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Samstag, 31. März 2012

Auf nach Craggen Rock!

Bereits vor einiger Zeit habe ich auf FerretBrain Arthur B.'s Berichte über seine Wiederbegegnung 
mit den Fighting Fantasy - Büchern von Steve Jackson und Ian Livingstone gelesen, und jetzt fängt auch noch Saladin Ahmed an, bei SF Squeecast über diese Freuden seiner Kindheit zu schwärmen, und tauscht sich in diesem Zusammenhang mit Paul Cornell über die Eigenheiten der britischen Fantasy der 80er Jahre aus.

Der Wunsch, selbst einmal wieder die FantasyAbenteuerSpielBücher (so hießen sie hierzulande) hervorzukramen und mich auf eine nostalgische Reise in die Vergangenheit zu begeben, wurde immer stärker. Ich besaß und spielte zwar nur die ersten beiden Bände der Serie Der Hexenmeister vom Flammenden Berg [The Warlock of Firetop Mountain] & Die Zitadelle des Zauberers [The Citadel of Chaos], aber wenn ich so zurückdenke, dann hat Die Zitadelle bei mir einen ähnlich bleibenden Eindruck hinterlassen wie die aus heutiger Sicht frühen DSA-Soloabenteuer Das Geheimnis der Zyklopen und Die Sümpfe des Lebens. Und das will eine ganze Menge heißen, denn ich stand wie Saladin damals vor dem Problem, dass ich Fantasyrollenspiele zwar einfach toll fand, jedoch selten genug gleichgesinnte Freunde besaß, um sie auch wirklich spielen zu können. Soloabenteuer besaßen für mich deshalb eine sehr viel größere Bedeutung als wohl für die meisten frühen Rollenspieler, und für einige Jahre schrieben mein bester Freund und ich regelmäßig selbst Solos, die im Grunde nur für den jeweils anderen bestimmt waren, was wirklich ein Riesenspaß war.

Steve Jackson und Ian Livingstone waren keine Pioniere im eigentlichen Sinn. Als sie 1980/81 The Warlock of Firetop Mountain schrieben, existierten bereits eine Reihe von Soloabenteuern für das Pen & Paper - Rollenspiel Tunnels & Trolls. Und im selben Jahr 1984, in dem die Zitadelle des Zauberers in Deutschland erschien, brachte auch DSA sein erster Solo auf den Markt – die auf ihre Weise wohl inzwischen legendäre Nedime von Ulrich Kiesow (der nebenbei bemerkt für die Übersetzung von Tunnels & Trolls als Schwerter & Dämonen verantwortlich gewesen war). Aber der Erfolg der Fighting Fantasy - Bücher in den 80er Jahren war ohne Zweifel einmalig und zog das Erscheinen anderer Fantasy-Spielbücher nach sich, von denen die bekanntesten hierzulande wohl jene um den Einsamen Wolf waren.*

Wenn ich heute wieder von den Fighting Fantasy - Büchern höre, besteht die Faszination für mich nicht nur in dem damit verbundene Zeitsprung, sondern auch in den verlockenden Andeutungen über eine spezifisch britische Fantasy, die hier angeblich eine ihrer frühen Verkörperungen in der Welt der Spiele gefunden haben soll. Tatsächlich gründeten Jackson und Livingstone ja Games Workshop, aus dessen Ideenschmiede u.a. Warhammer in all seinen Variationen hervorgegangen ist. Sollte ich etwas davon spüren können, wenn ich mich noch einmal in die Festung des bösen Halbzauberers Balthus Dire begeben würde? Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden. Ich schnappte mir Würfel, Stift und Papier, verwandelte mich in den "Meisterschüler des Großen Zauberers von Yore" und machte mich auf zur Zitadelle von Craggen Rock (wobei ich versuchte, nicht an ‘Fraggle Rock’ zu denken), um das nichtswürdige Leben des Tyrannen zu beenden, bevor dessen monströse Horden über das friedliche Tal der Weiden herfallen können.

Der Spielspaß stellte sich sofort wieder ein, aber ebenso schnell wurde mir klar, dass es unmöglich ist, die Vergangenheit wiederzubeleben. Die Intensität des Erlebnisses, das Heraustreten aus dem Alltag und das Eintauchen in eine lebendige phantastistische Welt, lässt sich nicht zurückholen. Das Vergnügen ist ein distanzierteres, ironisches geworden. Die Ganjees z.B. sind zwar immer noch mörderische Bastarde, aber eine unheimliche Atmosphäre können die herumflatternden Fratzen nicht mehr heraufbeschwören. Dafür konnte ich mich dieses Mal erst so richtig an der Skurrilität der Kreaturen delektieren, die einem auf der Killermission nach Craggen Rock begegnen. Und in diesem Charakteristikum dürfte wohl auch das besonders Britische des Buches zu sehen sein.

Schon die beiden Torwächter, die mir eins ums andere Mal in Abschnitt 1 entgegentraten, erinnerten mich an irgendwelche Monster aus Michael Moorcocks Elric- oder Corum-Stories: "Als du dich näherst hörst du ein dumpfes Grunzen und erkennst zwei mißgestaltete Kreaturen, die dich aufmerksam betrachten. Zur Linken steht eine abstoßende Bestie, auf deren Gorillakörper ein Wolfskopf sitzt, und deren mächtige Arme fast bis auf den Boden reichen. Der Wächter auf der anderen Seite ist in jeder Beziehung sein Gegenstück: er hat Gesicht und Kopf eines Affen und den Körper eines gewaltigen Hundes. Auf allen Vieren kommt er auf dich zu. Ein paar Meter vor dir bleibt er stehen, erhebt sich auf die Hinterbeine und spricht dich an."
Und das ist ja nur der Anfang. Im Verlauf meines Abenteuers begegneten mir u.a. ein Rhinozeros-Mensch, eine Spinne mit dem Gesicht eines alten Mannes, ein doppelköpfiger Echsenmensch mit einem Hang zu Selbstgesprächen, eine Gruppe von Monsterkindern, die mit Monsterpuppen spielen, eine in einem kleinen Wirbelwind herumsausende, übelgelaunte Geisterlady und die grotesken Rundlinge: "Das Fußgetrappel, das du gehört hast – eigentlich müßte man es als 'Handgetrappel' bezeichnen –, gehört zu drei Rundlingen, die den Gang entlang auf dich zurollen und dich zur Tür zurückdrängen. Es sind recht sonderbare Wesen, die an ihren scheibenförmigen Körpern anstelle der Beine zwei weitere Hände haben. Sie bewegen sich radschlagend mit ganz erstaunlicher Geschwindigkeit vorwärts. Ihre Köpfe – oder zumindest die Gesichter – sitzen mitten auf der Brust."
Auch würde wohl nur ein britischer Dark Lord einen Butler besitzen!
Ein bisschen geärgert hat mich allerdings, dass ich gezwungen war, einen Kobold zu ermorden, der kurz zuvor noch mit seiner Freundin am Lagerfeuer „rumgeknuddelt" hatte. Ich weiß, ich weiß, ich bin halt schrecklich weichherzig ...
Jedenfalls heißt diese Festung aus gutem Grund im Original ‘Zitadelle des Chaos’. In der Bibliothek lese ich über ihre Geschichte: „[D]er Schwarze Turm wurde von Balthus Dires Großvater erbaut. Als er im Laufe der Zeit zur Zufluchtsstätte für dunkle und böse Mächte wurde und sich die verschiedenen Monster immer höhere Machtpositionen erkämpften, mußten Gesetz und Ordnung allmählich dem Chaos weichen. So blieb Dires Großvater schließlich nichts anderes übrig, als sich vor seiner speichelleckerischen Dienerschaft dadurch zu schützen, daß er zwischen ihnen und seiner eigenen Behausung Hindernisse und Fallen einbaute." Genauso wirkt die Zitadelle auf mich – ein Tummelplatz für alle möglichen grotesken Gestalten, die nichts miteinander verbindet außer ihrer Bösartigkeit. Und auch wenn das nicht so ganz zu der Idee von Balthus Dire als dem Oberkommandierenden einer disziplinierten Armee passen will, die unmittelbar vor ihrem Abmarsch ins Tal der Weiden steht, macht es doch den besonderen Reiz von Craggen Rock aus. Dieser Schwarze Turm ist nicht Barad-dûr, sondern etwas sehr viel verrückteres.

Arthur B. macht die interessante Anmerkung, dass die Fighting Fantasy - Bücher in gewisser Hinsicht bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens etwas anachronistisches an sich hatten:
"[C]oming as they did from the gaming scene, Jackson and Livingstone must have been aware of the growing tendency towards complex systems and detailed plots and stories in RPG circles (in 1982 Rolemaster, with its masses of tables, was the hot new entry on the scene, and TSR was starting the development of Dragonlance, a series of products which would emphasise linear storytelling in Dungeons & Dragons like never before), and yet they appear to have deliberately chosen to make a product that harks back to the simpler days of the mid-1970s."
Tatsächlich sind zumindest den frühen Bänden der Serie die epischen Handlungsbögen und ausufernden Weltentwürfe fremd, die sich parallel zum Siegeszug der fetten, tolkienesken Fantasy in den 80er Jahren auch im Rollenspiel durchzusetzen begannen. Sie knüpfen eher an das Dungeoncrawling und den Sword & Sorcery - Touch der frühen Tage von D&D an. Auf mich wirkt diese Schlichtheit allerdings recht charmant, vor allem, wenn ich mir anschaue wohin die 'epische' Entwicklung bei einem Spiel wie DSA geführt hat, das heute auf mich den Eindruck eines esoterischen Monstrums macht.

Das bedeutet nicht, dass mein Spielspaß ungetrübt gewesen wäre. Der chaotische Charakter der Zitadelle macht sich leider auch in der Spielführung bemerkbar. Die Handlung ist einerseits extrem geradlinig angelegt und zugleich äußerst willkürlich. Eher früher als später landet man in einer Art Speisesaal, und von da an ist eigentlich schon alles gelaufen. Wenn man zu diesem Zeitpunkt nicht alle notwendigen Artefakte gesammelt hat, die man zur Überwindung der nun unausweichlich auftretenden Monster braucht, kann man gleich einpacken. Bevor man überhaupt die Zitadelle betreten hat, kann man sich bereits mit einer einzigen falschen Entscheidung auf dem Burghof jede Chance auf Erfolg verbaut haben! Die Verknüpfung zwischen den Ungeheuern und den benötigten Gegenständen ist zudem völlig undurchschaubar. Die Ganjees sind offenbar körperlose Kreaturen – wie zum Henker soll ich wissen, dass sie eine Vorliebe für Heilsalben haben?! Und warum besänftigt ein goldenes Vlies eine Hydra? Weil beide aus der griechischen Mythologie stammen?!

Auch wenn dies spätestens beim vierten Durchgang massive Frustration bei mir hervorgerufen hat, habe ich zugleich doch etwas dabei gelernt. Ziel eines Spielbuchs/Soloabenteuers muss es nicht notwendigerweise sein, eine Geschichte zu erzählen. Wenn der Spieler sich wirklich mit der von ihm geführten Figur identifiziert ist das eher unklug, denn Sterben ist zuerst einmal unausweichlich und darum auch weiter nicht schlimm. Der Reiz des Ganzen besteht darin, in mehreren Anläufen nach und nach herauszufinden, welche Entscheidungen man wie fällen und welche Artefakte man wo sammeln muss. Es geht eher darum, eine Art Rätsel zu lösen, als eine Geschichte erzählt zu bekommen. Freilich wäre es angenehm, wenn dieses Rätsel nicht gar so chaotisch wäre, wie in der Zitadelle.

