"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 13. August 2023

Phantastisches Potpourri

Real Life lässt mir zur Zeit leider nicht die Muße und Energie, um an irgendwelchen längeren Texten für den Blog zu arbeiten. Und alles spricht dafür, dass sich das auch diesen Monat nicht ändern wird. Doch damit die Spinnenweben hier nicht völlig die Überhand gewinnen, dachte ich mir, es wäre vielleicht ganz nett, wenn ich mich zur Abwechselung einmal an etwas kürzeren Kommentaren zu einigen Phantastik-Sachen versuchen würde, die ich in letzter Zeit gelesen oder gesehen habe.

 

Doctor Who – Die Sylvester McCoy - Ära   

Ulkigerweise ist es noch gar nicht so lange her, dass ich in einer E-Mail-Korrespondenz erklärt habe, dass ich nur alle halbe Jahre oder so Lust auf Doctor Who bekommen und mir dann ein paar der alten Serials anschauen würde, um der Tardis daraufhin für die nächsten sechs Monate wieder Ade zu sagen. Und jetzt habe ich mich stattdessen in kürzester Zeit durch die Ära des Siebten Doktors (1987-89) gebinget.

Ich hatte erwartet, dass die Serie gegen Ende ihrer klassischen Laufzeit stark abbauen würde. Schließlich wird man sie ja kaum ohne Grund 1989 abgesetzt haben. Und tatsächlich enthalten die drei Staffeln viel Mittelmäßiges. Aber auch einige echte Highlights. 
 
Sylvester McCoys Inkarnation des Doctors war mir jedenfalls sehr sympathisch. Anfangs wirkt das Nebeneinander beinah clownesk anmutender und dann wieder sehr ernster Momente zwar etwas unausgeglichen, aber das gibt sich mit der Zeit. Und im Grunde fand ich es sogar ganz nett, dass der Siebte Doctor anfangs manchmal geradezu durch seine Abenteuer stolpert, mitunter sogar im wahrsten Sinne des  Wortes. Eher abgeturnt hat es mich dagegen, dass in einigen der späteren Serials wie Silver Nemesis Szenen aufzutauchen beginnen, die andeuten, dass er kein gewöhnlicher Time Lord, sondern eine sehr viel mächtigere und mysteriösere Gestalt ist. Eine Idee, die in anderer Form in "New Who" wieder aufgegriffen wurde. Was ich persönlich für einen großen Fehler halte. Ich finde es sehr viel ansprechender, wenn der Doctor einfach ein leicht anarchische Typ ist, der aus Neugier und Spaß durch Raum und Zeit reist, um zwischendurch in Not geratenen Leuten zu helfen, weil er ein gutes Herz (oder zwei) hat. Halbgötter und SciFi-Erlösergestalten sind nicht nach meinem Geschmack.
Sophie Aldreds Quasi-Punkmädchen Ace mit ihrer Respektlosigkeit und ihrer Vorliebe dafür, Sachen in die Luft zu sprengen, ist als Companion sehr einnehmend. Und es wäre schön gewesen, wenn wir die Chance gehabt hätten, im Laufe der Zeit noch mehr über ihre Hintergrundsgeschichte zu erfahren. Die wenigen kurzen Einblicke, die wir erhalten, sind jedenfalls recht interessant und tragen mit dazu bei, Ace im Unterschied zu früheren Companions als eine Figur erscheinen zu lassen, die sich entwickelt und verändert.
 
