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Montag, 30. März 2020

Mit Merlin nach Amerika

There were three disappearances by loss in the Isle of Britain.
The first were Gavran and his men, who went in search of the Green Islands of the floods, and were never heard of after.
The second were Merddin the bard of Emrys, and his nine attendant bards, who went to sea in a house of glass, and the place where they went is unknown.
The third was Madog the son of Owain king of North Wales, who went to sea with three hundred persons in ten ships, but the place to which they went is unknown.
So heißt es in der zehnten der Trioedd Ynys Prydein ("Triaden der Insel Britannien"), wie sie William Probert im Anhang zu seinem The Ancient Laws of Cumbria übersetzt hat. Es war dieses Stück mittelalterlicher walisischer Literatur, das H. Warner Munn dazu inspirierte, seinen ersten Fantasyroman King of the World's Edge zu schreiben, der in serialisierter Form von September bis Dezember 1939 in Weird Tales veröffentlicht wurde. Wie er 1978 in einem Gespräch mit der befreundeten Autorin und Herausgeberin Jessica Amanda Salmonson erzählte:
I'd read one of the Welsh triads in which Merlin is mentioned as sailing away in a house of glass with his nine bards, & was never heard of again. Well, there was only one place that he could sail, westward, from where he was. Westward to America. 
Und so entstand eine kuriose Mixtur aus Pseudohistorie und Fantasy, die bei aller Fantasterei doch auch immer wieder zeigt, wie wichtig für Munn die Recherche geschichtlicher und kultureller Details war. Denn wie er selbst sagte: "Any fantasy should have a good sound basis of fact".
***
Geboren am 5. November 1903 in Athol (Massachusetts) wuchs Harold Warner Munn in einem literarisch interessierten Umfeld auf. Seine Großmutter korrespondierte mit Jules Verne und H. G. Wells, und der Schrifsteller behauptete später, er selbst habe schon im Alter von sieben Jahren über hundert Bücher gelesen, u.a. die Bibel, Victor Hugos Les Miserables und Robert Burtons The Anatomy of Melancholy.* Eine weitere frühe Inspiration sei eine Sammlung alter Predigten eines Vorfahren aus dem geistlichen Stand gewesen:
I was impressed when I read those because they were not dry reading like most sermons naturally would be. Rather, I think he had a vivid imagination. in some of them, he harks back to the time of the puritans. Hell was a lot hotter in those days. Some of those sermons were really scary. I guess imagination ran in the family. It comes out in strange places.
Wann genau H. Warner Munn beschloss, es selbst einmal mit der Schriftstellerei zu versuchen, entzieht sich meiner Kenntnis. Seine ersten Veröffentlichungen waren wohl einige Gedichte, doch dann stieß er in der Märzausgabe 1924 von Weird Tales auf einen Leserbrief von H. P. Lovecraft, in dem dieser die Einfallslosigkeit konventioneller phantastischer Geschichten beklagte:
Popular authors do not and apparently cannot appreciate the fact that true art is obtainable only by rejecting normality and conventionality in toto, and approaching a theme purged utterly of any usual or preconceived point of view. Wild and "different" as they may consider their quasi-weird products, it remains a fact that the bizarrerie is on the surface alone; and that basically they reiterate the same old conventional values and motives and perspectives. Good and evil, teleological illusion, sugary sentiment, anthropocentric psychology – the usual superficial stock in trade, and all shot through with the eternal and inescapable commonplace.
Als Beispiel für das, was ihm selbst vorschwebte, präsentierte der Gentleman von Providence folgende Idee:
Take a werewolf story, for instance – who ever wrote one from the point of view of the wolf, and sympathizing strongly with the devil to whom he has sold himself?
Also setzte sich Munn an seine Schreibmaschine {oder zückte seinen Füllfederhalter} und schrieb The Werewolf of Ponkert. Die Geschichte eroberte auf Anhieb den begehrten Platz der Cover-Story als sie im Juli 1925 im "Unique Magazine" veröffentlicht wurde.  In derselben Ausgabe erschien übrigens auch Robert E. Howards Debüt Spear and Fang.
Munn erzählte später, Lovecraft habe ihm umgehend eine "congratulatory note" zukommen lassen, über deren Inhalt wir aber nichts genaueres wissen. Jahre später erklärte der alte Gentleman jedenfalls in einem Brief an Robert Bloch, dass Munns Geschichte nicht wirklich das gewesen wäre, was er im Auge gehabt hatte:
[He] thought he was following out my idea when he wrote his “Werewolf of Ponkert” (told by a man who was involuntarily became a werewolf, & who regrets his nocturnal deeds), but in reality he wholly missed it. His sympathies were still with mankind – whereas I called for sympathies wholly disassociated from mankind & perhaps violently hostile to it.***
Doch wie dem auch sei, jedenfalls kam es dank der Vermittlung ihres gemeinsamen Freundes W. Paul Cook ungefähr zwei Jahre später zu einer ersten persönlichen Begegnung in Providence. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die sich in einem eifrigen Briefwechsel und regelmäßigen gegenseitigen Besuchen niederschlug. Zur selben Zeit baute Munn auf dem Fundament seines Debüts eine ganze Saga von Werwolfgeschichten auf, die seinen hauptsächlichsten Beitrag zu Weird Tales darstellt. Daneben schrieb er aber auch einige eigenständige Horrorstories wie The City of Spiders (1926) und The Wheel (1933).
Ungefähr ab 1934 begann H. Warner Munn dann, sich aus dem Kreis der Pulpster zurückzuziehen. Lovecraft wartete oft vergeblich auf eine Antwort, mit Cook kam es zu einem offenen Überwürfnis und ganz allgemein scheint der Schriftsteller auf Distanz zur "Szene" gegangen zu sein. Die Gründe dafür bleiben rätselhaft.

Auch wenn er in seinen Briefen an Munn stets nur aufmunternde Worte für dessen literarische Unternehmungen übrig hatte, war Lovecraft in Wahrheit nicht wirklich begeistert von dem, was der Freund zu Papier brachte. Für ihn stand das alles zu sehr in den Traditionen der "swashbuckling romance" und des "cloak & swordism". Als wäre das was schlechtes! Für mich ein Grund mehr, einmal einen Blick in sein Werk zu werfen ...
*** 
King of the World's Edge beginnt mit einer Rahmenhandlung, in der ein Weltkriegsveteran auf Key West einen antiken bronzenen Zylinder findet und zu einem Lokalhistoriker bringt. Dieser entdeckt im Inneren "a tightly rolled bundle of parchment", auf dem in simplem Soldatenlatein ein seeeehr langer Brief an den römischen Kaiser zu lesen ist. Richtig geraten unser Roman.

Der eigentliche Erzähler ist der romanisierte Brite Ventidius Varro, Centurio in der VI. Legion "Victrix", der letzten Armee, die das Imperium vor einer Generation auf der Insel zurückgelassen hat. Sein Bericht beginnt mit einem kurzen Überblick über die Regentschaft Arthurs, der das Erbe Roms noch einmal gegen die barbarischen Sachsen zu verteidigen versucht. Munn bedient sich dabei vor allem bei der altkymrischen Überlieferung und der Historia Regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth, fügt dem aber auch eine {zumindest für mich} originelle Version der Geschichte um Gwenhyvar (Guinevra) und Lanceloc (Lancelot) bei. Schließlich kommt es zu Medrawds (Mordreds) Verrat und zur Schlacht von Camlan, mit der das Reich Arthurs untergeht. Ventidius wird Zeuge der berühmten "Sterbeszene" des Königs, wenn Sir Bedwyr (Bedivere) Caliburn (Excalibur) in einem nahen See versenken soll. Doch dann taucht Myrdhinn (Merlin) auf und versetzt den tödlich verwundeten Arthur in eine Art magisches Koma, aus dem dieser erst in ferner Zukunft wieder erwachen werde. Man zieht nach Lyonesse, doch der Landstrich ist im Meer versunken, wofür Myrdhinns Gattin Vivienne, die Herrin vom See, verantwortlich ist. An der neuentstandenen Küste errichtet der Zauberer eine letzte Ruhestätte für den "Once and Future King".

Myrdhin wird als Vertreter einer Übergangszeit und als Bewahrer uralten Wissens beschrieben:
[H]e was a foundling brought up in childhood by Druids who still keep up their ancient practices in Cambria, and taught by them their mystical lore, though he in later life embraced Christianity. Druidism warred in his heart with Christian tenets.
It is welll known that the sages of antiquity possessed knowledge lost to us in these times of decadence, and locked fast in Myrdhinn's brain were many secrets, including that of prolonged life.
Viele der Wundertaten, die er im Laufe der Erzählung vollbringt, sollen wohl eine "naturwissenschaftliche" Grundlage besitzen, welche mal mehr, mal weniger klar angedeutet wird. Doch daneben ist der alte Weise auch zu "echter" Magie fähig, die er allerdings nur zögerlich anwendet, da er um sein Seelenheil fürchtet.

Nachdem ein Teil der Mannen mit Sir Bedwyr losgezogen ist, um erneut Widerstand gegen die Sachsen zu organisieren, übernimmt Myrdhinn die Führung über den Rest. Er hält Britannien für verloren, doch möglicherweise ließe sich jenseits des Ozeans eine Zuflucht finden. Durch seinen Mund zitiert Munn eine Reihe antiker und frühmittelalterlicher Gewährsleute für die Existenz eines Kontinents im Westen von Theopompus bis Sankt Brendan. Und so sticht man schließlich von Isca Silurum aus mit dem gewaltigen Kriegsschiff Prydwen in See, dessen im Sonnenlicht funkelnde Panzerung ihm den Beinamen "House of Glass" eingebracht hat.
Mit der Küste von Wales lässt der Roman auch das arthurische Element weitgehend hinter sich. Zwar wird später noch einmal kurz der legendäre "Mantel Arthurs" (Llen Arthyr), einer der in Culhwch ac Olwen erwähnten "Dreizehn Schätze Britanniens", der seinem Träger Unsichtbarkeit verleiht, als Gimmick aus dem Hut gezaubert, aber davon abgesehen gibt es kaum mehr Bezüge zu diesem Sagenkreis. Und dass obwohl Myrdhinn eine der Hauptfiguren bleibt. Doch der Erzähler Ventidius sieht sich und seine Gefährten in erster Linie als Vertreter Roms, nicht Britanniens.

