Seiten

Freitag, 26. März 2021

Vom Umgang mit Traditionen

Die Sword & Sorcery hatte in den Augen "linker" Phantastikkritiker nie einen leichten Stand.  In den 80er Jahren gehörte es bei denen hierzulande zum guten Ton, Robert E. Howard und sein Werk als "faschistoid" zu verdammen, und manch einer ging gar soweit, Conan zu einer Verkörperung der nazi-nietzscheanischen "blonden Bestie" zu erklären. (1) Hans Joachim Alpers etwa schrieb damals über ihn:

Conan hat die Söldnermen­talität eines Kongo-Müller und seine Autoren natürlich auch. Wenn Conan anderen hilft, dann nicht aus Edelmut, son­dern aus Kalkül. Was ihn zu seinen Taten treibt, ist einmal das Geld (was ihn mit vielen Helden des Sado-Westerns vereint), zum anderen die Mordlust. Für Geld tut er al­les: er ist der käufliche Hand­langer jedes Herrschers für je­des Ziel, der das Volk unter­drücken hilft und Aufstände niederwirft, wenn er nicht auf eigene Rechnung arbeitet und sengend und mordend durch die Lande zieht, sich abermals mit dem Blut und dem Schweiß der arbeitenden Bevölkerung mästend. (2)

Und diese Art von "Kritik" beschränkte sich nicht allein auf den Cimmerier. So erklärte Joachim Kalka im Vorwort zu seiner 1982 erschienenen Anthologie Die geheime Position der Nordküste: "Fritz Leibers 'Sword-and-Sorcery'-Zyklus um Fafhrd und den Grey Mouser hat die Fantasy stark und nicht besonders glücklich beeinflusst". (3) Und im Vorwort zum 1983 veröffentlichten Goldmann Fantasy Foliant 1 dehnte Herausgeber Peter Wilfert diese "Kritik" auf die gesamte Sword & Sorcery aus, die er unterschiedslos als "Herrenmensch-Helden" - Schund abqualifizierte, deren einziger Zweck im Ausleben von "Macht- und Sexualphantasien" bestehe. Fairerweise sollte man wohl hinzufügen, dass Wilfert dabei u.a. an John Normans Gor - Bücher dachte. Doch die Erwähnung von "Groschenmagazinen" und Formulierungen wie "unterste Schublade des literarischen Geschmacks" machen es wahrscheinlich, dass dabei auch ein Gutteil jener bildungsbürgerlichen Verachtung für die Populärkultur mitschwang, die nicht zuletzt dank Adorno & Co auch unter vermeintlichen "Linken" weit verbreitet war. (4)

Die heutige "linke" Kritik sieht im Allgemeinen etwas anders aus und konzentriert sich in erster Linie auf Sexismus und Rassismus. So erschien z.B. 2012 auf FerretBrain ein ziemlich langer Artikel von Arthur B. mit dem Titel We Need To Talk About Conan, der sämtliche Stories über den Cimmerier auf entsprechende Motive und Szenen durchging. Der Beitrag schloss mit der Erklärung:

I can’t recommend the Conan stories to readers for any reason other than historical interest. [...] Of course we shouldn’t throw Howard down the memory hole, any more than we should throw any author down the memory hole, but we can at least turf him out of the pantheon. Let him, if he hasn’t already, become one of those authors who is more talked about than read, whose influence we recognise and acknowledge but whose work we read for research rather than enjoyment. (5)

Und vor nicht gar zu langer Zeit bin ich einmal über einen Tweet gestolpert, in dem erklärt wurde, kein heute Schreibender könne sich noch mit der Tradition der Sword & Sorcery identifizieren, weil diese so unauflöslich mit Rassismus und Sexismus verknüpft sei.

Wer meinen Blog kennt, wird sich denken können, dass ich mich derartiger "Fundamentalkritik" nicht anschließen kann. Schließlich beschäftige ich mich hier häufiger mit alter Sword & Sorcery, sei es aus den 30er/40er oder den 70er/80er Jahren. Und ich lese diese Stories (auch Howard) nicht allein aus "historischem Interesse". Ebenso klar ist hoffentlich aber auch, dass ich nicht einer unkritischen Herangehensweise an das Genre das Wort reden will. Denn auch wenn ich solch allgemeine Verdammungsurteile für einseitig und undifferenziert halte, enthält die alte S&S selbstverständlich genug reaktionären Ballast, über den man nicht einfach kommentarlos hinwegsehen kann.
 
Eine Art Vorbild für mich ist da der im Mai letzten Jahres verstorbene Charles R. Saunders. Der schwarze Schriftsteller und Journalist, der mit seinen Geschichten um Imaro und Dossouye zum Begründer der Sword & Soul wurde, war einer der ersten gewesen, der Mitte der 70er Jahre in seinem Essay Die, Black Dog! sehr klare Worte über den Rassismus in der traditionellen Heroic Fantasy fand. Dort schrieb er u.a. über die Conan-Stories Shadows in Zamboula und The Vale of Lost Women: "Reading them is like having a front-row seat at a Ku Klux Klan rally." Die Wut über den Rassismus –  sowohl in der realen Welt, als auch in der Fantasyliteratur –  war ein primärer Antrieb bei der Erschaffung seines Helden Imaro. Und dennoch konnte er Conan als "one of the most dynamic and compelling characters ever created" bezeichnen und stets die wichtige Rolle anerkennen, die Vorbilder wie Robert E. Howard und Karl Edward Wagner für ihn gespielt hatten. Er sah sich immer als Teil einer Traditionslinie. 2012 wurde seine Dossouye-Geschichte Gimmile's Song in der von David G. Hartwell & Jacob Weisman herausgegebenen Sword & Sorcery Anthology neu abgedruckt. Der Band war eindeutig als Überblick über eine ebensolche Tradition konzipiert. In ihm fanden sich Stories von "Klassikern" wie Howard, C.L. Moore, Fritz Leiber und Poul Anderson ebenso wie Werke zeitgenössischer Autor*innen wie Caitlín R. Kiernan und Jeffrey Ford. Und Charles Saunders fühlte sich ausgesprochen wohl in dieser Gesellschaft: "To be in an anthology alongside my idols and contemporaries ... it doesn't get much better than that, folks."  

Ich bin in letzter Zeit mehrfach Beiträgen begegnet, in denen insbesondere die Alyx - Geschichten von Joanna Russ und Samuel R. Delanys Nevèrÿon als Beispiele für eine "andere", "gute", "progressive" Sword & Sorcery angeführt wurden. Zuletzt in Episode 32 von Judith Vogts & Lena Richters Podcast Genderswapped. Ich freue mich stets, wenn etwas Aufmerksamkeit auf die beiden gelenkt wird. Und es ist in der Tat sehr ärgerlich, dass es keine aktuelle Gesamtausgabe der Alyx - Geschichten gibt und man auf Sammelbände aus den 80er Jahren zurückgreifen muss. Ganz zu schweigen davon, dass der Zyklus in seiner Gänze nie ins Deutsche übersetzt wurde. (6) Ich habe fest vor, beide irgendwann im Rahmen von "Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure" etwas ausführlicher zu besprechen. Aber leider habe ich das Gefühl, dass die Werke von Russ und Delany hier als einsame Ausnahmeerscheinungen präsentiert werden, die man dem Gros des Genres entgegegnstellt. Sie werden ausschließlich als Gegenentwürfe, nicht als Teil einer Tradition gesehen. Dabei sind sie in Wirklichkeit natürlich beides. Denn genau das ist die Art, in der sich jedes Genre weiterentwickelt. Schon Fritz Leibers Fafhrd & der Grey Mouser waren ein Gegenentwurf zu Conan gewesen. Dasselbe gilt für Michael Moorcocks Elric. Steven Brust, der mit den Vlad Taltos - Büchern seinen eigenen Beitrag zur Weiterentwicklung der Sword & Sorcery leistete, hat das einmal sehr treffend so ausgedrückt: "Every form of art [...], every sub-form, every genre and sub-genre, develops by contradiction, that is, in dialog with and (to a greater or lesser degree) in opposition to earlier forms." Völlig unverständlich ist mir deshalb auch Judith Vogts Behauptung, Russ und Delany hätten keine Fortsetzung gefunden, hätten im Genre "nicht nachgewirkt". Auf Nevèrÿon mit seinem komplexen philosophischen Unterbau mag das vielleicht zutreffen. Doch von Alyx führt eine sehr klare Entwicklungslinie zu Jessica Amanda Salmonsons Anthologien Amazons! (1979) und Amazons II (1982), weiter zu Marion Zimmer Bradleys Sword & Sorceress - Anthologien der 80er Jahre (7) und weit darüber hinaus. Solche Fehleinschätzungen zementieren im Grunde nur das Klischeebild von der Sword & Sorcery als eines Genres von muskelbepackten Barbaren und leichtbekleideten Damsels-in-Distress. Was ihr wirklich nicht gerecht wird. (8)

Ich jedenfalls bin ganz und gar nicht bereit, die Traditionen der Sword & Sorcery kampflos den Reaktionären zu überlassen. Und das ist keine bloß akademische Frage, denn innerhalb des Fandoms existiert zweifellos ein rechtsextremes Segment. Wie groß dieses ist, sei erst einmal dahingestellt, doch macht es sich von Zeit zu Zeit recht lautstark bemerkbar.

