhältnisse ungeheure Summe von $ 2,8 Mio. verschlungen hatte. Das Werbeetat war damit genauso hoch wie die Produktionskosten des Films. Diese Investion zahlte sich schon bald mehr als reichlich aus:  An seinem Eröffnungswochenende spielte der Streifen $ 4.273.886 ein, um schließlich zum fünft-einträglichsten US-Film des Jahres zu werden. Kein Wunder, dass man bei 20th Century Fox nicht lange zögerte und die Produktion eines Sequels in Auftrag gab. Drehbuchautor David Seltzer freilich zeigte sich uninteressiert, so dass Produzent Harvey Bernhard schließlich selbst das Script verfassen musste, und auch für Regisseur Donner, der gerade mit der Arbeit an Superman begonnen hatte, musste ein Ersatz gefunden werden. Man engagierte zuerst Mike Hodges, tauschte ihn während der Dreharbeiten aber gegen Don Taylor aus.

    Wie ich vor bald zwei Jahren in diesem Post geschildert habe, bin ich kein großer Fan des Originals. Auch wenn The Omen zweifellos einige recht eindrucksvolle Szenen enthält und mit einem großartigen Soundtrack von Jerry Goldsmith glänzen kann, geht mir doch vor allem der moralische Geist des Films in seinem (pseudo)religiösen Fundamentalismus gehörig gegen den Strich. Das Sequel mundet mir da schon sehr viel besser.

    In der Eröffnungssequenz sehen wir den Exorzisten-Archäologen Carl Bugenhagen (Leo McKern) zusammen mit seinem Freund Michael Morgan in eine Art Krypta in Palästina hinabsteigen, deren Wände von Fresken geschmückt werden, die den Antichrist in Gestalt Damiens darstellen. Ihnen bleibt freilich nicht viel Zeit, das visionäre Kunstwerk eines mittelalterlichen Propheten zu bewundern, denn kurz darauf stürzt das Gewölbe ein und begräbt die beiden unter sich.
    Dieser Prolog ist in zweierlei Hinsicht sehr aussagekräftig. In The Omen war Bugenhagen einer der Hauptvertreter jenes religiösen Fanantismus gewesen, den der Film als die einzig richtige Reaktion auf den Anbruch der Endzeit dargestellt hatte. Wenn das Sequel sich seiner bereits in den ersten Minuten entledigt, dann befreit es sich damit zugleich von dem geistigen Ballast, den der Exorzist verkörpert hatte. Für einen Film über den Antichristen enthält Damien erstaunlich wenig religiöse Elemente. Bezeichnenderweise taucht nur einmal ganz kurz ein Priester auf, und der hat keine Ahnung von den apokalyptischen Ereignissen, die sich um ihn herum abspielen. Zugleich führt der Tod von Bugenhagen und Morgan ein Motiv ein, das sich in den nächsten anderthalb Stunden mehrfach wiederholen wird: Wer auch immer eine potentielle Bedrohung für Damien darstellt, wird in kürzester Zeit und ohne viel Vorgeplänkel von den satanischen Mächten aus dem Weg geräumt.

    Der Film ist erfüllt von einem düsteren Fatalismus. Nicht für einen Moment zweifeln wir daran, dass niemand den Aufstieg Damiens wird aufhalten können. Die erneut von Jerry Goldsmith komponierte Musik unterstreicht dies auf äußerst eindringliche Weise und trägt damit viel zur Atmosphäre des Streifens bei. Wie Charlie Brigden von Films on Wax in seiner Besprechung des Soundtracks schreibt:
    Famously described on the cover of its soundtrack album als "A Black Mass", Damien is a truly hair-raising experience. [...] There's nothing to contrast the darkness here, no sweet music for a young child or hopeful score for a second coming, here there is only [one] clear winner and that is the antichrist. Damien ends with that thought, with himself walking down the steps of the burning museum, now fully aware of his powers, as the original "Ave Satani" comes to a portentous and powerful chorus before launching into a reprise of the new version. The cue is called "All The Power", and that is exactly what it contains.