Munn war ein großer Bewunderer von Jules Verne, und vor allem im ersten Viertel des Romans, das die Überfahrt über den Atlantik schildert, beweist er selbst sein Talent als Erzähler einer klassisch anmutenden Reise- und Entdeckergeschichte. Abgesehen von einer Meuterei unter den sächsischen Sklaven, die dank Myrdhinns diplomatischem Geschick mit deren Freilassung endet, kommt es dabei zu keinerlei gewalttätiger Action. Stattdessen bekommen wir u.a. Ventidius' Schilderung fremdartiger Tiere zu lesen, bei denen es sich offensichtlich um Haie und Wale handelt. Interessanterweise werden in demselben Zusammenhang die zeitgenössischen Berichte über fantastischere Meeresungeheuer wie den Riesenfisch Jasconye als Märchen abgetan. Schließlich erreicht man die Küste von "Brandon's Isle" (Kuba), wo man freundschaftlichen Kontakt zu dem dort lebenden Volk aufnimmt. Angesichts des bis hierhin eher "realistisch" gehaltenen Tonfalls mutet es überraschend an, wenn wir wenig später von monströsen Fischmenschen à la "Creature from the Black Lagoon"  erzählt bekommen, die in den Sümpfen von Florida hausen. Doch ist diese Episode im Grunde nur ein kleiner Schlenker am Rande, denn nachdem die Prydwen während eines Hurrikanes auf Grund gelaufen ist, beginnt das eigentliche Abenteuer, in dem Monster & Magie auch weiterhin nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

Der Schiffbruch ist zugleich der Punkt, an dem Ventidius spontan die Führung an sich zu reißen beginnt. Nun, wo's hart auf hart kommt, braucht die Gruppe der Überlebenden einen pragmatisch denkenden Soldaten und keinen weisen Gelehrten an der Spitze. Freilich ist der Legionär selbst nicht ganz glücklich über diese Entwicklung:
I felt I had usurped authority, had rebelled against my superior, had made a breach between myself and one whom I respected and feared.
Yet it was not my fault if our natures conflicted. I am a practical man, a man of earth and things earthy. Myrdhinn was a man of spirit [...]    
Es kommt nie zum vollständigen Bruch, doch das Motiv konkurrierender Weltanschauungen, die von den beiden vertreten werden, wird bis zum Ende immer wieder auftauchen.

Kaum den wütenden Wogen des Meeres entkommen, werden die Schiffbrüchigen auch schon von einem Trupp kriegerischer "Eingeborener" gefangen genommen und in ein Fort im Landesinneren gebracht, das Teil des großen Imperiums von Tlapallan ist.

H. Warner Munns fiktives Amerika "Alata" bildet für mich den vielleicht faszinierendsten Teil des Romans. Die Fischmenschen von Florida hätten den Eindruck erwecken können, dass wir es in der Folge mit einem typischen "Lost Race" - Szenario zu tun bekommen würden. Doch dem ist nicht der Fall. Zwar ist meine Kenntnis der präkolumbischen Geschichte Amerikas und seiner zahlreichen Völker und Kulturen leider sehr beschränkt, doch auch mir wurde schon bald klar, dass in die Schilderung von "Alata" umfangreiche Recherchearbeit eingeflossen sein muss. Nicht dass Munn versucht hätte, ein wirklich realistisches Bild davon zu zeichnen, wie Amerika im 5./6. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. In historisch-chronologischer Hinsicht ebenso wie in der geographischen Verteilung der verschiedenen Völkerschaften stellt sein "Alata" vielmehr eine wüste Mixtur dar. Aber zugleich steckt die Erzählung voller realgeschichtlicher Details und Anspielungen, was zu einer ganz eigenartigen Atmosphäre führt.
So liegt Tlapallan zwar nordwestlich von Florida, doch der Name dürfte vom Tillan-Tlapallan der aztekischen Mythologie dem Ort, an dem Quetzalcoatl stirbt und sich in den Morgenstern verwandelt  abgeleitet worden sein, was am Ende der Erzählung sogar Sinn macht. Die herrschende Volksgruppe des Imperiums, die Mias, hingegen sind ganz offensichtlich Proto-Mayas. Nicht nur trägt ihr Gottkönig den Titel Kukulkan, sie kennen auch die für die Mayas typische kulturelle Praxis der künstlichen Schädeldeformation. Zugleich jedoch werden sie mit den "Mound Builders" identifiziert, und die "City of the Snake", zu der unsere Helden schließlich gebracht werden, liegt am Oberlauf des Ohio River und ist dem Vorbild des dortigen Serpent Mound nachgebildet. Außerdem unterhalten die Mias Kupferminen an den Großen Seen gleichfalls eine Anspielung auf die reale präkolumbische Geschichte Amerikas. Die Götter, die sie verehren Ciacoatl und Mixcoatl , sind dagegen wiederum aztekischer Herkunft. Und das ist erst der Anfang.

King of the World's Edge ist ein Pulproman der 30er Jahre, also wird es nicht verwundern, dass die Beschreibung der "Eingeborenen" nicht frei von rassistischen Klischees ist. Nicht zufällig bekommen wir gleich nach dem ersten Auftauchen der Tlapallicos eine Skalpier-Szene vorgesetzt.**** Dennoch werden die Mias nicht einfach als Barbaren geschildert. So führt z.B. einer ihrer Ärzte eine recht beeindruckende Schädeloperation durch. Auch betont Ventidius mehrfach die große Disziplin, auf der Macht und Zusammenhalt ihres weitgespannten Imperiums basieren. Freilich handelt es sich dabei um die Diszplin einer extrem unmenschlichen Sklavenhaltergesellschaft. Und selbstverständlich spielen blutrünstige Menschenopfer mit herausgeschnittenen Herzen eine große Rolle.
Der Krieger Hayonwatha seinerseits entspricht eher dem Typus des "Edlen Wilden". Beeindruckt von Mut und Ehrenhaftigkeit unseres Helden schließt er schon bald mit diesem Blutsbrüderschaft und erweist sich in der Folge als treuer Kamerad und wichtiger Verbündeter. Soweit eine geläufige Figur derartiger Abenteuergeschichten, doch wie ich erst im Nachhinein festgestellt habe, handelt es sich bei ihm eigentlich um eine halbmythische Gestalt aus der Überlieferung der Irokesen.

Was uns zum nächsten großen Abschnitt in unserer Erkundung von "Alata" führt. Nachdem unsere Helden dank einer recht gruseligen Demonstration von Myrdhinns "echter" Magie den Tlapallicos entkommen sind, setzen sie sich nämlich zusammen mit Hayonwatha nordwärts in die wilden Wälder von Chicameca***** ab. Und dort leben fünf Jäger- und Sammlervölker, die bislang stets in nicht enden wollende Stammesfehden untereinander verstrickt waren. Myrhdinn plant nun, sie in einem Bund zu vereinen, damit sie gemeinsam den Tlapallicos die Stirn bieten könnten.
Was wir in Teil III von King of the World's Edge erzählt bekommen, ist im Grunde eine ins 5. Jahrhundert zurückverlegte Version der Gründung der Irokesen-Föderation, inklusive der korrekten Stammesbezeichnungen. Das fand ich einerseits ziemlich faszinierend, hinterließ andererseits aber auch einen etwas üblen Nachgeschmack. Schlüpft dabei doch mit Myrdhinn ein weißer Mann in die Rolle des "Großen Friedensstifters" Deganawida. Was vielleicht auch erklärt, warum ich bei der Sonnenfinsternis, die er ausnutzt, um die Stämme zu vereinigen, spontan an die entsprechende Szene aus Mark Twains A Connecticut Yankee in King Arthur's Court denken musste. Tatsächlich ist sie jedoch Teil der authentischen Überlieferung der Irokesen.
Auf jedenfall beginnt spätestens an diesem Punkt die denn doch stark kolonialistisch anmutende Erzählung vom "weißen Mann", der sich dank seiner zivilisatorischen Überlegenheit unter den "Wilden" ein eigenes Reich aufbaut.

Dabei ist Myrdhinns "Nation Building" bei den Irokesen noch der harmlosere Teil. Als man nämlich auf Initiative des Zauberers eine Expedition in den Westteil von "Alata" unternimmt, in der vagen Hoffnung dort das Irdische Paradies zu finden, stößt man stattdessen auf ein primtives Volk von Proto-Azteken. Ventidius erkennt in diesem sofort das geeignete Menschenmaterial, um ein militaristisch-diszipliniertes Imperium nach dem Vorbild Roms zu kreieren. Zu diesem Zweck organisiert er nicht nur eine gut gedrillte Legion******, führt das mesoamerikanische "Schwert" Macuahuitl ein und schafft neue Ränge und gesellschaftliche Hierarchien, sondern stiftet sogar eine eigene Religion. Und während Myrdhinn stets bemüht ist, den Völkern von "Alata" die christlichen Ideale von Brüderlichkeit und Barmherzigkeit zu vermitteln, hält der Soldat Ventidius eine solche Ethik für ungeeignet, um ein Reich zu schaffen, das fähig wäre, Tlapallan zu erobern und die Herrschaft der Mias zu beenden:
[F]rom priests ordained by myself (who know nothing of priestcraft), was being preached a new religion, worthy of a fighting people, the Children of Destiny.
Kein Wunder, dass Ventidius selbst schließlich zum Kriegsgott Huitzilopochtli erklärt wird.

