"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Donnerstag, 28. Februar 2013

Der VFX-Oscar und die Krise des amerikanischen Films

Wenn die Oscar-Verleihung durch den Kotau der versammelten Hollywood-Elite vor der Obama-Administration und den US-Streitkräften & -Geheimdiensten eine Art politischen Offenbarungseid darstellte, und  die geschmacklosen Witzeleien von Gastgeber Seth MacFarland zugleich einen unappetitlichen Einblick in den moralischen und intellektuellen Zustand des "offiziellen" Amerika eröffneten, ließen sich die Ereignisse rund um den VFX-Oscar u.a. als ein unbeabsichtigtes Eingeständnis der tiefen künstlerischen Krise interpretieren, in der nicht nur der amerikanische Film schon seit längerem steckt.
Das mag etwas weit hergeholt klingen, denn offensichtlich geht es bei dem Ganzen doch in erster Linie um Profit. In ihrer Jagd nach dem Geld zwingen die großen Studios den Angestellten in der VFX-Branche immer unerträglichere Arbeitsbedingungen auf. Wie es Ryan P. Wilson von Authority FX kürzlich beschrieben hat:
I’ve had artists tell me horror stories about being required to work upwards of 35 hours straight, or having to work 100 hours per week.  Overtime is seldom paid, and weekends are often spent in the studio staring into a monitor.  Make no mistake, this is not a choice.  The only choice is whether or not to continue in visual effects.  The minute you stand up and say you’ve had enough, you’ll be let go and replaced with fresh meat.  The sad fact is that many artists are under short term contract and have no access to benefits or health care.  Most artists are just another contract employee on the ‘studio tour’.
Offenbar ist es in der Branche nicht unüblich, Studenten & Studentinnen umsonst arbeiten zu lassen. In einigen Fällen müssen diese sogar dafür bezahlen, dass sie an einem begehrten Projekt mitarbeiten "dürfen".
Die großen Studios sind kapitalistische Unternehmen und sie verhalten sich folgerichtig auch ganz genauso wie alle anderen kapitalistischen Unternehmen. Was keine Entschuldigung ist. Das wirklich erstaunliche an den Ereignissen des Oscar-Abends war jedoch die tiefe Verachtung, mit der Hollywoods künstlerisches Establishment den VFX-Angestellten begegnete. Während ungefähr vierhundert von diesen einen Protest vor dem Gebäude veranstalteten, verwandelten Seth MacFarland und die Avengers-Darsteller die Verleihung des VFX-Oscars an das Team von Life of Pi in eine herablassende Farce. Diesem traurigen Schauspiel folgte das brutale Abwürgen von Bill Westenhofer, als dieser die prekäre Lage in der Industrie anzusprechen versuchte. Ang Lees Dankesrede, in der dieser so ziemlich jeden erwähnte, der an der Produktion von Life of Pi beteiligt war, die VFX-Leute jedoch mit Schweigen überging, verstärkte noch den unangenehmen Eindruck.
Was an all dem besonders bizarr erscheint, ist, dass von allen, die künstlerisch an der Herstellung von Filmen beteiligt sind, die VFX-Leute diejenigen sind, die die geringste Verantwortung für die herrschende Krise in Hollywood tragen. Sie sind nicht schuld daran, dass immer mehr Regisseure Visual Effects dazu verwenden, über die inhaltliche Armut ihrer Projekte oder ihr eigenes künstlerisches Unvermögen hinwegzutäuschen. Sie besitzen so gut wie keine Kontrolle darüber, wozu ihre Arbeiten verwendet werden, doch die ihnen gestellten Aufgaben bewältigen sie oft auf geradezu spektakuläre Weise. Der Bereich, in dem sie tätig sind, ist der einzige, der sich nicht schon seit Jahrzehnten durch Stagnation oder Verfall auszeichnet. Wenn es etwas am amerikanischen Film der letzten zwanzig Jahre zu bewundern gibt, so sind es die Produkte ihrer Arbeit und ihres kollektiven Talents.
Wenn ich die Ereignisse von letztem Sonntag vor diesem Hintergrund betrachte, drängt sich mir der Verdacht auf, als schwinge in dem herablassenden Verhalten der "großen" Künstler & Künstlerinnen das unausgesprochene Eingeständnis ihrer eigenen Mittelmäßigkeit mit. Möglicherweise spüren auch sie, dass viele der großen Hollywood-Produktionen, denen sie ihren Status und ihren Ruhm verdanken, in erster Linie von den Visual Effects leben. Sich dies offen einzugestehen, würde jedoch unangenehme Fragen aufwerfen. Man könnte nicht mehr so weiter machen wie bisher, sondern müsste damit beginnen, nach einem Ausweg aus der Krise zu suchen. Und wie auch immer dieser aussehen mag, er würde den Ausbruch aus dem angenehmen Kokon von Selbstverliebtheit, Starkult, Konformismus und Luxus bedeuten, in den sich ein Großteil von Hollywood in den letzten Jahrzehnten eingesponnen hat.
Mit anderen Worten: Die großen Leistungen der VFX-Künstlerinnen und -Künstler wirken wie eine beständige Anklage gegen die intellektuelle und ästhetische Dürftigkeit des Rests der Filmindustrie. Auch wenn ich nicht glaube, dass es sich dabei um eine bewusste Reaktion handelt, erscheint mir der Hochmut von Ang Lee und Konsorten doch wie das Produkt eines Minderwertigkeitskomplexes. Jedenfalls gäbe es dafür mehr als genug Gründe. 

 
PS: Wer sich für die in Reaktion auf die allgemeine Lage in der Industrie und das Oscar-Geschehen im besonderen gestartete Kampagne VFX Solidarity International interessiert, schaue einmal auf deren Facebook-Seite vorbei.

Mittwoch, 27. Februar 2013

Oscar - Nachschlag

(1) Die Jaws - Melodie wurde tatsächlich dazu benutzt, eine missliebige Meinungsäußerung zu unterdrücken. Dazu muss man wissen, dass die Situation für viele Angestellte in der Visual Effects - Branche aufgrund von Outsourcing, Lohnsenkungen und Massenentlassungen momentan wirklich mies aussieht. Die großen Studios versuchen mit aller Macht die Kosten zu senken, was u.a. zum Bankrott der Firma Rhythm + Hues geführt hat, die an der Produktion von Ang Lees Life of Pi beteiligt war. Als der Visual Effects - Oscar an Life of Pi ging, und einer der Gewinner (Bill Westenhofer) in seiner Dankesrede die Lage bei Rhythm + Hues und in der Industrie anzusprechen versuchte, wurde ihm erst mit Jaws über den Mund gefahren und dann das Mikro abgedreht. Siehe hier. Als wäre dies nicht bereits derb genug gewesen, besaß Ang Lee auch noch die Frechheit, in seiner Dankesrede die VFX-Arbeiter & - Arbeiterinnen bewusst zu übergehen. Phillip Brostes Offener Brief an Ang Lee fasst es recht gut zusammen.

(2) Wer ein besonders hübsches Beispiel dafür sehen will, wie gut sich Political Correctness mit blindem politischem Konformismus verträgt, gucke sich die Rezension von Ben Afflecks Argo auf Tor.com an. Steven Padnick schwätzt viel über orientalistische Klischees, die der Film angeblich zugleich entlarve und selbst vermeide. Das liest sich dann z.B. wie folgt:
Affleck makes the audience aware of the unreality to make us question if what we are seeing is accurate in this and all films, even science fiction movies. After all, genre fiction has an unfortunate habit of taking real ethnicities, dressing them up as aliens, then getting conflict out of our (white) protagonists inability to deal with these strange beings (looking at you, Star Trek.) “Argo,” the movie within the movie, is rife with Orientalism, taking place on a desert planet, “Middle Eastern in feel,” with scenes at the bazaar, the palace, and on the dunes. We don’t see much of the film they are pretending to make [...] but it looks like a poorly-written and more racist version of Star Wars. Orientalism is not a mistake the actual movie Argo makes. For a film in which a CIA agent is firmly positioned as the good guy, the Iranians are presented as diverse, humane, educated, and completely aware of a world outside their borders who have real grievances with the interference of American and British forces. Tehran is not an alien city at all, but a modern one that looks like Los Angeles from the air. Of course, the banality of the city makes the violence of the Revolutionary Guard all the more shocking, women eating Kentucky Fried Chicken are immediately contrasted with men hung from cranes.
Die rassistischen Klischees in alten SciFi-Filmen sind für Steven Padnick offenbar ein Problem (und ich will nicht behaupten, sie wären keins), die US-Politik im Mittleren Osten und das verbrecherische Treiben der CIA scheinbar nicht. Jedenfalls lässt er darüber nicht eine einzige kritische Bemerkung fallen. Mit anderen Worten: Imperialismus ist in Ordnung, solange er politisch korrekt verpackt wird.

