Um so interessanter ist es da, einen Blick zurück in die 2010 bei Harper Collins und Subterranean Press erschienene Anthologie Swords & Dark Magic zu werfen. Denn damals sah die Situation noch deutlich anders aus. Die allgemein verbreitete Weisheit war zu diesem Zeitpunkt immer noch, dass das Subgenre spätestens in den 90er Jahren einen unrühmlichen Tod gestorben sei und höchstens noch in Form irgendwelcher Conan-Pastiches vor sich hin vegitiere, von denen das letzte -- Harry Turtledoves Conan of Venarium -- aber auch bereits sieben Jahre zurücklag. Diese Einschätzung entsprach zwar auch schon 2010 nicht wirklich der Realität, aber wenn der Band mit dem Untertitel The New Sword & Sorcery antrat, dann sollte damit zweifellos suggeriert werden, dass man auf seinen Seiten Beispiele für ein Wiedererwachen der S&S nach einer langen Periode des Niedergangs präsentiert bekommen werde.
Doch worin genau sahen die Herausgeber Lou Anders und Jonathan Strahan diesen Neuanfang?
Schon in der ersten Hälfte der 2000er hatte Howard Andrew Jones mit seinem eZine Flashing Swords versucht, frischen Wind in das Subgenre zu bringen und dabei den Begriff "New Edge" geprägt. Freilich war dieser "Bewegung" in ihrer ersten Inkarnation offenbar kein bleibender Erfolg beschieden. Ein völlig andersgearteter Aufbruch vollzog sich 2007/2008 mit der Gründung der "Sword & Soul", einer von Geschichte und Mythologie Afrikas geprägten Spielart der Heroic Fantasy. 2008 ging außerdem Rogue Blades Entertainment an den Start, mit dem Ziel, den Geist der alten Swashbuckler und Pulp-Abenteuer wiederzuleben. Und auch Beneath Ceaseless Skies und das Heroic Fantasy Quarterly nahmen um diese Zeit ihre Arbeit auf.
Es gab also tatsächlich eine ganze Reihe von Anzeichen für eine einsetzende Erneuerung der Sword & Sorcery. Doch im Vorwort zu Swords & Dark Magic findet nichts davon Erwähnung. Auf die "Szene" mit ihren Kleinverlagen und Magazinen wird nur insoweit eingegangen, als John O'Neills Black Gate zur "definitive source for sword and
sorcery short-form works since its launch in 2000" erklärt wird. Was zu diesem Zeitpunkt wohl tatsächlich keine so falsche Einschätzung war. Aber Anders und Strahan zeigen sich in erster Linie an Entwicklungen bei den großen Verlagen, in der "Mainstream-Fantasy" sozusagen, interessiert. Wo sie dort Ende der 2000er eine Art Wiederbelebung der Traditionen der S&S zu erkennen glaubten? Werfen wir einmal einen etwas genaueren Blick in ihr Vorwort.
Dasselbe beginnt mit der gängigen Gegenüberstellung von High Fantasy und Sword & Sorcery, wobei letztere u.a. so charakterisiert wird: "Smaller-scale character pieces, often starring morally compromised protagonists, whose heroism involves little more than trying to save their own skins from a trap they themselves blundered into in search of spoils". Wenig später werden Robert E. Howards "Urtexte" als "laced with a grim pessimism and an edge of violent realism" beschrieben. Beides ist nicht unbedingt falsch, aber der Fokus auf diese Elemente verrät doch, wohin der Hase läuft. Noch deutlicher wird das, wenn es von Conan heißt, er sei "an opportunist, a self-serving fortune seeker with a fatalistic outlook". Spätestens an diesem Punkt würde ich von einem Zerrbild sprechen. Der Cimmerier ist sicher kein tugendhafter "Ritter ohne Furcht und Tadel", aber ein "selbstsüchtiger Opportunist"? Diese Charakterisierung wird ihm meiner Ansicht nach nicht gerecht. Wie die meisten S&S-Held*innen nach ihm ist auch Conan sehr wohl zu selbstlosem Heroismus fähig.