Leider sind die Drehbücher wie gesagt von eher durchwachsener Qualität. 
Zwei von ihnen stammen aus der Feder von Ben Aaronovitch, der heute vor allem für seine Rivers of London - Bücher bekannt sein dürfte.  
Remembrance of the Daleks war mir streckenweise zu selbstreferentiell. Das geht so weit, dass wir in dieser 1964 spielenden Geschichte im Fernsehen die (angedeutete) Ausstrahlung der allerersten  Doctor Who - Episode An Unearthly Child zu sehen bekommen! Eine nebenbei hingeworfene Anspielung auf Nigel Kneales Quatermass fand ich hingegen recht nett. Insgesamt wirkt das Serial wie ein endgültiger Abschied von den Daleks. Ähnliches gilt für Kevin Clarkes Silver Nemesis und die Cybermen. Und an sich wäre es vielleicht gar keine so schlechte Idee gewesen, diese bekanntesten Doctor Who - Bösewichter auf Dauer loszuwerden, Aber da die Serie ein Jahr später ohnehin eingestellt wurde, hatte das keine echten Auswirkungen.
Aaronovitchs zweiter Beitrag Battlefield enthält zwar einige neckische Elemente. Wer kann schon arthurischen Rittern, die mit Laserpistolen in der Gegend herumschießen, widerstehen? Und vor allem die Konfrontation zwischen dem pensionierten Lethbridge-Stewart (Nicholas Courtney) und seiner Nachfolgerin Brigadier Winifred Bambeta (Angela Bruce) hat Charme. Doch die Story selbst wirkt leider etwas wirr und unausgegoren.
Dasselbe Problem hatte ich mit Ian Briggs The Curse of Fenric und Marc Platts Ghost Light. Besonders frustrierend fand ich es bei letzterem, da ich von der ersten Hälfte eigentlich recht angetan war. Das Serial hat nicht nur eine hübsch weirde Atmosphäre und bietet einige Einblicke in Ace' Backstory, es steckt auch voller erst einmal spannend wirkender Motive und Ideen, die im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Darwins Evolutionstheorie im Viktorianischen Zeitalter zu stehen scheinen. Zwischendurch hatte ich außerdem das Gefühl, die Geschichte könnte sich in eine von H.G. Wells' The Island of Dr. Moreau inspirierte Richtung entwickeln. Doch am Ende erwies sich das alles als falsch. Keine der Ideen wird wirklich konsequent durchgeführt und in der zweiten Hälfte beginnt das Ganze mehr und mehr auseinanderzufallen. Zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack.
 
Wie steht's aber nun um die Highlights?
 
Zugegebenermaßen ist die Auflösung von Stephen Wyatts Paradise Towers ähnlich unbefriedigend. Dennoch hatte ich sehr viel mehr Spaß mit dem Serial. Wofür in erster Linie das Setting und die Figuren verantwortlich waren. 
Die Geschichte spielt in einem gigantischen, jedoch ziemlich heruntergekommenem Wohnkomplex, in den vor Zeiten die gesamte weibliche Zivilbevölkerung des Planeten umgesiedelt wurde, nachdem man die Männer in den Krieg geschickt hatte. Seitdem ist jeder Kontakt zur Außenwelt abgebrochen. Das riesige Gebäude wird bevölkert von rivalisierenden Mädchengangs (den "Kangs"), die einen eigenen Slang entwickelt haben und deren Mitglieder Namen wie "Fire Escape" (Julie Brennon) und "Bin Liner" (Annabel Yuersha) tragen; ältlichen "Rezzies" ("Residents"), von denen einige inzwischen dem Kannibalismus frönen; dem selbsterklärten "Superhelden" und "Manly Man" Pex (Howard Cooke), den niemand ernst nimmt; sowie den faschistoiden "Caretakern", die für "Ordnung" sorgen sollen und dabei blind einem absurd komplexen Regelwerk mit unzähligen Paragraphen und Unterparagraphen gehorchen. Sie alle leben in ständiger Angst vor den mörderischen "Putzrobotern", die von einer mysteriösen Höllenmaschine im verbotenen Kellergeschoss kontrolliert werden, mit der der Chief Caretaker (Richard Briers) eine heimliche Übereinkunft getroffen hat.
Die Auflösung der Geschichte entschärft zwar fast völlig das sozialkritische Moment, dennoch habe ich in dem Szenario einen deutlichen Kommentar auf den gesellschaftlichen Verfall und wachsenden Autoritarismus der Thatcher-Ära gesehen.
 