Ich denke da z.B. an Leo Grin, der den seinerzeit sehr anerkannten Blog The Cimmerian leitete, sich 2015 während der großen Puppy - Kriege (9) dann aber als Anhänger des faschistischen Provokateurs Theodore Beale (aka Vox Day) outete und eine ehemalige Mitarbeiterin des zu dieser Zeit bereits nur noch als Archiv fungierenden Blogs, Barbara Barrett, als böse Feministin und SJW rückwirkend exkommunizierte. Was sehr schnell dazu führte, dass die große Mehrheit der Blog-Autoren aus Protest ihre Beiträge gleichfalls aus dem Archiv entfernen ließen. (10) 
Oder um ein aktuelleres Beispiel zu nennnen: Robert M. Price, der neben vielem anderen der literarische Nachlassverwalter von Lin Carter ist. Der versuchte letztes Jahr dessen klassische Anthologie Flashing Swords wiederzubeleben. Nun befindet sich Price schon seit etlichen Jahren auf einem immer steileren Abstieg in den rechten Sumpf. Und so entschied er sich, das Vorwort von Flashing Swords #6 als Plattform für eine wüste Tirade über einige seiner  dementsprechenden Obsessionen zu nutzen: als da wären liberale Verweichlichung, männerhassende Feministinnen und natürlich der "Genderwahn". Wer mag, kann sich Teile davon hier durchlesen. Es stellte sich heraus, dass keiner der in der Anthologie vertretenen Autoren über den Inhalt dieses Vorworts informiert worden war. Umgehend forderten Cliff Biggers, Frank Schildiner, Paul MacNamee und Charles R. Rutledge, dass ihre Stories aus dem Sammelband entfernt werden sollten. Wenig später zog der Verlag Pulp Hero Press das Buch vom Vorverkauf zurück.
 
Das Erfreuliche an beiden Fällen ist sicher, wie rasch und in wie großer Zahl Vertreter*innen der Sword & Sorcery - Gemeinde den Versuch zurückwiesen, "ihr" Genre für eine rechte Agenda zu vereinnahmen. Dennoch wäre es falsch, Leute wie Leo Grin oder Robert M. Price einfach als isolierte Wirrköpfe abzutun. Der beste Beleg dafür ist, dass Flashing Swords #6 im Januar dieses Jahres dann doch noch erschienen ist. Zwar bei einem anderen Verlag und mit einem deutlich veränderten Inhalt, aber immer noch mit Price' Vorwort, das dem offiziellen Statement von Timaios Press zufolge sogar noch um "even more criticism against feminist myths and the many strange ideas flourishing in the feminist community" erweitert wurde. Dass Timaios ein ziemlich rechter Verein ist, der sich den Kampf gegen "Political Correctness" und "Cancel Culture" aufs Banner geschrieben hat, wird sicher niemanden verwundern. Schade allerdings, dass sich genug Autoren gefunden haben, die bei so einem Unternehmen dabei sein wollten. Zwar sagt mir keiner der Namen in der TOC was, aber das heißt nichts.
 
Die radikalen Rechten sind also keine bloßen Fringe-Gestalten in der Sword & Sorcery - Gemeinde. In ihrem Kommentar zur Flashing Swords - Katastrophe schrieb S&S - Autorin Angeline B. Adams im August 2020:
This genre went through a major schism not so many years ago. People made statements, chose sides, left discussion groups, and in some cases ended friendships.
Ich nehme an, diese Spaltung vollzog sich im Zusammenhang mit der Hugokalypse von 2015. Sowohl die Sad als auch die Rabid Puppies spielten sich ja als Verteidiger des glorreichen Pulp-Erbes gegen eine Kamarilla verkopfter und elitärer linker Ideologen auf, die die einst so lebendige und bunte SF&F in eine graue Ödnis politisch korrekter "message fic" verwandelt habe. Dass sich davon auch eine Reihe von Sword & Sorcery - Fans angesprochen fühlten, verwundert mich ehrlich gesagt nicht.  Vor allem unter denen, für die das Genre ausschließlich aus Conan und seinen Look-alikes besteht.
 
Meiner Meinung nach darf sich die Reaktion auf diesen rechten Flügel nicht darauf beschränken, zu erklären, dass er sich zu Unrecht als Verteidiger der Traditionen aufspielt. Es stimmt zwar, dass das Bild, das diese Leutchen von der klassischen Sword & Sorcery haben, genauso verzerrt ist wie der Blödsinn von der "unpolitischen" klassischen Science Fiction, den die Puppies seinerzeit so gerne ins Feld geführt haben. Und es kann z.B. nie schaden, immer mal wieder hervorzuheben, dass am Anfang des Genres eben nicht nur Über-Macho Conan, sondern auch C.L. Moores amazonische Jirel of Joiry stand. Oder dass die S&S der 60er und 70er nicht nur aus Clonans wie Brak oder Kothar bestand. Genau das versuche ich hier ja immer wieder zu tun.
 
Zugleich jedoch sollte man anerkennen, dass gerade Robert E. Howards Conan-Stories eine Reihe von Motiven enthalten, die tatsächlich als Anknüpfungspunkte zur Weltsicht und Mentalität rechter Kreise dienen können. Damit meine ich weniger den Rassismus, der dafür fast schon etwa zu krude wirkt, und mehr die Vorstellungen von "Männlichkeit", den "rugged individualism", die Verachtung für die "dekadente Zivilisation" usw. Selbst einige der eher anarchisch anmutenden Elemente ließen sich durchaus mit einer rechten Weltanschauung verknüpfen. Das gilt in besonderem Maße für die USA, wo es in der radikalen Rechten ja starke "antistaatliche" Strömungen gibt, deren Wurzeln wohl in einer Mischung aus alten Südstaatentraditionen (11), libertärer Ideologie und dem typisch kleinbürgerlichen Misstrauen gegenüber allen "großen" Organisationen liegen.
 
Das anzuerkennen, bedeutet nun aber nicht, dass man die Conan-Stories in alter Manier als "faschistoid" verdammen müsste. Selbst was diese scheinbaren Berührungspunkte angeht, tut die Vereinnahmung der Geschichten durch die extremen Rechten diesen meiner Meinung nach Gewalt an. (12) Aber es zeigt doch, dass man "Klassiker" wie Howard mit einem kritischen Auge lesen sollte. Blind-begeistertes Fanboytum ist unangebracht. Man muss die Stories als das sehen, was sie sind, "warts and all". Kritische Lektüre, Reflexion und Auseinandersetzung. Dies scheint mir der einzig sinnvolle Umgang mit der Tradition zu sein. Und zugleich die beste Antwort sowohl auf die undifferenzierten Verdammungsurteile als auch auf die rechten Vereinnahmungsversuche.  
 
Und zumindest ich habe die Erfahrung gemacht, dass das keineswegs dazu führen muss, dass man keinen Spaß mehr mit den Stories haben kann.  


 

(1) Ja, der Cimmerier ist dunkelhaarig und vom Typ her eher "keltisch" als "nordisch", aber manch Kritiker hat ja auch in Tolkiens schwarzhaarigen Elben "arische Übermenschen" sehen wollen ...

(2) Zit. nach: Zauberspiegel Online.

(3) Zit. nach: Hardy Kettlitz & Christian Hoffmann: Fritz Leiber. Schöpfer dunkler Lande und unrühmlicher Helden. S. 5.

(4) Peter Wilfert (Hg.): Goldmann Fantasy Foliant I. S. 11f.

(5) FerretBrain wurde 2019 eingestellt und die Website existiert nicht länger. Doch der Artikel hat sich glücklicherweise auf dem persönlichen Blog von Arthur B. erhalten.

(6) The Barbarian findet sich aktuell in Lisa Yaszeks Anthologie The Future is Female! (2018) und in Jeff & Ann VanderMeers Big Book of Modern Fantasy (2020) neu abgedruckt. The Adventuress in Paula Gurans Swords Against Darkness (2017). Was deutschsprachige Übersetzungen angeht, wurde der Kurzroman Picnic on Paradise bei Droemer Knaur unter dem Titel Alyx (1983) herausgegeben. Übersetzungen von  I Gave Her Sack and Sherry, The Adventuress und The Second Inquisition erschienen in Band 3 und 7 der Damon Knight's Collection (1972) im Fischerverlag.  

(7) Ich kann es übrigens vollkommen verstehen, wenn man keine von MZB geschriebenen Bücher mehr in die Hand nehmen will. Dafür gibt es gute Gründe, und in diesem Fall empfinde ich sogar ähnlich. Aber das sollte nicht dazu führen, dass man die positive Rolle, die sie als Herausgeberin für die Entwicklung des Genres gespielt hat, unter den Tisch fallen lässt. Das wäre vor allem äußerst unfair gegenüber all den Autor*innen, deren Stories auf den Seiten von Sword & Sorceress erschienen sind.

(8) Dass in der deutschen Rollenspielwelt ein derartiges Bild der Sword & Sorcery -- und damit einhergehend entsprechende Sicht- und Verhaltensweisen --  nach wie vor weit verbreitet sind, will ich freilich gar nicht anzweifeln.   

(9) Für alle, die das Glück hatten, die Puppy-Saga nicht live miterleben zu müssen, hier eine kurze Zusammenfassung: Die Bewegung der "Sad Puppies" nahm ihren Ausgang allem Anschein nach vom verletzten Ego des SciFi - Autors Larry Correia, der fest damit gerechnet hatte, 2011 den John W. Campbell - Award (inzwischen in Astounding umbenannt) zu gewinnen, was ihm nicht vergönnt war. 2013 startete er die erste SP - Kampagne mit dem erklärten Ziel, sich selbst einen Hugo zu bescheren. Er stellte dies als Rebellion des hart arbeitenden Pulp-Autoren gegen ein von versnobten "literati" dominiertes Establishment dar. Die politische Komponente stand dabei noch nicht im Zentrum, war aber bereits vorhanden, denn die "literati" bevorzugten offenbar "heavy handed message fic". 2014 wiederholte Correia seine Aktion. Erneut war der Slogan: "Make literati heads explode". Doch diesmal ging es um mehr als bloß eine besonders aggressive Werbekampagne für seine eigene Nominierung. Correias "Wahlliste" ("Slate") enthielt neben seinem eigenen Roman Warbound u.a. Werke von Brad Torgersen, Sarah Hoyt und Theodore Beale / Vox Day. Die "Sad Puppies" waren dabei, eine Art Sammelbewegung der rechten und konservativen Elemente in der amerikanischen SF&F zu werden. Dass Correia bereit war, dabei ein Bündnis mit dem allgemein verachteten Vox Day einzugehen, ließ tief blicken. Und dass Beale es tatsächlich unter die Finalisten schaffte, war zugleich ein Beleg dafür, dass die Taktik der "Sad Puppies", mittels der Bildung eines Wahlblocks den Hugo zu kapern, Aussicht auf Erfolg hatte. Und so dämmerte schließlich das Jahr der großen Hugokalypse herauf. Unter ihrem neuen Führer Brad Torgersen entwickelten die "Sad Puppies" eine rege Aktivität. Sie wurden dabei zum Sprachrohr für alle rechten Ressentiments, die in Teilen des SFF-Fandoms gegen die angebliche "Dikatur" von "Politisch Korrekten", SJWs, Feministinnen und anderem linken Gelichter existierten. Keine Woche verging, ohne dass nicht irgendwelche Schlammschlachten in den Weiten des englischsprachigen SFF-Internets ausgefochten worden wären. Theodore Beale derweil hatte sich von den SPs abgespalten und seine eigene Bewegung gebildet, die offen faschistischen "Rabid Puppies". Beiden zusammen gelang es tatsächlich, den Hugo mit ihnen genehmen Finalist*innen zu überfluten. Was am Ende dazu führte, dass im August 2015 auf der Worldcon in Spokane/Washington reihenweise "No Awards" verliehen wurden. Der (zweifelhafte) Triumph der "Puppies" war allerdings auch der Beginn ihres Niedergangs. Zumindest als organisierte Bewegung. Ihre Führer & Führerinnen ebenso wie das von ihnen repräsentierte Gedankengut sind natürlich auch weiterhin virulent. Kurz gesagt: Die "Puppies" waren so etwas wie das "Gamergate" der amerikanischen SF&F.       

