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Montag, 29. Mai 2017

The Circus of Nights – A Hundred Delights

Zu Beginn der 70er Jahre begann sich der Niedergang des klassischen Brit-Horrors, wie er vor allem von Hammer Film Productions geprägt worden war, immer deutlicher abzuzeichnen. Weltweit neigte sich die "gotische" Ära des Horrorkinos ihrem Ende entgegen.

Um dem Dahinschmelzen der Zuschauerzahlen entgegenzuwirken, setzte das House of Hammer nicht nur auf etwas mehr Sex & Gore, sondern versuchte auch, sein Publikum mit originelleren Herangehensweisen an die typischen Stoffe des "Gothic Horror" zu ködern. Und so kommen wir in den letzten Jahren von Hammers Blütezeit in den Genuss einiger besonders eigenwilliger oder schlicht bizarrer Werke wie Dr. Jekyll & Sister Hyde (971; vgl. hier), Dracula A.D. 1972 (1972), Demons of the Mind (1972), Captain Kronos – Vampire Hunter (1972/74; vgl. hier) oder The Legend of the 7 Golden Vampires (1974). Robert Youngs Vampire Circus (1972) gehört ohne Frage gleichfalls zu dieser Gruppe.



Während Dracula im selben Jahr in das London der Swinging Sixties übersiedelte, bewahrten sich einige seiner vampirischen Verwandten ihre Liebe zum klassischen Hammer Horror - Land – jener nur vage definierten mitteleuropäischen Region des 19. Jahrhunderts, wo die Leute zwar deutsch klingende Namen tragen und scheinbar Untertanen der K&K - Monarchie sind, die Priester aber dennoch in der Gewandung orthodoxer Popen durch die Gegend laufen. 
Zu dieser traditionsbewussten untoten Sippschaft gehörte auch Graf Mitterhaus (Robert Tayman).

Die Bewohner der kleinen Ortschaft Stetl – die ganz offensichtlich kein "Schtetl" ist – haben genug von dem blutigen Treiben ihres Feudalherrn, der seine vampirischen Reißzähne mit Vorliebe in die Kehlen kleiner Kinder versenkt, die ihm von seiner Geliebten Anna (Domini Blythe), der Gattin des Dorfschullehrers Müller, zugeführt werden. Mit Annas Eheman (Laurence Payne) an der Spitze stürmen die braven Bürger die Burg des blaublütigen Blutsaugers, jagen ihm den traditionellen Holzpflock durchs Herz und legen das Gemäuer mithilfe großzügiger Mengen Schwarzpulvers in Schutt und Asche. Bevor er sein untotes Leben aushaucht, hat der Graf allerdings noch die Gelegenheit, Stetl und seine Bewohner zu verfluchen und seine einstige Rückkehr anzukündigen.
Fünfzehn Jahre später wird das Dorf von einer geheimnisvollen Seuche heimgesucht, in der viele die Erfüllung dieses Fluches sehen. Der aufgeklärte Doktor Kersh (Richard Owens) hält das freilich für abergläubischen Unsinn, und macht sich lieber in die Hauptstadt auf, um den Rat wissenschaftlicher Autoritäten einzuholen und die notwendige Medizin zu organisieren. Was nicht so ungefährlich ist, da Stetls Nachbarn aus Furcht vor der Pest alle Zugangswege abgeriegelt haben und nicht zögern, ihre Gewehre zu benutzen.
Nachdem sich der gute Doktor auf den Weg gemacht hat, taucht überraschend ein Wanderzirkus unter Leitung einer namenlosen Zigeunerin (Adrienne Corri) in Stetl auf. Zu den Schaustellern gehören ein Zwerg (Skip Martin), ein Kraftmensch (David Prowse), ein Akrobaten-Zwillingspaar (Lalla Ward & Robin Sachs), zwei erotische Tänzer (Serena & Milovan Vesnitch), sowie der gestaltswandelnde Panthermensch Emil (Anthony Higgins), der eine starke sexuelle Anziehungskraft auf Rosa (Christina Paul), die junge Tochter des Bürgermeisters (Thorley Walters), ausübt. Doch was anfangs wie eine angenehme – wenn auch leicht unheimliche – abendliche Ablenkung für die arg gebeutelte Dorfgemeinschaft wirkt, erweist sich schon bald als tödliche Bedrohung. Denn der "Circus of Nights" ist gekommen, um die Wiederauferstehung von Graf Mitterhaus in die Wege zu leiten. Können Doktor Kerschs Sohn Anton (John Moulder-Brown) und Müllers Tochter Dora (Lynne Frederick) den diabolischen Plan der vampirischen Schausteller durchkreuzen, oder wird es diesen gelingen, Mitterhaus' Rache an Stetls Bürgern und ihren Kinder zu vollstrecken?

