In ihrem Essay
The Critics, the Monsters, and the Fantasists spricht Ursula K. Le Guin sehr viel von "
Fantasy's green country". Sie greift den altbekannten Vorwurf auf, "
that much fantasy [...] seems on the face of it socially and historically regressive", weist diesen zwar zurück, teilt aber dennoch das ihm zugrundeliegende Bild des Genres:
[W]ithdrawing from the Industrial Revolution and Modern Times, the fantasy story is often set in a green, under-populated world of towns and small cities surrounded by wilderness, beyond which the exact and intricate map in the frontispiece does not go. This certainly appears to be a return to the world of the folktale.
In gewisser Weise schließt sie sich sogar der gängigen Lesart an, die darin Ausdruck einer nostalgischen Sehnsucht nach einer vermeintlich "guten, alten Zeit" sieht. Nur betrachtet sie diese in einem merklich anderen Licht:
I think they [...] imply that modern humanity is in exile, shut out from a community, an intimacy, it once knew. They do not so much lament, perhaps, as remind. The fields and forests, the villages and byroads, once did belong to us, when we belonged to them. That is the truth of the non-industrial setting of so much fantasy. It reminds us of what we have denied, what we have exiled ourselves from
Auch wenn sie klugerweise auf gar zu starre Definitionen verzichtet, stellt sie doch die vorsichtige These auf, das eigentliche Objekt der Fantasy sei nicht der Mensch:
I venture a non-defining statement: realistic fiction is drawn towards anthropocentrism, fantasy away from it. Although the green country of fantasy seems to be entirely the invention of human imaginations, it verges on and partakes of realms in which humanity is not lord and master,is not central, is not even important.
Gerade hierin erblickt Le Guin das besondere "utopische" Potential der Fantasy. Denn im Unterschied zu allen anderen Literaturformen sei es ihr dadurch besonders gut möglich, uns Bewohner*innen einer zunehmend "homogenisierten" Welt das Gefühl zu vermitteln,
that there is somewhere else, anywhere else, where other people may live another kind of life. The literature of imagination, even when tragic, is reassuring, not necessarily in the sense of offering nostalgic comfort, but because it offers a world large enough to contain alternatives, and therefore offers hope.
Der Titel von Le Guins Essay ist eine überdeutliche Anspielung auf J.R.R. Tolkiens Beowulf-Aufsatz The Monsters and the Critics. Auch verweist sie an einer Stelle ganz direkt auf dessen berühmten Essay On Fairy-Stories. Und tatsächlich weist ihre Sicht auf die Fantasy recht große Ähnlichkeiten mit dem auf, was "der Professor" dort als "Restoration" ("Wiederherstellung") bezeichnet hatte und worin er eine der vornehmsten Aufgaben des Märchens erblickte:
Wir sollten von neuem das Grün ansehen und von
neuem überrascht (aber nicht geblendet) werden durch Blau, Gelb und
Rot. Wir sollten dem Kentauren und dem Drachen begegnen und dann
vielleicht plötzlich, wie die Schafhirten des Altertums, der Schafe,
Hunde und Pferde gewahr werden – und der Wölfe. Diese Heilung zu
erzielen, helfen uns die Märchen.
Es gelte, die Dinge wieder
so zu sehen, wie sie uns zugedacht sind (oder waren) – als
von uns selber unabhängige Dinge. In jedem Falle müssen wir unsere
Brillen putzen, damit die Dinge frei werden vom trüben Schleier der
Abnutzung und Gewöhnung – frei von unserem Besitz. [...] Verblaßt
oder zur schlechten Gewohnheit geworden ist uns dasjenige, das wir
rechtlich oder seelisch in Besitz genommen haben. Von diesen
Gesichtern sagen wir, wir würden sie kennen. Sie sind gleichsam zu etwas
geworden, das uns einmal durch sein Glitzern, seine Form oder Farbe
gereizt hat, auf das wir die Hände gelegt, das wir erworben, in der
Truhe weggeschlossen und dann nicht mehr angeschaut haben. [...] Die
schöpferische Phantasie [...] kann die Truhe aufbrechen und alle
Wertsachen, die darin weggeschlossen waren, davonfliegen lassen wie
Vögel aus dem Käfig. Aus allen Juwelen werden Blumen und Flammen,
und wir erfahren, daß alles, was wir besaßen (oder wußten), stark
und gefährlich war, frei und ungezähmt, daß es nicht wirklich
sicher an der Kette lag – ebensowenig eins mit uns wie unser eigen. (1)
Beiden geht es ganz offensichtlich um Formen der menschlichen Entfremdng. Deren Wurzeln erblicken jedoch sowohl Le Guin als auch Tolkien in der modernen Zivilisation per se, nicht in dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dessen Rahmen dieselbe entstanden ist und von dem sie bis heute auf fundamentale Weis geprägt wird. Weshalb dieses Denken stets droht, in eine antimoderne Romantisierung vorindustrieller und vorbürgerlicher Gesellschaftszustände abzugleiten.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser philosophischen Perspektive würde uns zu weit vom eigentlichen Thema dieses Blogbeitrags fortführen. Für den Moment muss es genügen festzuhalten, dass in ihr einer der Gründe dafür zu suchen ist, warum Le Guin eine so tiefgehende Beziehung zwischen der Fantasy und dem "green country" herzustellen sucht. Denn auch wenn sie einschränkend hinzufügt, dass diese vor allem für die "heroische" Version des Genres gelte, muss ein solches Postulat in einem 2007 geschriebenen Essay doch leicht befremdlich wirken. War die Fantasy zu diesem Zeitpunkt nicht schon seit langem über die Grenzen des bukolischen Auenlandes hinausgewachsen?