    Damien ist in gewisser Hinsicht ein sehr eigenartiger Film, denn er besitzt keinen wirklichen Helden. Für einen Moment ist man vielleicht versucht zu glauben, die Journalistin Joan Hart (Elizabeth Shepard) werde diese Rolle übernehmen, doch wenige Minuten später bereits wird sie von einer diabolischen Krähe attackiert und von einem Truck überrollt. Finito! Auch Damiens Adoptivvater Richard Thorn (William Holden) eignet sich nicht wirklich für den Job. Zwar ist Holdens Part sehr deutlich dem seines Vorläufers Gregory Peck nachgestaltet worden, doch abgesehen von den letzten fünfzehn Minuten des Films bleibt Richard praktisch völlig inaktiv. 

    Man könnte sehr leicht argumentieren, dass dem Film damit viel von seiner potentiellen Spannung genommen werde. Es gibt niemanden, mit dem wir uns wirklich identifizieren oder mit dem wir mitfiebern könnten. Vielmehr wird uns sehr schnell und auf drastische Weise klar gemacht, dass keiner dem Antichristen auf seinem Weg zur Macht gefährlich werden kann. Für mich jedoch entfaltet der Streifen gerade damit seine ganz eigene dramatische Kraft. Sein wirklicher Held ist Damien, dessen Entwicklung auf pervertierte Weise dem archetypischen Werdegang eines "Auserwählten" gleicht. Zuerst wehrt er sich gegen seine Bestimmung, muss dieser gar den Menschen opfern, der ihm am meisten bedeutet, um sie am Ende aus vollem Herzen anzunehmen. Die Stärke von Damien besteht in der grausamen Unerbittlichkeit seiner Story.

    In The Omen war der zentrale Konflikt eigenartig inhaltslos gewesen, ein Ringen zwischen abstrakten Prinzipien von Gut und Böse, Gott und Satan, Himmel und Hölle. Damien füllt ihn mit einem konkreten Inhalt. Wenn die Satansjünger im ersten Film dafür gesorgt hatten, dass der junge Antichrist von einer sehr wohlhabenden und politisch einflussreichen Familie adoptiert wird, so um ihm auf diesem Weg den Zugang zur künftigen Weltherrschaft zu erleichtern. Im Sequel sieht das etwas anders aus. In seiner Mixtur aus militaristischer Tradition (Kadettenanstalt) und wirtschaftlicher Macht (transnationales Unternehmen) ist der Thorn-Clan deshalb das ideale Milieu für den Sohn des Teufels, weil es selbst bereits zutiefst vom Bösen korrumpiert worden ist. Richard Thorn mag ein anständiger Kerl sein, doch seine Klasse -- das sind die Könige aus der Offenbarung des Johannes, die dem Tier willfährig die Herrschaft über die Erde übertragen, ihre Vertreter: Damiens "Lehrmeister", Sgt. Neff (Lance Henriksen) und Manager Paul Buher (Robert Foxworth). Wenn sich letzterer darum bemüht, Thorn Industries in einen agarindustriellen Multi zu verwandeln, der mithilfe seiner neusten biochemischen Erfindungen zum Monopolisten des internationalen Nahrungsmittelmarktes avancierenn und so die gesamte Weltbevölkerung von sich abhängig machen könnte, dann ist das eine äußerst gelungene moderne Interpretation der oben zitierten Verse aus der Apokalypse, dass nur die "kaufen und verkaufen" dürfen, die das "Zeichen des Tieres" tragen.

    Gregory Pecks Robert Thorn und seine Frau Katherine hatten die bürgerlichen Ideale von Ehe & Familie verkörpert. Sie waren die Vertreter einer Welt des Guten gewesen, in die sich der Satan auf hinterhältige Weise einzuschleichen versucht hatte. In Damien ist dieses bürgerliche Milieu zur adäquaten Heimstatt des Bösen geworden. Wenn der Film eine Botschaft besitzt, so lautet sie: Diese Welt ist reif für die Herrschaft des Antichrist.

