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Montag, 4. September 2023

Fragmentarisches

Vorgestern jährte sich zum fünfzigsten Mal der Todestag von J.R.R. Tolkien. Nun muss ich gestehen, dass meine letzte eingehendere Beschäftigung mit dessen Werk inzwischen weit über ein Jahrzehnt zurück liegt. Der Herr der Ringe und Das Silmarillion waren zwar immens wichtige Werke für meinen ursprünglichen Einstieg in die Phantastik, aber inzwischen sind sie doch stark in den Hintergrund getreten. Auch wenn ich von Zeit zu Zeit immer noch das Verlangen verspüre, sie mal wieder in die Hand zu nehmen und aufzuschlagen. Doch wie dem auch sei, auf jedenfall wäre ich nicht in der Lage gewesen, zu diesem Jubiläum irgendwelche originären Gedanken über das Werk des "Professors" zu Papier zu bringen. 
 
Doch glücklicherweise bin ich im Besitz eines 218 Seiten starken Manuskripts, das vor Urzeiten einmal als polemischer Kommentar zu Peter Jacksons Filmen begonnen worden war, um später zu einer allgemeineren Betrachtung über Tolkien weiterzuwuchern und schließlich unvollendet liegen zu bleiben. Fertigschreiben werde ich das Ding sicher nie mehr. Doch dafür eignet sich das etwas unübersichtliche Konvolut vorzüglich als Steinbruch, aus dem man einzelne Abschnitte raushacken und ohne großen zusätzlichen Aufwand hier präsentieren kann. Das habe ich in der Vergangenheit schon mehrfach getan. Weshalb die für solche Unternehmungen am ehesten verwendbaren Passagen nun auch allmählich zur Neige gehen. Jedenfalls wenn man dabei auf größere Überarbeitungen verzichten will. Dennoch hoffe ich, dass auch das nun folgende Fragmentstück noch einen einigermaßen lesbaren Beitrag abgibt.  

                                                  * * *
 
Eine interessante Frage ist, ob sich Spuren von Tolkiens Antimodernismus auch in den ästhetischen Ideen finden lassen, die er in seinem Essay Über Märchen dargelegt hat und die so etwas wie die theoretische Fundierung seines Werkes darstellen. Dabei soll uns von den drei Hauptfunktionen, die er dort der phantastischen oder märchenhaften Literatur zuschreibt, vorrerst nur die "Wiederherstellung" ("restoration") interessieren. Hinter dem Begriff steht offenbar der Wunsch nach der Rückkehr zu einem verlorengegangenen, vermutlich als "natürlich" angesehenen Zustand, was allein ihm bereits ein konservatives Flair verleiht. Doch betrachten wir uns zuerst einmal, was Tolkien genau über die anvisierte ‘Wiederherstellung’ zu sagen hat: 
Wir sollten von neuem das Grün ansehen und von neuem überrascht (aber nicht geblendet) werden durch Blau, Gelb und Rot. Wir sollten dem Kentauren und dem Drachen begegnen und dann vielleicht plötzlich, wie die Schafhirten des Altertums, der Schafe, Hunde und Pferde gewahr werden – und der Wölfe. Diese Heilung zu erzielen, helfen uns die Märchen. 
Es gelte, die Dinge wieder 
so zu sehen, wie sie uns zugedacht sind (oder waren) – als von uns selber unabhängige Dinge. In jedem Falle müssen wir unsere Brillen putzen, damit die Dinge frei werden vom trüben Schleier der Abnutzung und Gewöhnung – frei von unserem Besitz. [...] Verblaßt oder zur schlechten Gewohnheit geworden ist uns dasjenige, das wir rechtlich oder seelisch in Besitz genommen haben. Von diesen Gesichtern sagen wir, wir würden sie kennen. Sie sind gleichsam zu etwas geworden, das uns einmal durch sein Glitzern, seine Form oder Farbe gereizt hat, auf das wir die Hände gelegt, das wir erworben, in der Truhe weggeschlossen und dann nicht mehr angeschaut haben. [...] Die schöpferische Phantasie [...] kann die Truhe aufbrechen und alle Wertsachen, die darin weggeschlossen waren, davonfliegen lassen wie Vögel aus dem Käfig. Aus allen Juwelen werden Blumen und Flammen, und wir erfahren, daß alles, was wir besaßen (oder wußten), stark und gefährlich war, frei und ungezähmt, daß es nicht wirklich sicher an der Kette lag – ebensowenig eins mit uns wie unser eigen. (1)

Die phantastische Literatur soll also den durch zu lange Gewöhnung glanzlos und banal gewordenen Dingen der uns umgebenden Welt etwas von ihrer Lebendigkeit und Faszinationskraft zurückgeben, indem sie sie uns erneut in ihrer ursprünglichen "Wildheit" und Unabhängigkeit vor Augen führt.