(10) Für genauere Infos zu dem Cimmerian - Debakel siehe diesen Blogpost von Al Harron. Zu den Autoren, die sich darafhin von dem Blog distanzierten, gehörte auch Howard - Biograph Mark Finn. Der "Sword-and-Sorcery expert Morgan Holmes", dessen "Ehre" Leo Grin damals gegen die bösen SJWs "verteidigte", schreibt bis heute wöchentliche Beiträge für den Blog von Theo Beales Verlag Castalia House.

(11) Ich denke da u.a. an die historische Rolle der "States' Rights" - Doktrin und an das in Zusammenhang mit der "Lost Cause" - Mythologie stehende Bild der "Reconstruction" - Ära als einer Invasion des Südens durch Yankee-Besatzer und Horden räuberischer "Carpetbaggers".

(12)  Als ich vor zweieinhalb Jahren begann, die "Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure" - Artikel zu schreiben, erklärte ich gleich zu Anfang, dass ich den Cimmerier dabei erst einmal beiseite lassen würde. Ein Grund dafür war, dass ich den Blick meiner Leser*innen auf einige weniger bekannte Beispiele früher Sword & Sorcery lenken wollte. Aber  ich hatte ehrlich gesagt auch nur wenig Lust, mich an eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Conan - Geschichten zu setzen. Nicht weil sie mir in Gänze zuwider wären, sondern weil der Anspruch an mich selbst der gewesen wäre, sie zugleich kritisch, aber auch fair zu behandeln. Denn ganz wie ihr Schöpfer sind sie in meinen Augen vielschichtig und widersprüchlich, enthalten abstoßende, aber auch anziehende Elemente. Um ihnen gerecht zu werden, hätte ich mich erst noch einmal sehr viel intensiver nicht nur mit Leben und Persönlichkeit von Robert E. Howard, sondern auch mit der Geschichte der texanischen Gesellschaft beschäftigen müssen, die ihn formte.  Und in der Zwischenzeit ist auch noch die neue Howard-Biographie Renegades and Rogues von Todd B. Vick erschienen, die ich zuvor erst einmal gelesen haben wollte. Es kann also noch etwas dauern, bis ich mich auf diesem Blog einmal eingehender mit dem Cimmerier beschäftigen werde. Aber irgendwann möchte ich das natürlich schon noch machen.  

Sonntag, 21. März 2021

Strandgut

Freitag, 12. März 2021

Klassiker-Reread: Patricia A. McKillips "Erdzauber" (5/6)

Teil 5: Patricia A. McKillip und die „Erdzauber“-Trilogie. Ein Gespräch

Wie angekündigt kommt nun also der erste Teil des Gesprächs, das Alessandra von FragmentAnsichten und ich anlässlich unseres Rereads von Erdzauber geführt haben und mit dem unsere Mini-Blogserie ihren Abschluss findet.  

In den letzten Beiträgen haben wir uns bereits intensiv mit der US-amerikanischen Fantasyautorin Patricia A. McKillip auseinandergesetzt – mit der Entwicklung derTrilogie, den Bezügen zur keltischen Mythologie und unseren ersten Berührungen mit dem Reich des Erhabenen.

Für alle neu Hinzugekommenen ein kurzer Handlungsabriss: 

Der erste Band der Erdzauber-Trilogie dreht sich um Morgon, den Fürsten eines kleinen Inselstaats, der mit drei Sternen auf der Stirn geboren wird. Als Erwachsener gewinnt er in einem Rätselwettstreit die Krone eines toten Königs und die Hand Rendels, der Prinzessin des Königreichs An. Auf der Reise nach An gerät Morgon jedoch mitten in einen Krieg zwischen Menschen und Gestaltwandlern, einem rätselhaften Volk, das aus dem Meer zu kommen scheint und ein besonderes Interesse an Morgon hegt. Widerstrebend macht der sich nun gemeinsam mit dem Harfner Thod auf den Weg zum Erhabenen, in der Hoffnung, eine Antwort auf die Rätsel zu erhalten, die ihn sein Leben lang begleiten.
Band 2 folgt Rendel, die, als Gerüchte um den Tod Morgons nach An dringen, sich auf die Suche nach diesem Mann macht, dem sie versprochen wurde. Sie wird dabei von Morgons jüngerer Schwester Tristan und von Lyra, einer Art Kriegerprinzessin, begleitet. 
Band 3 bringt den Krieg zwischen Menschen und Gestaltwandlern zu seinem Finale und löst das Rätsel um das verwobene Schicksal von Morgon, Rendel und Thod.

Man merkt schon, die Handlung ist komplex, und sie auf wenigen Sätzen zusammenzufassen, nicht ganz leicht. Entsprechend gibt es weit mehr zu bereden als die Hintergründe des Romans, und wir haben uns nach unserem Reread per Mail über die für uns wichtigsten Punkte ausgetauscht. In den nachfolgenden beiden Beiträgen diskutieren wir entsprechend über das Worldbuilding, die Figuren, das Verhältnis zum Tod und vieles weiteres.

Und einmal mehr eine Warnung: Auch wenn wir versucht haben, relativ allgemein zu bleiben, beinhaltet der Text einige Spoiler.

 

Worldbuilding, Utopie und Nostalgie

PS: Eines der Dinge, die mir bei dieser erneuten Lektüre deutlicher aufgefallen sind als zuvor, ist die Art, in der Patricia McKillip ihr Worldbuilding handhabt. Sie verzichtet vor allem im ersten Band beinahe völlig auf irgendwelche großen Expositionen. Es gibt keinen "Rat von Elrond", keine seitenlangen "Gandalfmonologe", in denen uns die Hintergrundgeschichte der Welt im Detail dargelegt wird. Ihre Figuren lassen einfach hin und wieder einen fremden Namen oder eine Anspielung auf vergangene Ereignisse fallen, ohne dass uns deren Bedeutung sofort erklärt würde. Nur ganz allmählich bildet sich so für uns ein immer klareres Bild der Welt heraus. Und selbst dann bleiben viele Details immer noch eher verschwommen und skizzenhaft. Was ich jedoch gerade für eine der besonderen Stärken von Erdzauber halte. McKillip vermittelt uns ein sehr gutes Gefühl für die Atmosphäre ihrer Welt. An einer katalogisierenden oder chronikhaften Darstellung derselben ist sie hingegen nicht interessiert. Und eine solche würde den Effekt glaub' ich auch eher abschwächen. Nehmen wir als Beispiel die drei Reiche An, Aum und Hel. Wir bekommen ein gutes Gefühl für deren blutige Vergangenheit, für die ständigen Fehden und Feudalkriege zwischen ihnen, die schließlich mit der gewaltsamen Vereinigung unter der Krone von An endeten. Diese Vergangenheit und die mit ihr verbundenen Gefühle von Hass, gekränktem Stolz, Rachsucht, die in den untoten Königen fortleben, sind für die Atmosphäre immens wichtig. All diese Gewalttätigkeit, die nur unruhig unter der Oberfläche des Landes schlummert und jederzeit wieder hervorbrechen kann. Doch die genaue Chronologie dieser Kriege, wann und wo welcher König welche Schlacht geschlagen hat, ist dafür letztlich völlig unerheblich. Und darum erzählt uns MicKillip klugerweise auch gar nichts darüber. 

 

AR: Ich verstehe, was du meinst. Die Welt ist sehr dicht, ohne sich in Erklärungen zu verlieren – und das, obwohl sie voller Kuriositäten steckt, die selbst für geübte Fantasyfans nicht alltäglich sind. Und ich mag es, wie die Figuren mit stoischer Ironie alles Neue aufsaugen. Heere von Toten, die des Nachts über die Felder streifen? Oh, nervig irgendwie, aber na ja, warum nicht. Menschen, die sich in Bäume verwandeln können? Puh, seltsam ist das schon, aber weißt du, drüben in An haben sie Heere von Toten …
All das könnte schnell unglaubwürdig wirken, aber das tut es nie. Mich hat das etwas an die Selbstverständlichkeit des Magischen Realismus erinnert. Diese Welt wurde nicht für die Lesenden geschrieben, sondern für die Figuren, die in ihr leben. In Rezensionen wurde das immer mal wieder als Kritik angebracht, aber ich finde, dass es etwas Faszinierendes hat und für Glaubwürdigkeit sorgt. Ich habe auch gemerkt, dass Themen, die mich an klassischer Fantasy sonst oft stören – der Mangel an Demokratie, die Macht, die dem Landrecht, Liebesverbindungen oder Prophezeiungen zugesprochen wird –, dass sie mir diese Themen hier nicht so stark aufgestoßen sind.