Ob ich jemandem, den keinerlei nostalgische Bande an die frühen Fighting Fantasy - Bücher binden, die Zitadelle des Zauberers empfehlen würde, weiß ich darum nicht so recht. Aber gibt es jenseits der Nostalgiker und Nostalgikerinnen überhaupt ein Publikum für Spielbücher? Wie mir Wikipedia mitteilt, gibt es seit 2005 eine auf Markus Heitz' Bestsellern basierende Reihe, doch wie gut sie sich verkauft, geht aus dem Artikel nicht hervor. Die Tatsache, dass sie bereits sechs Bände hervorgebracht hat, sagt mir allerdings, dass offenbar auch in unserer Ära der Videospiele der Reiz des Blätterns und Würfelns noch nicht ganz verschwunden zu sein scheint.

* Ein Hinweis für alle, die noch einmal in die Rolle des letzten Kai-Lords schlüpfen wollen: Die meisten Einsamer Wolf - Bücher sind in englischer Sprache als kostenlose Downloads über das Project Aon erhältlich.

Früher war alles besser

Ryan Harvey von Black Gate ist auf die symapthische Idee gekommen, dass man einen Internetschwindel inszenieren und die Vorstellung verbreiten müsste, Wrath of the Titans sei wie sein Vorgänger Clash of the Titans ein Remake.

"Warner Bros.: Release Ray Harryhausen's Original Wrath of the Titans (1985) or I Shall Release the Kraken!"

So hätte das neueste Produkt aus Hollywoods CGI-Monster-Fabrik wenigstens ein Gutes. Es würde helfen, die Erinnerung an bessere Zeiten wachzuhalten.

Montag, 26. März 2012

Ein affiges Kastensystem

Ich habe hier kürzlich bereits einmal mein ambivalentes Verhältnis zu den ursprünglichen Planet of the Apes - Filmen erwähnt. So halte ich die Art, in der sie ihre politische Botschaft zu vermitteln versuchen, für ziemlich grobschlächtig. In Beneath the Planet of the Apes bekommen wir ja sogar ein Sit-in von jungen Schimpansen zu sehen, die gegen den bevorstehenden Krieg demonstrieren! Hallo, Vietnamkriegsproteste ...

Doch gerade weil der soziale Kommentar beinahe so offen daherkommt wie in Star Trek - The Original Series, lassen sich aus den Filmen einige Erkenntnisse über den amerikanischen Radikalismus der späten 60er Jahre ziehen – wenn auch nicht unbedingt über seine positiven Seiten. So finde ich den zynischen Pessimismus der ersten beiden Filme recht erstaunlich, der seinen konzentrierten Ausdruck in den beiden Schlussszenen findet – der berühmten Sequenz mit der Freiheitsstatue und der Vernichtung der Erde durch Taylors Zünden der Doomsday-Bombe.


Die Filme stammen aus den Jahren 1968  und 1970, und die Erkenntnis, dass Hoffnungslosigkeit und Misanthropie offenbar schon zu einem so frühen Zeitpunkt derart weit verbeitet waren, wirkt auf mich erschütternd. Überall auf der Welt fanden zu dieser Zeit militante Massenkämpfe statt, deren Ausgang noch keineswegs feststand, und doch proklamieren Franklin J. Schaffner und Ted Post hier bereits die ultimative Niederlage des Menschengeschlechts.

Gerade vor diesem Hintergrund wirkt das Kastensystem der Affen (Orang Utans, Gorillas, Schimpansen) besonders interessant.
Eine Dreiteilung der Gesellschaft ist nichts besonders originelles, man denke nur an die feudale Ideologie des europäischen Mittelalters mit den drei ordines der oratores (Beter/Klerus), pugnatores (Kämpfer/Adel) und laboratores (Arbeiter/Bauern). Eine solche ständische Triade besitzt schon beinahe klischeehaften Charakter, so finden wir z.B. in der SciFi-Serie Babylon 5 bei den Minbari die Kasten der Priester, Krieger und Arbeiter. Doch das äffische System unterscheidet sich in einem ganz entscheidenden Punkt von diesem klassischen Vorbild. Mit den Orang Utans (Dr. Zaius) haben wir die geistliche/priesterliche Elite, und die Gorillas (General Ursus) stehen für das Militär, aber die Schimpansen sind nicht die Arbeiter. Exemplarisch vertreten durch Zira und Cornelius verkörpern sie vielmehr die Intellektuellen. Es gibt keine Arbeiterkaste unter den Affen.
Auf den ersten Blick erscheint das bloß absurd, schließlich muss ja irgend jemand die Felder bewirtschaften, die wir im ersten Film zu sehen bekommen. Doch im Zusammenhang mit dem 60er Jahre - Radikalismus macht es durchaus Sinn. Die Mehrheit der studentischen Rebellen sah in der arbeitenden Bevölkerung eine durch 'Konsumterror' und 'Kulturindustrie' ruhiggestellte Masse. Autoren wie Herbert Marcuse (Eros and Civilization; The One-Dimensional Man)  hatten ihnen dafür die theoretische Begründung geliefert. Selbst wenn sie sich einer marxistischen Phraseologie bedienten, war die Arbeiterklasse für sie nicht länger das 'revolutionäre Subjekt', von ihr konnte man keine progressive Veränderung der Gesellschaft erwarten. Neben den Guerillabewegungen der sog. Dritten Welt (Che Guevara, Ho Chi Minh) waren es die radikalisierten Studenten und Intellektuellen selbst, die nunmehr die Rolle der Avantgarde spielen sollten. In Planet of the Apes sind das die Schimpansen, die gegen den Dogmatismus der Orang Utans aufbegehren, gegen den Militarismus der Gorillas demonstrieren und den misshandelten Menschen Taylor und Brent helfend beiseite stehen.

Doch in Wirklichkeit können Studenten und Intellektuelle natürlich nicht die Gesellschaft umkrempeln. Ihre Rolle im sozialen Mechanismus ist dafür viel zu unbedeutend. Jeder Studenten-streik beweist dies aufs Neue. Darin liegt die Wurzel für jenen Pessimismus, der in der obigen Szene seinen zugegebenermaßen recht beeindruckenden Ausdruck gefunden hat. Insofern sind die Filme also durchaus konsequent.

Und wenn wir in Conquest of the Planet of the Apes schließlich doch noch eine Art Klassenkampf zu sehen bekommen, so wird dieser ganz unter dem Blickwinkel der Rassenfrage betrachtet. Tatsächlich erinnert mich Caesars Rede, die er nach der siegreichen Revolution hält, sehr stark an die Äußerungen einiger extremer schwarzer Nationalisten der 60er/70er Jahre: "I will lead my people from their captivity! And we shall build our own cities, in which there will be no place for humans except to serve our ends! And we shall found our own armies, our own religion, our own dynasty!"

Freilich ist das Kastensystem der Affen oft auch so interpretiert worden, dass die Gorillas eine dunkelhäutige Unterschicht darstellen sollen, "[who] did the more menial tasks in ape society, which included the fighting of its wars." Doch wenn wir unser dieser Sichtweise anschließen würden, wäre die Folge geradezu desaströs. Die Gorillas erscheinen vor allem in Beneath the Planet of the Apes ausnahmslos als primitiv, brutal und chauvinistisch. Wenn sie tatsächlich die 'schwarze Arbeiterklasse' verkörpern sollen, wäre das nicht nur ein noch deutlicherer Beleg für die feindselige Einstellung 'linker' Intellektueller gegenüber der Masse der Bevölkerung, sondern zudem auch noch rassistisch. Ich kann darum nur hoffen, dass das nicht stimmt.

Freitag, 23. März 2012

Unwissenheit ist Stärke

Ich würde ja wirklich gerne einmal berichten können, dass ich mich auf ein kommendes Kinoereignis freue, doch leider muss ich schon wieder den Miesmacher spielen. Via SF Signal erreichte mich heute eine Nachricht aus Hollywood, die einmal mehr wenig gutes erwarten lässt. Das Unternehmen Imagine Entertainment, zu dessen Eigentümern der Regisseur Ron Howard gehört, hat die Rechte für eine Neuverfilmung von 1984 erworben. Die Idee dazu soll von 'street artist', Grafiker und Werbedesigner Shepard Fairey gekommen sein.

An sich wäre eine neuerliche filmische Auseinandersetzung mit George Orwells Roman, von der man hoffen könnte, dass sie ein breiteres Publikum erreicht, durchaus begrüßenswert. Schließ-lich weist die heutige Realität genug Aspekte auf, die eine beunruhigende Ähnlichkeit mit der Welt des Großen Bruders besitzen. Am offensichtlichsten sind da wohl der permanente Kriegszustand als Legitimation für zunehmend autoritäre Herrschaftsformen sowie die newspeak-artigen Formulierungen der politischen Propaganda, in der Angriffs- zu Verteidigungskriegen, Invasionen zu Befreiungen, Folter zu 'enhanced interrogation' und die Verelendung der griechischen Bevölkerung zur Rettung Griechenlands werden. Auch ist doublethink  die Fähigkeit, zwei sich ausschließende Aussagen nebeneinander bestehen lassen und beide als wahr ansehen zu können ein weit verbreitetes Phänomen im offiziellen 'Diskurs' unserer Tage. Zwei Beispiele:
Islamische Fundamentalisten sind ''Feinde der Demokratie' und 'Terroristen', wenn sie gegen das Besatzungsregime in Afghanistan kämpfen.  –   Islamische Fundamentalisten sind 'Demokraten' und 'Freiheitskämpfer', wenn sie in Libyen oder Syrien gegen die Regierungen von Gaddafi oder Assad kämpfen. /// Die Besetzung Afghanistans durch westliche Truppen dient der Ausbreitung und Verteidigung der Demokratie.  –   Die Besatzungsmächte besitzen das selbstverständliche Recht, sich über alle Forderungen der 'souveränen', 'legitimen', 'demokratisch gewählten' Regierung Afghanistans hinwegzusetzen.

Doch auch wenn ich jedem, der dies noch nicht getan hat, nur wärmstens empfehlen kann, 1984 zu lesen (und sich danach vielleicht einmal Michael Radfords Filmversion anzuschauen), erfüllt mich der Gedanke an eine Hollywood-Version der Geschichte von Winston Smith eher mit Unbehagen. Natürlich muss das Ergebnis nicht gleich so schlimm ausfallen wie die Animal Farm - Version von 1999 – eine Buchverfilmung, die hinsichtlich der Verdrehung der politischen Ansichten des Autors vielleicht nur noch von der ersten Filmadaption von Graham Greenes The Quiet American aus dem Jahre 1958 übertroffen wird. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass bei der Verwandlung von 1984 in einen marktgerechten Blockbuster irgendetwas anderes herauskommen kann als eine filmische Peinlichkeit.

All das ist freilich noch reine Zukunftsmusik. Niemand weiß, wann sich Imagine Entertainment an die Verwurstung von Orwell machen wird, und ebensowenig ist bekannt, wer dann die Regie übernehmen wird. Die Namen der bisher an dem Projekt beteiligten Personen flößen jedoch nicht gerade Vertrauen ein. Ron Howard (Splash, Cocoon, Willow, Apollo 13, How the Grinch Stole Christmas, A Beautiful Mind, Cinderella Man, The Da Vinci Code, Frost/Nixon) ist nicht unbedingt als übermäßig intelligenter, kritischer oder subversiver Filmemacher bekannt. Sein am deutlichsten 'politischer' Film Frost/Nixon stellte letztenendes die 'Humanisierung' eines der großen Kriegsverbrecher des 20. Jahrhunderts und damit die Verharmlosung seiner Untaten – dar. Shepard Fairey mag eher im Rufe eines Rebellen stehen, aber wie Howard gehört auch er zu jener Schicht wohlhabender 'Liberaler', die in Barack Obama ihren Messias erblicken. Er kreierte für dessen Wahlkampagne das berühmte Hope-Plakat, während Howard einen Werbespot für den Präsidentschaftskandidaten drehte. Die Ironie besteht darin, dass kaum jemand die moderne Version von newspeak so perfekt beherrscht wie Obama und seine Apologeten. Man möge es mir deshalb verzeihen, dass ich aus diesen Kreisen keine interessante neue Orwell-Interpretation erwarte. Diese Leute leben gemäß dem Ingsoc-Slogan 'Unwissenheit ist Stärke'.  

