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Mittwoch, 29. November 2017

Even a man who is pure in heart

Unter den phantastischen Kreaturen bildet der moderne Werwolf so etwas wie eine Seitenlinie der sehr viel älteren und umfangreicheren Familie der Gestaltswandler. Das lässt sich sehr schön an einigen seiner mittelalterlichen Vorfahren erkennen, wie sie uns z.B. im Bisclavret der Marie de France oder in der Geschichte von Sigmund und Sinfjötli aus der Välsungasaga begegnen. Denn auch wenn ich deren Verwandtschaft zum waschechten Werwolf nicht leugnen will, teilen sie doch mindestens ebensoviele Eigenschaften mit anderen Vertretern der breiteren Sippschaft, wie etwa der guten Undine oder den altnordischen Schwanenjungfrauen.
So gesehen ließe sich die Tendenz, Werwölfe nicht länger als fluchbeladene Ungeheuer, sondern als Träger einer besonderen Gabe oder eines "special skill" zu betrachten, die man offenbar in einer ganzen Reihe jüngerer Werke der "Werwolfliteratur" beobachten kann, beinah als eine Art "back to the roots" betrachten.
Für mich jedoch geht dabei etwas vom eigentlichen Reiz des modernen Werwolfs verloren. Ein Reiz, der sich in zwei zwar miteinander verwandten, aber doch klar voneinander zu unterscheidenen Varianten der Figur äußert. 

Wenn ich zu deren Umschreibung im Folgenden nicht Bücher, sondern Filme heranziehe, ist das nicht allein dem Umstand geschuldet, dass ich mich in diesem Medium besser auskenne. In der Tat ist der Werwolf, so wie wir ihn heute kennen, wie kaum ein anderes ikonisches Monster der Popkultur {mit Ausnahme des Zombies natürlich} ein Geschöpf Hollywoods.   

Schaut man sich die Universal - Monsterfilme der 30er Jahre an, deren prägende Bedeutung ja kaum zu überschätzen ist, so basieren die meisten von ihnen ganz direkt auf literarischen Vorlagen: Dracula (1931), Frankenstein (1931), The Invisible Man (1931). Auf The Mummy (1932) trifft das zwar nicht zu, aber ohne die Vorarbeit von Autoren wie Bram Stoker mit Jewel of the Seven Stars und Arthur Conan Doyle mit Lot No. 249 wäre es vermutlich nie zur cineastischen Wiederauferstehung des alten Imhotep gekommen. Nur The Wolf Man (1941) tanzt da ein bisschen aus der Reihe.

Auf den ersten Blick wirkt das etwas merkwürdig. Schließlich hatte Universal einige Jahre zuvor für die Bearbeitung des Drehbuchs von The Raven (1935) die Dienste von Guy Endore in Anspruch genommen {auch wenn dessen Name in den Credits nicht auftaucht}. Und dieser hatte mit The Werewolf of Paris ein Buch geschrieben, das von vielen als der klassische Lykanthropen-Roman angesehen wird. Der 1933 erschienene Schmöker war außerdem noch ein echter Bestseller gewesen. Wie man in der New York Times hatte lesen können: "With a record of 4.030 copies sold in twelve days, The Werewolf of Paris becomes one of the fastest moving of recent novels."* Wäre es da nicht naheliegend gewesen, den guten Mr. Endore erneut zu engagieren und ihn auf Grundlage seines eigenen Romans ein Script für Universals zweiten Werwolffilm {nach The Werewolf of London [1935]} schreiben zu lassen?
Nicht wirklich. Denn auch wenn Endores Roman anlässlich seiner zweiten Auflage 1941 als lykanthropisches Äquivalent zu Bram Stokers Dracula angepriesen wurde, handelt es sich bei ihm doch nicht unbedingt um eine typische Gothic Horror - Erzählung. Ein Gutteil des Buches beschäftigt sich weniger mit den blutigen Umtrieben des eponymischen Werwolfs, als vielmehr mit dem {nicht weniger blutigen} historischen Hintergrund der Geschichte: Dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und dem Aufstand der Pariser Kommune. Guy Endore war ein überzeugter Sozialist. Das war im Hollywood der 30er/40er Jahre zwar nicht so außergewöhnlich, auch ist das Bild, das er von den Kommunarden zeichnet, in keiner Weise idealisiert, aber dennoch könnte dem Studio die politische Dimension des Romans etwas heikel erschienen sein. {Von den Kosten, die ein solches Setting verursacht hätte, einmal ganz abgesehen}. Erschwerend hinzu kamen einige recht deutlich sexuell-fetischistische Motive der Erzählung. Nicht zufällig hatte Endore zuvor Werke von Hanns Heinz Ewers ins Englische übersetzt und würde sehr viel später eine Biographie des Marquis de Sade verfassen.
Natürlich wäre es möglich gewesen, alle anstößigen Elemente aus dem hypothetischen Script heraus zu schreiben. Schließlich sind die Universal - Monsterfilme ganz allgemein keine besonders getreuen Umsetzungen ihrer literarischen Vorlagen. Und in gewisser Hinsicht würden die Jungs von Hammer Film Productions zwanzig Jahre später bei ihrer Endore-"Adaption" The Curse of the Werewolf (1961) genau dies machen. 

