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Samstag, 29. Juli 2017

Gotische Schönheit & Grotesker Irrsinn

Die hohe Kunst des Cash-in gehört zu den altehrwürdigen Traditionen des italienischen Genrefilms. Wen wundert es da, dass bereits ein knappes halbes Jahr nach der Italienpremiere von Alien im April 1980 ein Film in den Kinos auftauchte, der sich ganz frech als Sequel zu Ridley Scotts SciFi-Horror-Klassiker ausgab? Da der Name des künftigen Franchises zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem Copyright geschützt wurde, konnte sich Ciro Ippolitos Streifen sogar ganz offen Alien 2: Sulla Terra nennen.
 
Irgendwann einmal sollte ich vielleicht einen kleinen Abstecher in die Welt der Alien - Rip-offs unternehmen, doch für den Moment soll diese hübsche Anekdote nur als Einführung für einen der interessantesten Vertreter des italienischen Horrorfilms der späten 80er und frühen 90er Jahre dienen, der als Schauspieler in Ippolitos Flick mitwirkte: Michele Soavi.

1957 in Mailand geboren entwickelte Soavi schon in frühen Jahren eine große Leidenschaft für den Film. Er begann eine Schauspielausbildung am Studio Fersen di Arti Sceniche, an dem man der Stanislawski-Methode huldigte. Zu seinen ersten winzigen Nebenrollen gehörte auch eine in Marco Modugnos Super-8-Film Bambule (1979). Der junge Filmemacher, der selbst gerade erst dabei war, seine ersten ernsthafteren Gehversuche zu machen, fühlte sich von Soavis Neugier und Leidenschaftlichkeit so stark angesprochen, dass er ihn zu seinem Regieassistenten machte. 
Doch so richtig in Fahrt kam dessen Karriere erst, als er zu Beginn der 80er Jahre in den Zirkeln des Genre- und Horrorfilms heimisch zu werden begann und dort eine Reihe wichtiger Bekanntschaften schloss. 1980 und 1982 wirkte er unter der Regie des großen Lucio Fulci bei Paura nella città dei morti viventi / City of the Living Dead und Lo squartatore di New York / The New York Ripper mit – freilich immer noch in kleinen Nebenrollen. Von sehr viel größerer Bedeutung waren seine Begegnungen mit zwei anderen Filmemachern – Horror-Auteur Dario Argento und Schlockmeister Joe D'Amato / Aristide Massaccesi.
Seine Kooperation mit D'Amato als Regieassistent, Schauspieler und Drehbuchschreiber begann 1980 mit der Arbeit an Absurd, dem Pseudo-Sequel zu dessen vermutlich bekanntestem Horrorstreifen Anthropophagus (1980), und umfasste in den folgenden Jahren Filme wie den Sword & Sorcery - "Klassiker" Ator (1982), die postapokalyptischen Flicks Anno 2020 - I gladiatori del futuro (1982) und Endgame (1983), sowie das Caligula - Cash-in Caligola: La storia mai raccontata (1982). Wenn vielleicht auch sonst nichts, so lernte Soavi von dem guten Joe doch auf jedenfall, wie man unter extremsten Budget-Beschränkungen arbeitet.
Als er Dario Argento kennenlernte, hatte dieser gerade die Arbeit an Inferno (1980), dem zweiten und für lange Zeit letzten Teil seiner "Mütter" - Trilogie, beendet. Zwischen den beiden entwickelte sich schon bald ein freundschaftliches Verhältnis, das in späteren Jahren allerdings immer wieder von temporären Zerwürfnissen getrübt werden sollte. In ihm fand Soavi zumindest für einige Zeit seinen wichtigsten Mentor. 1982 wirkte er gemeinsam mit Lamberto Bava – dem Sohn von Altmeister Mario – als Regieassistent beim Dreh von Argentos Giallo-Meisterwerk Tenebrae mit. Dieselbe Aufgabe übernahm er später bei Phenomena (1985) und Opera (1987).

Zwar war es Argento, der Soavi zu seinem ersten Regieauftrag verhalf, indem er ihm die Leitung einer Doku über sein eigenes Werk Il mondo dell'orrore di Dario Argento (1985) – übertrug, doch bei dieser Arbeit eröffneten sich natürlich kaum künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten für den angehenden Filmemacher. Als der wirkliche Wegbereiter erwies sich Joe D'Amato, der zwei Jahre später für die Finanzierung von Soavis Spielfilmdebüt Deliria / Stage Fright sorgte. Inhaltlich sicher nicht besonders originell, ist dieser Slasher im Theater in cinematographischer Hinsicht doch recht beeindruckend, und kein Fan des italienischen Horrorkinos sollte darauf verzichten, sich den blutigen Auftritt des Killers in der Eulenmaske wenigstens einmal zu Gemüte zu führen.

Als Soavi es ablehnte, an der von Dario Argento produzierten TV-Serie Giallo: La tua impronta del venerdi (1987) mitzuwirken, und stattdessen lieber Terry Gilliams Angebot annahm, den Posten des Regieassistenten bei The Adventures of Baron Munchausen (1988) zu übernehmen, führte das zur ersten temporären Eiszeit zwischen Mentor und Protegé. Dennoch wandte sich Argento an ihn, als es darum ging, einen Regisseur für den dritten Demoni - Film zu finden.

Der europaweite Erfolg von Lamberto Bavas großartig überdrehtem Gorefest Demoni (1985), an dem Soavi als Regieassistent und Schauspieler mitgewirkt hatte, hatte schon bald ein erstes Sequel (1986) nach sich gezogen. Bei beiden Filmen war Argento Produzent und Co-Autor des Drehbuchs gewesen. 
In späteren Jahren sollte sich Demons zu einem jener bizarren Pseudo-Franchises auswachsen, die im Zuge der VHS-Revolution in der Welt der B-Movies durch das schamlose Einverleiben artfremden Materials entstanden. Ist man so skrupulös wie der gute Mr. Jim Moon kann man z.B. sage und schreibe dreiunddreißig offizielle und inoffizielle Sequels zu Night of the Living Dead zählen!.Mit neun Einträgen nimmt sich die Demons - Reihe da beinah noch bescheiden aus. Die wunderbare Rachael Nisbet hat dieses dubiose Konglomerat vor Zeiten einmal auf ihrem Blog Hypnotic Crescendos seziert.
Demoni 3 freilich war anfangs noch als legitimes Sequel geplant, und wenn es nach Argento gegangen wäre, hätte einmal mehr Lamberto Bava auf dem Regiestuhl Platz genommen. Doch die Studiooberen wollten, dass jemand anderes die Leitung übernahm. Weshalb trotz der vorangegangenen Streitigkeiten Michele Soavi zum Zuge kam. Der allerdings machte sehr schnell deutlich, dass er nicht gewillt war, einfach einen weiteren Eintrag in das Franchise zu drehen, zumal er Bavas Original für bloßen "Pizza Schlock" hielt. Er verfolgte sehr viel ehrgeizigere Ziele. Und so entstand mit La Chiesa / The Church (1989) ein Film, der zwar noch einige oberflächliche Anklänge an das Demons - Format aufweist, darüberhinaus jedoch nur wenig mit seinen Vorgängern und sehr viel mehr mit Soavis eigenen künstlerischen Visionen zu tun hat   



Angeblich wurde Argento zu dem ursprünglichen Drehbuch u.a. von M.R. James' The Treasure of Abbot Thomas inspiriert. Wenn dem tatsächlich so gewesen sein sollte, hat sich jedenfalls nicht viel von Montys klassischer Spukgeschichte in dem filmischen Endprodukt erhalten.  

