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Mittwoch, 3. März 2021

Klassiker-Reread: Patricia A. McKillips "Erdzauber" (1/6)

Teil 1: "Erdzauber" im Kontext seiner Zeit

Im Dezember 2019 taten sich Alessandra von FragmentAnsichten und ich erstmals zu einem gemeinsamen Klassiker-Reread zusammen. Unsere Wahl fiel dabei auf Joy Chants Kurzroman Wenn Voiha erwacht, und am Ende stand ein zweiteiliges Gespräch, das wir auf unseren beiden Blogs veröffentlichten. Wir hatten viel Spaß damit, und so war es wohl bloß eine Frage der Zeit, bis wir erneut ein derartiges Projekt angehen würden. Diesmal entschieden wir uns für Patricia A. McKillips Erdzauber - Trilogie, mit der wir beide ziemlich positive Erinnerungen verbanden. Schon bald zeigte sich, dass wir mehr über diese Bücher zu sagen hatten, als man vernünftigerweise im Rahmen eines Gesprächs abhandeln konnte. Und so wuchs sich das Ganze schließlich zu einer Art "Miniserie" aus, deren sechs Bestandteile im Verlauf der nächsten zwei Wochen auf unseren Blogs erscheinen werden. Das eigentliche Gespräch wird dabei den Abschluss bilden.

Erdzauber* erzählt die Geschichte von Morgon und Rendel. Morgon, der Fürst des kleinen, bäuerlichen Reiches Hed, trägt seit seiner Geburt ein mysteriöses Sternenmal auf der Stirn. Nachdem seine Eltern bei einem Schiffbruch ums Leben gekommen sind, macht er sich zusammen mit dem Harfner Thod zum fernen Erlensternberg auf, dem Sitz des gottähnlichen "Erhabenen", um die Bedeutung dieser Sterne zu ergründen. Im Verlauf seiner Queste muss er erkennen, dass er Träger einer jahrhundertealten Bestimmung ist und in den (scheinbar) aus dem Meer stammenden Gestaltswandlern tödliche und erbarmungslose Feinde besitzt.
Im zweiten Teil begibt sich die Königstochter Rendel von An, die aufgrund eines Schwurs ihres Vaters Morgon "versprochen" wurde, auf die Suche nach dem inzwischen verschwundenen (oder sogar toten?) Sternenträger. Dabei wird sie von der amazonenhaften Lyra und Morgons jüngerer Schwester Tristan begleitet. Auf ihrem Weg zum Erlensternberg muss sich Rendel einem ebenso machtvollen wie beunruhigenden Erbe stellen, das in ihr schlummert.
Im dritten Band schließlich, der Morgon und Rendel zusammenführt, werden die großen Rätsel gelüftet und die Schlacht um das Schicksal der Welt ausgefochten.
 
Wie unschwer zu erkennen, ist Erdzauber ein klassisches High Fantasy - Questen - Epos. Erschienen zwischen 1976 und 1979 ist die Trilogie sogar einer der ersten Vertreter dieses Subgenres in der Post-Tolkien-Ära, entstanden lange bevor Endlos-Epen wie Shannara, Belgariad, Mithgar oder The Wheel of Time die Fantasyliteratur zu dominieren begannen. In meinem Einführungsbeitrag möchte ich mir deshalb einmal etwas genauer anschauen, welchen Platz Patricia McKillips Werk in der historischen Entwicklung der amerikanischen Fantasy einnimmt, die schließlich in den High Fantasy - Boom der 80er Jahre einmünden sollte.               

1965 erschien der Lord of the Rings erstmals im Taschenbuchformat in den Vereinigten Staaten zuerst in einer unlizensierten Ausgabe bei Ace, dann in der autorisierten Fassung bei Ballantine Books. Schon bald rollte eine Welle der Tolkienbegeisterung über das Land, die vor allem große Teile der unruhig und rebellisch gewordenen Jugend und Studentenschaft der Hippie- und Counter Culture - Ära erfasste. Hunderttausende von Exemplaren der Bücher wurden verkauft. Alsbald entstanden erste Fanorganisationen wie die Tolkien Society of America (1965), die Tolkien and Fantasy Society (1966) und die Mythopoetic Society (1967). Im September 1970 wurde die erste Mythcon in Claremont (Kalifornien) abgehalten.