Was folgt ist ein kurzer Abriss der Geschichte des Subgenres, der bei ungefähr zwei Seiten Länge naturgemäß unvollständig sein muss. Recht erfreulich ist, dass dabei neben Fritz Leiber und Michael Moorcock auch C.L. Moore, Clark Ashton Smith und Charles R. Saunders erwähnt werden. Eher amüsant wirkt es, dass Anders und Strahan "Hyboria" und "Hyperborea" verwechseln. Was man freilich auch als erneuten Beleg dafür interpretieren könnte, dass ihre Vertrautheit mit Howards Werk vielleicht nicht gar so groß ist. Wirklich verärgert hat mich allerdings, dass sie im Zusammenhang mit der von Marion Zimmer Bradley in den 80er Jahren gestarteten Anthologien-Reihe Sword and Sorceress kommentarlos den Mythos nachplappern, den MZB im Vorwort zu deren erstem Band formuliert hatte. Sie habe das Unternehmen gestartet, "[f]eeling that, C. L. Moore excepted, the subgenre was dominated by men and typified by some fairly reprehensible attitudes toward and depictions of women". Damit wird nicht nur anderthalb Jahrzehnte "weiblicher" Sword & Sorcery -- angefangen mit Joanna Russ' Alyx-Geschichten über die Beiträge von Tanith Lee und C.J. Cherryh bis zu den Werken von Elizabeth A. Lynn und Janrae Frank -- unterschlagen, sondern auch die tatsächliche Vorreiterrolle von Jessica Amanda Salmonsons Anthologien Amazons! und Amazons 2 verleugnet. Es nimmt den Sword and Sorceress - Anthos nichts von ihrer Bedeutung, wenn man anerkennt, dass sie in Wahrheit ein relativ spätes Produkt einer sehr viel längeren Entwicklung waren.
Der historische Abriss endet erwartungsgemäß mit dem Triumph der High Fantasy in den 80ern, der die Sword & Sorcery in der Folgezeit zu einer Art Schattendasein verdammte. Doch in den letzten Jahren habe sich dies geändert.
But recently, sword and sorcery has
been making a comeback. In the wake of George R. R. Martin, whose
Song of Ice and Fire series is notable for bringing a moral ambiguity
and gritty realism to the fantasy epic, a host of younger writers
have emerged to bring a “sword and sorcery sensibility” back to
the epic subgenre. Writers like Steven Erikson, Joe Abercrombie,
Scott Lynch, Tom Lloyd, David Anthony Durham, Brian Ruckley, James
Enge, Brent Weeks, and Patrick Rothfuss are pioneering a new kind of
fantasy, one that blends epic struggles with a gritty realism, where
good and evil mixes into realistic characters fraught with moral
ambiguities, and struggles between nations are not so one-sided as
they are colored by a new, politically savvy understanding.
Lou Anders und Jonathan Strahan interpretieren die Grim & Gritty der 2000er als eine "moderne" Wiederbelebung der S&S. Damit erklärt sich auch die etwas fragwürdige (oder zumindest einseitig-verkürzte) Charakterisierung des Subgenres, mit der ihr Vorwort beginnt.
Genrehistorisch ist es zwar sicher nicht ganz falsch, die Grimdark auf die Heroic Fantasy zurückzuführen. Und einige der Bücher, an die Anders und Strahan gedacht haben mögen, würde auch ich dem Subgenre zurechnen. So vor allem Scott Lynchs Gentleman Bastards - Reihe, die eindeutig in der Tradition von Autoren wie Fritz Leiber und Steven Brust steht. (1) Dennoch sträube ich mich heftig dagegen, den Zynismus der Grim & Gritty mit einer "sword and sorcery sensibility" gleichzusetzen. (2)
Ob die Anthologie als Ganzes diese Perspektive widerspiegelt, kann ich nicht sagen, da ich mit der eigentlichen Lektüre noch am Anfang stehe. Ich bezweifele es allerdings, enthält der Band doch überraschend viele Beiträge altgedienter S&S-Veteran*innen wie C.J. Cherryh, Glen Cook, Tanith Lee, Michael Moorcock und Michael Shea. Diesen Blogpost wollte ich trotzdem jetzt schon einmal raushauen, weil ich mich lesetechnisch in nächster Zeit auf die Vorbereitung des diesjährigen Klassiker-Rereads mit Alessandra von FragmentAnsichten konzentrieren werde und deshalb nicht weiß, wann ich mit Swords & Dark Magic zum Ende komme. Vor allem aber, weil die ersten beiden Stories der Antho -- Steven Eriksons Goats of Glory und Glen Cooks Tides Elba -- ein gerade in dieser Hinsicht sehr interessantes Paar darstellen.
Ich habe mich nie dazu durchringen können, mir einmal einen Band von Eriksons Malazan Book of the Fallen - Reihe vorzuknöpfen. Dazu schrecken mich Fantasy-Endlos-Epen inzwischen zu stark ab. Ich kann deshalb auch nicht sagen, ob Goats of Glory typisch für ihn ist. Aber die Story hat mich mit einem wirklich unangenehmen Gefühl zurückgelassen.