Dass sich im Doctor Who der 80er Jahre lange nicht mehr so viele sozialkritische Untertöne finden wie ein Jahrzehnt zuvor, hat sicher eine Reihe von Gründen. Überraschend ist es jedoch nicht, wenn man sich die politische Atmosphäre der Zeit vergegenwärtigt. Zwar ging den Tories die Rechtsentwicklung der BBC bei weitem nicht schnell und weit genug, aber die ultrareaktionäre Wende, die mit dem Regierungsantritt Margaret Thatchers  1979 eingesetzt hatte, hinterließ auch in der "offiziellen" Kultur deutliche Spuren. Ganz abtöten ließ sich der antiautoriäre Funken, der stets im Herzen des Franchises gebrannt hatte, freilich nicht. Und in den wenigen Fällen, in denen ein Doctor Who - Serial der Sylvester McCoy - Ära wieder einmal deutlicher politische Themen aufgriff, war die oppositionelle Haltung gegenüber dem Regime der Eisernen Lady unüberhörbar. Einem Daily Telegraph - Artikel von 2010, zufolge soll Script Editor Andrew Cartmel bei seinem Antritt 1986 auf die Frage des Produzenten John Nathan-Turner, was er mit seiner Arbeit an Doctor Who zu erreichen hoffe, gar geantwortet haben: "I'd like to overthrow the government". Und McCoy selbst hat einmal erklärt: "Our feeling was that Margaret Thatcher was far more terrifying than any monster the Doctor had encountered". (1) Am deutlichsten tritt dies in Graeme Currys The Happiness Patrol (1988) zutage.
 
Die Bevölkerung der Kolonie Terra Alpha lebt unter der tyrannischen Herrschaft von Helen A (Sheila Hancock), die jedweden Ausdruck von Traurigkeit, Unzufriedenheit oder Melancholie zu einem Verbrechen erklärt hat. Unter der Parole "Happiness Will Prevail" ist oberflächliche Fröhlichkeit zur Pflicht aller geworden. Abweichendes Verhalten wird mit dem Tode bestraft.    
Um ehrlich zu sein, ist The Happiness Parol mindestens ebenso wirr wie einige der oben erwähnten Serials, aber da das Ganze den Look und Vibe eines absurden Theaterstücks besitzt, hat mich das in diesem Fall nicht weiter gestört. Im Gegenteil, hier passt das. Das ganze Szenario ist einfach grandios durchgeknallt. Als Illustration mag ausreichen, dass Helen A.'s bevorzugter Scharfrichter der grotesk-robotische Kandyman ist, der seine Opfer in Sirup ertränkt.
Die Figur der Despotin soll zweifelsohne Thatcher-Assoziationen hervorrufen. Ihr Regime ist allerdings keine simple Eins-zu-Eins - Allegorie auf die Toryregierung. Weshalb einige Kommentator*innen sogar so weit gegangen sind, den aktuell-politischen Inhalt des Serials ganz zu leugnen. Was ich für völlig verfehlt halte. In The Happiness Patrol geht es um Konformismus und Autoritarismus. Beides ohne Zweifel Aspekte des Regimes der Eisernen Lady. Und die Demonstrationszüge der als "Dronen" bezeichneten Arbeiter*innen, die einem Begräbniszug gleichend durch die Straßen der Metropole marschieren, sollen ohne Zweifel Reminiszenzen an den großen Bergarbeiterstreik von 1984/85 wecken und wirken zugleich wie eine Vorwegnahme der "Anti - Poll Tax" - Demonstrationen von 1990.
 
Mein absoluter Favorit, The Greatest Show in the Galaxy, stammt erneut von Stephen Wyatt. Die Geschichte um einen intergalaktischen Zirkus, in dem die unglücklichen (und nicht ganz freiwilligen) Akteure drei ewig gelangweilte Götter, die die Gestalt einer verwöhnten Spießerfamilie angenommen haben, unterhalten müssen und bei Misserfolg exekutiert werden, ist großartig grotesk-surreal in Szene gesetzt. Streckenweise erreicht das beinah alptraumhafte Qualität oder erinnert an die besten Zeiten von Terry Gilliam. Auch lässt sich das Ganze als Parabel auf den Untergang der Ideale der Counter Culture interpretieren. Was 1988 vielleicht nicht mehr das aktuellste Thema war, mich aber dennoch berührt hat. Denn als Beispiel für das unausweichliche Scheitern jeder Bohème-Revolte besitzt das Schicksal der Hippies ja eine gewisse Zeitlosigkeit.
 
Beide Serials demonstrieren, wie man die mit dem geringen Budget der Serie einhergehenden Einschränkungen zum eigenen Vorteil wenden kann, wenn man auf eine "realistische" Ästhetik verzichtet.
 