Nichtsdestotrotz bleibt das, was Le Guin schreibt, natürlich bedenkenswert. Allgemeingültigkeit für das Genre kann es jedoch sicher nicht beanspruchen. Historisch betrachtet mag die Fantasy in ihren Anfängen zwar in der Tat sehr eng mit dem "green country" verbunden gewesen sein. Und dass darin sehr oft ein Element der Zivilisationskritik mitschwang, ist gleichfalls nicht zu leugnen. Doch wenn wir uns im Folgenden anschauen wollen, wie die Stadt in das Genre Eingang fand, wird dabei auch zeigen, dass sich diese Perspektive über die Jahrzehnte gewandelt hat -- oder doch zumindest komplexer, vielgestaltiger und widersprüchlicher wurde. Selbstredend werde ich das Thema nicht erschöpfend behandeln können -- dazu fehlt mir nicht nur die Zeit, sondern auch das erforderliche Wissen. Ich werde mich (unterschiedlich ausführlich) auf drei Autoren konzentrieren, deren Werk mir in dieser Frage exemplarisch zu sein scheint: J.R.R. Tolkien, Robert E. Howard und Fritz Leiber.
Zuvor jedoch erlaube ich mir eine kleine Prolog-Abschweifung.
Wie viele andere vor und nach ihr, stellt auch Le Guin in The Critics, the Monsters, and the Fantasists die Fantasy in eine literarische Tradition, die im Grunde so alt sei wie das Erzählen selbst. Auch dazu hätte ich manch kritisches anzumerken, doch stattdessen möchte ich nun selbst auf eine ältere Literaturform zurückgreifen, die immer mal wieder zu den Vorläufern des Genres gerechnet wird, ob nun zu recht oder zu unrecht: Den mittelalterlichen Artusroman.
Die höfische Kultur des Hochmittelalters erwuchs auf der materiellen Grundlage der ökonomischen Entwicklungen, die große Teile des "christlichen Abendlandes" seit ca. Mitte des 11. Jahrhunderts erfasst hatten. Neben bedeutenden Veränderungen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktivkräfte (Einführung der Drei-Felder-Wirtschaft, des Kummet, des Räderpflugs mit Egge) gehörte dazu auch das, was oft als eine "kommerzielle Revolution" bezeichnet wird: Ein mächtiger Aufschwung des Handels, ein immer stärkeres Vordringen der Geldwirtschaft und damit verbunden ein Aufblühen der Städte als Handels- und Handwerkszentren. Macht und Reichtum des Feudaldels basierte zwar auch weiterhin auf der Grundherrschaft und der Ausbeutung der unfreien bäuerlichen Bevölkerung -- auf dem Besitz von "lant und liuten", wie die mittelhochdeutschen Dichter sich auszudrücken pflegten. Aber ganz wie die geistige Blüte des 12./13. Jahrhunderts, wäre auch die Entfaltung einer weltlichen Standeskultur der Aristokratie ohne diesen wirtschaftlichen Wandel nicht vorstellbar gewesen.
Vor diesem Hintergrund mag es etwas überraschen, dass sich uns die Welt des klassischen Artusromans, wie er im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts entstand, als weitgehend "städtelos" präsentiert. Seine Helden bewegen sich auf ihren Aventiuren zwischen den beiden Polen Burg/(Königs)hof und Wald/Wildnis, doch in die Gassen einer Stadt verschlägt es sie praktisch nie. Zwar erwähnt Hartmann von Aue sowohl in seinem Erec (V. 223) als auch im Iwein (V. 6086) einen "market", der in beiden Fällen unterhalb einer Burg liegt. Aber es bleibt bei der bloßen Nennung des Wortes, der "market" besitzt keinen eigenständigen Charakter und erscheint als bloßes Anhängsel des feudalen Herrensitzes. Die einzige mir bekannte Ausnahme findet sich im Perceval des Chrétien de Troyes. Dort findet sich tatsächlich die lebendige Schilderung einer Stadt, von der es dann heißt, sie sei
ansehnlicher Leute voll,
und die Tische der Geldwechsler
sind ganz mit Münzen bedeckt.
Er sah die Plätze und Straßen
voll von guten Arbeitern,
die verschiedene Handwerke ausübten:
jene polierten Schwerter,
die einen walkten Tücher, andere webten,
jene hechelten, diese schoren sie,
andere schmolzen Gold und Silber,
und machten gute und schöne Waren davon,
machten Pokale und Schalen
und emailliertes Geschmeide
Ringe, Gürtel und Schließen.
Man hätte glauben und sagen können,
dass in der Stadt immerzu Markt sei,
so sehr war sie des Reichtums voll
an Wachs, an Pfeffer, Scharlachröte,
an kleinen grauen Pelzen
und aller Art von Waren. (2)
Gerade der Ausnahmecharakter dieser Passage macht sie so interessant, illustriert sie doch aufs anschaulichste, dass allein schon der materielle Teil der höfischen Adelskultur ohne das fleißige Treiben der städtischen Handwerker und Händler überhaupt nicht existiert hätte.