Angesichts dessen verwundert es ein wenig, dass nicht in kürzester Zeit Fantasyromane erschienen, die sich am Vorbild des Lord of the Rings orientierten. Vielmehr erlebte die Sword & Sorcery, die schon seit einigen Jahren vor allem auf den Seiten von Cele Goldsmiths Magazin Fantastic (und 1966 in Jack Vance' zweiter Dying Earth - Anthologie) eine Art Renaissance feiern konnte, im Anschluss an die Neuauflage von Robert E. Howards Conan - Stories bei Lancer Books ab 1967/68 noch einmal einen gewaltigen Aufschwung. Für mindestens weitere zehn Jahre würde dieses Subgenre den amerikanischenm Fantasymarkt dominieren.

Bei Ballantine Books war man selbstverständlich brennend daran interessiert, den Erfolg des Lord of the Rings mit einem anderen Buch zu wiederholen. Was letztlich zur Entstehung der Ballantine Adult Fantasy - Reihe (1969-74) führte. Deren Bedeutung für die Entwicklung des Genres ist natürlich unbestreitbar. Sie schuf nicht nur eine Art literarischen Kanon, sondern trug auch viel dazu bei, die Genrebezeichnung "Fantasy" im Mainstream zu verankern. Aber sie bestand beinahe ausschließlich aus Neuauflagen älterer Werke. Und erwies sich alles in allem für den Verlag als ein Verlustgeschäft. Die Serie verkörperte nicht die "angesagte" Phantastik des Tages. Von den wenigen originären Beiträgen lässt Joy Chants Red Moon and Black Mountain (1971) zwar in der Tat sehr deutlich den Einfluss von Tolkien (und C. S. Lewis) erkennen, aber das Buch war ganz sicher kein Trendsetter. Andere Fantasyromane der späten 60er und frühen 70er, die abseits der Sword & Sorcery standen, wie etwa Peter S. Beagles The Last Unicorn (1968) oder Ursula K. Le Guins Earthsea - Trilogie (1968-72) verraten jedenfalls kaum tolkienschen Einfluss. 

Der Questen - Fantasy à la Lord of the Rings am nächsten stand in diesen Jahren vermutlich Lloyd Alexanders Prydain - Zyklus (1964-69), doch dessen Teile erschienen als Kinderbücher. Dennoch ist es vielleicht kein Zufall, dass allem Anschein nach er der erste war, der den Begriff "High Fantasy" in einem Vortrag benutzte, den er im Oktober 1969 vor der "New England Round Table of Children's Librarians" hielt und dessen Inhalt 1971 als Essay unter dem Titel High Fantasy and Heroic Romance veröffentlicht wurde. 
Freilich ging es Alexander in ihm nicht darum, die Bezeichnung für ein Subgenre zu prägen. Solche klaren Abgrenzungen waren, wenn überhaupt, gerade erst im Entstehen. Und bis heute besitzen sie bei weitem nicht für jeden dieselbe Relevanz. Patricia McKillip selbst erklärte 2005 in einem Interview mit Drew Bittner auf eine entsprechende Frage über die Erdzauber - Trilogie: "I suppose [it] might be considered 'sword and sorcery'". Was schon etwas witzig wirkt, lässt sich ihr Roman doch unschwer als eines der frühesten Beispiele für die Trendwende identifizieren, die schließlich in den High Fantasy - Boom der 80er Jahre einmündete.
 
Nachdem Ballantine Books von Random House aufgekauft worden war, wurde 1974 die Adult Fantasy Series eingestellt. Im selben Jahr landete auf dem Schreibtisch von Lester und Judy-Lyn Del Rey, die in Zukunft für das Phantastikprogramm des Verlags (Del Rey Books) verantwortlich sein würden, das Romanmanuskript eines unbekannten Autors namens Terry Brooks. Die Del Reys hatten bereits zuvor den Plan ausgeheckt, ihren Einstand bei Ballantine mit einem maßgeschneiderten "Lord of the Rings Lite" zu machen. Ihnen würde gelingen, was Lin Carter mit seiner Klassiker-Serie nicht geschafft hatte! Und Brooks' Manuskript schien dafür das ideale Ausgangsmaterial. Man musste es nur noch ein bisschen ummodeln und stromlinienförmiger machen. Der Autor erklärte sich bereit und so machte man sich an die Arbeit. Wir werden darauf zurückkommen.
 