 

PS: „Nicht für die Lesenden, sondern für die Figuren, die in ihr leben“ – Das trifft es ganz wunderbar! Und ja, mir ist es ähnlich gegangen, was die klassischen Versatzstücke der High Fantasy betrifft, von denen mir viele sonst ziemlich gegen den Strich gehen.

Zum Beispiel bevorzuge ich im Allgemeinen ja eher die plebejischen Held*innen der Sword & Sorcery. Und in Erdzauber gehören nun wirklich alle handelnden Figuren der adeligen Oberschicht an, wenn sie nicht gerade Zauberer oder mysteriöse, Jahrhunderte alte Harfner sind. Es gibt nicht mal so was wie einen „Sam Gamdschie“-Charakter. Trotzdem hat mich das nicht groß gestört. Vermutlich weil die ganze Welt eine eher mythisch-märchenhafte Atmosphäre besitzt. Jemand wie Har von Osterland ist halt kein „realistischer“ Feudalherr, sondern eine Art „unsterblicher“ Schamanenkönig, der nicht selten in Wolfsgestalt durch die Wälder seines Reiches streift. Mehr wie eine Figur aus einem finnischen Heldenepos oder so. Was aber wiederum nicht bedeutet, dass McKillips Figuren reine Archetypen wären. Die meisten von ihnen sind lebendig geschilderte Menschen.

Oder das „Landrecht“. Einerseits ist das die Grundlage für eine Art „gottgegebenes“ Herrschertum. Die legitimen Könige besitzen eine magisch-psychische Verbindung zu dem Land, über das sie herrschen. Könnte man ja für ein etwas fragwürdiges Motiv halten. Romantisierung der Adelsherrschaft und so. Aber die große Poesie, die McKillip dieser Bindung verleiht, rückt sie für mich in eine Sphäre, wo eine derartige Kritik irgendwie unpassend erscheinen würde. Magie hat bei ihr ja ganz allgemein sehr viel mit Einfühlen zu tun – Einfühlen in die Natur, die Elemente, Tiere oder andere Menschen. Und das Landrecht ist halt eine der Erscheinungsformen dieser Magie. Das dieses Band zugleich ein Privileg der Herrscher ist, nun ja …

Da fällt mir noch ein eher nebensächliches Worldbuilding-Detail ein, das mir sehr gut gefallen hat: Die Kaufleute. Ganz allgemein spielt ja die Verbindung mit dem Land, der Heimat eine große Rolle in der Trilogie. Die Kaufleute aber werden als eine Art internationalistischer Gemeinschaft beschrieben, in der jeder jeden kennt und für deren Mitglieder Grenzen keine richtige Bedeutung haben. Ist für die Handlung zwar ohne Belang, fand ich aber sehr sympathisch.

 

AR: Generell fand ich diese Ambivalenz spannend, dass einerseits Heimat so eine große Rolle spielt, sie andererseits aber keiner Wertung untersteht. Also du hast an keiner Stelle den Eindruck, dass z. B. die Ritter von Ymris auf die Wachen aus Herun herabschauen würden oder so. Im Gegenteil begegnen sich alle mit großem Respekt. Gäbe es nicht die (für den Großteil der Bevölkerung gleichwohl kaum ersichtliche) Bedrohung durch die Gestaltwandler und den Zauberer Ghisteslohm, das Reich des Erhabenen wäre eine einzige große Utopie. Wobei man natürlich auch berücksichtigen muss, dass wir im Grunde nicht viel wissen über das, was in den Straßen abgeht. Wie du schon sagst, die meisten relevanten Figuren sind Adlige. Vielleicht gibt es in den Gassen von Caerweddin auch jede Menge Armut? Vielleicht hungert die Bevölkerung von Isig, während es sich ihr König in seinem Berg gemütlich macht (wenn er nicht gerade als Baum auf einer Wiese chillt)? Und was liegt überhaupt außerhalb des Reichs des Erhabenen und wie würden die Leute von dort im Reich empfangen? Man weiß es eben nicht; der Zauber, auch der der Harmonie, entsteht durch das Nicht-Gesagte.

Beim Lesen dachte ich manchmal „Hm, solche Fantasy wird heute nicht mehr geschrieben“ und empfand das als schade. Aber ehrlich, ich fände es auch schräg, wenn jemand heute so ein Reich beschreiben und alle kritischen Fragen umschiffen würde. Dass ich das McKillip verzeihe, liegt aber nicht nur am Alter des Buchs (und an den nostalgischen Erinnerungen, die ich damit verbinde), sondern auch an dem sehr poetischen Stil. Schon durch ihn wirkt das ganze Reich einfach Zeit und Welt entrückt, märchenhaft eben. Es gibt auch durchaus einige Stellen, die ich selbst jetzt im Reread, nicht zu 100 % verstanden habe, weil sie so verklausuliert in Bildern und Rätseln beschrieben wurden. Aber auch das macht den Reiz des Buches aus; ich mag es generell, wenn Verfassende den Lesenden ein wenig Eigeninterpretation zutrauen und nicht jedes Rätsel bis zum Ende ausformuliert wird.

 

PS: Völlig idyllisch finde ich die Welt von Erdzauber nicht. Da ist zum Beispiel diese Rebellion in Ymris und es wird, meine ich, irgendwann mal erwähnt, dass solche Fehden und Revolten in dem Land quasi zum Alltag gehörten. Aber das wird nie richtig greifbar, und darum vergisst man es dann auch schnell wieder. Was vermutlich nicht der Fall wäre, wenn wir das Ganze auch mal aus der Perspektive einer Bauernfamilie zu sehen bekommen würden, deren Felder in schöner Regelmäßigkeit von den gepanzerten Reitern des Ritters von Umber verwüstet werden. Das ist dann vielleicht doch eine der Schwächen dieses „ungenauen“ Weltenbaus. Bekommen wir überhaupt je erzählt, wer da warum rebelliert? Und am Ende geht das Ganze ohnehin nahtlos in den großen Krieg der Gestaltwandler gegen den Rest der Welt über.

Ob so eine Art Fantasy heute noch geschrieben werden könnte? Ich weiß nicht. Vermutlich nicht. Und vielleicht ist das sogar ganz gut so. Manchmal denke ich ja, die ganze High Fantasy mit ihrem Auserwählten-Gedöns und so könnte, wenn's nach mir ginge, ruhig sanft entschlafen. Aber vielleicht ist sie das ja auch schon längst? Ich bin da nicht so auf dem Laufenden. Andererseits bin ich sehr froh, dass es Bücher wie Erdzauber gibt.


AR: Na ja, rein von der Atmosphäre her hatte ich durchaus einige Assoziationen zur Gegenwarts- High-Fantasy, beispielsweise zu Oliver Plaschkas „Das Licht hinter den Wolken“ oder Brandon Sandersons „Der Weg der Könige“. Trotzdem merkt man diesen Titeln an, dass sie mit einem anderen zeitgeistlichen Mindset geschrieben wurden, da steht ein anderes Diskursbewusstsein hinter. Beispielsweise ist Erdzauber lange vor der nihilistischen Grimdark-Welle erschienen, wodurch das Buch im direkten Vergleich zu heutiger High Fantasy sehr „harmlos“ wirkt. Aber ich empfinde das als angenehme Abwechslung.

Die von dir erwähnte Rebellion hatte ich als reines Ablenkungsmanöver der Gestaltwandler interpretiert, aber das ist auch so einer dieser Punkte, bei denen ich mir nicht sicher bin, wie viel nun von den Gestaltwandlern und wie viel von den Menschen ausgeht. Ähnlich geht es mir mit den Räubern, die in Band 3 mehrmals Morgon und Rendel auflauern. Später wird erwähnt, dass unter ihnen Gestaltwandler waren – aber was ist mit den anderen? Haben sie aus eigenem Willen gehandelt oder standen sie unter dem Bann der Gestaltwandler? Generell wurde mir nie ganz klar, wie weit der Einfluss der Gestaltwandler auf die Menschen bleibt und wie die überhaupt ticken. Aber dass wir so wenig über sie erfahren, war ja wiederum Teil des Bedrohungsgefühls.

 

Morgon, Thod und Rendel: Figuren und ihre Beziehungen zueinander

 
AR: Während ich diese Auslassung also verzeihen kann – auch wenn sie mich am Ende ein bisschen unbefriedigt zurückgelassen hat –, gibt es aber einen Punkt, bei dem mich das nicht Beschriebene wirklich nachhaltig gestört hat: Ich denke da an die Freundschaft zwischen Morgon und Thod. Diese ist für die Handlung sehr zentral, vor allem, um Morgons Motivation im dritten Band nachzuvollziehen. Aber genau hier liegt für mich ein Bruch; ich kann Morgons Motivation nicht nachvollziehen, weil ich seine Beziehung zu Thod nicht verstehe. In Band 3 gibt es z. B. diese Stelle, wo Thod über Morgon erzählt:

Ich wusste so wenig wie Ihr, dass [Morgon] in mir eine Zuneigung erwecken sollte, die der Liebe gefährlich nahe kam.“

Aber wo sieht man diese Zuneigung denn mal? Dass sie nie wirklich dargestellt wird, verwundert mich umso mehr, weil das bei anderen Figuren durchaus geklappt hat: Morgon und Astrin? Bis heute eine meiner liebsten Bromances! Lyra, Rendel und Tristan? Auch hier stimmt die Chemie (obwohl mir die Beziehung von Lyra und Rendel in Teil 3 ein paar Fragezeichen beschert hat, aber ich will gerade nicht ablenken). Ebenso ist da was Greifbares zwischen Lyra und Morgon, und die Geschwisterpaare fand ich ebenfalls überzeugend. Aber Thod und Morgon kamen mir in Band 1 – dem für ihre Beziehung prägenden Band – eher wie eine Zweckgemeinschaft vor. Man könnte argumentieren, dass ihre Zuneigung zueinander Teil der ominösen Kräfte ist, die beider Schicksal aneinander binden, aber auch dann müsste sie doch mal gezeigt werden. Nicht einmal in ihren endlosen Rätselspielen kann ich etwas finden, was auf ein tiefes Band erweisen würde. Wie kam das bei dir an?