In seiner zynisch-pragmatischen Handlungsweise erscheint unser Held zunehmend fragwürdig, was aber denk ich ganz in H. Warner Munns Absicht lag. Das letzte Viertel des Romans, in dem der große Krieg gegen Tlapallan beschrieben wird, enthält zwar für meinen Geschmack zu viele langgezogene Schlachtszenen, besitzt aber zugleich einen beunruhigenden Vibe, der mich ein klein wenig an gewisse Szenen aus Dune erinnert hat. Gottkönig Ventidius ist zwar am Ziel seiner Wünsche. Seine Legionen mähen reihenweise die kriegstechnisch unterlegenen Tlapallicos nieder. Doch deutet sich dabei an, dass er eine Entwicklung in Gang gesetzt hat, über die er in Wirklichkeit keine volle Kontrolle mehr besitzt. Als seine Anhänger nach dem ersten großen Sieg über die Tlapallicos munter damit beginnen, zu Ehren Huitzilopochtlis die Leichen der Besiegten zu verstümmeln, Herzen aus Brustkörben zu reißen oder sich gar dem Kannibalismus hinzugeben, hat er keine andere Wahl, als das blutige Spektakel leicht betroffen mitanzusehen. Und je länger der Krieg dauert, desto stärker lässt er sich selbst von der allgemeinen Brutalität mitreißen. Am Ende ist es allein Myrdhinns Eingreifen, das ihn davon abhält, Völkermord zu begehen.

Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie die weitere Geschichte dieses so blutig geborenen und am Ende des Romans immer noch recht instabilen Imperiums ausgesehen hätte. Doch war dies offensichtlich nicht H. Warner Munns Interesse. Das Sequel Ship from Atlantis das er zwar schon Anfang der 40er schrieb, das aber erst 1967 bei Ace Books erschien erzählt vielmehr von den Abenteuern, die Ventidius' Sohn Gwalchmai fernab seiner amerikanischen Heimat erlebt. Dasselbe gilt für den dritten Band Merlin's Ring
        





* Vgl.: Todd B. Vick: The Coincidental Friendship of H. Warner Munn and H. P. Lovecraft.
** Weird Tales, März 1924, S. 90.
*** Zit. nach: Todd B. Vick.
**** Was Myrdhinn zu dem Kommentar veranlasst: "These folk must be kin to the Skythians." Eine Anspielung auf Herodot, der diesem Steppenvolk vergleichbare Praktiken zugesprochen hatte.
***** Chichimeca ist eine Nahuatl-Bezeichnung für "Barbaren".
****** Ventidius lässt seinen Truppen sogar die alte Adlerstandarte der "Victrix" vorantragen, was die spätere Rolle des Adlers in der aztekischen Heraldik (Eagle Warriors) "erklärt".

Sonntag, 22. März 2020

"Drink deep, Skull-Cracker!"

1947 begann Donald A. Wollheim für Avon Books zu arbeiten. Der 1941 gegründete Verlag war einer der Pioniere des Taschenbuchs auf dem amerikanischen Markt. Anders als sein direkter Konkurrent Pocket Books versuchte Avon nicht, sich den Anstrich "gehobener Literatur" zu verleihen, sondern konzentrierte sich von Beginn auf populäre Genres wie Horror, Romance und Western. Unter Wollheims Leitung begann man nun den Fantasy Reader herauszugeben, eine im sog. Digest - Format produzierte Anthologien-Reihe, in der bis 1952 hauptsächlich Nachdrucke von Stories und Gedichten von Autoren & Autorinnen wie Algernon Blackwood, Ray Bradbury,  Robert W. Chambers, Mary Elizabeth Counselman, Lord Dunsany, Beatrice Grimshaw, Clare Winger Harris, William Hope Hodgson, Robert E. Howard, M.R. James, H.P. Lovecraft, Amelia Reynolds Long, A. Merritt, C.L. Moore, Sax Rohmer, Clark Ashton Smith, H.G. Wells und Everil Worrell erschienen. Avon war damit Vorläufer eines Trends, der in den 50er Jahren mit Ballantine und Ace {erneut unter Wollheims Ägide} deutlich an Schwung aufnehmen und entscheidend zum schließlichen Niedergang der SF-Magazine beitragen sollte.

Viele der klassischen Pulps lagen freilich schon an der Wende von den 40er zu den 50er Jahren im Sterben. Dennoch entschied Avon-Boss Joseph Meyers 1949, ein eigenes SciFi-Magazin ins Rennen zu schicken und beauftragte Wollheim mit der Leitung. Dieser organisierte die für die erste Ausgabe nötigen Geschichten, doch dann kam Drucker J.W. Clements auf die Idee, man könnte dem Magazin doch außerdem ein paar Comic-Stories hinzufügen. Das immer noch junge Medium hatte sich sehr schnell zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Pulps entwickelt. Warum also nicht das beste beider Welten in einem Heft vereinigen? Zumal Avon ohnehin schon seit einigen Jahren auch im Comic-Geschäft mitzumischen versuchte. Wenn auch nicht mit besonders großem Erfolg. 

Und so enthielt denn die erste Ausgabe von Out Of This World Adventures, die im Juli 1950 in den Kiosks und Drugstores auftauchte, neben sechs Kurzgeschichten {u.a. von A.E. Van Vogt und Mack Reynolds} vier Comic-Stories, zu denen auch der {soweit wir wissen} erste waschechte Sword & Sorcery - Comic der Geschichte gehörte: Der von Gardner F. Fox geschriebene und von John Giunta (aka Jay Gee) gezeichnete Crom the Barbarian
Freilich erwies sich Clements' doch eigentlich ganz clever klingende Konzept sehr schnell als finanzieller Fehlschlag. Crom durfte mit The Spider God Akka im Dezember desselben Jahres zwar noch ein  weiteres Abenteuer auf den Seiten der zweiten Ausgabe von Out Of This World erleben, doch dann wurde das Magazin auch schon wieder eingestellt, und der Barbar musste für seinen dritten Auftritt in The Giant From Beyond in eines der erfolgreicheren Avon-Comics, Strange Worlds, übersiedeln. Dieses Magazin lebte zwar bis 1955 fort, doch Crom ging bereits nach seinem dritten Abenteuer nach Walhalla ein. Worüber selbst eingefleischte Fans des Subgenres nicht wirklich verärgert sein sollten. Warum werden wir gleich sehen. (1)

Gardner F. Fox hatte bereits in der zweiten Hälfte der 30er Jahre für Detective Comics (D.C.) zu schreiben begonnen. Daneben erschienen seit 1944 regelmäßig SciFi-Stories aus seiner Feder in den Pulps, vor allem in Planet Stories. Er war also keineswegs ein Neuling in der Branche. Dennoch lässt sich Crom the Barbarian kaum freundlicher umschreiben denn als eine reichlich amateurhafte und extrem platte Conan-Kopie. Was bei dem überaus originellen Namen des Helden im Grunde ja auch nicht anders zu erwarten ist.

Gardner F. Fox liebte es offenbar, seine Stories mit Anspielungen auf realweltliche Wissenschaft, Geschichte und Mythologie anzureichern. Die Crom-Geschichten bilden da keine Ausnahme, auch wenn man hier vielleicht besser von Pseudowissenschaft sprechen sollte – größtenteils zumindest. So beginnt das Debüt des Barbaren mit folgendem Text:
In the early days of the earth there were many strange races and tribesmoving across the land, many cities and countries now forgotten, unrecorded by any history. Occasionally vague legend or unintelligible parchments in some Tibetan lamasery give a hint. Vestiges of their existence still remain at Easter Island, in the damp jungles of Brazil, under the hot sands of the Sahara and the Gobi. From one of those long-lost parchemnts recovered in an underwater upheaval, translated by a lingual expert, we bring you this tale of the earth's morning, a day born in the mists of earth's beginning. 
Auch Robert E. Howards Hyborian Age war als eine fiktive Urzeit konzipiert und wies zahlreiche Parallelen zu realen Ländern und Kulturen auf. Aber im Unterschied zu ihm knüpft Fox hier vor allem an die damals weit verbreiteten pseudowissenschaftlichen Ideen von "Untergegangenen Kontinenten" wie Atlantis, Lemuria und Mu an, zu deren bekanntesten Vertretern Augustus Le Plongeon, Ignatius Donnelly und James Churchward gehörten, nicht zu vergessen Helena Blavatsky, die Gründerin der Theosophie. So waren die Osterinseln mit ihren kolossalen Moai stets ein beliebter Anknüpfungspunkt für derartige Fantastereien und Tibets Klöster ein bevorzugter "Fundort" mysteriöser Schriften – insbesondere von Blavatskys Stanzas of Dzyan. Man vergleiche diesen pseudohistorischen Anstrich mit dem mythischen Ton von Howards berühmtem Prolog zu The Phoenix on the Sword:
Know, oh prince, that between the years when the oceans drank Atlantis and the gleaming cities, and the years of the rise of the Sons of Aryas, there was an age undreamed of, when shining kingdoms lay spread across the world like blue mantles beneath the stars
Wirklich interessant wird Fox' Vorliebe für "wissenschaftliche" Details aber erst mit der Einführung unseres barbarischen Protagonisten:
Crom was a barbarian – a man born from the yellow-haired Aesir who migrated from Asia into Europe.
Die Æsir sind eigentlich eines der beiden Hauptgeschlechter des nordgermanischen Pantheons. Hier jedoch sollen wir sie ganz offensichtlich mit den frühen Trägern der indoeuropäischen Sprache identifizieren, die lange Zeit – und nicht bloß von Rassentheoretikern – sehr oft auch als "Arier" bezeichnet wurden. Gardner F. Fox' Crom ist damit das erste mir bekannte Beispiel für die "Arisierung" des Conan-Typs. Robert E. Howards Cimmerier war bekanntlich dunkelhaarig und nicht blond. Wenn überhaupt so haben wir ihn uns eher als "keltischen", nicht als "germanischen" Typen vorzustellen, was ja bereits sein Name nahelegt.

Das macht es um so ironischer, dass Croms Stamm gleich zu Beginn von "Cymri" überfallen wird, weckt der Name doch walisische Assoziationen. Freilich handelt es sich bei den Angreifern um – natürlich dunkelhäutige – Tiermenschen, die ihr Vorbild wohl eher in Howards "Pikten" des Hyborian Age besitzen dürften.

