Unter den phantastischen Kreaturen bildet der moderne Werwolf so etwas wie eine Seitenlinie der sehr viel älteren und umfangreicheren Familie der Gestaltswandler. Das lässt sich sehr schön an einigen seiner mittelalterlichen Vorfahren erkennen, wie sie uns z.B. im Bisclavret der Marie de France oder in der Geschichte von Sigmund und Sinfjötli aus der Välsungasaga begegnen. Denn auch wenn ich deren Verwandtschaft zum waschechten Werwolf nicht leugnen will, teilen sie doch mindestens ebensoviele Eigenschaften mit anderen Vertretern der breiteren Sippschaft, wie etwa der guten Undine oder den altnordischen Schwanenjungfrauen. So gesehen ließe sich die Tendenz, Werwölfe nicht länger als fluchbeladene Ungeheuer, sondern als Träger einer besonderen Gabe oder eines "special skill" zu betrachten, die man offenbar in einer ganzen Reihe jüngerer Werke der "Werwolfliteratur" beobachten kann, beinah als eine Art "back to the roots" betrachten. Für mich jedoch geht dabei etwas vom eigentlichen Reiz des modernen Werwolfs verloren. Ein Reiz, der sich in zwei zwar miteinander verwandten, aber doch klar voneinander zu unterscheidenen Varianten der Figur äußert.
Wenn ich zu deren Umschreibung im Folgenden nicht Bücher, sondern Filme heranziehe, ist das nicht allein dem Umstand geschuldet, dass ich mich in diesem Medium besser auskenne. In der Tat ist der Werwolf, so wie wir ihn heute kennen, wie kaum ein anderes ikonisches Monster der Popkultur {mit Ausnahme des Zombies natürlich} ein Geschöpf Hollywoods.
Schaut man sich die Universal - Monsterfilme der 30er Jahre an, deren prägende Bedeutung ja kaum zu überschätzen ist, so basieren die meisten von ihnen ganz direkt auf literarischen Vorlagen: Dracula (1931), Frankenstein (1931), The Invisible Man (1931). Auf The Mummy (1932) trifft das zwar nicht zu, aber ohne die Vorarbeit von Autoren wie Bram Stoker mit Jewel of the Seven Stars und Arthur Conan Doyle mit Lot No. 249 wäre es vermutlich nie zur cineastischen Wiederauferstehung des alten Imhotep gekommen. Nur The Wolf Man (1941) tanzt da ein bisschen aus der Reihe.
Auf den ersten Blick wirkt das etwas merkwürdig. Schließlich hatte Universal einige Jahre zuvor für die Bearbeitung des Drehbuchs von The Raven (1935) die Dienste von Guy Endore in Anspruch genommen {auch wenn dessen Name in den Credits nicht auftaucht}. Und dieser hatte mit The Werewolf of Paris ein Buch geschrieben, das von vielen als der klassische Lykanthropen-Roman angesehen wird. Der 1933 erschienene Schmöker war außerdem noch ein echter Bestseller gewesen. Wie man in der New York Times hatte lesen können: "With a record of 4.030 copies sold in twelve days, The Werewolf of Paris becomes one of the fastest moving of recent novels."* Wäre es da nicht naheliegend gewesen, den guten Mr. Endore erneut zu engagieren und ihn auf Grundlage seines eigenen Romans ein Script für Universals zweiten Werwolffilm {nach The Werewolf of London [1935]} schreiben zu lassen?
Nicht wirklich. Denn auch wenn Endores Roman anlässlich seiner zweiten Auflage 1941 als lykanthropisches Äquivalent zu Bram Stokers Dracula angepriesen wurde, handelt es sich bei ihm doch nicht unbedingt um eine typische Gothic Horror - Erzählung. Ein Gutteil des Buches beschäftigt sich weniger mit den blutigen Umtrieben des eponymischen Werwolfs, als vielmehr mit dem {nicht weniger blutigen} historischen Hintergrund der Geschichte: Dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und dem Aufstand der Pariser Kommune. Guy Endore war ein überzeugter Sozialist. Das war im Hollywood der 30er/40er Jahre zwar nicht so außergewöhnlich, auch ist das Bild, das er von den Kommunarden zeichnet, in keiner Weise idealisiert, aber dennoch könnte dem Studio die politische Dimension des Romans etwas heikel erschienen sein. {Von den Kosten, die ein solches Setting verursacht hätte, einmal ganz abgesehen}. Erschwerend hinzu kamen einige recht deutlich sexuell-fetischistische Motive der Erzählung. Nicht zufällig hatte Endore zuvor Werke von Hanns Heinz Ewers ins Englische übersetzt und würde sehr viel später eine Biographie des Marquis de Sade verfassen. Natürlich wäre es möglich gewesen, alle anstößigen Elemente aus dem hypothetischen Script heraus zu schreiben. Schließlich sind die Universal - Monsterfilme ganz allgemein keine besonders getreuen Umsetzungen ihrer literarischen Vorlagen. Und in gewisser Hinsicht würden die Jungs von Hammer Film Productions zwanzig Jahre später bei ihrer Endore-"Adaption" The Curse of the Werewolf (1961) genau dies machen.
Doch ich mach jetzt lieber schluss mit diesen haltlosen Spekulationen. Schließlich weiß ich nicht einmal, ob man bei Universal eine Adaption von The Werewolf of Paris überhaupt je in Erwägung gezogen hat. Zuvor möchte ich allerdings die Gelegenheit nutzen, um darauf hinzuweisen, dass zu den zahllosen Veränderungen, die Hammer in den 60er Jahren an der Erzählung vornahm, zwei gehören, die man spontan vielleicht nicht für solche halten würde: Die Verwandlung von Oliver Reeds Leon findet unter dem Einfluss des Vollmonds statt, und der Werwolf wird am Ende mit einer silbernen Kugel zur Strecke gebracht.
Beide Motive sind für uns heute fester Bestandteil der Werwolfmythologie, doch als Guy Endore seinen Roman schrieb, waren sie das noch nicht. Dass Silber eine machtvolle Waffe gegen die finsteren Mächte ist, besitzt seine Wurzeln natürlich in "realer" Folklore, doch zum ultimativen Anti-Lykanthropikum wurde das Metall erst durch The Wolf Man (1941).** Das Vollmondmotiv wird sogar erst im Sequel Frankenstein Meets the Wolf Man (1943) eingeführt, ohne dabei bereits als der einzige Auslöser für die Verwandlung zu erscheinen. In den berühmten Versen des Originals ist nur vom "Herbstmond" die Rede.
Dieselben Verse umschreiben recht schön, worin für mich der Reiz dieser ersten Werwolf-Variante besteht:
Even a man who is pure in heart, And says his prayers by night, May become a wolf when the wolfbane blooms And the autumn moon is bright.
In Geschichten wie The Wolf Man erscheint Lykanthropie als ein fürchterlicher Fluch. Dieser Fluch ist nicht die Strafe für ein moralisches Fehlverhalten oder für das Brechen eines Tabus. Ebensowenig wird er von irgendeinem bösen Zauberer oder einer bösen Hexe über den Helden verhängt. Larry Talbot hat einfach das Pech, von Wolf-Bela gebissen zu werden.
Natürlich könnte man sehr leicht darauf verfallen, den Fluch der Lykanthropie als das Hervorbrechen der "Bestie im Menschen" zu verstehen. Doch ich denke, auf Geschichten dieser Art trifft eine solche Interpretation nicht zu. Hier zumindest ist der Werwolf keine haarigere Variante von Mr. Hyde. Die Lykanthropie zwingt Talbot nicht dazu, den primtiven, triebhaften Teil seines Wesens zu offenbaren, sondern vielmehr zu etwas zu werden, was seinem Wesen vollkommen fremd ist.