 

PS: Das hat mich wohl nicht ganz so stark irritiert wie dich. Aber ich stimme dir zu, dass da etwas Entscheidendes fehlt.

Mein Eindruck war eigentlich die ganze Zeit über, dass Morgon deshalb so fixiert auf den Harfner ist, weil dieser für ihn das Rätsel um seine eigene Bestimmung verkörpert. Wer ist der Sternenträger? Welche Rolle hat er im Schicksal der Welt zu spielen? Thod scheint die Antworten darauf zu kennen, auch wenn er es vorzieht, sich in Schweigen zu hüllen oder in Rätseln zu sprechen. Zwar sträubt sich Morgon anfangs heftig dagegen, seine Bestimmung anzunehmen, aber er kann ihr letztlich nicht entkommen. Und deshalb ist er irgendwie auch immer an den Harfner gebunden.

Soweit fand ich das eigentlich recht nachvollziehbar. Und es hat für mich auch als Motivation für Morgons Handeln ausgereicht. Doch dann ist in Band 3 plötzlich davon die Rede, dass seine Liebe zu Thod der Grund dafür sei, warum er sich nicht von ihm lösen kann. Und da hab ich mich dann ebenfalls gefragt: Wo kommt das denn plötzlich her? Denn ganz wie du habe auch ich nie ein derartiges Band zwischen den beiden wachsen gesehen. Ist auch einer der Gründe, warum mich das große Finale so kalt lässt. Da fehlt mir einfach eine nachfühlbare emotionale Basis.

Was wirklich schade ist, denn die allermeisten zwischenmenschlichen Beziehungen in Erdzauber funktionieren für mich eigentlich sehr gut. Morgon & Astrin, Morgon & Lyra, das wunderbare Trio Rendel – Lyra – Tristan (von dem ich gerne mehr gesehen hätte) ... Da bin ich ganz bei dir. Gut gefallen hat mir auch die Darstellung der Familien: Morgon und seine Geschwister; Rendel, ihre Brüder und ihr Vater Mathom; Lyra und ihre Mutter. Vor allem in den ersten beiden Familien kommt es immer wieder zu ziemlich heftigen Konflikten zwischen sehr eigenwilligen Persönlichkeiten. Aber am Ende wird stets deutlich, dass sie trotz allen Geschreis und Gezankes eine tiefe Liebe zueinander verbindet. Das fand ich glaubhaft und auch schön.

Aber dann ist da natürlich noch die „große Liebe“ zwischen Morgon und Rendel, auf der ein Gutteil der Handlung basiert. Und die fand ich denn doch etwas fragwürdig. Denn realistisch betrachtet besitzt sie doch nur ein sehr schmales Fundament, oder?

 

AR: Diese Liebesgeschichte hatte ich tatsächlich problematischer abgespeichert, als ich sie nun eigentlich fand ;) In meiner Erinnerung war es wirklich so, dass sich Rendel instant in Morgon verliebt, weil er sie „gewonnen“ hat und ihm nachreist, obwohl er sich nicht groß um sie schert. Jetzt beim Reread kam mir Rendel aber deutlich unabhängiger vor. Die meisten ihrer Entscheidungen basieren darauf, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und nicht mehr in An darauf warten will, dass andere über sie bestimmen. Und wenn sie schon diesem Morgon versprochen wurde – einem Kindheitsfreund von ihr –, dann will sie wenigstens selbst herausfinden, was mit ihm passiert ist (zu Anfang von Band 2 glaubt sie ja, er sei tot). Als die beiden dann aufeinander treffen, sind sie zwar rätselhafterweise einander direkt in tiefer Zuneigung zugetan, aber wenn man von diesem plötzlichen Start einmal absieht, finde ich ihre Beziehung sogar recht überzeugend – vor allem, weil sie weniger einer Romanze ähnelt, sondern mehr einer tiefen Freundschaft, was mir immer sympathischer ist. Zudem verbringen die beiden realistisch viel Zeit damit, sich zu streiten.

Aber auch hier hat mich wiederum Band 3 enttäuscht. (Generell merkt man vielleicht, dass ich Band 1 und 2 deutlich mehr zugetan war …) Einerseits ist Morgon hier sauer, wenn Rendel ihn begleitet, aber andererseits ist er auch gleich verstimmt, wenn sie mal etwas ohne ihn macht. Und dann haut er zum drölftausendsten Mal in die drölftausendste Einöde ab und WIEDER läuft Rendel ihm nach und muss ihn liebevoll dazu bringen, doch mal den Arsch hochzubekommen. Normalerweise finde ich Morgons konstante Zweifel und auch seine Schwächen sehr sympathisch (fand es etwa nett, wie er einfach losgeheult hat, als er bei einem Rätsel nicht weiterwusste – feel you, Morgon!), aber irgendwann wurde es anstrengend, vor allem in Bezug auf die Beziehung zu Rendel.

 

PS: Okay, dann sind wir, was die Liebesgeschichte betrifft, wohl doch mehr oder weniger im selben Boot. Ich hatte zwar wie gesagt etwas Probleme damit, zu akzeptieren, dass da urplötzlich diese unglaublich starke Bindung zwischen den beiden bestehen soll, obwohl vorher doch höchstens eine Art Teenager-Verknalltheit aus Studententagen bestanden hatte. Aber dieses Problem einmal via „suspension of disbelieve“ aus dem Weg geräumt, bin ich mit der Beziehung selbst eigentlich auch ganz gut klargekommen. Die Sache mit der Krone, deren Gewinner die Hand der Prinzessin erhält, wird von allen für eine verrückte Idee des exzentrischen Mathom gehalten und spielt für das Miteinander der beiden kaum eine Rolle. Da sie beide recht starrköpfig sein können, sind sie nur selten „ein Herz und eine Seele“. Und im Grunde werden sie ja nie ein „richtiges“ Paar im konventionellen Sinne. Rendel weigert sich beharrlich, Morgon zu heiraten, und wie ihre gemeinsame Zukunft letztlich aussehen wird, bleibt auch am Ende der Trilogie ziemlich offen.

 

Den zweiten Teil unseres Gesprächs bekommt ihr dann am Montag auf Alessandras Blog zu lesen.

Dienstag, 9. März 2021

Klassiker-Reread: Patricia A. McKillips "Erdzauber" (3/6)

Teil 3: Lektüre-Rückblick

Dies ist der dritte Teil einer kleinen Artikelserie, die Alessandra von FragmentAnsichten und ich anlässlich unseres Rereads von Patricia McKillips Erdzauber veranstalten. Im ersten Teil habe ich mich mit dem genrehistorischen Kontext beschäftigt, in dem die Trilogie Ende der 70er Jahre erschien. Danach hat sich Alessandra auf ihrem Blog mit Motiven der inselkeltischen Mythologie auseinandergesetzt, die sich in Erdzauber finden. Anschließend wollten wir beide eigentlich etwas über unseren Erstkontakt mit der Trilogie berichten. Alessandra hat das auch getan. Bei mir sieht es ein bisschen anders aus.     

Eigentlich sollte es in diesem Beitrag ja um die allererste Begegnung mit Erdzauber gehen. Aber um ehrlich zu sein, kann ich mich da an nicht mehr allzuviel erinnern, und der Artikel wäre noch kürzer und ziemlich nichtssagend ausgefallen. So werde ich denn stattdessen über meine drei früheren Lektüren berichten, die jeweils im Abtand von ungefähr 10 Jahren stattgefunden haben und in deren Verlauf sich mein Blick auf Patricia McKillips Trilogie mehr und mehr gewandelt hat.

Erdzauber erschien erstmals 1981 in Deutschland bei Goldmann in einer Übersetzung von Mechtild Sandberg. Ich nehme an, es war eine etwas spätere Auflage, die mich in der ersten Hälfte der 80er zum ersten Mal ins Reich des Erhabenen entführte. Auf jedenfall war die Lektüre Teil meiner ersten "Fantasyphase", die mit Michael Endes Unendlicher Geschichte begonnen hatte, dann aber vor allem vom Herr der Ringe und allem anderen, was ich von Tolkien in die Finger kriegen konnte, geprägt worden war. 
Wie gesagt habe ich keine starken Erinnerungen daran. Ich weiß noch, dass mich die Rätselgeschichten faszinierten, die immer mal wieder in die Handlung eingestreut sind. Vor allem eine von ihnen, die von einem Mann erzählt, der sich unwissentlich von seinem größten Feind einmauern lässt, in dem Irrglauben, die Mauer diene seinem Schutz. Das brachte ich irgendwie mit eigenen Gefühlen von Ausgegrenztheit, Angst und Isolation in Verbindung. Doch abgesehen davon, scheint mich Erdzauber nicht besonders stark beeindruckt zu haben. Aber hey, ich war 10/11 Jahre, und in dem Alter hat man sicher nicht den feinsten literarischen Geschmack.
       
Deutlich anders schaute es aus, als ich die Trilogie Mitte der 90er Jahre erneut zur Hand nahm. In der Zwischenzeit hatte ich mich weitestgehend von der Phantastik abgewandt und jahrelang in anderen literarischen Gefilden getummelt. Erdzauber dürfte eines der ersten Fantasybücher gewesen sein, dem ich mich erneut zuwandte. Und ich war ziemlich begeistert. 
Aus heutiger Sicht wundere ich mir zwar ein bisschen darüber, aber alle unkonventionelleren Wendungen in der Handlung überraschten mich wirklich und ich brauchte fast bis zum Ende des Romans, um die wahre Natur Thods und die Rolle des Sternenträgers zu enträtseln. Wahrscheinlich war mein Bild von epischer Fantasy zu diesem Zeitpunkt noch völlig von den geradlinigen High Fantasy - Romanen geprägt, die einen Gutteil meiner Kindheitslektüre gebildet hatten. Jedenfalls fand ich Erdzauber bei dieser zweiten Begegnung extrem packend. Auch wenn ich leider etwas bezweifle, dass die Trilogie auf jüngere Lesende heute noch so wirken würde.
 