Man kann dieses "Programm" unterschiedlich interpretieren und beurteilen. Ich denke, dass es einige durchaus erwägenswerte Gedanken enthält, zugleich aber die Gefahr in sich birgt, dem Vorschub zu leisten, was ich die "Oh, wie schön ist Panama" - Illusion nennen möchte – dem Irrglauben, es genüge, die Welt unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten, und schon wäre alles in Ordnung. Man denke z.B. an Chestertons gefährliche Bemerkung: „Höchst wahrscheinlich sind wir immer noch in Eden. Nur unsere Augen haben sich verändert.“ (2) Nicht dass Tolkien unter "Wiederherstellung" eine solche Aussöhnung mit den herrschenden Zuständen mittels Perspektivwechsel verstanden hätte, aber ich fürchte, manche könnten ihn in diesem Sinne fehlinterpretieren.

In unserem Zusammenhang sehr viel wichtiger ist jedoch, dass das Objekt der phantastischen Literatur für Tolkien offenbar nicht das Fremdartige und Niegesehene war, sondern ganz im Gegenteil das eigentlich Altbekannte: „[T]atsächlich handeln die Märchen (oder die besseren unter ihnen) hauptsächlich von einfachen, elementaren Dingen, die von der Phantasie noch unberührt sind." (3) Und in der Tat wirkt Mittelerde im Vergleich etwa zu Lord Dunsanys Traumlanden, die in tausend Farben zu schillern und von fremdartigen Düften umweht zu sein scheinen, ausgesprochen unexotisch. Das Stadttor von Minas Tirith besteht nicht aus einem einzigen Stück Elfenbein, wie dasjenige von Perdóndaris an den Ufern des Yann, und solch bizarre Dinge wären hier auch völlig Fehl am Platze. Der tiefere Grund dafür ist uns bereits bekannt. Arda sollte seinem Schöpfer als eine Art geistiger Ersatzheimat und als ein Refugium inmitten der verhassten Moderne dienen, aus-gestattet „mit einem heimischen Anhauch ... vom Himmel und der Erde des Nordwestens“ (4) Tolkiens Welt umgibt zwar ein mythischer und märchenhafter Zauber, aber sie ist nicht dem Verlangen nach dem Unbekannten entsprungen, sondern soll letztenendes Gewohntes und Geliebtes "wiederhergestellt", d.h. vom Schmutz und den Verunstaltungen der Moderne gereinigt, heraufbeschwören. 

Bezeichnenderweise geht dem Abschnitt über die "Wiederherstellung" in Über Märchen eine kaum verhüllte Polemik gegen den Modernismus in der Malerei voraus. Dem Überdruss an den ‘natürlichen’ Farben und Formen dürften wir nämlich keinesfalls zu entkommen versuchen, 

indem wir uns ins absichtlich Grobe, Ungeschlachte oder Widerwärtige flüchten oder indem wir alle Dinge sei es einschwärzen, sei es unerbittlich grell färben; auch nicht, indem wir die Farben so lange mischen, bis alle feinen Schattierungen in einer einzigen Trübe enden, oder die Gestalten phantastisch ineinanderschlingen, bis zur Albernheit und bis zum Delirium. 
Den Surrealismus bezeichnete Tolkien ausdrücklich als "krankhaft", „den Empfindungen bei hohem Fieber ähnlich [...], wenn der Geist, mit einer beängstigenden Fruchtbarkeit und Geläufigkeit im Bilden von Gestalten, unheimliche oder groteske Formen in allen sichtbaren Gegenständen um sich her wahrnimmt.“ (5)
Mit seiner Idee der "Wiederherstellung" wandte er sich also nicht nur gegen eine banalisierte Sicht der Welt, sondern grenzte sich zugleich von einer bestimmten Spielart des Phantastischen ab, die mit dem Modernismus verbunden war, sich u.a. der Stilmittel der Groteske und der Ästhetik des Hässlichen bediente und die zu ihren literarischen Vorläufern Künstler wie Edgar Allen Poe, Charles Baudelaire und Lautréamont zählen konnte.

Enthält der Begriff der "Wiederherstellung" also bereits in dieser Hinsicht ein konservatives Element, muss man sich zudem fragen, ob die von Tolkien behauptete "Freiheit" der Dinge nicht zum Teil eine der Zivilisationsmüdigkeit entsprungene Illusion ist. Sind diese denn wirklich auf keine Weise „eins mit uns“ oder unser eigen“? Die uns umgebende Umwelt – auch die "natürliche" – ist doch in Wahrheit in ihrer heutigen Form das Produkt einer jahrtausendelangen Wechselbeziehung zwischen der Natur und den in ihr lebenden Menschen. Wie z.B. könnten wir die von Tolkien erwähnten Tiere in vollem Sinne als "frei und ungezähmt" betrachten? Nicht nur der Hund, sondern auch jene Pferde und Schafe, denen wir in unseren Breiten begegnen, sind ja das Ergebnis der Domestizierung durch den Menschen. Und gehört nicht auch gerade dies zu ihrem "wahren" Wesen? Ebenso können wir z.B. die vielbesungenen "grünen Hügel von England" in ihrem "wahren" Charakter nur begreifen in Verbindung mit den unzähligen Generationen von Bauern und Bäuerinnen, die den Boden Albions bestellt und seine Landschaft geformt haben. Die Vorstellung einer "unberührten Natur" ist in den allermeisten Fällen reine Romantik.