Das erklärt auch, warum sich dieser Werwolf nicht als romantischer Antiheld eignet. Es ist nichts romantisches daran, sich in eine blutgierige Bestie zu verwandeln, die sich ihre Opfer aller Wahrscheinlichkeit nach unter denen suchen wird, die einem am nächsten stehen. Es besteht keine Möglichkeit, sich mit dem Fluch zu arrangieren oder ihn unter Kontrolle zu bringen. Ein "normales" Werwolfdasein ist völlig undenkbar, auch wenn es aus viel düsterem und "tragischem" Gebrüte bestehen würde. Talbots Situation ist auswegslos. Am Ende von The Wolf Man wird er von seinem eigenen Vater erschlagen, und nach seiner Wiederauferstehung in Frankstein Meets the Wolf Man kennt er nur ein Ziel: Sein neuegewonnenes Leben schnellstmöglich wieder – und diesmal endgültig – zu beenden.
Frankensteins Kreatur trägt Züge des missverstandenen "Anderen", und selbst dem untoten Imhotep können wir ein gewisses Maß an Sympathie nicht absprechen.*** Auf den Wolfsmenschen trifft dies so nicht zu. Wir empfinden Mitleid für den Menschen Larry Talbot, aber nicht für das wölfische Monster, in das er sich verwandelt. Wenn die Bewohner von Llanwelly sich mit Fackeln und Gewehren aufmachen, den Werwolf zur Strecke zu bringen, haben sie zwar etwas von einem Lynchmob, aber dass nur deshalb, weil wir wissen, dass der von ihnen Gejagte im Grunde ein kranker Mensch ist. Doch da dessen "Krankheit" unheilbar ist, bleibt für Talbot am Ende tatsächlich kein anderer Ausweg als der Tod, sei es von fremder oder eigener Hand****
Die zweite Variante folgt der oben genannten "psychologischen" Interpretation, die im Werwolf ein Symbol für das Triebhafte im Menschen sieht – oft mit einer starken Betonung des Sexuellen. Das berühmteste filmische Beispiel dafür ist vermutlich Neil Jordans & Angela Carters Company of Wolves (1984). Tatsächlich jedoch ist diese Variante auch in der Welt des Kinos beinah so alt wie der Wolf Man.
Ein Jahr nachdem dieser seinen Leinwand-Einstand hatte feiern können, beschloss RKO eine eigene Horror-Abteilung zu gründen, um gleichfalls von dem erneuten Boom des Genres zu profitieren. Aufgabe der Abteilung solte es sein, mit wenig Geld eine Reihe von B-Movies zu produzieren, die man zusammen mit den respektableren A-Movies als Double Bill an die Kinobetreiber verkaufen würde. Zum Leiter ernannte man Val Lewton. Bei seiner Arbeit hatte dieser drei Regeln zu gehorchen: 1.) Das Budget eines Films durfte $150.000 nicht überschreiten, 2.) Kein Film durfte länger als 75 Minuten sein, 3.) Die Titel der Filme wurden vom Studio vorgegeben. Im Gegenzug erhielt Lewton fast vollständige künstlerische Freiheit bei den unter seiner Leitung produzierten Streifen. {Zumindest was Eingriffe seitens der Studioführung anging. Natürlich musste auch er sich dem "Production Code" beugen und stets ein Auge auf die staatliche Zensur halten.} Diese Freiheit nutzte Lewton voll und ganz aus, und so entstanden unter seine Ägide eine Reihe von Horrorfilmen, die zu den interessantesten und intelligentesten Vertretern des Genres in den 40er Jahren gehören.
Der erste von ihnen war Cat People (1942), gedreht unter der Regie des großen Jacques Tourneur. Bei diesem handelt es sich natürlich nicht eigentlich um einen Werwolffilm, tatsächlich jedoch hatten die RKO-Bosse an The Wolf Man gedacht, als sie Lewton den ersten Titel für seine Horror-Abteilung aufdrückten. Heraus kam dabei kein billiger Abklatsch des Universal-Erfolgs mit Panthern statt Wölfen, sondern ein völlig eigenständiges Werk, in dem die Verwandlung der Protagonistin Irena in eine Raubkatze nun sehr offen mit sexueller Leidenschaft verknüpft wird. So gesehen denke ich, dass dieser Film sehr wohl als erstes Beispiel für die zweite Lykanthropen-Variante gelten kann.
Oberflächlich betrachtet ist Irina wie Talbot Opfer eines Fluches. Die Verwandlung geschieht ebenso zwanghaft und stürzt sie in mindenstens ebenso große Gewissensqualen wie ihren wölfischen Widerpart. Doch anders als bei ihm ist sie nichts wesensfremdes, sondern ein extremer Ausdruck ihrer eigenen, sehr menschlichen Gefühle.
* Zit. nach: Carl Grey Martin: Guy Endore's dialectical werewolf.
** Eine silberne Pistolenkugel kommt zwar auch in The Werewolf of Paris vor, und sie wird wie ihr späteres Gegenstück in Curse of the Werewolf aus einem eingeschmolzenen Kruzifix gegossen. Doch ist es nicht sie, die zum Ableben des eponymischen Lykanthropen führt.
*** Bei Gelegenheit möchte ich mich unbedingt einmal etwas eingehender mit Universals klassischen Mumienfilmen beschäftigen. Sowohl mit Karl Freunds großartigem Original aus dem Jahre 1932, als auch mit der Kharis-Reihe der 40er Jahre, die ihrem Vorläufer zwar in keiner Weise das Wasser reichen kann, auf ihre Art aber dennoch recht unterhaltsam ist.
**** Genau genommen findet Talbot im dritten Sequel House of Dracula (1945) tatsächlich Heilung/Erlösung, aber diese finale Wendung scheint mir für die Charakterisierung der ursprünglichen Figur irrelevant zu sein. Schließlich verdanken Universals Monster-Crossovers der Mittvierziger ihre Existenz ausschließlich dem Verlangen des Studios, aus ihren populären Figuren auch noch den letzten Dollar an Profit herauszupressen. {Ja, Hollywood war schon immer so}. Und das merkt man ihnen auch an ..
Ein Blake's 7 - Rewatch
Die beiden wichtigsten Entscheidungen, die während der Entwicklungsphase der zweiten Staffel von Blake's 7 getroffen worden waren, lauteten: 1.) Ein Mitglied der Crew wird sterben. 2.) Es wird einen längeren Handlungsbogen um Blakes Versuch geben, das Computerkontrollzentrum der Föderation zu zerstören. So gesehen ist Pressure Point eine äußerst wichtige Episode, wenn auch leider keine hundertprozentig gelungene. Wofür jedoch beinah ausschließlich eine äußerst unbeholfene "Deus ex machina" - Wendung kurz vor dem Ende verantwortlich ist.
Die Liberator hat sich erstmals ins Sonnensystem vorgewagt. Die meisten Crewmitglieder glauben, es gehe lediglich darum, den äußeren Verteidigungsperimeter der Erde auszukundschaften, doch dann eröffnet ihnen Blake, dass er vorhat, einen direkten Angriff auf das Nervenzentrum der Föderation zu starten – den zentralen Computerkomplex "Control", der alle Aktivitäten des Regimes koordiniert. Zwar ist solch ein Schlag schon von vielen versucht worden, doch in seiner egomanischen Art ist Blake überzeugt davon, dass ihm gelingen wird, woran alle anderen scheiterten: "I think I can destroy it." Zudem hat er sich die Unterstützung der Guerillaführerin Kasabi gesichert, mit der man sich in der Nähe der Verbotenen Zone treffen werde, in welcher sich "Control" befindet.
Cally ist die einzige, die diesem Plan ohne zu zögern zustimmt. Nicht das erste Mal, dass die ehemalige Partisanin eine übergroße Begeisterung für gewagte Aktionen an den Tag legt. Der Rest der Crew ist da schon deutlich weniger enthusiastisch. Jenna wird am deutlichsten: "Blake, are you crazy? We can't afford to take risks like that." Doch wieder einmal gelingt es dem charismatischen Führer, seine Kameraden schließlich rumzukriegen. Unter einer Bedingung: "We want your word that if the mission looks impossible, then we'll pull out." Blake stimmt dem zu, solange die Autorität für diese Entscheidung ganz allein bei ihm bleibt.