(3) Die besten Twitter-Kommentare zum Oscar-Abend, die mir unter die Augen gekommen sind, stammen von Fantasyautor Saladin Ahmed:

Dienstag, 26. Februar 2013

Das alljährliche Fremdschämen zur Oscar-Verleihung

Vor sieben Jahren schaute ich mir zum ersten Mal die Oscar-Verleihung live im Fernsehen an. Ich dachte wohl, für einen an Film interessierten Menschen sei das irgendwie eine Art Pflicht. Wohlweislich habe ich diesen irregeleiteten Versuch seitdem nicht noch einmal unternommen. Sich nachträglich eine Zusammenfassung reinzuziehen und ein paar Artikel darüber zu lesen, ist wirklich mehr als ausreichend. Hollywoods große Nacht der Selbstgratulationen ist ein im besten Falle langweiliges, oft genug peinliches, nicht selten unappetitliches Spektakel. Jahr für Jahr präsentieren sich die führenden Kreise der amerikanischen Filmindustrie dabei als eine vom Rest der Welt weitgehend abgeschottete, selbstzufriedene Clique, die es genießt, sich selbst zu feiern und sich dabei in Luxus, Eitelkeit und Narzissmus zu ergehen. Nur selten einmal dringt ein kleines bisschen Realität in dieses bizarre Paralleluniversum ein.
Die diesjährige Zeremonie bildete da keine Ausnahme. Zusätzlich diente sie als Plattform für ein besonders widerliches und würdeloses Anbiedern der Hollywood-Liberalen an das herrschende Establishment. Eine Liveübertragung aus dem Weißen Haus, damit Michelle Obama den Sieger in der Kategorie "bester Film" verkünden konnte?!? Ehrlich!?! Wie weit wollen sich diese Leute in ihrer kriecherischen Begeisterung für den "ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten" eigentlich noch erniedrigen? Werden wir nächstes Jahr zur Feier der Oscar-Verleihung ein Geschwader von Predator-Drohnen Formationsflüge über Los Angeles durchführen sehen?
Vielleicht sollte man ja froh sein, dass wenigstens Zero Dark Thirty so gut wie leer ausgegangen ist. Es war schon übel genug, im Vorfeld miterleben zu müssen, wie Kathryn Bigelows Glorifizierung von CIA-Folterknechten und Special Commands-Killern von "linken" Intellektuellen wie Michael Moore mit "künstlerischen" und "feministischen" Argumenten verteidigt wurde.
Aber das ist nur ein geringer Trost, wenn dafür ein Drehbuch-Oscar an Quentin Tarantino geht* und einer der großen Sieger des Abends Argo heißt.
Und da in letzterem ein trashiger SciFi-Film eine zentrale Rolle spielt, war für ein paar Vertreter der phantastischen Netzgemeinde damit auch gleich die Gelegenheit gegeben, sich ordentlich mit zu blamieren.
Das Fremdschämen nimmt schmerzhafte Formen an, wenn man einen Artikel wie Ryan Britts How Science Fiction (Kind Of) Saved the Oscars auf Tor.com liest. Der gute alte William Shatner hatte also einen Gastauftritt als Jim Kirk, "Harry Potter" Daniel Radcliffe durfte ein bisschen auf der Bühne rumtanzen und überlange Dankesreden wurden mit der Musik aus Jaws abgewürgt** ... Ist das nicht klasse!? Hi hi hi ... Oh Gott,  Geeks können manchmal echt fürchterlich peinlich sein! Man werfe ihnen ein paar Brocken Popkultur vor und sie benehmen sich wie Kinder bei der Weihnachtsbescherung, glauben jedoch zugleich, dass sie damit unglaublich "cool" und "hip" wären. Wirklich schlimm jedoch wird es, wenn Britt zu Argo kommt:
The Ben Affleck-directed film won Best Adapted Screenplay and then, in a live video appearance by First Lady Michelle Obama herself, it was awarded Best Picture! The fact that Argo cleaned up at the Oscars is heartening, not only because it’s a fantastic and entertaining film, but also because it’s also a story about how science fiction literally helped asve people's lives..
Briefly, if you haven't seen the film: in 1979, CIA agent Tony Mendez collaborated with Hollywood make-up artist John Chambers to create a fake science fiction movie to act as a cover story for the attempted extraction of U.S. hostages from Iran. In real life, the Argo script was based on Lord of Light (which was based on the Roger Zelazny novel of the same name). Mendez’s Hollywood collaborator John Chambers  also managed to enlist several science fiction heavyweights in the “making” of Argo, including Ray Bradbury and Jack Kirby. And while not all of these SF details made it into the film, the notion that this fantastical sci-fi tale served as vehicle that enabled people to escape capture and even death is truly inspiring. Argo itself might not be a science fiction movie, but it's certainly one that champions the importance of the genre.
Also, the acceptance speech from Ben Affleck was ridiculously heartfelt. We forgive you for Daredevil, Ben! Thanks for Argo!
From Kirk to Potter to Adele to Obama, this year's Oscars were a wild ride.
Das Ausmaß an Konformismus und Ignoranz ist wirklich erschreckend. Argo feiert die Zusammenarbeit von CIA und Hollywood vor dem Hintergrund der Iranischen Revolution!
Leute wie Britt haben offenbar nicht die leiseste Ahnung davon, welche Rolle der amerikanische Geheimdienst in der tragischen Geschichte des iranischen Volkes gespielt hat. Vom Sturz des Linksnationalisten Mossadegh 1953 über den Auf- und Ausbau des Folterregimes des Schahs bis hin zum aktuellen Terror- und Sabotagefeldzug, der schon morgen in eine militärische Invasion des Landes übergehen könnte.
Man wird kaum von Hollywood erwarten können, eine ernsthafte künstlerische Auseinandersetzung mit der Revolution von 1979 hervorzubringen. Dies ist selbst den großen iranischen Filmemachern wie Abbas Kiarostami oder Jafar Panahi, die die meisten ihrer amerikanischen Kollegen um ein vielfaches überragen, bisher nicht gelungen. Die Ereignisse, die zum Sturz des Schahs und zur Errichtung des Mullah-Regimes geführt haben, sind nach wie vor von einem so dichten Schleier aus westlicher und offiziell-iranischer Propaganda umgeben, dass es eine außergewöhnliche Künstlerin oder einen außergewöhnlichen Künstler bräuchte – frei von jedwedem Konformismus und ausgestattet mit einem tiefen und kritischen Verständnis für geschichtliche Entwicklungen –, um hier erfolgreich sein zu können.
Doch kann dies keine Entschuldigung dafür sein, Ben Afflecks Streifen, in dem die iranischen Massen wie üblich als ein Haufen  irrationaler Fanatiker dargestellt werden, während CIA-Agent Mendez und seine Hollywood-Kollaborateure die großen Helden sind, zu bejubeln.



* Tarantinos Drehbücher sind nicht mehr als eine clevere Aneinanderreihung cooler Dialogschnipsel. Er ist völlig unfähig, Figuren zu entwickeln oder einen glaubwürdigen und kohärenten Handlungsablauf zu gestalten.
** Ist inzwischen eigentlich völlig vergessen, wie man Michael Moore 2003 das Mikro abdrehte, als er es wagte, George Bush und den Irakkrieg zu kritisieren?

Montag, 25. Februar 2013

Erinnerungen an Gert Fröbe

Heute vor einhundert Jahren, am 25. Februar 1913, wurde im sächsischen Oberplanitz (heute Zwickau-Planitz) der große Gert Fröbe geboren.
Eine fundiertere Einschätzung seiner Karriere und seines Lebenswerks würde voraussetzen, dass ich mir zuvor eine ganze Reihe seiner Filme wieder einmal anschauen müsste. Und so verführerisch mir ein derartiges Unternehmen auch erscheint, seine Umsetzung wäre momentan unmöglich. Und so beschränke ich mich darauf, einfach einige der Gedanken niederzuschreiben, die mir anlässlich dieses Jubiläums heute so gekommen sind.
Meine erste Begegnung mit Gert Fröbe muss sich in relativ jungen Jahren abgespielt haben. Vermutlich habe ich ihn damals in seiner Rolle als Räuber Hotzenplotz in Gustav Ehmcks Adaption von Otfried Preußlers Buch aus dem Jahre 1974 gesehen, möglicherweise auch als Friedshofswärter und Vampirjäger Geiermeier in der elf Jahre später entstandenen ersten Filmversion von Angela Sommer-Bodenburgs Der kleine Vampir.  Am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist er mir jedoch zweifelsohne als Oberst Manfred von Holstein aus Ken Annakins Klassiker Those Magnificent Men in their Flying Machines (Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten [1965]) – ein Film, den ich mir unbedingt wieder einmal anschauen sollte. Die Szene, in der der preußische Offizier mit seiner Pickelhaube einen Heißluftballon zum Absturz bringt, ist mir unvergessen geblieben.
Als nächstes dürfte mir Fröbe als zwielichtiger Millionär Abel Bellamy in Jürgen Rolands Der grüne Bogenschütze (1961) begegnet sein. Erstaunlich eigentlich, dass dies der einzige Edgar Wallace - Flick gewesen ist, in dem er mitgespielt hat. Wenig später dann lernte ich ihn in auch in jener Rolle kennen, die ihn zu einer internationalen Berühmtheit gemacht hatte: Als Superschurke Auric Goldfinger in Guy Hamiltons Bond-Klassiker aus dem Jahre 1964. Lange Zeit gehörte ich zu jenen, die Goldfinger für den letztlich unübertrefflichen 007-Film schlechthin halten. Inzwischen würde ich auf diesem zwar weitverbreiteten, aber eigentlich nur schwer mit Argumenten zu verteidigenden Vorurteil nicht länger beharren wollen. Aber da ich in den letzten Jahren ohnehin eine heftige, sicher leicht irrationale Abneigung gegen das gesamte Franchise entwickelt habe, ist diese Frage für mich sowieso kaum mehr von Belang.
Soweit meine Kindheit und Jugend. Als ich Jahre später begann, mich ernsthaft mit Film als Kunstform auseinanderzusetzen, realisierte ich nach und nach, dass Gert Fröbe nicht bloß die komische oder groteske Figur gewesen ist, als die ich ihn bisher wahrgenommen hatte. Er war ein wirklich großer Schauspieler. 
Da wäre z.B. seine beeindruckende Darstellung des psychopathischen Kindermörders Schrott in Ladislao Vajdas & Friedrich Dürrenmatts Es geschah am hellichten Tag (1958). Seine Leistung dürfte in erster Linie dafür verantwortlich sein, dass dies der einzige Heinz Rühmann - Film ist, den ich trotz der Irritationen, die der Ewige Kleinbürger des deutschen Kinos stets in mir hervorruft, rückhaltlos genießen kann.
In Paul Mays Adaption von Tygve Gulbranssens  Und ewig singen die Wälder (1959) {klingt vielleicht wie Der Förster vom Silberwald, ist aber alles andere als eine Heimatschnulze} beeindruckte er mich als tyrannischer Großbauer Dag Björndal, lebendige Verkörperung einer aufsteigenden bäuerlich-bürgerlichen Mittelschicht mit all ihrem Hochmut und all ihrem Hass auf die alte Aristokratie.
Als Pater Hoffmann in Ludwig II. (1972) brillierte er sogar unter der Regie eines meiner cineastischen Götter – Luchino Visconti.
Und auch wenn Terence Youngs Triple Cross (Spion zwischen zwei Fronten [1966]) sicher kein unsterbliches Meisterwerk der Filmkunst ist, beeindruckte mich Fröbe darin doch als Oberst Steinhäger, vor allem wenn der eigentlich durchweg primitiv und abstoßend wirkende Nazioffizier sehr klug bemerkt, er sei doch bloß der pflichtbewusste Polizist und Polizisten wie ihn werde man stets brauchen, ganz gleich welches System dem Dritten Reich folgen wird.
Seine Rolle als Kommissar Kras in Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960) war sicher weniger spektakulär, aber immerhin leistete er damit seinen Beitrag zu dem einzigen späten Mabuse-Film, der noch von Fritz Lang gedreht wurde und der am ehesten an das Erbe von Dr. Mabuse, der Spieler (1922) und Das Testament des Dr. Mabuse (1933) anzuknüpfen verstand, indem er die Figur des genialen Verbrechers mit aktuellen gesellschaftlichen Themen verband.

