"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 2. Februar 2018

"It's a very civilized game, dear"

The Queen of Fairies she came by,
Took me wi her to dwell,
Evn where she has a pleasant land
For those that in it dwell,
But at the end o seven years,
They pay their teind to hell. 

The Ballad of Tam Lin


Roddy McDowall spielte in den ursprünglichen Planet of the Apes - Filmen (1968-73) erst Cornelius, dann Caesar, nur um anschließend in der TV-Serie (1974) als Galen erneut in das Schimpansenkostüm zu schlüpfen. Doch existiert eine signifikante Lücke in dieser äffischen Karriere: Im ersten Sequel wurde er durch David Watson ersetzt. Warum? Die Antwort auf diese Frage führt einen in wunderliche Gefilde.

Während man in Amerika Beneath the Planet of the Apes (1970) drehte, versuchte McDowall sich auf der anderen Seite des Atlantiks zum ersten und einzigen Mal als Regisseur. Dabei entstand mit The Ballad of Tam Lin ein höchst eigenwilliges, schwer zu charakterisierendes Werk. Eine Art Mischung aus Folk Horror und düsterem Märchen mit psychedelischen Einsprengseln, die etwas von der einsetzenden Ernüchterung nach dem Hedonismus der Swinging Sixties widerzuspiegeln scheint, und dabei zugleich eine erstaunlich akkurate Adaption der alten schottischen Ballade ist, die den Film in einer von The Pentangle kreierten Version leitmotivisch durchzieht.



Die alternde, fabelhaft reiche Michaela "Micky" Cazaret (Ava Gardner) umgibt sich mit einer Entourage aus hippen, jungen Bohème-Typen und "Künstlern", zu denen auch ihr momentaner Favorit und Liebhaber, der Fotograf Tom Lynn (Ian McShane) gehört. Zu Beginn des Films macht sich der dekadente Trupp in einer von "Micky" angeführten Autokavalkade von London {"What very forgettable ruins this town will make"} auf in die schottischen Highlands, wo man ein altes Herrenhaus bezieht und sich dem süßen Nichtstun hingibt.
Eines Tages betritt die Pastoren-Tochter Janet (Stephanie Beacham) blonde Inkarnation von Unschuld und Naivität diesen bohèmehaften Kreis, als sie einen Hundewelpen dort abliefert, den "Micky" zu kaufen wünscht. Dabei begegnet sie zum ersten Mal Tom.
Durch ihre Augen betrachtet erscheinen das Herrenhaus und seine Bewohner als eine märchenhafte, doch unterschwellig bedrohliche Anderswelt. Dass es dem Film dabei gelingt, aus einer Frisbee-Scheibe ein Symbol für "Dekadenz" zu machen, ist nur eine seiner vielen erstaunlichen Qualitäten. Ganz allgemein hat das Treiben von Michaelas "Hofstaat" nichts wirklich ausschweifendes an sich. Da wird ein Bisschen Musik gemacht und getanzt, man trinkt Champagner und unterhält sich mit irgendwelchen neckischen Gesellschaftsspielchen das Ganze wirkt weniger orgiastisch, als vielmehr fürchterlich sinnentleert.

"Micky" scheint Janet zu erst einmal in ihren Bann geschlagen zu haben. Die Pastoren-Tochter beschreibt sie gegenüber ihrem Vater als "glamorös" und vergleicht sie mit einer "Göttin". Ob das der Grund ist, warum sie sich etwas später erneut zu dem Herrenhaus aufmacht, ist nicht ganz klar. Doch auf jedenfall begibt sich am selben Morgen der nach einer Nacht voller Alkohol und Sex ordentlich verkaterte Tom gleichfalls auf einen kleinen Spaziergang durch die prachtvoll in Szene gesetzte schottische Hügellandschaft.  Und natürlich treffen sich die beiden auf halbem Weg.

Die alte Ballade in ihren unterschiedlichen Versionen ist etwas ambivalent, was den Charakter von Janets {bzw. Margarets} erster sexueller Begegnung mit Tam Lin betrifft. Die meisten der in Francis James Childs The English and Scottish Popular Ballads aufgeführten Fassungen übergehen den Punkt gänzlich. In Version J2 heißt es:
He took her by the milk-white hand
And gently laid her down,
Just in below some shady trees
Where the green leaves hung down.
In Fassung D (und G) hingegen bekommen wir zu lesen:
He took her by the milk-white hand,
And by the grass green sleeve,
And laid her low down on the flowers,
At her he asked no leave.
Die entsprechende Szene in McDowalls Film hat gleichfalls etwas von dieser Ambiguität. Eine Vergewaltigung ist es nicht, aber es steckt ein Element von Aggressivität und Gewalt in Toms Verhalten.
Die Begegnung ist auf eine höchst eigenartige Weise in Szene gesetzt. Die Sequenz besteht aus einer langen Abfolge von Standbildern, die sich in den meisten Fällen auf die Gesichter der beiden und ihr sich wandelndes Mienenspiel konzentrieren. Ein Bisschen so wie ein Mini-Fotoroman im Film. Diese seltsame Form der Stilisierung und Verfremdung hebt das unwirkliche des Geschehens hervor. Bei Lichte betrachtet macht es ja wenig Sinn, dass zwei Menschen, die zuvor kein Wort miteinander gewechselt haben und sich zufällig in den schottischen Hügeln begegnen, urplötzlich zu einem innig verbundenen Liebespaar werden sollen. Aber der Film besitzt seine eigene Logik, die im Grunde die märchenhafte der Ballade ist, welcher die Handlung im Weiteren erstaunlich eng folgt.