Der allerletzte Beitrag zum klassischen Doctor Who, der Dreiteiler Survival (1989), wurde von Rona Munro geschrieben, die später u..a. auch für die Drehbücher von Ken Loachs Ladybird, Ladybird (1994) und Max Färberböcks Aimée & Jaguar (1999) verantwortlich zeichnete. 
Nicht der schlechteste Abschluss, auch wenn das Serial unverkennbare Schwächen besitzt. Immerhin statten wir dabei Ace' Heimatort, einer trostlosen, englischen Kleinstadt, einen Besuch ab und lernen endlich auch ihre ehemals beste Freundin Shreela (Sakuntala Ramanee) persönlich kennen, von der wir zuvor bereits erfahren hatten, dass die Wohnung ihrer Familie Ziel eines rassistischen Brandanschlags geworden war. Die Figur von "Sergeant" Paterson (Julian Holloway), der den frustrierten örtlichen Jugendlichen Fitness & Selbstverteidigung beibringt und ihnen dabei gleichzeitig eine martialisch-sozialdarwinistischee Weltsicht ("survival of the fittest") einzutrichtern versucht, ist eindeutig als ein Kommentar auf die "dog-eat-dog" - "Moral" der Thatcher-Ära gedacht. Was auf nicht ganz geglückte Weise mit einem Plot um außerirdische "Gepard-Menschen" verknüpft wird, die ganz für die Jagd leben. Und der Master (Anthony Ainley) hat auch noch einen letzten Auftritt.
 
 
Red Sonja - Endithors Tochter
 
Nachdem mich Die Hölle lacht so angenehm unterhalten hatte, dauerte es nicht lange, bis ich mir auch den vierten der sechs von David C. Smith & Richard L. Tierney geschriebenen Romane über die Abenteuer des hyrkanischen She-Devils vornahm. Und die Lektüre erfüllte mich doch wirklich mit dem berauschenden Gefühl, dass die von Band zu Band immer besser werden und sich dabei zugleich immer weiter von den abgeschmackten Klischees entfernen, die man mit dieser Figur verbinden könnte. In Endithors Tochter (Endithor's Daughter) trägt Sonja vielleicht am deutlichsten die Züge der "Working Class - Heldin", die Smith einmal in einem Interview beschrieben hat. Dabei wird die von Roy Thomas ererbte Hintergrundsgeschichte mit ihren unerfreulicheren Elementen (Vergewaltigung, Göttererscheinung & "Keuschheitsschwur") nicht einmal mehr pro forma erwähnt, wie das in Die Hölle lacht noch geschehen war. 
Die gesamte Handlung spielt in der Stadt Shadizar. Sonja, die sich hier eigentlich nur für ein paar Tage amüsieren und zugleich nach einem neuen Söldnerinnenjob Ausschau halten will, wird eher zufällig in die blutigen Auseinandersetzungen zwischen einigen der ortsansässigen Adeligen hineingezogen. Der mächtige Lord Nalor hat seinen Rivalen Endithor unter dem Vorwand der Hexerei hinrichten lassen. Dessen Tochter sucht nun nach Rache, wobei sie sich selbst der schwarzen Künste bedient. All das könnte unserer Heldin völlig gleichgültig sein, zumals sie ihre Verachtung für die Aristokraten recht unverblümt zur Schau stellt, wenn nicht ein Bekannter von ihr in das Ganze verstrickt würde und Nalor außerdem einen Vampir als Verbündeten hätte. Als dann auch noch einer der Straßenjungen, mit denen sie sich angefreundet hat, von dem Untoten ermordet wird, kann sie nicht länger die unbeteiligte Beobachterin spielen. Ob Endithors Tochter, die im Zuge ihres magischen Rachefeldzugs immer größere Teile ihrer Menschlichkeit einbüßt, dabei eher potenzielle Verbündete oder zusätzliche Gegnerin ist, bleibt fast bis zum Ende offen.
Leider scheint es Band 5: Der Prinz der Hölle (Against the Prince of Hell) darauf abgesehen zu haben, meinen positiven Eindruck zu widerlegen. Das Szenario wirkt wie eine wiederaufgewärmte Version von Band 1: Der Ring von Ikribu, dem bislang schwächsten Teil der Reihe. Und der Text weist da selbst ausdrücklich drauf hin! Aber das ist nur der Anfang der inhaltlichen wie strukturellen Probleme, die ich mit dem Roman habe. Falls ich ihn doch noch irgendwann fertiglesen sollte, werde ich einen etwas ausführlicheren Kommentar dazu abgeben. Für den Moment mag es reichen zu erwähnen, dass von Seite Eins an das ganze "Keuschheitsgelübde" - Gedöns eine Wiederauferstehung erfährt und die Bösewichter ein kushitischer (also schwarzer) Hexer und eine böse Bisexuelle sind ... 
 