Selbst Avon erklärt sich bereit, mitzumachen. Seine Beweggründe, die er Blake ganz unverblümt darlegt, haben selbstverständlich nichts mit revolutionärem Heroismus oder persönlicher Loyalität zu tun. Sollte es tatsächlich gelingen, "Control" zu zerstören, würde es höchstwahrscheinlich zu heftigen Unruhen auf der Erde kommen. Dass Blake sofort versuchen würde, in die Rolle des großen Revolutionsführers zu schlüpfen, als der er sich immer schon gesehen hat, steht für Avon außer Frage. Und damit würde sich für ihn eine einmalige Gelegenheit eröffnen, endlich die Kontrolle über die Liberator zu übernehmen Dass dies sein Ziel ist, wissen wir spätestens seit Redemption, der Eröffnungsepisode der zweiten Staffel.
Die Aktion steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Kaum haben sich Blake und Gan auf die Oberfläche teleportieren lassen, müssen sie auch schon entdecken, dass Kasabi und ihre Mitstreiter von Föderationstruppen in einen Hinterhalt gelockt und getötet wurden. Kasabis Tochter Veron (Yolande Palfrey) scheint die einzige Überlebende des Massakers zu sein. Blake verschweigt seinen Kameraden auf der Liberator, was vorgefallen ist, da er seinen Plan unbedingt durchziehen will, obwohl alles auf eine Falle hindeutet.
Tatsächlich ist das Ganze von Travis und Servalan in die Wege geleitet worden. Dabei ist die Gefangennahme Kasabis (Jane Sherwin) für die Oberste Befehlshaberin ein zusätzlicher Bonus, handelt es sich bei der Rebellenführerin doch um ihre ehemalige Ausbilderin aus der Militärakademie. In diesem Zusammenhang erhalten wir ein paar kurze Einblicke in Servalans Werdegang. Offenbar stammt sie aus extrem reichen und privilegierten Kreisen und verdankt ihren Aufstieg nicht allein ihrer Schläue und Rücksichtslosigkeit, sondern ebenso sehr dem Einfluss ihrer Familie. Dass Leute wie Kasabi vor nicht allzu langer Zeit noch offizielle Posten in der Föderation innehatten, weist außerdem einmal mehr darauf hin, dass das Regime nicht von Beginn an eine quasi-faschistische Diktatur war.
Von Veron verraten – die glaubt, damit ihre Mutter retten zu können –, finden sich Blake, Gan, Avon und Vila schon bald in einer verlassenen Kirche gefangen gesetzt. {Die Serie hält ihrem Low Budget - Appeal standhaft die Treue}. Dank Gans Bärenkräften gelingt zwar die Flucht, aber natürlich ist Blake immer noch nicht bereit, den Rückzug anzutreten. Zumal der Kontakt zur Liberator abgebrochen und ein direktes Zurück-Teleportieren damit vorerst ohnehin unmöglich ist. Avon gelingt es, der Gruppe einen {wenn auch sehr riskanten} Zugangsweg zum unterirdischen "Control" - Komplex zu öffnen, und für einen kurzen Moment scheinen die Dinge trotz allem gar nicht so schlecht für unsere Helden zu stehen. Bis sie ihr Ziel erreichen ... Die Szene, in der Blake in den vermeintlichen "Control" - Bunker stürmt und dabei ekstatisch "We've done it! We've done it!
We've done it! I've done it!" brüllt, ist ohne Frage der Höhepunkt von Pressure Point. Der Freiheitskämpfer ist ein Mann mit einem gewaltigen Ego, der den revolutionären Kampf als eine Art Duell zwischen ihm selbst und dem Regime betrachtet. Er glaubt an seine eigene Legende. Sieht sich als der überlebensgroße "Befreier", der eigenhändig eine ganze Diktatur zum Einsturz bringen kann. Das wird an dieser Stelle überdeutlich. Um so vernichtender ist die Wirkung auf ihn, als ihm bewusst wird, dass er in einer leeren Lagerhalle steht. "Control" befindet sich überhaupt nicht in der Verbotenen Zone! Der ganze Bunkerkomplex ist nichts als eine aufwendige Falle, die Gegner des Regimes ins Verderben locken soll!
Dass unsere Helden diesem Schicksal am Ende entgehen, verdanken sie einzig einem "Dea ex Machina" - Auftritt von Jenna. Dennoch müssen sie einen bitteren Preis für Blakes Größenwahn zahlen: Gan bleibt tot in dem leeren Bunker zurück.
Eigentlich sind Sachen wie "Bloggerawards" ja nicht so mein Ding ... Das heißt, wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich nicht mal genau, was "Bloggerawards" überhaupt sind ...
Doch hey, wenn mich die gute Alessandra Reß auffordert, einmal neue Wege zu beschreiten, kann ich natürlich nicht nein sagen. Also versuche ich mich mal an diesem "Mystery Blogger Award".
Bloggerawards scheinen ziemlich durchreglementierte Dinger zu sein. Als semianarchistischer Kommunist werde ich natürlich nicht allen Regeln folgen, aber versuchen wir wenigstens anfangs brav zu sein.
1) Dass meine universitäre Laufbahn von Panikattacken & Depression
schon vor dem Magister-Abschluss {so hieß das damals noch} ausgebremst
wurde, macht mir inzwischen eigentlich nicht mehr viel aus. Schade finde
ich es aber nach wie vor, dass mir damit die Gelegenheit entgangen ist,
an der Edition eines Büchleins mit mittelalterlichen Zaubersprüchen
mitzuarbeiten, für die meine damalige Mediävistik-Professorin mich
eigentlich rekrutieren wollte.
2) Ich kann noch heute die Titelmelodie von Ronja Räubertochter vor mich hin summen, obwohl ich den Film glaub ich nur einmal richtig gesehen habe, und das war 1984 im Kino.
{Ja,
inzwischen hab' ich sie mir in unterschiedlichen Versionen auf Youtube
wieder angehört, aber ich hatte sie tatsächlich über Jahrzehnte nie
vergessen.}
3) Mein einziger Besuch in Amsterdam bestand aus einer wenig angenehmen Nacht, die ich in einem Straßengraben am Stadtrand verbracht habe. Regel 5: Fragen der Nominierenden beantworten
1. Fangen wir einfach an: Welches Brett- oder Kartenspiel kannst du warum empfehlen?
Ui, schwierig. Ich hab' schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt, mich mit Brett- oder Kartenspielen zu amüsieren. Gehörte ehrlich gesagt auch nie zu meinen bevorzugten Hobbies oder Unterhaltungsformen. Ich habe nostalgische Erinnerungen an vergangene Talisman - Abende. Und eine Zeit lang habe ich mich regelmäßig mit einem Freund im Café zum Backgammon - Spielen getroffen. Ich weiß, nicht besonders originell. Aber hey, was gut genug für mittelalterliche Minnesänger war, ist gut genug für mich.
2. Welcher Fehler in einem Buch / Film / Game hat dich wirklich gestört?
Es gibt verdammt vieles, was mich an Peter Jacksons Lord of the Rings - Adaption ärgert. Am meisten jedoch vielleicht, dass er die Szene auf der Treppe von Cirith Ungol rausgeschmissen hat, in der Gollum von seinem Treffen mit Shelob/Kankra zurückkehrt, den schlafenden Frodo vorfindet und dann von Sam dumm angemacht wird. Der entscheidende Wendepunkt in Gollums Entwickung, und für mich eine der wichtigsten Passagen des gesamten Romans!
3. Ok, jetzt aber mal kreativ werden. Pass auf, du arbeitest im Marketing
eines Verlagshauses und darfst den Titel für die nächste
Romantasy-Veröffentlichung benennen. Den Inhalt kennst du nicht. Welchen
Titel wählst du?