Ein kleiner Trupp von fünf Söldner*innen erreicht das armselige und halb ausgestorbene Dorf Glory. Kaum erspäht man sie in der Ferne, macht sich der ortsansässige Totengräber auch schon daran, mit seinem jugendlichen Gehilfen Snotty fünf frische Gruben auf dem Friedhof auszuheben. Auch die (noch unbeschrifteten) Grabsteine liegen bereits parat. Die ruppigen Neuankömmlinge kehren in Swillmans Schenke ein, wo sie nicht nur der ältlichen Prostituierten Slim begegnen, sondern auch erzählt bekommen, dass die zerfallene Burgruine über dem Dorf der geeignetste Ort wäre, um ein Nachtlager aufzuschlagen.
Für uns Lesende ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass dort oben irgendeine tödliche Bedrohung lauert und die Dorfbewohner offenbar regelmäßig Durchreisende in ihr Verderben schicken, um anschließend die Leichen fleddern zu können.
Die überraschende Wernde kommt, wenn sich zeigt, dass die Fünf keineswegs blind in die Falle tappen, sondern augenblicklich in geübter Soldatenmanier nach einer geeigneten Gefechtsposition suchen. Als wenig später unzählige ausgehungerte Dämonen über die vermeintlich Chancenlosen herfallen, um sich endlich mal wieder an warmem Menschenfleisch zu laben, erwartet sie eine böse Überraschung. Die Fünf haben sich in ein unterirdisches Ganglabyrinth zurückgezogen, dessen verwinkelte Korridore und Kammern ihnen ausgezeichnete Möglichkeiten eröffnen, die sich aufsplitternde Horde der Angreifer nach und nach zu dezimieren. Was folgt ist eine lange Actionsequenz, die mich in ihrer Krassheit und dem zynischen Tonfall der Schilderung an einen Tarantino-Streifen erinnert hat. Nun habe ich zwar nichts gegen ein zünftiges Fantasygemetzel mit reichlich herumspritzendem Blut und hervorquillenden Eingeweiden, aber nach drei Seiten wird so was verdammt öde, selbst wenn man so gut zu schreiben versteht wie Steven Erikson.
An diesem Punkt der Geschichte konnte ich ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken, zudem nichts darauf hindeutete, dass es noch eine weitere Wendung geben würde. Das wüste Gemetzel sollte nach der eher gemächlichen Gangart der ersten Hälfte offenbar der Clou des Ganzen sein. Doch es kommt noch schlimmer, denn dann versucht Erikson, besonders clever zu sein. Er wechselt die Perspektive und zeigt uns das Ende des Kampfes aus Sicht des "Teufelchens" ("Imp"), das die Dämonen angeführt hatte. Längst sind die Jäger zu den Gejagten geworden.
Whimpering, the imp picked its way
around yet another heap of demon corpses. Poor children! This was a
slaughter, a terrible, grievous, dreadful slaughter!
And now they were hunting the survivors
down – nowhere to hide!
Human stench everywhere, down every
passage, every twisting, turning corridor, every cursed chamber and
rank room. There was no telling where they were now, no telling what
vicious ambushes they’d set up.
The imp crouched, quivering, hugging
itself, and crooned its grief. Then it shook itself, drawing free its
tiny sword. Enough of these evil tunnels and warrens! To the ladder!
Flee this cruel place!
Natürlich gibt es kein Entkommen. Einer der Söldner schnappt sich das "Teufelchen", bricht ihm Arme und Beine und spießt es schließlich mit seinem eigenen Schwert auf. Die monströse Mutter der Kreatur, die wenig später auftaucht, um ihr Kind zu rächen, tappt in eine Falle. Es dauert Stunden, bis das Wesen unter dem ständigen Beschuss der Söldner*innen schließlich wimmernd sein Leben aushaucht.
Was mich an Eriksons erzählerischem Trick so sehr ärgert, ist weniger die Brutalität des Geschilderten als vielmehr das Manipulative. Zu Beginn der Sequenz gehört unsere Sympathie naturgemäß den fünf Krieger*innen. Wir haben sie in der ersten Hälfe der Geschiche etwas näher kennengelernt und sie erscheinen eindeutig als die Underdogs in der Situation -- out-numbered and out-gunned. Entsprechend positiv wird man reagieren, wenn sie die Lage zu wenden verstehen. Zumal die anschließenden Kampfszenen absichtlich so geschildert sind, dass wir die kaltblütige Kompetenz der Fünf cool finden sollen. Und dann lässt uns Erikson ins offene Messer laufen. Mit der Konsequenz, dass wir unsere vorherige Begeisterung abstoßend finden müssen. Denn das, was wir so cool gefunden haben, ist ja in Wirklichkeit ein blutiges Massaker, unsere Held*innen skrupellose Schlächter!