Für das eigentliche Abenteuer sind all diese Details unerheblich. Allerdings gibt die cymrische Attacke Anlass für die erste der abstrusen Plotwendungen, die diese Geschichten auszeichnen. Eher durch Zufall nämlich landen der angeschlagene Crom und seine Schwester Lalla inmitten des Schlachtgetümmels auf einem kleinen Segelboot, das die beiden schnurstracks zu einer von hübschen Frauen bewohnten Insel trägt. Unser Barbar ist natürlich erst einmal begeistert, doch unglücklicherweise handelt es sich bei den exotischen Schönheiten um die Haremsdamen des finsteren Magiers Dwelf. Und diesen giert es nach Ewigem Leben. Also soll Crom ihm eine Phiole mit Wasser von einem magischen Jungbrunnen beschaffen, der im Zentrum der Metropole Ophir im Inneren eines großen Turmes sprudelt. Um seine Kooperation und sofortige Abreise sicherzustellen, hilft Dwelf mit ein bisschen Hypnose nach.

Der Name Ophir könnte einem aus Conan - Geschichten wie The Scarlet Citadel bekannt sein. Doch da es sich ursprünglich um ein biblisches "Goldland" handelt, muss man nicht unbedingt eine Verbindung zum Hyborian Age ziehen. Interessant ist auch Dwelfs Kommentar: "The fountain has been there since the beginning of the earth, when people came from the stars to build it. Some day it will be lost buried under what men will call the Sahara desert". Neben einem erneuten, und diesmal wirklich sehr ungelenk eingefügten, Bezug zur realen Welt, bekommen wir also auch noch ein Stück früher Prä-Astronautik serviert. Wirklich populär war diese Idee Mitte des 20. Jahrhunderts zwar noch nicht {außer in der literarischen Welt des Cthulhu-Mythos}, aber schon Charles Fort hatte in seinem Book of the Damned (1919) über die Möglichkeit außerirdischer Besucher in der Urzeit der Erde spekuliert.

Croms Abenteuer in Ophir stellen eine Mixtur aus zwei Conan - Geschichten dar. Der Turm, in den der Barbar einsteigt, stammt aus The Tower of the Elephant, die Riesenschlange im Inneren aus The Devil in Iron. Und ja, auf ganz derselben Kombination basiert auch die Sequenz mit dem Schlangenturm  in John Milius' Conan the Barbarian (1982).
Dass unser Held erstmal eine Kneipenschlägerei vom Zaun bricht und sich ins örtliche Gefängnis schmeißen lässt, um von dort auf die Spitze des Turmes klettern zu können, soll uns wohl demonstrieren, dass Crom kein bloßer Schlagetot ist, sondern über "wit" und "[a] keen brain" verfügt. Eine Eigenschaft, die er hier allerdings zum letzten Mal unter Beweis stellt. Im Inneren des Turmes erhält er dann reichlich Gelegenheit, sein gefürchtetes Schwert "Skull-Cracker" zum Einsatz zu bringen. 
Nachdem Panther, Palastwachen und Riesenschlange stilgerecht abgemetzelt wurden, bleibt nur noch die dolchbewehrte Königin Tanit. Und als billiges Stereotyp eines Sword & Sorcery - Barbaren weiß Crom natürlich sehr gut, wie man mit einer solchen Herausforderung umzugehen hat: "Crom's mighty arms dragged Tanit close against him as his lips drank kisses from her ruby lips ... until she went limp against him, and he thrust her savagely away ..." Ebenso selbstverständlich verwandelt sich die stolze Königin im Verlauf der nächsten zwei Seiten in Croms treu-ergebenes Weibchen.

So abgeschmackt der Rest der Geschichte auch ist, die finale Wendung ist recht neckisch, wenn der verräterische Dwelf sich nach einem gar zu tiefen Schluck aus der Phiole mit dem Wasser des Lebens erst in ein Baby verwandelt, um sich alsbald ganz in Luft aufzulösen.

Über Croms zweites Abenteuer The Spider God Akka gibt es nur wenig zu berichten. Zusammen mit Tanit und Lalla versucht der Barbar zurück nach Ophir zu segeln, um dort den Thron zu besteigen. Stattdessen landet das Trio an irgendeiner Dschungelküste und wird wenig später auch schon von Affenmenschen überfallen. Auch wenn das bei Crom selbst etwas länger dauert {schließlich muss Fox irgendwie die Seiten vollkriegen}, finden sich schlussendlich alle drei in den Händen von König Rou wieder. Der versucht erst ein Lösegeld für Tanit zu erpressen, doch der fiese Usurpator Bokris von Ophir denkt natürlich gar nicht daran, die Königin freizukaufen. Also werden die drei der Riesenspinne Akka als Opfer dargebracht. Wartum die Affenmenschen Crom zuvor "Skull-Cracker" zurückgeben, mag den Lesenden vor ein unlösbares Rätsel stellen, aber wie sonst sollte unser Held das arachnide Monstrum erledigen können? Anschließend begeben sich die drei nach Ophir, wo die Rückkehr der "guten Königin" augenblicklich einen Aufstand auslöst. Tanit scheint leider nicht unbedingt die Hellste zu sein, denn statt an der Spitze des aufgebrachten Volkes den Thronsaal des Usurpators zu stürmen, begibt sie sich lieber allein in ihr Schlafgemach. Und so muss Crom noch ein paar Palastwachen erschlagen, die seine Liebste ermorden wollen, bevor der böse Bokris schließlich sein verdientes Ende findet.

Neben der geballten Ladung absurder Plottwists, die uns in dieser Story aufgetischt werden, verdienen eigentlich nur zwei bizarre Fußnoten ("Editor's Notes") Erwähnung.
(1) "Ages ago, scientists tell us, there were two moons circling the earth." Das wäre mir neu. Aber falls irgendwer etwas über eine solche Theorie wissen sollte, würde mich das brennend interessieren. Und natürlich meine ich damit keine aktuellen astronomischen Hypothesen, sondern die Quelle, auf die sich Fox bezogen haben könnte.
(2) "The first races of early men realized the medicinal properties of seaweed – from which we extract Iodine today." Okay, I guess?

The Giant From Beyond ist zweifelsohne die interessanteste Crom-Geschichte. Was angesichts der Konkurrenz natürlich nicht besonders viel heißt.
In treuer Nachahmung von Robert E. Howards Kull fühlt sich auch Crom schon sehr bald etwas unwohl auf dem Thron von Ophir. Ein Barbar wie er braucht das Schlachtgetümmel, den blutigen Kampf Mann gegen Mann. Stattdessen muss er sich nun die langen und langweiligen Oden irgendwelcher Hofpoeten anhören. Auch scheint sich das Kräfteverhältnis zwischen ihm und Tanit in diesem zivilisierten Milieu wieder etwas zu Gunsten der Königin verschoben zu haben: "He felt chained to this huge golden throne, chained to queenly Tanit."
Da wirkt es schon beinah wie eine glückliche Wendung, als Ophirs Herrscherpaar die Nachricht erreicht, ein primitiver Stamm aus dem Süden habe begonnen, die Handelskarawanen der Metropole zu überfallen. Und die Räuber würden dabei von einem leibhaftigen Riesen angeführt!
Natürlich zögert Crom nicht lange, sondern begibt sich umgehend an der Spitze eines Heerhaufens auf den Weg, um diesen üblen Umtrieben ein blutiges Ende zu bereiten.

Was The Giant From Beyond von seinen Vorgängern abhebt und interessant macht, ist, dass es hier gar nicht mehr so leicht fällt, ungeteilte Sympathie für Crom zu empfinden. Ja, der Barbar war schon immer ein ziemlich unerträglicher Geselle, aber bislang stand er doch zumindest mehr oder weniger klar auf Seiten "der Guten". Präziser ausgedrückt: Seine Widersacher Dwelf, Rou und Bokris waren eindeutig Bösewichter. Von dem Riesen Balthar lässt sich das nicht mehr so ohne weiteres sagen. Sicher, der ungeschlachte Bursche plättet mit seiner Keule ohne viel Federlesens gleich reihensweise Ophirs Soldaten. Aber Crom benutzt "Skull-Cracker" ja auch nicht zum Brotschneiden. Und auch wenn das Plündern von Karawanen sicher nicht das ehrenwerteste Gewerbe ist, lässt Gardner F. Fox eigentlich keinen Zweifel daran, dass derartige Gewalttätigkeiten zum Alltag seiner Welt gehören. Jedenfalls scheint Balthar ehrlich am Wohlergehen "seines Volkes" interessiert zu sein, das ihn als Gott verehrt. Als Croms Truppen die primitive Siedlung der "Höhlenmenschen" erreichen und damit beginnen, ein blutiges Gemetzel unter der hoffnungslos unterlegenen Bevölkerung zu veranstalten, zögert Balthar nicht, ihr zur Hilfe zu eilen. Doch bevor er die kleine Stadt erreichen kann, läuft er unglücklicherweise Crom über den Weg. Von diesem geblendet und von dessen Soldaten mit unzähligen Pfeilen überschüttet, haucht der Riese schließlich sein Leben aus. Die überlebenden "Höhlenmenschen" werden von Crom und seinen Mannen in die Sklaverei geführt. Was ein Glück, dass uns die Geschichte nicht verrät, was mit der Hohepriesterin Balthars geschehen ist.  Man möchte beinah hoffen, dass sie in dem Gemetzel den Tod gefunden hat.

Wie ich in einem anderen Artikel bereits einmal geschildert habe, hatte Clifford Ball schon 1937 – ein Jahr nach Robert E. Howards Selbstmord – mit Duar the Accursed so etwas wie den Urvater aller Conan-Klone geschaffen. Doch sein Barbar war zugleich die Reinkarnation eines Hohepriesters gewesen. In gewisser Weise hatte Ball damit den Konflikt zwischen Barbarei und Zivilisation, der immer im Hintergrund von Howards Geschichten gestanden hatte, in das Innere seines Helden verpflanzt. Und auch wenn er mit dieser Idee nichts rechtes anzufangen verstanden hatte, stellte sie doch eine zumindest potentiell interessante Variante auf den Conan-Typus dar.