Meine dritte Begegnung muss sich irgendwann in den 2000ern abgespielt haben. Inzwischen befand ich mich tief in meiner zweiten "Fantasyphase". Und diesmal waren es nicht länger irgendwelche Plottwists, sondern vor allem die poetische Sprache, die mich begeisterte. Eng damit verbunden außerdem die Art, in der Patricia McKillip Magie darstellt. Bis heute würde ich sagen, dass sie in dieser Hinsicht eine meiner absoluten Favoritinnen in der phantastischen Literatur ist.
Es ist vielleicht etwas unfair, die Verantwortung dafür ausschließlich auf D&D abzuwälzen. Schließlich hatte Gary Gygax da sehr viel von Jack Vances Tales of the Dying Earth geklaut. Dennoch glaube ich, dass das Aufkommen von RPGs sehr viel dazu beigetragen hat, die Idee von "Magiesystemen" in der Fantasyliteratur zu verbreiten. Und mit denen hab' ich so meine Probleme. Es sei denn, Magie wird in der Erzählung bewusst als ein Analog für Technik verwendet. Andernfalls führen sie in meinen Augen gar zu oft dazu, dieselbe ihrer zauberhaften Aura zu berauben und sie banal erscheinen zu lassen.
Wie dem auch sei, in Erdzauber jedenfalls hat Magie nichts mit dem Herunterbeten irgenwelcher Formeln oder dem Herumfuchteln mit Zauberstäben zu tun. Es geht dabei vor allem um Einfühlen – Einfühlen in die Natur und die Elemente, in andere Lebewesen und Personen. Und McKillip versteht dies auf wunderbare Weise zu beschreiben. Man nehme etwa die folgende Schilderung von Morgons erster Verwandlung in einen Baum:
Er rührte sich nicht. Die Kälte begann ihn zu quälen und verging, als die Stille greifbar wurde, mit seinem Atem und seinem Herzschlag pulsierte, in seine Gedanken und in seine Knochen einsickerte, bis er sich ausgehöhlt fühlte, eine Hülle winterlicher Stille. Die Bäume, die ihn umringten, schienen eine Wärme einzuschließen, die vor dem Winter schützte wie die Steinhäuser von Kyrth. Als er lauschte, hörte er plötzlich das Rauschen ihrer Adern, die aus den Tiefen unter dem Schnee und unter der hartgefrorenen Erde Leben sogen. Er fühlte sich angewurzelt, in den Rhythmus des Berges eingebunden; sein eigener Rhythmus wurde still, verlor sich, aller Erinnerung fern, in der Stille, die ihn formte. Ein Wissen ohne Worte durchpulste ihn von zeitlosem Alter, von grimmigen Stürmen, vom Beginn und vom Ende der Jahreszeiten, von einem geduldigen, ruhigen Warten auf etwas, das tiefer lag als Wurzeln, das tiefer als das Herz des Berges Isig in der Erde schlief, das eben zu erwachen begann ...
Es gab zwar auch in der Welt von Erdzauber einmal eine Art Magierakademie. Aber mit ziemlicher Sicherheit sollten wir uns die Schule von Lungold nicht wie ein zweites Hogswart (oder auch nur Roke) vorstellen. 
Wenn Morgon  von König Har die Kunst lernt, sich in eine der rentierartigen Vesta zu verwandeln, sind die Parallelen zu einem schamanistischen Ritual sehr offensichtlich. Die beiden verbringen mehrere Tage und Nächte in einer Art Schwitzhütte. Morgon muss seinen Geist dem Geist des Wolfskönigs öffnen, bis es ihm unter dessen Anleitung schließlich gelingt, sich in das Wesen des Landes und der herumstreifenden Vesta einzufühlen. Zum Abschluss werden ihm zwei Male in die Handflächen eingebrannt.

Wenn ich so auf meine drei früheren Lektüren von Erdzauber zurückschaue, wird mir klar, dass ich Patricia McKillips Trilogie bei jedem erneuten Lesen tiefer zu schätzen gelernt habe. Und das, obwohl ich über die Jahre eigentlich eine immer kritischere Einstellung gegenüber klassischen High Fantasy - Erzählungen entwickelt habe. Meine Erfahrung war also das genaue Gegenteil der typischen ernüchternden Wiederbegegnung mit einer nostalgisch verklärten Kindheits- oder Jugendlektüre. 
 
Und auch bei meinem dritten Reread sind mir wieder andere, bislang nicht so bewusst wahrgenommene Facetten ins Auge gestochen, die meine Wertschätzung für diesen Klassiker erhöht haben. Doch darauf komme ich in dem abschließenden Gespräch mit Alessandra zu sprechen, dessen zwei Teile wir (wenn alles klappt) am nächsten Freitag & Montag veröffentlichen werden ...    

Samstag, 6. März 2021

Strandgut

Mittwoch, 3. März 2021

Klassiker-Reread: Patricia A. McKillips "Erdzauber" (1/6)

Teil 1: "Erdzauber" im Kontext seiner Zeit

Im Dezember 2019 taten sich Alessandra von FragmentAnsichten und ich erstmals zu einem gemeinsamen Klassiker-Reread zusammen. Unsere Wahl fiel dabei auf Joy Chants Kurzroman Wenn Voiha erwacht, und am Ende stand ein zweiteiliges Gespräch, das wir auf unseren beiden Blogs veröffentlichten. Wir hatten viel Spaß damit, und so war es wohl bloß eine Frage der Zeit, bis wir erneut ein derartiges Projekt angehen würden. Diesmal entschieden wir uns für Patricia A. McKillips Erdzauber - Trilogie, mit der wir beide ziemlich positive Erinnerungen verbanden. Schon bald zeigte sich, dass wir mehr über diese Bücher zu sagen hatten, als man vernünftigerweise im Rahmen eines Gesprächs abhandeln konnte. Und so wuchs sich das Ganze schließlich zu einer Art "Miniserie" aus, deren sechs Bestandteile im Verlauf der nächsten zwei Wochen auf unseren Blogs erscheinen werden. Das eigentliche Gespräch wird dabei den Abschluss bilden.

Erdzauber* erzählt die Geschichte von Morgon und Rendel. Morgon, der Fürst des kleinen, bäuerlichen Reiches Hed, trägt seit seiner Geburt ein mysteriöses Sternenmal auf der Stirn. Nachdem seine Eltern bei einem Schiffbruch ums Leben gekommen sind, macht er sich zusammen mit dem Harfner Thod zum fernen Erlensternberg auf, dem Sitz des gottähnlichen "Erhabenen", um die Bedeutung dieser Sterne zu ergründen. Im Verlauf seiner Queste muss er erkennen, dass er Träger einer jahrhundertealten Bestimmung ist und in den (scheinbar) aus dem Meer stammenden Gestaltswandlern tödliche und erbarmungslose Feinde besitzt.
Im zweiten Teil begibt sich die Königstochter Rendel von An, die aufgrund eines Schwurs ihres Vaters Morgon "versprochen" wurde, auf die Suche nach dem inzwischen verschwundenen (oder sogar toten?) Sternenträger. Dabei wird sie von der amazonenhaften Lyra und Morgons jüngerer Schwester Tristan begleitet. Auf ihrem Weg zum Erlensternberg muss sich Rendel einem ebenso machtvollen wie beunruhigenden Erbe stellen, das in ihr schlummert.
Im dritten Band schließlich, der Morgon und Rendel zusammenführt, werden die großen Rätsel gelüftet und die Schlacht um das Schicksal der Welt ausgefochten.
 
Wie unschwer zu erkennen, ist Erdzauber ein klassisches High Fantasy - Questen - Epos. Erschienen zwischen 1976 und 1979 ist die Trilogie sogar einer der ersten Vertreter dieses Subgenres in der Post-Tolkien-Ära, entstanden lange bevor Endlos-Epen wie Shannara, Belgariad, Mithgar oder The Wheel of Time die Fantasyliteratur zu dominieren begannen. In meinem Einführungsbeitrag möchte ich mir deshalb einmal etwas genauer anschauen, welchen Platz Patricia McKillips Werk in der historischen Entwicklung der amerikanischen Fantasy einnimmt, die schließlich in den High Fantasy - Boom der 80er Jahre einmünden sollte.               

1965 erschien der Lord of the Rings erstmals im Taschenbuchformat in den Vereinigten Staaten zuerst in einer unlizensierten Ausgabe bei Ace, dann in der autorisierten Fassung bei Ballantine Books. Schon bald rollte eine Welle der Tolkienbegeisterung über das Land, die vor allem große Teile der unruhig und rebellisch gewordenen Jugend und Studentenschaft der Hippie- und Counter Culture - Ära erfasste. Hunderttausende von Exemplaren der Bücher wurden verkauft. Alsbald entstanden erste Fanorganisationen wie die Tolkien Society of America (1965), die Tolkien and Fantasy Society (1966) und die Mythopoetic Society (1967). Im September 1970 wurde die erste Mythcon in Claremont (Kalifornien) abgehalten.

Angesichts dessen verwundert es ein wenig, dass nicht in kürzester Zeit Fantasyromane erschienen, die sich am Vorbild des Lord of the Rings orientierten. Vielmehr erlebte die Sword & Sorcery, die schon seit einigen Jahren vor allem auf den Seiten von Cele Goldsmiths Magazin Fantastic (und 1966 in Jack Vance' zweiter Dying Earth - Anthologie) eine Art Renaissance feiern konnte, im Anschluss an die Neuauflage von Robert E. Howards Conan - Stories bei Lancer Books ab 1967/68 noch einmal einen gewaltigen Aufschwung. Für mindestens weitere zehn Jahre würde dieses Subgenre den amerikanischenm Fantasymarkt dominieren.