Sonntag, 24. Februar 2013

Tall Tale oder poetisches Märchen ?

Es sind vor allem zwei Dinge, die ich an Catherynne M. Valente nach wie vor schätze. Zum einen der überbordende Lyrismus ihrer Sprache, auch wenn sie dabei stets in der Gefahr schwebt, ins Pompöse abzugleiten. Zum anderen ihr zugleich liebevoller wie kritischer Umgang mit Motiven aus Märchen und Mythos.
Nach einer kurzen Fanboy-Phase habe ich inzwischen allerdings ein etwas distanzierteres Verhältnis zu der Autorin entwickelt. Über einige der Gründe dafür habe ich hier vor längerer Zeit schon einmal berichtet. Hinzu kommt, dass die stereotyp feministische Ausrichtung ihrer Erzählungen irgendwann etwas langweilig wird, vor allem wenn man mehrere davon kurz hintereinander liest. Es wäre wirklich sehr erfreulich, wenn sie ihren Themenkreis einmal ein wenig ausweiten würde. Und von Deathless werde ich wohlweislich auch in Zukunft die Finger lassen, da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass Valente über das nötige historische Verständnis verfügt, um sich auf angemessene Weise künstlerisch mit der frühen Sowjetgeschichte auseinanderzusetzen. Auch scheint mir bei diesem Thema der "Mythpunk" - Ansatz besonders ungeeignet zu sein.

Nichtsdestoweniger lässt mich die Nachricht, dass ein neues Buch von ihr erschienen ist, immer noch aufhorchen. Ich werde es zwar kaum in absehbarer Zukunft in Händen halten können, doch dankenswerterweise präsentiert Tor.com seiner Leserschaft einen Auszug aus Six-Gun Snow White, so dass es möglich ist, einen ersten Eindruck von der Geschichte zu bekommen. Ganz glücklich bin ich nach der Lektüre jedoch leider nicht.

Die vorangestellte Zusammenfassung des Inhalts liest sich folgendermaßen: 
Valente’s adaptation of the fairy tale to the Old West provides a witty read with complex reverberations from the real world. Snow White is the daughter of a Crow woman abducted and forced into marriage by an unloving white magnate called only Mr. H. She gets her name in mockery, as white is "the one thing I was not and could never be." When her father remarries, Snow White’s glimpse into the second Mrs. H’s mirror suggests they share the yoke of female subservience, but the two are inevitably at odds – so the young woman dons a man’s clothes and, like Huck Finn, chooses the "Indian Territory" that so frightens Mr. H’s world. Enter a pursuing Pinkerton’s detective, a pony named Charming, seven kick-ass outlaw ladies, and a variety of showdowns as Snow White searches for meaning, love, and a semblance of belonging.
Eine solche Vermischung von Märchen- und Wildwestmotiven ist sicher nicht grundsätzlich unmöglich, aber sie erfordert großes sprachliches und erzählerisches Geschick, wenn sie nicht gekünstelt wirken soll. Der auf Tor.com wiedergegebene erste Teil von Six-Gun Snow White hat bei mir unglücklicherweise den Eindruck hinterlassen, dass Cat Valente dabei ihr eigener lyrischer Sprachstil im Wege gestanden hat, auch wenn dieser im Vergleich zu früheren Erzählungen deutlich zurückgenommen wirkt.  
Ihre Vorliebe für "auserlesene" Wörter, poetische Bilder und ungewöhnliche Metaphern passt sehr gut zu einer exotisch-phantastisch-märchenhaften Welt wie der der Orphan's Tales, in einer revisionistischen Wildwest-Story wirken solche Stilmittel eher fehl am Platze. Eine Orientierung am Vorbild der Tall Tales des alten Westens wäre da meiner Ansicht nach sehr viel stimmiger gewesen. Tatsächlich scheint mir Valente versucht zu haben, einige Elemente dieser genuin amerikanischen Form der "oral poetry" nachzuahmen.* Doch stehen daneben völlig unverbunden auch wieder Passagen wie die folgende:
He returned to his rooms to collect the bride gifts that would ensure her. Mr. H chose a gown like the sun to represent him. It sported a high bustle as was the fashion in the city, with sharp pleating at the skirt-hem and a neckline I would not wear if it were stitched in paper money. But the color did not recall the wholesome sun of spring. Its model was instead the terrible inferno of the sun itself, hanging in black space like a Utah ruby, erupting into eternity, pocked with lava.
Sätze wie der letzte wirken in diesem Kontext irgendwie unpassend und fast schon ein bisschen lächerlich. Durch das Einfügen "amerikanischer" Begriffe wie "Utah ruby" wird dieser Eindruck nicht abgeschwächt, sondern eher noch verstärkt. Auch hilft es wenig, dass Snow White die Erzählerin ihrer eigenen Geschichte ist. Aus ihrem Mund klingen Valentes stilistische Eigenheiten wie etwas, was sich das Wildwestmädchen aus irgendwelchen Büchern angelesen hat. So etwa in der Beschreibung des verhängnisvollen Spiegels ihrer Stiefmutter:
It was not like any of the mirrors Mr. H had brought over from Italy and France, with gold all over them and fat babies holding up the corners. It did not have any roses or lilies or ribbons cut out of silver. It was like a door into nothing. The glass did not show the buttery light of the house behind me. It did not show the forest or the meadows. It did not even show me. The glass was so full up of dark it looked like someone had tripped over the night and spilled it all into that mirror. The frame was wood, but wood so old and hard and cold it felt like stone. I reckoned if it came from a tree that tree was the oldest, meanest tree in a forest so secret not even birds knew about it. That tree saw dinosaurs and did not think much of them. I touched the mirror and my fingers went hot and cold, like candles melting.
The moon came on inside the mirror. I could see the craters and the mountains on it clear and true. But the night above my head was moonless as a sack of wool. I dropped the muslin but I did not scream. I do not scream generally or cry very much. But I can run powerful fast.
Ein nur wenige Seiten umfassender Auszug aus einem Buch kann selbstverständlich keine Grundlage für eine fundierte Einschätzung sein.  Auch findet sich neben solchen etwas irritierend wirkenden Passagen genug sprachlich wie inhaltlich Gelungenes und Charmantes, so dass sich jedes vorschnelle Urteil von selbst verbietet. Ein wenig ins Grübeln hat mich der erste Teil von Six-Gun Snow White dennoch gebracht. Dieser Text ist leider nicht der erste, der den Verdacht in mir schürt, dass Cat Valente ein wenig zu sehr in ihre eigene sprachliche Virtuosität verliebt ist. Auch denke ich, dass sich nicht jede Geschichte dazu eignet, im Stil eines poetischen Märchens erzählt zu werden. Unabhängig davon, ob man die traditionellen Märchenkonventionen dabei unterläuft oder nicht. Gespannt bin ich trotzdem darauf, ihr neuestes Buch einmal ganz lesen zu können.



* Zu den Autoren, die das Erbe der Tall Tales auf gelungene Weise für ihr Werk fruchtbar gemacht haben, darf neben den üblichen Verdächtigen wie Bret Harte und Mark Twain übrigens auch Robert E. Howard gezählt werden, wie dessen Biograph Mark Finn überzeugend dargelegt hat.

Mittwoch, 20. Februar 2013

Und er schnackelte mit den Fingern ...