Dennoch ist die weitgehende Abwesenheit dieser sozialen Realität im klassischen Artusroman gut zu erklären. Den Dichtern ging es ja nicht darum, ein wahrheitsgetreues Bild der Wirklichkeit zu zeichnen. Ihre Werke stellen eher so etwas wie eine Utopie der herrschenden Klasse dar. Den Entwurf einer Welt, wie sie dem Empfinden des Feudaladels nach idealerweise sein sollte. Alle Aspekte der Realität, die diesem Idealbild widersprachen, wurden folgerichtig ausgeblendet. Und dazu gehörte eben auch und gerade die Stadt, deren Bürger dem Adel nicht nur in Lebensweise und Wertvorstellungen fremd gegenüberstanden, sondern auch in ökonomischer wie politischer Hinsicht eine Herausforderung für die traditionelle Feudalordnung darstellten. (3)
Nun gehörte der höfische Roman nicht zu Tolkiens Vorbildern. Insoweit er Inspiration aus mittelalterlicher Literatur bezog, handelte es sich dabei um Werke einer älteren Epoche. Zwar schrieb er Anfang der 30er Jahre das unvollendete Stabreimgedicht The Fall of Arthur, aber alles in allem erschien ihm der Artusstoff als "zu üppig, phantastisch, inkohärent und repetitiv". (4) Auch war ihm der höfische Wertekodex mit seiner Betonung von Ritterlichkeit und Minne ziemlich suspekt. So hielt er Sir Gawain and the Green Knight u.a. deshalb für ein so bedeutendes Werk, weil dessen zentrales Thema seiner Interpretation nach der Konflikt zwischen dem höfischen Regelwerk -- vor allem der "höfischen Liebe" (5) -- und der "ewigen" christlichen Moral war. Und im Entwurf eines Briefes an einen Leser des Herr der Ringe schrieb er über sein eigenes Werk: "Die Geschichte handelt nicht von einer Zeit der 'höfischen Liebe' und ihren Siegelfechtereien, sondern von einer primitiveren (d.h. weniger verderbten) und edleren Kultur." (6)
Dennoch kommt es mir so vor, als bestände in gewisser Hinsicht eine Verwandtschaft zwischen der Welt des Artusromans und Tolkiens Arda. Denn auch letzteres ist erstaunlich "städtelos". Genauer gesagt: Es gibt zwar schon Städte, aber die meisten von ihnen bleiben bloße Namen auf einer Landkarte, oder sie werden uns in einer Art geschildert, die nichts von einem wirklich "städtischen" Charakter erkennen lässt. In besonders hohem Maße gilt das für die Erzählungen vom Ersten Zeitalter. So heißt es im Buch der Verschollenen Geschichten von Kôr (dem späteren Tirion des Silmarillion):
Auf dem Gipfel des Berges erbauten die Elben schöne Häuser von strahlendem Weiß -- aus Marmor und Steinen, gerochen in den Bergen Valinors, die wunderbar glitzerten, aus Silver und Gold und einem Stoff von großer Härte und klarer durchsichtiger Weiße, den sie aus Muscheln herstellten, die sie im Tau Silpions auflösten; und die weißen Straßen dort, gesäumt von dunklen Bäumen, wanden sich in anmutigen Biegungen oder stiegen über Fluchten zierlicher Treppenstufen von den Ebenen Valinors zum höchsten Kôr hinauf; und alle diese strahlenden Häuser waren übereinander geschachtelt, bis man das Haus Inwes erreichte, das am höchsten lag und einen schlanken silbernen Turm hatte, der wie eine Nadel himmelwärts aufschoss, und darin war eine weiße Lampe mit durchdringendem Strahl, der die Düsternis der Bucht erhellte, doch jedes Fenster in der Stadt auf dem Berg von Kôr blickte hinaus auf das Meer.
Üneraus schöne und zierliche Springbrunnen gab es dort, und Dächer und Turmspitzen bestanden aus hellem Glas und Bernstein, von Palurien und Ulmo gemacht, und Bäume standen dicht auf den weißen Mauern und Terassen, und ihre goldenen Früchte leuchteten kräftig. (7)
Ganz ähnlich klingt die Beschreibung Gondolins:
Die breiten Straßen von Gondolin waren mit Steinen gepflastert, mit Marmor eingefasst, und schöne Häuser und Höfe inmitten von blumenhellen Gärten säumten sie, und viele Türme erhoben sich gegen den Himmel, erbaut aus weißem Marmor und mit wundervollen Steinmetzarbeiten verziert. Plätze gab es, wo Springbrunnen waren und Vögel im Geäst uralter Bäume sangen, doch auf dem größten aller Plätze stand der Palast des Königs, und dessen Turm war der höchste der Stadt, und die Springbrunnen, die vor seinen Toren spielten, schossen mehr als einhundertfünfzig Fuß hoch in die Luft und fielen in einem klingenden Kristallregen nieder (8)
Das sind weniger Städte als vielmehr Paläste mit den Dimensionen von Städten.
Im Herr der Ringe verhält es sich etwas anders. Minas Tirith ähnelt in seiner Anlage und Architektur zwar durchaus den Elbenstädten des Ersten Zeitalters, aber es ist dennoch spürbar, dass die Stadt nicht bloß von aristokratisch-unsterblichen Ästheten bevölkert wird. Von einem "städtischen Leben" im eigentlichen Sinne, ist in der Erzählung dennoch wenig zu sehen.
