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Freitag, 6. März 2020

Gegen Ende einer Ära

Als sich in den späten 60er Jahren die ersten Anzeichen für den beginnenden Niedergang des klassischen Gothic Horror - Genres zeigten, reagierte Hammer Film Productions darauf, indem sie ihren Flicks etwas mehr Gore und Sex einflößten. Natürlich waren die Produktionen der Firma in den Augen konservativerer Kritiker immer schon geschmackloser Trash gewesen. Nicht ohne Grund galt das von Terence Fisher in prachtvoll-satten Rottönen in Szene gesetzte Blut seit jeher als eines der besonderen Markenzeichen des House of Hammer. Doch steigerte man dieses Element jetzt noch einmal merklich und mischte dem außerdem die eine oder andere barbusige Darstellerin bei.

Ungefähr zur selben Zeit erwuchs dem alten Platzhirsch des Brit-Horror {und seinem kleineren Rivalen Amicus} ein neuer Konkurrent, für den solche Exploitation-Tricks schon von Geburt an fester Bestandteil der DNA waren: Tony Tensers 1966 gegründetes Unternehmen Tigon British Film Productions.

Die Karriere des guten Mr. Tenser hatte sich stets in den eher weniger respektablen Winkeln der britischen Filmwelt abgespielt. Aus dem ärmlichen Milieu des Londoner East Ends stammend, begann er nach dem 2. Weltkrieg eine Management-Ausbildung bei ABC Cinemas und arbeitete später als Leiter der PR-Abteilung für den Filmverleih Miracle Films. Dabei lernte er u.a., dass "Sex Sells" und gute Publicity nicht immer mit gutem Geschmack Hand in Hand gehen muss.
Nachdem er der Brigitte Bardot - Komödie En Effeuillant la Marguerite (1956) den Titel Mam'selle Striptease verpasst hatte, verfiel er auf die Idee, zur Premiere eine kleine Stripperinnen-Demo vor dem Kino zu organisieren. Also nahm er Kontakt zu dem Strip-Club-Besitzer Michael Klinger auf:
I want to borrow half a dozen of your girls to do a demonstration, going through the West End on Friday lunchtime and finish up picketing outside the cinema.
Klinger hegte selbst Ambitionen, ins Filmgeschäft einzusteigen. Und so taten sich die beiden 1960 zusammen und gründeten den Compton Cinema Club, dessen exklusive Mitgliederschaft in den Genuss unzensierter Filme aus dem Ausland kam. Wenig später knüpften die beiden Kontakte zur Kinokette Cameo und gründeten ihre eigene Firma Compton-Cameo Films. Die von ihnen produzierten Streifen trugen so aussagekräftige Titel wie Naked as Nature Intended (1961), My Bare Lady (1963), That Kind of Girl (1963) und Primtive London / Glut dfer heißen Körper (1965). Nudistencamps oder das sündige Nachtleben der Swinging Sixties spielten da wohl oft eine zentrale Rolle. Das nötige Kapital stammte u.a. von Selfmade-Millionär Laurie Marsh, dem Besitzer der Classic Cinema - Kette, der bei seinen zahlreichen geschäftlichen Unternehmungen auch keine Scheu vor Abstechern in die Halbwelt hatte. So erwarb Marsh 1964 das Windmill Theatre, "famous for never closing during the war and for getting around nudity laws with its tableaux vivants", verwandelte es in ein von Tenser und Klinger geleitetes Sexkino und verhökerte es später an Strip-Club-König Paul Raymond. Obwohl die Kooperation zwischen Tenser und Marsh alles andere als konfliktlos war scheinbar versuchte der Produzent anfangs, seinen Investor um dessen Gewinnbeteiligung zu betrügen hielt sie erstaunlich lang und reichte bis in die Tigon - Ära.

Bizarrerweise produzierte Compton-Cameo Films aber auch Repulsion (1965) und Cul-de-Sac (1966), die ersten beiden der in England gedrehten Filme Roman Polanskis. Es war wohl vor allem Michael Klinger, der ein Verlangen danach spürte, künstlerisch ernstzunehmendere Projekte anzupacken. Tenser war da sehr viel pragmatischer veranlagt: "I would rather be ashamed of a film that was making money than proud of a film that was losing it." Wenig später kam es zum Bruch zwischen den beiden Kompagnons, und Tenser gründete Tigon British Film Productions.