Als ich im Verlauf des heutigen Tages erfahren musste, dass Otfried Preußler gestern im Alter von 89 Jahren gestorben ist, fühlte ich mich sofort dazu getrieben, ein paar Säze über den von mir hochgeschätzten Autor zu schreiben, dessen phantastische Kreationen eine große Präsenz in ganz unterschiedlichen Phasen meines Lebens besessen haben.
Kein anderer Kinderbuchautor hat eine ähnlich bleibende Faszination auf mich ausgeübt. Was nicht bedeuten soll, dass ich in seinem Gesamtwerk sonderlich gut bewandert wäre. Wie wohl die meisten von uns, habe auch ich nur seine berühmtesten Bücher gelesen, und wenn mir gestern jemand erzählt hätte, dass noch 2002 ein neues Buch von ihm erschienen ist, wäre ich mehr als nur ein bisschen überrascht gewesen.
Mit Der kleine Wassermann, Die kleine Hexe und Das kleine Gespenst ist Preußler für mich zuerst einmal ein Stück Kindheit. Zwar müsste ich lügen, wollte ich behaupten, dass ich noch irgendwelche konkreten Erinnerungen an diese Bücher hätte, aber dennoch rufen ihre Titel immer noch ein zwar nur schwer fassbares, aber irgendwie warmes und wohliges Gefühl in mir wach.
Das für mich einzig Positive an der leidigen "Negerlein" - Debatte des letzten Monats war, dass sie mich dazu animierte, einmal wieder Die kleine Hexe zu lesen. Meine Kindheitserinnerungen sind dadurch zwar nicht konkreter geworden, aber dafür hat meine Eitelkeit einen netten kleinen Anschub erhalten: Scheinbar hatte ich schon als Kind einen guten literarischen Geschmack! Das für mich aus heutiger Sicht außergewöhnliche an dem Buch ist die einmalige Mischung aus poetischer Einfachheit der Sprache, Menschlichkeit, Humor und einem Hauch des Geistes alter Märchen und Sagen. Und dann ist da natürlich auch noch der sprechende Rabe Abraxas, und wer würde den nicht auf Anhieb lieben? Dass die Verfechter des "progressiven", sozialkritischen Kinderbuches in den 70er Jahren mit Preußler wenig anzufangen wussten, konnte ich mir nach der Lektüre der Kleinen Hexe nur zu gut vorstellen. Schließlich spielt die Geschichte in einer märchenhaft unkonkreten, wenn auch leicht bayerisch angehauchten, Welt, fernab der Realität der 50er Jahre, in denen das Buch geschrieben wurde. Wenn diese selbsternannten Vorkämpfer von Fortschritt und Emanzipation allerdings etwas genauer hingeschaut hätten, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass alle Autoritätspersonen, wie der Förster und die Oberhexen, in dem  Buch gar nicht gut wegkommen.
Meine zweite intensive Begegnung mit Otfried Preußler spielte sich im Alter von sechzehn-siebzehn Jahren ab, und diesmal ging es dabei um den Räuber Hotzenplotz. Ich nehme nicht an, dass dieser mir vorher unbekannt gewesen wäre, aber aus irgendwelchen Gründen wurde er zu dieser Zeit für mich und meinen damals besten Freund zu einer Art Kultfigur. Und das ist er in meinen Augen bis heute geblieben. Der dreiste Raub von Großmutters Kaffeemühle. Wachtmeister Dimpfelmoser auf seinem Fahrrad. Der Zauberer Petrosilius Zwackelmann und seine problematische Beziehung zum Kartoffelschälen. All diese Motive finde ich nach wie vor nicht nur ausgesprochen amüsant, sie besitzen für mich auch einen ganz eigenen, nicht recht in Worte zu fassenden Charme. Und ich glaube nicht, dass der einzige Grund dafür der ist, dass unsere damalige Darmstädter Stammkneipe den Namen Hotzenplotz trug und ihre Wände mit entsprechenden Bildern geschmückt waren.
Daneben spielte Preußler in dieser Zeit für mich noch auf ganz andere Weise eine wichtige Rolle, auch wenn ich mir dessen erst sehr viel später klar geworden bin. Bis vor kurzem war mir nämlich gar nicht bewusst, dass er die ersten drei Bände von Lloyd Alexanders Prydain-Zyklus (Taran und das Zauberschwein * Taran und der Zauberkessel * Taran und die Zauberkatze) ins Deutsche übersetzt hat, und auch wenn ich selbst diese Bücher erst später gelesen habe, hatten sie doch für meinen schon erwähnten Freund den ersten echten Zugang zur Fantasy dargestellt und waren insofern für uns beide sehr wichtig.
Schließlich wäre da meine noch gar nicht so lange zurückliegende dritte Begegnung mit Preußler. Der Name Krabat war mir schon aus den Hotzenplotz-Zeiten bekannt, aber eigentümlicherweise hatte ich mir das Buch nie von meinem Freund ausgeliehen, obwohl dieser es mir doch mehr als einmal schmackhaft gemacht hatte. Vielleicht glaubte ich damals, das Werk eines Kinderbuchautors wäre unter meiner Würde, wenn ich es nicht auf halb ironische Weise wie den Hotzenplotz genießen könnte. Wie dem auch sei, jedenfalls lernte ich Preußlers Meisterwerk so richtig erst in späteren Jahren und auf dem Umweg über Karel Zemans großarttige Zeichentrickverfilmung aus dem Jahre 1977 kennen. Doch als ich es dann schließlich zum ersten Mal gelesen hatte, war ich restlos begeistert. Ich habe hier an anderer Stelle bereits einmal versucht, meine Gedanken über dieses Buch darzulegen und werde das jetzt nicht noch einmal wiederholen. Ich möchte bloß erklären: Mit Krabat  hat sich der stets "nur" als Kinderbuchautor gepriesene Otfried Preußler als einer der wirklich großen Vertreter der phantastischen Literatur im deutschsprachigen Raum erwiesen.  Auch wer keine nostalgischen Kindheitserinnerungen mit ihm verbindet, sollte es sich darum auf gar keinen Fall entgehen lassen, die Geschichte vom Lehrling in der Mühle im Koselbruch zu lesen. 

Samstag, 16. Februar 2013

Drei M.R. James - Kurzfilme

Seit einer 1951 zum ersten Mal ausgestrahlten Verfilmung von The Tractate Middoth unter dem Titel The Lost Will of Dr. Rant (mit einem jungen Leslie Nielsen in der Hauptrolle), haben eine ganze Reihe der klassischen Spukgeschichten von Montague Rhodes James im Laufe der Jahrzehnte eine filmische Adaption erfahren – wenn auch beinahe ausschließlich in Gestalt von Fernsehproduktionen. Am bekanntesten dürften Jacques Tourneurs auf Casting the Runes basierender Kinofilm Night of the Demon (1958), Jonathan Millers Oh Whistle and I'll Come to You (1968) und David Rudkins & Lawrence Gordon Clarks The Ash-Tree (1975) sein. Alle drei ein absolutes Muss für jeden Liebhaber des phantastischen Films.

In den letzten Jahren hat Stephen Gray dem ohnehin schon recht umfangreichen Kanon von M.R. James - Adaptionen mit seinen Kurzfilmen


eine weitere faszinierende Facette hinzugefügt. Keine der drei Stories gehört zu Montys populärsten Werken, aber in diesen praktisch ohne Budget produzierten Filmchen entfalten sie die ganze ihnen innewohnende beunruhigende Macht. Ein echter Geheimtip!

Die Ende letzten Jahres fertiggestelte Version von The Haunted Dolls' House wird übrigens nicht mehr lange frei zugänglich sein, da Gray sie auf einer Reihe von Kurzfilmfestivals vorführen will, und es zu dem üblichen Reglement solcher Veranstaltungen gehört, dass dort präsentierte Werke nicht im Internet zu sehen sein dürfen. Also keine Zeit verlieren!
Wer die zugrundeliegende Geschichte lesen will, kann dies u.a. auf Grays eigener Website A Thin Ghost, wo man nicht nur alle zu Montys Lebzeiten veröffentlichen Stories, sondern auch eine Sammlung faszinierender Illustrationen und Infos über sämtliche existierenden Filmadaptionen findet. Vorlesen lassen kann man sie sich in Episode 102 von Jim Moons Hypnobobs. Die Weihnachtsausgabe des äußerst empfehlenswerten A Podcast to the Curious von Will Ross & Mike Taylor enthält außerdem ein ausführliches Interview mit dem Filmemacher.

Strandgut der Woche

Donnerstag, 14. Februar 2013

In Memoriam Andreas Katsulas

Wenn auch mit einem Tag Verspätung, möchte ich hier doch ganz kurz Andreas Katsulas gedenken, der gestern vor sieben Jahren im viel zu jungen Alter von Neunundfünfzig starb. Freundinnen & Freunden des phantastischen Fernsehens wird der griechisch-amerikanische Schauspieler vor allem als Commander Tomalak aus Star Trek: The Next Generation 


und natürlich als Botschafter G'Kar aus Babylon 5 in Erinnerung sein:


Es mag kaum einen größeren Beweis für sein schauspielerisches Talent geben, als dass selbst J. Michael Straczynskis pathetischste Texte aus seinem Mund überzeugend und berührend klangen. Wir werden ihn nicht vergessen!

Und wann kommt endlich das Remake von Citizen Kane ?

Ich weiß, ich weiß, langsam wird's echt langweilig, sich über die neusten Reboot- oder Remake-Pläne aufzuregen, aber schließlich kann ich nichts dafür, dass Hollywood in seiner Ideenlosigkeit und elitären Akapselung vom realen Leben in roboterhafter Regelmäßigkeit immer bizzarere Wiederaufwärm-Projekte ausbrütet. Ärgern tue ich mich darüber nur noch selten, aber oft genug ist meine erste, spontane Reaktion immer noch: What the fuck!? Wer ist denn auf die hirnverbrannte Idee gekommen?! So erging es mir auch heute wieder, als mich via BlackDog die Nachricht erreichte, MGM spiele ernsthaft mit dem Gedanken an ein Reboot von Jack Arnolds The Incredible Shrinking Man. Wozuuuu!?! Welchen Sinn macht es, eine Geschichte neu zu verfilmen, die bereits in einer definitiven und wahrhaft klassischen Form vorliegt?!? Wäre das nicht ein bisschen so, als würde man eine Neufassung von Krieg und Frieden schreiben?

Okay, nachdem die erste Gefühlswallung abgeklungen ist, bin auch ich zu etwas differenzierteren Gedanken fähig:
Das Beste zuerst: Offenbar zieht niemand mehr ernsthaft in Erwägung, eine Comedy-Fassung mit Eddie Murphy in der Hauptrolle zu drehen. {Das klingt jetzt vielleicht wie ein besonders diabolischer Plan von Hank Scorpio, wurde aber in der Tat jahrelang als realistische Option gehandelt!}
Zweitens: Richard Matheson, der die Romanvorlage und das Script für Arnolds B-Movie-Meisterwerk geschrieben hatte, wird zusammen mit seinem Sohn Richard Matheson, Jr. auch diesmal für das Drehbuch verantwortlich sein.
Drittens: Es gibt Präzedenzfälle dafür, dass selbst die Neuverfilmung eines echten Klassikers nicht notwendigerweise in einem übelriechenden Haufen cineastischen Bullshits enden muss. Philip Kaufmans 78er-Version von Invasion of the Body Snatchers wäre hierfür vielleicht das naheliegendste Beispiel. Vor die Wahl gestellt, würde ich zwar auch in diesem Fall Don Siegels Original den Vorzug geben, aber Kaufman gelang es tatsächlich, dem Stoff einen neuen, den veränderten Zeiten entsprechenden Geist einzuhauchen und einen sehr ordentlichen Film abzuliefern.