Finsteres Mittealter. Ein Trupp von Deutschordensrittern veranstaltet unter Anleitung eines irr-fanatischen Predigers ein Massaker unter einer Gemeinschaft vermeintlicher Hexen. Die in ein Massengrab geworfenen Leichen der Opfer scheinen schon bald leicht zombiehafte Ambitionen zu entwickeln, weshalb es als das Beste dünkt, die Grube nicht nur schnellstmöglich zuzuschütten, sondern sicherheitshalber gleich eine gotische Kathedrale über ihr zu errichten
Zeitsprung in die Gegenwart: Evan (Tomas Arana) beginnt seinen neuen Job als Bibliothekar in selbiger Kahedrale {die in Ungarn gefilmt wurde, sich aber in Deutschland befinden soll}. Sein Hauptaugenmerk liegt anfangs weniger auf den alten Folianten, die er zu katalogisieren hat, als vielmehr auf der hübschen Lisa (Barbara Cupisti), die die Restaurierung eines Freskos leitet, das in seinem Stil wohl nicht zufällig an die Gemälde Hieronymus Boschs erinnert. Das ändert sich etwas, als er ein Pergament entdeckt, auf dem sich eine codierte Botschaft befindet, von deren Entschlüsselung er sich einen Wegweiser zum geheimen Herzen der Kathedrale erhofft. Als gläubiger Anhänger der abstrusen Theorien, die der "Alchimist" und Okkultist Fulcanelli in seinem Schmöker Le Mystère des Cathédrales niedergelegt hat, glaubt Evan, dass dort irgendwelche mystischen Wunder auf ihn warten, die Reichtum und unbegernzte Macht versprechen. Tatsächlich führt ihn das Pergament schließlich zu einem verborgenen Schacht in der Krypta, der mit einem steinernen Abbild des apokalyptischen Lamms mit den sieben Augen versiegelt wurde. Doch statt irgendwelche arkanen Schätze zu heben, entfesselt Evan damit dämonische Kräfte oder Wesenheiten, die erst von ihm selbst, später auch von anderen Besitz ergreifen. Dem Demons - Format folgend, kulminiert das Ganze damit, dass eine Gruppe von Leuten in der Kathedrale eingeschlossen wird, derweil sich ein blutig-groteskes Pandämonium in den heiligen Mauern entfaltet.

Wie alle Freunde & Freundinnen italienischer Horrorfilme wissen, gehört eine in sich schlüssige und kohärente Handlung nur selten zu deren hervorstechenden Eigenschaften. The Church bildet da keine Ausnahme. Je weiter die Story fortschreitet, desto abstruser wird sie, und die "What the fuck!?" - Momente beginnen sich zu häufen.
Was für mich keineswegs gegen den Streifen spricht. Ganz im Gegenteil! Dieses vorbehaltlose Abtauchen in bizarren Irrsinn bereitet mir großes Vergnügen. Voraussetzung dafür ist freilich die intensive Atmosphäre, die Michele Soavi dem Streifen zu verleihen versteht.
Von der ersten Szene an,. in der wir einen Trupp Deutschordensritter durch den Wald reiten sehen, erweist sich The Church als ein hochgradig stilisierter Film. Dabei ist der Einfluss Dario Argentos unverkennbar. Einstellungen, Bildkompositionen, Kamerafahrten, Farbgebung – vieles erinnert an die Arbeiten des Meisters, ohne dass dadurch der Eindruck entstehen würde, es mit bloßer Nachäffrerei zu tun zu haben. 
Natürlich birgt die gotische Kathedrale als Setting bereits immens viele Möglichkeiten für stimmungsvolle Bilder, doch  ist es Soavis Cinematographie, die dieses Potential zur vollen Entfaltung bringt. Auch beschränkt er sich nicht auf das in Szene Setzen mittelalterlicher Architektur und Skulptur, um die beunruhigend phantasmagorische Atmosphäre seines Filmes  heraufzubeschwören. Eines der Leitmotive, die sich durch The Church ziehen, sind z.B. Spiegel und spiegelnde Oberflächen: Der geheimnisvolle Code entpuppt sich als Spiegelschrift; Spiegel enthüllen die wahre Natur der Besessenen; in einer Szene sehen wir Father Gus (Hugh Quarshie), den eigentlichen "Helden" des Films, vor einem modernen Hochhaus entlanggehen, in dessen verglaster Front sich die Kathedrale widerspiegelt – eine eindrucksvolle Verbildlichung der Thematik von alter vs. neuer Welt. An anderer Stelle gibt sich Soavi ganz dem Phantatsisch-Grotesken hin, so etwa, wenn er Boris Vallejos Vampire's Kiss anzitiert, oder wenn im Finale die aufeinandergehäuften Opfer des mittelalterlichen Massakers als eine Art groteske "lebende" Skulptur an die Oberfläche gepresst werden. Dasselbe gilt natürlich auch für das bizarre, von Hunderten von Kerzen erleuchtete Ritual, das die Besessenen in der Krypta abhalten und bei dem Lisa Sex mit dem Teufel hat.
Auf keinen Fall unerwähnt bleiben darf der grandiose Soundtrack, der einen immens wichtigen Beitrag zur Atmosphäre des Filmes leistet. Was anderes würde man auch erwarten bei solch einer Phalanx eindrucksvoller Namen wie Fabio Pignatelli (Goblin), Philip Glass und Keith Emerson?




Der Film ist freilich nicht ohne seine Schwächen. Und von der gruselig miesen Synchronisation will ich da gar nicht sprechen, gehört die doch zu den üblichen Charakteristika italienischer Genrefilme.