Doch ich mach jetzt lieber schluss mit diesen haltlosen Spekulationen. Schließlich weiß ich nicht einmal, ob man bei Universal eine Adaption von The Werewolf of Paris überhaupt je in Erwägung gezogen hat. Zuvor möchte ich allerdings die Gelegenheit nutzen, um darauf hinzuweisen, dass zu den zahllosen Veränderungen, die Hammer in den 60er Jahren an der Erzählung vornahm, zwei gehören, die man spontan vielleicht nicht für solche halten würde: Die Verwandlung von Oliver Reeds Leon findet unter dem Einfluss des Vollmonds statt, und der Werwolf wird am Ende mit einer silbernen Kugel zur Strecke gebracht.

Beide Motive sind für uns heute fester Bestandteil der Werwolfmythologie, doch als Guy Endore seinen Roman schrieb, waren sie das noch nicht. Dass Silber eine machtvolle Waffe gegen die finsteren Mächte ist, besitzt seine Wurzeln natürlich in "realer" Folklore, doch zum ultimativen Anti-Lykanthropikum wurde das Metall erst durch The Wolf Man (1941).** Das Vollmondmotiv wird sogar erst im Sequel Frankenstein Meets the Wolf Man (1943) eingeführt, ohne dabei bereits als der einzige Auslöser für die Verwandlung zu erscheinen. In den berühmten Versen des Originals ist nur vom "Herbstmond" die Rede. 

Dieselben Verse umschreiben recht schön, worin für mich der Reiz dieser ersten Werwolf-Variante besteht: 
Even a man who is pure in heart,
And says his prayers by night,
May become a wolf when the wolfbane blooms
And the autumn moon is bright. 
In Geschichten wie The Wolf Man erscheint Lykanthropie als ein fürchterlicher Fluch. Dieser Fluch ist nicht die Strafe für ein moralisches Fehlverhalten oder für das Brechen eines Tabus. Ebensowenig wird er von irgendeinem bösen Zauberer oder einer bösen Hexe über den Helden verhängt. Larry Talbot hat einfach das Pech, von Wolf-Bela gebissen zu werden.

Natürlich könnte man sehr leicht darauf verfallen, den Fluch der Lykanthropie als das Hervorbrechen der "Bestie im Menschen" zu verstehen. Doch ich denke, auf Geschichten dieser Art trifft eine solche Interpretation nicht zu. Hier zumindest ist der Werwolf keine haarigere Variante von Mr. Hyde. Die Lykanthropie zwingt Talbot nicht dazu, den primtiven, triebhaften Teil seines Wesens zu offenbaren, sondern vielmehr zu etwas zu werden, was seinem Wesen vollkommen fremd ist.
Das erklärt auch, warum sich dieser Werwolf nicht als romantischer Antiheld eignet. Es ist nichts romantisches daran, sich in eine blutgierige Bestie zu verwandeln, die sich ihre Opfer aller Wahrscheinlichkeit nach unter denen suchen wird, die einem am nächsten stehen. Es besteht keine Möglichkeit, sich mit dem Fluch zu arrangieren oder ihn unter Kontrolle zu bringen. Ein "normales" Werwolfdasein ist völlig undenkbar, auch wenn es aus viel düsterem und "tragischem" Gebrüte bestehen würde. Talbots Situation ist auswegslos. Am Ende von The Wolf Man wird er von seinem eigenen Vater erschlagen, und nach seiner Wiederauferstehung in Frankstein Meets the Wolf Man kennt er nur ein Ziel: Sein neuegewonnenes Leben schnellstmöglich wieder und diesmal endgültig zu beenden.
Frankensteins Kreatur trägt Züge des missverstandenen "Anderen", und selbst dem untoten Imhotep können wir ein gewisses Maß an Sympathie nicht absprechen.*** Auf den Wolfsmenschen trifft dies so nicht zu. Wir empfinden Mitleid für den Menschen Larry Talbot, aber nicht für das wölfische Monster, in das er sich verwandelt. Wenn die Bewohner von Llanwelly sich mit Fackeln und Gewehren aufmachen, den Werwolf zur Strecke zu bringen, haben sie zwar etwas von einem Lynchmob, aber dass nur deshalb, weil wir wissen, dass der von ihnen Gejagte im Grunde ein kranker Mensch ist. Doch da dessen "Krankheit" unheilbar ist, bleibt für Talbot am Ende tatsächlich kein anderer Ausweg als der Tod, sei es von fremder oder eigener Hand****