Auch nach einer Woche ist mir da nichts witziges eingefallen. Tut mir leid!
4. Und wie nennst du deine Epic-Power-Fantasy-Metal-Band, mit der du
nächstes Jahr bei Wacken auftrittst? (Ja, natürlich habt ihr ein
quietschbuntes Cover. Mit Einhorn. Bösem Einhorn.)
The Vandalizing Wurdalaks. Okay, ist mehr Horror als Fantasy. Ob wir ein böses Einhorn auf dem Poster hätten, weiß ich deshalb nicht so genau. {Auch wenn mir die Idee gefällt!} Aber auf jedenfall würden wir alle so komischePelzkapuzen tragen wie Boris Karloff in Black Sabbath.
5. Welche Künstler / Medien / … zieren deine Wände in Form von Postern / Postkarten /… ?
Frag mich in einem halben Jahr noch mal, wenn ich hoffentlich endlich wieder ein "richtiges" Domizil bezogen habe. Meine jetzige Bleibe gleicht nach wie vor einem auf Jahre gestreckten Übergangszustand.
In meiner alten Mönchszelle in Mainz waren es Frida Kahlo, Wassili Kandinski, ein auf Postkartengröße eingeschrumpftes Plakat fürDas Cabinet des Dr. Caligariund Leonard Nimoy als Spock. Aber der Großteil der Wände wurde ohnehin von Bücherregalen in Beschlag genommen ...
Statues standing in a sea of night. They weep for forgotten shores of light. That is not dead which can eternal lie, And with strange aeons even death may die.
And you know the walls are whispering. What do they say? They won't go away.
{von dem 2001 erschienenen, H.P. Lovecraft gewidmeten Album Strange Aeons}
Meine zwei Wochen Urlaub neigen sich ihrem Ende entgegegen. Dank einer
ziemlich fiesen und unangenehm zählebigen Erkältung, die sich mittlerweile zwar auf
dem Rückzugsgefecht befindet, aber immer noch nicht ganz geschlagen
ist, habe ich sie nicht so verbringen können, wie ich mir
das eigentlich gewünscht hatte. Aber auf ihre Art waren sie wohl trotzdem ganz entspannend und erholsam.
Da ich durch meinen Gesundheitszustand mehr oder weniger an meine Eremitage gefesselt blieb, ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich eine Ablenkung von krampfhaftem Gehuste und verschleimten Nebenhöhlen vor allem in den fantastischen Weiten des Netzes {und den nicht weniger fantastischen Universen, die sich zwischen manchen Buchdeckeln auftun} gesucht habe. Ein paar meiner dabei gemachten Funde möchte ich nun mit meinen Leserinnen und Lesern teilen. Um dem Ganzen eine etwas einheitlichere Form zu verleihen, beschränke ich mich auf den lovecraftianischen Anteil der Ausbeute.
1) Julie Hoversons "The Lovecraft 5"
Julie Hoversons Hörspielversionen von
The Dunwich Horror, The Rats in the Walls und The Thing on the
Doorstep, die man neben vielem anderen auf
ihrer Website 19 Nocturne Boulevard finden kann, waren mir schon seit
längerem bekannt. Warum mir die kleine Gruppe der Lovecraft 5 bisher
entgangen war, weiß ich nicht genau. Vermutlich hatte ich sie unterbewusst immer den "simplen" Lesungen zugeordnet.
In Wirklichkeit handelt es sich um sechs halbstündige Stücke, die zwar alle auf Geschichten des alten Gentlemans basieren, dabei jedoch zugleich dem Format der "Club Tales" folgen, wie wir sie etwa aus Lord Dunsanys Jorkens - Büchern oder auch aus William Hope Hodgsons Carnacki, the Ghost-finder kennen. Freilich wechselt dabei der Erzähler von Episode zu Episode.
Die Grundidee ist, dass sich fünf miteinander befreundete "lovecraftianische Archetypen" – Charles, der "Dilettant"; Edward, der "Schriftsteller"; Herbert, "der Wissenschaftler"; Richard, der "Künstler" und Warren, der "Akademiker" – treffen und einander unheimliche und unglaubliche Geschichten erzählen. Jeder von ihnen hat eine andere, seinem Typ entsprechende Herangehensweise an das Erzählte. Und da keiner der fünf groß Bedenken hat, einem seiner Freunde ins Wort zu fallen, wird die Erzählung immer wieder von Fragen, freundschaftlichen Neckereien, pedantischen Abschweifungen und ironischen Zwischenbemerkungen unterbrochen. Das Endprodukt ist sicher weniger unheimlich, als man es von lovecraftianischen Geschichten vielleicht erwarten würde, doch dafür sehr amüsant und unterhaltsam.
Der amerikanische Künstler Jason B. Thompson veröffentlichte 2011 nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne seine Comicadaption von Lovecrafts The Dream-Quest for Unknown Kadath, die er zwischen 1997 und 1999 geschaffen hatte, zusammen mit einigen weiteren Dreamlands - Geschichten. Wenn man das Hauptwerk sehen will, wird man nicht umhin kommen, den Geldbeutel zu zücken. Doch wer einen ersten Eindruck von Stil und Herangehensweise der Adaptionen erhalten will, kann sich einige kürzere Geschichten als Webcomics auf Thompsons Website anschauen.
3) Ryo Shinagawas H.P. Lovecraft's Dunwich Horror and Other Stories
Lovecraft besitzt eine recht ansehnliche Fangemeinde in Japan, und so ist es nicht erstaunlich, dass sich auch japanische Künstler immer wieder an Adaptionen seiner Werke versuchen. Einer von ihnen ist der Filmemacher Ryo Shinagawa. Leider hat eine kurze Google-Suche mit Ausnahme dieses Vimeo-Accounts keinerlei weitere Informationen über ihn zu Tage gefördert. Seine Ga-nime - Adaption von The Picture in the House, The Dunwich Horror und The Festival aus dem Jahre 2007 ist jedenfalls ein äußerst faszinierender Film. Doch Achtung: Der Streifen besitzt keinerlei Untertitel. Wer also kein Japanisch beherrscht, sollte mit den zugrundeliegenden Geschichten vertraut sein.
Völlig zurecht gilt Basil Poledouris' Musik für John Milius' Conan the Barbarian (1982) als einer der größten Fantasyfilm - Soundtracks aller Zeiten. Ich glaube, es war Charlie Brigden– der Mann hinter dem fantastischen Sound of Fear - Podcast– durch den ich vor Zeiten erfahren habe, dass es eine von Philipp Pelster geschaffene Orgel - Version von Conan gibt. Hier ist sie, und sie ist einfach großartig:
Was Ernst Busch hier mit seiner
metallisch-markanten Stimme vorträgt sind von Hugo Huppert ins
Deutsche übertragene und von Hanns Eisler vertonte Verse Wladimir
Majakowskis – des ohne Zweifel berühmtesten Dichters der
Russischen Revolution. Und da wir heute den hundertsten Jahrestag des
Oktoberumsturzes begehen können, dachte ich mir, es sei angebracht,
wenn ich mich zu diesem Anlass im Rahmen meiner sporadischen
Blog-Serie über die frühe sowjetische Phantastik einem Teil seines
Werkes widmen würde.
1923 schrieb Leo Trotzki über ihn:
"Majakowskis Bejahung der Revolution ist natürlicher als bei
jedem anderen russischen Dichter." (1) Wenn sein Leben
schließlich im Selbstmord endete, spiegelt sich darin meiner Ansicht
nach gerade deshalb auch etwas vom tragischen Schicksal der
Revolution wider, die die Morgendämmerung einer neuen Welt hätte
sein sollen, und am Ende doch in die mitternächtliche Finsternis des
stalinistischen Totalitarismus einmündete.
Das Gesamtwerk des großen Futuristen
auch nur oberflächlich unter die Lupe nehmen zu wollen, wäre für
einen solchen Blogpost natürlich eine viel zu ehrgeizige Aufgabe.