Wenn The Church in der zweiten Hälfte Teile des Demons - Formats aufgreift, finden dabei auch Elemente von Humor Eingang in den Streifen, die mir nicht so recht zu seiner Gesamtatmosphäre zu passen scheinen. Dass wir keine der Personen, die in der Kathedrale eingeschlossen werden, richtig kennenlernen, bevor sie den Dämonen zum Opfer fallen, ist für mich kein Problem, solange ihr grausiges Schickal Anlass zu solch wundervoll bizarren Szenen gibt, wie etwa der der alten Frau, die den abgeschlagenen Kopf ihres Mannes als Glockenschlegel verwendet, oder der der Freundin des eifersüchtigen Bikers, die von einer aus dem Nichts aufgetauchten U-Bahn mitgerissen wird. Doch dass das stark Karrikaturenhafte einiger dieser Figuren offenbar hin und wieder Anlass zum Lachen geben soll, wirkt auf mich wie ein tonaler Bruch. Lamberto Bavas Original war ein absurd-blutiger Horrorspaß, doch Soavis Pseudo-Sequel besitzt alles in allem eine sehr viel düsterere und verstörendere Atmosphäre, zu der solche Szenen nicht recht passen wollen.         . 

Sehr viel problematischer allerdings ist für mich, dass The Church in seiner zentralen Thematik merkwürdig widersprüchlich und unausgegoren wirkt.
Jim Pyke schreibt in seinem kleinen Essay The Films of Michele Soavi:
As you might guess, this film turns out to be a meditation on karma and how people bring evil onto themselves. At moments Soavi even suggests that we create evil with our own actions, even if we may intend otherwise (witness the crusaders' brutal and indiscriminate slaying of the entire village populace in the opening sequence). This is certainly not any great revelation on Soavi's part. 
Dieser Einschätzung kann ich mich nicht recht anschließen. Auch wenn ein solches Element zweifelsohne vorhanden ist, scheint mir die Thematik des Streifens damit doch keinesfalls ausgeschöpft. Es ist in meinen Augen vielmehr ziemlich offensichtlich, dass Soavi und Argento irgendetwas über den repressiven Charakter der katholischen Religion aussagen wollten, ohne dabei jedoch zu einer eindeutigen Position zu gelangen.
Zweifelsohne soll das fürchterliche Massaker, das die Deutschordensritter in der Eröffnungssequenz veranstalten, Abscheu in uns wecken. Unsere Sympathie liegt bei den wehrlosen Opfern. Die Szenerie des gewaltigen Massengrabes ist eindeutig darauf angelegt, Assoziationen zum Holocaust zu wecken. Was später noch dadurch unterstrichen wird, dass Evan die ziemlich verwegene Behauptung aufstellt, Hitler habe sich bei der Gründung der SS durch das Vorbild des Deutschen Ordens inspirieren lassen. Nicht viel sympathischer wirken der alte Bischof (Feodor Chaliapin Jr.) und sein verstaubter, weltfremder, spießiger Klüngel in der Gegenwart. Aus Hass auf die "verdorbene" Welt der Moderne begrüßt der greise Kirchenfürst in gewisser Weise sogar den dämonischen Ausbruch, da er ihm als gerechte Strafe für das sündhafte Treiben der gottlos gewordenen Gesellschaft erscheint.
Die einzigen wirklichen Sympathieträger sind der schwarze Father Gus und die junge Lotte (Asia Argento). Gus soll augenscheinlich den Typus des jungen, liberalen und weltoffenen Priesters verkörpern, der zusammen mit dem Latein auch viele der altmodischen Moralvorstellungen seiner Kirche über Bord geworfen hat. Lotte ist die Tochter des autoritären Sakristans, die sich der erstickenden Atmosphäre der Kathedrale und ihres Elternhauses zu entziehen versucht, um das "sündige" Leben und ihre eigene Sexualität zu erkunden. Dass das fünfzehnjährige Mädchen zugleich die Wiedergeburt eines der Opfer des mittelalterlichen Massakers ist, unterstreicht noch einmal das verbindende Motiv.
Was dazu nicht recht passen will, ist jedoch, dass die von Evan entfesselten Mächte eindeutig satanischer Natur sind. Es handelt sich bei ihnen nicht um die rachsüchtigen Geister unschuldiger Opfer von Intoleranz und Bigotterie, sondern um Beelzebubs Gefolgschaft. Was die Frage aufwirft, ob die Ritter nicht doch einen guten Grund für ihr barbarisches Gemetzel hatten? Auch zeichnet der Film ein Bild der "Moderne", das sich durch Oberflächlichkeit, Gier und Selbstsucht auszeichnet. So gesehen ist der fanatische alte Bischof also vielleicht gar nicht einmal so im Unrecht?
Die eigenartige Ambivalenz dieses Szenarios findet ihren pointierten Ausdruck in zwei Zeilen aus dem Keith Emerson - Song, der in der Disco gespielt wird, die Lotte besucht: "Taste the fruit of modern time. / Taste the fruit of sin." Haben wir das als Kritik an der katholischen Moral zu verstehen, die als sündig verdammt, was in Wahrheit menschlich und erfüllend ist {und hier natürlich vor allem die Welt der Sexualität}? Oder sollen wir daraus den Schluss ziehen, dass der Hedonismus der modernen Gesellschaft im Grunde nicht weniger verwerflich ist als die Bigotterie der Kirche?  
Ich denke, dass sich dieser Widerspruch im Kern von The Church nicht befriedigend auflösen lässt, sondern Ausdruck einer in sich widersprüchlichen Weltsicht ist, mit der Michele Soavi auf die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit reagierte. Eine Frage, der ich weiter nachgehen will, wenn es mir gelingen sollte, auch den Rest seines Horror-Ouevres zu besprechen.

PS: The Church ist der einzige mir bekannte Horrorfilm, in dem die Lustigen Taschenbücher einen Auftritt haben ...

Strandgut der Woche

Samstag, 22. Juli 2017

Strandgut der Woche

The Swashathon:

Sonntag, 16. Juli 2017

Lythe and listin, gentilmen

Lythe and listin, gentilmen,
That be of frebore blode;
I shall you tel of a gode yeman,
His name was Robyn Hode.

Robyn was a prude outlaw,
Whyles he walked on grounde:
So curteyse an outlaw as he was one
Was nevere none founde.

A Gest of Robyn Hode (15. Jahrhundert) 


{Mein leider etwas überhastet beendeter Beitrag zu dem von Fritzi Kramer (Movies Silently) ausgerichteten #Swashathon. Die vollständige Liste all der fantastischen Beiträge zu dieser Feier des Swashbuckler-Genres hat Fritzi hier zusammengestellt.} 

Die Ursprünge der Erzählungen um Robin Hood und seine Merry Men liegen verborgen im Dunkel der Geschichte. Gab es einen realen Vogelfreien dieses Namens im mittelalterlichen England, an dessen Taten sich die Volksfantasie entzündete und die zur Entstehung der ersten Balladen über seine Abenteuer führten? Lebte in seiner Figur etwas vom rebellischen Geist der ketzerischen Lollarden und des großen Bauernaufstands von 1381 fort? – Es gibt Leute, die überzeugt davon sind, doch handfeste Belege für solche Theorien sind bestenfalls spärlich gesät.
Zwar spielt William Langland bereits um 1370 in seinem berühmten Piers Plowman auf die Existenz von "rymes of Robyn Hode" an, doch die ältesten erhalten gebliebenen Balladen lassen sich allerhöchstens auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zurückdatieren. Die Robin Hood - Spiele, die in vielen ländlichen Gemeinden Englands aufgeführt wurden, stellten möglicherweise sogar die ältere Überlieferungsform dar, doch über ihren konkreten Inhalt wissen wir nur wenig. 