Donnerstag, 22. März 2012

Alien + Däniken = ?


Die große Stärke von Ridley Scotts Alien war seine Schlichtheit. Eine kleine Gruppe von Weltraumproletariern stößt auf ein galaktisches Superraubtier und muss einen verzweifelten Kampf ums Überleben führen, den alle außer einer verlieren. Punkt. Viel mehr lässt sich über den Plot nicht sagen. Die Geschichte mit Android Ash und der bösen ‘Company’ ist fast schon eine unnötige Ablenkung vom Hauptthema. Kein tiefgründiger, aber ein atmosphärisch äußerst dichter und spannender Film. H.R. Gigers phantastisches Monstrum, die klaustrophobische Umgebung des Raumfrachters Nostromo, die zwar nur mit grobem Pinselstrich gezeichneten, aber durchweg menschlichen Crewmitglieder, Sigourney Weaver als toughe Ripley. Mehr brauchte es nicht.

Ich bin ein großer Fan dieses Films, aber ich halte wenig von allen anderen Alien-Versionen. Der Erfolg von Ridley Scotts Streifen musste beinahe zwangsläufig Fortsetzungen nach sich ziehen. Diese konnten natürlich nicht einfach das Szenario des Originals wiederholen. Das Ganze musste notgedrungen 'komplexer' werden. In Alien 2 versuchte man dieses Problem noch auf quantitative Weise zu lösen: Statt einem Ungeheuer Dutzende, statt der Nostromo die Gebäude einer Kolonie. Ab dem dritten Teil jedoch bemühte man sich, der Geschichte eine 'tiefere Bedeutung' zu verleihen. Aber genau dafür eignet sich das Alien nicht. Es ist und bleibt ein gruseliges Raubtier mit ausfahrbarem Kiefer und Säure statt Blut - nicht mehr. Und auch Ripley war am besten als simple Malocherin, die gezwungenermaßen zur Heldin wurde, um sich (+ Katzen oder kleine Mädchen) zu retten. Ein bisschen Groteske und heftigere Ekeleffekte in Teil 4 boten da auch keinen Ausweg. Und über die Versuche, das Alien- mit dem Predator-Franchise zu verschmelzen, breiten wir lieber gleich den barmherzigen Mantel des Schweigens aus.

Und jetzt kommt also Prometheus, Ridley Scotts Rückkehr zu dem Ungeheuer, das ihn berühmt gemacht hat. Ich bin da eher skeptisch, und die beiden im Internet kursierenden Trailer haben wenig getan, mich eines besseren zu belehren.



Waren Scott und Drehbuchautor Damon Lindelof tatsächlich so einfallslos und verzweifelt, dass sie noch einmal den öden Dänikenbrei aufwärmen mussten? Spätestens nach Stargate sollte das kein SciFi-Filmemacher mehr machen dürfen, ohne dafür ausgelacht zu werden.
Noch unheimlicher wird die Sache, wenn man den folgenden Ausschnitt aus einem Interview mit Lindelof liest: "Ridley Scott birthed this universe over two decades ago. My job was to sit and listen and to channel, in the same way that a medium does. This was about the ideas that he wanted to convey, and he did not want to come back and do science fiction again unless there was some kind of a philosophical construct to it." Sollte Scott die 'Prä-Astronautik' des Schweizer Hotelangestellten am Ende gar für 'philosophisch' und 'tiefgründig' halten? Werden wir eine Melange aus Alien und Erinnerungen an die Zukunft serviert bekommen? Es steht beinahe zu befürchten, wenn denn die folgende Ausführung des Regisseurs nicht ironisch gemeint war: "Both NASA and the Vatican agree that it is almost mathematically impossible that we can be where we are today, without there being a little help along the way. That’s what we’re looking at: we are talking about gods and engineers, engineers of space. Were the Aliens designed as a form of biological warfare, or biology that would go in and clean up a planet?"

Samstag, 17. März 2012

Soll man lachen oder weinen?

Es ist traurig mit ansehen zu müssen, wie Tim Burton mehr und mehr zu einer Karrikatur seiner selbst wird. Es gab Zeiten, da hatten seine Filme etwas frisches, respektloses, unkonventionelles. Doch inzwischen muss man beinahe zwei Jahrzehnte zurückgehen, um diesem Burton zu begegnen: Beetlejuice (1988), Batman (1989), Ed Wood (1994). Hier zeitigten Burtons Exzentrizität und seine Sympathie für Freaks und Outsider noch wirklich sehenswerte Resultate.*  Doch schon sehr bald wurde es immer offensichtlicher, dass seine kreativen Ressourcen damit offenbar bereits aufgebraucht waren. Als Hommage an die SciFi-Filme der 50er bzw. die Horrorstreifen der Hammer Studios waren Mars Attacks! (1996) und Sleepy Hollow (1999) ja noch ganz nett, doch wiesen sie bereits deutliche Anzeichen von Stagnation auf. Vielleicht war der fürchterliche Planet of the Apes (2001) eine Art Ausbruchsversuch. Wenn, dann scheiterte er auf der ganzen Linie. Seitdem hat  sich Burton immer mehr in sein eigenes Filmuniversum zurückgezogen, das geprägt ist durch einen Stil – man könnte ihn vielleicht ‘Goth-Kitsch’ nennen – der über die Jahre nicht nur immer hohler und langweiliger wirkt, sondern inzwischen endgültig ins lächerliche umgekippt ist. Der Trailer zu dem neuen Film Dark Shadows gleicht einer ungewollten Parodie auf all die sattsam bekannten Konventionen des einstigen Unkonventionellen:


Peinlich, peinlich ... Auch ist man inzwischen gezwungen, sich zu fragen, womit sich Johnny Depp eigentlich stärker blamiert: Mit seinen fortgesetzten Auftritten in den immer wirreren und öderen Pirates of the Carribean oder durch seine unerschütterliche Bereitschaft, in jedem neuen Film seines Kumpels Tim den bleichen Protagonisten zu geben?

* Edward Scissorhands (1990) und A Nightmare Before Christmas (1993) sind zwar nicht ganz nach meinem Geschmack, gehören aber wohl auch zur Ära des ‘alten’ Burton. Allerdings darf man nicht vergessen, dass er bei letzterem nicht die Regie geführt hat.

Eine Pflichtarbeit (III)

Verspätete Gedanken über den Töpferjungen


Harry ist der Held, weil Rowling uns das sagt und weil Dumbledore ihm am Ende die meisten Punkte verleiht. Seine eigenen Leistungen würden diesen Titel nicht rechtfertigen. Hermine ist ganz offensichtlich die bessere und intelligentere Zauberin, und Ron beweist während des Schachspiels mindestens ebenso großen Mut wie er. Dennoch erhält Potter zehn Punkte mehr als seine Freunde. Man fragt sich warum? Was ihn auszeichnet ist nichts, was er sich selbst erarbeitet hätte. Ebensowenig beweist er größere moralische Standhaftigkeit, denn er ist nie irgendwelchen ernsthaften Versuchungen ausgesetzt. Seinen Heldenstatus verdankt er im Grunde ausschließlich irgendwelchen Gaben oder Geschenken. Das beginnt schon bei seiner Herkunft. Er ist nun einmal ‘der Junge, der lebt’ und als solcher dazu ausersehen, den Dunklen Lord zu bezwingen. Ironischerweise ist selbst sein Fluggeschick, das es ihm erlaubt, beim schulinternen Wettbewerb zu punkten, eine angeborene Gabe, die sich augenblicklich meldet, sobald er zum ersten Mal auf einen Besen steigt. Er muss zwar auch dann noch trainieren – was er offenbar mit größerem Eifer tut als irgendetwas anderes –, aber der Eindruck, den er nach seiner ersten Flugstunde hinterlässt, bleibt dennoch der eines Wunderkindes. (1) Daneben werden ihm mächtige Artefakte wie der Unsichtbarkeitsmantel, ohne den er ziemlich dumm dastehen würde, vom großen Gönner Dumbledore in die Hände gespielt. Selbst die finale Konfrontation mit Voldemort übersteht er nicht dank seiner eigenen Geschicklichkeit oder Klugheit, sondern einzig aufgrund des besonderen magischen Schutzes, der ihm durch die aufopfernde Liebe seiner Mutter zuteil geworden ist, die für ihn ihr Leben hingegeben hat.

Der auserwählte Held gehört natürlich zum Standardrepertoire der 08/15-Fantasy, aber er lässt sich nur schwer mit einer auf Leistung basierenden Ethik in Einklang bringen. Die außergewöhnlichen Taten eines solchen Helden können höchstens seine von Geburt an vorhandene ‘Tugend’ bestätigen, sie können nie wirklich Teil eines Entwicklungsprozesses sein. Harrys erster Besenflug zeigt dies sehr deutlich: "Er stieg auf den Besen, stieß sich heftig vom Boden ab und schoss mit wehendem Haar und in der Luft peitschendem Umhang nach oben – und wilde Freude durchströmte ihn, denn er spürte, dass er etwas konnte, was man ihm nicht erst beibringen musste – Fliegen war leicht, Fliegen war toll. [...] Aus irgendeinem Grund wusste Harry, was zu tun war." (S. 163f.) Man braucht sich nur vorzustellen, es ginge hier nicht um einen Hexenbesen, sondern um ein Motorrad, und die Absurdität dieser Szene wäre offensichtlich. Da wir mehrfach erzählt bekommen, dass auch Harrys Vater ein exzellenter Quidditch-Spieler war, müssen wir wohl davon ausgehen, dass es eine genetische Veranlagung zum Besenreiten gibt. Doch ist diese weniger ein Talent, als vielmehr eine quasi übernatürliche Gabe. Ersteres würde es verständlich machen, wenn Harry das Erlernen des Besenreitens leichter fiele als anderen, aber er braucht ja gar keinen Unterricht, sondern er weiß ‘aus irgendeinem Grund’ schon, was er tun muss. Für eine Geschichte, die in einer Schule spielt, geht es in Harry Potter erstaunlich wenig um lernen. Man vergleiche dies mit dem Werdegang von Le Guins Helden in The Wizard of Earthsea. Ged ist ohne Zweifel das größte magische Talent seiner Zeit, aber es braucht Jahre anstrengender Studien in Rok, bis er sein Potential zur vollen Entfaltung bringen kann. Harry erinnert mich da eher an den jungen Lanzelet aus dem mittelhochdeutschen Artusroman Ulrichs von Zatzikhoven. Dieser braucht sich bloß ein Turnier anzuschauen, um zum besten Ritter der Welt zu werden, obwohl er einige Tage zuvor noch nicht einmal richtig reiten konnte.
Die Erwähltheit Potters besitzt also einen mystischen Zug, beruht jedoch gleichzeitig – anders als etwa bei Tolkiens Frodo – auf seiner biologischen Abstammung. In späteren Bänden erklärt Rowling ganz ausdrücklich Harrys Blut zum Träger sowohl des mütterlichen Segens als auch seiner eigenen Seele. Neunmalkluge Verweise auf mythische Traditionen wie die des Alten Testamentes können nicht über die Krudität dieses Bildes hinwegtäuschen. Auch die Fähigkeit zum Zaubern erklärt Rowling ja ganz biologistisch als eine in den Genen verankerte Eigenschaft. Es mag etwas verwirrend wirken, dass Rowlings Bösewichter arrogante Aristokraten sind, die sich Wunder was auf ihre Blutlinien einbilden, während Harrys Heldentum doch gleichfalls auf dem ‘ganz besondren Saft’ beruht, der durch seine Adern fließt, aber solche Widersprüche gehören nun einmal zum Potterversum. Der Grund für sie dürfte vermutlich darin zu suchen sein, dass Rowling einerseits den Typus des aristokratischen Snobs verabscheut, der trotz der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in der britischen Elite nach wie vor keine Seltenheit sein dürfte, andererseits jedoch eine Geschichte nach dem Muster des ‘Returning Prince’ erzählt, wie Farah Mendlesohn überzeugend dargelegt hat. Auf jedenfall zeigt uns diese ganze verschwurbelte Blutmystik mit begrüßenswerter Klarheit, dass das Motiv vom Auserwählten unauflöslich verbunden ist mit elitärem Gedankengut.