Bei Ballantine Books war man selbstverständlich brennend daran interessiert, den Erfolg des Lord of the Rings mit einem anderen Buch zu wiederholen. Was letztlich zur Entstehung der Ballantine Adult Fantasy - Reihe (1969-74) führte. Deren Bedeutung für die Entwicklung des Genres ist natürlich unbestreitbar. Sie schuf nicht nur eine Art literarischen Kanon, sondern trug auch viel dazu bei, die Genrebezeichnung "Fantasy" im Mainstream zu verankern. Aber sie bestand beinahe ausschließlich aus Neuauflagen älterer Werke. Und erwies sich alles in allem für den Verlag als ein Verlustgeschäft. Die Serie verkörperte nicht die "angesagte" Phantastik des Tages. Von den wenigen originären Beiträgen lässt Joy Chants Red Moon and Black Mountain (1971) zwar in der Tat sehr deutlich den Einfluss von Tolkien (und C. S. Lewis) erkennen, aber das Buch war ganz sicher kein Trendsetter. Andere Fantasyromane der späten 60er und frühen 70er, die abseits der Sword & Sorcery standen, wie etwa Peter S. Beagles The Last Unicorn (1968) oder Ursula K. Le Guins Earthsea - Trilogie (1968-72) verraten jedenfalls kaum tolkienschen Einfluss. 

Der Questen - Fantasy à la Lord of the Rings am nächsten stand in diesen Jahren vermutlich Lloyd Alexanders Prydain - Zyklus (1964-69), doch dessen Teile erschienen als Kinderbücher. Dennoch ist es vielleicht kein Zufall, dass allem Anschein nach er der erste war, der den Begriff "High Fantasy" in einem Vortrag benutzte, den er im Oktober 1969 vor der "New England Round Table of Children's Librarians" hielt und dessen Inhalt 1971 als Essay unter dem Titel High Fantasy and Heroic Romance veröffentlicht wurde. 
Freilich ging es Alexander in ihm nicht darum, die Bezeichnung für ein Subgenre zu prägen. Solche klaren Abgrenzungen waren, wenn überhaupt, gerade erst im Entstehen. Und bis heute besitzen sie bei weitem nicht für jeden dieselbe Relevanz. Patricia McKillip selbst erklärte 2005 in einem Interview mit Drew Bittner auf eine entsprechende Frage über die Erdzauber - Trilogie: "I suppose [it] might be considered 'sword and sorcery'". Was schon etwas witzig wirkt, lässt sich ihr Roman doch unschwer als eines der frühesten Beispiele für die Trendwende identifizieren, die schließlich in den High Fantasy - Boom der 80er Jahre einmündete.
 
Nachdem Ballantine Books von Random House aufgekauft worden war, wurde 1974 die Adult Fantasy Series eingestellt. Im selben Jahr landete auf dem Schreibtisch von Lester und Judy-Lyn Del Rey, die in Zukunft für das Phantastikprogramm des Verlags (Del Rey Books) verantwortlich sein würden, das Romanmanuskript eines unbekannten Autors namens Terry Brooks. Die Del Reys hatten bereits zuvor den Plan ausgeheckt, ihren Einstand bei Ballantine mit einem maßgeschneiderten "Lord of the Rings Lite" zu machen. Ihnen würde gelingen, was Lin Carter mit seiner Klassiker-Serie nicht geschafft hatte! Und Brooks' Manuskript schien dafür das ideale Ausgangsmaterial. Man musste es nur noch ein bisschen ummodeln und stromlinienförmiger machen. Der Autor erklärte sich bereit und so machte man sich an die Arbeit. Wir werden darauf zurückkommen.
 
Ungefähr zur selben Zeit erschien bei Atheneum Books Patricia McKillips zweiter Roman The Forgotten Beasts of Eld. Sie hatte den zwar nicht als Jugendbuch geschrieben, aber der Verlag brachte ihn als ein solches heraus. Sein Publikum fand er jedoch hauptsächlich an anderer Stelle. Denn was niemand erwartet hatte: Das Buch fand begeisterte Aufnahme in der SFF-Gemeinde. Als ein Jahr später zum allerersten Mal der World Fantasy Award verliehen wurde, erhielt The Forgotten Beasts of Eld den Preis für "Best Novel". McKillip hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Verbindungen zur Szene und war entsprechend überrascht, als die Lovecraft-Büste bei ihr eintraf. Wie ihr Ehemann David Lunde später einmal erzählt hat: 
Not having known that there was such an award, and never having heard of H. P. Lovecraft, when she received Lovecraft’s head in the mail her reaction was, “What the #@*!!$ is this?”
Im selben Jahr 1975 erhielt die Autorin von Avon Books das Angebot, eine Taschenbuchausgabe des Romans zu produzieren.          

When my editor called me and told me what the financial offer was for the paperback of Forgotten Beasts, I told her I nearly fell off my chair, and she said, "So did I." It wasn't that big by modern standards, but by those earlier standards it certainly was.

Damit war McKillip der Durchbruch auf den Fantasymarkt gelungen. Als nächstes erschien zwar noch einmal ein YA-Roman von ihr (The Nightgift), doch konnte sie sich nun vor allem der endgültigen Realisierung eines Projektes widmen, mit dem sie sich schon seit gut zehn Jahren beschäftigt hatte: Einer epischen Fantasyerzählung, deren erster Band 1976 bei Atheneum unter dem Titel The Riddle-Master of Hed erschien – Beginn jener Trilogie, die hierzulande erstmals 1981 in der klassisch-schwarzen Goldmann Fantasy - Reihe als Erdzauber veröffentlicht wurde.
 
Ich glaube, es ist nicht ohne Bedeutung, dass Patricia McKillip nicht selbst Teil des SFF-Fandoms war, als sie Erdzauber schrieb. Sie las keine der aktuellen Magazine oder Anthologien, unterhielt keinerlei Kontakte zur Szene (wenn ihr deren Existenz überhaupt bewusst war) und war entsprechend unvertraut mit den vorherrschenden Moden und Strömungen. Selbst von der Ballatine Adult Fantasy - Reihe hatte sie nur wenige Bücher gelesen. Nicht zufällig begann sie ihre Karriere bei Atheneum, einem Verlag, der keine großen Genre-Connections besaß und dessen Phantastiksparte hauptsächlich aus Kinder- und Jugendliteratur bestand. (Bei dem allerdings auch 1970 und '72 Ursula K. Le Guins The Tombs of Atuan und The Farthest Shore erschienen waren.) McKillip war in gewisser Weise eine Quereinsteigerin. Und das kann seine Vorteile haben.

Geboren am 29. Februar 1948 in Salem (Oregon) wuchs Patricia A. McKillip in einem stark katholisch geprägten Umfeld auf. Ihr Vater war Offizier in der Air Force, und als er von 1958 bis 1962 erst in Deutschland, dann in England stationiert war, nahm er seine Familie mit nach Übersee. Irgendwann in dieser Zeit begegnete sie wohl auch zum ersten Mal Fantasy und Science Fiction. Jedenfalls erzählte sie 2010 in einem Gespräch mit Darrel Schweitzer:
I grew up partly overseas, so I had to read what was in the library there, because my dad was in the Air Force, and I would read whatever was on the air bases, which is where I ran into Fritz Leiber. I loved his stories of Fafhrd and the Gray Mouser, and Andre Norton was also very interesting to me, but that was about all there was [...]
Und es sieht nicht so aus, als wäre ihr persönlicher Zugang zur Phantastik besonders stark von diesen ersten Begegnungen geprägt worden. Als sie mit 14 ihre erste "richtige" Geschichte zu Papier brachte, wählte sie bezeichnenderweise die Form des Märchens: 
In a fit of boredom one day when she was fourteen, she sat down in front of a window overlooking a stately medieval church and its graveyard and produced a thirty-page fairy tale.
Das war noch in England. Von da an ließ sie das Schreiben nie wieder ganz sein. "[A]fter I wrote that story, I realized that I'd had an absolutely wonderful time, and that I could do it all over again, and keep doing it. So I pretty much did." Zurück in Amerika und auf der High School begegnete sie zwei weiteren Werken der Phantastik, die nun aber tatsächlich einen bleibenden Einfluss auf sie haben sollten. Das erste war T.H. Whites The Once and Future King, das andere Tolkiens The Lord of the Rings. Vor allem die Lektüre Tolkiens muss eine Art Offenbarung für sie gewesen sein. Sie hatte das Gefühl, als sei ihr die Tür zu einer neuen, faszinierenden, weiteren Welt aufgestoßen worden:
When I was seventeen I stayed up until three in the morning reading Tolkien and was so astonished by it, I think, because I am a post-Baby Boom child and was brought up very rigidly Catholic. So, as a Catholic your mythological world has a wall around it, and Tolkien just tipped that wall right over. He demolished it. He made you feel like the imagination was something you could keep on going through and go through and never find an end to.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet das Werk des tief frommen Katholiken Tolkien eine solch befreiende Wirkung auf die junge Patricia McKillip hatte. Auf jedenfall fühlte sie sich umgehend dazu getrieben, selbst ein vergleichbar episches Werk zu schreiben. Bis zu seiner Vollendung sollten zwar noch zwölf Jahre vergehen, doch der Grundstein für Erdzauber war gelegt.

Vorerst freilich begann McKillip erst einmal ein Literaturstudium, zuerst am katholischen College Notre Dame in Belmont (Kalifornien), dann an der Universität von San Jose. 1971 erwarb sie ihren B.A., 1973 ihren M.A. Die ganze Zeit über hörte sie nicht auf, selbst zu schreiben. Allerdings war phantastische Literatur im akademischen Milieu jener Zeit immer noch ziemlich verpönt. Entsprechend wenig konnten ihre Lehrer und Dozenten mit dem anfangen, was sie zu Papier brachte, wenn sie es zu sehen bekamen. Und auch die paar "Writing Courses", die sie belegte, waren nach ihrer eigenen Einschätzung kaum hilfreich. Der Gewinn, den sie als angehende Schriftstellerin aus dem Studium bezog, bestand wohl hauptsächlich darin, mit einer großen Bandbreite an englischsprachiger Literatur bekannt gemacht zu werden. Und gerade für Genreautor*innen ist es ja äußerst hilfreich, immer mal wieder über die Mauern des eigenen kleinen Ghettos hinauszuschauen. 