Auch müsste man dazu die Definition des Attributs "phantastisch"
schon seeehr weit fassen. Deshalb will ich mich auf zwei
Theaterstücke beschränken, die man alle beide relativ problemlos
der Phantastik zurechnen kann und die nebeneinander gestellt ein
recht interessantes Bild sowohl von Majakowskis Entwicklung, als auch
von der Entwicklung der Revolution ergeben: Mysterium buffo
(Misterija-buff) von 1918/21 und Das Schwitzbad (Banja) von 1929.
1
Poltert auf Plätze den Marsch der
Empörung! Hoch, stolzer Häupter wogendes Feld! Wie einer zweiten Sinnflut Verheerung waschen wir wieder die Städte der
Welt.
aus: Unser Marsch (1917) (2)
Der Futurismus war von seinen sozialen
Ursprüngen her eine typische Revolte der Bohème, das Aufbegehren
einer jungen Künstlergeneration gegen die Alten und Etablierten,
gegen die "Klassiker" und die "Akademie". Und wie
es bei einer solchen Revolte häufig der Fall ist, erschien sie den
daran Beteiligten zugleich als ein Aufstand gegen die gesamte
bürgerliche Welt, gegen deren verstaubte Spießigkeit und
heuchlerische Moral. Das 1912 von Majakowski mitverfasste Manifest
der russischen Futuristen trug den aussagekräftigen Titel Eine
Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack. Zugleich war der Futurismus
künstlerischer Ausdruck einer sowohl von gewaltiger Dynamik als auch
von sich dramatisch zuspitzenden gesellschaftlichen Konflikten
geprägten Zeit – der Ära der ersten Wolkenkratzer und Aeroplane,
des Chaos der Großstädte und des Heraufdämmerns der Epoche der
Kriege und Revolutionen.
Als die Februarrevolution dem Zarismus
den Todesstoß versetzte und die gesamte überkommene Ordnung ins
Wanken geriet, befanden sich die Futuristen – zusammen mit den
Suprematisten – beinah automatisch auf dem extremen linken Flügel
der künstlerischen Intelligenzija. Während die alten Symbolisten
der Mir Iskusstva (Welt der Kunst) - Gruppe, die selbst einmal
Bohème-Rebellen gewesen waren (3), sich inzwischen als Gralshüter
der Kultur und als geistige Elite fühlten und deshalb eifrig bemüht
waren, das von der Provisorischen Regierung in Aussicht gestellte
Kulturminsterium in Beschlag zu nehmen, hatten die noch ungezähmten
Ikonoklasten kein Interesse daran, zu verbeamteten Wächtern der
russischen Kultur zu werden und standen dem Establishment auch in
seiner neuen, "demokratischen" Gewandung instinktiv
feindselig gegenüber. Das machte sie bis zu einem gewissen Grad zu
natürlichen Verbündeten der Bolschewiki.
Majakowski schrieb später in seiner
skizzenhaften Autobiographie über die Oktoberrevolution: "Zustimmen
oder nicht zustimmen. Diese Frage gab es für mich (und die anderen
Moskauer-Futuristen) nicht. Es war meine Revolution. Ich ging ins
Smolny. Arbeitete. Alles was anfiel. Die Sitzungen begannen."
(4) Tatsächlich gehörte der Dichter zu einer winzigen Gruppe von
Künstlern, die wenige Tage nach dem Umsturz einem Aufruf Anatoli
Lunatscharskis, des bolschewistischen Volkskommissars für Kultur,
folgten und sich mit dem revolutionären Regime in Verbindung
setzten. Neben ihm erschienen nur der symbolistische Poet Alexander
Blok, die Schriftstellerin Larissa Reissner, der Theaterregisseur
Wsewolod Meyerhold sowie die Maler David Schterenberg und Nathan
Altman im Smolny, dem Sitz der Räteregierung.
Doch war Majakowski vorerst nicht
bereit, die Bolschewiki beim Aufbau neuer Kulturinstitutionen zu
unterstützen. Seine Unterhaltungen mit Lunatscharski hatten ihm
gezeigt, dass der Volkskommissar keineswegs daran dachte, im Stile
der Futuristen die ganze alte Kultur über Bord zu werfen und die
Avantgardisten zu den offiziellen Künstlern der Revolution zu
ernennen. Lunatscharski hatte ja sogar von seinem Posten zurücktreten
wollen, als ihn übertriebene Berichte über die während des
Moskauer Aufstands am Kreml entstandenen Zerstörungen erreichten.
Enttäuscht von dieser
"traditionalistischen" Linie, begab sich Majakowski schon
bald nach Moskau, wo er zusammen mit dem Maler David Burljuk und dem
Dichter Wassili Kamenski das Kafe poetov eröffnete und die Gaseta
futuristov herausgab. Ganz wie z.B. auch Wladimir Tatlin und Kasimir Malewitsch
hegten Majakowski und sein Kreis in den ersten Monaten der
Revolution deutlich anarchistische Sympathien:
The ideology of the Kafe poetov was
suffused by antiauthoritarian anarchism. In accordance with the
anarchist tilt in the name of the Freedom for Art Federation, the
three artists of the cafe called themselves the Federation of
Futurists. With his two comrades, Maiakovskii published the Gazeta
futuristov (Futurists' Newspaper), in whose first and only issue on
March 15th he declared, in an "Open Letter to the Workers,"
that "Futurism" was the aesthetic counterpart of
"socialism/anarchism" and that only a "revolution of
the psyche" could liberate workers from the shackles of obsolete
art. [...]
The political anarchists accepted the
Futurists' Newspaper as an organ of anarchism and endorsed the House
of Free Art briefly operated by Maiakovskii, Burliuk, and Kamenskii
as one of the anarchist clubs in Moscow. The House, a restaurant
requisitioned for the purpose by the trio, was dedicated to the
"individual anarchism of creation," as their paper put it.
(5)
Vielleicht nicht ganz zufällig schloss
das Kafe poetov seine Tore, kurz nachdem im April 1918 die
anarchistischen Gruppen von der Tscheka (6) gewaltsam "entwaffnet"
worden waren.
Als nächstes unternahm Majakowski
einen kleinen Abstecher in die Welt des Films (7). Wie er in einem
Brief an seine Geliebte und ewige "Muse" Lilja Brik
schrieb: "Die Filmleute behaupten, ich sei für sie ein
ungewöhnlicher Künstler. Locken mit schönen Redensarten, Ruhm und
Geld." (8) Von den drei Filmen, an denen er mitwirkte, hat nur
Das Fräulein und der Hooligan überlebt,.den man sich hier anschauen
kann.
Ungefähr zur selben Zeit nahm
Majakowski auch die Arbeit an Mysterium buffo wieder auf. Erste
Entwürfe für das "heroische, epische und satirische Abbild
unseres Weltalters" hatte er bereits im August 1917 zu Papier
gebracht. Ende September 1918 war das Werk schließlich vollendet und
wurde einem kleinen Kreis von Freunden und Bekannten vorgetragen,
unter denen sich auch Lunatscharski befand. Der Volkskommissar war
begeistert: "Der Gehalt dieses Dichterwerks gibt die
gigantischen Erlebnisse der unmittelbaren Gegenwart wieder; ein
Gehalt, der zum erstenmal im Kunstgeschehen der letzten Zeit den
Erscheinungen des Lebens gerecht wird ..." (9) Die Uraufführung
sollte im Rahmen der Feiern zum ersten Jahrestag der
Oktoberrevolution in Petrograd stattfinden. Dabei fand Majakowski in
Wsewolod Meyerhold als Regisseur einen kongenialen Partner. Wie Lilja
Brik in ihren Memoiren erzählt:
Meyerhold und Majakowski waren bei den
Inszenierungsarbeiten regelrecht ineinander verliebt. Majakowski
akzeptierte erfreut jede Anordnung von Meyerhold und umgekehrt –
Meyerhold jeden Vorschlag von Majakowski. (10)
Der einstige Stanislawski-Schüler
hatte schon ein gutes Jahrzehnt vor der Revolution damit begonnen,
nach neuen Formen des Theaters zu suchen, die die Begrenztheit der
naturalistischen Schaubühne überwinden und das Publikum von
passiven Beobachtern zu aktiven Teilhabern des Geschehens machen
sollte. Dabei hatte er auf Traditionen wie das mittelalterliche
Mysterienspiel und die Commedia dell'arte zurückgegriffen. Doch war
er mit dem bisher Erreichten nie wirklich zufrieden gewesen. Die
Revolution eröffnete Meyerhold völlig neue Möglichkeiten. Sie gab
ihm nicht nur einen neuen Stoff für seine Theaterexperimente,
sondern auch ein neues Publikum. Die Uraufführung von Mysterium
buffo wurde zu einem der ersten großen Höhepunkte dessen, was man
später den "Theater-Oktober" taufen sollte.