Gardner Fox' Crom hingegen scheint mir in seiner Plattheit der wahre Urahn jener Clonans zu sein, die in den 70er Jahren dafür sorgen sollten, dass die Sword & Sorcery bei so manchem in einen üblen Ruf geriet. Hier haben wir zum ersten Mal in all seiner Glorie den blonden, blauäugigen Hünen, der sich schwertschwingend durch eine Welt voller sexistischer und rassistischer Klischees metzelt. Fox plagiiert nicht nur schamlos Howards Conan, sondern reduziert ihn dabei zugleich auf einen ziemlich unangenehmen Stereotyp. Und was für die Figur gilt, gilt auch für die Sprache. Wenn Roy Thomas gut zwanzig Jahre später in seinen Conan - und Red Sonja - Comics versuchte, Robert E. Howards Stil nachzuahmen, wirkt dies mitunter zwar recht pompös, besitzt aber doch Charme und Flair. Fox verfügte über kein vergleichbares sprachliches Gespür. Was er zu Papier brachte ist nichts weiter als eine krude Karrikatur von Howards kraftvoll-poetischer Sprache.

Angesichts dessen mag es etwas gruselig  wenn auch nicht verwunderlich erscheinen, dass Fox mit Figuren wie Kothar und Kyrik eigenhändig einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Sword & Sorcery - Boom der späten 60er und 70er Jahre leisten sollte.  Allerdings lässt Tim Callahan in seiner Besprechung von Kothar of the Magic Sword die Abenteuer dieses "dumber, dirtier Conan" auf perverse Weise sogar recht verführerisch erscheinen:
Gardner Fox’s Kothar books are schlocky and derivative, but compulsively readable [...] Kothar of the Magic Sword is preposterous and sometimes nonsensical and absolutely compelling. [...] The whole thing is actually pretty fun and fast-moving and sleazy and kind of dumb
Bei Gelegenheit werde ich mir jedenfalls ganz sicher mal einen dieser Schinken zu Gemüte führen. Kothar klingt zugleich wie ein Update von Crom und wie die Vorwegnahme eines billigen 80er Jahre - Barbarenflicks von Roger Corman.
Übrigens erlebte der Ur-Clonan selbst 1972 auch noch einmal eine kurze Wiederauferstehung auf den Seiten von Jungle Adventures #3, diesmal gezeichnet von Jack Katz. Der Verlag Skywald ist mit Publikationen wie Nightmare, Psycho und Scream vor allem für seine Rolle in der Wiederbelebung des Horror-Comics bekannt, versuchte sich aber auch in anderen Genres, was dem blonden Barbaren die Gelegenheit für einen letzten Auftritt in Crom (The War Against The Wizard) eröffnete. 
Über die Story selbst gibt es nicht viel zu sagen, außer vielleicht, dass sich der Barbar hier bizarrerweise als "Gesetzeshüter" betätigt, wenn er die flüchtige Prinzessin Tellana, die ein mystisches Idol ihres Stammes gestohlen hat, in den "Bog of Eternal Darkness" verfolgt und dabei über die Machenschaften eines finsteren Magiers stolpert. Ach ja, und dass in einer Geschichte, die in Afrika spielen soll, Tellana die einzige schwarze Person ist ...

Was bleibt mir am Ende zu sagen? Gardner F. Fox mag als Texter für D.C. einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Superhelden-Comics geleistet haben. Das ist ein Gebiet, in dem ich mich nicht auskenne. Seine Rolle in der Geschichte der Sword & Sorcery steht wohl eher auf einer Stufe mit seiner Autorschaft so glanzvoller Titel wie The Poisoned Pussy und The Copulation Explosion für Lady from L.U.S.T.           


 
     
(1) Freilich besitzt selbst er seine erklärten Liebhaber wie den Zeichner Kurt Brugel, der 2016 sogar eine Reihe neuer Crom-Comics herausgegeben hat, nachdem er ein Jahr zuvor mit The Warlock of Sharrador bereits eine alte SciFi-Pulp-Story von Gardner Fox in ein weiteres Abenteuer des Barbaren verwandelt hatte. Auf seiner Website kann man sich auch alle alten Crom-Comics anschauen.       

Samstag, 21. März 2020

Strandgut

Sonntag, 15. März 2020

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Tanith Lees "Weggefährten" / "Companions on the Road"

Als ich vor zweieinhalb Wochen ein bisschen im Heyne Science Fiction Jahresband 1980, dem ersten Teil dieser weiland von Wolfgang Jeschke herausgegebenen Anthologienreihe, herumblätterte, stieß ich dabei im einleitenden Vorwort zu Tanith Lees Novelle Weggefährten auf folgende bemerkenswerte Passage:
Tanith Lees Stärke ist die Fantasy, das Randgebiet der Science Fiction, in dem das Science durch Sorcery (Zauberei) ersetzt ist und die Welt der Schwertkämpfer seit Robert E. Howards "Conan" fröhliche (und blutige) Urstände feiert. Auch dieses Subgenre der SF hat seine Reize und immer mehr Liebhaber, die sich von dem technischen (und oft pseudotechnischen) Brimborium der "Hardware"-Science Fiction eher abgestoßen fühlen.
Das zeigt wieder einmal, wie historisch bedingt und veränderlich Genregrenzen, und wie unsinnig deshalb alle fundamentalistischen Defintionen von "echter SF" und ähnlichem sind.
Um etwas geschichtlichen Kontext für die obige Passage zu liefern: Terry Brooks' Das Schwert von Shannara, mit dem der High Fantasy - Boom der 80er begann, war 1978 noch in Goldmanns Science Fiction - Reihe erschienen. Die wohl nicht nur für Vertreter*innen meiner Generation "klassische" schwarze Fantasy - Reihe des Verlags, in der dann auch die Sequeltrilogie Die Elfensteine von Shannara erscheinen sollte, startete erst 1981.
Im angloamerikanischen Raum war der Begriff "Fantasy" als Marketing Label wohl bereits in den 70ern verbreitet, doch scheint es einige Zeit gedauert zu haben, bis er sich auch bei uns etablierte.
Und dass Jeschke die "Fantasy" mit der Sword & Sorcery nicht etwa Tolkien  identifiziert, ist wenig verwunderlich, wenn man sich klarmacht, dass die 70er Jahre, zumindest in der englischsprachigen Sphäre, die Blütezeit dieser Spielart des Phantastischen {und das Tummelfeld aller möglichen Conan-Klone} gewesen waren.

Tanith Lees eigenes Oeuvre gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie sinnlos gar zu scharf abgegrenzte Genredefinitionen sind.  Wie die britische Autorin 2011 in einem Interview mit dem StarShipSofa - Podcast erklärte: "I hate the idea of genres [...] I greatly believe in crossing genres." Viele ihrer Romane und Geschichten vermischen denn auch Elemente aus Fantasy, SciFi, (alternativer) Historie und Horror. T. J. McIntyre bezeichnete sie in einem Artikel für das Fantasy Magazine einmal als "the definition of a true 'cross genre' author".
Dieser Mischcharakter ihrer Erzählungen war aber vermutlich auch einer der Gründe, warum es ihr in den 90er Jahren immer schwerer fiel, diese bei den großen Verlagen unterzubringen. Sie selbst machte jedenfalls die zunehmende "Genre-Ghettoisierung" für diese Entwicklung verantwortlich. 1998 erklärte sie in einem Interview mit dem Locus Magazine:
If anyone ever wonders why there's nothing coming from me, it's not my fault. I'm doing the work. No, I haven't deteriorated or gone insane. Suddenly, I just can't get anything into print. And apparently I'm not alone in this. There are people of very high standing, authors who are having problems. So I have been told. In my own case, the more disturbing element is the editor-in-chief who said to me, "I think this book is terrific. It ought to be in print. I can't publish it – I've been told I mustn't." The indication is that I'm not writing what people want to read, but I never did.
In einem Gespräch mit Darrell Schweitzer konkretisierte sie das Problem:
Where any slight interest in my turning in a book exists, I find I must work inside certain defined formulae. And to me that’s one of the arch inspiration-stranglers.
Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass Tanith Lees sehr poetischer Sprachstil bei den Verlagen nicht länger willkommen war. Der Wandel der Moden. Was gestern noch als "lush, sensual, rich, elegant" gefeiert wurde, gilt plötzlich als kitschig und überladen, derweil das Adjektiv zu einer geächteten Wortart erklärt wird.  

Doch eine eingehendere Beschäftigung mit Leben und Werk der Autorin soll auf ein andermal verschoben werden, wenn wir dann hoffentlich einen etwas längeren Blick in die Birthgrave - Trilogie werfen werden, ihren wohl bedeutendsten Beitrag zur Sword & Sorcery der 70er Jahre. Für heute wollen wir uns ganz auf Companions on the Road in der eleganten Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch beschränken.

Die Novelle erschien erstmals 1975 bei Macmillan, dem britischen Verlag, der zuvor bereits Lees Kinderfantasybücher The Dragon Hoard (1971) und Princess Hynchatti & Some Other Surprises (1972) veröffentlicht hatte. Im selben Jahr brachte Don Wollheim bei D.A.W. Books in Amerika Birthgrave heraus, nachdem die Autorin vergeblich versucht hatte, einen englischen Verlag für den Roman zu finden.
Angesichts dieser Hintergrundsinformationen wird es nicht verwundern, zu erfahren, dass Companions on the Road weitgehend frei von den Motiven ist, die viele Verleger bei Birthgrave abgeschreckt haben dürften vor allem Sex und die etwas explizitere Darstellung von Gewalt. Die Erzählung hat eher den Charakter eines düsteren, leicht surrealen Märchens, ist dabei aber zugleich fest verankert in einer realistisch anmutenden und sehr harschen sozialen Wirklichkeit.