Während Patricia McKillip noch an ihrem M.A. arbeitete, erschien bereits ihr erster Roman The House on Parchment Street, der offenbar stark von den Jahren, die die Familie in England gelebt hatte, inspiriert war:

It's about the four hundred year old house that I lived in as a kid over in England, and the priest-hole in the basement, and I imagined ghosts down there. So it had a lot of history and not really a lot of fantasy. But I published that when I was in college, getting my master's degree. I was really, really embarrassed. I'd been reading Henry James and Faulkner and God knows who all, and here I came out with this little YA novel, and was published, and all the teachers were going, "Whoa!" I was going, "Oh, sorry!" [Laughs.]
Für uns interessanter ist allerdings die Novelle The Throme of the Erril of Sherill, die als nächstes herauskam. Denn in ihr zeigte McKillip offenbar erstmals die Neigung, die "Regeln" eines bestimmten Storymodells zu unterlaufen und mit der Erwartungshaltung ihrer Leserschaft zu spielen. 
Wenn sich in einer Märchenerzählung ein Ritter auf eine Queste begibt, darf man annehmen, dass er irgendwann sein Schwert zücken muss, um einige der Herausforderungen, die sich ihm dabei in den Weg stellen, zu überwinden. Doch in The Throme of the Erril of Sherill ist dem nicht so. Und das war eine sehr bewusste Entscheidung:

I was trying to turn the expected on its head. The knight who never needs to fight is not what the reader might expect. Keeping the reader surprised by the unexpected seems more fun to me

Wie wir gesehen haben, existierte das High Fantasy - Modell zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht richtig. Als Vorlage zu Erdzauber diente McKillip ausschließlich Tolkiens Lord of the Rings – und möglicherweise Joseph Campbells "Monomythos", den sie während des Studiums kennengelernt haben dürfte. Und doch spielt sie in ihrer Trilogie stellenweise bereits auf ganz ähnliche Weise mit den Erwartungen der Lesenden. Selbstverständlich ist diese keine "kritische Dekonstruktion" der High Fantasy. Aber sie enthält doch eine Reihe von Wendungen, Figuren, Storyelementen, die ziemlich überraschend wirken, wenn man davon ausgeht, es mit einer klassischen "Heldenreise" zu tun zu haben, was der erste Band erst einmal nahelegt.

Um so trauriger muss es erscheinen, dass nicht Erdzauber zum Anstoß und Vorbild der High Fantasy - Welle der 80er Jahre werden sollte. Denn ein halbes Jahr nach The Riddle-Master of Hed erschien 1977 bei Ballantine Terry Brooks' The Sword of Shannara. Die Del Reys hatten ihren Plan perfekt durchgezogen. Bis hin zu den Illustrationen der Brüder Hildebrandt war alles genauestens darauf abgestimmt, dem Publikum zu suggerieren, einen zweiten Lord of the Rings angeboten zu bekommen. Und die Rechnung ging auf. Der Schmöker fand reißende Abnahme und landete als erstes Fantasybuch überhaupt auf der Bestsellerliste der New York Times.

Derweil erschienen 1977 und 1979 mit Heir of Sea and Fire und Harpist in the Wind die restlichen Bände von McKillips Trilogie. Nun ist es zwar nicht so, dass Erdzauber bewusst übergangen oder beiseite geschoben worden wäre. Die Del Reys selbst brachten vielmehr umgehend Paperback-Ausgaben der Bücher bei Ballantine heraus. Und es sieht so aus, als hätten auch die sich nicht übel verkauft. Dennoch kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es das Erfolgsmodell Shannara war, das dem Boom der 80er den Weg ebnete und ihn prägte.
Womit ich jetzt nicht gesagt haben will, derselbe habe ausschließlich aus kruden Tolkien-Imitaten bestanden. Das gilt ja nicht mal für Terry Brooks' nächsten Shannara - Schinken Elfstones (1982). Aber die überwiegende Mehrheit folgte im Großen und Ganzen wohl schon demselben simplistischen Schema. 
 
Um zu zeigen, inwieweit Erdzauber sich vom Gros der späteren High Fantasy abhebt, ist es hilfreich, sich die Beziehungen verschiedener Autor*innen und ihrer Werke zum Lord of the Rings anzuschauen, dessen Vorbild sie ja alle verpflichtet waren. 
Terry Brooks' Sword of Shannara mag eines der schamlosesten Imitate der Fantasyliteratur sein, aber auch er hatte sich wohl nicht mit dem alleinigen Ziel hingesetzt, einen möglichst leicht vermarktbaren Tolkienklon zu schreiben. Da geb ich ihm den "benefit of the doubt". Eigentlich wollte er Geschichten im Stile der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts – Alexandre Dumas' Drei Musketiere, Arthur Conan Doyles The White Company oder Anthony Hopes The Prisoner of Zendaerzählen. Die Lektüre Tolkiens gab ihm dann die Idee, dass eine Fantasywelt der ideale Rahmen wäre, um seinen Stories eine epische Dimension zu verleihen.
Sehr viel zynischer wirkt da die Anekdote, die man sich von David Eddings erzählt. Als der in einem Bücherladen eine Ausgabe des Lord of the Rings zur Hand nahm und entdeckte, dass es sich um die 73. Auflage handelte, soll ihm nämlich die Erkenntnis gekommen sein, dass man mit Fantasy gut Kohle machen kann. Woraufhin er den ersten Band seiner Belgariad - Saga – Pawn of the Prophecy (1982) – schrieb.
Dennis L. McKiernans Mithgar - Serie schließlich begann als unverhüllte Tolkien - FanFic. Die Iron Tower - Trilogie (1984) war ursprünglich als ein Sequel zu Lord of the Rings konzipiert. In dieser Form hätte man sie natürlich nicht veröffentlichen können. Also wurden auf Drängen des Verlags Doubleday einige kosmetische Veränderungen vorgenommen und Kiernan schrieb noch ein verknapptes LotR - Stand-in, das man der eigentlichen Story voranstellte.
 
Trotz Unterschieden in den Details gilt doch für alle diese Autoren, dass sie den Lord of the Rings in erster Linie als eine schematische Vorlage benutzten, die sie mehr oder weniger direkt kopierten. Der Vergleich zu den Clonans der vorangegangenen Jahrzehnte ist deshalb naheliegend und berechtigt. In beiden Fällen wurde das Vorbild auf seine Äußerlichkeiten reduziert und zu einem Stereotyp gemacht, das man anschließend nach Belieben immer wieder in leicht abgewandelter Form benutzen konnte.
 
Patricia McKillips Beziehung zum Lord of the Rings unterscheidet sich sehr grundsätzlich von dieser Herangehensweise. Wie schon erzählt, fühlte auch sie sich durch die Lektüre von Tolkiens Werk dazu getrieben, eine ähnliche epische Fantasyerzählung zu schreiben. Doch der Grund dafür lag nicht darin, dass sie ein nachahmenswertes erzählerisches Modell entdeckt zu haben glaubte. Die Begegnung mit dem Lord of the Rings hatte vielmehr eine sehr viel tiefere und persönliche Epiphanie in ihr ausgelöst. "Tolkien just opened the doors to imagination." Auch sie übernahm gewisse strukturelle Elemente. Noch in einem Interview aus dem Jahr 1992 vertrat sie die Ansicht, die Queste/Heldenreise sei das Grundthema der Fantasyliteratur: "In fantasy, the hero leaves home, goes on a quest, and comes back again." Aber für sie war das sehr viel mehr als ein Plotschema. Wie sie Darrell Schweitzer erzählte:
To me it is a very profound thing. It is literally the quest to find the correlative stories that will make you look at them and say, "Oh yes, I need to do this," or "I need this particular symbol." You respond to these things. That's the heroic quest. I don't know. I keep thinking of some kind of video game where images light up if you hit the right button. I think it's very true as I was growing up that what I needed I found in literature. Those symbols - my response to them - made me realize that this is what fantasy was about, the quest for unification and peace within yourself. This was the way you went about it. You fought your way through these various tales that you needed, that you responded to.
Ich denke, hierin liegt einer der Hauptgründe, warum Erdzauber für mich in einer ganz anderen Liga spielt als viele der epigonalen High Fantasy - Epen, die in den 80ern und später erschienen sind. Auch bei McKillip ist der Einfluss Tolkiens zwar klar auszumachen, doch noch sehr viel deutlicher spürbar ist, dass sie die bei ihm aufgegriffenen Elemente nicht einfach übernommen, sondern zu etwas sehr eigenem und persönlichem umgeschmolzen hat. Ich halte es darum auch für keinen Zufall, dass Erdzauber anders als viele spätere High Fantasy - Geschichten nie zu einem Endlos-Epos ausgewalzt wurde. McKillip hat dazu einmal gesagt: "After I finished the Riddle Master trilogy, I swore I would never write another fantasy. That's how difficult the twelve-year process of writing it was". Ihre Trilogie scheint mir ein sehr gutes Beispiel dafür zu sein, was es bedeutet, von einem anderen Werk wirklich inspiriert – und nicht einfach nur zur Nachahmung angespornt – worden zu sein. Der Lord of the Rings war für McKillip weniger ein Modell, das sie zu kopieren versucht hätte, als vielmehr der Anstoß für eine eigene Reise in die Welten von Mythos und Imagination, die am Ende zur Entstehung von Erdzauber führte: 

He [Tolkien] made you feel like the imagination was something you could keep on going through and go through and never find an end to. So I started doing research. I literally tried to find his worlds. I didn't know what they were, whether they were real or not. I looked in history and then I got the idea of looking in mythology, poetry, and legends and got into really finding his sources. Things grew from there, and I had to write the trilogy.

Am Samstag wird euch Alessandra dann auf ihrem Blog berichten, welchen Einfluss vor allem Patricia McKillips Beschäftigung mit keltischer Mythologie auf Erdzauber hatte. Stay tuned!
  

    

* Im englischen Original besitzt das Werk keinen vergleichbar handlichen Titel. Meist wird es The Riddle-Master Trilogy genannt, im Anschluss an den Namen des ersten Bandes The Riddle-Master of Hed. In der Vergangenheit ist es aber auch als Riddle of the Stars und The Quest of the Riddlemaster veröffentlicht worden.