Doch keines dieser Argumente vermag meine spontane Abneigung gegen die Idee auf Dauer zu ersticken. Grund hierfür ist vermutlich vor allem, dass ich dem heutigen Hollywood einfach nicht zutraue, aus einem solchen Projekt etwas anderes zu machen als einen epischen Griff ins Klo. Zugegebenermaßen verfüge ich im gegebenen Fall über wenig konkretes Material zur Untermauerung dieses Vorurteils. Abgesehen davon, dass statt Radioaktivität Nanotechnologie die Schrumpfung des Helden auslösen soll, ist so gut wie nichts darüber bekannt, welche Richtung das Projekt einschlagen wird . Die Bemerkung, man plane "an action-oriented adaptation", lässt allerdings wenig gutes erwarten. Vor allem, wenn man sich ein anderes Reboot zu einer Matheson-Story in Erinnerung ruft. {Ja, das mit Will Smith ...}. Ich wäre wirklich überrascht, wenn bei all dem am Ende mehr herauskommen würde, als dass man Katze & Spinne aus dem Original durch irgendwelche beschissenen CGI-Kreationen ersetzt, und die entsprechenden Szenen auf zwei Drittel des Films ausdehnt. Und das brauch ich ebensowenig, wie die geplanten computergenerierten Gremlins oder Hämorrhoiden am Arsch.

Ein Positives hat das Ganze aber vielleicht doch. Möglicherweise ist manchen meiner Leserinnen und Leser Jack Arnolds Film aus dem Jahre 1957 ja gar nicht bekannt. Diese möchte ich hiermit auffordern, diese Wissenslücke schnellst möglich zu schließen. Arnold war ein echter Großmeister des phantastischen B-Movies, und dieser Film darf wohl zurecht als sein Meisterstück gelten. Youtube bietet leider nur wenige wirklich aussagekräftige Ausschnitte an, also habe ich mich für den offiziellen Trailer entschieden:

  

Mittwoch, 13. Februar 2013

Amicus, Edgar Rice Burroughs & Michael Moorcock

Als sich die legendäre englische Filmproduktionsfirma Amicus Productions Mitte der 70er Jahre plötzlich dem Werk des alten Pulp-Meisters Edgar Rice Burroughs zuwandte, stellte dies vermutlich einen Versuch dar, sich aus den zunehmend unprofitabel erscheinenden Gefilden des Brit-Horrors zurückzuziehen und sich einen neuen, gewinnversprechenderen Markt zu eröffnen. Spätestens seit dem gewaltigen internationalen Erfolg von The Exorcist (1973) schien das Schicksal des bereits zuvor kränkelnden Genres endgültig besiegelt zu sein, und Amicus' Versuch, mit Madhouse (1974) der Entwicklung hin zu mehr Blut und expliziter Gewalt nachzueifern, war aus verschiedenen Gründen gescheitert.* Andererseits hatte die Firma sich nie ausschließlich auf Horror beschränkt. So war sie z.B. Mitte der 60er Jahre für die Produktion der beiden Dr. Who - Kinofilme mit Peter Cushing verantwortlich gewesen. Sich erneut einer familienfreundlicheren Form der Phantastik zuzuwenden, erschien Subotsky und Rosenberg deshalb vermutlich naheliegend.
Erstaunlicherweise hatte von Edgar Rice Burroughs' Kreationen bisher eigentlich nur Tarzan seinen Weg auf die Leinwand gefunden – angefangen mit dem ungeheuer erfolgreichen Tarzan of the Apes von 1918 und den Johnny Weissmueller - Flicks der 30er & 40er Jahre, die bis heute das populäre Bild des Herrn des Dschungels prägen. Dabei hätte dessen umfangreiches Oeuvre findigen Filmproduzenten eigentlich als eine wahre Goldgrube erscheinen müssen, und als man bei Amicus nun ERB's 1918 erschienene Story The Land That Time Forgot hervorkramte, war den Verantwortlichen offenbar auf Anhieb klar, dass sie den idealen Stoff für einen phantastischen Abenteuerfilm in Händen hielten. Das größte Problem stellte die Finanzierung dar. Für sich alleine hätte Amicus unmöglich das Budget aufbringen können, das nötig erschien, um den von Sauriern und Affenmenschen bevölkerten Kontinent Caprona in die Kinowirklichkeit zu übertragen. Also handelte man eine Kooperation mit American International Pictures aus, mit denen man zuvor bereits bei Madhouse zusammengearbeitet hatte. In der amerikanischen Schlock-Schmiede war man inzwischen gleichfalls zu der Überzeugung gelangt, dass der Horrorboom der 60er Jahre, als Roger Cormans Poe-Adaptionen mit Vincent Price AIPs ertragreichste Produkte gewesen waren, sein Ende erreicht hatte. Unter der Leitung von Samuel Z. Arkoff hatte man sich verstärkt der Produktion von Filmen wie Martin Scorseses Boxcar Bertha (1972) oder der legendären Blaxploitation-Flicks Blacula (1973) und Foxy Brown (1974) zugewandt. Eine Edgar Rice Burroughs - Adaption schien Arkoff jedoch offenbar gleichfalls eine vielversprechende Idee zu sein. Neben dem nötigen Geld steuerte AIP vor allem seinen Action-Star Doug McClure zu dem Projekt bei.

Zuvor hatte man natürlich auch noch die Filmrechte an der Story erwerben müssen. Dabei hatten Edgar Rice Burroughs' Erben ihr Einverständnis an die Bedingung geknüpft, dass es sich um eine vorlagengetreue Verfilmung handeln müsse. Als es daran ging, einen Drehbuchautor zu finden, der diese Transformation bewerkstelligen sollte, landete Amicus einen wahren Geniestreich: Man engagierte Michael Moorcock.
Der SF- und Fantasyautor hat seine Pulpwurzeln nie verleugnet und mehr als einmal seiner großen Liebe zu Edgar Rice Burroughs Ausdruck verliehen. Bevor er mit eigenen Werken und als Herausgeber von New Worlds seinen Beitrag zum Durchbruch der "New Wave" leistete, hatte er sich seine literarischen Sporen u.a. als Herausgeber von Tarzan Adventures verdient (und das im Alter von siebzehn Jahren!). Hätte man einen besseren Kandidaten für den Job finden können?

Als ich mir angeregt von Jim Moons The McClure Quartet kürzlich wieder einmal The Land That Time Forgot anschaute, begann ich mich zu fragen, wie groß genau Moorcocks Anteil an der Geschichte wohl war, die sich da vor meinen Augen entfaltete. Vor allem die sympathisch humanen und fortschrittlichen Züge des Films schienen mir sehr deutlich die Handschrift des alten Anarchisten zu verraten. Also beschloss ich, zum Vergleich das Original zu lesen.**

Abgesehen von dem kataklysmischen Finale, bei dem ein Großteil Capronas der Zerstörung durch einen Vulkanausbruch anheimfällt (eine altbewährte Methode zur Entsorgung Verlorener Welten), hält sich Kevin Connors Film im Großen und Ganzen tatsächlich recht eng an seine literarische Vorlage.


Im Jahr 1916 wird ein englisches Passagierschiff im Atlantik von einem deutschen U-Boot unter dem Kommando von Kapitän Von Schoenvorts (John McEnery)*** torpediert und versenkt. An Bord befinden sich u.a. der Amerikaner Bowen Tyler (Doug McClure) und die junge Lisa Clayton (Susan Penhaligon). Die überlebenden Briten kapern unter Tylers Führung das U-Boot. Es gelingt ihnen jedoch nicht, wie geplant zu einem englischen Hafen zu fahren, stattdessen landen sie nach Meutereien und Kontermeuterein schließlich in der Antarktis, wo sie auf den von unüberwindlichen Klippen umgebenen legendären Kontinent Caprona stoßen. Nach der riskanten Fahrt durch einen unterseeischen Kanal taucht das U-Boot inmitten einer tropischen, von urzeitlichen Tieren und neandertalerartigen Höhlenmenschen bevölkerten Welt auf. Briten und Deutsche beschließen, ihre Animositäten erst einmal beizulegen, und gemeinsam den Gefahren dieser fremden Welt zu trotzen und einen Weg zu suchen, um in die Zivilisation zurückzukehren. Dabei kommt es nicht nur zu einigen recht unfreundlichen Begegnungen mit diversen Dinosauriern, unsere Helden entdecken außerdem, dass die Evolution auf diesem mysteriösen Eiland recht seltsame Wege beschritten hat. Offenbar werden die meisten Lebewesen hier in ihrer primitivsten Form geboren, um im Laufe ihres Lebens sukzessive alle weiteren Entwicklungsstufen zu durchlaufen und dabei gleichzeitig immer weiter ins Inland abzuwandern. Dies zeigt sich vor allem an den unterschiedlichen Menschenrassen, denen Tyler, Lisa und Von Schoenvorts während ihrer Expeditionen begegnen.

Eine ähnlich knappe Zusammenfassung von Edgar Rice Burroughs' Roman würde nicht viel anders klingen. Der auffälligste Unterschied wäre, dass die Protagonistin dort Liz La Rue heißt. Und doch sind Michael Moorcocks Eingriffe überdeutlich, insbesondere was die Zeichnung der Charaktere Lisa und Von Schoenvorts angeht.
Der U-Boot-Kapitän ist bei ERB eine durch und durch unsympathische Figur, die in vielen Punkten dem von der damaligen amerikanischen Kriegspropaganda gezeichneten Bild der "Bestie von Berlin" entspricht.**** Der preußische Aristokrat ist arrogant, brutal und verräterisch. Völlig anders im Film. Dort erweist sich Von Schoenvorts als zivilisiert, gebildet und außergewöhnlich ehrenhaft. Er ist es, der als erster eine Kooperation zwischen Briten und Deutschen vorschlägt, und er ist es auch, der zusammen mit Lisa dem biologischen Geheimnis von Caprona auf die Spur kommt.
Und während Liz in erster Linie die Rolle von Tylers "unsterblicher Liebe" und der "damsell in distress" zu spielen hat, erweist sich ihr Gegenstück Lisa – wunderbar verkörpert von Susan Penhaligon – nicht nur als mutig und selbstständig, sondern auch als eine äußerst kompetente Wissenschaftlerin.