Wenden wir uns nun von der ästhetischen Theorie zur schriftstellerischen Praxis, so zeigt uns der Herr der Ringe, dass Tolkien diesen Zusammenhang zumindest intuitiv sehr gut begriffen hatte, ganz gleich, was er in Über Märchen dazu schrieb. Die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen gehören ohne Zweifel zu den stärksten Seiten des Romans, doch einer im eigentlichen Sinne "unberührten Natur" begegnen wir in Mittelerde nur sehr selten. Vergessen wir nicht, dass einstmals „ein Eichhörnchen von Baum zu Baum hüpfen konnte von dem Land, das heute das Auenland ist, nach Dunland westlich von Isengart (6) Dann kamen die Númenórer und holzten die Wälder ab, um ihre gewaltigen Flotten bauen zu können, und so entstand das Heideland von Eriador, durch das sich die Gefährten im ersten Band bewegen. Selbst die Wälder von Lothlórien sind nicht auf natürliche Weise entstanden. Die Mallorn-Bäume waren nicht heimisch an den Ufern des Anduin, sondern wurden von den Hochelben dorthin gebracht. (7)

Die Faszination, die von Tolkiens Landschaftsschilderungen ausgeht, basiert fast immer auf ihrer Verknüpfung mit der menschlichen (oder elbischen) Geschichte. Wie Matthew David Surridge in seinem außerordentlich lesenswerten Essay über den Herr der Ringe schreibt: „The land fuses history and geography. [...] The physical world is shaped by the past, by the men of the past; and it slips into poetry, into words. [...] For Men, the land becomes memory.“ (8) Beispiele dafür finden sich in Hülle und Fülle. Da wäre etwa die alte Gemarkung in der Nähe der Hügelgräberhöhen, die die Hobbits aus der Ferne irrtümlich für den Verlauf der Großen Straße gehalten hatten: 
Die dunkle Linie, die sie gesehen hatten, war nicht eine Baumreihe, sondern eine Reihe Büsche, und sie standen am Rande eines tiefen Grabens mit einer steilen Böschung auf der gegen-überliegenden Seite. Tom sagte, das sei einstmals die Grenze eines Königreiches gewesen, aber vor sehr langer Zeit. Ihm schien dabei irgend etwas Trauriges einzufallen, und er wollte nicht viel darüber sagen. 
Ich erinnere mich noch, wie mir bei der allerersten Lektüre dieser Passage ein Schauer über den Rücken lief. Dass Tolkien sich an dieser Stelle mit einer bloßen Andeutung begnügt und nicht einmal die Namen der beiden Reiche – Arthedain und Cardolan – erwähnt, steigert noch den atmosphärischen Gehalt der Szene. Einen anderen, aber nicht weniger effektvollen, Weg schlägt er im Falle der Wetterberge ein. 
Die Berge kamen näher. Sie bildeten einen wellenförmigen Kamm, oft erhoben sie sich fast bis zu tausend Fuß Höhe, und hier und da fielen sie wieder ab zu niedrigen Schluchten oder Pässen, die in das östliche Land dahinter führten. Auf dem Grat der Bergkette konnten die Hobbits etwas erkennen, das wie Reste von grünbewachsenen Wällen und Gräben aussah, und in den Schluchten standen noch die Ruinen alter Steinbauten.
Einmal mehr wird uns der Eindruck einer langen und bewegten Historie vermittelt, die sich der Landschaft aufgeprägt hat. Diesmal jedoch wird dieses Panorama zum Anlass genommen für Aragorns Erzählung vom Letzten Bund, der sich wiederum Sams Lied über Gil-galad anschließt. Der Charakter des Landes wird verknüpft mit Sage und Poesie. Weitere Beispiele sind u.a. die Emyn Muil, die verfallene Heerstraße in Ithilien, Dunharg mit seinen Puckelmännern oder das Steinkarren-Tal. Die vielleicht eindrucksvollste Demonstration der Verknüpfung von Land und Geschichte bietet jedoch die Region von Hulsten, in der sich einst das Elbenreich von Eregion befand. Oberflächlich bertrachtet finden sich kaum Spuren der früheren Besiedlung. Bloß von den umherliegenden Felsblöcken heißt es:
Viele sahen aus, als ob sie von Hand bearbeitet worden seien, obwohl sie jetzt durcheinandergeworfen und in Trümmern in einer unwirtlichen, kahlen Landschaft lagen.“ Legolas aber sagt: „[D[ie Elben dieses Landes [gehörten] zu einem Volk, das uns, den Waldelben, fremd war, und die Bäume und das Gras erinnern sich ihrer nicht mehr. Nur höre ich, wie die Steine um sie klagen: tief gruben sie uns aus aus, schön verarbeiteten sie uns, hoch bauten sie uns; aber sie sind fort. Vor langer Zeit suchten sie die Anfurten.“ (9) 
Nun sind die Elben natürlich ein ganz besonderes Völkchen, aber die Idee, dass das Land die Erinnerung an seine einstigen Bewohner in sich trägt, lässt sich auf alle Teile des Herr der Ringe übertragen.
 