Eigentlich wird dem armen Voldemort von der Autorin unrecht getan, wenn sie ihn zum Dunklen Lord erklärt, denn zumindest in einem Punkt hat er vollkommen recht: Menschen sind nicht gleich in der Zaubererwelt. Bereits im Alter von elf Jahren werden sie vom ‘Sprechenden Hut’ (im Original präziser ‘Sorting Hat’ genannt) in vier Klassen eingeteilt: Die mutigen Gryffindors, die treuen Hufflepuffs, die schlauen Ravenclaws und die ehrgeizigen Slytherins. Eine weitere charakterliche Entwicklung ist nach diesem Termin offenbar nicht mehr vorgesehen, und meines Wissens begegnet uns in den Büchern außer dem Verräter Pettigrew niemand, der später grundsätzlich vom Psychogramm seines alten ‘Schulhauses’ abgewichen wäre. Dan Hemmens hat zurecht auf die Parallelen zwischen diesem Auswahlverfahren und einer falsch verstandenen calvinistischen Prädestination hingewiesen. Rowlings Beteuerungen, alle ‘Häuser’ seien gleichgestellt, ist offenbar unsinnig. Die Gryffindors bilden eine moralische Aristokratie, sie sind die ‘Ritter’ des Potterversums: "You might belong in Gryffindor,/ Where dwell the brave at heart,/ Their daring, nerve and chivalry,/ Set Gryffindors apart". Im Gegenzug sind und bleiben die Slytherins die geborenen Bösewichte. Alle ‘Todesser’ außer Pettigrew entstammen diesem ‘Haus’, und in der großen Endschlacht stellt es sich so gut wie geschlossen auf die Seite Voldemorts. Sämtliche Belege, die gegen eine solch deterministische Interpretation der Hut-Zeremonie zu sprechen scheinen, werden von Rowling selbst im Verlauf ihrer Reihe entkräftet. Harrys Wahlmöglichkeit zwischen Gryffindor und Slytherin (keine wirkliche Wahl, denn unser Held zögert nicht einen Moment) beruht einzig auf dem Umstand, dass er einen Teil von Voldemorts Seele in sich trägt; Snape ist nur deshalb ein ‘guter’ Slytherin, weil er sich als Jugendlicher in Lily (eine Gryffindor natürlich) verliebte etc.

Ein bisschen Schwarzweißmalerei gehört wohl zu jedem Kinderbuch. Als Elfjähriger möchte man nicht zu lesen bekommen, dass der gemeine Mathelehrer in Wahrheit ein durch Überarbeitung frustrierter Idealist ist oder der brutale Klassenfiesling vielleicht unter der Scheidung seiner Eltern oder einem alkoholkranken Vater leidet. Die Figur des Snape, wie sie in Harry Potter und der Stein der Weisen beschrieben wird, besitzt da genau das richtige Maß an Differenziertheit. Aber leider wächst sich das, was im Rahmen des ersten Bandes noch nicht so unange-nehm auffällt, in späteren Bänden zu einem allgemeinen Weltbild aus, von dem die Autorin erwartet, dass auch Erwachsene es ernstnehmen. Dabei werden Gut und Böse zu quasi von Geburt an den Menschen innewohnenden Qualitäten, die früher oder später unausweichlich zur Entfaltung gelangen. Ein gutes Beispiel dafür scheint mir Peter Pettigrew zu sein. Noch als er der gute Kumpel von James Potter, Sirius Black und Remus Lupin war, suchte er sich als Tiergestalt ausgerechnet eine Ratte aus und wurde ‘Wormtail’ genannt! Die plumpe Symbolik lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, wer von den Vieren schließlich zum Verräter werden würde – es lag halt schon immer in Peters Natur. Mit den später eingeführten Hintergrundsgeschichten Voldemorts und Dumbledores hat Rowling zwar beabsichtigt, dieser manichäischen Konstruktion etwas menschliche Tiefe zu verleihen. Doch soweit ich dies abzuschätzen vermag, ist ihr das höchstens ansatzweise gelungen.

Tom Riddle wurde von seinen Eltern im Stich gelassen und wuchs in einem Waisenhaus auf, aber ist dies der wahre Grund für seine Verwandlung in den Dunklen Lord? Wenn dem so wäre, dann hätten wir eine Erzählung vor uns, die behaupten würde, dass vernachlässigte Kinder zu größenwahnsinnigen Möchtegerndiktatoren heranwachsen. Reichlich bizarr, oder? In Wirklichkeit lässt Rowling auch kaum Zweifel daran, dass Tom schon immer ein Psychopath war. Seine Hintergrundsgeschichte dient nur scheinbar dazu, ihm ein etwas menschlicheres Antlitz zu verleihen. In erster Linie ist sie als deutliche Parallele zu Harrys Biographie angelegt und unterstreicht somit nur, dass es eben gerade nicht das soziale Umfeld oder die Erfahrungen seiner Kindheit waren, die aus Riddle Voldemort machten. (2) Tom fehlt im Unterschied zu Harry zwar die elterliche – vor allem die mütterliche – Liebe, aber Liebe hat bei Rowling kaum etwas mit realen zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun, sondern ähnelt eher einer mystischen Macht. Die Erfahrung, geliebt zu werden, hat ja auch der kleine Potter nicht machen können, sind seine Eltern doch bereits kurz nach seiner Geburt ermordet worden, woraufhin Dumbledore das Baby bei Nacht und Nebel auf der Türschwelle der Dursleys aussetzte. Obwohl er in einem gänzlich lieblosen Umfeld aufgewachsen ist, lebt die mütterliche Liebe dennoch auf geheimnisvolle Weise in ihm fort. Sie liegt ihm im wahrsten Sinne des Wortes im Blut. Damit wird sie nur zu einem weiteren Symbol seines Erwähltseins, und man könnte sie ebensogut durch Gottes Huld oder etwas ähnliches ersetzen. Bezeichnenderweise ergibt sich Voldemorts einzige Chance zu Reue und Umkehr aus dem Umstand, dass er sich zu seiner Wiederauferstehung des Blutes seines Widersachers bedient: "Because he had taken into his body this – this drop of hope or love (Harrys Blut). So that meant that if he could have mustered the courage to repent, he would have been okay. But, of course, he wouldn't. And that's his choice." (3) Dass er diese Chance ‘selbstverständlich’ nicht wahrnimmt, beweist seine böse Natur. Hier, wie so oft, ist das, was Rowling als ‘choice’ bezeichnet, überhaupt keine wirkliche ‘Entscheidung’. Man denke nur zurück an Harrys ‘Wahl’ zwischen Gryffindor und Slytherin, die eher als eine Bedrohung, denn als eine Wahlmöglichkeit oder auch nur als eine Versuchung beschrieben wird.
Bei Dumbledore sieht es etwas anders aus, denn hier ging es Rowling wohl tatsächlich darum, dem alten Zauberer etwas vom Nimbus des unfehlbaren Weisen zu nehmen, mit dem sie ihn für den Großteil der Serie umgeben hatte. Dazu bedient sie sich zweier Methoden ... und scheitert mit beiden. Zum einen offenbart sie uns in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, dass der achtzehnjährige Albus irgendwann Mitte des 19. Jahrhunderts für kurze Zeit mit dem Magier-Chauvinismus und der Idee der Weltherrschaft geliebäugelt hatte. Ach, Gottchen! Ich hab mich vor etlichen Jahren in einem Anfall von spätpubertärem Größenwahn auch mal für einen nietzscheschen Übermenschen gehalten. Was soll’s? Dumbledores Jugendsünden bleiben ein rein äußerliches Anhängsel, ohne nennenswerten Einfluss auf seine spätere Entwicklung. Rowlings zweiter Kniff hätte schon eher dazu führen können, unser Bild des Magiers grundsätzlich zu verändern. Es zeigt sich nämlich, dass Albus Harrys ganze Entwicklung so zu manipulieren versuchte, dass dieser im gegebenen Augenblick bereit sein würde, sich zu opfern und damit Voldemorts Vernichtung zu ermöglichen. Die Vorstellung von einem netten und humorigen Oberlehrer, der sich das Vertrauen und die Zuneigung eines Kindes erschleicht, um dieses auf den Selbstmord vorzubereiten, ist in der Tat erschreckend. Eigentlich müssten wir Dumbledore verabscheuen. Doch bis zu dieser radikalen Konsequenz will Rowling ihre Demontierung der Mentorfigur nicht treiben. Selbst als Manipulator bleibt Dumbledore immer noch der Vertreter des ‘Guten’, der Gandalf-Obiwan des Potterversums, und Harry erfüllt seine Bestimmung als Auserwählter, indem er sich letztenendes ganz genauso verhält, wie dieser es vorgesehen hatte. Rowling selbst hat es so ausgedrückt: "[I]f Harry had all the information, he likely would have been tempted into doing something else, so he had to trust Dumbledore, who ultimately did guide him to do the right thing." Wie sie gleichzeitig erwarten kann, dass wir das Verhalten des Zauberers kritisch hinterfragen, ist mir schleierhaft. Es sieht ganz so aus, als wolle Rowling auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen. Sie versucht den Anschein zu erwecken, ihre Geschichte sei ‘rebellisch’ – "younger people [...] should question authority" –, ohne dabei die Grundstruktur der ‘klassischen’ Fantasy in Frage zu stellen. Doch jener Mix aus kleingehäckselten Bestandteilen von Märchen und Heldenepos, tolkienschen Erblasten sowie dem vulgärmythologischen Quark vom ‘Heroe with a Thousand Faces’ enthält nun mal eine ganze Reihe ausgesprochen autoritärer Zutaten: den auserwählten Helden, den weisen Mentor, den religiösen Dualismus von Gut und Böse etc.

Stände Harry Potter und der Stein der Weisen für sich allein, so würden mich diese Versatzstücke vielleicht gar nicht einmal so stören. Natürlich ist mir ein Kinderbuch wie China Miévilles Un Lun Dun lieber, das genau diese autoritären Klischees der ‘klassischen’ Fantasy humorvoll zu untergraben sucht, aber solange der Fokus auf den spannenden Abenteuern dreier Kinder in einem grotesk-phantastischen Internat liegt, kann ich mit ihnen leben. Sie finden sich hier ohnehin nur ansatzsweise. Erst im Übergang von magischer ‘school story’ zu Fantasyepos werden sie zur vollen Entfaltung gelangen. Eines allerdings ist mir schon bei der Lektüre des ersten Bandes aufgefallen: Wie ungeschickt Rowling sich anstellt, wenn es um die Vermittlung ihrer ‘progressiven’ Ansichten geht. Die Vergabe von zehn Punkten an Neville Longbottom, die den Sieg Gryffindors über Slytherin besiegelt, ist ja vermutlich als ein Plädoyer für eigenständiges Denken und Handeln gedacht. Dumbledore verkündet: "Es verlangt einiges an Mut, sich seinen Feinden entgegenzustellen, doch genauso viel, den eigenen Freunden in den Weg zu treten." (S. 332) Man sollte sich keinem Gruppenzwang unterwerfen. Eigentlich eine sympathische Botschaft, oder? Andrew Zimmerman Jones von Black Gate jubelt in seiner Liebeserklärung an J.K. Rowling: "This [i]s a deft, subtle, totally-unexpected moral lesson, woven perfectly into the fabric of a children’s book. It [i]s perfect. It [i]s sublime." Doch Moment! Blättern wir einmal kurz zurück und schauen nach, warum genau sich Neville seinen Freunden entgegengestellt hat. Und siehe da – der Grund, warum er Harry, Ron und Hermine von ihrer nächtlichen Expedition abhalten wollte, war nicht etwa, weil er diese für zu gefährlich gehalten und deshalb Angst um seine Freunde gehabt hätte. O nein! "Ihr könnt nicht rausgehen [...], sie erwischen euch wieder und Gryffindor kriegt noch mehr Ärger. [...] Ich will nicht, dass ihr noch mehr Regeln brecht!" (S. 296) Der brave Neville hat Angst, dass sein ‘Haus’ noch mehr Punkte verliert, und deshalb sollen die drei gefälligst nicht schon wieder gegen irgendwelche Schulregeln verstoßen. Als ein Beispiel für selbstständiges Denken halte ich das zumindest für schlecht gewählt.