Man könnte das für einen subversiven Kommentar auf die Gepflogenheiten der Heroic Fantasy halten. Doch ich sehe darin bloß einen billigen Trick auf Kosten der Leser*innen. Denn was soll uns damit gesagt werden? Dass Köpfen, Gliedmaßen abhacken und Bäuche aufschlitzen "in Wirklichkeit" nichts vergnügliches, sondern etwas ziemlich widerliches ist? Ich denke, das haben wir auch vorher schon gewusst. Und es muss uns nicht davon abhalten, trotzdem Spaß an der Schilderung fiktiver Gemetzel haben zu können. Oder dass es stets eine Frage der Perspektive ist, wer als Opfer und wer als Täter erscheint? Das wäre eine äußerst fragwürdige Botschaft. Zumal die Geschichte nichts wirklich tiefgründigeres über Gewalt zu sagen hat. Wo kommt sie her? Was macht sie aus den Menschen?
Am Ende bleiben wir mit der nihilistischen "Erkenntnis" zurück, dass Menschen zu allen nur erdenklichen Untaten fähig sind und dabei stets "Gründe" finden werden, um diese vor sich und anderen zu rechtfertigen. Exemplarisch vorgeführt im Gedankengang des Totengräbers:
Nobody invited any of this, so nobody
was to blame, not for anything. Just came down to making a living,
that’s all. People got the right to that, he figured. It wasn’t a
rule or anything like it, not some kingly law or natural truth. It
was just one of those ideas people said aloud as often as they could,
to make it more real and more true than it really was. When the fact
was, people got no rights to anything. Not a single thing, not air to
breathe, food to eat, ale to drink. Not the sweet smile between the
legs, not a warm body beside you at night. Not land to own, not even
a place to stand. But it made it easier, didn’t it, saying that
people got the right to a living, and honest hard work, like digging
graves and carving capstones, well, that earned just rewards because
that’s how things should be.
Etwas anders schaut es bei Glen Cook aus.
Dessen Geschichten um die Soldaten der "Black Company", deren erste 1984 erschien, werden oft als einige der frühesten Vertreter (oder Vorreiter) der Grim & Gritty zitiert. Inwieweit ich dem zustimmen würde oder auch nicht, möchte ich jetzt nicht diskutieren. Das muss warten, bis ich mal dazu komme, mich auf dem Blog etwas ausführlicher den Annals of the Black Company zu widmen. Für den Moment sei bloß bemerkt, dass Tides Elba einen deutlich positiveren Eindruck bei mir hinterlassen hat als Steven Eriksons Story.
Die "Black Company" hat seit drei Monaten ihr Lager in der (nicht mehr ganz so) "freien" Stadt Aloe aufgeschlagen, ohne dass man sie in irgendwelche Gefechte geschickt hätte. Was ganz und gar nicht der Normalität entspricht. Wie Ich-Erzähler und Regimentsschreiber Croaker erstaunt feststellt: "It’s been eighty-seven days since somebody tried to kill me". Die Soldaten vertreiben sich ihre Zeit mit Kartenspiel und zotigen Unterhaltungen. Aber selbstredend kann dieser unnatürliche Zustand nicht ewig anhalten. Und als dann eines schönen Tages ein Fliegender Teppich am Himmel über der Stadt auftaucht, wissen Croaker und seine Kumpels sofort, dass schluss ist mit Schonzeit. Tatsächlich hat das magische Vehikel den "Limper" hierher getragen, einen besonders unerfreulichen Handlanger der "Lady", jener finsteren Zauberin, in deren Sold die "Black Company" steht. Die Clique um Croaker erhält den Befehl, eine angebliche Rebellenführerin namens Tides Elba ausfindig zu machen und zu arretieren, die sich irgendwo in der Umgebung von Aloe herumtreiben soll. Allerdings hat bislang keiner in der Truppe etwas von rebellischen Aktivitäten in der Region gehört. Und sie alle wissen, dass der "Limper" noch eine Rechnung mit der "Black Company" offen hat und sie liebend gern ins Verderben stürzen würde. Es gilt also entsprechend vorsichtig an diesen Auftrag heranzugehen.