    Sonntag, 29. November 2015

    Mein Double Bill zu Halloween (II)

    Ich kehre endlich zu meiner Halloween-Filmnacht zurück und beginne den zweiten Teil meiner Betrachtungen mit einer unnötig langen Einführung, die so gut wie nichts mit dem Film zu tun hat, den ich besprechen werde.

    In den 60er Jahren waren AIP (American International Pictures) die unangefochtenen Herrscher des amerikanischen Horrorfilms, mit Vincent Price als ihrem hauseigenen Star und Roger Cormans Poe-Zyklus {dem man frecherweise auch die Lovecraftadaption The Haunted Palace* [1963] und Michael Reeves' Folk Horror - Klassiker Witchfinder General** [1968] hinzufügte} als ihrem Kronjuwel. Doch zu Beginn des nächsten Jahrzehnts zeichnete sich immer deutlicher das Ende des klassischen "Gothic Horror" ab. Zwar schufen AIP mit The Abominable Dr. Phibes (1971) und Dr. Phibes Rises Again (1972) noch einmal einen wundervoll dekadenten Abschluss für die Ära, doch ihr Versuch, mit dem durch den Low Budget - Streifen Count Yorga, Vampire (1970) bekannt gewordenen Robert Quarry einen neuen Horrorstar aufzubauen und mit seiner Hilfe im Geschäft zu bleiben, war kein dauerhafter Erfolg beschieden. Eine Geschichte, die ich vor anderthalb Jahren in diesem Post ausführlicher geschildert habe. 1973 versetzte der gewaltige kommerzielle Erfolg von William Friedkins The Exorcist dem stilvollen Grusel der 60er dann endgültig den Todesstoß, und AIP sattelte ganz auf andere Genres, insbesondere den aufblühenden Blaxploitation-Markt, um.
    Der Einfluss von The Exorcist beschränkte sich interessanterweise nicht auf die Welt des Films. Vier Jahre später, im September 1977, erschien Jay Ansons Buch The Amityville Horror: A True Story, das sich rasch zu einem äußerst erfolgreichen Bestseller mauserte. Was der bisher hauptsächlich für Kurz-Dokus über Hollywood-Themen bekannte Autor in seinem Schmöker erzählte, wurde als Tatsachenbericht über die unheimlichen Erlebnisse der Familie Lutz verkauft, welche im Dezember 1975 achtundzwanzig Tage voller übernatürlicher Schrecken erlebt zu haben behauptete, nachdem sie in ein Haus in Amityville/New York eingezogen war, in dem ein Jahr zuvor ein grauenhafter Mehrfachmord geschehen war. Das vermeintliche paranormale Geschehen hatte seinerzeit das Interesse einer ganzen Reihe selbsternannter "Geisterjäger" und "Dämonologisten" geweckt {u.a. des berüchtigten "Ermittler" - Paares Ed & Lorraine Warren, der "Helden" von James Wans The Conjuring [2013]}, doch nach allem, was wir heute wissen, hatte es sich um nichts anderes als eine dreiste Lügenmär gehandelt, die sich George Lutz und der Anwalt William Weber "over many bottles of wine" ausgedacht hatten. Weber wollte die Spukgeschichte dazu verwenden, eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen seinen Klienten Ronald DeFeo zu erreichen, der wegen des Mordes an seinen Eltern und Geschwistern zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Joe Nickell schreibt in einem Artikel für den Skeptical Inquirer, dass einige der Elemente der wilden Story "seemed to have been lifted from the movie The Exorcist."
    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass einer der letzten Filme, die von AIP als einer selbstständigen Firma produziert wurden, Stuart Rosenbergs Amityville Horror von 1979 war. Nicht nur versuchte man damit an jene inzwischen nicht mehr ganz so neue Strömung im Horrorkino anzuknüpfen, die die Firma ein gutes halbes Jahrzehnt zuvor aus ihrer einst beherrschenden Stellung verdrängt hatte, man stützte sich dabei auch noch auf eine Geschichte, die ihrerseits von eben jenem Film beeinflusst worden war, der wie kein anderer jene Wende verkörperte, welche zu AIPs Sturz vom Thron geführt hatte.***

    Das auf Jay Ansons Bestseller basierende Drehbuch verfasste Sandor Stern, der bisher ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet hatte. Zehn Jahre später würde der gute Mann mit Amityville Horror IV zu dem Franchise zurückkehren, das derweil auf dem mit vielen vielen Dollars gedüngten Boden des ersten, äußerst erfolgreichen Streifens herangewachsen war.