In jeder Straße kamen sie an irgendeinem großen Haus oder Hof vorbei, über dessen Türen oder gewölbten Torwegen viele schöne Buchstaben von seltsamer und altertümlicher Form eingemeißelt waren: Namen, vermutete Pippin, von großen Männern und von Sippen, die einst hier gewohnt hatten; doch nun waren sie still, und kein Schritt hallte über das breite Pflaster, keine Stimme war in den Hallen zu hören, kein Gesicht blickte aus der Tür oder den leeren Fenestern. (9)
In der Logik der Erzählung ist das natürlich (auch) dem drohenden Belagerungszustand geschuldet, aber das ändert nichts an dem Eindruck, den solche Schilderungen bei den Leser*innen hinterlassen.
Schaut man über Minas Tirith hinaus, so besitzt Gondor zwar noch eine Reihe weiterer Städte. Und wenn Tolkien in einem seiner Briefe an Naomi Mitchison die Wirtschaft des Reiches beschreibt und dabei "Ländereien in städtischem Besitz" (10) erwähnt, könnte man das sogar so deuten, als besäßen diese einen ähnlich semi-autonomen Status wie mittelalterliche Kommunen. Aber im Herr der Ringe besuchen wir keine dieser Städte. Und auch unter den feudalen Heerhaufen, die zur Verteidigung von Minas Tirith aus den "Außenlehen" anrücken, erblicken wir keinerlei städtisches Volk, sondern ausschließlich "Bergbewohner", "Jäger und Hirten", "Fischerleute aus Ethir" und natürlich die stolzen Ritter von Dol Amroth. (11)
Dass das "einfache Volk" von Minas Tirith im Herr der Ringe von dem Wachsoldaten Beregond und seinen Sohn Bergil repräsentiert wird, finde ich bezeichnend. In ihrem Artikel Städte in der Fantasy -- Moloch, Jagdgrund, Refugium schreibt Alessandra Reß über die epische High Fanrasy, dass Städte dort oft mehr "Kulisse" als sonst etwas seien. "Hier wurden Herrscher gekrönt und Schlachten geschlagen". (12) Auf Minas Tirith zumindest trifft dies ganz ausgezeichnet zu.
Es stellt sich nun die Frage, ob es sich bei dieser augenfälligen "Städtelosigkeit" von Tolkiens Welt um ein (bewusstes oder unbewusstes) Verdrängen einer sozialen Realität handelt, vergleichbar der im feudalen Artusroman?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit gehen würde. Zuerst einmal war es wohl ganz einfach so, dass dies einen Aspekt seiner Sekundärwelt darstellte, der ihn persönlich nicht wirklich interessierte und der für die Art von Geschichten, die er erzählen wollte, ohne Belang war. Darüberhinaus könnte ich mir aber sehr wohl vorstellen, dass ihm das stets leich chaotisch anmutende "städtische Leben" tatsächlich nicht in das wohlgeordnete Panorama seiner Welt zu passen schien. Und zudem soziale Kräfte verkörperte, denen er ablehnend oder offen feindselig gegenüberstand. Dafür spricht vor allem die Rolle, die Seestadt im Hobbit zukommt. Hierbei bekommen wir Tolkien nicht nur von seiner "antibürgerlichsten" Seite zu sehen, sondern erhalten auch einen Einblick in die feudale Romantik, die ihm als eine Art Ideal vorschwebte.
Da ich mich vor Jahren bereits einmal in dem Blogbeitrag
Der Hort und sein Fluch eingehender mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, mache ich es mir leicht und wiederhole hier einfach die entsprechende Passage:
Esgaroth auf dem Langen
See ist das einzige wirklich "republikanische" Gemeinwesen, das
wir in Mittelerde kennenlernen. Im Unterschied zur bäuerlichen
Eidgenossenschaft des Auenlandes handelt es sich um eine auf Handel
basierende Kommune. Den Meister von Seestadt zeichnet Tolkien dann
auch nicht zufällig als eine Karrikatur des bürgerlichen
Politikers: verlogen, geldgierig, feige und demagogisch. Als Smaug
die Stadt angreift, flüchtet er ohne zu Zögern „zu seinem
großen, vergoldeten Boot und hoffte, in der allgemeinen Verwirrung
davonrudern und sich in Sicherheit bringen zu können.“ Mit
Bard dem Bogenschützen wird ihm der aufrechte Vertreter des Adels
entgegengestellt: „Einer seiner Vorfahren war Girion, Fürst von
Dal“. Nach dem Tod des Drachen und der Vernichtung Seestadts
macht sich der Unmut der Bevölkerung in deutlichen Worten Luft: „Er
[der Meister] mag einen gescheiten Kopf haben, was Geschäfte
angeht, besonders für seine eigenen. [...] Aber wenn es ernst wird,
dann ist kein Verlaß auf ihn.“ Stattdessen wollen sie den
Drachentöter zu ihrem König machen. Der Meister ist der einzige,
der das republikanische gegen das monarchische Prinzip zu verteidigen
versucht: „In der Seestadt wählten wir von jeher unter den
Alten und Weisen einen Meister aus. Nie haben wir die Herrschaft
kriegerischer Männer geduldet.“ [„In the Lake-town we
have always elected masters from among the old and wise, and have not
endured the rule of mere fighting men.“] Er tut dies
selbstverständlich aus völlig eigennützigen Motiven, und die
einfachen Leute durchschauen ihn. Sie haben genug von "Geldzählern"
und Pfeffersäcken: „Up the Bowman, and down with Money-bags“!