Interessanterweise geschieht dabei nichts, was notwendigerweise als übernatürlich interpretiert werden müsste. Die Plotzusammenfassung auf IMDB "An older woman uses witchcraft to keep her young jet-set friends" ist extrem irreführend. Möglicherweise ist Michaela tatsächlich nichts mehr als eine extrem egoistische, charismatische und reiche Frau. Kleine "okkulte" Einsprengsel wie das abendliche "Wahrsage" - Spiel oder der Schwur "ewiger Liebe", den Tom bei seinem eigenen Blut ablegen soll, sind keine eindeutigen Belege für das Gegenteil, unterstreichen aber die Ambivalenz des Dargestellten. Vielleicht  aber eben bloß vielleicht ist Michaela doch mehr, als sie zu sein scheint. Wenn sie Tom gegenüber ausruft: "I shall waste you and waste you and waste you", dann lässt sich das metaphorisch deuten oder aber als Hinweis auf ein sehr viel düstereres Geschehen.

Diese Ambivalenz trägt viel zum besonderen Reiz des Filmes bei. Dennoch spielt es meines Erachtens kaum eine Rolle, ob man der eher "realistischen" oder der "phantastischen" Interpretation folgen will. Saugt Michaela tatsächlich die Lebenskraft aus ihren Liebhabern und "Gefolgsleuten"? Wer weiß? Wichtig ist für mich bloß, dass sie sie in einer Welt gefangen hält, in der alles zu einem Spiel geworden ist, nichts mehr wirklich Sinn oder Bedeutung besitzt. Einer Welt, über die sie mit despotischer Macht regiert. Symbol dafür ist "Mickys" Sonnenbrille, die sie regelmäßig ihren Favoriten "verleiht". Sie zwingt oder verführt diese dazu, die Welt auf eine unnatürliche – nämlich auf ihre – Weise zu sehen. Ob sie dazu magische Kräfte einsetzt, ist letztlich nebensächlich. Ihre stärkste Magie ist auf jedenfall ihr Reichtum. Wie Tom es Janet gegenüber beschreibt: "She is immensely rich. She can afford to live in her dreams, and she takes us into them for company." Und es sei wahrhaftig keine leichte Existenz, Teil ihrer Träume zu sein.

Als Tom versucht, sich dem Einfluss Michaelas zu entziehen, weckt dies wie zu erwarten ihren Zorn. "Micky" hat jederzeit das Recht, jemanden aus ihrem Kreis zu verstoßen, aber niemand darf sich aus eigenem Willen von ihr trennen! Als Tom von ihrem finsterem Faktotum Elroy (Richard Wattis) erzählt bekommt, dass in der Vergangenheit schon einige junge Männer aus dem Kreis seiner "Herrin" bei Autounfällen auf denkbar grausige Weise ums Leben gekommen seien, ist das ein deutlicher Fingerzeig auf das Schicksal, das auch ihm droht, wenn er sich nicht länger gefügig zeigt.
Janet hat indessen {ganz wie in der Ballade} entdeckt, dass sie schwanger ist, und entschließt sich zu einer Abtreibung. Doch gerade als sie die Arztpraxis in Edinburgh betreten will, begegnet ihr Tom. {Auch das eine direkte Parallele zu dem alten Gedicht}. Die beiden verbringen eine gemeinsame Nacht in seinem Wohnwagen dem eigentlichen Domizil des offenbar bettelarmen Fotografen. Aus der sommerlich-grünen Hügellandschaft ihrer ersten Begegnung ist eine bläulich-nebelverhangene Herbstszenerie geworden, über der ominös die riesige Stahlkonstruktion der berühmten Forth Bridge aufragt.

Am nächsten Morgen wird Tom von "Mickys" Handlangern entführt und in das Herrenhaus zurückgebracht, wo diese ihre Rache an ihm zu vollstrecken gedenkt. In der alten Ballade versucht Tam Lin der Feenkönigin zu entfliehen, weil er fürchtet, von der andersweltlichen Schar als "Tribut" an die Hölle geopfert zu werden. Was Tom nun erwartet, ähnelt in mancherlei Hinsicht gleichfalls einem kultischen Opferritual, wobei Michaela in die Rolle der Priesterin/Göttin schlüpft. Man zwingt ihn dazu, eine Droge zu trinken, was den psychedelischen Vibe des großen Finales erklärt. Anschließend hetzt "Micky" ihre von Toms altem Rivalen Oliver (David Whitman) angeführte "Gefolgschaft"auf ihn. Und wieder wird das Ganze auf nun extrem zynische Weise als "Spiel" beschrieben. "It's a very civilized game, dear." Tom darf die Flucht in einem weißen Sportwagen {dem "weißen Pferd" der Ballade} versuchen, verfolgt von den blutdürstigen Bohèmiens. Dass er in seinem bedrogten Zustand schon bald im Straßengraben landet, ist kein Wunder. Bei seiner weiteren Flucht durch die nächtlichen Wälder kommt es zu den berühmten Verwandlungen, die den Höhepunkt der alten Ballade bilden. Natürlich handelt es sich bei diesen hier nur um drogenbedingte Halluzinationen. Janet, die auf wundersame Weise auftaucht, um den Gejagten wie ihr folkloristisches Vorbild durch die Unerschütterlichkeit ihrer Liebe zu retten, sieht Tom nicht als wilden Bären oder als riesige Schlange.

Am Ende muss Michaela, ganz wie die Feenkönigin der Ballade, ihre Niederlage akzeptieren. Doch wenn sie in der letzten Szene Oliver ihre Sonnenbrille "verleiht", wird klar, dass ihr zwar ein Opfer entkommen ist, es aber immer noch mehr als genug andere, willige Opfer für ihr Spiel gibt.

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