    Ich selbst bin kein besonders großer Fan der Reihe {auch wenn Lalo Schifrins Musik für das Original schon verdammt cool ist}, und sehe Sterns größten Beitrag zum Horrorkino darum auch nicht in den Amityville - Streifen, sondern in PIN (1988), der den zweiten Teil meines diesjährigen Halloween Double Bill darstellte. Der Film, bei dem Stern auch die Regie führte, hat ganz sicher nie die allgemeine Bekanntheit von Amityville erreicht, doch handelt es sich bei ihm um ein zugleich sehr viel verstörenderes und humaneres Werk als alle Einträge in die Spukhaus-Saga zusammengenommen.

           

    Das Drehbuch basiert auf einem Roman von Andrew Neiderman, der Filmfans vielleicht am ehesten als Verfasser der Vorlage zu Taylor Hackfords The Devil's Advocate (1997) bekannt sein dürfte.

    Für einen Horrorflick der 80er – einem Jahrzehnt, das man eher mit bluttriefenden Slasher-Eskapaden und ähnlichem verbindet – ist PIN erstaunlich zurückhaltend inszeniert. Der Film enthält keinerlei Gore und überhaupt nur wenig physische Gewalt – was ihm nichts von seiner bedrückenden Intensität nimmt.

    Dr. Frank Linden (Terry O'Quinn) und seine Frau (Bronwen Mantel) unterwerfen ihre Kinder Leon und Ursula einer rigorosen Disziplin. Während der Vater, den sie stets mit "Sir" anzureden haben, die beiden jeden Abend zu sich zitiert, um ihnen eine Aufgabe zu stellen, mit deren Hilfe er ihre Lernfortschritte überprüfen will, wird die Mutter von einem neurotisch anmutenden Hygienefimmel beherrscht, der dazu führt, dass die beiden praktisch nichts von dem machen dürfen, was Kindern so Spaß macht. Dies hat vor allem auf Leons psychische Entwicklung veheerende Auswirkungen. Die ihm von seinen Eltern auferlegten Regeln machen es ihm unmöglich, echte Freundschaften zu schließen. Zu einem Außenseiterdasein verdammt, erschafft sich Leon einen "imaginären Freund" und sein Vater hat ihm dazu, ohne es zu wissen, eine ideale Vorlage geliefert: "Pin", ein "anatomisches Modell" in der Praxis des Doktors, das dieser mittels Bauchreden "zum Leben erweckt", um auf spielerische Weise mit seinen jungen Patienten (und auch seinen eigenen Kindern) zu kommunizieren. 
    Die einzige reale Person, zu der Leon eine {wenn auch nicht unbedingt gesunde} Beziehung aufzubauen versteht, ist seine jüngere Schwester. Auf diese scheint die verkorkste Kindheit keine bleibenden Auswirkungen zu haben, auch wenn man die Tatsache, dass Ursula (Cynthia Preston) mit fünfzehn Jahren ein äußerst reges Sexleben entfaltet, wohl als eine Art von Rebellion gegen das rigide Familienregime interpretieren darf. Eine Revolte, der Leon (David Hewlett) aus einer Reihe von Gründen bald schon ein Ende bereitet. Und auch wenn Ursula in mancherlei Hinsicht recht selbstbewusst ist, neigt sie doch dazu, den Wünschen ihres Bruders folgezuleisten. Dessen Fixiertheit auf "Pin" hat derweil die Ausmaße offener Schizophrenie erreicht. Nicht nur hält er auch mit achtzehn Jahren die lebensgroße Puppe immer noch für eine reale Person, er hat selbst bauchrednerische Fähigkeiten entwickelt und führt regelmäßig "Gespräche" mit "Pin". 
    Als ihn sein Vater eines Tages bei einer solchen "Unterhaltung" überrascht, versucht der Doktor die Puppe loszuwerden, stirbt jedoch noch in der selben Nacht zusammen mit seiner Frau bei einem Autounfall (für den in gewisser Weise "Pin" verantwortlich ist). Für Leon gleicht der Tod seiner Eltern einer langersehnten Befreiung, und auch seine Schwester zeigt sich nicht eben zutiefst erschüttert. Weniger begeistert ist sie davon, dass Leon "Pin" zu einem Mitglied des Haushalts macht, ein eigenes Zimmer für ihn einrichtet, ihm einen Anzug ihres verstorbenen Vaters anlegt, ihn an den Esstisch setzt und schließlich sogar ein wächsernes Gesicht verpasst. Sie weiß natürlich, dass ihr Bruder schwer krank ist, aber sie bringt es nicht übers Herz, ihn zu "verraten" und Hilfe bei Ärzten oder Psychiatern zu suchen. Allerdings versucht sie zumindest, sich ein wenig der bedrückenden Kontrolle durch Leon zu entziehen, indem sie in der örtlichen Bücherei zu arbeiten beginnt. Dort lernt sie den netten Stan Fraker (John Pyper-Ferguson) kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, was schließlich dazu führt, dass die Ereignisse eine dramatische und blutige Wendung nehmen. Denn Leon kann die Vorstellung, seine Schwester zu "verlieren", nicht ertragen, und "Pin" hat eine Idee, wie man diese Bedrohung aus der Welt schaffen könnte ...