Was mir an Moorcocks Umgang mit seiner Vorlage besonders gut gefällt, ist, dass er der Geschichte einen humaneren und fortschrittlicheren Geist einhaucht, ohne dabei ihren pulpigen Charme zu zerstören. Auch seine Version von The Land That Time Forgot ist vor allem eine spannende Abenteuerstory mit U-Booten, Faustkämpfen, Verlorenen Kontinenten, Dinosauriern und Affenmenschen. Nationaler Chauvinismus und sexistische Klischees sind kein Muss für solch ein Pulp-Adventure. Sie lassen sich ebenso leicht entfernen, wie der anarchistische Saboteur und die rassistischen Bemerkungen über die "negroiden" Züge der primitiven Urmenschen, denen wir in Edgar Rice Burroughs' Roman begegnen. Ja, man kann sie sogar ersetzen durch die "Botschaft" einer alles Misstrauen und alle nationale Feindschaft überwindenden menschlichen Solidarität, ohne dass man die Geschichte deshalb in ein politisches Lehrstück oder eine "Dekonstruktion" verwandeln müsste. Ein wenig erinnert mich das an Moorcocks Umgang mit der Sword & Sorcery in seinen frühen Elric-Romanen. Die Geschichten um den tragischen Albinofürsten von Melniboné stellen natürlich sehr viel deutlicher einen kritischen Gegenentwurf zu den Konventionen des Genres dar, aber auch sie sind zugleich Ausdruck der Liebe des Autors zu dessen Pulp-Wurzeln. Zumindest zu jener Zeit war Moorcocks kritischer Blick noch kein Blick von oben herab. So jedenfalls mein Eindruck. Er war vielmehr der Blick eines Fans, der weder bereit war, seine Augen vor den eher unappetitlichen Elementen in der "klassischen" Phantastik zu verschließen, noch deshalb gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Eine Einstellung die mir ausgesprochen sympathisch ist.    


* Jim Moon berichtet ausführlich über die unglücklichen Umstände, unter denen dieser Streifen entstand, in Episode 34 von Hypnobobs: You Only Live Price.
** IMDB führt als zweiten Drehbuchautor James Cawthorn an. Wie groß dessen Anteil an dem Script war, entzieht sich jedoch leider meiner Kenntnis. Allerdings hat Moorcock mehrfach betont, dass die letzten zwanzig Minuten des Films mit dem vulkanischen Finale nicht aus seiner Feder stammten. Im Umkehrschluss darf man wohl annehmen, dass der Rest seinen Intentionen entpspricht.
*** Die Stimme, die wir zu hören bekommen, gehört allerdings nicht McEnery, sondern dem aus Deutschland stammenden Anton Diffring, Liebhabern des phantastischen Kinos vermutlich vor allem als Fabian in François Truffauts Fahrenheit 451 bekannt.
**** Als Beispiel für diese antideutsche Hetze, deren Spuren wir nebenbei bemerkt auch noch in H.P. Lovecrafts 1920 verfasster Kurzgeschichte The Temple finden können, möchte ich rasch George Sterlings Gedicht Germany on the Seas zitieren. Ganz einfach, weil es mir so wunderbar zu The Land That Time Forgot zu passen scheint:

What monsters of the mythologic den
    Shall match the horror of the Hun at sea ?
    The frozen blood congeals, then, leaping free,
Goes furious on its outraged course again.
This is the work of devils, not of men!
    By this they do, know now that man may be
    Deeper below the beast than ever we
Have soared above the reptiles of the fen.

They do this open-eyed. This is their plan,
    Tho all the world go sick with qualms of it.
Such savageries do men devise for man,
        Conscious and nothing loth, as tho Hell's slime
    Took form to do the bidding of the Pit –
        A stench upon our days and ways of Time!

Montag, 11. Februar 2013

Wölfisches Vergnügen

Gestern war der Geburtstag von "Wolf Man" Lon Chaney Jr., was ich für einen ausreichenden Grund halte, um mir heute einmal wieder Curt Siodmaks Universal-Klassiker aus dem Jahre 1941 anzuschauen – nicht der erste Werwolffilm, aber der vielleicht einflussreichste und sicher einer der schönsten.


Doch bevor ich mich erneut in die schaurig-nebligen Gefilde von Wales aufmache, wo
Even a man who is pure in heart
And says his prayers by night
May become a wolf when the wolfbane blooms
and the autumn moon is bright
wollte ich noch rasch eine kleine Liste lykanthropischer Leckerli für meine Leserinnen und Leser zusammenstellen:

1) Zur musikalischen Einstimmung erst einmal Warren Zevons Klassiker Werewolves of London:


2) Wer sich für ein paar einführende Informationen zu Lon Chaney Jrs. Leben und Karriere sowie für die Fährnisse alter Tricktechniken interessiert, der schaue bei Beths  Artikel auf Creature Buzz vorbei.

3) Wer hingegen einer ebenso umfassenden wie unterhaltsamen Einführung in die Geheimnisse des Werwolfwesens zu lauschen wünscht, den verweise ich auf Mr. Jim Moons Podcast-Serie An Introduction To Werewolvery * The Wolf At The Door * Birth of the Werewolf * On-Air Wolf! * Even a man who is pure in heart ... * Children of the Wolf Man

4) Für alle, die es lieber etwas humorig haben, könnte die zweite Episode der Monster Hunters: The Heir of the Dog das richtige sein, denn natürlich mussten sich auch Roy Steel und Lorrimer Chesterfield bereits einmal mit einem Lykanthropen herumschlagen.

5) Und last but not least treibt der Loup-Garou auch in Clark Ashton Smiths Averoigne sein Unwesen, so etwa in der wundervollen Kurzgeschichte The Enchantress of Sylaire.

Sonntag, 10. Februar 2013

Rache ist sauer

Revenge is sour ist der Titel eines kurzen Essays von George Orwell aus dem Jahre 1945, in dem dieser sich – ausgehend von seinen Erlebnissen im besiegten und besetzten Deutschland – Gedanken über die Unsinnigkeit und Unmenschlichkeit der Rache macht. Er erzählt darin, wie er zusammen mit einem Wiener Juden und Soldaten der US-Armee ein Gefangenenlager besucht. Dabei erlebt er, wie sein Begleiter – "an alert, fair-haired, rather good-looking youth of about twenty-five, and politically so much more knowledgeable than the average American officer that it was a pleasure to be with him" – einen der gefangenen SS-Offiziere mit Fußtritten malträtiert. Er bezweifelt weder, dass der Mann gute Gründe für seinen Hass hat – "very likely his whole family had been murdered" –, noch dass der betreffende Offizier für zahllose barbarische Verbrechen verantwortlich ist. Doch seiner Macht entkleidet ist der Nazi im Grunde bloß noch eine erbärmliche Kreatur  – abstoßend und beinahe mitleiderregend. Kann es wirklich Genugtuung bereiten, an diesem Menschen das eigene Verlangen nach Rache auszuleben?
I wondered whether the Jew was getting any real kick out of this new-found power that he was exercising. I concluded that he wasn't really enjoying it, and that he was merely – like a man in a brothel, or a boy smoking his first cigar, or a tourist traipsing round a picture gallery – TELLING himself that he was enjoying it, and behaving as he had planned to behave in the days he was helpless. [...]
[W]hat this scene, and much else that I saw in Germany, brought home to me was that the whole idea of revenge and punishment is a childish daydream. Properly speaking, there is no such thing as revenge. Revenge is an act which you want to commit when you are powerless and because you are powerless: as soon as the sense of impotence is removed, the desire evaporates also.
Einmal mehr beweist Orwell in diesem Essay Intelligenz, psychologische Einsicht und Menschlichkeit.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Der weitverbreiteten Begeisterung für Quentin Tarantino, die anlässlich von Django Unchained gerade mal wieder an allen Ecken und Enden hochkocht. Seit Kill Bill Vol. 1 (2003) kennen dessen Filme nämlich im Grunde nur noch ein einziges Thema: Das brutalst mögliche Ausleben von Rachefantasien. Ich finde es schwer verständlich, ziemlich traurig und auch ein bisschen beunruhigend, dass dieses Motiv offenbar so viele Menschen anzusprechen vermag.
Nun ist Tarantino zwar meine persönliche Bête Noire, mein filmerisches Feindbild par excellence, doch würde ich deshalb nicht leugnen wollen, dass er ein (in engen Grenzen) kompetenter Filmemacher ist. Mit Jackie Brown hat er sogar einen wirklich sehenswerten Streifen geschaffen.* Würde mir deshalb jemand erzählen, er oder sie liebe Tarantinos Filme aufgrund ihres zynischen Humors und des geschickten Spiels mit Genrekonventionen und -versatzstücken, hätte ich damit nicht wirklich ein Problem. Schließlich bin ich selber Liebhaber einer ganzen Reihe eher dubioser filmischer Machwerke. Ich würde mit meiner eigenen Ansicht über Tarantino zwar nicht hinter dem Berg halten, aber letztlich würde ich in einem solchen Fall nach der Maxime "Geschmäcker sind halt verschieden" handeln. Völlig anders sähe es allerdings aus, wenn mein Gesprächspartner behaupen wollte, die betreffenden Filme besäßen einen "progressiven" Inhalt. Meine Toleranz ist dann am Ende, wenn man mir einzureden versucht, Kill Bill sei ein "female empowerment"-, Inglorious Basterds ein antifaschistischer, Django Unchained ein antirassistischer Film.