Allerdings verdeutlicht gerade Hulsten besonders schön, dass der mit der Landschaft verbundene Eindruck historischer Tiefe, den Tolkien auf so kunstvolle Weise hervorzurufen versteht, praktisch immer mit der für den Herr der Ringe so typischen Melancholie, der Trauer um die verlorene Schönheit früherer Zeiten, einhergeht. Wollte ich meinen Eindruck von der Grundatmosphäre des Romans in ein Bild fassen, so sähe ich die noch winterliche, braune Hügel- und Heidelandschaft von Eregion vor mir, durch die die Gefährten nach Süden wandern. Hier und da erhebt sich ein eigentümlich geformter, schwarzer Felsblock, und über allem wölbt sich ein blass-blauer, kalter Himmel. Nichts rührt sich, bis auf die neun langsam dahinmarschierenden Gestalten. Nur in der Ferne ziehen einige Krähen ihre Kreise, kaum mehr als eine Gruppe schwarzer Flecken in der frostigen Helle ...

Es kann mitunter sehr schön sein, sich in solch ein melancholische Panorama zu vertiefen. Aber es ist kein erschöpfendes Abbild des Lebens in seiner bunten Vielfalt und Veränderlichkeit, wie es die "Wiederherstellung" eigentlich verlangen würde. 

Und damit kommen wir zu einem weiteren kritischen Punkt. Es kann nämlich sehr wohl bezweifelt werden, ob Tolkiens literarischer Stil tatsächlich geeignet ist, den Dingen ihre Frische zurückzugeben. Ob er sie nicht vielmehr in mit mythischen Ornamenten in dunklem Gold und bleichem Silber verzierte Museumsstücke verwandelt. Die Dinge faszinieren uns dann am stärksten, wenn wir sie in ihrer Lebendigkeit erfassen. Leben aber bedeutet Bewegung und Wandel. Tolkiens Sprache und seine Bilderwelt hingegen sind größtenteil bar jeder Dynamik. Sie sind mal elegisch, mal episch, mal von archaischer Strenge, nie aber von saftiger Sinnlichkeit. Und ich denke, dass ist kein Zufall. Tolkien lebte in einer Ära gewaltiger sozialer, politischer und kultureller Umwälzungen, aber er stand ihnen mit unversöhnlicher Feindschaft gegen-über. Aus diesem Gefühl heraus schuf er seine Geschichten. Sein literarisches Werk gleicht einem mächtigen Deich, der eine heranbrausende Sturmflut abwehren soll. Die Welt seiner Mythologie ist deshalb eine durch und durch statische Welt. Bewegung erscheint beinahe ausschließlich als Bedrohung, so wie in der großartigen Szene, in der Frodo vom Hochsitz des Sehens auf Amon Hen aus die Welt überblickt: 
[W]ohin er auch schaute, überall sah er Anzeichen des Krieges. Das Nebelgebirge wimmelte wie ein Ameisenhaufen: aus tausend Höhlen strömten Orks heraus. Unter den Zweigen von Düsterwald war ein tödlicher Kampf zwischen Elben und Menschen und wilden Tieren entbrannt. Das Land der Beorninger stand in Flammen; eine Wolke hing über Moria; an den Grenzen von Lórien stieg Rauch auf. Reiter galoppierten über das Gras von Rohan; Wölfe ergossen sich aus Isengart. Von den Anfurten in Harad stachen Kriegsschiffe in See; und aus dem Osten zogen endlos Menschen heran: Schwertträger, Lanzenträger, Bogenschützen zu Pferde, Streitwagen von Anführern und beladene Karren. Die ganze Streitmacht des Dunklen Herrschers war in Bewegung. (10)

                                                  * * *

 

 

(1) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 187ff.

(2) G. K. Chesterton: Verteidigung des Unsinns. S. 46. Im ursprünglichen Text hatte es zuvor eine etwas längere Passage gegeben, in der Tolkiens Weltsicht mit der Chestertons verglichen wurde. Deshalb kommt der hier als Beispiel vor.

(3) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 189.

(4) Brief an Milton Waldman [1951]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 131. S. 192.

(5) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 187; 205.

(6) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. I. S. 322.

(7) Zur Charakterisierung der einzig wirklich "wilden" Wälder greift Tolkien ironischerweise zur Methode ihrer Anthropomorphisierung in Gestalt des Alten Weidenmannes bzw. der Ents und Huorns.

(8) Matthew David Surridge: The Lord of the Rings: A Personal Reading, Part Two

(9) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. I. S. 184; 229; 347; 345.

(10) Ebd. Bd. I. S. 483.

Freitag, 1. September 2023

"This is the Werewolf Break"

Auf The Beast Must Die wurde ich zum ersten Mal so richtig aufmerksam, als Hypnogorias unvergleichlicher Mr. Jim Moon vor acht Jahren beim Exploding Helicopter Podcast zu Gast war, um über diesen 1974 in die Kinos gelangten Amicus - Streifen zu sprechen. Was er und sein Gastgeber dabei zu sagen hatten, klang verführerisch bizarr. Doch erst vor kurzem hatte ich Gelegenheit, mir selbst ein Bild von diesem Kuriosum zu machen.
 