    Spätestens seit dem britischen Horrorklassiker Dead of Night (1945), den meine Twitter-Freundin Beth hier besprochen hat, gehören gruselige Puppen zum festen Inventar des cineastischen Horroruniversums. Im Vergleich zu den meisten seiner Brüder und Schwestern scheint "Pin" insofern etwas gehandicapt zu sein, als er ja nicht wirklich "lebt". In der Tat ist der Autounfall der Eltern die einzige Szene, die für einen kurzen Moment Zweifel darüber aufkommen lassen könnte, ob er nicht doch auf dämonische Weise "beseelt" ist. Doch handelt es sich dabei offensichtlich bloß um eine Widerspiegelung der Ängste von Dr. Linden. Aber erstaunlicherweise nimmt die Tatsache, dass es sich bei ihm in der Tat um nichts anderes als eine lebensgroße Puppe handelt, dem guten "Pin" nichts von seiner unheimlichen Präsenz, die durch die leicht kehlige, stets gleichbleibend ruhige Flüsterstimme (Jonathan Banks) noch verstärkt wird. Ganz im Gegenteil! Ja, "Pins" "Persönlichkeit" ist bloß eine Art Projektion von Leons gestörter Psyche, die Interaktion zwischen den beiden bloß Ausdruck der Geisteskrankheit des jungen Mannes, doch verstärkt das in gewisser Weise nur die gruselige Aura, die die Puppe umgibt. Denn was den Film so verstörend macht ist letztenendes Leon, und "Pin" ist ein Teil von ihm.