Zuguterletzt noch ein paar Worte zum titelgebenden Stein der Weisen. Dieser ist ja kein x-beliebiges magisches Artefakt, das sich ebensogut durch Ceridwens Kessel, den Ring des Andvari oder Aladins Wunderlampe ersetzen ließe, vielmehr führt er symbolisch eines der Hauptthemen der Potter-Bücher ein. J. K. Rowling besaß den Ehrgeiz, nicht nur eine spannende und farbenfrohe Geschichte zu erzählen, sondern sich auch mit ‘ernsten’ und ‘schwierigen’ Fragen auseinanderzusetzen. An deren Spitze stand die nach dem Tod. Was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass ihr der nicht unbekannte deutsche Fantasyexperte Frank Weinreich bescheinigt, sie habe sich in ihren Büchern mit den "großen, berührenden Themen der conditio humana" beschäftigt.
Der Stein der Weisen, mit dem sich bekanntlich das Elexier des Lebens herstellen lässt, ist ein Symbol für das Verlangen nach Unsterblichkeit, und dieses wiederum ist der treibende Motor von Voldemorts Handlungen. Die größte Furcht des Dunklen Lords ist es zu sterben, denn er sieht den Tod als eine schmachvolle Niederlage, als einen Beweis persönlicher Ohnmacht an. Harry hingegen beweist mit seiner freiwilligen Selbstopferung in Heiligtümer des Todes, dass er der wahre ‘Meister des Todes’ ist. Wie Dumbledore, der noch aus dem Jenseits heraus seine alte Plot-Funktion erfüllen und am Ende Harry und der Leserschaft die Ereignisse des Buches erklären muss, im Limbo von King’s Cross Station verkündet: "You are the true master of death, because the true master does not seek to run away from Death. He accepts that he must die, and understands that there are far, far worse things in the living world than dying."(4)
Die negativen Folgen der Sehnsucht nach Unsterblichkeit sind in der Fantasyliteratur immer wieder thematisiert worden, von William Morris’ The Story of the Glittering Plain über J.R.R. Tolkiens Arda-Mythos (insbesondere Akkalabêth und Herr der Ringe) und C.S. Lewis’ That Hideous Strength bis hin zu Ursula K. Le Guins The Farthest Shore. Dabei lassen sich zwei grundverschiedene Sichtweisen ausmachen. Morris betrachtet das Thema von einer humanistischen Warte aus. Für ihn ist der Tod ein Teil des menschlichen Lebens und wer ihn verneint, verneint damit auch das Leben. Die Bewohner seines unheimlichen Landes der Todlosen führen eine apathische, sinnentleerte Existenz und sind bar aller tieferen Emotionen. Trotz ihrer taoistischen Philosophie steht auch Le Guin dieser Position nahe. Geködert vom Versprechen ewigen Lebens opfern die Menschen der Erdsee in The Farthest Shore alles, was ihr irdisches Leben sinn- und freudvoll gemacht hat. Den radikalen Gegensatz dazu bildet das Werk von C.S. Lewis. Er betrachtet das Verlangen nach einer Überwindung des Todes als einen Ausdruck menschlicher Hybris, als eine schwere Sünde, die ein ebenso grausames göttliches Strafgericht nach sich zieht. Wie er am Ende des Narnia-Zyklus schreibt, sieht er im Leben nur "the cover and the title page", der Tod hingegen sei "Chapter One of the Great Story which no one on earth has read: which goes on for ever: in which every chapter is better than the one before". (5)  Nicht zu Unrecht spricht Philip Pullman, der mit His Dark Materials ja eine Art Anti-Narnia geschaffen hat, in Bezug auf Lewis’ Bücher von "propaganda in the service of a life-hating ideology": Tolkien würde ich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen einordnen.
Leider tendiert Rowling eher in die lewis’sche Richtung, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen ist, da es bei ihr weder um Gott noch Sünde geht. Erste Anzeichen dafür finden sich aber bereits in Dumbledores Ausführungen über den Stein der Weisen: "Weißt du, eigentlich war der Stein gar nichts so Wundervolles. Geld und Leben, so viel du dir wünschst! Die beiden Dinge, welche die meisten Menschen allem anderen vorziehen würden – das Problem ist, die Menschen haben den Hang, genau das zu wählen, was am schlechtesten für sie ist." Das ist zumindest eine etwas merkwürdige Formulierung, denn sollte man den Wunsch nach einem möglichst langen Leben tatsächlich mit der Gier nach Geld auf eine Stufe stellen? Und hat es dem guten Albus vielleicht geschadet, dass er das methusalmsche Alter von einhundertfünfzig Jahren erreicht hat? Wirklich mulmig aber wird mir, wenn ich den folgenden Satz zu lesen bekomme: "Schließlich ist der Tod für den gut vorbereiteten Geist nur das nächste große Abenteuer." (S. 323) Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man den Tod als Tod oder als Abschluss und damit Bestandteil des Lebens bejaht.
Narnia ist mir aus ästhetischen wie aus ideologischen Gründen verhasst, aber C.S. Lewis macht zumindest keinen Hehl daraus, dass seine Bücher als eine christliche Allegorie zu verstehen sind. Er war ein tiefgläubiger Mensch, und seine Verherrlichung des Todes in The Last Battle ist bloß der konsequente Ausdruck seiner Art von Christentum. Rowling versteht sich zwar ebenfalls als Christin, doch ist ihr Glaube keineswegs so gefestigt – und fanatisch – wie der des alten Inklings. Sie hat es so ausgedrückt: "[M]y faith is sometimes about if my faith will return." Und so werden wir in Harry Potter zwar mit einer ganz ähnlichen Einstellung zum Tod konfrontiert wie in Narnia, doch ohne den religiösen Kontext, der diese zwar nicht akzeptabler, aber zumindest verständlich macht.

Seine volle Entfaltung findet das, was sich in Dumbledores Bemerkungen bereits andeutet, in Harrys Opfer in den Heiligtümern des Todes. Dass der Zauberlehrling dabei zu einer Art Christusfigur avanciert, ist eher nebensächlich. Entscheidend sind vielmehr die Worte, mit denen die Geister von James, Lily, Lupin und Sirius ihm bei seinem Opfergang Mut zusprechen:
"‘You are nearly there,’ said James. ‘Very close. We are ... so proud of you.’ ‘Does it hurt?’ The childish question had fallen from Harry's lips before he could stop it. ‘Dying? Not at all,’ said Sirius. ‘Quicker and easier than falling asleep.’" (6)
Es geht hier um den Tod eines siebzehnjährigen Jugendlichen, und in diesem Zusammenhang finde ich es einfach abstoßend, davon zu reden, Sterben sei wie Einschlafen – ‘schnell und leicht’! Das Schreckliche am Tod ist doch nicht der Augenblick, in dem das Herz aufhört zu schlagen, sondern seine Endgültigkeit, die Vernichtung aller künftigen Entwicklungsmöglichkeiten. Was hätte dieser Junge in seinem Leben noch alles tun, fühlen, erleben können! Der eigenen Sterblichkeit ohne Angst zu begegnen, ist allgemein gesprochen sicher eine erstrebenswerte Haltung. Doch heißt das nicht, dass ein gesunder junger Mensch ohne Zögern bereit sein sollte, in den Tod zu gehen. Eine solche Tragödie mit derart billigen Sprüchen abzutun, ist nur möglich, wenn man von der Existenz eines Jenseits überzeugt ist, das um ein vielfaches begehrenswerter ist als das irdische Leben. Und tatsächlich landet Harry ja in einer Art Vor-Himmel, wo ihn der gütige Dumbledore erwartet. Also wenn das J. K. Rowlings Antwort auf das Problem der Sterblichkeit ist, dann kämpfe ich mich lieber noch mal durch die Narnia-Bücher. Aslan ist wenigstens ein echter Löwe von Juda, Albus hingegen bloß ein toter Zauberer mit einer Vorliebe für Zitronenbrausebonbons.
Man mag einwenden, Harrys finale Konfrontation mit Voldemort sei nicht als Aussage über den Tod gemeint, sondern als Beispiel dafür, dass es Situationen gibt, in denen man bereit sein muss, alles – sogar das eigene Leben – zu opfern, denn "there are far, far worse things in the living world than dying"; (z.B. die Schreckensherrschaft eines nasenlosen Psychopathen). Zweifelsohne war dies eines von Rowlings Anliegen, aber die Art, in der sie die Szene angelegt hat, lässt Harry nicht als einen Kämpfer erscheinen, der im erbitterten Widerstand gegen die Mächte von Terror und Unterdrückung fällt, sondern als ein Opferlamm, das bereitwillig zur Schlachtbank trottet. Der vielgerühmte Mut Harrys – der legendäre Mut der Gryffindors – beweist sich letztenendes nicht in Aktion und Kampf, sondern im Annehmen der eigenen Bestimmung und im Akzeptieren des Todes. Ich muss da unwillkürlich an Ambrose Bierces Definition von ‘Märtyrer’ denken: "One who moves along the line of least reluctance to a desired death."

Alle Potterfans – und nicht nur sie – könnten mir jetzt vorwerfen, dass ich schon wieder über Sachen urteile, die ich überhaupt nicht gelesen habe. Sie hätten vollkommen recht, und ich sollte darum wohl besser aufhören. Vielleicht besorg ich mir irgendwann einmal Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – und wenn auch nur, weil ich unbedingt mit gutem Gewissen einen Vergleich zwischen dem Selbstopfer Harrys und dem Ofelias in Guillermo del Toros El Laberinto del Fauno anstellen will. Ich glaube, dass wäre sehr aufschlussreich.