 
Conspiracy of Ravens
 
Ich bin dem Comics-Autoren-Paar Leah Moore & John Reppion zum ersten Mal in Zusammenhang mit ihrer zweibändigen Adaption klassischer M.R. James - Geschichten Ghost Stories of an Antiquary begegnet. (2) Moore ist außerdem eine der Autorinnen des von Gail Simone zusammengestellten Bandes Legends of Red Sonja (den ich hier eigentlich auch mal etwas ausführlicher vorstellen könnte). Von der YA-Story Conspiracy of Ravens, die die beiden zusammen mit der Zeichnerin Sally Jane Thompson kreiert haben, hörte ich zum ersten Mal vor Jahren im Rahmen eines kurzen Interviews des stets hörenswerten A Podcast to the Curious. Reppion beschreibt sie dort etwas flapsig als eine Geschichte über "a magical girl super-hero team, kind of", in der es um "flying around, super-powers, birds, myths, magic" gehe. Vor kurzem hatte ich endlich Gelegenheit, mir den Band einmal selbst vorzunehmen.
Die fünfzehnjährige Anne erbt überraschend den viktorianischen Landsitz einer Tante, von deren Existenz sie bis dahin überhaupt nichts gewusst hatte. Ihre geschiedenen Eltern, die beide aus beruflichen Gründen die meiste Zeit in Übersee verbringen, derweil ihre Tochter in einem Internat  untergebracht ist, drängen sie dazu, umgehend dem Verkauf des alten Herrenhauses zuzustimmen. Aber Anne zögert, zumal es schon bald zu äußerst mysteriösen Ereignissen kommt, die ganz offenbar mit der unverhofften Erbschaft im Zusammenhang stehen. Gemeinsam mit ihrer Geek-Freundin Binky (die nur dank eines Stipendiums dieselbe teure Schule besucht) macht sie sich daran, das Geheimnis von Ravenhall zu lüften. Wie sich herausstellt, ist Anne eines von fünf Mädchen, die dazu ausersehen sind, die Nachfolge eines viktorianischen Superheldinnen-Teams anzutreten, das hier einst sein Hauptquartier hatte. Jedes  seiner Mitglieder besaß eine Art Totem-Vogel und mit ihm verbundene außergewöhnliche Kräfte. Annes Vogel ist der Rabe. Aber so cool es auch ist, plötzlich eine freundliche Roboter-Assistentin zu haben oder in einer Wolke von Raben durch die Gegend fliegen zu können, dauert es nicht lange, bis auch einige Bösewichter aus der Vergangenheit des Teams auftauchen. Ein Grund mehr, schnellstmöglich die übrigen vier Mädchen ausfindig zu machen und "The Dissimulation" ernsthaft wieder zum Leben zu erwecken.
Wirklich umgehauen hat mich Conspiracy of Ravens jetzt zwar nicht, aber sehr charmant ist der Band ohne Frage. Und ich mochte die nie aufdringlich präsentierten Real Life - Elemente am Rande des phantastischen Abenteuers. Binkys Status als "scholarship nerd" und das damit verbundene Stigma; Annes Eltern, die ihre Tochter immer wieder dazu benutzen, ihre eigenen Konflikte auszufechten; die ärmlichen Verhältnisse, unter denen Jenny (eine weitere der jungen Superheldinnen) zusammen mit ihrem Bruder und ihrem alleinerziehenden Vater lebt.
 