    David Hewlett ist vielen vermutlich in erster Linie als Dr. Rodney McKay aus Stargate Atlantis bekannt, doch seine ersten richtig großen Rollen hatte der Schauspieler in kanadischen Horrorflicks wie PIN und Christian Duguays Scanners II (1991). Und hier zumindest legt er eine wirklich beeindruckende Leistung hin.
    Leon ist eine faszinierend vielschichtige und widersprüchliche Persönlichkeit. Was zuallererst auffällt ist, dass es sich bei ihm nicht um einen psychopathischen Serienkiller handelt, obwohl er das nach den Regeln des Genres eigentlich sein müsste. Gehemmt, sozial isoliert und mit einem gestörten Verhältnis zur Sexualität gehört er ganz offensichtlich zu der über die Jahrzehnte unüberschaubar gewordenen Nachkommenschaft von Norman Bates. Und doch schleicht er nicht nachts mit einem Messer durch die Gegend, um junge Frauen abzuschlachten. Beim ersten Mord, den er begeht, ist man sich als Zuschauer nicht einmal hundertprozentig sicher, ob er überhaupt als solcher intendiert war. Was sich in diesem Zusammenhang allerdings sehr deutlich zeigt, ist, dass Leon ganz offenbar ein Soziopath ist, dem es unmöglich ist, echte Empathie zu empfinden. Vermutlich realisiert er nicht einmal wirklich, was es bedeutet, einen anderen Menschen zu töten. 
    Kein Wunder, dass er sich als unfähig erweist, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen. Dabei gibt es vermutlich nichts, wonach er sich mehr sehnt, als geliebt und akzeptiert zu werden. "Pin" kann ihm das nicht wirklich geben,  und auf einer gewissen Ebene ist er sich sogar bewusst, dass sein "Freund" und "Ratgeber" in Wahrheit nichts als eine Puppe ist. Andernfalls würde er nicht so wütend und gewälttätig reagieren, wenn Ursula dieses Thema anzusprechen versucht.  
    Was Leon in den Wahnsinn treibt {wenn man von einer möglichen biologischen Veranlagung einmal absieht} ist seine völlige Isolation von anderen Menschen. Die einzige Ausnahme bildet seine Schwester, doch kann er auch zu dieser, keine echte menschliche Beziehung aufbauen. Ursula liebt ihren Bruder, aber liebt dieser wirklich sie? Ist er dazu überhaupt in der Lage? Er sehnt sich ganz offenbar nach einer liebevollen Beziehung, doch fehlt ihm die Fähigkeit, eine solche aufzubauen. So kann er nichts anderes tun, als zu versuchen, Ursulas Leben so weit es geht zu kontrollieren, um sie auf diese Weise an sich zu binden.
    Leons Fixiertheit auf seine Schwester besitzt deutlich inzestuöse Untertöne, was sie direkt mit seinem gestörten Verhältnis zur Sexualität verbindet. Selbiges ist allerdings auch etwas anders gelagert, als man von einem Film dieser Art vielleicht erwarten würde. Leon ist nicht die verklemmte "ewige Jungfrau", für die Sex unmittelbar mit Gefühlen von Scham und Schuld verbunden wäre. Als gänzlich unsentimentaler Vertreter einer "wissenschaftlichen" Weltsicht hatte Dr. Linden seine Kinder schon sehr früh {durch den Mund von "Pin"} aufgeklärt, wobei er freilich "den Trieb" auf gut biologistische Art vollständig dem Ziel der Fortpflanzung untergeordnet hatte. Dieses Denken ist in gewisser Weise in seinem Sohn lebendig geblieben, hat dabei aber eine ganz eigene, bizarr pervertierte Form angenommen. In einer der verstörendsten Szenen des Films trägt dieser Ursula und Stan einen "Gesang" aus dem epischen Gedicht vor, an dem er arbeitet. Leon beschreibt sein Werk als einen "modernen Beowulf", doch die Heldentaten seines Protagonisten bestehen offenbar ausschließlich im Schwängern Hunderter von Frauen. In dem letzten fertiggestellten "Gesang" beschließt er nun erstmals, eine Frau zu vergewaltigen, bis ihm auf einmal klar wird, dass es sich bei dem ausgewählten Opfer um seine eigene Schwester handelt. Was diese Szene so ungemein verstörend macht ist, dass sich Leon ganz offenbar nicht bewusst ist, dass es sich bei seinem "Heldenepos" um einen grotesken Ausdruck sexueller Allmachtsfantasien mit höchst beunruhigenden Implikationen in Bezug auf die Beziehung zu seiner Schwester handelt. Für ihn ist das tatsächlich der "moderne Beowulf".