Zum Zeitpunkt seiner Produktion lag der klassische Brit-Horror wie er durch Hammer Studios und Amicus Productions repräsentiert wurde, in den letzten Zügen. Schon George A. Romeros Night of the Living Dead hatte 1968 den Gezeitenwandel im Genre angekündigt. Die endgültige Wasserscheide bildete das Jahr 1973 mit dem Erscheinen und gewaltigen Erfolg von William Friedkins The Exorcist. Die Radikalität des Umbruchs wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im selben Jahr wie The Beast Must Die auch Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre in die Kinos kam.
Natürlich gaben sich die britischen Horrorschmieden nicht einfach geschlagen.  
Hammer versuchte dem Einbruch seines Marktes zuerst mit etwas mehr Blut und nackten Brüsten wie in The Vampire Lovers (1970) entgegenzuwirken; versetzte daraufhin Dracula ins Swinging London der Gegenwart (Dracula AD 1972 und Satanic Rites of Dracula), um schließlich so grandios verrückte Flicks wie The Legend of the 7 Golden Vampires (1974) in die Welt zu setzen, der in Kooperation mit den Shaw Brothers entstand und bei dem Christopher Lee endgültig die Nase voll hatte und sich weigerte, erneut den Fürsten der Finsternis zu spielen. Keine dieser Strategien hatte bleibenden Erfolg.*
Beim kleinen Bruder Amicus schaute die Sache ein bisschen anders aus. Im Vergleich zum "gothic horror", der die Spezialität von Hammer (wenn auch bei weitem nicht deren ausschließliche Domäne) gewesen war, bewahrten sich deren Portmanteau - Streifen à la Tales from the Crypt (1972) oder The Vault of Horror (1973) ihre Popularität ein wenig länger. Und als sich auch bei diesen das Ende abzuzeichnen begann, änderten Milton Subotsky & Max Rosenberg rasch den Kurs und steuerten ihr Schiff mit der legendären Edgar Rice Burroughs - Doug McClure - Gummi-Dinos - Trilogie The Land That Time Forgot (1974), At the Earth's Core (1976) und The People That Time Forgot (1977) in andere Gefilde. Was den Untergang des Unternehmens zumindest etwas hinauszuzögern vermochte.
 
1974 war das letzte Horror-Jahr bei Amicus. From Beyond the Grave war noch einmal ein typischer Anthologien-Streifen, dessen Episoden diesmal auf Kurzgeschichten des damals sehr populären R. Chetwynd-Hayes basierten. Der mit AIP (American International Pictures) koproduzierte Madhouse hingegen lässt sich bei aller Abstrusität beinah als Meta-Kommentar auf den Wandel im Genre und die Karriere seines Stars Vincent Price interpretieren. The Beast Must Die liegt irgendwo dazwischen. Man merkt dem Flick sehr deutlich an, dass er auf die Veränderungen im Publikumsgeschmack zu reagieren versucht, aber er reflektiert nicht darüber. Kim Newman beschreibt ihn in Nightmare Movies als "mindless, trashy fun of the first order" (1) und das trifft es recht gut.

Das Drehbuch von Michael Winder basiert auf James Blishs Story There Shall Be No Darkness, die erstmals im April 1950 in Thrilling Wonder Stories erschienen war. Gar zu viel haben Vorlage und Film allerdings nicht miteinander gemein -- die Grundidee, die Teilnehmer*innen einer Upper Class - Party mit einem Werwolf zu konfrontieren, sowie die Namen der Beteiligten. Das wichtigste Element, das Winder der Story entnommen hat, ist die pseudowissenschaftliche Erklärung für Lykanthropie. Der Werwolf ist kein übernatürliches Geschöpf der Finsternis oder Träger eines Fluches, sondern das Opfer einer sehr seltenen Hormonstörung, mit der auch die tödliche Wirkung von Silber "erklärt" wird. (2) Eine solche "Verwissenschaftlichung" ist heute nichts mehr ungewöhnliches, aber 1974 dürfte es zumindest im Film eine ziemlich innovative Darstellung gewesen sein. Wenn auch keine nie zuvor dagewesene, wie wir noch sehen werden.
 
Aber das ist nicht das wirklich ungewöhnliche an The Beast Must Die. Bevor die Handlung startet bekommen wir nämlich folgendes erzählt (& gezeigt):
This film is a detective story -- 
in which you are the detective. 
The question is not "Who is the murderer?'" -- 
But "Who is the werewolf?"
After all the clues have been shown --
You will get a chance to give your answer.
Der Film ist ein Werwolf - Whodunit! Und dazu auch noch ein interaktives! Wie man sich das vorzustellen hat? Sehr einfach: Vor dem großen Finale stoppt die Handlung plötzlich und wir haben dreißig Sekunden Zeit, zu erraten, wer von den Verdächtigen denn nun der lykanthropische Killer ist. Die "legendäre" Werewolf Break ...
 

Es wäre interessant zu wissen, wie das de facto 1974 in den Kinos ausgesehen hat. Haben die Leute da laut irgendwelche Namen gebrüllt? Wetten mit ihren Nachbar'innen abgeschlossen? Oder waren sie bloß genauso irritiert, wie es die meisten heutigen Betrachter*innen sein dürften?
 