Ganz wie Meyerhold in seinen früheren
Experimenten griff auch Majakowski Elemente des Mysterienspiels auf
und verband sie mit karnevalistischen Momenten. Doch wenn seinen
Vorgängern stets etwas Statisches eigen gewesen war, zeichnete sich
Mysterium buffo durch das Aufeinanderprallen von Gegensätzen, einen
apokalyptischen Durchbruch und eine stetig ansteigende Dynamik aus,
die schließlich im utopischen Panorama eines "neuen Edens"
gipfelte. Das Bühnenbild wurde von Kasimir Malewitsch kreiert.
Als eine neue Sinntflut den Erdball
überschwemmt, fliehen sieben "reine" und sieben "unreine"
Paare – die Ausbeuter und die Ausgebeuteten – zum Nordpol, wo sie
eine neue Arche erbauen. Freilich dauert es nicht lange und die
"Reinen" versuchen, ihre Herrschaft an Bord zu erneuern.
Erst rufen sie den abessinischen Negus zum Zaren aus. Als dieser
sämtliche Vorräte auffuttert, ohne seinen Kompadres etwas
abzugeben, organisieren sie eine "bürgerliche Revolution",
werfen den Potentaten mit Hilfe der "Unreinen" über Bord
und setzen ihre Herrschaft in "republikanischer" Form fort.
Doch die "Unreinen" lassen sich nicht lange vom Geschwätz
der "Reinen" umgarnen und starten ihren eigenen Aufstand.
Nunmehr Herren ihrer Arche wissen sie dennoch nciht recht, wie sie
der Sinnflut auf Dauer trotzen sollen. Da taucht über die Wogen
wandelnd der "einfache Mensch" auf {in der Uraufführung
von Majakowski selbst gespielt} und verkündet ihnen das neue
Evangelium des irdischen Paradieses:
Wer ich bin? Keine Klasse, keine Nation, kein Stamm. Ich sah das dreißigste, das vierzigste Jahrhundert. Mich trug des Jahrtausends Wellenkamm. Bin ein Morgiger, einfach und
unbewundert, den Beschwernisse heutiger Dinge
rühren, und ich kam, eurer Seelen Herdfeuer zu
schüren. Vernehmt meinen Rat. Hört die neue Bergpredigt! Vergeblich harrt ihr des Ararat. Den Ararat gibts nicht mehr. Der ist erledigt. War nur Gaukelwerk. Und kommt der Berg nicht zu Mohammed, dann geh zum Teufel der ganze Berg! Nicht mit der Kreuzigung Nagelbrett, noch dem Jenseits, der
Diabetiker-Konditorei, red ich verhärtete Herzen weich, sondern mit dem irdischen Himmelreich.
Von seiner Rede inspiriert stürmen die
"Unreinen" im dritten und vierten Aufzug Hölle und Himmel,
lassen sich weder von Teufeln noch Heiligen Einhalt gebieten,
entwinden dem Herrgott höchstpersönlich seine Blitze und reißen stetig
weitermarschierend das ganze jenseitige Gebäude ein.
Schließlich erreichen sie das "Gelobte
Land", die Stadt der Zukunft, wo sie von den befreiten Maschinen
begrüßt werden, die nicht länger der Jagd nach Profit unterworfen
sind, sondern endlich dem Wohle der gesamten Menschheit dienen
dürfen.
Arbeiter, nehmt von uns die Schuld! Vergebt uns! Verzeihung! ihr habt uns gegossen, geschliffen, gebaut mit Geduld. dann haben uns Sklavenhalter ergriffen und unterworfen. Oh, ersehnte Huld der Befreiung. Wir panischen, mechanischen Stahl-Wildlinge, wir nimmermüden, wir ohne Rast und Frieden, beauftragt, die Protzen spazieren zu
schieben auf Schienen, und ihnen in trüben Betrieben zu dienen, wir – Maschinen! Wir Wiegenwagen auf Doppelrädern, mit Schwanken und Um-die-Kurven-Federn, beflissen, die Satten und Fetten ans Ziel zu befördern,– wir Helfershelfer von Dieben und
Mördern, Triebscheibe, Schwungrad und
Kurbelwelle – da gabs keinen Halt, wenns euch zu verstümmeln, zu rädern
galt. Treibriemen, Stahlbrücke,
Bunkergefälle, alles war als Gefahr euch zur Stelle ... Nun aber brüllt auf, Motoren! Gestürzt sind Protzen und Götzen. Sperr auf, Jubel, Mund und Ohren! Wir dürfen euch nützen, euch
ergötzen, – befreit! Jetzt, Bahnen, flutet! Sirenen, tutet! Jetzt mögt ihr euch recken,
Eisenbahnstrecken! In Lust-Karussellen die Nacht zu
erhellen, sind, Arbeitervolk, wir von nun an
bereit! (11)
Das Ganze endet mit einer volkfsfestartigen Szene und dem gemeinsamen Absingen der Internationale.
Leider ist mir als Übersetzung nur die
überarbeitete und erweiterte Fassung, die Majakowski für den
dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1921
anfertigte, zugänglich. {Eine russische Fassung des Originals findet
man hier.} Sie enthält nicht nur einen weiteren Aufzug ("Das
Land der Trümmer"), sondern auch zusätzliche Figuren wie den
menschewistischen "Versöhnler", der regelmäßig Haue von
beiden Parteien bekommt. Die ursprüngliche Version scheint mir
gerade in der Simplizität ihres Figurenaufbaus kompakter und
kraftvoller zu sein.
Doch letztlich ist der Text allein
sowieso nicht ausreichend, um einen adäquaten Eindruck von Mysterium
buffo zu erhalten. Man muss sich außerdem zu vergegenwärtigen
versuchen, wie das Stück inszeniert wurde.
The characters of Mystery-Bouffe [...]
were imported from festival theater, with a strong dose of the
fairground. [...] [T]he clean are portrayed in the mocking tones of
carnival, with a particular flair for exaggerated detail [...]
Entrances of the clean are marked by Petrushka-like
self-introductions, and national conflicts are reduced to slapstick
brawls. [...] The unclean were depicted in the monumental tones of
the mystery play. They performed collectively, as a chorus, much of
the time, and their lines were read with a "firm, strong
principle, heroic pathos, and plastic monumentality." [...]
The entrance to the Promised Land was
depicted as simply as in a medieval mystery, by opening the gates and
having the players step in; and Mayakovsky's entrance as A Simple Man
used a circus trick: he flew onto the deck along a guy wire. [...]
The ark-stage provided a graphical
representation of revolution as threshold. It was divided into the
deck, occupied by the clean, and the hold, where the unclean were
banished. The two levels were connected by a trapdoor. When in the
third act another set was introduced, the same spatial division was
applied: on top was Heaven, below Hell, and in between a trapdoor.