 
The Horse of the Invisible
 
Bis vor kurzem war ich der festen Überzeugung, dass es keinerlei Filmadaptionen der Geschichten um William Hope Hodgsons okkulten Detektiv Thomas Carnacki gibt. Doch dann machte mich ein Tweet von Jim Moon auf die Existenz der 1971/73 ausgestrahlten ITV-Anthologie The Rivals of Sherlock Holmes aufmerksam. In zwei Staffeln und 26 Episoden dürfen wir dort die Abenteuer aller möglichen viktorianischen und edwardianischen Detektive miterleben, deren Erlebnisse ungefähr zeitgleich mit denen von Arthur Conan Doyles berühmtem Großmeister des deduktiven Denkens zu Papier gebracht wurden. Die Vielfalt der Ermittler (inklusive dreier Frauen) ist zweifelsohne faszinierend, allerdings wird man in den Episoden unweigerlich auch auf Elemente stoßen, die bei heutigen Betrachter*innen ein leichtes Unwohlsein hervorrufen könnten. Die Bezeichnung "Gypsy" für eine der Heldinnen ist da noch eher harmlos, zumal Fergus Humes Hagar of the Pawn-Shop zumindest in der TV-Adaption von The Mystery of the Amber Beads eine ausnehmend sympathische Figur und völlig frei von irgendwelchen stereotypen Zügen ist. Etwas unangenehmer wird es da schon mit der Charakterisierung irischer Republikaner, russischer Revolutionäre oder der Bevölkerung Haitis, denen man in einigen der anderen Episoden begegnet. Nun, ich schätze dererlei ist angesichts der literarischen Quellen unausweichlich und findet sich ja z.B. auch in der von mir hochgeschätzten Sherlock Holmes - Serie mit Jeremy Brett. Wirklich überrascht hat mich allerdings, dass die fünfte Episode der ersten Staffel doch tatsächlich ein Carnacki-Abenteuer, genauer gesagt The Horse of the Invisible, ist. Und der Ghost-Finder dabei von niemand anderem als dem großen Donald Pleasence gespielt wird. Viel zu sagen habe ich über das 50 Minuten lange Filmchen freilich nicht. Inhaltlich hält es sich erstaunlich eng an die literarische Vorlage. Auffällig ist allerdings, dass Pleasence seinem Carnacki eine gewisse "social awkwardness" verleiht. Eine interessante Entscheidung und nicht ohne Reiz. Persönlich mag ich den Ghost-Finder ja vor allem deshalb, weil er so etwas wie der "moderate Skeptiker" unter den klassischen okkulten Detektiven ist, der nicht von vornherein alles auf übernatürliche Kräfte zurückführt. Und außerdem nie einen Hehl aus seiner eigenen Angst macht.
 