Kino-Gimmicks dieser Art hatten im B-Movie-Geschäft durchaus Tradition. Ihr absoluter Großmeister war William Castle gewesen, der Ende der 50er / Anfang der 60er sein Publikum mit so neckischen Späßen wie einer $1000 - Lebensversicherung im Falle von "death by fright" (bei Macabre [1958]), über die Köpfe der Zuschauer*innen durch die Lüfte sausenden Plastikskeletten (bei House on Haunted Hill [1959]), vibrierenden Kinosesseln (bei The Tingler [1959]) oder "Geisterbrillen" (bei 13 Ghosts [1960]) unterhielt, wobei er diesen Gimmicks so putzig-pompöse Namen wie "Emergo", "Percepto" oder "Illusion-O" verlieh. Der "Werewolf Break" am nächsten kommen die "Fright Break" und die "Punishment Poll", die Castle in seine Filme Homicidal (1961) und Mr. Sardonicus (1961) einbaute. Bei der ersteren wurde die Handlung gleichfalls unterbrochen, hier allerdings um den Zuschauenden 45 Sekunden Zeit zu geben, das Kino zu verlassen, bei voller Rückerstattung des Ticketpreises (was allerdings schon bald durch die Einführung der "Coward's Corner" erschwert wurde). Bei der letzteren konnte das Publikum darüber abstimmen, welches Ende der Film (und Baron Sardonicus) nehmen sollte (auch wenn bis heute starke Zweifel daran bestehen, dass tatsächlich zwei unterschiedliche Versionen gedreht worden waren). (3)
 
William Castles Glanzzeit war bloß von kurzer Dauer gewesen. Sein letzter Gimmick, die mit Sicherheitsgurten versehenen "Shock Seats" für I Saw What You Did, wurde 1965 schon gar nicht mehr wirklich in irgendwelchen Kinos installiert. Wenn Subotsky & Rosenberg diese Traditionen ein Jahrzehnt später für The Beast Must Die wiederzubeleben versuchten, wirkt dies deshalb auch eher wie ein Griff in die Mottenkiste. Und nicht wie die innovative Idee als die Amicus die "Werewolf Break" zu verkaufen versuchte. 
 
Dem tatsächlichen Zeitgeist der frühen 70er näher kommt die zweite Besonderheit des Filmes.
 
Ursprünglich sollte Robert Quarry die Hauptrolle des Tom Newcliffe spielen. Ich habe mich vor einer halben Ewigkeit im Zusammenhang mit den Count Yorga - Filmen schon einmal etwas eingehender mit dieser leicht tragischen Schauspielerpersönlichkeit beschäftigt. AIP, die sich vor ähnliche Probleme gestellt sahen wie ihre britischen Kollegen, versuchten ihn Anfang der 70er als Nachfolger für ihren hauseigenen Horror-Star Vincent Price aufzubauen, weil ihnen dieser inzwischen zu kostspielig geworden war. Doch war Quarry letztenendes nur eine sehr kurze Karriere im Genre beschieden, da man in der Chefetage der legendären amerikanischen B-Movie-Schmiede schon bald zu der Überzeugung gelangte, dass sich Horror nicht länger bezahlt machte, und man stattdessen lieber auf das explosionsartig aufblühende Blaxploitation-Genre umsattelte. 
Im Übergang vom einen zum anderen produzierte AIP dabei den Kultklassiker Blacula (1972) und dessen Sequel Scream, Blacula, Scream (1973). Ungefähr zur gleichen Zeit erschien auch Blackenstein (1973) in den amerikanischen Kinos.
Ob man sich bei Amicus von diesem Trend inspirieren ließ, weiß ich nicht. Auf die Idee, Quarry zu engagieren, war man möglicherweise im Vorfeld der Produktion von Madhouse gekommen, in dem dieser mitspielte. Doch relativ kurzfristig entschied man sich um und besetzte die Hauptrolle stattdessen mit Calvin Lockhart, der zu diesem Zeitpunkt vor allem für die Rolle des "Reverend" Deke O'Malley aus Ossie Davis' Cotton Comes to Harlem (1970) bekannt war. Einem Streifen also, der nicht selten als ein Proto-Blaxploitation-Film beschrieben wird.    
In den 90ern erschien The Beast Must Die als VHS unter dem Titel Black Werewolf und mit einem großartig reißerischen Cover, das man sich hier auf Black Horror Movies anschauen kann. Aber im Grunde wäre es irreführend, den Film in die Nähe des Blaxploitation-Horrors zu rücken. Er war ja auch nicht als solcher geschrieben worden. Einzig der von Douglas Gamley, dem "Hauskomponisten" von Amicus, kreierte Soundtrack versucht streckenweise derartige Vibes zu wecken. Doch der Dialog ist völlig frei von dem für Blaxplotation typischen (und manchmal arg grenzwertigen) Slang. Und die Figur des weltmännischen Multimillionärs Tom Newcliffe ist meilenweit entfernt von den Archetypen des Genres.
 
Dennoch fügt die Besetzung der Hauptrolle mit Calvin Lockhart dem Film an manchen Stellen ein eigenes Element hinzu. Und das vermutlich völlig unbeabsichtigt.
 