Der achtzehnjährige Havor dient seit drei Jahren in der Armee eines namenlos bleibenden Königs. Drei Jahre permanenter Eroberungsfeldzüge, in deren Verlauf der junge Mann eine ordentliche, wenn auch nicht spektakuläre Karriere gemacht hat und in den Rang eines Offiziers und Rottenführers aufgestiegen ist. Doch ist er dabei zugleich desillusioniert und kriegsmüde geworden. Nun lagert das Heer vor den Mauern der Stadt Avillis, dessen Herrscher im Ruf steht, mit den finsteren Mächten im Bunde zu sein. In der Nacht vor der Erstürmung der Stadt bittet der junge Soldat Lukon – "ein halbes Kind noch" Havor darum, seiner Familie seinen aufgesparten Sold zukommen zu lassen, falls er in der Schlacht fallen sollte.
Obwohl die Stadt durch Verrat eingenommen wird, gibt der König sie zur Plünderung frei. Die Orgie von Gewalt und Zerstörung, die folgt, ist der letzte Anstoß, den Havor braucht, um diesem Leben den Rücken zu kehren, auch wenn er nicht weiß, wohin er sich nun wenden soll. Die Nachricht von Lukons Tod gibt ihm zumindest ein vages, vorläufiges Ziel. Doch bevor er die brennende Stadt verlassen kann, kommt es zu einer schicksalshaften Begegnung erst mit seinem hochmütigen Ex-Stellvertreter Feluce, dann mit dem Dieb Kachil. Um sein Leben zu retten, führt letzterer die beiden Soldaten zu einer geheimen Kammer unter dem Palast des Magus, wo sie einen goldenen, mit Edelsteinen verzierten Kelch finden. Obwohl zwischen ihnen alles andere als kameradschaftliche Gefühle herrschen, schließen die drei einen Pakt und schwören, zusammenzubleiben, bis sie ihre Beute in Venca, "der Stadt der Goldschmiede und Edelsteinhändler", verkauft und den Erlös unter sich aufgeteilt haben. Havor gedenkt, seinen Anteil der Familie Lukons zukommen zu lassen.
Während die drei durch die öde Winterlandschaft nach Westen ziehen, überkommt sie schon bald das Gefühl, verfolgt zu werden. Und tatsächlich entdecken sie hinter sich in der Ferne drei berittene Gestalten, die jedoch stets den gleichen Abstand zu halten scheinen.
Bei Anbruch der Nacht erreichen sie ein kleines Dorf. Als die Gäste in der örtlichen Schenke einen Blick auf den Kelch erhaschen, reagieren sie, als ob ein Fluch auf dem Trio liegen würde und es von einer Art Pesthauch umgeben sei. Noch in derselben Nacht stirbt Kachil im Fieberwahn.
Bald kann kein Zweifel mehr bestehen. Der Kelch ist ein dämonisches Artefakt und bei den drei Verfolgern handelt es sich um die untote Tochter des Magus, ihren Vater und ihren Bruder. Die rachsüchtigen Wiedergänger töten ihre Opfer in ihren Träumen. Nicht lange und auch der eitle Feluce findet ein unschönes Ende.
Gegen immer größere Erschöpfung und Müdigkeit ankämpfend irrt der zunehmend verzweifelte und orientierungslose Havor weiter durch die winterliche Wildnis. Er kann den fluchbeladenen Kelch nicht einfach fortwerfen, da dadurch uralte finstere Mächte geweckt werden würden, die unter der Oberfläche des Landes schlummern. Wie also soll er dem Rachedurst der drei Untoten entkommen?

Wir erfahren nur wenig konkretes über die Welt, in der Companions on the Road spielt. Neben einigen vereinzelten Ortsnamen wie Avillis und Venca stehen generische Bezeichnungen wie "Nordlande", "Südlande", "Der Große Fluss", "der König", "der Magus". Die herrschende Religion ist ein nur dürftig verhülltes Analog zur christlichen, insbesondere katholischen Kirche. Wir hören von "Feldpredigern", die den Soldaten "die Beichte abnehmen"; der "Heilige Kreis" ist ein offensichtliches Stand-in für Kruzifix und Bekreuzigen; das Innere einer Kirche wird beschrieben als "ein Langschiff; widerhallende Steinfliesen zwischen schlanken Säulen, die sich wie Geisterfinger in die Höhe streckten"; vor dem Altar brennt sogar eine Art Ewiges Licht, wenn auch in einer "grünen Ampel".   
In einem anderen Kontext käme mir so eine Herangehensweise vielleicht etwas krude vor, doch hier funktioniert sie eigentlich ziemlich gut. Zumindest wenn wir eine Leserschaft voraussetzen, die selbst aus einem mehr oder minder christlich geprägten Kulturkreis stammt. Da die Parallelen so deutlich sind, werden unmittelbare Assoziationen geweckt. Wenn wir z.B. von Havors Kindheit in einem von Priestern geführten Waisenhaus hören, haben wir sofort ein relativ klares Bild vor Augen, und es wundert uns nicht, von der dort herrschenden Gewalttätigkeit zu erfahren, durch die unserem Helden schon früh jeder Glaube an einen guten Gott aus dem Leib geprügelt wurde.        
Wäre der Weltenbau detaillierter, würde er letztlich bloß vom zentralen Anliegen der Novelle ablenken.  Er dient in erster Linie der Verstärkung der allgemeinen Atmosphäre. So stoßen Havor und die anderen auf ihrer nur wenige Tage andauernden Reise auffällig oft auf Ruinen, verfallene Überreste von Wachtürmen und Herrenhäusern. Und ein ärmlicher Priester, den unser Held ohne viel Hoffnung um Rat angeht, sagt über die "alten Straßen", die das Land durchziehen: "Fremde Männer eines finsteren Zeitalters haben sie errichtet."  Angesichts der deutlichen Parallelen zum christlichen Mittelalter könnte man geneigt sein, da an Römerstraßen und andere Relikte des antiken Imperiums zu denken. Und vor allem das verfallene Herrenhaus, in dem Feluce den Tod findet, wirkt in der Tat ein bisschen wie eine römische Villa. Zugleich erhält Companions on the Road damit aber auch den leichten Anklang einer Dying Earth - Geschichte.

Und es ist diese Atmosphäre, die eine der größten Stärken von Tanith Lees Novelle ausmacht.

Der Landschaft, durch die sich Havor und die anderen bewegen, haftet von Beginn an etwas leicht unwirkliches an. Nicht dass den dreien dabei irgendetwas offen Übernatürliches begegnen würde {abgesehen von ihren untoten Verfolgern natürlich}. Das alte Weib, das Feluces Tod prophezeit, kommt dem noch am nächsten. Dennoch wirkt diese menschenleere Welt mit ihren schneeverwehten Feldern und kahlen, skelettartigen Bäumen  immer ein wenig wie die Szenerie eines Traumes. Dabei werden die Übergänge zur tatsächlichen Traumwelt, in der die Wiedergänger ihre Rache vollziehen, im Laufe der Erzählung immer fließender. Und alles atmet ein Gefühl tiefster Verlorenheit.
Um diesen Eindruck beim Lesenden zu erwecken, bedient sich Tanith Lee einer extrem lyrischen Sprache. Man nehme z.B. diese Beschreibung eines Sonnenaufgangs:
Der Morgen hatte die Finsternis zu einem stumpfen Knochenweiß gebleicht, und die Sonne stieg auf wie ein billiger Glasstein ohne jedes Feuer.
Oder diesen etwas längeren Absatz:
Die Nacht begann die Farben der Welt zu verändern. Lavendeldämmer und Schneeflocken, die an fahlblaue Vogelfedern erinnerten. Feluce galoppierte immer noch an der Spitze. Havor meinte den Gefährten gestochen scharf zu sehen, in jeder Einzelheit: eine winzige Spielzeugfigur, eine Soldatenpuppe im Kettenhemd, das Haar vom Abendlicht violett gefärbt; sie jagte dahin auf einem reglosen Marionettenpferd mit glattem, hartem Körper, die Augen funkelrote Sterne, die durch die wirbelnden Flocken in der Dämmerung brannten.
In ihrer Ödnis und Verlorenheit ist diese traumartig anmutende Szenerie zugleich Spiegel von Havors Innenleben. Companions on the Road ist nicht bloß die Geschichte eines Mannes, der der Rache einer untoten Hexe zu entkommen versucht, sondern zugleich die eines Menschen, der sich mit der scheinbaren Sinn- und Hoffnungslosigkeit seines eigenen Lebens konfrontiert sieht.

Alle drei "Weggefährten" sind das Produkt einer harten und unmenschlichen Welt. Aber in der Art, wie sie mit ihr umgehen, unterscheiden sie sich sehr stark voneinander.

Kachils ganze Existenz bewegte sich in einem nicht endenden Kreislauf von kleinen Verbrechen und grausamen Bestrafungen. Im Innersten zerbrochen wird er nurmehr von Angst und Verzweifelung beherrscht, und darum folgerichtig das erste Opfer der Untoten.

Feluce, der vielleicht nicht zufällig aus einem bürgerlichen Milieu stammt er ist "Sohn eines Tuchverkäufers", hält sich selbst für "etwas Besonderes" und verachtet seine Mitmenschen, weil er glaubt, zu den "Siegern" in dem grausamen Spiel dieser Welt zu gehören. Aber es wird ziemlich deutlich, dass dies bloß ein Selbstbetrug ist. In seiner blinden Arroganz schaut er der Begegnung mit der Tochter des Magus mit einer perversen Vorfreude entgegen, weil er glaubt, auch in dieser Situation zu triumphieren. Was sich selbstverständlich als eine fatale Fehleinschätzung erweist.