Woraufhin der Meister sein demagogisches Geschick unter Beweis
stellt, indem er zuerst Bard mit heuchlerischem Lob überschüttet
und der aufgebrachten Menge anschließend einen probaten Sündenbock
präsentiert: Thorin und seine Zwerge, die Smaug doch überhaupt
erst aufgescheucht und in Wut versetzt hätten. An dieser Stelle
zeigt sich deutlich, dass Tolkiens feudale Romantik nicht nur
antibürgerlich, sondern auch antidemokratisch ist, denn das Volk
erweist sich augenblicklich als leicht zu manipulierender Pöbel:
„Der Erfolg seiner Rede war, daß das Volk seinen Wunsch nach
einem neuen König für den Augenblick völlig vergaß und Thorin und
seine Gesellschaft zur Zielscheibe ihres Ärgers machte. Ungezügelte,
bittere Worte wurden laut. Einige von denen, die damals die alten
Lieder [über die Rückkehr des Königs unter dem Berg und den
damit verbundenen Segen] gesungen hatten, schrien sich jetzt
heiser, daß die Zwerge den Drachen vorsätzlich gegen sie
aufgestachelt hätten.“
Einzig Bard zeigt sich ruhig, gerecht
und mitfühlend. Und so kommt es zwar nicht zum Sturz des Meisters, doch in
Wirklichkeit übt der Bogenschütze in der folgenden Krisenzeit die
uneingeschränkte Gewalt über das Gemeinwesen aus: „Er ordnete
alle Angelegenheiten, wie er es für gut hielt (jedoch stets im
Namen des Meisters).“ Und natürlich erweist er sich als kluger
und umsichtiger Führer, während der Meister weiterhin nur an sein
eigenes Wohlergehen und seine Bequemlichkeit denkt. Dass Bard das
aristokratische Prinzip verkörpern soll, zeigt sich nicht nur an
seiner adeligen Herkunft, sondern auch in der Art, wie Tolkien ihn
beschreibt. Er verleiht ihm die Züge eines klassischen Heroen, "grimmig und stolz": die beiden Epitheta werden im Laufe der
Erzählung immer wieder auf ihn angewandt, und schon bei seinem
ersten Auftreten heisst es, er sei „grim-voiced and grim-faced“
gewesen. Vögel sprechen mit ihm, wie weiland mit dem berühmtesten
germanischen Drachentöter, Sigurd dem Wälsungen. Und wenn Bard sich
dazu entschließt, gegen Thorin und die Zwerge zu ziehen, so weniger
aus nackter Gier (obwohl auch er nicht gegen den verführerischen
Reiz des Hortes gefeit ist), sondern weil er von „der
wiederaufgebaute[n] Stadt Dal, über der goldene Glocken klingen
sollen“ träumt, d.h. vom wiedergewonnenen Ruhm seiner Sippe.
Ein besonders vielsagendes Detail findet sich im vorletzten Kapitel
des Buches. Als Dain Eisenfuß nach der Schlacht der Fünf Heere
Teile des Schatzes an alle beteiligten Parteien verteilt, heisst es
von Bard: „[A]nd he rewarded his followers and friends freely“.
Meine Kenntnis der alt- und mittelenglischen Literatur ist leider
eher bescheiden, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Tolkien mit
"followers and friends" etwas ähnliches ausdrücken wollte wie
die mittelhochdeutschen Dichter mit "mâge unde man". Gemeint ist
der Feudalverband aus Verwandten bzw. gleichgestellten Verbündeten
["friends"/"mâge"] und Vasallen ["followers"/"man"].
Dafür spricht meines Erachtens vor allem die Alliteration, die der
Formulierung etwas formelhaftes verleiht. Tolkien besaß ein großes
Feingefühl für solche sprachlichen Details. Bard praktiziert hier
die feudale Tugend der Freigebigkeit, wie sie alle wahren Helden und
guten Könige der mittelalterlichen Literatur auszeichnet, und deren
soziale Funktion der Dichter des Beowulf ganz ungeniert wie
folgt beschrieben hat: „Swá sceal geong guma góde gewycrean/
fromum feohgiftum on fæder bearme/ þæt hine on ylde eft gewunigen/
wilgesíþas þonne wíg cume/ léode gelaésten“ – ‘So
schenkte in jungen Jahren der Sohn/ vom Hort freigebig im Haus seines
Vaters,/ dass willig im Alter ihm wiederum halfen/ die kühnen
Kämpen, wenn Krieg entbrannte,/ und mutig ihm folgten’. (13)
Der Meister hingegen
verfügt selbstverständlich nicht über diese löbliche Eigenschaft
und endet dementsprechend: „[D]a er zu denen gehörte, die
leicht solchen Sünden verfallen, hatte die Drachenkrankheit ihn
angesteckt. Er nahm den größten Teil des Goldes und floh – und
verhungerte in der Einöde, verlassen von seinen Spießgesellen.“ (14)
Dass dennoch nicht Bard,
sondern Bilbo der wahre Held des Hobbit ist, zeigt allerdings einmal
mehr, dass Mitgefühl und schlichte Menschlichkeit für Tolkien über
dem "heroischen" Ideal stehen.