Das zeigt sich bereits in der überlangen Eröffnungssequenz, in der wir miterleben, wie Newcliffe von paramilitärisch anmutenden Typen durch einen mit Beobachtungskameras und Mikrophonen gespickten Wald gehetzt wird, während der von Anton Diffring, dem "ewigen Nazi" des britischen Films und Fernsehens, gespielte Pavel seinen Verfolgern aus einer Kommandozentrale heraus über Funk Anweisungen erteilt. Hätte es zuvor nicht den kuriosen Prolog über eine interaktive Detektivgeschichte mit Werwolf gegeben, man könnte beim Anblick eines schwarzen Mannes, auf den eine Horde weißer "Milizionäre" Jagd zu machen scheint, leicht auf den Gedanken kommen, dass einen ein völlig anders gearteter Film erwarten würde. Etwa eine mit Motiven von Rassismus angereicherte Version von The Most Dangerous Game à la Ernest Dickersons Surviving the Game (1994). Doch dann stellt sich heraus, dass das Ganze nur eine Art Probelauf war, mit dem Newcliffe das Sicherheitssystem testen wollte, dass er von Pavel auf seinem riesigen Anwesen hat installieren lassen. Denn der passionierte Großwildjäger hat vor, an diesem Wochenende eine ganz besonders gefährliche Beute zu erlegen ... Womit die eigentliche Handlung beginnen kann.
 
Newcliffe hat eine Gruppe mondäner Bekannter in sein Landhaus eingeladen: den avantgardistischen Maler Paul Foote (Tom Chadboh), den in Ungnade gefallenen Diplomaten Arthur Bennington (Charles Gray) sowie den Pianisten Jan Gilmore (Michael Gambon) und seine Frau Davina (Claran Madden). Mit von der Partie sind außerdem seine Ehefrau Caroline (Marlene Clark) und der exzentrische Dr. Lundgren (Peter Cushing). Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen erklärt Newcliffe seinen Gästen ganz unumwunden, dass er davon überzeugt sei, dass es sich bei einem von ihnen um einen Werwolf handle. Und er außerdem fest vorhabe, den Lykanthropen seiner Trophäensammlung hinzuzufügen. Dummerweise ist er sich nicht sicher, wer genau von den Versammelten das Monster ist. Aber mit Hilfe von Vollmondlicht, allerlei Silbergerät und eigens gezüchtetem "Wolfsbane" wird man das früher oder später schon herausfinden ...
 
Selbstverständlich erweist sich die Sache als nicht ganz so einfach. Und so finden sich die Unglücklichen schon bald in der unangenehmen Lage wieder, dass besagter Werwolf (gespielt von einem Hund in Pelzmantel) sie nacheinander in blutige Stücke reißt, ohne dass Newcliffe der Enthüllung seiner Identität irgendwie näher gekommen wäre.
 
Über die eigentliche Handlung muss man nicht viel Worte verlieren. The Beast Must Die ist im Grunde ein "Old Dark House" - Mystery ohne altes Haus, aber dafür mit Werwolf. Der entsprechende Plot ist leidlich unterhaltsam, aber ohne größere Überraschungen in Szene gesetzt. Spaß machen vor allem die zum Teil recht eigenwilligen Figuren, wofür in erster Linie die Riege talentierter Schauspieler verantwortlich ist, mit denen Regisseur Paul Annett arbeiten konnte. 
Anton Diffring spielt Technikspezialist Pavel als einen abgeklärten Pragmatiker, der seinen Auftraggeber zwar offensichtlich für völlig übergeschnappt hält, der aber bereit ist mitzuspielen, weil das Geld stimmt, und es sich derweil vor seinen Überwachungsmonitoren gemütlich macht.
Charles Gray (Genrefilm-Fans u.a. als Mocata in The Devil Rides Out, Mycroft Holmes in The Seven-Percent-Solution und "The Criminologist" in der Rocky Horror Picture Show bekannt) macht den Ex-Diplomaten Bennington mit seiner herablassenden, immer leicht naserümpfenden Art zu einem genuin unsympathischen Gesellen.
Peter Cushing gibt den Ersatz - Van Helsing Dr. Lundgren, der die entscheidenden Vorträge über die wahre Natur des Werwolfismus halten darf, als einen etwas wunderlich wirkenden Exzentriker (mit absurd klingendem, pseudo-dänischem [?] Akzent), bei dem man das leichte Gefühl hat, dass seine Verbindung zur Realität auch nicht mit mehr die allerstabilste ist. Ganz wunderbar die Szene, in der Newcliffes Gäste eine silberne Patrone in den Mund nehmen müssen, um zu beweisen, dass sie nicht der Werwolf sind. Wobei Lundgren das Projektil vorher und nachher aufs akkurateste mit seinem Taschentuch säubert.   
Tom Chadbohs hippiehafter Maler Paul Foote (der auch schon mal Menschenfleisch gegessen hat, weil's ein "Kick" war) ist vor allem ein Red Herring auf Beinen, aber auch recht unterhaltsam.
Wirklich blass bleiben eigentlich nur Michael Gambons Jan und (leider leider) die beiden Frauenfiguren. Marlene Clarks Caroline hat zwar etwas mehr Charakter, doch der äußert sich nur in Reaktion auf das Verhalten ihres Ehemannes.
 