Wie auch immer man die frühen Balladen im Detail interpretieren will, eines steht zweifelsfrei fest – Robin Hood war ursprünglich ein volkstümlicher Held, ein einfacher Yeoman, der zusammen mit seinen Gefährten Little John, Will Scarlet/Scarlock und Much "the Miller's Son" ein "freies Leben in den Wäldern" führt, das im Gegensatz zu den im Sherriff von Nottingham verkörperten Mächten der Stadt und des frühen Staates steht. Friar Tuck stößt erstmals in dem Spiel Robyn Hod and the Shryff off Notyngham (ca..1475) zu der munteren Schar. Auf welchem Weg Maid Marian Aufnahme in den Kreis fand, ist nicht ganz klar. Ihre Figur scheint ursprünglich aus den Maifestspielen zu stammen. Zusammen mit Robin Hood wird sie erstmals in Alexander Barclays vierter Ekloge (1500) genannt, die dieser später seiner Nachdichtung von Sebastian Brants Narrenschiff hinzufügte: "Yet would I gladly heare some merry fit/ Of Mayde Marione, or els of Robin Hood". Die für uns heute so selbstverständliche zeitliche Verortung der Geschichten in die Ära von Richard Löwenherz (R 1189-99) und John Lackland (R 1199-1216) findet sich zuallererst in John Majors Historia Majoris Brittaniae (1521).

In  Richard Graftons Chronicle at Large (1569) begegnen wir dann dem ersten Schritt zur "Gentrifizierung" des Volkshelden. Dort heißt es von ihm: "[I]n an olde and auncient Pamphlet I finde this written of the sayd Robert Hood. This man (sayth he) discended of a nobel parentage: or rather beyng of a base stocke and linage, was for his manhoode and chivalry advaunced to the noble dignité of an Erle." Seine endgültige Verwandlung in einen Adeligen vollzog sich im Rahmen des Elisabethanischen Dramas. Während die Tudor-Reformation den einst so beliebten volkstümlichen Robin Hood - Spielen ein Ende bereitete, kam es gleichzeitig zu einer Übersiedelung des Vogelfreien auf die städtische Theaterbühne. Vor allem Anthony Mundays Dramen The Downfall of Robert, Earle of Huntington und The Death of Robert, Earle of Huntington (1599) hatten einen prägenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Stoffes. Als Bühnenstücke heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten, waren sie zu ihrer Zeit doch beachtliche Publikumserfolge und inspirierten möglicherweise sogar William Shakespeare zu seinem eigenen "Outlaw - Drama" As You Like It. Sie kanonisierten nicht bloß die Identifikation von Robin Hood mit dem Earl of Huntingdon, sondern führten auch Motive wie die Verwandlung von Little John in einen Gefolgsmann des Earls und Maid Marians Zugehörigkeit zur adeligen Sippe der Fitzwalters ein, denen man später immer mal wieder in Romanen, Theaterstücken und Filmen begegnet.

Die Aneignung des Stoffes durch ein aristokratisches und bürgerliches Publikum bedeutete freilich nicht das Ende für seine volkstümliche Erscheinungsform. In den äußerst populären Robin Hood - Balladen des 17. Jahrhunderts, die als "Broadsides" (einzelne Druckseiten) und "Garlands" (anthologieartige Büchlein) ein Massenpublikum erreichten, finden sich zwar immer mal wieder deutliche Spuren der "Gentrifizierung", doch stellen sie im Ganzen gesehen eher eine Fortsetzung der älteren Traditionen dar.

Als die Romantiker Anfang des 19. Jahrhunderts den Stoff erneut aufgriffen, bedienten sie sich bei beiden Versionen. So ist Robin Hood in Walter Scotts Ivanhoe (1820) als Locksley ganz der alte Yeoman, wenn auch patriotisch-angelsächsisch eingefärbt und zur Nebenfigur in der Geschichte eines adeligen Helden herabgestuft. Thomas Love Peacock andererseits wendet sich in Maid Marian (1822) ganz der "edelmännischen" Version vom Earl of Huntigdon und seiner Angebeteten Marian Fitzwalter zu.

In Amerika wurde Robin Hood wohl vor allem auf dem Weg über Walter Scotts äußerst populären Roman heimisch. Wie der Theaterkritiker der New York Times in seiner Besprechung der Uraufführung von Alfred Lord Tennysons The Foresters 1892 schreibt: "It tells anew the story of Robin Hood and his merry men that every person who reads at all reads at ten years in the nursery books and at sixteen in 'Ivanhoe'." Besagtes Theaterstück, zu dem Arthur Sullivan die Musik geschrieben hatte, knüpft vor  allem an die "edelmännische" Tradition an. Und auch wenn ich selbst es für ziemlich unverdaulich halte, feierte es seinerzeit doch große Erfolge auf Amerikas Bühnen. Woraus man allerdings nicht die Schlussfolgerung ziehen sollte, dies sei von nun an die allgemein anerkannte Version der Geschichte in den USA gewesen. Howard Pyles 1883 veröffentliche, äußerst charmante Nacherzählung der Merry Adventures of Robin Hood war mindestens ebenso einflussreich, und in ihr erscheint unser Held wieder als der ursprüngliche einfache Yeoman, der gegen die Reichen und Mächtigen aufbegehrt.

Als Hollywood sich Robin Hood zuwandte, stand es deshalb keineswegs von vornherein fest, aus welcher Quelle man schöpfen würde.



Der großartige, 1922 in die Kinos gelangte Streifen war nicht die erste filmische Adaption des Stoffes. Vielmehr hatten zwischen 1908 und 1913 bereits fünf andere amerikanische und britische Robin Hood - Filme das Licht der Kinowelt erblickt. Doch der unter der Regie von Allan Dwan gedrehte Robin Hood mit Douglas Fairbanks in der Hauptrolle war ohne Zweifel der aufwendigste, erfolgreichste und wirkmächtigste Auftritt des Vogelfreien in der Stummfilmära. Ein regelrechter Blockbuster seiner Zeit, spielte er auf dem amerikanischen Markt $ 2.500.000 ein, und seine beeindruckenden Kulissen – die königliche Burg und das mittelalterliche Nottingham – galten schon bald völlig zurecht als legendär.