Sultana's Dream        

Wo ich zum ersten Mal auf den Titel der 1905 im Indian Ladies' Magazine veröffentlichen feministischen Utopie von Rokeya Sakhawat Hossain gestoßen bin, weiß ich nicht mehr. Möglicherweise in einem Beitrag auf Strange Horizons? Jedenfalls hat es beschämend lang gedauert, bis ich mir die kurze Erzählung einmal tatsächlich zu Gemüte geführt habe. Dabei ist es wirklich nicht schwer, eine Version des Textes im Internet zu finden. 
Eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Erzählung, die diese sicher verdient hätte, würde u.a. eine eingehendere Beschäftigung mit dem Leben der Autorin und den sozialen und politischen Verhältnissen im Bengalen des beginnenden 20. Jahrhunderts voraussetzen. Da ich das momentan nicht leisten kann, muss ich mich auf ein paar spontane erste Eindrücke beschränken.
Der Inhalt der Geschichte ist schnell zusammengefasst. Die Ich-Erzäherin erhält eines Nachts Besuch von einer geheimnisvollen Fremden, die sie in das wundersame matriarchalische "Ladyland" entführt, in dem die traditionellen Geschlechterrollen auf den Kopf gestellt wurden: Alle öffentlichen Posten sind von Frauen besetzt, während die Männer daheim im zenana (~Harem) hocken. Das Reich ist ein blühendes Gartenparadies voller Frieden und Harmonie. Verbrechen und Gewalt sind unbekannt. Im Stile vieler klassischer Utopien besteht der Großteil der Erzählung aus einer Beschreibung der sozialen, technologischen und politischen Verhältnisse in "Ladyland", sowie aus einem kurzen Abriss der historischen Entwicklungen, die zu diesem idyllischen Zustand geführt haben.
Man kann sich leicht vorstellen, wie provokant Sultana's Dream zum Zeitpunkt seines Erscheinens gewirkt haben muss. Und einige interessante Ideen enthält die Erzählung ganz zweifellos. 
So legt Rokeya Sakhawat Hossain zwar viel Gewicht auf Bildung und Wissenschaft (letztenendes waren es die Errungenschaften der Universitätsgelehrtinnen, die die Gründung von "Ladyland" ermöglichten), stellt ihr Utopia aber nicht als eine zeitgenössische Industriegesellschaft dar. Vielmehr ist die Industrie der Vergangenheit mit all ihrem Schmutz und ihrer Zerstörung verschwunden, da die Wirtschaft des Reiches völlig auf der Nutzung von Solarenergie basiert. Die Form, in der das geschieht, ist freilich ziemlich fantastisch und hat nichts mit unseren heutigen Technologien zu tun. Ebenso wie die "Wassergewinnung aus der Atmosphäre" und das "Wetterkontrollsystem", mit denen "Ladyland" dank dem Erfindungsreichtum seiner Wissenschaftlerinnen gesegnet ist, wirkt das ein wenig wie "herbeigezauberte" Lösungen für gesellschaftliche Probleme. Doch zumindest bildet Sultana's Dream damit einen interessanten Gegensatz zu den technokratischen Utopien eines Edward Bellamy oder H.G. Wells.
Sehr nett auch die Erwiederung auf das unter "aufgeklärten" männlichen Chauvinisten der Zeit beliebte vulgärmaterialistische Argument, dass die Gehirne der Männer "bigger and heavier than women's" seien und damit deren Überlegenheit unter Beweis stellen würden: "Yes, but what of that? An elephant also has got a bigger and heavier brain than a man has. Yet man can enchain elephants and employ them, according to their own wishes."
Allerdings kann ich nicht umhin, auch auf einige sehr signifikante Schwächen von Rokeya Sakhawat Hossains Vision hinzuweisen. Abgesehen von der Umkehrung der Geschlechterrollen scheint sich nämlich nichts an der sozialen Ordnung des Reiches geändert zu haben. Nicht nur ist "Ladyland" weiterhin eine Monarchie, die Erzählung geht auch mit keinem Wort auf Eigentumsformen und Besitzverhältnisse ein. Die Klassenstruktur der Gesellschaft dürfte sich demnach nicht verändert haben, Reichtum und Armut noch genauso wie unter dem Patriarchat vorhanden sein. Gesellschaftliche Probleme wie Verbrechen, Gewalt und Bürokratismus haben sich hingegen wundersamer Weise in Luft aufgelöst, weil ihre einzige Wurzel offenbar in der "triebhaften" Natur der Männer bestand.
Was mir denn doch etwas arg simplistisch erscheint.
Abschließend möchte ich noch auf die siebenundzwanzig Linolschnitte hinweisen, die die Künstlerin Chitra Ganesh inspiriert von Sultana's Dream geschaffen hat und von denen ich ehrlicherweise sagen muss, dass sie beeindruckender auf mich gewirkt haben als die eigentliche Erzählung. 

Damit ist das Ende dieses Potpourris erreicht. Ich habe in letzter Zeit zwar auch mal wieder in Robbie Morrisons zwischen 1997 und 2012 auf den Seiten von 2000 AD erschienenen Comics-Zyklus Nikolai Dante reingeblättert und außerdem damit begonnen, meine Bekanntschaft mit der erstmals 1984-86 bei ITV ausgestrahlten TV-Serie Robin of Sherwood zu erneuern, an die ich nur noch ganz vage Kindheitserinnerungen hatte. Doch beide haben eine etwas ausführlichere Besprechung verdient. Und wer weiß, vielleicht komme ich ja sogar irgendwann dazu, diese zu schreiben.


(1) Dass der Artikel das Ganze als eine Verschwörung subversiver Elemente darstellt, die Doctor Who infiltrierten, entspricht den Traditionen des konservativen britischen Gossenjournalismus.

(2) Der gute Mr. Jim Moon hat die beiden Bände hier und hier besprochen.