Und der gute Newcliffe ist denn auch tatsächlich eine recht interessante Figur. Der Selfmade-Millionär stammt aus ärmlichsten Verhältnissen und ist fest davon überzeugt, dass es einzig sein unerbittlicher Wille und seine kompromisslose Zielstrebigkeit waren, die es ihm ermöglichten, aus dem tiefsten Elend zu den goldenen Gipfeln der Gesellschaft  aufzusteigen. Was aus dem Munde eines schwarzen Schauspielers doch noch eine zusätzliche Nuance erhält. Für seine ehemaligen Leidensgenoss*innen aus den Slums hat er bloß Verachtung übrig. Seine übergroße Leidenschaft für die Jagd erscheint als eine Ausdrucksform dieses unbedingten Aufstiegswillens. Und könnte es einen größeren Triumph geben, als eine Beute zu erlegen, von der die meisten nicht einmal glauben würden, dass sie überhaupt existiert? Kein Wunder also, dass Newcliffe im Laufe der Ereignisse immer fanatischere Züge annimmt. Nicht nur sabotiert er kaltblütig alle "Fluchtversuche" seiner "Gäste" und kappt alle Verbindungen zur Außenwelt, selbst als sich die Leichen zu türmen beginnen, lässt er nicht von seinem momomanisch anvisierten Ziel ab. Davon kann ihn auch Caroline nicht abbringen, der es zunehmend schwer fällt, in dem Getriebenen den Mann wiederzuerkennen, den sie liebt.
 
Diese Charakterisierung des Protagonisten macht das wirklich finstere Ende des Films zu mehr als bloß einem fiesen Twist in EC-Comics-Tradition. Es wirkt folgerichtig. Womit ich nicht gesagt haben will, dass The Beast Must Die ein irgendwie profunder Film wäre. Er bleibt "trashy fun", ist aber vielleicht doch nicht völlig "mindless".
 
 
 
 
PS: In guter alter Tradition brachte mich die Beschäftigung mit The Beast Must Die außerdem noch auf einige Rechercheabwege. Denn so eigenwillig die Idee eines Werwolf - Whodunit auch klingen mag, der Streifen war keineswegs der erste Vertreter seiner Art. Schon 1942 hatte 20th Century Fox in Reaktion auf den Erfolg von The Wolf Man einen Film produziert, der ein lykanthropisches Ungeheuer mit Elementen einer Detektivgeschichte verwebt. 
Das beste an The Undying Monster ist Lucien Ballards Cinematographie. Der Film enthält eine ganze Reihe interessant komponierter Einstellungen und stimmungsvoller Szenen. Die Story um den Familienfluch der aristokratischen Hammond-Sippe wirkt dagegen nicht unbedingt fesselnd. Beachtung verdient allerdings, dass Lykanthropie auch hier als eine biologische (Erb)krankheit dargestellt wird, ohne allen übernatürlichen Firlefanz.
Das Drehbuch von Lillie Hayward & Michel Jacoby basiert auf dem gleichnamigen, 1922 erschienen Roman der britischen Autorin Jessie Douglas Kerruish. Wirft man einen Blick in diese Vorlage, so erscheint der Film in einem besonders ungünstigen Licht. (4) Natürlich ist die Geschichte dort länger und komplizierter. Vor allem aber ist die übersinnlich begabte okkulte Detektivin Luna Bartendale, genannt "The White Witch", die eigentliche Heldin. In der Filmversion wurde sie durch einen rationalistischen Scotland Yard - Typen ersetzt. Und als wäre das noch nicht genug, wurde dem auch noch eine weibliche "Comic Relief" - Figur zur Seite gestellt, bei der es schwerfällt, sie anders als eine bewusste Parodie auf die ursprüngliche Heldin zu lesen. 
Erschien dem Hollywood der frühen 40er die Vorstellung einer kompetenten Horror-Heldin wirklich so unvorstellbar, dass es nicht ausreichte, sie aus ihrer eigenen Geschichte rauszuschreiben? Man musste sie zusätzlich auch noch verspotten?
Dabei war Luna Bartendale keineswegs ein Unikum unter den okkulten Detektiven. Schon zwei Jahre vor The Undying Monster waren auf den Seiten des britischen Blue Magazine die Abenteuer von Shiela Crerar, "Psychic Detective" erschienen. Und in einer von denen hatte es Ella M. Scrymsours Heldin doch tatsächlich auch mit einem Werwolf zu tun bekommen!
      


(1) Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 20.

(2) Interessanterweise enthält die Story mit dem Motiv des Pentagramms, das die künftigen Opfer des Werwolfs kennzeichnet, aber auch einen direkten Rückgriff auf den Universal - Klassiker The Wolf Man (1941).

(3) Wer etwas mehr über die wunderbare Welt der Kino-Gimmicks erfahren will sei auf die entsprechende Episode von Chris Browns Last Horror Podcast verwiesen.

(4) Eine Version von The Undying Monster findet sich in der Juniausgabe 1946 von Mary Gnaedingers Famous Fantastic Mysteries, geschmückt mit ganz prachtvollen Illustrationen von Lawrence Sterne Stevens.