Ungefähr zur selben Zeit erschien bei Atheneum Books Patricia McKillips zweiter Roman The Forgotten Beasts of Eld. Sie hatte den zwar nicht als Jugendbuch geschrieben, aber der Verlag brachte ihn als ein solches heraus. Sein Publikum fand er jedoch hauptsächlich an anderer Stelle. Denn was niemand erwartet hatte: Das Buch fand begeisterte Aufnahme in der SFF-Gemeinde. Als ein Jahr später zum allerersten Mal der World Fantasy Award verliehen wurde, erhielt The Forgotten Beasts of Eld den Preis für "Best Novel". McKillip hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Verbindungen zur Szene und war entsprechend überrascht, als die Lovecraft-Büste bei ihr eintraf. Wie ihr Ehemann David Lunde später einmal erzählt hat: 
Not having known that there was such an award, and never having heard of H. P. Lovecraft, when she received Lovecraft’s head in the mail her reaction was, “What the #@*!!$ is this?”
Im selben Jahr 1975 erhielt die Autorin von Avon Books das Angebot, eine Taschenbuchausgabe des Romans zu produzieren.          

When my editor called me and told me what the financial offer was for the paperback of Forgotten Beasts, I told her I nearly fell off my chair, and she said, "So did I." It wasn't that big by modern standards, but by those earlier standards it certainly was.

Damit war McKillip der Durchbruch auf den Fantasymarkt gelungen. Als nächstes erschien zwar noch einmal ein YA-Roman von ihr (The Nightgift), doch konnte sie sich nun vor allem der endgültigen Realisierung eines Projektes widmen, mit dem sie sich schon seit gut zehn Jahren beschäftigt hatte: Einer epischen Fantasyerzählung, deren erster Band 1976 bei Atheneum unter dem Titel The Riddle-Master of Hed erschien – Beginn jener Trilogie, die hierzulande erstmals 1981 in der klassisch-schwarzen Goldmann Fantasy - Reihe als Erdzauber veröffentlicht wurde.
 
Ich glaube, es ist nicht ohne Bedeutung, dass Patricia McKillip nicht selbst Teil des SFF-Fandoms war, als sie Erdzauber schrieb. Sie las keine der aktuellen Magazine oder Anthologien, unterhielt keinerlei Kontakte zur Szene (wenn ihr deren Existenz überhaupt bewusst war) und war entsprechend unvertraut mit den vorherrschenden Moden und Strömungen. Selbst von der Ballatine Adult Fantasy - Reihe hatte sie nur wenige Bücher gelesen. Nicht zufällig begann sie ihre Karriere bei Atheneum, einem Verlag, der keine großen Genre-Connections besaß und dessen Phantastiksparte hauptsächlich aus Kinder- und Jugendliteratur bestand. (Bei dem allerdings auch 1970 und '72 Ursula K. Le Guins The Tombs of Atuan und The Farthest Shore erschienen waren.) McKillip war in gewisser Weise eine Quereinsteigerin. Und das kann seine Vorteile haben.