Die zweite Variante folgt der oben genannten "psychologischen" Interpretation, die im Werwolf ein Symbol für das Triebhafte im Menschen sieht – oft mit einer starken Betonung des Sexuellen. Das berühmteste filmische Beispiel dafür ist vermutlich Neil Jordans & Angela Carters Company of Wolves (1984). Tatsächlich jedoch ist diese Variante auch in der Welt des Kinos beinah so alt wie der Wolf Man.

Ein Jahr nachdem dieser seinen Leinwand-Einstand hatte feiern können, beschloss RKO eine eigene Horror-Abteilung zu gründen, um gleichfalls von dem erneuten Boom des Genres zu profitieren. Aufgabe der Abteilung solte es sein, mit wenig Geld eine Reihe von B-Movies zu produzieren, die man zusammen mit den respektableren A-Movies als Double Bill an die Kinobetreiber verkaufen würde. Zum Leiter ernannte man Val Lewton. Bei seiner Arbeit hatte dieser drei Regeln zu gehorchen: 
1.) Das Budget eines Films durfte  $150.000 nicht überschreiten,
2.) Kein Film durfte länger als 75 Minuten sein, 
3.) Die Titel der Filme wurden vom Studio vorgegeben. 
Im Gegenzug erhielt Lewton fast vollständige künstlerische Freiheit bei den unter seiner Leitung produzierten Streifen. {Zumindest was Eingriffe seitens der Studioführung anging. Natürlich musste auch er sich dem "Production Code" beugen und stets ein Auge auf die staatliche Zensur halten.} Diese Freiheit nutzte Lewton voll und ganz aus, und so entstanden unter seine Ägide eine Reihe von Horrorfilmen, die zu den interessantesten und intelligentesten Vertretern des Genres in den 40er Jahren gehören.

Der erste von ihnen war Cat People (1942), gedreht unter der Regie des großen Jacques Tourneur. Bei diesem handelt es sich natürlich nicht eigentlich um einen Werwolffilm, tatsächlich jedoch hatten die RKO-Bosse an The Wolf Man gedacht, als sie Lewton den ersten Titel für seine Horror-Abteilung aufdrückten. Heraus kam dabei kein billiger Abklatsch des Universal-Erfolgs mit Panthern statt Wölfen, sondern ein völlig eigenständiges Werk, in dem die Verwandlung der Protagonistin Irena in eine Raubkatze nun sehr offen mit sexueller Leidenschaft verknüpft wird. So gesehen denke ich, dass dieser Film sehr wohl als erstes Beispiel für die zweite Lykanthropen-Variante gelten kann.

Oberflächlich betrachtet ist Irina wie Talbot Opfer eines Fluches. Die Verwandlung geschieht ebenso zwanghaft und stürzt sie in mindenstens ebenso große Gewissensqualen wie ihren wölfischen Widerpart. Doch anders als bei ihm ist sie nichts wesensfremdes, sondern ein extremer Ausdruck ihrer eigenen, sehr menschlichen Gefühle.   



* Zit. nach: Carl Grey Martin: Guy Endore's dialectical werewolf.
** Eine silberne Pistolenkugel kommt zwar auch in The Werewolf of Paris vor, und sie wird wie ihr späteres Gegenstück in Curse of the Werewolf aus einem eingeschmolzenen Kruzifix gegossen. Doch ist es nicht sie, die zum Ableben des eponymischen Lykanthropen führt.
*** Bei Gelegenheit möchte ich mich unbedingt einmal etwas eingehender mit Universals klassischen Mumienfilmen beschäftigen. Sowohl mit Karl Freunds großartigem Original aus dem Jahre 1932, als auch mit der Kharis-Reihe der 40er Jahre, die ihrem Vorläufer zwar in keiner Weise das Wasser reichen kann, auf ihre Art aber dennoch recht unterhaltsam ist.
**** Genau genommen findet Talbot im dritten Sequel House of Dracula (1945) tatsächlich Heilung/Erlösung, aber diese finale Wendung scheint mir für die Charakterisierung der ursprünglichen Figur irrelevant zu sein. Schließlich verdanken Universals Monster-Crossovers der Mittvierziger ihre Existenz ausschließlich dem Verlangen des Studios, aus ihren populären Figuren auch noch den letzten Dollar an Profit herauszupressen. {Ja, Hollywood war schon immer so}. Und das merkt man ihnen auch an ..

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