Soweit zu Tolkien.
Robert E. Howards Perspektive wurzelte in einer gänzlich anderen Lebenserfahrung als der des "Professors". Die Art "städtischen Lebens", mit der er vertraut war, war die einer texanischen Ölboom - Siedlung der 20er Jahre -- himmweltweit entfernt von der bürgerlichen Gemächlichkeit des tolkienschen Oxford. Der Boom hatte Cross Plains 1921 erfasst und seine Einwohnerzahl in wenigen Monaten von 1.500 auf über 10.000 anschwellen lassen. Und die Neuankömmlinge dürften ein ziemlicher wüster und buntgemischter Haufen gewesen sein. 1926 arbeitete der damals zwanzigjährige Howard eine Zeit lang im größten Drug Store der Stadt als "Soda Jerk". In seinem autobiographischen Roman Post Oaks and Sand Roughs schrieb er darüber: "A boom town drugstore is an ideal place to study humanity". Natürlich können wir uns nicht hundertprozentig sicher sein, ob die dort geschilderten Erlebnisse eins-zu-eins Howards reale Erfahrungen wiedergeben. Gar zu weit entfernt dürften sie jedoch sicher nicht sein. Auf jedenfall erzählt er von seinem Alter Ego Steve Costigan, dieser
became acquainted with and sometimes friendly to, whores, bootleggers, gamblers, dope fiends, and yoggs, besides the general riff-raff drillers, tool dressers and roustabouts. (15)
Und wie er später in einem Brief an Clark Ashton Smith schrieb, waren es wohl diese Begegnungen, denen Conan der Cimmerier letztlich seine Existenz verdankte:
It may sound fantastic to link the term "realism" with Conan; but as a
matter of fact – his supernatural adventures aside – he is the most
realistic character I ever evolved. He is simply a combination of a
number of men I have known, and I think that's why he seemed to step
full-grown into my consciousness when I wrote the first yarn of the
series. Some mechanism in my sub-consciousness took the dominant
characteristics of various prizefighters, gunmen, bootleggers, oil field
bullies, gamblers, and honest workmen I had come in contact with, and
combining them all, produced the amalgamation I call Conan the
Cimmerian. (16)
Die Ironie besteht allerdings darin, dass Conan trotz seiner semi-proletarischen Wurzeln von seinem Schöpfer als eine Figur kreiert wurde, die er genau dieser "Welt" entgegenstellte. Denn was das Leben in einer vom Ölboom umgekrempelten Kleinstadt Howard vor allem lehrte, war eine tiefe Verachtung für die "Zivilisation", in der er hauptsächlich Repression, Heuchelei und Entmenschlichung erblickte. Gelegenheitsjobs wie im Büro der
Cross Plains Natural Gas Company steigerten seine tiefe Abneigung gegen jede Form von Autorität:
I lost the job because I wouldn't kow-tow to my employer and 'yes' him from morning til night. That's one reason I was never very successfull in working for people. So many men think an employee is a kind of servant. I'm good natured and easy going, I detest and shrink from rows of all sort, but there's no use in a man swallowing everything. (17)
Und auch die Arbeit als "Soda Jerk", so lehrreich sie in mancher Hinsicht auch gewesen sein mochte, war ihm letztenendes eine unerträgliche Qual. Und machte es ihm unmöglich, seinen wahren Interessen zu folgen. Um noch einmal die Erlebnisse von Steve Costigan in
Post Oaks and Sand Roughs zu zitieren:
He did not read or write, scarcely had time to answer his correspondence. He had absolutely no time for recreation or even rest. All during the day he would dash back and forth behind the fountain which he had grown to hate. Scoring drinks and waiting on customers, doing many things he was not paid to do. At night he staggered home to fall into his bed and sleep the sodden sleep of utter exhaustion. He went to bed fatigued, and he woke up fatigued ... worse still was the mental effect of taking orders and occasional insults from the scum of the earth. (18)
Dieser verhassten "Zivilisation" stellte er in Conan den Vertreter eines von individueller Freiheit geprägten "Barbarentums" entgegen.
Wie äußerst sich das nun im Setting der Geschichten? Auf seinen Abenteuern verschlägt es den Cimmerier durchaus immer mal wieder in Städte, so etwa in The Tower of the Elephant oder Rogues in the House. Und diese präsentieren sich dabei stets als ein Nebeneinander von "purple-towered marble and ivory palaces of the aristocracy" und heruntergekommenen Slums voller Dreck und Gestank. Eine solche Darstellung sozialer Gegensätze wäre bei Tolkien völlig undenkbar gewesen. Dabei wirken Viertel wie "The Maul" und "The Maze" beinah schon wie eine Vorwegnahme der verwinkelten und verrufenen Gassen von Lankhmar:
He (Conan) slunk along
alleys and shadowed plazas until he came to the district which was his
destination -- the Maze. Along its labyrinthian ways he went with the certainty of
familiarity. It was indeed a maze of black alleys and enclosed courts and
devious ways; of furtive sounds, and stenches. There was no paving on the
streets; mud and filth mingled in an unsavory mess. Sewers were unknown; refuse
was dumped into the alleys to form reeking heaps and puddles. Unless a man
walked with care he was likely to lose his footing and plunge waist-deep into
nauseous pools. Nor was it uncommon to stumble over a corpse lying with its
throat cut or its head knocked in, in the mud. Honest folk shunned the Maze with
good reason. (19)
Doch bleibt der Cimmerier stets ein Fremdling in dieser Umgebung. Ist sozusagen nur "auf der Durchreise". Selbst nachdem er den Thron von Aquilonia bestiegen hat, ändert sich das im Kern nicht. Denn die Stadt verkörpert bei Howard nun einmal die "Zivilisation" -- und damit Dekadenz, Unterdrückung und Doppelzüngigkeit. Wie sollte sich Conan je in ihr heimisch fühlen können?