Geboren am 29. Februar 1948 in Salem (Oregon) wuchs Patricia A. McKillip in einem stark katholisch geprägten Umfeld auf. Ihr Vater war Offizier in der Air Force, und als er von 1958 bis 1962 erst in Deutschland, dann in England stationiert war, nahm er seine Familie mit nach Übersee. Irgendwann in dieser Zeit begegnete sie wohl auch zum ersten Mal Fantasy und Science Fiction. Jedenfalls erzählte sie 2010 in einem Gespräch mit Darrel Schweitzer:
I grew up partly overseas, so I had to read what was in the library there, because my dad was in the Air Force, and I would read whatever was on the air bases, which is where I ran into Fritz Leiber. I loved his stories of Fafhrd and the Gray Mouser, and Andre Norton was also very interesting to me, but that was about all there was [...]
Und es sieht nicht so aus, als wäre ihr persönlicher Zugang zur Phantastik besonders stark von diesen ersten Begegnungen geprägt worden. Als sie mit 14 ihre erste "richtige" Geschichte zu Papier brachte, wählte sie bezeichnenderweise die Form des Märchens: 
In a fit of boredom one day when she was fourteen, she sat down in front of a window overlooking a stately medieval church and its graveyard and produced a thirty-page fairy tale.
Das war noch in England. Von da an ließ sie das Schreiben nie wieder ganz sein. "[A]fter I wrote that story, I realized that I'd had an absolutely wonderful time, and that I could do it all over again, and keep doing it. So I pretty much did." Zurück in Amerika und auf der High School begegnete sie zwei weiteren Werken der Phantastik, die nun aber tatsächlich einen bleibenden Einfluss auf sie haben sollten. Das erste war T.H. Whites The Once and Future King, das andere Tolkiens The Lord of the Rings. Vor allem die Lektüre Tolkiens muss eine Art Offenbarung für sie gewesen sein. Sie hatte das Gefühl, als sei ihr die Tür zu einer neuen, faszinierenden, weiteren Welt aufgestoßen worden:
When I was seventeen I stayed up until three in the morning reading Tolkien and was so astonished by it, I think, because I am a post-Baby Boom child and was brought up very rigidly Catholic. So, as a Catholic your mythological world has a wall around it, and Tolkien just tipped that wall right over. He demolished it. He made you feel like the imagination was something you could keep on going through and go through and never find an end to.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet das Werk des tief frommen Katholiken Tolkien eine solch befreiende Wirkung auf die junge Patricia McKillip hatte. Auf jedenfall fühlte sie sich umgehend dazu getrieben, selbst ein vergleichbar episches Werk zu schreiben. Bis zu seiner Vollendung sollten zwar noch zwölf Jahre vergehen, doch der Grundstein für Erdzauber war gelegt.

Vorerst freilich begann McKillip erst einmal ein Literaturstudium, zuerst am katholischen College Notre Dame in Belmont (Kalifornien), dann an der Universität von San Jose. 1971 erwarb sie ihren B.A., 1973 ihren M.A. Die ganze Zeit über hörte sie nicht auf, selbst zu schreiben. Allerdings war phantastische Literatur im akademischen Milieu jener Zeit immer noch ziemlich verpönt. Entsprechend wenig konnten ihre Lehrer und Dozenten mit dem anfangen, was sie zu Papier brachte, wenn sie es zu sehen bekamen. Und auch die paar "Writing Courses", die sie belegte, waren nach ihrer eigenen Einschätzung kaum hilfreich. Der Gewinn, den sie als angehende Schriftstellerin aus dem Studium bezog, bestand wohl hauptsächlich darin, mit einer großen Bandbreite an englischsprachiger Literatur bekannt gemacht zu werden. Und gerade für Genreautor*innen ist es ja äußerst hilfreich, immer mal wieder über die Mauern des eigenen kleinen Ghettos hinauszuschauen. 

Während Patricia McKillip noch an ihrem M.A. arbeitete, erschien bereits ihr erster Roman The House on Parchment Street, der offenbar stark von den Jahren, die die Familie in England gelebt hatte, inspiriert war:

It's about the four hundred year old house that I lived in as a kid over in England, and the priest-hole in the basement, and I imagined ghosts down there. So it had a lot of history and not really a lot of fantasy. But I published that when I was in college, getting my master's degree. I was really, really embarrassed. I'd been reading Henry James and Faulkner and God knows who all, and here I came out with this little YA novel, and was published, and all the teachers were going, "Whoa!" I was going, "Oh, sorry!" [Laughs.]
Für uns interessanter ist allerdings die Novelle The Throme of the Erril of Sherill, die als nächstes herauskam. Denn in ihr zeigte McKillip offenbar erstmals die Neigung, die "Regeln" eines bestimmten Storymodells zu unterlaufen und mit der Erwartungshaltung ihrer Leserschaft zu spielen. 
Wenn sich in einer Märchenerzählung ein Ritter auf eine Queste begibt, darf man annehmen, dass er irgendwann sein Schwert zücken muss, um einige der Herausforderungen, die sich ihm dabei in den Weg stellen, zu überwinden. Doch in The Throme of the Erril of Sherill ist dem nicht so. Und das war eine sehr bewusste Entscheidung:

I was trying to turn the expected on its head. The knight who never needs to fight is not what the reader might expect. Keeping the reader surprised by the unexpected seems more fun to me

Wie wir gesehen haben, existierte das High Fantasy - Modell zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht richtig. Als Vorlage zu Erdzauber diente McKillip ausschließlich Tolkiens Lord of the Rings – und möglicherweise Joseph Campbells "Monomythos", den sie während des Studiums kennengelernt haben dürfte. Und doch spielt sie in ihrer Trilogie stellenweise bereits auf ganz ähnliche Weise mit den Erwartungen der Lesenden. Selbstverständlich ist diese keine "kritische Dekonstruktion" der High Fantasy. Aber sie enthält doch eine Reihe von Wendungen, Figuren, Storyelementen, die ziemlich überraschend wirken, wenn man davon ausgeht, es mit einer klassischen "Heldenreise" zu tun zu haben, was der erste Band erst einmal nahelegt.