This trapdoor, fully motivated by the use of a ship's deck as the
stage, traced its genealogy to mystery stages. Its forbears were the
English pageant cart, used both as a stage and as a transport for
mystery cycles, and the Russian vertep (crèche), an itinerant puppet
booth featuring the Christmas story on a two-level stage: the
Slaughter of the Innocents on top followed by comic interludes below.
The trapdoor was suggested by Alekseev-Iakovlev, who showed
Mayakovsky the model of a balagan [Jahrmarktsbühnen] hell-mouth when
he was first planning Mystery-Bouffe. (12)
2
Unser Erdplanet erweist / den
Lustbarkeiten / wenig Gunst. Jede Freude / muss / dem Kommenden /
entrissen werden. Sterben / ist hienieden / keine Kunst. Schwerer ists: / das Leben baun auf
Erden.
aus: An Sergei Jessenin (1926) (2)
Als sich Majakowski und
Meyerhold zehn Jahre später erneut zusammentaten, sah die Welt sehr
viel anders aus. Ein Jahr zuvor war die Vereinigte Opposition, in der sich die Anhänger Trotzkis mit denen Sinowjews & Kamenews zusammengetan hatte, zerschlagen worden. Viele der engsten Mitstreiter Lenins befanden sich bereits in der sibirischen Verbannung. Auch die letzten Überbleibsel der Arbeiterdemokratie – sowohl innerhalb wie außerhalb der bolschewistischen Partei – waren schon seit langem verschwunden. Aus dem revolutionären Regime war ein bürokratisches Monstrum geworden, an dessen Spitze Stalin sich darauf vorbereitete, endgültig zum unbestrittenen Alleinherrscher über die Sowjetunion zu werden.
Weder Meyerhold noch Majakowski verfügte über ein klares Verständnis der politischen Mechanismen, die zur bürokratischen Entartung des Sowjetregimes geführt hatten. Doch beiden war der Gang der Dinge instinktiv zuwider. Majakowski lag schon seit langem in Fehde mit der RAPP (Russische Vereinigung Proletarischer Schriftsteller), die mit Rückendeckung der stalinistischen Führung bemüht war, die sowjetische Literatur ihrem Diktat zu unterwerfen und in ein simples Propagandawerkzeug im Dienste der herrschenden Clique zu verwandeln. Wie Trotzki später in seinem Nachruf auf den Dichter schreiben würde:
Mayakovsky could not help being
repelled by the pseudorevolutionary officialdom, even though he was
not able to understand it theoretically and therefore could not find
the way to overcome it. The poet rightfully speaks of himself as "one
who is not for hire." For a long time he furiously opposed
entering Averbach' s administrative collective of so-called
proletarian literature. From this came his repeated attempts to
create, under the banner of L E F [Linke Kunstfront], an order of frenzied crusaders
for proletarian revolution who would serve it out of conscience
rather than fear. (13)
Im Sommer 1928 trat Majakowski demoralisiert aus der LEF aus, aber noch war sein Kampfgeist nicht völlig erloschen. Seine letzten beiden größeren Werke – die Theaterstücke Die Wanze und Das Schwitzbad – geben beredten Ausdruck von seiner Verachtung für die Kaste der Apparatschiks.
Die Wanze ist meiner Ansicht nach das deutlich schwächere Stück.
Die Geschichte des "früheren Arbeiters, früheren Parteimitglieds" Iwan Prisypkin (Iwan Bratfisch), der die Tochter eines Friseurs und NEP-Manns (14) heiratet, nach einer verunglückten Hochzeitsfeier von der Feuerwehr eingefroren und Jahrzehnte später in der kommunistischen Zukunft wiederauferweckt wird, um schließlich zusammen mit einer gleichfalls reanimierten Wanze im Zoo zu landen, besitzt zwar ihre Momente. So etwa, wenn Iwan und sein Kumpel und Speichellecker Trombon die begeisterte Hinwendung zu einer kleinbürgerlichen Lebensweise in "kommunistischen" Phrasen als kulturellen Aufstieg der siegreichen werktätigen Klasse feiern. Auch ist das Bild, das das Stück von der Zukunft zeichnet, eine gelungene Parodie auf die antiseptischen Visionen einer gänzlich leidenschaftslosen, "vernünftigen" und antiindividualistischen Welt, wie sie sich nicht nur H.G. Wells, sondern auch viele Sowjetkünstler erträumten. Einer der Gründe für Iwans Wiederbelebung ist es gar, dass die Zukunftskommune glaubt, "dass das Leben jedes Arbeiters bis zum letzten Augenblick nutzbar gemacht werden" müsse!
Dennoch mangelt es dem Stück an Schärfe. Es wirkt beinah so, als wisse Majakowski noch nicht so recht, gegen wen es die Klinge zu zücken gilt.
Dafür wurde das Werk anders als sein Nachfolger von Dimitri Schostakowitsch mit Musik versehen!
Das Schwitzbad, das Majakowski zwischen Juli und September 1929 schrieb, und bei dessen Moskauer Uraufführung im März 1930 erneut Meyerhold die Regie führte, stellt eine sehr viel direktere und treffsicherere Attacke auf die Bürokratie dar.
Der junge Erfinder Tschudakow (Seltsamkow) hat eine Zeitmaschine entwickelt, doch alle Bemühungen seines enthusiastischen Freundes Welosipedkin (Fahrradkin), staatliche Unterstützung für das Projekt zu erhalten, werden schon im Vorzimmer des verantwortlichen Genossen Pobedonosikow (Triumphanschikow) gestoppt: "Man hat überprüft, man hat beschlossen: Ablehnen. Ihre Erfindung ist im Perspekivplan für das nächste Quartal nicht vorgesehen." Der Chef der "Hauptverwaltung für Koordinierung und Kompromisswirtschaft" (Haukooko) selbst ist nicht zu sprechen, da er gerade für ein neues Monumental-Porträt Modell stehen, eine aus sinnlosen Phrasen zusammengestoppelte Rede diktieren und nebenbei auch noch seine Beziehungen spielen lassen muss, um einen kleinen "Arbeitsurlaub" auf der Krim organisiert zu bekommen..
Mit der Hilfe von Pobedonosikows Frau Polja, die in den Augen ihres Mannes nur noch eine unangenehme Altlast darstellt, von der er sich bald möglichst zu befreien gedenkt, sowie des pfiffigen, aber nicht gerade vorbildlichen Buchhalters Notschkin (Dunkelmanko) gelingt es Tschudakow und seinen Freunden schließlich doch, die Zeitmaschine zu starten und ein erstes Tor zur Zukunft zu öffnen, durch das die Phosphoreszierende Frau als Abgesandte der künftigen klassenlosen Gesellschaft die sowjetische Gegenwart betritt. Ihr Auftrag: Eine Delegation würdiger Vertreter der Vergangenheit in ihre Welt mitzunehmen.
Da sie über ein offizielles Mandt verfügt, ist selbst Pobedonosikow genötigt, ihr behilflich zu sein. Gefallen tut ihm das freilich nicht, schließlich scheint der kauzige Tschudakows plötzlich wichtiger zu sein als er, der einflussreiche Funktionär, und zu allem Überfluss ist dieser Besucher aus der Zukunft auch noch eine Frau!
Sieh mal an, irgendein Seltsamkow nutzt aus, dass er irgendein Zeitapparätchen erfunden hat und früher als ich mit disem Weib bekannt wurde, mit dieser Antwort-Frau. Ich bin überhaupt noch nicht überzeugt, ob hier nicht einfach Sittenverfall vorliegt und überhaupt Beziehungen der bekannten Art. Geschlecht und Charakter! Jawohl! Ja!
Dennoch ist er selbstverständlich überzeugt davon, als Mitglied der Delegation ausgewählt zu werden.