Havor schließlich ist zwar kaum weniger verzweifelt als Kachil, aber im Unterschied zu diesem hat die Welt ihn noch nicht gänzlich zerbrochen. Vor allem hat er sich eine elementare Menschlichkeit bewahrt. Und sie ist es, die ihn am Ende rettet. Auch sein Leben war von Elend und Gewalt geprägt, aber anders als seine "Weggefährten" hat ihn die Erfahrung eigenen Leides empathisch für das Leid anderer gemacht. Seine Irrfahrt durch die winterliche Traumlandschaft endet in der Konfrontation mit einem kranken oder verletzten Wolf, der ihn verfolgt und auf seinen Tod wartet, weil er zu schwach ist, um gesunde Beute zu jagen:
"Es dauert nicht mehr lange", sagte er zu dem Wolf.
Er spürte nichts. Er hatte keine Angst. Er würde stürzen, aber er hatte sein Messer, das Messer und der Wolf sollten ihn töten, und alles würde so rasch gehen, dass die anderen [die Untoten] nicht dazwischentreten konnten. Er würde sich nicht im Schlaf von ihnen fesseln lassen; er zog das lange Dunkel vor, das seiner Ansicht nach dem Leben folgte, und er hoffte, darin allein zu sein.
Der Wind verwandelte sich in die Riemenpeitschen der Priester. Er fluchte und stöhnte unter den sausenden Hieben, und dann kam der Boden auf ihn zu, und er rollte herum, starrte hinauf in den Sturmhimmel und die dahinjagenden Wolken, Reitertruppen eines Geisterheeres.
Dann sah er den Wolf zu seinen Füßen stehen. [...]
"Warte Bruder", sagte er. "Noch einen kleinen Augenblick!"
Noch im Moment seiner tiefsten Verzweifelung schöpft er ein klein wenig Trost daraus, dass sein Tod einem anderen leidenden Geschöpf von Nutzen sein könnte.
Diese Szene bildet den eigentlichen Wendepunkt der Erzählung und leitet über in das Finale, aus dem Havor schließlich von dem Fluch befreit und in die Gesellschaft anderer Menschen zurückgeführt hervorgeht. Wie genau dies geschieht, möchte ich hier aber nicht verraten.

Manch einem mag dieses Ende zu traditionalistisch, "märchenhaft" oder auch "moralistisch" anmuten: Der Held entkommt dem Verderben, weil seine Motive selbstlos waren. Doch auch wenn ich eine solche Einschätzung ansatzweise nachvollziehen könnte, finde ich es durchaus erfreulich, dass Tanith Lee auf einen gar zu nihilistischen Ausgang ihrer Geschichte verzichtet hat, und Companions on the Road bei aller Düsternis doch die Hoffnung aufrecht erhält, dass selbst in einer noch so grausamen und kalten Welt Mitgefühl und simple Menschlichkeit einen kleinen Unterschied zum Besseren machen können.

Sonntag, 8. März 2020

Strandgut

Freitag, 6. März 2020

Gegen Ende einer Ära

Als sich in den späten 60er Jahren die ersten Anzeichen für den beginnenden Niedergang des klassischen Gothic Horror - Genres zeigten, reagierte Hammer Film Productions darauf, indem sie ihren Flicks etwas mehr Gore und Sex einflößten. Natürlich waren die Produktionen der Firma in den Augen konservativerer Kritiker immer schon geschmackloser Trash gewesen. Nicht ohne Grund galt das von Terence Fisher in prachtvoll-satten Rottönen in Szene gesetzte Blut seit jeher als eines der besonderen Markenzeichen des House of Hammer. Doch steigerte man dieses Element jetzt noch einmal merklich und mischte dem außerdem die eine oder andere barbusige Darstellerin bei.

Ungefähr zur selben Zeit erwuchs dem alten Platzhirsch des Brit-Horror {und seinem kleineren Rivalen Amicus} ein neuer Konkurrent, für den solche Exploitation-Tricks schon von Geburt an fester Bestandteil der DNA waren: Tony Tensers 1966 gegründetes Unternehmen Tigon British Film Productions.

Die Karriere des guten Mr. Tenser hatte sich stets in den eher weniger respektablen Winkeln der britischen Filmwelt abgespielt. Aus dem ärmlichen Milieu des Londoner East Ends stammend, begann er nach dem 2. Weltkrieg eine Management-Ausbildung bei ABC Cinemas und arbeitete später als Leiter der PR-Abteilung für den Filmverleih Miracle Films. Dabei lernte er u.a., dass "Sex Sells" und gute Publicity nicht immer mit gutem Geschmack Hand in Hand gehen muss.
Nachdem er der Brigitte Bardot - Komödie En Effeuillant la Marguerite (1956) den Titel Mam'selle Striptease verpasst hatte, verfiel er auf die Idee, zur Premiere eine kleine Stripperinnen-Demo vor dem Kino zu organisieren. Also nahm er Kontakt zu dem Strip-Club-Besitzer Michael Klinger auf:
I want to borrow half a dozen of your girls to do a demonstration, going through the West End on Friday lunchtime and finish up picketing outside the cinema.
Klinger hegte selbst Ambitionen, ins Filmgeschäft einzusteigen. Und so taten sich die beiden 1960 zusammen und gründeten den Compton Cinema Club, dessen exklusive Mitgliederschaft in den Genuss unzensierter Filme aus dem Ausland kam. Wenig später knüpften die beiden Kontakte zur Kinokette Cameo und gründeten ihre eigene Firma Compton-Cameo Films. Die von ihnen produzierten Streifen trugen so aussagekräftige Titel wie Naked as Nature Intended (1961), My Bare Lady (1963), That Kind of Girl (1963) und Primtive London / Glut dfer heißen Körper (1965). Nudistencamps oder das sündige Nachtleben der Swinging Sixties spielten da wohl oft eine zentrale Rolle. Das nötige Kapital stammte u.a. von Selfmade-Millionär Laurie Marsh, dem Besitzer der Classic Cinema - Kette, der bei seinen zahlreichen geschäftlichen Unternehmungen auch keine Scheu vor Abstechern in die Halbwelt hatte. So erwarb Marsh 1964 das Windmill Theatre, "famous for never closing during the war and for getting around nudity laws with its tableaux vivants", verwandelte es in ein von Tenser und Klinger geleitetes Sexkino und verhökerte es später an Strip-Club-König Paul Raymond. Obwohl die Kooperation zwischen Tenser und Marsh alles andere als konfliktlos war scheinbar versuchte der Produzent anfangs, seinen Investor um dessen Gewinnbeteiligung zu betrügen hielt sie erstaunlich lang und reichte bis in die Tigon - Ära.

Bizarrerweise produzierte Compton-Cameo Films aber auch Repulsion (1965) und Cul-de-Sac (1966), die ersten beiden der in England gedrehten Filme Roman Polanskis. Es war wohl vor allem Michael Klinger, der ein Verlangen danach spürte, künstlerisch ernstzunehmendere Projekte anzupacken. Tenser war da sehr viel pragmatischer veranlagt: "I would rather be ashamed of a film that was making money than proud of a film that was losing it." Wenig später kam es zum Bruch zwischen den beiden Kompagnons, und Tenser gründete Tigon British Film Productions.

Bei dieser Vorgeschichte überrascht es vermutlich nicht, dass zu den Horrorstreifen der Firma auch ein Werk wie The Virgin Witch (1972) gehört. Und ja, der ist ziemlich genau das, was man sich bei dem Titel vorstellt ... Aber auch wenn Tigon nicht ganz zu Unrecht ein gewisses Schmuddel-Image anhaftet, leistete das Unternehmen doch einen nicht unbedeutenden Beitrag zum britischen Horrorkino. Schließlich entstanden hier mit Michael Reeves' Witchfinder General (1968) und Piers Haggards Blood on Satan's Claw (1971) zwei Drittel der unheiligen Trias des Folk Horrors.* Und bereits Reeves' The Sorcerers (1967) hatte einiges von dem Talent des jungen Filmemachers gezeigt. Tragischerweise starb dieser 1969 im Alter von fünfundzwanzig Jahren an einer Überdosis Barbiturate. Tigons Stammregisseur für Horrorflicks wurde stattdessen Vernon Sewell, den Kim Newman in seinen Nightmare Movies wie folgt charakterisierte: "[a] veteran British journeyman [...] best known for buying up a grand guignol play called The Medium in the early 1930s and making a version of it every five years or so for the rest of his career"** Immerhin konnte Tigon für seine allerletzte Produktion, das Cushing-Lee-Vehikel The Creeping Flesh (1973), dann doch noch Freddie Francis als Regisseur verpflichten.

Zumindest einer von Sewells Streifen verdient dennoch eine etwas nähere Betrachtung, stellt er doch gleich in zweifacher Hinsicht so etwas wie den Endpunkt einer Ära dar. Der 1968 in die Kinos gelangte Curse of the Crimson Altar ist nämlich zugleich Barabara Steeles letzter Gothic Horror - und Boris Karloffs letzter englischsprachiger Film.*** Neben den beiden kann der Flick außerdem noch mit Christopher Lee und Michael Gough aufwarten. Unglücklicherweise wirkt das Protagonistenpaar Mark Eden und Virginia Wetherell in dieser illustren Gesellschaft besonders blass, auch wenn einem letztere aus dem faszinierenden Hammer-Spätwerk Demons of the Mind (1972) bekannt sein könnte.