Um so trauriger muss es erscheinen, dass nicht Erdzauber zum Anstoß und Vorbild der High Fantasy - Welle der 80er Jahre werden sollte. Denn ein halbes Jahr nach The Riddle-Master of Hed erschien 1977 bei Ballantine Terry Brooks' The Sword of Shannara. Die Del Reys hatten ihren Plan perfekt durchgezogen. Bis hin zu den Illustrationen der Brüder Hildebrandt war alles genauestens darauf abgestimmt, dem Publikum zu suggerieren, einen zweiten Lord of the Rings angeboten zu bekommen. Und die Rechnung ging auf. Der Schmöker fand reißende Abnahme und landete als erstes Fantasybuch überhaupt auf der Bestsellerliste der New York Times.

Derweil erschienen 1977 und 1979 mit Heir of Sea and Fire und Harpist in the Wind die restlichen Bände von McKillips Trilogie. Nun ist es zwar nicht so, dass Erdzauber bewusst übergangen oder beiseite geschoben worden wäre. Die Del Reys selbst brachten vielmehr umgehend Paperback-Ausgaben der Bücher bei Ballantine heraus. Und es sieht so aus, als hätten auch die sich nicht übel verkauft. Dennoch kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es das Erfolgsmodell Shannara war, das dem Boom der 80er den Weg ebnete und ihn prägte.
Womit ich jetzt nicht gesagt haben will, derselbe habe ausschließlich aus kruden Tolkien-Imitaten bestanden. Das gilt ja nicht mal für Terry Brooks' nächsten Shannara - Schinken Elfstones (1982). Aber die überwiegende Mehrheit folgte im Großen und Ganzen wohl schon demselben simplistischen Schema. 
 
Um zu zeigen, inwieweit Erdzauber sich vom Gros der späteren High Fantasy abhebt, ist es hilfreich, sich die Beziehungen verschiedener Autor*innen und ihrer Werke zum Lord of the Rings anzuschauen, dessen Vorbild sie ja alle verpflichtet waren. 
Terry Brooks' Sword of Shannara mag eines der schamlosesten Imitate der Fantasyliteratur sein, aber auch er hatte sich wohl nicht mit dem alleinigen Ziel hingesetzt, einen möglichst leicht vermarktbaren Tolkienklon zu schreiben. Da geb ich ihm den "benefit of the doubt". Eigentlich wollte er Geschichten im Stile der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts – Alexandre Dumas' Drei Musketiere, Arthur Conan Doyles The White Company oder Anthony Hopes The Prisoner of Zendaerzählen. Die Lektüre Tolkiens gab ihm dann die Idee, dass eine Fantasywelt der ideale Rahmen wäre, um seinen Stories eine epische Dimension zu verleihen.
Sehr viel zynischer wirkt da die Anekdote, die man sich von David Eddings erzählt. Als der in einem Bücherladen eine Ausgabe des Lord of the Rings zur Hand nahm und entdeckte, dass es sich um die 73. Auflage handelte, soll ihm nämlich die Erkenntnis gekommen sein, dass man mit Fantasy gut Kohle machen kann. Woraufhin er den ersten Band seiner Belgariad - Saga – Pawn of the Prophecy (1982) – schrieb.
Dennis L. McKiernans Mithgar - Serie schließlich begann als unverhüllte Tolkien - FanFic. Die Iron Tower - Trilogie (1984) war ursprünglich als ein Sequel zu Lord of the Rings konzipiert. In dieser Form hätte man sie natürlich nicht veröffentlichen können. Also wurden auf Drängen des Verlags Doubleday einige kosmetische Veränderungen vorgenommen und Kiernan schrieb noch ein verknapptes LotR - Stand-in, das man der eigentlichen Story voranstellte.
 