Kommen wir also zum Ende.
Das für mich Auffälligste an Harry Potter bleiben die disparaten Bestandteile, aus denen die Geschichte zusam-mengesetzt ist. Da steht die Internatsgeschichte neben dem Fantasyepos, der Spießeralptraum der Dursleys neben dem Spießeridyll der Weasleys, der auserwählte Held neben der Wettbewerbsethik, die säkularisierte Zauberer-welt neben der religiösen Botschaft vom Tod als dem ‘nächsten großen Abenteuer’, der Rassismus der ‘Todesser’ neben dem rassistischen Klischee der glücklichen Sklaven, die Verurteilung aristokratischer Arroganz neben der Blutmystik und dem Motiv vom ‘Returning Prince’. Zum einen belegt das ganz einfach, was für eine nachlässige Schriftstellerin J. K. Rowling ist. Oberflächliche Details weiß sie angeblich sehr geschickt miteinander zu verknüpfen – so erhält vieles, was in den ersten Bänden nebensächlich erscheint, später eine Bedeutung –, aber es macht nicht den Eindruck, als habe sie ihre Erzählung auf einer tieferen Ebene ernsthaft durchdacht. Andererseits passt die innere Widersprüchlichkeit des Potterversums ganz ausgezeichnet zu dem Jahrzehnt, in dem die Bücher entstanden sind; einer Zeit, die besonders stark geprägt war von der Auflösung fester Standpunkte, der falschen Toleranz des ‘kann man so, aber auch so sehen’, der postmodernen Beliebigkeit. Das erklärt vielleicht auch, warum Harry Potter selbst unter vielen Feuilletonisten Anklang gefunden hat. Jeder konnte sich das herauspicken, was ihm persönlich mundete, der Konservative wie der ‘Progressive’, der Christ (7) wie der Agnostiker, der Verteidiger traditioneller ‘Familienwerte’ wie der brav gewordene Antiautoritäre. Und gegen Nazis sind wir schließlich alle, oder? (8)

Wie aber ist Harry Potter vom Standpunkt eines Freundes der Phantastik aus zu beurteilen?
Selbst so heftige Kritiker Rowlings wie Andrew Rilstone oder Dan Hemmens und Kyra Smith von FerretBrain waren ursprünglich Fans der ersten drei Potter-Bände. Und so glaube ich, das Beste, was die Autorin zu leisten imstande war, findet sich bereits im Stein der Weisen. Meiner Meinung nach sind das jene schon erwähnten verschrobenen Details, die Hogwarts so liebenswert erscheinen lassen, ob dies nun magische Schokofrösche, der Fast Kopflose Nick oder Hagrid mit seiner Vorliebe für Drachen und andere eher ungewöhnliche ‘Haustiere’ ist. Ein Buch, in dem das fürchterlichste Ungeheuer den Namen Fluffy trägt, hat bei mir jedenfalls erstmal ein Stein im Brett. Selbst Dumbledore erscheint noch nicht ausschließlich als der stereotype Mentor des Helden mit Tausend Gesichtern, sondern zugleich als eine leidlich sympathische und exzentrische Gestalt, die sogar über die gerade in der ‘klassischen’ Fantasy unschätzbare Eigenschaft der Selbstironie verfügt. Aber leider ist nur zu klar, dass die neckische, kleine Abenteuergeschichte, die sich in diesem Umfeld abspielt, letztenendes auf die x-te Version des epischen Kampfes gegen den Dunklen Herrscher {Satan – Sauron – Sith-Lord} hinauslaufen wird. Und das ist verflucht frustrierend.
Ich kann nicht beurteilen, ob die Potter-Mania in erster Linie das Produkt einer "ausgeklügelte[n], persönlich wirkende[n] Marketingmaschinerie" gewesen ist, "die wohl noch heute ihresgleichen sucht", wie ‘moyashi’ in der Bibliotheka Phantastika schreibt, oder ob "es völliger Schwachsinn ist, wenn Leute denken Joanne K. Rowling sei nur deshalb so erfolgreich, weil sie eine gute Marketingagentur hat", wie Elvir Dolic in Sono Nr. 5 behauptet. Ich tendiere eher zu ersterer Ansicht, aber vielleicht ist das bloß der Zyniker in mir. Letztenendes ist es auch nicht wirklich wichtig. Fakt bleibt, dass Rowlings Bücher für eine große Anzahl von Mädchen und Jungen der Einstieg in die Literatur und die Phantastik gewesen ist. (9) Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes zusammen mit Harry Potter aufgewachsen. Und da muss man sich schon fragen, welche Auswirkungen eine elfjährige Fütterung mit derart konventioneller Kost wohl haben könnte. Feststehen dürfte zumindest, dass der Erfolg des Töpferjungen nicht dazu beigetragen hat, die Phantastik aus dem Gefängnis der Klischees zu befreien. Natürlich können auch die in Hogwarts Sozialisierten ihren Weg aus den Ödnissen der 08/15-Fantasy in die wirklich interessanten Gefilde von Faërie finden, aber Rowlings Werk wird sie nicht dazu animieren. Elf Jahre Potter werden sie eher daran gewöhnt haben, in der Phantastik das Banale, Stereotype und Ungefährliche zu suchen, nicht das Komplexe, Originelle und Subversive.

Die begrüßenswerteste Folge des Hypes um den Töpferjungen dürfte es gewesen sein, dass damit besseren Büchern als ihm der Weg auf den Markt geebnet wurde, wie z.B. Jonathan Strouds Bartimäus-Trilogie. Die Geschichten um den zynischen Dschinn, seinen ehrgeizigen Meister Nathanael und die Rebellin Kitty sind sicher nicht makellos, aber witzig und respektlos erzählen sie von der demoralisierenden Wirkung des Lebens in einer Klassengesellschaft und behandeln auf sehr viel intelligentere Weise, als es Rowling je möglich gewesen wäre, die Fragen von Macht, Unterdrückung und Revolte. Leider scheinen manche Fantasyfans nicht recht begriffen zu haben, dass die Qualität von Strouds Bartimäus gerade auf dem Umstand beruht, dass es sich bei ihm um eine Art Anti-Potter handelt. Bei meinen Streifzügen durch die deutschsprachigen Fantasyforen bin ich sogar einmal einer Person begegnet, die den Autor allen Ernstes für einen Rowling-Epigonen hält. Ebensogut könnte man Michael Moorcocks Elric als das Werk eines Howard-Epigonen bezeichnen.

Bei dem Problem Potter geht es halt nicht nur um das Image der Fantasy, sondern auch darum, wie die Fans ihr eigenes Lieblingsgenre sehen. Die Bücher gewannen regelmäßig den Deutschen Phantastik Preis, der bekanntlich aufgrund einer Online-Abstimmung vergeben wird, in der Kategorie ‘Bester internationaler Roman’. Und ein kurzer Rundblick über die betreffenden Foren (forumos ausgenommen) hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass ein ordentlicher Prozentsatz des Fandoms sie nach wie vor zu den besten Fantasyromanen zählt, was ich denn doch bedenklich finde. Besonders verwundert hat mich, dass ausgerechnet jemand wie Frank Weinreich, der es sich doch zur Aufgabe gemacht hat, der Phantastik auch außerhalb des Fandoms zu einem höheren Ansehen zu verhelfen, Harry Potter mit Samthandschuhen anfasst. Zwar hat er, wie aus einigen Randbemerkungen in seinen Essays hervorgeht, von den beiden letzten Bänden keine hohe Meinung, dennoch verwendet er die Geschichte vom Töpferjungen regelmäßig als Paradebeispiel für Fantasy, "because it takes up all the topics which fantasy makes so appealing [sic]: magic, mystery, heroism, love, and friendship on the first level and the topic of the struggling individual which has to rely on nothing but its inner strength on the level underneath." Er bezeichnet sie gar als "Fantasy-Highlight" und verteidigt sie gegen jede Kritik, die das böse Wörtchen ‘Eskapismus’ enthält. Wie ich das sehe, tut er dem Genre, das er so liebt, damit keinen Gefallen. Vielleicht denkt er, die Popularität Harry Potters könnte dazu benutzt werden, ein breiteres Publikum für die Fantasy im allgemeinen zu interessieren. Das wäre jedoch ähnlich verfehlt, wie wenn man die äußerst erfolgreiche TV-Serie Stargate als Aushängeschild für die Science Fiction verwenden würde. Natürlich sind die Potter-Bücher bei weitem nicht so mies wie dieses Gemisch aus Militarismus, neokolonialistischer Arroganz, US-amerikanischem Größenwahn und Space Opera - Klischees, das nur durch eine Prise Selbstironie etwas erträglicher gemacht wird. Aber soll das alte Strickmuster der High Fantasy, das sich unter der charmanten Kinderbuchhülle verbirgt, wirklich für alle Zeiten als die exemplarische Verkörperung des Genres gelten?

Die phantastische Literatur ist ungeheuer vielfältig, und angesichts zahlreicher interessanter und innovativer Entwicklungen in den letzten fünfzehn Jahren erscheint mir Harry Potter einfach als ein Rückschritt. Ähnlich wie Eragon zementiert er überkommene Stereotypen, die ohnehin immer noch stark genug sind. Weinreich ist der Überzeugung, dass "[t]he books by Joanne K. Rowling and the movies by Peter Jackson are two important pillars on which fantasy today stands, and from which derive most successful works within the genre." Mit ‘erfolgreich’ meint er hier wohl ‘kommerziell erfolgreich’. Nach allem, was mir bekannt ist, überschätzt er glücklicherweise den Einfluss der beiden Blockbuster. Natürlich ist der Töpferjunge für die Explosion der YA-Fantasy mitverantwortlich, aber deren Gestalt hat er nicht bestimmt. Es mag ja so manche Potter-Derivate da draußen geben, aber beherrschen sie tatsächlich das Subgenre? Zumal es Fantasybücher für Jugendliche schon lange vor Rowling gegeben hat – es reicht bloß Namen wie Diana Wynne Jones oder Charles de Lint zu nennen. Insofern JKR auch inhaltlichen Einfluss auf das Genre ausgeübt hat, sollte jeder Freund und jede Freundin der Phantastik eine unbarmherzig kritische Position gegenüber dem Töpferjungen beziehen.


(1) Dass wir Harrys naturgegebenes sportliches Talent offenbar bewundern, Hermines intellektuellen Lerneifer hingegen belächeln sollen, sei nur am Rande erwähnt. Auf einem Besen durch die Lüfte zu sausen ist halt cooler, als ein Buch auswendig zu lernen, oder? Angeblich war Rowling ja auch äußerst irritiert, als sie bemerken musste, dass sich in ihrer Fangemeinde eine Gruppe herauszubilden begann, deren Sympathien Snape gehörten.
(2) Zumindest in der Verfilmung von Orden des Phönix gibt es eine Szene, in der Harry seiner Furcht Ausdruck verleiht, dass er aufgrund der vielen üblen Erfahrungen seines Lebens Voldemort wohlmöglich immer ähnlicher wird. Woraufhin Sirius Black ihn ungefähr wie folgt zu beruhigen versucht: "Du bist kein böser Mensch. Du bist ein guter Mensch, dem böses widerfahren ist." Lebenserfahrungen sind also eindeutig zweitrangig, primär ist die eigene ‘Natur’.
(3) Zit. nach: Daniel Hemmens: Harry Potter and the Doctrine of the Calvinists.
(7) Ich bin mir der Hetzkampagnen christlicher Fundamentalisten (einschließlich des damaligen Großinquisitors Ratzinger) gegen Rowlings Bücher sehr wohl bewusst und stehe da natürlich ganz auf der Seite von JKR und ihren Fans. Aber diese bigotten Hexenjäger halten vermutlich jedwede Fantasy, außer C. S. Lewis oder solchem Murks wie Rev. Graham Taylors Shadowmancer, für Teufelszeug. Ein gutes Beispiel für eine explizit christliche, und dennoch positive Potter-Rezeption ist Ken Jacobsens Harry Potter and the Secular City: The Dialectical Religious Vision of J. K. Rowling.
(8) Dass Salman Rushdie Rowlings Büchern gar eine ‘revolutionäre’ Kraft zugeschrieben hat, ist für mich bloß ein weiterer Beleg für den kontinuierlichen Niedergang dieses Schriftstellers – lang lang ist’s her, dass er uns die Mitternachtskinder und die Satanischen Verse geschenkt hat.
(9) Die oft wiederholte Behauptung, sie hätten eine ganze Generation zum Lesen zurückgeführt, freilich scheint nicht zu stimmen. Untersuchungen haben offenbar gezeigt, dass sie "nur die Aufmerksamkeit fokussiert und anderen Büchern ihr Publikum weggenommen" haben. (Vgl.: Friedhelm Schneidewind: Das Phänomen Harry Potter.)