Wirklich "urban" wird die Fantasy erst bei Fritz Leiber. Und der Hauptgrund dafür ist gar nicht einmal so sehr, dass Lankhmar das Urbild aller späteren Fantasymetropolen ist. Wirklich entscheidend ist vielmehr der Charakter seiner Helden. Anders als Conan sind Fafhrd und der Gray Mouser urbane Figuren. Noch bevor er Lankhmar und Nehwon kreierte, stellte Leiber sie in Adept's Gambit in ein städtisch-kosmopolitisches Milieu -- das des hellenistischen Kleinasiens. Die allererste Erzählung über das Gaunerpaar beginnt in einer Schenke im Hafenviertel von Tyrus. Und Leiber hatte ganz offensichtlich großen Spaß damit, das dort herrschende bunte Völkergemisch zu beschreiben. Das ist die "Welt" seiner Helden.
Nicht einmal die Hälfte aller Fafhrd & The Gray Mouser - Geschichten spielen tatsächlich in Lankhmar. Und doch ist die Stadt der Schwarzen Toga das Herz dieses literarischen Universums. Und völlig zurecht identifiziert man die Abenteuer der beiden Halunken mit ihr.
In gewisser Hinsicht stellt die Kurzgeschichte The Circle Curse eine Art Meta-Kommentar auf den ganzen Zyklus dar. Nachdem ihre großen Jugendlieben Vlana und Ivrian von der Diebesgilde ermordet wurden und sich herausgestellt hat, dass Rache keinen Seelenfrieden schafft, schwören Fafhrd und der Mouser, Lankhmar für immer den Rücken zu kehren. Sie streifen kreuz und quer durch Nehwon, doch am Ende bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in die Metropole zurückzuwandern. Wie Fafhrd am Beginn von The Swords of Lankhmar erklärt, als der Mouser (wenig überzeugt) anmerkt, dass es doch sicher auch anderswo noch ein paar klitzekleine Abenteuer zu bestehen gäbe:
"Perhaps", the big man agreed, "but big or little, they all have a way of beginning in Lankhmar."
Nun könnte man einwenden, dass der Mouser als Waisenkind aus den Slums der Bettlerstadt Tovilys zwar ohne Zweifel eine "urbane" Figur ist. Aber Fafhrd ist doch ein Barbar aus dem eisigen Norden. Entspricht er also nicht eher dem Conan-Archetyp? Nicht wirklich. Ich würde sogar soweit gehen, in ihm den ersten echten Anti-Conan zu sehen. Denn wie wir in
The Snow Women erfahren, war er keineswegs glücklich in seiner Heimatgesellschaft, die von einem verknöcherten und unbarmherzigen Konservatismus beherrscht wird, gegen den der junge Fafhrd instinktiv aufbegehrte. Dabei erschien ihm die "Zivilisation" als ein aufregendes Reich der Freiheit. Diese naive Illusion zerschlägt sich zwar schnell, nachdem er zusammen mit der Schaustellerin und Diebin Vlana in Lankhmar angekommen ist. Und in späteren Geschichten wirft er sich manchmal recht gerne in die Conan-Pose und lässt abfällige Bemerkungen über die "dekadente Zivilisation" fallen. Aber wie der Mouser ihm (gleichfalls in
The Swords of Lanhhmar) auf humorvolle Weise unter die Nase reibt, ist er in Wirklichkeit längst Teil dieser "verweichlichten und verkommenen" Welt geworden:
"Civilization!" the big man snarled. "I sometimes wonder --"
"-- why you climbed south over the Trollstep Mountains and got your beard trimmed and discovered that there were girls without hair on their chests", the small man finished for him.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Leiber die städtische Welt idealisieren oder nun seinerseits positiv der "Barbarei" entgegenstellen würde. In Lankhmar existieren ganz wie in Howards Städten krasse soziale Ungleichheit, Despotie und Dekadenz. Wenn Brian Murphy in Flame and Crimson Leibers Geschichten durch die Linse der howard'schen Dichotomie von Zivilisation & Barbarei betrachtet, erscheinen sie ihm deshalb in einem etwas trost- und hoffnungslosen Licht:
And so Fafhrd and the Gray Mouser are at a standstill: civilization balanced against barbarism, tradition against freedom, individuality and progress opposed by conformity and compromise. How can one break free? What is the moral center of Leiber's universe, if not barbarism's stifling traditions or civilization's decadent freedoms? (20)
Doch wenn das ein wenig erfreuliches Bild zu sein scheint, liegt das meiner Ansicht nach an der falschen Perspektive. Leibers Werk funktioniert eben nicht gemäß des howard'schen Gegensatzes. Er spielt mit diesem, weist ihn letztendlich aber zurück. Leiber sucht kein Ideal -- weder in den schneeverwehten Weiten der Eisöde, noch in den verwinkelten Gassen von Lankhmar. (Ebensowenig übrigens in irgendeiner göttlichen oder mythischen Weltordnung à la Tolkien). Aber das macht ihn nicht zynisch oder hoffnungslos.