Trotz Unterschieden in den Details gilt doch für alle diese Autoren, dass sie den Lord of the Rings in erster Linie als eine schematische Vorlage benutzten, die sie mehr oder weniger direkt kopierten. Der Vergleich zu den Clonans der vorangegangenen Jahrzehnte ist deshalb naheliegend und berechtigt. In beiden Fällen wurde das Vorbild auf seine Äußerlichkeiten reduziert und zu einem Stereotyp gemacht, das man anschließend nach Belieben immer wieder in leicht abgewandelter Form benutzen konnte.
 
Patricia McKillips Beziehung zum Lord of the Rings unterscheidet sich sehr grundsätzlich von dieser Herangehensweise. Wie schon erzählt, fühlte auch sie sich durch die Lektüre von Tolkiens Werk dazu getrieben, eine ähnliche epische Fantasyerzählung zu schreiben. Doch der Grund dafür lag nicht darin, dass sie ein nachahmenswertes erzählerisches Modell entdeckt zu haben glaubte. Die Begegnung mit dem Lord of the Rings hatte vielmehr eine sehr viel tiefere und persönliche Epiphanie in ihr ausgelöst. "Tolkien just opened the doors to imagination." Auch sie übernahm gewisse strukturelle Elemente. Noch in einem Interview aus dem Jahr 1992 vertrat sie die Ansicht, die Queste/Heldenreise sei das Grundthema der Fantasyliteratur: "In fantasy, the hero leaves home, goes on a quest, and comes back again." Aber für sie war das sehr viel mehr als ein Plotschema. Wie sie Darrell Schweitzer erzählte:
To me it is a very profound thing. It is literally the quest to find the correlative stories that will make you look at them and say, "Oh yes, I need to do this," or "I need this particular symbol." You respond to these things. That's the heroic quest. I don't know. I keep thinking of some kind of video game where images light up if you hit the right button. I think it's very true as I was growing up that what I needed I found in literature. Those symbols - my response to them - made me realize that this is what fantasy was about, the quest for unification and peace within yourself. This was the way you went about it. You fought your way through these various tales that you needed, that you responded to.
Ich denke, hierin liegt einer der Hauptgründe, warum Erdzauber für mich in einer ganz anderen Liga spielt als viele der epigonalen High Fantasy - Epen, die in den 80ern und später erschienen sind. Auch bei McKillip ist der Einfluss Tolkiens zwar klar auszumachen, doch noch sehr viel deutlicher spürbar ist, dass sie die bei ihm aufgegriffenen Elemente nicht einfach übernommen, sondern zu etwas sehr eigenem und persönlichem umgeschmolzen hat. Ich halte es darum auch für keinen Zufall, dass Erdzauber anders als viele spätere High Fantasy - Geschichten nie zu einem Endlos-Epos ausgewalzt wurde. McKillip hat dazu einmal gesagt: "After I finished the Riddle Master trilogy, I swore I would never write another fantasy. That's how difficult the twelve-year process of writing it was". Ihre Trilogie scheint mir ein sehr gutes Beispiel dafür zu sein, was es bedeutet, von einem anderen Werk wirklich inspiriert – und nicht einfach nur zur Nachahmung angespornt – worden zu sein. Der Lord of the Rings war für McKillip weniger ein Modell, das sie zu kopieren versucht hätte, als vielmehr der Anstoß für eine eigene Reise in die Welten von Mythos und Imagination, die am Ende zur Entstehung von Erdzauber führte: 

He [Tolkien] made you feel like the imagination was something you could keep on going through and go through and never find an end to. So I started doing research. I literally tried to find his worlds. I didn't know what they were, whether they were real or not. I looked in history and then I got the idea of looking in mythology, poetry, and legends and got into really finding his sources. Things grew from there, and I had to write the trilogy.

Am Samstag wird euch Alessandra dann auf ihrem Blog berichten, welchen Einfluss vor allem Patricia McKillips Beschäftigung mit keltischer Mythologie auf Erdzauber hatte. Stay tuned!
  

    

* Im englischen Original besitzt das Werk keinen vergleichbar handlichen Titel. Meist wird es The Riddle-Master Trilogy genannt, im Anschluss an den Namen des ersten Bandes The Riddle-Master of Hed. In der Vergangenheit ist es aber auch als Riddle of the Stars und The Quest of the Riddlemaster veröffentlicht worden.  

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