Wenn Douglas Fairbanks mit The Mark of Zorro (1920) in mancherlei Hinsicht die Gestalt von Kaliforniens maskiertem Rächer der Enterbten für den Film kodifizierte – wie Fritzi in ihrer Besprechung des Streifens beschrieben hat  –, gilt vergleichbares auch für seinen Robin Hood. Und so ist es durchaus nicht nebensächlich, dass er sich für die "edelmännische" Variante der Figur entschied. Von einigen signifikanten Ausnahmen wie Richard Lesters Robin and Marian (1976) abgesehen, bleibt der große Vogelfreie über Jahrzehnte – von Michael Curtiz' The Adventures of Robin Hood (1938) bis zu Kevin Reynolds Prince of Thieves (1991) – auf der Leinwand ein Adeliger. 
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, warum Fairbanks sich bei der Entwicklung der Story und des Drehbuchs der einen und nicht der anderen Variante zuwandte. Diese Entscheidung als bewussten Versuch zu interpretieren, die Figur des Rebellen in Lincoln-Grün motivisch zu "entschärfen" und damit für Hollywoods Traumfabrik akzeptabel zu machen, halte ich jedenfalls für etwas unfair.
Wie wir gesehen haben, erfreuten sich beide Versionen der Geschichte großer Beliebtheit. Und wenn Fairbanks sich für die "edelmännische" Variante entschied, so wohl vor allem, weil er weniger eine Rebellensaga als vielmehr ein prachtvolles Mittelalterspektakel auf die Leinwand bringen wollte – einen würdigen Nachfolger für seine ersten beiden Swashbuckler-Abenteuer The Mark of Zorro (1920) und The Three Musketeers (1921). Und das ist ihm und Alan Dwan ohne Frage auf grandiose Weise gelungen. Auch werden wir noch sehen, dass sich dabei auf einer subtileren Ebene durchaus etwas vom rebellischen Geist des alten Stoffes erhalten hat.

Der Film beginnt mit einem prachtvollen Turnier, zu dem König Richard Löwenherz die Blüte der englischen Ritterschaft zusammengerufen hat, bevor man gemeinsam zum Kreuzzug ins Heilige Land aufbrechen wird. Als finale Kontrahenten treten dabei Richards Favorit Huntingdon (Douglas Fairbanks) und Guy of Gisbourne (Paul Dickey), ein Günstling Prinz Johns, gegeneinander an. Wie es sich für einen guten Bösewicht gehört, bedient sich Gisbourne, der vergebens die Gunst der schönen Turnierkönigin Marian Fitzwalter (Enid Bennett) zu erlangen versucht, selbstverständlich unfairer Methoden. Was nicht verhindern kann, dass ihn der ritterliche Huntingdon mit der Lanze aus dem Sattel hebt.

Als alter Mediävistik-Nerd kann ich es mir nicht verkneifen, hier kurz darauf hinzuweisen, dass die Gestalt, die Hollywood üblicherweise mittelalterlichen Turnieren verleiht, mit der Realität des 12. Jahrhunderts wenig bis gar nichts zu tun hat. Die wirklichen Turniere jener Zeit waren Massenkämpfe, bei denen berittene Verbände gegeneinander antraten, die Dutzende oder gar Hunderte von Mitgliedern zählten. Erst im Laufe des 13. Jahrhunderts entwickelte sich mit dem sog. "Tafelrundenturnier" eine Form des Wettkampfs, bei der die Tjost – das Lanzenstechen zweier Kontrahenten – in den Mittelpunkt rückte, und die auch in ihrem Zeremoniell eine größere Ähnlichkeit mit der filmischen Fantasieversion aufwies. Ich vermute, dass Walter Scotts Schilderung des Turniers von Ashby im Ivanhoe die primäre Inspirationsquelle für Hollywoods Idee von einem ritterlichen Wettstreit gewesen ist.

Tatsächlich vermittelt der ganze erste Akt von Robin Hood ein wenig das Gefühl, als habe dabei eher Ivanhoe, denn irgendeine Version der Geschichte des Vogelfreien von Sherwood Forest Pate gestanden. Sympathischerweise verfällt der Streifen dabei jedoch nicht in den etwas steif-pompösen Tonfall, den wir aus Ritterfilmen wie Richard Thorpes Mittelalter-Trilogie der 50er Jahre (Ivanhoe, Knights of the Round Table, Quentin Durward) gewohnt sind. Am deutlichsten zeigt sich das an der Gestalt von Richard Löwenherz. Wenn wir den König zum ersten Mal zu sehen bekommen, beißt er gerade herzhaft in eine Hammelkeule. Der von Wallace Beery grandios gespielte Monarch ist keine gravitätische Herrscherfigur, sondern ein jovialer Bursche, der gerne lacht, isst und Späße macht. Dass sein Bruder John (Sam De Grasse) ein rechter Bösewicht ist, zeigt sich schon daran, dass er die ganze Zeit über griesgrämig vor sich hin brütet.

Dennoch sind es nicht Richards übermütige Verkuppelungsversuche, die den guten Huntingdon von seiner übergroßen Scheu gegenüber Frauen heilen (welche zuvor zu einem unfreiwilligen Bad im Burggraben geführt hatte!), sondern Prinz Johns schurkisches Verhalten. Als dieser Marian gewaltsam bedrängt, zögert unser Held nicht, sondern verweist den betrunkenen Möchtegernkönig in seine Schranken. Daraus entwickelt sich natürlich augenblicklich eine leidenschaftliche Romanze, die uns zu der wunderschönen Szene führt, in der Marian am Morgen des Abschieds Huntingdons Schattenriss auf die Burgmauer zeichnet.

Trotz seiner motivischen Nähe zu Ivanhoe bedient sich der Film eigenartigerweise nicht der historischen Gefangennahme Richards durch Leopold von Österreich, um die anhaltende Abwesenheit des Königs zu erklären, welche es Prinz John erlaubt, seine Tyrannei aufzurichten.
Kaum hat das Kreuzfahrerheer die Grenzen Englands überschritten, da machen sich John und seine Helfershelfer auch schon daran, die guten königlichen Beamten gegen Kreaturn wie den High Sherriff von Nottingham (William Lowery) auszutauschen, das Volk auszuplündern und jeden Widerstand mit Folter und Tod zu bestrafen. Marian schickt daraufhin Huntingdons treuen Knappen (Alan Hale) zu seinem Herrn mit der dringenden Bitte, in das geknechtete England zurückzukehren. Als dieser die Botschaft seiner Geliebten erhält, entscheidet er sich dazu, den König im Dunkeln über die Entwicklungen in der Heimat zu lassen, da Richard andernfalls den Kreuzzug abbrechen werde. Damit verschafft er Guy of Gisbourne die Gelegenheit, ihn als Deserteur und Verräter zu denunzieren, was zu seiner Einkerkerung führt.
Huntingdons Motivation wirkt an dieser Stelle vielleicht etwas eigenartig, und seine damit nötig gewordene Flucht aus dem Turmverlies ließe sich leicht als eine für die Handlung überflüssige Szene kritisieren, doch wie dem auch sei, auf jedenfall ist damit die Voraussetzung für die Verwandlung des edlen Ritters in den Vogelfreien geschaffen. Als Huntingdon nach seiner Rückkehr in die Heimat erfahren muss, dass Marian in der Zwischenzeit auf der Flucht vor Prinz Johns Schergen den Tod gefunden haben soll, stellt er sich an die Spitze einer Schar furchtloser Rebellen, die von Sherwood Forest aus einen Guerillakrieg gegen den Usurpator eröffnet haben. Huntingdons Knappe übernimmt wie zu erwarten die Rolle von Little John.