Barbara Steele war die unbestrittene Königin des Gothic Horror der 60er Jahre. Doch bizarrerweise hatte sie sich diesen Kultstatus nicht etwa im heimatlichen Großbritannien erworben – sie trat nicht in einem einzigen Hammer - Film auf –, sondern beinah ganz in Italien. Schon ihre Rolle in Mario Bavas großartigem Debütfilm La maschera del demonio / Black Sunday (1960) machte sie zu einer gefeierten Genre-Ikone. Dem folgte mit Roger Cormans Pit and the Pendulum (1961) zwar noch einmal ein kurzer Abstecher nach Amerika, doch danach arbeitete sie ausschließlich in Italien: Von Riccardo Fredas L'orribile segreto del Dr. Hichcock (1962) und Lo spettro (1963) über Antonio Margheritis Danza Macabra (1964) und I lungi capelli della morte (1965) bis zu Massimo Pupillos 5 tombe per un medium (1965) und Michael Reeves' dort gedrehtem Erstlingswerk The She-Beast / La Sorella di Satana (1966).  
Die Schauspielerin war alles andere als glücklich über ihren Status als Horrorstar. Immer wieder versuchte sie dem Genrekino zu entkommen. Und tatsächlich spielte sie in so respektablen Filmen wie Federico Fellinis 8 1/2 (1963) und Volker Schlöndorffs Der junge Törless (1966) mit. Doch eins ums andere Mal holte der Horror sie wieder ein. Wie sie Ende der 60er in einem Interview mit Tony Crawley erzählte: 
In fact, from my first horror film to my last, it was always: “Now this is my exit. This is my last – Goodbye!” So then, you make another three films for love and somebody comes along with a horror thing and a great sorta bunch of money and you think – this is ridiculous! It’s incredible that one doesn’t have control over one’s destiny at all.
Steele hatte nicht grundsätzlich etwas gegen das Genre, hielt jedoch nicht viel vom Horrorkino der 60er Jahre. Leider war es ihr nie möglich, ihre eigene Vision eines Horrorfilms umzusetzen, von der sie gemeinsam mit Christopher Lee träumte:
We used to have drunken lunch together about once a year and lay plans to make a really gorgeous horror movie. There really hasn’t been a classic made since the 30s…
So bedauernswert es natürlich auch ist, dass Barbara Steeles Laufbahn sich letztenendes nicht so entwickelte, wie sie es sich gewünscht hätte, so glücklich dürfen wir Fans des Phantastischen uns doch schätzen, dass es sie dabei immer wieder in die Gefilde des Horrors verschlug. Und es ist sicher kein bloßer Zufall, dass sie ausgerechnet in der italienischen Provinz des Genres zu Kultstatus gelangte. Ihre Ausstrahlung und Leinwand-Präsenz waren wie geschaffen für den morbiden Erotizismus, den Bava, Freda und Margheriti dem Gothic Horror verliehen.   
Als Steele Ende der 60er Jahre Abschied von Italien nahm und nach England zurückkehrte, bedeutete das im Grunde die Trennung vom Genre. Curse of the Crimson Altar bildete da nur noch einen letzten Zwischenstopp, dann hieß es endgültig: "I swear I’m never going to climb out of another coffin as long as I live.” Wenig später zog sie in die USA. In den 70ern würde sie dort zwar noch ein paar Mal in Horrorfilmen auftreten, aber "Gothic" waren die ganz sicher nicht, handelte es sich doch u.a. um David Cronenbergs Shivers (1975) und Joe Dantes Piranhas (1978).

Es würde schwerfallen, Curse of the Crimson Altar als würdigen Abschluss von Barbara Steeles Karriere im Gothic Horror zu bezeichnen. Doch andererseits wirkt der Umstand, dass sie zwar bloß eine Handvoll Dialogzeilen besitzt, dafür jedoch in grün-blauem Ganzkörper-Makeup und dem prachtvoll-grotesken Ornat einer heidnisch-satanischen Priesterin/Göttin auftritt, beinah wie ein cleverer Kommentar auf ihren "ikonischen" Status.

Der Plot des Streifens ist nicht unbedingt originell.
Als sein Bruder Peter (Deny Peek) auf mysteriöse Weise verschwindet, begibt sich der Londoner Antiquitätenhändler Robert Manning (Mark Eden) in das kleine Dorf Greymarsh, wo sich dieser zuletzt aufgehalten haben soll. Dort begeht man gerade eine alljährliche Feier zum Gedenken an eine lang zurückliegende Hexenverbrennung. Im Herrenhaus von Mr. Morley (Christopher Lee) hat dessen Nichte Eve (Virgina Wetherell) diesen Anlass genutzt, um eine wilde Party zu schmeißen. Der selbst eher würdevoll-gesetzte Gentleman bietet Robert an, sein Gast zu bleiben, solange dessen Nachforschungen andauern. Von Peters Verbleiben wisse man allerdings nichts. Dafür erfährt unser Held beim abendlichen Umtrunk, an dem auch der an den Rollstuhl gefesselte Professor Marsh (Boris Karloff) teilnimmt, von der legendären Hexe Lavinia Morley, die vom Scheiterhaufen aus einen Fluch über Greymarsh gelegt habe. Und dann gibt es da noch den igorhaften und geistig etwas verwirrten Diener Elder (Michael Gough), der irgendwelche kryptischen Warnungen von sich gibt. Die nächtlichen Halluzinationen oder Alpträume, in denen sich Robert auf einem fetischlastigen Hexensabbat unter Vorsitz Lavinias (Barbara Steele) wiederfindet, tragen auch nicht gerade zur Beruhigung unseres Helden bei. Es ist klar, irgendwas ist faul in dieser kleinen Gemeinde. Aber wer steckt dahinter? Morley? Marsh und sein stummer Chaffeur (Michael Warren)? Oder ist es tatsächlich Lavinia, die von jenseits des Grabes an der Erfüllung ihres Racheschwurs arbeitet? Wenigstens kommen er und die hübsche Eve sich schnell näher.

Die Grundidee des Schwurs einer Hexe, sich an den Nachfahren der für ihren Tod verantwortlichen zu rächen, war zu diesem Zeitpunkt so ausgelutscht – siehe etwa Mario Bavas Black Sunday (1960) und Roger Cormans The Haunted Palace (1963) –, dass das Drehbuch dies selbst eingesteht, wenn es Robert erklären lässt, jede in England verbrannte Hexe**** habe wohl einen ähnlichen Fluch ausgesprochen. Doch solch ehrliche Selbsterkenntnis hilft natürlich nur dann, wenn man daraus die entsprechenden Konsequenzen zieht und sich erst recht bemüht, dem alten Konzept ein paar neue Wendungen abzugewinnen. Doch davon ist hier leider nur wenig zu spüren.

Der Film enthält einige interessante Elemente. Wenn Robert in Graymarsh ankommt, beobachtet er, wie eine junge Frau von einer Gruppe Männern in Autos durch den nächtlichen Wald gejagt wird. Doch alle Beteiligten, einschließlich der Gejagten, erklären, dies sei bloß eine etwas wildere Art von Versteckspiel. Später wird in einer nächtlichen Prozession unter rhythmischem Getrommel und dem wiederholten Ruf "Burn the Witch!" ein Abbild Lavinias zum Scheiterhaufen getragen und dort unter viel Trara und Feuerwerk verbrannt. Solche Szenen schaffen beinah so etwas wie eine leichte Folk Horror - Atmosphäre. Dazu passt recht gut das verdächtig wirkende Verhalten der Dorfbewohner, die allesamt behaupten, Peter nie gesehen zu haben. Und wenn dann auch noch in einer der Alptraumszenen die "Geschworenen" in einem bizarren "Gerichtsprozess" Tiermasken tragen, weckt das ganz unmittelbare Assoziationen zu The Wicker Man. Ich halte es nicht für unmöglich, dass Robin Hardy tatsächlich einige Inspiration aus diesem Film bezogen hat
Doch bedauerlicherweise verfolgt Curse of the Crimson Altar diese Motivik nicht weiter. Wie sich am Ende herausstellt, haben die Dorfgemeinschaft und ihre merkwürdigen Feierlichkeiten nichts mit den mörderischen Ereignissen im alten Herrenhaus zu tun.
Ulkigerweise ist aber auch das am stärksten "Gothic" wirkende Motiv – ein alter, verfallener Friedhof – im Grunde bloß ein weiterer Red Herring.

Christopher Lee hat als Mr. Morley nicht viel, womit er arbeiten kann, und so bleibt seine Performance zwar ansehnlich wie immer, doch nicht besonders bemerkenswert. Michael Gough als geistesgestörter Elder ist da schon eindringlicher, wenn auch etwas campy. Das wirkliche Highlight des Filmes ist jedoch der achtzigjährige Boris Karloff als Okkultismus-Experte Marsh. Er dominiert jede seiner Szenen. Fast völlig an den Rollstuhl gefesselt, ist er in der Wahl seiner schauspielerischen Ausdrucksformen zwar deutlichen Einschränkungen unterworfen, aber das verstärkt im Grunde bloß die subtile Kraft seines Spiels, das fast ganz auf Mimik und Sprache reduziert bleibt. Einfach großartig z.B. der tief angewiderte Blick, den er Robert zuwirft, als dieser einen extrem alten und kostbaren Brandy gedankenlos runterschlürft und mit "Good Stuff" kommentiert. Allein schon für solche Szenen lohnt es sich, den Film einmal anzuschauen.

Und dann sind da natürlich noch die wunderbar psychedelischen Traumvisionen. Wer wollte nicht schon immer einmal Herne the Hunter in Sadomaso-Outfit sehen? Trippige Farben, surreal wirkende Tableaux aus merkwürdig kostümierten Menschen, Folterinstrumenten und anderem "kultischem" Mobiliar. Und dazu eine grün-blau geschminkte Barbara Steele mit goldener Hörnerkrone auf ihrem Thron. Das ist der wirklich gute Stoff!

Diese Szenen sind es auch, in denen sich am deutlichsten das Exploitation-Element zeigt. Immerhin beginnt der Film mit dem Bild einer blonden "Jungfrau", die auf eine Streckbank gespannt wurde und von einer Domina ausgepeitscht wird, um anschließend rituell geopfert zu werden. Doch alles in allem ist Curse of the Crimson Altar eigentlich überraschend zahm. Eves Swinging Sixties - Party soll vermutlich sehr viel wilder und orgienhafter wirken, als das, was man tatsächlich zu sehen bekommt. Der Film geht nie weiter als bis zu einem kurzen Blick, den man während einer müden Sexszene auf Virginia Wetherells nackte Brüste erhaschen kann.

Viel mehr als ein Kuriosum aus der Spätzeit des Gothic Horror ist Curse of the Crimson Altar wohl nicht. Doch als solches ist der Flick für Fans des Genres sicher schon mal einen Besuch wert. Nicht zuletzt, um noch einmal demonstriert zu bekommen, was für ein großartiger Schauspieler Boris "The Uncanny" Karloff war.  
  





* Der dritte Teil der Trias ist natürlich Robin Hardys The Wicker Man (1973). Ich bin mir inzwischen allerdings nicht mehr so sicher, ob es wirklich soviel Sinn macht, die drei Filme auf diese Art zusammenzufassen, wie es erstmals Mark Gatiss in seiner History of Horror getan hat.

** Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 15.

*** Das endgültige Ende von Karloffs Karriere spielte sich in den Gefilden mexikanischer B-Movies wie El coleccionista de cadáveres / Children of Blood (1970) und La muerte viviente/ Cult of the Dead (1971) ab, die allerdings erst nach seinem Tod auf der Leinwand erschienen.

**** In Wirklichkeit gab es so gut wie keine Hexenverbrennungen in England. Die verbreiteste Form der Hinrichtung war vielmehr der Galgen.