Doch leider geschieht genau dies gar nicht so selten. Nehmen wir als Beispiel folgende Schlusspassage aus Simis Kritik von Django Unchained:
Amerika wird ungern an seine Sklavenhalterzeit erinnert, im Western war dieses Thema bisher inexistent. Tarantino dagegen spart nicht mit Szenen, die die Grausamkeit dieser Praxis illustrieren. Selbst sein Protagonist zögert nur kurz, als er zwischen dem Leben eines geflüchteten Sklaven und dem Ziel seiner Mission – der Befreiung Broomhildas – abwägen muss, und verhindert nicht, dass der Unglückliche von Hunden zerfleischt wird. Es ist gut möglich, dass Django Unchained in Tarantinos Heimat für einen ähnlich erfrischenden Schock sorgen wird wie Inglourious Basterds in Europa. Die Konstellation wäre durchaus vergleichbar, schliesslich inszeniert Tarantino in beiden Fällen einen düsteren historischen Stoff als brutale Farce, lässt die scheinbar Schwachen blutige Rache an ihren Peinigern nehmen.
Die einleitende Behauptung, "Amerika" (sprich die amerikanische Bevölkerung) sei im allgemeinen unwillig, sich mit der Sklavenhaltervergangenheit der USA auseinanderzusetzen, erscheint mir angesichts der Tatsache, dass beinahe zur selben Zeit Steven Spielbergs Lincoln Millionen in die Kinos gelockt hat, zumindest fragwürdig. Und dass das Thema im Western bisher "inexistent" gewesen sei, ist schlicht falsch. Unterrepräsentiert ja, aber es gibt da immerhin Filme wie Sydney Pollacks The Scalphunters (mit Burt Lancaster, Ossie Davis & Telly Savalas) oder Richard Wilsons Invitation to a Gunfighter (mit Yul Brynner).
Es ist offensichtlich, dass Simi ein Bild zu zeichnen versucht, vor dessen Hintergrund Tarantinos Streifen besonders "mutig" und "provokant" erscheinen muss. Völlig schleierhaft bleibt dabei jedoch, worin die positive Wirkung dieser "Provokation" eigentlich bestehen soll. Zum Vergleich zieht er den "erfrischenden Schock" heran, den Inglorious Basterds seinerzeit in Europa ausgelöst habe. Ich kann mich an einen solchen leider beim besten Willen nicht erinnern. Die Mehrheit der Filmkritiker und -kritikerinnen war wie immer begeistert, und dass das sadistische Spektakel irgendwie zum Verständnis des Faschismus oder des Kampfes gegen ihn beigetragen hätte, könnte doch wirklich nur jemand behaupten, der in sehr eigenartigen geistigen Sphären beheimatet ist.
Nicht viel anders verhält es sich bei Django Unchained. Simi schreibt, der Film spare "nicht mit Szenen, die die Grausamkeit der Praxis der Sklaverei illustrieren". Tatsächlich jedoch hat Tarantinos groteskes Schreckensszenario von "Candieland" ebenso viel oder wenig mit der historischen Realität der alten Südstaaten zu tun wie das peinliche Idyll von "Tara" in Margaret Mitchells & Victor Flemings Gone with the Wind. Wie soll das Bild einer von karrikaturenhaften Monstern bevölkerten Plantage, auf der bizarre "Gladiatorenkämpfe" veranstaltet und Schwarze regelmäßig zu Tode gepeitscht oder von Hunden zerfleischt werden, zu unserem Verständnis der Sklavenhalterordnung beitragen?** Das Sklaverei "böse" ist, haben wir auch vorher schon gewusst, und viel mehr wird uns hiermit nicht vermittelt. Genauer gesagt sind alle weiteren Schlussfolgerungen, die das Publikum aus dieser Darstellung ziehen könnte, irreführend und politisch reaktionär.
Springen wir für einen Moment von Simis Artikel zu einem Eintrag von "sad" auf dem Golem-Blog. Dort bekommen wir folgendes zu lesen: 
[D]er Plantagenkomplex Candyland [erscheint] als systematischer Zusammenhang menschenverachtender Verhältnisse, die keineswegs nur an Candie als Einzelperson gebunden sind, sondern auch die sich gegenseitig kontrollierenden Vasallen, Aufseher, Angestellten und natürlich den alten Haussklaven Stephen mit einschließen, der als Vertrauer Candies die gegebenen Herrschaftsstrukturen derart internalisiert hat, dass ihm ein nicht nur geringer Teil an deren Perpetuierung zukommt.
Schon zuvor hatte "sad" bewundernd von der "skurril-surrealen Inszenierung des amerikanischen Südens der Antebellum-Periode" gesprochen, in der "Grausamkeit und barbarische Brutalität [...]  als zivilisierte Gewalt jeden Winkel der gesellschaftlichen Realität" durchziehen. Für mich sieht das so aus, als übertrage er hier das von "linken" Modephilosophen wie Fredric Jameson entworfene Bild des "Spätkapitalismus" als einer Gesellschaft, in der die arbeitende Bevölkerung die Mechanismen des Systems so stark verinnerlicht hat, dass sie selbst zu dessen vielleicht wichtigster Stütze geworden ist, und alle Bereiche des menschlichen Lebens von der Macht des Warenfetischismus deformiert worden sind, auf die Sklavenhalterordnung des "Baumwollimperiums". Seine Absicht ist dabei vermutlich, Tarantinos Film eine Intelligenz und Tiefgründigkeit unterzuschieben, die dieser einfach nicht besitzt. Was er damit jedoch in Wirklichkeit erreicht, ist bloß, ungewollt offenzulegen, welch demoralisierte Sicht der Welt diesem "linken" Pseudoradikalismus zugrundeliegt.
Wer Django Unchained nicht durch die Brille "linker" Kulturtheorie betrachtet, wird nämlich kaum den Eindruck gewinnen können, die barbarischen Verhältnisse auf Candieland hätten irgendetwas mit "systematischen Zusammenhängen" und "internalisierten Herrschaftsstrukturen" zu tun. Er oder sie wird vielmehr einen Haufen abstoßender menschlicher Kreaturen vor sich sehen, deren summarisches Abschlachten im großen Finale ihm oder ihr höchste Genugtuung bereiten soll. Die Plantage steht damit weniger stellvertretend für eine bestimmte ökonomische und politische Ordnung als vielmehr für "die Welt", eine Welt, die fast ausnahmslos bevölkert wird von menschlichen Schweinen. Und die Helden des Ganzen sind bei Lichte betrachtet ebensolche Schweine. Wie Schultz ganz ausdrücklich erklärt: Die Welt ist ein schmutziger Ort und niemand kann in ihr saubere Hände behalten.

Dieses durch und durch zynische und pessimistische Menschen- und Weltbild bildet die Grundlage für die Glorifizierung der Rache, welche den eigentlichen Inhalt von Tarantinos Filmen ausmacht. Doch bevor ich auf diesen Themenkomplex etwas näher eingehe, halte ich es für angebracht, kurz innezuhalten, um klarzustellen, dass nichts von dem, was folgen wird, etwas mit Quentin Tarantinos bewussten künstlerischen Intentionen zu tun hat.
Simi führt in seinem Artikel u.a. Sam Peckinpah als eines der Vorbilder für Tarantinos Inszenierung von Gewalt an, und er ist beileibe nicht der einzige, der eine Verbindung zwischen diesen beiden Regisseuren zieht. Ich halte das für kurzsichtig und etwas unfair. Das Thema Gewalt übte auf Peckinpah zweifelsohne eine große Faszination aus. Aber in seinen besten Momenten ging es ihm nicht bloß darum, diese auf möglichst schockierende Weise in Szene zu setzen, er bemühte sich auch, eine Antwort auf die Frage zu finden, worin die gesellschaftlichen und psychologischen Wurzeln von Brutalität und Grausamkeit liegen. Ein Film wie Bring Me the Head of Alfredo Garcia lässt sich nur dann als ein direkter Vorläufer zu Tarantinos Gewaltgrotesken verstehen, wenn man dessen schwächste Seiten isoliert und bis zur letzten Konsequenz weiterentwickelt. Bei diesem Prozess muss alles, was Peckinpahs Werk tatsächlich sehenswert macht, unter den Tisch fallen. Denn machen wir uns nichts vor: Quentin Tarantino besitzt auch nicht das leiseste Interesse an realer Gewalt und den Umständen, die zu ihrer Entstehung führen. Seinen Filmen liegt keine Auseinandersetzung mit der echten Welt und den wirklichen Menschen zugrunde, Inspiration bezieht der Regisseur so gut wie ausschließlich aus anderen Filmen, in erster Linie aus Genrewerken, über die er bekanntermaßen ein enzyklopädisches Wissen besitzt.
Ob seine Streifen wirklich gelungene Pastiches oder Hommagen darstellen, ließe sich allerdings in Frage stellen. (Grindhouse - Death Proof war in dieser Hinsicht der offensichtlichste Misserfolg). Mir zumindest scheinen sie weniger von echter Liebe zum Genrekino als vielmehr von maßloser Selbstverliebtheit erfüllt zu sein. Tarantinos Rumgespiele mit Genreelementen dient in allererster Linie dazu, vorzuführen, wie cool und clever er ist. Auf mich wirkt diese ewige Egoshow ziemlich irritierend. Was mir hingegen mehr und mehr fehlt, das sind der kreative Übermut, die ungekünstelte Verrücktheit und der fröhliche Anarchismus, die den Charme der besten echten B-Movies ausmachen.
Doch ganz gleich ob einem Tarantinos Umgang mit dem Genrekino nun gefällt oder nicht, man würde falsch liegen, wollte man nach irgendetwas Substanziellem hinter dieser ewigen Spielerei suchen. Woher auch sollte es kommen? Von der einsamen Ausnahme Jackie Brown abgesehen, hat der Filmemacher in seiner ganzen Karriere nie auch nur das geringste Interesse für reale Menschen gezeigt. So lässt sich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die zynische Misanthropie seiner Filme seinen tatsächlichen Ansichten entspricht. Möglicherweise hält er sie bloß für besonders "cool". Ebenso mag seine offensichtliche Vorliebe für Rachegeschichten keinen anderen Grund haben, als dass solche ein gängiges und leicht zu handhabendes Vehikel für seine fetischistischen Gewaltinszenierungen darstellen. Tarantino hat sich in den letzten zehn Jahren als erstaunlich denkfaul und wenig entwicklungsfähig erwiesen. Ein Konzept, das einmal funktioniert hat, so lange zu wiederholen, bis sich der gewünschte Erfolg nicht mehr einstellt, würde sehr gut zu ihm passen.
Das Interessante an dem Phänomen Tarantino sind darum auch nicht so sehr der Regisseur und seine Filme, als vielmehr die begeisterte Aufnahme, welche letztere finden, und der Kult, welcher um ersteren betrieben wird.