Bei dieser Vorgeschichte überrascht es vermutlich nicht, dass zu den Horrorstreifen der Firma auch ein Werk wie The Virgin Witch (1972) gehört. Und ja, der ist ziemlich genau das, was man sich bei dem Titel vorstellt ... Aber auch wenn Tigon nicht ganz zu Unrecht ein gewisses Schmuddel-Image anhaftet, leistete das Unternehmen doch einen nicht unbedeutenden Beitrag zum britischen Horrorkino. Schließlich entstanden hier mit Michael Reeves' Witchfinder General (1968) und Piers Haggards Blood on Satan's Claw (1971) zwei Drittel der unheiligen Trias des Folk Horrors.* Und bereits Reeves' The Sorcerers (1967) hatte einiges von dem Talent des jungen Filmemachers gezeigt. Tragischerweise starb dieser 1969 im Alter von fünfundzwanzig Jahren an einer Überdosis Barbiturate. Tigons Stammregisseur für Horrorflicks wurde stattdessen Vernon Sewell, den Kim Newman in seinen Nightmare Movies wie folgt charakterisierte: "[a] veteran British journeyman [...] best known for buying up a grand guignol play called The Medium in the early 1930s and making a version of it every five years or so for the rest of his career"** Immerhin konnte Tigon für seine allerletzte Produktion, das Cushing-Lee-Vehikel The Creeping Flesh (1973), dann doch noch Freddie Francis als Regisseur verpflichten.

Zumindest einer von Sewells Streifen verdient dennoch eine etwas nähere Betrachtung, stellt er doch gleich in zweifacher Hinsicht so etwas wie den Endpunkt einer Ära dar. Der 1968 in die Kinos gelangte Curse of the Crimson Altar ist nämlich zugleich Barabara Steeles letzter Gothic Horror - und Boris Karloffs letzter englischsprachiger Film.*** Neben den beiden kann der Flick außerdem noch mit Christopher Lee und Michael Gough aufwarten. Unglücklicherweise wirkt das Protagonistenpaar Mark Eden und Virginia Wetherell in dieser illustren Gesellschaft besonders blass, auch wenn einem letztere aus dem faszinierenden Hammer-Spätwerk Demons of the Mind (1972) bekannt sein könnte.



Barbara Steele war die unbestrittene Königin des Gothic Horror der 60er Jahre. Doch bizarrerweise hatte sie sich diesen Kultstatus nicht etwa im heimatlichen Großbritannien erworben – sie trat nicht in einem einzigen Hammer - Film auf –, sondern beinah ganz in Italien. Schon ihre Rolle in Mario Bavas großartigem Debütfilm La maschera del demonio / Black Sunday (1960) machte sie zu einer gefeierten Genre-Ikone. Dem folgte mit Roger Cormans Pit and the Pendulum (1961) zwar noch einmal ein kurzer Abstecher nach Amerika, doch danach arbeitete sie ausschließlich in Italien: Von Riccardo Fredas L'orribile segreto del Dr. Hichcock (1962) und Lo spettro (1963) über Antonio Margheritis Danza Macabra (1964) und I lungi capelli della morte (1965) bis zu Massimo Pupillos 5 tombe per un medium (1965) und Michael Reeves' dort gedrehtem Erstlingswerk The She-Beast / La Sorella di Satana (1966).  
Die Schauspielerin war alles andere als glücklich über ihren Status als Horrorstar. Immer wieder versuchte sie dem Genrekino zu entkommen. Und tatsächlich spielte sie in so respektablen Filmen wie Federico Fellinis 8 1/2 (1963) und Volker Schlöndorffs Der junge Törless (1966) mit. Doch eins ums andere Mal holte der Horror sie wieder ein. Wie sie Ende der 60er in einem Interview mit Tony Crawley erzählte: 
In fact, from my first horror film to my last, it was always: “Now this is my exit. This is my last – Goodbye!” So then, you make another three films for love and somebody comes along with a horror thing and a great sorta bunch of money and you think – this is ridiculous! It’s incredible that one doesn’t have control over one’s destiny at all.
Steele hatte nicht grundsätzlich etwas gegen das Genre, hielt jedoch nicht viel vom Horrorkino der 60er Jahre. Leider war es ihr nie möglich, ihre eigene Vision eines Horrorfilms umzusetzen, von der sie gemeinsam mit Christopher Lee träumte:
We used to have drunken lunch together about once a year and lay plans to make a really gorgeous horror movie. There really hasn’t been a classic made since the 30s…
So bedauernswert es natürlich auch ist, dass Barbara Steeles Laufbahn sich letztenendes nicht so entwickelte, wie sie es sich gewünscht hätte, so glücklich dürfen wir Fans des Phantastischen uns doch schätzen, dass es sie dabei immer wieder in die Gefilde des Horrors verschlug. Und es ist sicher kein bloßer Zufall, dass sie ausgerechnet in der italienischen Provinz des Genres zu Kultstatus gelangte. Ihre Ausstrahlung und Leinwand-Präsenz waren wie geschaffen für den morbiden Erotizismus, den Bava, Freda und Margheriti dem Gothic Horror verliehen.   
Als Steele Ende der 60er Jahre Abschied von Italien nahm und nach England zurückkehrte, bedeutete das im Grunde die Trennung vom Genre. Curse of the Crimson Altar bildete da nur noch einen letzten Zwischenstopp, dann hieß es endgültig: "I swear I’m never going to climb out of another coffin as long as I live.” Wenig später zog sie in die USA. In den 70ern würde sie dort zwar noch ein paar Mal in Horrorfilmen auftreten, aber "Gothic" waren die ganz sicher nicht, handelte es sich doch u.a. um David Cronenbergs Shivers (1975) und Joe Dantes Piranhas (1978).