Es ist über eine Stunde vergangen, bevor Douglas Fairbanks erstmals im klassischen Robin Hood - Kostüm auf der Leinwand erscheint. Man könnte die Meinung vertreten, die Komposition des Films sei in dieser Hinsicht etwas unausgewogen. Denn so hübsch das Ritterspektakel in der ersten Hälfte auch ist, bleibt dadurch doch nur verhältnismäßig wenig Zeit für die tollkühnen Abenteuer Robins und seiner Merry Men. Dennoch neige ich dazu, es etwas anders zu sehen.
Der Film vermittelt den Eindruck, als habe Huntingdon mit dem Ablegen des ritterlichen Harnischs eine unbändige Energie und Vitalität in sich entfesselt, die von nun an jede seiner Handlungen erfüllt. Robin Hoods erster Auftritt in der königlichen Burg ist eine wahre Tour de force, die einmal mehr zeigt, warum Douglas Fairbanks der König der frühen Swashbuckler war. Es ist jedesmal ein Vergnügen, die athletisch-spielerische Eleganz seiner Bewegungen zu bewundern. Da wird gerannt, gesprungen, geklettert, gekämpft und gelacht, dass es eine wahre Freude ist. Man hat beinah das Gefühl, unser Held sei ein neuer Mensch geworden.
Dass wir ihn zuvor eine Stunde lang in der Rolle des höfischen Rittersmanns erlebt haben, steigert noch die Wirkung dieser Verwandlung und verleiht ihr eine auf subtile Art subversive Note.         

Zwar wird der Film es nicht müde zu betonen, dass Robin und seine Merry Men ihren Kampf im Namen des wahren Königs führen und ihr einziges Ziel in dessen Rückkehr auf den Thron besteht, doch auf visueller Ebene besitzt das Bild, das der Film von den Vogelfreien zeichnet, dennoch ein genuin rebellisches Moment. Ganz wie ihr Anführer sind auch sie ständig am rennen und springen, ja in gewisser Weise am "tanzen". Ein harscher Kontrast zu den in disziplinierten Kolonnen marschierenden Höflingen, die wir bei jedem größeren Ereignis am Königshof zu sehen bekommen. Die Gemeinschaft von Sherwood Forest erscheint so beinah als eine Art Utopia von Freiheit, Gleichheit und übersprudelnder Lebensfreude. Ihr markantester Vertreter ist dabei der von Willard Louis gespielte Friar Tuck. Wohl nicht zufällig bleibt der rauflustige Mönch von der finalen Szene des großen Hoffestes, mit dem die Restituierung der rechtmäßigen Herrschaft und die Hochzeit von Huntingdon und Marian gefeiert wird, ausgeschlossen.

Wohlgemerkt spricht der Film nichts von all dem offen aus. Auch bin ich mir ziemlich sicher, dass eine solche Lesart nicht bewusst intendiert war. Es ist eher so, als komme hier spontan der rebellische Geist des alten Stoffes zum Durchbruch, unabhängig von den Absichten der Drehbuchschreiber und des Regisseurs.

Doch selbst wenn man sich dieser Interpretation nicht anschließen kann, bleibt Douglas Fairbanks' Robin Hood ein grandioser Abenteuerfilm, der in seiner fröhlich-unbändigen Art auch nach bald hundert Jahren nichts von seinem ursprünglichen Charme eingebüßt hat.

Samstag, 15. Juli 2017

Strandgut der Woche

Samstag, 8. Juli 2017

Strandgut der Woche


Montag, 3. Juli 2017

Willkommen an Bord der "Liberator" – S01/E13: "Orac"

Ein Blake's 7 - Rewatch
 
Star Trek IV: The Voyage Home rekapituliert die zum Verständnis wichtigen Ereignisse seines Vorgängers, indem der Film ganz einfach den klingonischen Botschafter dem Föderationsrat einige Szenen aus The Search for Spock vorspielen lässt, die als Material einer "Sicherheitskamera" ausgegeben werden und als Beweisstücke für einen angestrebten Kriegsverbrecherprozess gegen Kirk dienen sollen.

Dieselbe – vielleicht nicht eben elegante, aber doch irgendwie charmante – Methode verwendet auch Orac. Blake und Avon betrachten sich eine Video-Aufzeichnung aus dem {zuvor nie erwähnten} Logbuch der Liberator, die uns zusammen mit dem Audiokommentar alles nötige mitteilt, was wir über den Inhalt von  Deliverance wissen müssen. Ein weiteres Indiz dafür, dass man die beiden Episoden nur bedingt als Zweiteiler bezeichnen kann.
Diese putzige "In Universe" - Version von "Last Time on Blake's 7" mündet allerdings schon recht bald in sehr viel düsterere Gefilde, als Cally die Nachricht überbringt, dass sich Jenna, Avon, Vila und Gan durch ihren längeren Aufenthalt auf Cephlon eine tödliche Dosis radioaktiver Strahlung zugezogen haben. Ein Grund mehr, möglichst schnell Aristo zu erreichen, den geheimen Zufluchtsort von Ensor, der hoffentlich über die nötigen Medikamente verfügt. Wie Avon sehr treffend bemerkt: "It's ironic isn't it we are racing to deliver medical supplies that will save a man's life in the hope that he will have medical supplies that will save ours."
Der alte Ensor (Derek Farr) ist ganz der eigenbrötlerische Exzentriker ist, als den wir ihn uns vorgestellt haben. Am innigsten verbunden fühlt er sich offenbar seinen Aquariumsfischen und seinen Topfpflanzen, und es fällt schwer, zu glauben, dass er seine unterirdische Eremitenklause bis vor kurzem mit seinem Sohn geteil haben soll.  Dennoch ist er vernünftig genug, sein von Orac gesteuertes Sicherheitssystem zu aktivieren, sobald Servalan und Travis auf dem Planeten landen.
Die beiden sind deshalb gezwungen, in ein Netzwerk alter Kanalstollen hinabzusteigen, die einen alternativen Zugang zu Ensors Labor bilden, allerdings auch von den recht unfreundlichen "Phibians" bevölkert werden – neckischen Gumminmonstern, deren Auftritt leider zu einer etwas unglücklichen Szene Anlass gibt, in der Servalan für kurze Zeit in einen halbhysterischen Panikzustand verfällt. Selbst wenn man gewillt wäre, den sexistischen Unterton außer Acht zu lassen, passt diese Reaktion einfach nicht zu dem Eindruck, den wir bislang von der Obersten Befehlshaberin hatten. Freilich fängt sie sich wieder sehr schnell und erlaubt es Travis nicht, sein momentanes Überlegenheitsgefühl länger als ein paar Minuten auszukosten.
Als die Liberator in den Orbit um Aristo einschwenkt, wird Bordcomputer Zen plötzlich von einer fremden Macht übernommen, bei der es sich augenscheinlich um Orac handelt – dabei hatte nicht einmal Funkkontakt zur Oberfläche des Planeten bestanden. Dennoch fällt der Empfang etwas freundlicher aus, als bei Servalan und Travis. Schließlich kann Blake auf die Energiezellen verweisen, die sie im Auftrag von Ensor Jr. seinem Vater bringen wollen. Als er zusammen mit Cally hinunterteleportiert, taucht denn auch schon bald eine von Orac gesteuerte "Drone" auf, die sie zum regulären Laboreingang geleitet.
Unglücklicherweise erfordert der Austausch der Energiezellen in Ensors künstlichem Herz eine technisch-medizinische Expertise, über die weder Cally noch Blake verfügen. Die einzige Chance für den grummeligen alten Mann besteht darin, mit auf die Liberator zu kommen, wo die Operation unter Zens Anleitung gefahrlos durchgeführt werden könnte. Leider verhindert der Schutzschirm, den Orac um das Labor errichtet hat, dass sich die drei einfach hinaufteleportieren lassen. Und zu allem Überfluss tauchen auch noch Servalan und Travis auf, kurz nachdem sich Ensor endlich von seinen Pflanzen und Fischen verabschiedet hat. 
Während es zu einer kleinen Verfolgungsjagd durch die Tunnel kommt, beschließt Avon auf der Liberator, dass er nicht länger gewillt ist, einfach zu warten, während die Strahlenkrankheit seinen Körper zerfrisst. Gemeinsam mit dem unwilligen Vila teleportiert er sich auf die Oberfläche.