Was also könnten die Gründe dafür sein, dass Streifen wie Django Unchained solch positive Reaktionen bei Leuten hervorrufen, die sich selbst als "links", "progressiv" oder sogar "radikal" verstehen?
Molosovsky schreibt mit sympathischer Offenheit: "Sehr gut. Feiert meine Kindheitsträume: Unterdrücker abwatschen; als Kopfgeldjäger vom Murksen echter Bösewichter leben."
Tatsächlich verbirgt sich wohl in vielen Fällen ein gerüttelt Maß pubertärer Allmachtsfantasien hinter  der Begeisterung, mit welcher sich manche Leute mit der Figur des "coolen Killers" identifizieren. Man muss sich dann allerdings fragen, auf welch eigentümlichen Wegen solche unreifen Gefühlswallungen in einigen Köpfen zu vermeintlich ernsthaften "politischen" Statements mutieren können. Denn während Molo hier ganz ausdrücklich von seinen eigenen persönlichen Kindheitsträumen spricht, wollen viele andere in diesen Rachemärchen einen Ausdruck echter gesellschaftlicher Rebellion sehen. So besteht für Simi die Stärke von Django Unchained und Inglorious Basterds – wie bereits zitiert – vor allem darin, dass Tarantino "die scheinbar Schwachen blutige Rache an ihren Peinigern nehmen lässt", was der  Kritiker offenbar für etwas positives hält.  "Sad" geht noch weiter, wenn er das Blutbad am Ende von Django Unchained als einen Akt "subalterner Selbstermächtigung" beschreibt. Zwar scheinen auch ihm gewisse Zweifel am "progressiven" Gehalt dieses Gemetzels gekommen zu sein {vorausgesetzt ich habe den linksakademischen Jargon richtig dechiffriert***}, doch bringt er es andererseits fertig, die Gestalt des Kopfgeldjägers Schultz "als Anspielung auf weiße Abolitionists" zu verstehen! Sorry, "sad", aber einen skrupellosen Killer, der für Geld andere Menschen ins Jenseits befördert, mit den mutigen Vorkämpfern gegen die Sklaverei in Verbindung zu bringen, finde ich schlichtweg obszön – ganz gleich ob ich dabei an friedliche Propagandisten wie William Lloyd Garrison oder an gewaltbereite Revolutionäre wie John Brown denken soll! Wer eine radikale Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeisehnt, sollte sich nicht Madame Defarge aus Dickens' Tale of Two Cities zum Vorbild nehmen. Rache enthält nichts Befreiendes und ihre künstlerische Verherrlichung ist unter keinen Umständen begrüßenswert.****
Selbstverständlich ist das Verlangen nach Rache bei Menschen, die sich ihren Unterdrückern und Ausbeutern hilflos ausgeliefert fühlen, nur zu verständlich. Und der aus solchen Umständen geborene Traum von einem "großen Tag der Abrechnung" kann ein legitimes und interessantes Objekt künstlerischer Bearbeitung sein. Man braucht sich ja bloß einmal wieder die Seeräuber Jenny aus der Dreigroschenoper anzuhören. Aber Brecht und Weill hätten aus guten Gründen niemals eine triumphale Oper darüber geschrieben, wie das "kleine Abwaschmädchen" tatsächlich sämtliche Einwohner der Hafenstadt kaltblütig abschlachten lässt. Wirklich große und humane Künstler gehen anders mit dem Thema Rache um. Wenn z.B. in Akira Kurosawas Die sieben Samurai eine alte Bäuerin begeistert auf die Leiches eines der Räuber einhackt, die ihr Dorf seit Jahren ausgeplündert haben, dann wirkt das nicht befriedigend, sondern zutiefst verstörend. Nicht weil wir die Emotionen der Frau nicht nachvollziehen könnten. Wir verstehen sie nur zu gut. Aber so wie Kurosawa das Geschehen in Szene setzt, entstehen dabei keine Triumphgefühle in uns, wir erschrecken vielmehr darüber, was Armut, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt aus einem Menschen machen können. In der Unmenschlichkeit ihrer Handlung erkennen wir all das Unmenschliche wieder, das man ihr und ihresgleichen angetan hat.
Tarantinos Filme hingegen wollen, dass wir uns voll und ganz mit den Rächern und ihren Taten identifizieren. Wir sollen genießerisch schwelgen in der Gewalt, die sie anderen antun, ganz gleich wie pervers und sadistisch diese auch ausfallen mag. Vor allem Inglorious Basterds hat gezeigt, dass in dieser Hinsicht keine Grenzen bestehen. Dass Tarantino all dies in Form einer zynischen Groteske inszeniert, die Gewaltdarstellungen ironisch überzeichnet und extrem stilisiert daherkommen, ändert im Kern wenig. Schon gar nicht kann es als "Entschuldigung" von jenen in Anspruch genommen werden, die in den Blutbädern zugleich eine Darstellung legitimer "Gegengewalt" sehen wollen. Sie können nicht beides zugleich haben. Wenn sie in Inglorious Basterds mehr sehen wollen als eine Art Naziploitation-Flick mit Hollywood-Budget, dann müssen sie akzeptieren, dass der Film Bestialität und Sadismus als die ultimativen antifaschistischen Waffen feiert.
Die freundlichste Erklärung, die ich für den "linken" Tarantino-Kult finden kann, ist, dass es sich bei ihm um einen Ausdruck von Frustration und Pessimismus handelt. Viele "Linke" kommen sich vermutlich ziemlich verlassen und hilflos vor angesichts einer Welt, in der ihre Wünsche und Ideen keinerlei Einfluss zu haben scheinen und die Mächtigen schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. In den meisten Fällen machen sie für diese Situation die Masse der Bevölkerung ("die Spießer", "die Wohlstandsbürger" usw.) verantwortlich, wenn nicht ausdrücklich, so doch zumindest unterbewusst. Eine echte Veränderung erscheint ihnen so gut wie unvorstellbar, und wenn sie Jameson, Žižek oder irgendwelche anderen postmodernen "linken" Gurus gelesen haben, so verfügen sie sogar über ein "philosophisches" Instrumentarium, das ihre Hoffnungslosigkeit als die einzig "realistische" Sicht auf die Gesellschaft erscheinen lässt. Im Grunde ist es nur zu verständlich, wenn sie schließlich in eine pubertäre Mentalität zurückfallen und sich an blutigen Rachefantasien zu ergötzen beginnen. Erst recht, wenn sie ihnen in so "hipper" und "cooler" Form serviert werden wie von Tarantino, in dessen zynischer Misanthropie sie zudem etwas ihnen verwandtes entdecken werden. Hinzu kommt, dass sie sich soziale Rebellion nur noch in Gestalt eines individuellen Verstoßes gegen die Regeln der bürgerlichen Gesellschaft vorstellen können. Die Idee der Revolution spielt für sie bestenfalls noch die Rolle eines utopischen Traums. In einer früheren Ära wären sie vielleicht zu heimlichen Bewunderern der RAF oder zu begeisterten Che Guevara - Jüngern geworden. Doch die Zeit linker Terroristen und romantischer Guerilleros ist längst vorbei. Also machen sie die Kinofigur des "coolen" Killers zum Fokus ihrer Träume. Und wenn Tarantino ihnen dabei entgegenkommt, indem er seine Killer Nazis oder weiße Sklavenhalter abschlachten lässt, um so besser.

Die traurige Ironie besteht darin, dass sie damit ungewollt die reaktionärsten Strömungen der Gegenwart unterstützen. Quentin Tarantino ist beileibe kein bewusst politischer Künstler, aber es wäre schon äußerst naiv, wollte man glauben, dass sein Aufstieg in den Olymp von Hollywood nur zufällig zur gleichen Zeit stattgefunden hat, wie die Hinwendung der US-Politik zu immer offener verbrecherischen Methoden, zu Mord, Folter und Eroberungskriegen. Während der Regisseur im Kino die Figur des Vigilante verherrlicht, spielt sich Washington als globaler Vigilante auf und maßt sich das Recht an, seine Killerkommandos und raketenbestückten Drohnen in jedes Land der Welt schicken zu dürfen, um dort seine Feinde auszumerzen. Ich wenigstens finde es naheliegend, hierin eine verwandte Mentalität zu sehen, Ausdruck einer verrottenden Gesellschaftsordnung und Kultur.



* Mike &  Jay von RedLetterMedia sind zwar selbst große Tarentino-Fans, beweisen ihr künstlerisches Feingefühl jedoch dadurch, dass sie Jackie Brown nicht nur für Tarantinos besten Film halten, sondern dafür auch genau die richtigen Gründe angeben.
** Der Film soll 1858 spielen und beginnt dennoch mit der Erklärung "Two Years Before the Civil War" – welcher bekanntlich 1861 ausgebrochen ist! Eine "kleine Ungenauigkeit", in welcher Tarantinos ganze Art des Umgangs mit Geschichte sehr schön zum Ausdruck kommt.
*** "Die im Film aufscheinende Kritik an den rassistischen Verhältnissen tritt bei alledem allerdings stets nur als sublimierte in Erscheinung, weil sich die Bewältigung des Problemkomplexes rassistischer Ausbeutung und Brutalität direkt auf die Projektionsfläche der Leinwand verschiebt und dort in Form der charakteristischen Gegengewalt des Protagonisten an seinen weißen und schwarzen Peiniger_innen vollzogen wird. So findet eine kritische Reflexion auf den entsprechenden Sachverhalt zwar noch statt, läuft aber Gefahr in ihr Gegenteil umzuschlagen, nämlich zur schlechten Befriedung der Verhältnisse durch die eigene Ventilfunktion beizutragen."
**** Mit Peter Greenaways The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover gehört zu meinem eigenen cineastischen Pantheon ein Film, der mit einem extremen Racheakt endet. Von allem anderen einmal abgesehen, was diesen Streifer meiner Meinung nach zu einem echten Meisterwerk macht, glaube ich jedoch nicht, dass das kannibalistische Finale bei irgendjemandem Vergnügen hervorrufen kann. Besser gesagt: Ich hoffe inständig, dass dem nicht der Fall ist ...