Es würde schwerfallen, Curse of the Crimson Altar als würdigen Abschluss von Barbara Steeles Karriere im Gothic Horror zu bezeichnen. Doch andererseits wirkt der Umstand, dass sie zwar bloß eine Handvoll Dialogzeilen besitzt, dafür jedoch in grün-blauem Ganzkörper-Makeup und dem prachtvoll-grotesken Ornat einer heidnisch-satanischen Priesterin/Göttin auftritt, beinah wie ein cleverer Kommentar auf ihren "ikonischen" Status.

Der Plot des Streifens ist nicht unbedingt originell.
Als sein Bruder Peter (Deny Peek) auf mysteriöse Weise verschwindet, begibt sich der Londoner Antiquitätenhändler Robert Manning (Mark Eden) in das kleine Dorf Greymarsh, wo sich dieser zuletzt aufgehalten haben soll. Dort begeht man gerade eine alljährliche Feier zum Gedenken an eine lang zurückliegende Hexenverbrennung. Im Herrenhaus von Mr. Morley (Christopher Lee) hat dessen Nichte Eve (Virgina Wetherell) diesen Anlass genutzt, um eine wilde Party zu schmeißen. Der selbst eher würdevoll-gesetzte Gentleman bietet Robert an, sein Gast zu bleiben, solange dessen Nachforschungen andauern. Von Peters Verbleiben wisse man allerdings nichts. Dafür erfährt unser Held beim abendlichen Umtrunk, an dem auch der an den Rollstuhl gefesselte Professor Marsh (Boris Karloff) teilnimmt, von der legendären Hexe Lavinia Morley, die vom Scheiterhaufen aus einen Fluch über Greymarsh gelegt habe. Und dann gibt es da noch den igorhaften und geistig etwas verwirrten Diener Elder (Michael Gough), der irgendwelche kryptischen Warnungen von sich gibt. Die nächtlichen Halluzinationen oder Alpträume, in denen sich Robert auf einem fetischlastigen Hexensabbat unter Vorsitz Lavinias (Barbara Steele) wiederfindet, tragen auch nicht gerade zur Beruhigung unseres Helden bei. Es ist klar, irgendwas ist faul in dieser kleinen Gemeinde. Aber wer steckt dahinter? Morley? Marsh und sein stummer Chaffeur (Michael Warren)? Oder ist es tatsächlich Lavinia, die von jenseits des Grabes an der Erfüllung ihres Racheschwurs arbeitet? Wenigstens kommen er und die hübsche Eve sich schnell näher.

Die Grundidee des Schwurs einer Hexe, sich an den Nachfahren der für ihren Tod verantwortlichen zu rächen, war zu diesem Zeitpunkt so ausgelutscht – siehe etwa Mario Bavas Black Sunday (1960) und Roger Cormans The Haunted Palace (1963) –, dass das Drehbuch dies selbst eingesteht, wenn es Robert erklären lässt, jede in England verbrannte Hexe**** habe wohl einen ähnlichen Fluch ausgesprochen. Doch solch ehrliche Selbsterkenntnis hilft natürlich nur dann, wenn man daraus die entsprechenden Konsequenzen zieht und sich erst recht bemüht, dem alten Konzept ein paar neue Wendungen abzugewinnen. Doch davon ist hier leider nur wenig zu spüren.