Sicher ist ihm das bunte und kosmopolitische Leben der Stadt lieber als der antiindividualistische und beschränkte Traditionalismus des Dorfes. Aber er verschließt die Augen nicht vor all dem Hässlichen, Grausamen und Unmenschlichen der Zivilisation. In seinen Geschichten steckt etwas tief rebellisches. Vor allem aber bejaht er das Leben. Und trotz all ihrem Schmutz und Elend ist die Stadt für ihn so etwas wie konzentriertes Leben.
Hoffentlich wird es mir irgendwann noch einmal gelingen, mich hier etwas ausführlicher über Fritz Leibers Fahfhrd & The Gray Mouser Stories auszulassen. Für den Moment muss das leider genügen. Sonst schläft dieser Blog doch noch ganz ein.
EDIT: Es ist heute vielleicht
nur noch schwer nachvollziehbar, was für eine Pionierleistung Fritz
Leibers "Urbanisierung der Fantasy" war. Das folgende Zitat aus einem Interview, das Karen Meisner 2011 anlässlich des Erscheinens der Urban Fantasy - Anthologie Welcome to Bordertown für Strange Horizons mit
Holly Black, Terri Windling und Ellen Kushner führte, mag helfen, dies
zu verdeutlichen. Kushner beschreibt dort die Lage des Genres zu Beginn
der 80er Jahre:
I remember when I was a young writer and
editor, the fashion in fantasy (except for Fritz Leiber) was for
everything to be very rustic and rural and pastoral. And nostalgic for
ye olde; everyone in those stories wore hanging sleeves! Tolkien had
sold a lot of books, so that became the stamp and pattern. I remember
feeling vague discomfort with the material because my life wasn't his
life -- taking long long walks through the countryside, and all that.
Autoren wie Scott Lynch (Gentleman Bastards) und Saladin Ahmed (Throne of the Crescent Moon) sehen sich ganz bewusst in der von Leiber begründeten Tradition. Und Steven Brust (Vlad Taltos) hat einmal erklärt:
Mr. Leiber can reasonably be considered
the man who invented the field where I make my living. [...] Howard
invented *something* that contributed to the whole thing, but it
isn't the special place where I work. Howard's world remained
fundamentally rural; Leiber incorporated the urban, which had not
been done before.
(1) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In:
Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 187ff.
(2) Zit. nach: Jacques Le Goff: Das Hochmittelalter. S. 82f.
(3) Wenn Rudolf von Ems in seinem um 1220 entstandenen Guten Gerhard erstmals einen (Kölner) Kaufmann zum Helden eines höfischen Romans macht, spiegelt sich darin zwar ohne Zweifel die wachsende Bedeutung der Stadtwirtschaft wider. Doch beruht die moralische Vorbildlichkeit Gerhards bezeichnenderweise gerade darin, dass er sich nicht "wie ein Händler" verhält, sondern auf besonders vollkommene Weise feudale Tugenden wie die milte ("Freigebigkeit") an den Tag legt und ganz im Interesse von Adeligen wie dem englischen Kronprinzen Wilhelm handelt. Er ist der Großkaufmann, wie die Aristokraten ihn sich wünschten.
(4) Zit. nach: Humphrey Carpenter: J.R.R. Tolkien. Eine Biographie. S. 193.
(5) "[D]ie Haltung der 'Dienstbarkeit', die vollkommene Unterwerfung des ritterlichen 'Knechts' unter das Wünschen und Wollen der Dame". (J.R.R. Tolkien: Sir Gawain und der Grüne Ritter. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 118).
(6) Entwurf eines Briefes an einen Leser des Herr der Ringe (ca. 1963). In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 244. S. 423f.
(7) J.R.R. Tolkien: Das Buch der Verschollenen Geschichten. Bd. 1. S. 144f.
(8) J.R.R. Tolkien: Das Buch der Verschollenen Geschichten. Bd. 2. S. 176.
(9) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. 2. S. 21.
(10) Brief an Naomi Mitchison [25. April 1954]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 144. S. 230.
(11) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. 2. S. 44.
(12) Zauberwelten. Herbst 2021. S. 31.
(13) Beowulf. V. 20-24.
(14) J.R.R. Tolkien: Der kleine Hobbit. S. 257; 250; 251; 253; 254; 255; 256; 249; 255; 291; 301.
(15) Zit. nach: Todd B. Vick: Rogues & Renegades. The Life and Legacy of Robert E. Howard. S. 83.
(16) Zit. nach: Mark Finn: Blood & Thunder. The Life & Art of Robert E. Howard. S. 172.
(17) Brief an Talman vom September 1931. Zit. nach: Ebd. S. 97.
(18) Zit. nach: Ebd. S. 99f.
(19) Robert E. Howard: Rogues in the House,
(20) Brian Murphy: Flame and Crimson: A History of Sword-and-Sorcery. S. 119.
Herzlichen Dank für die Ausführungen und Anregungen. Ich habe ein bisschen in den anderen Beiträgen herumgelesen und stehe etwas hilflos vor deren Fülle, ab jetzt lese ich aber im Feedreader mit.
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