Für alle, die nicht zuvor schon einmal Bekanntschaft mit der "Company" geschlossen haben, könnte der Einstieg in die Story etwas schwierig sein. Denn das Figurenensemble ist groß und unübersichtlich. Goblin, Otto, Elmo, One-Eye, Corey, Hagop, Silent -- keiner von ihnen wird groß vorgestellt. Sie sind einfach da und Teil der Handlung. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wird z.B. auf vergangene Gefechte angespielt, die zum Verständnis der Beziehung zwischen unseren Helden und dem "Limper" und der "Lady" von Bedeutung sind. Aber ich schätze, derartiges sollte einen nicht gar zu sehr überraschen, wenn man eine Geschichte liest, die Teil eines erzählerischen Universums ist, das zu diesem Zeitpunkt bereits aus zehn Romanen bestand.
Sicher könnte man so manches an Tides Elba als "grimdark" bezeichnen. Unsere Protagonisten sind ziemlich zynische und illusionslose Berufssoldaten, ohne jeden Hang zu Idealismus oder "selbstlosem Heldentum". Was nicht heißt, dass sie alle völlig amoralische Egoisten wären. So sieht sich Croaker im Laufe der Ereignisse gezwungen, den selbstsüchtigen One-Eye in seine Schranken zu verweisen, da dessen Verhalten die ganze "Company" in Gefahr zu bringen droht. Doch über die Grenzen der eigenen Truppe reicht auch sein "Altruismus" nicht hinaus. Selbst als sich herausstellt, dass Tides Elba in Wirklichkeit gar keine Rebellin ist, sondern bloß aufgrund irgendwelcher magischer Verwandtschaftsverhältnisse (die ihr selbst gar nicht bewusst sind) eine Bedrohung für die "Lady" darstellt, spielt niemand auch nur mit dem Gedanken, der jungen Frau zur Flucht zu verhelfen. Auch wenn sie alle wissen, dass die Unschuldige ein denkbar grausiges Schicksal erwartet. Befehl ist nun einmal Befehl. Und ihnen allen ist bewusst, dass es mehr als unklug wäre, den Zorn der "Lady" heraufzubeschwören. Man darf sich bereits glücklich schätzem, wenn's einem gelungen ist, nebenbei dem "Limper" eins auszuwischen. Alles andere wäre dumm und vermessen.
Warum ich dennoch so völlig anders auf die Geschichte reagiert habe als auf Goats of Glory? Sehr einfach. Anders als bei Steven Eriksons Story hatte ich hier nie den Eindruck, einem zynischen Autor gegenüberzustehen. Ebensowenig einem, der besonders clever zu sein versucht. An keiner Stelle hatte ich das Gefühl, Glen Cook wolle mir irgendwelche Pseudo-Wahrheiten über die "menschliche Natur" verkaufen. Der Zynismus in Tides Elba ist der Zynismus Croakers, des Erzählers, und der scheint mir bei einem abgebrühten Berufssoldaten, der schon unzählige blutige Schlachten hinter sich hat, völlig nachvollziehbar. Vertreter*innen der Grim & Gritty missbrauchen den Begriff des "Realismus" oft genug, um damit ihre eigene Misanthropie zu kaschieren. Hier jedoch erscheint er mir angebracht.
Ob ich zum Rest der Geschichten aus Swords & Dark Magic noch einmal etwas schreiben werde, kann ich nicht versprechen. Das hängt halt auch davon ab, ob sie mir dafür interessant genug erscheinen.
(1) Apropos: Mit Dzur (2006) und Jhegalaa (2008) erschienen zu dieser Zeit auch zwei neue Romane von Brust. Doch aus irgendwelchen mir unverständlichen Gründen werden die Vlad Taltos - Bücher fast immer ignoriert, wenn es um Sword & Sorcery geht.
(2) Ob die Grim & Gritty ein eigenes Subgenre oder nicht vielmehr eine bestimmte Sichtweise darstellt, die sich in allen möglichen Genres finden lässt, ließe sich sicher kontrovers diskutieren. Wie Alessandra Reß weiland in einem ihrer Artikel für TOR Online geschrieben hat: "Auch wenn Grimdark inhaltlich oft der Low Fantasy ähnelt,
sogar als dessen Weiterentwicklung diskutiert wird, ist er
grundsätzlich in nahezu allen phantastischen Subgenres zu finden. Damit
wird er – ähnlich wie die Dark Fantasy – weniger durch seine
Handlungsstrukturen, sondern mehr durch die düster-brutale Grundstimmung
definiert."