Der Film enthält einige interessante Elemente. Wenn Robert in Graymarsh ankommt, beobachtet er, wie eine junge Frau von einer Gruppe Männern in Autos durch den nächtlichen Wald gejagt wird. Doch alle Beteiligten, einschließlich der Gejagten, erklären, dies sei bloß eine etwas wildere Art von Versteckspiel. Später wird in einer nächtlichen Prozession unter rhythmischem Getrommel und dem wiederholten Ruf "Burn the Witch!" ein Abbild Lavinias zum Scheiterhaufen getragen und dort unter viel Trara und Feuerwerk verbrannt. Solche Szenen schaffen beinah so etwas wie eine leichte Folk Horror - Atmosphäre. Dazu passt recht gut das verdächtig wirkende Verhalten der Dorfbewohner, die allesamt behaupten, Peter nie gesehen zu haben. Und wenn dann auch noch in einer der Alptraumszenen die "Geschworenen" in einem bizarren "Gerichtsprozess" Tiermasken tragen, weckt das ganz unmittelbare Assoziationen zu The Wicker Man. Ich halte es nicht für unmöglich, dass Robin Hardy tatsächlich einige Inspiration aus diesem Film bezogen hat
Doch bedauerlicherweise verfolgt Curse of the Crimson Altar diese Motivik nicht weiter. Wie sich am Ende herausstellt, haben die Dorfgemeinschaft und ihre merkwürdigen Feierlichkeiten nichts mit den mörderischen Ereignissen im alten Herrenhaus zu tun.
Ulkigerweise ist aber auch das am stärksten "Gothic" wirkende Motiv – ein alter, verfallener Friedhof – im Grunde bloß ein weiterer Red Herring.

Christopher Lee hat als Mr. Morley nicht viel, womit er arbeiten kann, und so bleibt seine Performance zwar ansehnlich wie immer, doch nicht besonders bemerkenswert. Michael Gough als geistesgestörter Elder ist da schon eindringlicher, wenn auch etwas campy. Das wirkliche Highlight des Filmes ist jedoch der achtzigjährige Boris Karloff als Okkultismus-Experte Marsh. Er dominiert jede seiner Szenen. Fast völlig an den Rollstuhl gefesselt, ist er in der Wahl seiner schauspielerischen Ausdrucksformen zwar deutlichen Einschränkungen unterworfen, aber das verstärkt im Grunde bloß die subtile Kraft seines Spiels, das fast ganz auf Mimik und Sprache reduziert bleibt. Einfach großartig z.B. der tief angewiderte Blick, den er Robert zuwirft, als dieser einen extrem alten und kostbaren Brandy gedankenlos runterschlürft und mit "Good Stuff" kommentiert. Allein schon für solche Szenen lohnt es sich, den Film einmal anzuschauen.

Und dann sind da natürlich noch die wunderbar psychedelischen Traumvisionen. Wer wollte nicht schon immer einmal Herne the Hunter in Sadomaso-Outfit sehen? Trippige Farben, surreal wirkende Tableaux aus merkwürdig kostümierten Menschen, Folterinstrumenten und anderem "kultischem" Mobiliar. Und dazu eine grün-blau geschminkte Barbara Steele mit goldener Hörnerkrone auf ihrem Thron. Das ist der wirklich gute Stoff!

Diese Szenen sind es auch, in denen sich am deutlichsten das Exploitation-Element zeigt. Immerhin beginnt der Film mit dem Bild einer blonden "Jungfrau", die auf eine Streckbank gespannt wurde und von einer Domina ausgepeitscht wird, um anschließend rituell geopfert zu werden. Doch alles in allem ist Curse of the Crimson Altar eigentlich überraschend zahm. Eves Swinging Sixties - Party soll vermutlich sehr viel wilder und orgienhafter wirken, als das, was man tatsächlich zu sehen bekommt. Der Film geht nie weiter als bis zu einem kurzen Blick, den man während einer müden Sexszene auf Virginia Wetherells nackte Brüste erhaschen kann.

Viel mehr als ein Kuriosum aus der Spätzeit des Gothic Horror ist Curse of the Crimson Altar wohl nicht. Doch als solches ist der Flick für Fans des Genres sicher schon mal einen Besuch wert. Nicht zuletzt, um noch einmal demonstriert zu bekommen, was für ein großartiger Schauspieler Boris "The Uncanny" Karloff war.  
  





* Der dritte Teil der Trias ist natürlich Robin Hardys The Wicker Man (1973). Ich bin mir inzwischen allerdings nicht mehr so sicher, ob es wirklich soviel Sinn macht, die drei Filme auf diese Art zusammenzufassen, wie es erstmals Mark Gatiss in seiner History of Horror getan hat.

** Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 15.

*** Das endgültige Ende von Karloffs Karriere spielte sich in den Gefilden mexikanischer B-Movies wie El coleccionista de cadáveres / Children of Blood (1970) und La muerte viviente/ Cult of the Dead (1971) ab, die allerdings erst nach seinem Tod auf der Leinwand erschienen.

**** In Wirklichkeit gab es so gut wie keine Hexenverbrennungen in England. Die verbreiteste Form der Hinrichtung war vielmehr der Galgen. 

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