    Es ist diese "Naivität", die Leon trotz seiner mitunter erschreckenden Gefühllosigkeit und Brutalität letztenendes zu einer bemitleidenswerten Figur macht. Dementsprechend klingt der Film in seinem finalen Twist, der nicht sonderlich schockierend oder originell wirkt, das ermutlich aber auch gar nicht sein soll, auf einer zutiefst traurigen Note aus.

    So beeindruckend PIN in vielerlei Hinsicht auch ist, möchte ich am Ende dennoch auf eine "Schwäche" hinweisen, die der Streifen freilich mit sehr vielen Filmen der letzten Jahrzehnte teilt.
    Kim Newman schreibt in seinem Klassiker Nightmare Movies sehr treffend über die beiden Urväter des Psychopathen-Horrors – Alfred Hitchcocks Psycho (1960) und Michael Powells Peeping Tom (1960):
    The truly subversive aspect of the [...] films is the contrast between the interior world of their killer heroes and supposed normality. Peeping Tom and Psycho set up an everyday life full of grasping, petty characters and mindless minor brutalities.****
    Diese weitere Perspektive auf eine inhumane, von Gier, Egoismus und Rücksichtslosigkeit gekennzeichnete Gesellschaft, vor deren Hintergrund sich das blutige Treiben des psychopathische Killers abspielt, fehlt PIN völlig. Bei Alice, Sweet Alice hatte das soziale Milieu noch eine zentrale Rolle gespielt. Bei PIN hat sich der Blick des Filmemachers ganz auf den Mikrokosmos der Familie verengt, die nicht als verkleinertes Abbild des gesellschaftlichen Ganzen, sondern als ein von völlig eigenen Gesetzen beherrschtes Miniuniversum erscheint. Die wenigen Vertreter der "Welt da draußen", denen wir in PIN begegnen, sind – von ein paar Highschool-Jocks einmal abgesehen – durchgehend positiv gezeichnet, warmherzig, mitfühlend und hilfsbereit. Das nimmt dem Film nicht unbedingt etwas von seiner Faszinationskraft, aber es erscheint mir doch symptomatisch. Schon seit mehreren Jahrzehnten scheinen sich viele Künstler & Künstlerinnen schwer damit zu tun, ein Bild der Gesellschaft als Ganzem zu zeichnen. Sie konzentrieren sich ganz auf Individuen oder kleine soziale Gemeinschaften wie die Familie, die sie als etwas völlig apartes, autonomes darstellen. Damit verbauen sie sich den Weg zu einem tieferen Verständnis auch dieser Individuen oder kleinen Gruppen, denn letztlich werden selbst unsere intimsten Beziehungen von dem Charakter der Gesellschaft mitgeformt, in der wir leben.
           
    Das jedoch nur am Rande. Denn auch wenn PIN meiner Meinung nach nicht an die Qualität von Alice, Sweet Alice heranreicht, ist er doch ein äußerst sehenswerter kleiner Film, der eine weitere Bekanntheit verdient hätte, als er meines Wissens nach momentan genießt.


    * Der Film basiert auf Lovecrafts The Case of Charles Dexter Ward, den Titel jedoch hatte Corman aus Poes berümtem Gedicht entwendet, das auch in The Fall of the House of Usher auftaucht. Vermarktet wurde der Streifen deshalb als "Edgar Allen Poe's The Haunted Palace" (vgl hier & hier).
    ** Der Film, den ich hier besprochen habe, war eine Koproduktion zwischen AIP und der britischen Firma Tigon. In den USA kam er als The Conqueror Worm in die Kinos. Ein Titel, der zwar wenig Sinn machte, aber einmal mehr aus Poes dichterischem Werk entlehnt war.
    *** Zumindest im Hinblick auf seine Auswirkungen auf den Filmmarkt. In künstlerischer Hinsicht halte ich z.B. George A. Romeros Night of the Living Dead (1968), Messiah of Evil (1973; vgl. hier) von Willard Huyck & Gloria Katz oder Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974) für sehr viel bedeutendere Vertreter des "neuen" Horrors. 
    **** Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 89.

    Samstag, 28. November 2015

    Strandgut der Woche