Orac ist nicht die beste Episode der ersten Staffel, bildet aber dennoch einen würdigen Abschluss.

Der alte Ensor ist eine äußerst sympathische Gestalt, und dass er die Folge nicht überlebt, kommt als ein kleiner Schock. Zumal er nicht etwa von den Bösewichtern erschossen wird. Sein Tod ist vielmehr äußerst undramatisch. Er setzt sich kurz hin, um etwas zu verschnaufen, und steht einfach nicht mehr auf. Möglicherweise wäre er ebenso gestorben, wenn Servalan und Travis nicht aufgetaucht wären. Die Liberator ist ganz einfach zu spät gekommen, um sein Leben zu retten.
Freilich ist Ensors Tod in gewisser Hinsicht eine erzählerische Notwendigkeit.
Eine der kurioseren Entscheidungen, die Terry Nation und Chris Boucher im Laufe der Entwicklung von Blake's 7 fällten, war es, Zen  – den Bordcomputer der Liberator  – zu einem der eponymischen Sieben zu machen. Dieser ist zwar ohne Frage eine Künstliche Intelligenz, doch würde es schwerfallen, ihm eine echte Persönlichkeit zuzusprechen. Wenn er hin und wieder recht eigenwillig zu handeln scheint, so geschieht dies aufgrund seiner Programmierung, und weniger aus eigener Intitiative heraus. Mit Orac hingegen stößt nun ein wirklicher Computer-Charakter zu unserer Gang. Das Elektronengehirn besitzt nicht bloß die Fähigkeit, sich in sämtlche anderen Computer einzuloggen und auf die in ihnen gespeicherten Informationen zuzugreifen, es verfügt außerdem über eine recht markante Persönlichkeit, die es von seinem Schöpfer geerbt hat. Orac ist überheblich, ungeduldig und wenig kooperationsfreudig. Statt sich mit den unpräzise formulierten Befehlen seiner menschlichen "Herren" herumzuärgern, würde er lieber seine eigenen Projekte verfolgen. Ohne Zweifel eine interessante Ergänzung für die Liberator -Crew, weshalb man verstehen kann, dass Terry Nation ihn als dauerhaftes Mitglied etablieren wollte, was schwergefallen wäre, hätte Ensor die Folge überlebt.
Doch die Szene, die mich selbst am meisten berührt hat, hat überhaupt nichts mit Ensor, Orac und den Ereignissen auf Aristo zu tun. Sie dreht sich vielmehr um die auf der Liberator zurückgebliebenen, die sich aufgrund ihrer rasch fortschreitende Strahlenkrankheit dem baldigen Tod gegenübersehen:
Avon hält Wache im Transporterraum. Als Jenna auftaucht, reagiert er ungehalten: "You were told to stay in your cabin." Sie ignoriert seinen Einwand und fragt, ob Blake und Cally sich inzwischen gemeldet hätten, was er verneinen muss. Ein lautes Stöhnen offenbart den beiden, dass auch Gan sich hierher geschleppt hat und hinter einer der Computerkonsolen liegt.
Avon: Not you as well. What are you doing down there?
Gan:  I don't like being on my own. Especially if I'm about to die.
Jenna: That's cheerful.
Gan: Sorry.
Avon: Is Vila on his way as well? 
Gan: No, he's doing his best to convince himself that he feels fine. Says we'll just remind him that he doesn't.
Avon: Sometimes he shows distinct signs of intelligence. Why don't you return to your quarters. I'll let you know the moment I hear anything.
Jenna: I'll stay. I think it's better if there are two of us standing by.
Gan: Better still if there are three of us.
Avon: Better still if you ...
Avon beendet den Satz nicht. Keiner von ihnen will alleine sterben. Sie alle suchen die Gemeinschaft ihrer Kameraden. Ein Gefühl, das selbst der egozentrische Avon letztenends versteht und respektiert, ja das er vielleicht sogar teilt, auch wenn er das natürlich nie eingestehen würde.

Wie ich in meinem letzten Beitrag erwähnt habe, endet Orac mit einem Cliffhanger, der doch kein richtiger Cliffhanger ist: Als die Gang dem unwilligen Orac abverlangt, einen Beweis für seine angebliche Fähigkeit zu liefern, künftige Ereignisse exakt vorauszuberechnen, erscheint auf dem Teleschirm ein Bild der Liberator, die mitten im Flug durchj eine Explosion in Stücke gerissen wird ...

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Sonntag, 2. Juli 2017

“Are you awake, Count Magnus? Are you asleep, Count Magnus?”

If any man desires to obtain a long life, 
if he would obtain a faithful messenger 
and see the blood of his enemies, 
it is necessary that he should first go 
into the city of Chorazin, and there 
salute the prince of the air.