Derweil sieht sich die Phosphoreszierende Frau mit einigen ihr völlig unverständlichen Eigenarten der Vergangenheit konfrontiert. Warum nennt Polja Pobedonosikow ihren "Mann", obwohl die beiden absolut nichts verbindet? Warum hat das "Schminken der Lippen" zur Entlassung einer Stenotypistin geführt? – "Wen geht das denn an? Wenn sie irgendwen anderes geschminkt hätten ..." – Und was hat es mit Pobedonosikows Begeisterung für "Papiere" auf sich? – "'Bei Ihnen drüben geht wahrscheinlich die Zirkulation der Papierchen glatt, Fließband, he?''Ich weiß nicht, wovon Sie reden, aber das Papier für die Zeitungen kommt natürlich glatt in die Maschinen.'"
Als es schließlich soweit ist, nimmt die Zeitmaschine Tschudakow, Welosipedkin und ihre Freunde, Polja, die Stenotypistin sowie Notschkin, der sich gerade noch vor einem ihn verfolgenden Milizionär (Polizisten) retten kann, mit in die kommunistische Zukunft. Zurück bleiben der empörte Pobedonosikow und seine Baggage von Bürokraten und Speichelleckern:
Und Sie – und Sie – und der Autor – was wollen Sie damit sagen? Etwa, dass solche wie ich im Kommunismus nicht gebraucht werden?
Die amüsanteste Seite von Das Schwitzbad sind ohne Zweifel all die von absurden, pseudosozialistischen Phrasen angefüllten Reden der Bürokraten, mit denen diese ihre Unätigkeit, ihren Opportunismus, ihre Gier und Eitelkeit, ihre Katzbuckeleien vor den Mächtigeren und ihre Brutalität gegenüber den Schwächeren ummänteln.
Interessant ist dabei auch, wie oft wir dabei Frauen als Opfer dieser dumpfen Apparatschiks erleben. Das Schicksal Poljas ähnelt dem vieler realer Ehefrauen von Sowjetfunktionären, die von ihren karrieremachenden Männern fallen gelassen und dabei auch noch als "rückständige Kleinbürgerinnen" diffamiert wurden. Ebenso dürften die Probleme, mit denen die Stenotypistin zu kämpfen hat, vielen weiblichen Sowjetangestellten nur zu bekannt gewesen sein: Um überhaupt einen Job zu bekommen, muss sie sich "hübsch machen", doch dieses Zeichen "bourgeoisen Sittenverfalls" kann jederzeit gegen sie verwendet werden, wenn die mächtigen Männer genug von ihr haben und ihr "Sekretariat" wie Pobedonosikow "mit jungen Komsomolzinnen klassenmäßig aufzufrischen" wünschen. Nicht zufällig macht Majakowski aus der Abgesandten der kommunistischen Zukunft eine Frau.
Zwischen den zweiten und vierten Akt ist außerdem eine Szene eingeschoben, in der der Darsteller von Pobedonosikow als "realer" Bürokrat auftritt und lauthals Beschwerde beim Regisseur einlegt:
Zu dick ist das alles, das Leben ist nicht so ... Nun, sagen wir dieser Triumphanschikow. Das ist doch peinlich. Dargestellt wird doch offenbar ein verantwortlicher Genosse, und irgendwie setzen Sie ihn in ein solches Licht und nennen ihn noch Haukooko. Solche Menschen gibt es bei uns nicht – das ist unnatürlich, lebensfremd, unähnlich! Das muss man umarbeiten: mildern, poetisieren, abrunden ...
Überhaupt solle man doch lieber Erhebendes und Positives auf die Bühne bringen! Also wird rasch ein typisches, "allegorisches" Zirkus-Agit-Spektakel improvisiert, wie es für die frühen Jahre der Revolution typisch war, wobei die Schauspieler & Schauspielerinnen in Rollen wie "das geknechtete Proletariat", "das Kapital", "Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit", die "Armee der Arbeit" usw. schlüpfen. Das Ganze endet beinah in einer Katastrophe, als Welosipedkin wütend auf die Bühne gestürmt kommt, da er den "echten" Pobedonosikow für den "Bühnen" - Pobedonosikow hält. (15)
Es verwundert nicht, dass das Schwitzbad von der offiziellen sowjetischen Theaterkritik alles andere als freundlich aufgenommen wurde. Majakowski war einen Monat vor der Moskauer Premiere der RAPP beigetreten, aber auch diese öffentliche Kapitulation bewahrte ihn nicht vor immer heftigeren Attacken durch die stalinistischen Schreiberlinge. Bei einer Lesung am 9. April 1930 wurde er von einem studentischen Publikum als "elitärer Dichterling", dessen "obskure Verse" für das Proletariat ohne Wert seien niedergebrüllt.
Fünf Tage später schoss sich Wladimir Majakowski eine Kugel durchs Herz. Während der Trauerfeier sagte ein Vertreter der RAPP zu Lilja Brik: "Ich verstehe nicht, warum so viel Wind gemacht wird um
den Selbstmord irgendeines Intellektuellen." (16)
Nachtrag: Wsewolod Meyerhold wurde am 2. Februar 1940, nach einem halben Jahr Gefängnishaft und Folter, von einem Erschießungskommando als "Spion" und "Verräter" hingerichtet.
(1) Leo Trotzki: Der Futurismus. In:
Ders.: Literatur und Revolution. S. 125.
(2) Wladimir Majakowski: Werke. Erster
Band: Gedichte.S. 56; 225. Nachdichtung von Hugo Huppert.
(3) Vgl. meine alte dreiteilige
Blogserie über den russischen Symbolismus, hier, hier &
hier.
(4) In: Wladimir Majakowski: Ich. Ein
Selbstbildnis. S.66.
(5) Hubertus Gassner: The
Constructivists: Modernism on the Way to Modernization. In: The Great
Utopia: The Russian and Soviet Avant-Garde, 1915-1932. S. 302.
(6) Tscheka = "Tschreswytschainaja
komissija po borbe s kontrrewoljuziej, spekuljaziej i sabotaschem"
/ "Außerordentliche Kommision zur Bekämpfung von
Konterrevolution, Spekulation und Sabotage". Das von dem
polnischen Revolutionär Felix Dserschinski angeführte Instrument
des Roten Terrors. Aus ihr ging später die geheime Staatspolizei GPU
/ NKWD / KGB hervor.
(7) Die weitverbreitete Vorstellung,
der russische Film habe erst in der Sowjetära so richtig begonnen,
ist irrig. Allerdings endeten viele der talentiertesten Vertreter des
vorrevolutionären Kinos in der Pariser Emigration. Die revolutionäre
Bedeutung von Künstlern wie Sergei Eisenstein, Wsewold Pudowkin,
Dsiga Wertow oder Olga Preobraschenskaja soll damit nicht in Frage
gestellt werden.
(8) Wladimir Majakowski: Liebesbriefe
an Lilja. S. 16. Ja, ich weiß, das ganze "Musen"-Konzept
ist extrem fragwürdig, aber damit will ich mich jetzt nicht
auseinandersetzen, ebensowenig wie mit der äußerst kontrovers
geführten Debatte um Lilja Briks Einfluss auf Majakowskis Leben.
(9) Zit. nach: Geleitwort zu: Wladimir
Majakowski: Mysterium buffo und andere Stücke. S. 268.
(10) Lilja Brik: Schreib Verse für
mich. Erinnerungen an Majakowski. S. 58.
(11) Wladimir Majakowski: Mysterium
buffo und andere Stücke.S. 60f.; 113f.
(12) James von Geldern: Bolshevik
Festivals, 1917-1920. S. 68f.
(13) Leon Trotsky: The Suicide of Vladimir Mayakovsky. In: Ders.: On Literature and Art. S. 177. Der Kritiker Leo Averbach war der Führer der RAPP.
(14) NEP-Mann: Neureicher Kapitalist während der Ära der Neuen Ökonomischen Politik.
(15) Wladimir Majakowski: Schwitzbad. Drama in sechs Akten mit Zirkus und Feuerwerk. Übersetzung und Nachdichtung von Rainer Kirsch.
(16) Lilja Brik: Schreib Verse für
mich. Erinnerungen an Majakowski. S. 139.