Freitag, 16. März 2012

Jim Hensons Fantasy (III)

Labyrinth


Nach der nervenaufreibenden Arbeit an The Dark Crystal, die nur mit mäßigem Erfolg an der Kinokasse belohnt worden war, hatten Jim Henson und Brian Froud beschlossen, keinen zweiten gemeinsamen Film zu drehen. Doch während eines Treffens in San Francisco, nachdem sich die beiden Dark Crystal angeschaut hatten und auch schon etwas Alkohol geflossen war, entschieden sie sich spontan, es noch einmal zu wagen.* Diesmal aber sollten neben Puppen auch menschliche Schauspieler mitwirken. Konkrete inhaltliche Ideen gab es noch keine, lediglich eine Zeichnung Frouds, auf der ein Baby inmitten einer Schar von Goblins/Kobolden zu sehen war. Die Entwicklung eines Drehbuchs erwies sich als ein komplizierter und langwieriger Prozess, der sich von 1983 bis 1985 hinzog. Wichtige Stationen waren ein Storyentwurf von Jim and Dennis Lee (letzterer der Songtexter für Fraggle Rocks), sowie die immer wieder überarbeiteten Versionen von Ex-Monty Python Terry Jones und Laura Phillips. Schließlich legte Elaine May letzte Hand an, und "[t]he changes she made in humanizing the characters so pleased Jim that shooting began" im April 1985.** Als Produzent fungierte George Lucas, und für die Rolle des Koboldkönigs Jareth hatte Henson bereits im Juni 1984 David Bowie gewinnen können: "Jim Henson set up a meeting with me and he outlined his basic concept for Labyrinth and showed me some of Brian Froud’s artwork. That impressed me for openers, but he also gave me a tape of The Dark Crystal, which really excited me. I could see the potential of adding humans to his world of creatures. I’d always wanted to be involved in the music writing aspect of a movie that would appeal to everyone and I must say that Jim gave me a completely free hand with it. The script itself was fun and it also had a lot of heart. So I was pretty well hooked from the beginning." In meinen Augen ein sehr glücklicher Fang, auch wenn die Ansichten über seine schauspielerische Leistung in dem Film ziemlich weit auseinandergehen. Als Puppenspieler standen eine ganze Reihe von Muppets-Veteranen (und natürlich Frank Oz) bereit.*** Am 27. Juni 1986 erlebte der Film seine Premiere in den USA.


Wenn The Dark Crystal eine typische High Fantasy - Geschichte nach dem Muster von Campbells ‘Hero’s Journey’ ist, so handelt es sich bei Labyrinth um eine ebenso typische ‘coming of age’ - Geschichte.
Zu Beginn des Filmes lebt die vierzehnjährige Sarah noch völlig in ihre kindlichen Fantasien. Erbost darüber, dass sie den Babysitter für ihren kleinen Bruder Toby spielen muss, wünscht sie sich, dass die Kobolde das Baby entführen mögen. Was diese auch im Handumdrehn erledigen. Sarah will ihren unüberlegten Wunsch rückgängig machen, doch die Spielregeln sind nicht so einfach. Koboldkönig Jareth gibt ihr dreizehn Stunden Zeit, ihren Weg durch das Labyrinth zu finden, an dessen jenseitigem Ende sich sein Schloss befindet, und ihren Bruder zurückzufordern. Sollte ihr dies nicht gelingen, wird er für immer zu den Kobolden gehören. Auf ihrer Reise schließt sie Freundschaft mit dem Zwerg Hoggle, dem netten Monster Ludo und Sir Didymus, einem aufrecht gehenden Foxterrier, der sich für eine Art Ritter der Tafelrunde hält. Sie muss zahlreiche Gefahren überwinden und den Versuchungen Jareths widerstehen. Vor allem aber lernt sie, Verantwortung für sich und andere zu über-nehmen, Entscheidungen zu fällen und ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Dieser Prozess des Erwachsen-werdens findet seinen symbolisch eindrucksvollsten Ausdruck in einer Szene, in der Sarah, die zwischenzeitlich ihr Gedächtnis verloren hat, von einer Koboldfrau mit all ihren Lieblingsspielzeugen überhäuft wird, bis die Erinnerung an ihre eigentliche Aufgabe wieder in ihr erwacht und sie die Spielsachen mit dem Aufschrei: ‘It’s all junk!’ (‘Das ist alles Müll!’) von sich schleudert.


Leider konnte ich auf Youtube nur diesen kurzen Ausschnitt vom Ende der Szene finden, geschmälert noch durch die miserable Bildqualität. Eine etwas längere Passage, die allerdings von Kommentaren der Mitwirkenden unterbrochen wird, findet sich hier. Die wirklich unheimliche Atmosphäre dieser Sequenz steht in krassem Gegensatz zu dem über weite Strecken eher lockeren, muppetsmäßigen Stil des Films.

Der Typus der ‘coming of age’ - Geschichte ist für mich sehr viel unproblematischer als die ‘Hero’s Journey’, die meiner Meinung nach nichts ‘archetypisches’ an sich, sondern historisch gewachsene Vorstellungen von Autorität und Macht bestätigt. Insofern sollte man meinen, dass mir Labyrinth näher stehen müsste als The Dark Crystal. Tatsächlich denke ich, dass der Film gehaltvoller ist als sein Vorgänger. Zumal er der ‘coming of age’ - Story noch einen subversiven, wenn man so will ‘feministischen’, Touch verleiht, wie Bridget McGovern in einem sehr lesenswerten Artikel für den Tor-Blog dargelegt hat. Zu den kindlichen Fantasien, die unsere Heldin ablegen muss, gehört nämlich auch der Prinzessinnen-Traum. Wenn wir ganz am Anfang des Filmes hören, dass Sarah eine Stiefmutter besitzt, von der sie sich ungerecht behandelt fühlt, dann stellt sich ganz unmittelbar die Assoziation zu Aschenbrödel ein. Doch wird sie nicht ihrem Märchenprinzen begegnen, sich von ihm retten lassen und in seiner Umarmung die Erfüllung ihres Lebens finden. Im Gegenteil, es ist genau diese Fantasie, mit der Jareth sie zu verführen versucht. Er versetzt sie in einen barocken Ballsaal, in dem maskierte Paare in prächtigen Kleidern ein rauschendes Fest feiern, dessen Mittelpunkt (natürlich) der Koboldkönig ist. An dieser Stelle wird besonders deutlich, warum David Bowie eine ideale Wahl für die Rolle gewesen ist. Wer hätte so perfekt wie er den dekadenten, andersweltlichen Verführer verkörpern können?


Mit ihrer erotischen Spannung berührt die Szene natürlich auch das Thema des Erwachens der Sexualität, das zu jeder ‘coming of age’ - Geschichte gehört. Doch ebenso manifestiert sich in ihr die naive Idee, es sei das größte vorstellbare Glück, Ballkönigin zu sein. Sarah bricht aus dieser Illusion aus, indem sie einen Spiegel – das Symbol der Eitelkeit – zerschlägt. Das Spiegelmotiv wiederholt sich gleich darauf noch einmal in der oben gezeigten Szene mit der ‘Junk Lady’. In beiden Fällen geht es darum, dass Sarah sich von ihrer kindlichen Selbstsucht befreit. Sie tauscht das seidene Ballkleid des Prinzessinen-Traums gegen ihre alten Jeans ein und macht sich wieder daran, das zu tun, was sie für richtig und wichtig hält – ihren Bruder zu befreien. Während ihrer finalen Konfrontation mit Jareth bietet der Koboldherrscher ihr dann noch einmal ganz direkt an, sie zu seiner Königin zu machen. Indem sie ihn abermals zurückweist, wendet sie sich endgültig von der kindlichen Fantasiewelt ab, in der sie zu Beginn des Filmes lebte – und zu dieser gehörte eben auch die Aschenbrödel-Illusion. Sie braucht keinen Märchenprinzen, keine gläsernen Schuhe und prachtvollen Ballkleider.

Andererseits ist die Absage an die Fantasiewelt der Kindheit nicht absolut. Am Ende sehen wir Sarah ihre alten Spielsachen wegräumen, als im Spiegel plötzlich ihre Freunde Hoggle, Ludo und Didymus aus dem Labyrinth erscheinen. Sie wollen sich von ihr verabschieden, doch Sarah erwiedert, dass es immer wieder Momente in ihrem Leben geben werde, in denen sie sie brauchen wird. So wichtig es ist, erwachsen zu werden, so wichtig ist es auch, sich etwas von der eigenen kindlichen Fantasie zu bewahren.****

Es gibt viel liebenswertes an Labyrinth, und persönlich verbindet mich außerdem ein nostalgisches Band mit dem Film. Ich sah ihn, als er 1986 in die deutschen Kinos kam, und war begeistert. Später kaufte ich mir die Roman-verwurstung, und als ich mein erstes Soloabenteuer für Das Schwarze Auge schrieb, klaute ich ganz schamlos bei Jim Henson und seinem Team. Doch wenn ich mir ihn heute anschaue, kann ich nicht umhin festzustellen, dass er gegenüber The Dark Crystal einen Rückschritt bedeutete. Grund hierfür sind nicht die menschlichen Akteure. Sowohl Jennifer Connelly als auch David Bowie ist mitunter hölzernes Spiel vorgeworfen worden, aber meiner Meinung nach machen sie ihre Sache wirklich gut. Das Problem liegt an anderer Stelle.
Der Film enthält unzählige wunderbar skurille Details: Die beißenden Feen; die Augenstengel; den sprechenden Wurm; den verkalkten Weise mit seinem vorlauten Hut; die fiesen Plagegeister, mit denen Ludo gequält wird; die lebendigen Kanonenkugeln .... und natürlich die Helfenden Hände:


Allein hierfür gehört Labyrinth bereits in die Kategorie der erinnerungswürdigen Filme aufgenommen. Einige besonders verrückte Ideen ließen sich aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen. So z.B. sollte eine Szene in einem riesigen Flipperautomaten spielen.
Doch leider fügen sich diese einzelnen Elemente nicht wirklich zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Oft genug wirkt der Film wie eine willkürliche Aneinanderreihung ebenso grotesker wie hübscher Einfälle. Hinzu kommt leider ein nicht selten etwas infantiler Zug, exemplarisch verkörpert im ‘Bog of Eternal Stench’, einem permanent furzenden Sumpf. (Oder bin ich der einzige, der so was eher weniger witzig findet?)

Aber auch wenn Labyrinth nirgends die poetische Schönheit von The Dark Crystal erreicht, ist er in vielerlei Hinsicht ein wirklich sehenswerter Fantasyfilm.

* Vgl. worldoffroud
** So heißt es im Kommentar zu Jim Henson's Red Book.
*** Eine kleine Geek.-Info am Rande: Eine der Choreographinnen des Filmes war Gates McFadden {'Dancing Doctor' Beverly Crusher aus Star Trek - The Next Generation}
**** Ob die Koboldwelt nur in Sarahs Vorstellung existiert (wofür es einige Indizien gibt), ist zum Verständnis des Filmes ebenso bedeutungslos wie die Frage, ob das Unterirdische Reich in El Laberinto del Fauno bloß ein Produkt von Ofelias Fantasie ist.

Montag, 12. März 2012

Revolution der Affen?