Liber nigrae peregrinationis

Im Sommer 1901 unternahm Montague Rhodes James – zu dieser Zeit Dean von King's College, Cambridge – einen ausgedehnten Urlaub in Schweden. Es ist anzunehmen, dass das Erlebnis dieser Reise zu den Inspirationen für seine Kurzgeschichte Count Magnus gehörte, die er vermutlich wenige Monate später niederschrieb, auch wenn sie einer breiteren Öffentlichkeit erst 1904 im Rahmen von Ghost Stories of an Antiquary zugänglich gemacht wurde.

Count Magnus gehört ohne Frage zu den bekanntesten Spukgeschichten von M.R. James. In seinem berühmten Essay Supernatural Horror in Literature beschreibt H.P. Lovecraft sie als "a veritable Golconda of suspense and suggestion" und widmet ihr eine sehr viel ausführlichere Zusammenfassung als irgendeinem anderen Werk des alten Monty.

Zum meinen persönlichen absoluten Favoriten zählt die Geschichte zwar immer noch nicht, aber eine erneute Lektüre hat mich doch einige ihrer Nuancen besser zu schätzen gelehrt. 
Als Mr. Wraxall auf einer Reise durch Schweden, bei der er Material für eine Art gelehrten Reiseführer sammelt, den alten Herrensitz von Råbäck in Västergötland besucht, wird ihm seine "over-inquisitiveness" schließlich zum Verhängnis. Er entwickelt eine übergroße Faszination für die Gestalt des Herzogs Magnus de la Gardie, der das Anwesen im 17. Jahrhundert errichten ließ. Der einstige Feudalherr der Region steht in keinem sonderlich guten Ruf. Ein Tyrann von ungezügelter Brutalität war er u.a. an der Niederwerfung eines örtlichen Bauernaufstands beteiligt. Darüberhinaus heißt es, er sein ein Adept der Schwarzen Künste gewesen, der sich nicht nur mit Alchimie beschäftigte, sondern auch auf "die Schwarze Pilgerfahrt nach Chorazin" gegangen sei – "and [he] had brought something or someone back with him." Wraxall scheint diese Geschichten nicht sonderlich ernst zu nehmen, selbst als ihm sein Wirt von dem grausigen Schicksal erzählt, das zwei Wilderer viele Jahre nach dem Tod des Herzogs in dessen Waldungen ereilt haben soll. Zugleich jedoch scheint er auf eigenartige Weise wie besessen von dem Gedanken an Magnus. Mehrfach besucht er dessen Mausoleum – wobei ihn seine Schritte zweimal zu dessen Schwelle führen, ohne dass er sich dessen recht bewusst gewesen wäre.
Tonight, for the second time, I had entirely failed to notice where I was going (I had planned a private visit to the tomb-house to copy the epitaphs), when I suddenly, as it were, awoke to consciousness, and found myself (as before) turning in at the churchyard gate, and, I believe, singing or chanting some such words as, “Are you awake, Count Magnus? Are you asleep, Count Magnus?”
Am Sarkophag des Grafen stehend überkommt ihn das morbide Verlangen, diesen zu öffnen, doch ist er mit drei schweren Vorhängeschlössern gesichert. Aber nach jedem seiner Besuche ist ein weiteres dieser Schlösser aufgebrochen, und als Wraxall bei seiner Abschiedsvisite im Mausoleum vor sich hin murmelt: "You may have been a bit of a rascal in your time, Magnus, but for all that I should like to see you, or, rather ", fällt auch das letzte Schloss zu Boden. Während seiner Rückfahrt nach England fühlt sich Wraxall mehr und mehr verfolgt von zwei unheimlichen Gestalten "a man in a long black cloak and broad hat, and another a ‘short figure in dark cloak and hood’"

Wie Rosemary Pardoe und Jane Nicholls in einem Artikel für Ghosts & Scholars detailliert ausführen, scheint es unmöglich zu sein, eine historische Quelle für die "Schwarze Pilgerfahrt" auszumachen. Der Name der alten Stadt Chorazin in Palästina verknüpft sie auf jedenfall mit den Legenden um den Antichristen, der hier zur Welt kommen soll. Der Titel von Magnus' Manuskriptfragment Liber nigrae peregrinationis, das Wraxall in der Bibliothek von Råbäck findet, könnte wiederum durch John Dees Liber Peregrinationis Primae inspiriert worden sein. Einen mehr nordischen Zug erhält die Geschichte durch die Beschreibung eines der Ornamente auf dem Sarkophag:
In a third, among trees, was a man running at full speed, with flying hair and outstretched hands. After him followed a strange form; it would be hard to say whether the artist had intended it for a man, and was unable to give the requisite similitude, or whether it was intentionally made as monstrous as it looked. In view of the skill with which the rest of the drawing was done, Mr Wraxall felt inclined to adopt the latter idea. The figure was unduly short, and was for the most part muffled in a hooded garment which swept the ground. The only part of the form which projected from that shelter was not shaped like any hand or arm. Mr Wraxall compares it to the tentacle of a devil-fish, and continues: ‘On seeing this, I said to myself, “This, then, which is evidently an allegorical representation of some kind a fiend pursuing a hunted soul may be the origin of the story of Count Magnus and his mysterious companion. Let us see how the huntsman is pictured: doubtless it will be a demon blowing his horn.’” But, as it turned out, there was no such sensational figure, only the semblance of a cloaked man on a hillock, who stood leaning on a stick, and watching the hunt with an interest which the engraver had tried to express in his attitude.
Hier nimmt Magnus auf einmal die Gestalt des "Wilden Jägers" an. Bei diesem handelte es sich ursprünglich ja um Wotan oder Odin und tatsächlich erinnert der Herzog mit seinem breitkrempigen Hut und seinem Stab wohl nicht zufällig an Darstellungen des altgermanischen Gottes.
Die Gestalt seines dämonischen Dieners bringt Ron Weighell in einem gleichfalls in Ghosts & Scholars veröffentlichten Artikel mit den keltischen Genii Cucullati oder "Kapuzendämonen" in Verbindung. Seine tentakelartigen Gliedmaßen lassen freilich eher an lovecraftianische Monstrositäten denken.

Erstaunlicherweise hat es bis vor etwa einem Jahr keine filmische Adaption von Count Magnus gegeben. Doch dann machten sich die britischen Indie-Filmemacher Daniel und Richard Mansfield daran, der Geschichte von Mr. Wraxalls unglücklichem Besuch in Råbäck die Gestalt eines ihrer faszinierenden und atmosphärischen Scherenschnittfilme zu verleihen. Wie bei der Übertragung in ein visuelles Medium nicht anders zu erwarten, wirkt manches hier sehr viel expliziter als in Montys Text, dafür besitzt der Streifen seine ganz eigene, phantasmagorische Qualität.


Samstag, 1. Juli 2017

Strandgut der Woche