'Anubis' hat kürzlich auf Lake Hermanstadt eine kurze Besprechung des letztjährigen Rise of the Planet of the Apes veröffentlicht. Das in positivem Sinne überraschende an diesem Film sei, "dass er tatsächlich von einer Revolution handelt", die nicht wie heute üblich als eine blutige, irrationale Racheorgie dargestellt werde, sondern als ein durchdachter, mutiger und disziplinierter Massenaufstand, an dessen Ende "Caesar und seine Genossen nichts zu bereuen haben."
Ich bin darüber nicht weniger erfreut als 'Anubis', frage mich aber, ob für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Revolution eine Neuauflage der alten Affensaga die glücklichste Wahl war.
Trotz einer nostalgischen Schwäche für die Originalserie (mit Ausnahme des fünften Teils Battle for the Planet of the Apes natürlich), bin ich der Meinung, dass das alles in allem keine besonders guten Filme waren. Die politische Allegorie war denkbar plump, und der misanthrope Grundton insbesondere in den ersten beiden Filmen sehr stark. Das Verhältnis zwischen Affen und Menschen ließ sich als kaum verhüllter Kommentar zu Rassismus und Rassenunterdrückung lesen. Als Conquest of the Planet of the Apes -- die 'Vorlage' für den aktuellen Film -- 1972 in die Kinos kam, lagen die großen Ghettoaufstände in den USA erst wenige Jahre zurück, und es war naheliegend, die Geschichte vor ihrem Hintergrund zu sehen, mit Caesar als einer Art erfolgreichem Malcolm X. Was auch immer man sonst über den Film denken mag, dies verlieh ihm zumindest eine Verankerung in der gesellschaftlichen Realität seiner Zeit.
Wie ist es in dieser Hinsicht um Rise of the Planet of the Apes bestellt? Man kann Caesars Aufstand als eine Revolution interpretieren, aber ihr Inhalt bleibt dann sehr verschwommen, trotz der deutlichen Gefängnisassoziationen in den 'Tierheim'-Passagen. In Conquest waren die Affen Diener der Menschen, die die Arbeiten von Haussklaven, Straßenkehrern, Gepäckträgern usw. zu verrichten hatten. Mit viel gutem Willen ließ sich ihr Aufstand deshalb als Metapher für eine soziale Revolte verstehen. Gleiches gilt nicht für Rise. In einigen Besprechungen des Filmes ist Caesar als ein Spartakus der Affen beschrieben worden, aber er und seine Artgenossen sind eigentlich keine Sklaven. Sie sind die Opfer medizinischer Experimente und unmotivierter menschlicher Grausamkeit. Das legt eine Interpretation der Geschichte im Geiste wohlfeiler Misanthropie nahe. Tatsächlich springen uns in den Rezensionen allenthalben Begriffe wie "menschliche Hybris" und "Virus des Menschen" entgegen. Am deutlichsten wurde Doris Kuhn in der Süddeutschen: "'Prevolution' ist durchaus didaktisch gemeint. Der Film will eine Botschaft anbringen, die zwar durch Tricks und Action etwas codiert wird, aber keinen womöglich ironischen Schlenker duldet: Der Mensch hat seinen Untergang verdient. Das sieht man hier an seiner Gier nach Geld und Ruhm, an seiner Konzentration auf den eigenen Vorteil, vor allem aber sieht man es daran, wie er andere Primaten behandelt."
In einer wirklich gelungenen filmischen Behandlung des Themas Revolution würden diese Leute kein Futter für ihren selbstzufriedenen Zynismus finden. So erfreulich ich es auch finde, wenn wir im Kino endlich einmal wieder einen positiv gezeichneten Massenaufstand zu sehen bekommen, denke ich doch, dass mit einem Film, der solche Kommentare möglich macht, etwas nicht stimmen kann. Rise of the Planet of the Apes fehlt vor allem der Bezug zu den Aspekten der heutigen Realität, aus denen ein revolutionärer Konflikt tatsächlich entspringen könnte. Ein paar karrikaturenhafte gierige Geschäftsleute reichen da nicht aus.

Samstag, 10. März 2012

Muss ich’s jetzt mit der Angst zu tun bekommen?

Unter ‘Military Fantasy’ hatte ich mir bisher immer so etwas wie Glen Cooks Black Company vorgestellt. Aber seit einiger Zeit geistert der Name Myke Cole durch die US-amerikanischen Regionen des phantastischen Netzes, und dessen gerade erschienener Debütroman Shadow Ops: Control Point gibt dem in Anlehnung an das Subgenre der Military SF geprägten Begriff offenbar eine ganz neue Bedeutung. Und je mehr ich darüber lese, desto unheimlicher wird mir zumute.

Cole war auf drei Einsätzen im Irakkrieg, erst als Söldner, später als Offizier der US-Armee. Nach eigenen Aussagen fiel seine Entscheidung, es als professioneller Schriftsteller zu versuchen, eben dort: "[T]he truth is that something clicked in the winter of 2008. I sat in Camp Liberty, Baghdad, watching my beloved Coast Guards march past Obama’s inaugural podium on the big screen, and felt it click." Aktuell dient er in der Küstenwache der Vereinigten Staaten. Das disqualifiziert ihn natürlich nicht als Schriftsteller, aber da sein Roman von einigen Rezensenten als die lang ersehnte Antwort der phantastischen Literatur auf den ‘Krieg gegen den Terror’ gepriesen wird, verdient die enge Beziehung des Autors zum Militär sehr wohl besondere Beachtung. Zumal Cole diesen Aspekt selbst immer wieder betont.

Manchmal könnte man beinahe den Eindruck bekommen, er stehe den neokolonialen Abenteuern, an denen er teilgenommen hat, kritisch gegenüber. So schreibt er über seine Erlebnisse im Irak: "That conflict ate me alive [...] I wanted to know the Iraqis, I wanted them to understand that I agreed with them, that I knew we shouldn’t be there, that I was sorry for all we had done". Doch darf man sich von solchen Aussagen nicht in die Irre führen lassen. Cole gehört keineswegs zu jenen Veteranen, denen ihre Erfahrungen im Irak oder Afghanistan die Augen geöffnet haben für den verbrecherischen Charakter der Kriege, in die sie geschickt wurden. Die US-Armee ist für ihn nach wie vor die ruhmreiche 'Verteidigerin der Freiheit', der er sich mit Herz und Seele verschrieben hat: "I absolutely love the military." Offiziell mag er nicht für die PR-Abteilung des Pentagon arbeiten, doch verhält er sich wie ein unbezahlter Werbeoffizier. Ein kürzlich veröffentlichtes Interview, das Cat Rambo für die Science Fiction & Fantasy Writers of America mit ihm geführt hat, endet so: "[C.R.]: What question should I have asked you that I didn't? [M.C.]: You should have asked me what folks can do who want to join the military but don't want to give up their full time jobs. What about folks who want to serve their country, but not in a service that is dedicated exclusively to warfighting?" Es folgen entsprechende Webadressen.

Was mich wirklich erscheckt hat, ist jedoch nicht Coles patriotischer Eifer, sondern seine ungebremste Begeisterung für das Ideal des ‘Kriegers’, das den Rekruten in der US-Armee eingebläut wird. Besonders deutlich wird dies, wenn man seinem im Januar auf dem Tor-Blog erschienenen zweiteiligen Artikel Why Every Writer Should Join the US Military liest. Die Gesellschaft ist für Cole ein Schlachtfeld, und nur der hat Aussicht auf Erfolg, der hart ist und zu kämpfen versteht. Nietzsches Aphorismus 'Was mich nicht umbringt, macht mich stärker' paraphrasierend, sieht er in Militär und Krieg die beste Schule fürs Leben: "The fire that’s burning you is the crucible where the iron is forged." Der Artikel besteht hauptsächlich aus liebevollen Schilderungen der Torturen, mit deren Hilfe das Militär aus Männern und Frauen ‘Kämpfer’ macht:
There are dazzling moments, to be sure, as clear and glorious as when the battalion CO pins the commendation on your chest in front of your whole family. But it’s as brief and fleeting as that, and before you know it, it’s back to the mud and the screaming and the hard calls with no time to think it through. You have to love that mud. It has to define you. You have to be proud to be covered in it. You have to want it bad enough that you can override your desire to seek comfort. [...] Because if it ain’t rainin’, you ain’t trainin’, and you love that mud. Because you’re a damned marine. [...] [L]ittle cold rage goes a long way. It’s adolescent, sure, but with the misery seeking goes the pride of being the nastiest, toughest, hard as nails bastard in the whole company. Your shipmate does 50 pushups? You do 55. She pulls an 18 hour watch? You do 24. Why? Because. Screw you. You can’t stop me. No matter what you, oh cruel and unfeeling universe throw at me, I will knock it out of the park. I am a member of the United States military. I have slogged through the worst humanity has to offer and emerged tempered by the experience. Is that all you’ve got? You’ve got to be kidding me. It’s the Kobayashi Maru. It’s Ender’s final test against the Buggers. It’s the thrill of facing and beating impossible odds. Even more, it’s the rush and adrenaline addiction that makes you seek such impossible challenges."
Bin ich der einzige, dem bei der Lektüre dieser 'Lebenshilfe' etwas mulmig wird? Ist der testosteronbefeuerte Kampfgeist eines US-Marines ein wirklich so nachahmenswertes Vorbild? Auch verwundern mich die SF-Beispiele ein bisschen. Im Kobayashi Maru - Test aus Star Trek II – The Wrath of Khan geht es keineswegs um die Bewältigung unüberwindlich erscheinender Hindernisse, sondern um den Umgang mit einer wirklich aussichtslosen Situation, um die Konfrontation mit Niederlage und Tod. Und die ‘Lösung’ von Enders ‘letztem Test’ (in Orson Scott Cards Ender’s Game) besteht immerhin in Völkermord!
Eins sollte jedenfalls klar sein: Ein Mann mit Coles Liebesbeziehung zum Militär kann unmöglich einen Roman schreiben, der sich auf angemessene Weise mit den Kriegen der letzten Jahre auseinandersetzt – auch nicht im Gewand der Phantastik.

Oscar, der Held von Shadow Ops: Control Point, ist (wie nicht anders zu erwarten) ein Soldat der US-Armee. Ein Soldat allerdings, der aufgrund seiner magischen Fähigkeiten zuerst von der eigenen Regierung gejagt und dann in eine Spezialeinheit von ähnlich Talentierten gesteckt wird. Der Trupp wird in eine magische Parallelwelt geschickt, deren Bewohner den Neuankömmlingen, die sich dort offenbar als Besatzer aufspielen, nicht unbedingt freundlich gesonnen sind. Der Roman ist – nach allem, was man so hört – keine kritiklose Verherrlichung des US-Militärs. Um ehrlich zu sein, hätte mich das auch sehr gewundert. Immerhin leben wir in der Ära des grim & gritty, und Cole zählt Joe Abercrombie zu seinen Vorbildern. Auch ist platte Kriegspropaganda nach dem Motto ‘dulce et decorum est pro patria mori’ (‘Süß und ehrenvoll ist es, für’s Vaterland zu sterben’) einfach nicht mehr zeitgemäß. Längst gibt es da sehr viel diffizilere Methoden. Man denke z.B. an Filme wie Black Hawk Down oder We Were Soldiers (aber auch The Hurt Locker), die keineswegs ein keimfreies Bild des Krieges zeichnen (und darum von manchen sogar als Antikriegsfilme eingestuft werden), letztenendes aber dennoch der Verherrlichung des US-Militarismus dienen. Und wie wird uns Shadow Ops doch gleich auf dem Cover angepriesen? Richtig: "Black Hawk Down Meets the X-Men"! Und wer preist da? Coles alter Kumpel und Mentor Peter V. Brett! Ja, der Brett, seines Zeichens Autor von The Painted Man & The Desert Spear. Es wird immer gruseliger ...

Droht Myke Cole gar eine Art Trendsetter zu werden? Werden wir in Zukunft häufiger Fantasyromane zu sehen bekommen, in denen US-Marines die Hauptrolle spielen? Ich weiß nicht, würde jedoch eher auf ‘nein’ tippen. Etwas beunruhigend finde ich allerdings, dass Shadow Ops eine weitgehend positive Aufnahme in der amerikanischen Fantasygemeinde gefunden zu haben scheint. Dabei gibt man sich mehrheitlich dort inzwischen recht gerne als progressiv. Die entsprechenden Rezensionen entlarven so bloß einmal mehr, dass sich die fälschlicherweise als ‘links’ oder ‘radikal’ bezeichnete ‘Identitätspolitik’ problemlos mit den denkbar reaktionärsten politischen Positionen verträgt. In einem Interview mit SFSignal wird Cole z.B. dafür gelobt, dass sein Protagonist ein Afroamerikaner ist, und Carrie Cuinn von Functional Nerds hat in ihrer weitgehend positiven Besprechung des Buches lediglich auszusetzen, "that each and every woman in it is a flat stereotype". Nirgends hingegen findet sich ein kritisches Wort über das US-Militär als Institution, was bei einem solchen Buch doch wohl angebracht gewesen wäre. Militarismus ist in Ordnung, solange bloß Schwarze und Frauen dabei die gleichen Chancen erhalten ...