In Hammers Spätphase kamen häufiger Leute zum Einsatz, die nicht zum alten Stab der B-Movie-Schmiede gehörten. So z.B. Drehbuchschreiber Tudor Gates, der zuvor an der Produktion von Roger Vadims Barbarella (1968) und Mario Bavas Danger Diabolik (1968) mitgewirkt hatte, und Anfang der 70er. Hammers "Karnstein-Trilogie" (The Vampire Lovers [1970], Lust for a Vampire [1971], Twins of Evil [1971]) kreierte. Oder Avengers - Schöpfer Brian Clemens, der für Dr. Jekyll & Sister Hyde (1971) sowie Captain Kronos (1972/74) verantwortlich zeichnete.
Im Falle von Vampire Circus nahm dieses Bemühen um eine Art künstlerische Frischzellenkur einen besonders pointierten Charakter an, waren doch sowohl Drehbuchautor Judson Kinberg als auch Regisseur Robert Young völlige Neulinge in ihrem jeweiligen Metier. Wer auch immer bei Hammer für diese Wahl verantwortlich gewesen war, hatte ein sicheres Händchen bewiesen. Zwar ist Kinbergs Script etwas wirr, doch gelingt es Young, seinem Film eine wundervoll bizarre und ziemlich düstere Atmosphäre zu verleihen. Freilich stand ihm dabei mit Kameramann Moray Grant ein altgedienter Hammer - Veteran zur Seite. Auch konnte er sich auf ein solides Schauspiel-Ensemble stützen, zu dem u.a. einige Semi-Berühmtheiten des phantastischen Films wie Adrienne Corri (A Clockwork Orange), Skip Martin (The Masque of the Red Death) und David Prowse (Darth Vader) gehörten.

Von der meisterlich verstörenden Eröffnungsszene an, in der Anna ihrem untoten Liebhaber ein junges Mädchen zuführt, ist dem Film etwas Bedrückendes eigen. Das Stürmen der Burg und das Pfählen des Grafen wirken kaum wie ein echter Triumph des Guten, und sobald wir "in die Gegenwart" springen, werden wir mit Bildern von Pestleichen und mit Streit und Misstrauen unter den Dorfhonoratioren konfrontiert. Stetls auffallenderweise stets gesichtslos bleibende Nachbarn, die jeden zu ermorden drohen, der dem seuchenverheerten Dorf zu entkommen versucht, wirken mindestens so unmenschlich wie die dämonischen Schausteller. Möglicherweise sogar noch ein wenig unmenschlicher als diese.

Die meisten frühen Hammer - Horrorfilme folgten dem von Terence Fisher geprägten Modell von "Savant & Monster", das Kim Newman in Nightmare Movies wie folgt charakterisiert:
Hammer Horror treats the "normal" characters and the audience as innocent bystanders caught in a private battle between the forces of Good and Evil, as represented by the Savant and the Monster ... [The Savant typically is] an elderly mystic, steeped in arcane knowledge, apparently rational, but with an Old Testament streak of "vengeance is mine" fundamentalism. The Monsters tend to be as suave, attractive and plausible as Christopher Lee's Dracula, and as prone to red-eyed, fangs-bared hissing when thwarted.* 
In diesem Konzept spiegelte sich etwas von Fishers eigener, stark religiös geprägter Weltsicht wider:
If my films reflect my own personal view of the world in any way, it is in their showing of the ultimate victory of good over evil, in which I do believe.**
Ein solches Konzept, das auf einer unerschütterlichen Gut-Böse-Dichotomie basierte, musste sich im Laufe der Zeit als eine erzählerische Zwangsjacke erweisen. Und so relativieren die interessantesten Filme aus Hammers Spätphase allesamt auf die eine oder andere Weise das alte Modell, und damit auch den moralischen Rigorismus, den es verkörperte.

Vampire Circus bildet da keine Ausnahme. Der "Savant" Dr. Kersh glaubt anfangs nicht an Vampire und ist für den Großteil der Handlung nicht einmal anwesend. Ähnliches gilt für das "Monster" Mitterhaus. Ins Zentrum des Geschehens rücken damit die Schausteller. Und diese bilden eine Gemeinschaft, in der anders als bei Kreaturen der Nacht üblich keine strenge Hierarchie, sondern vielmehr ehrliche Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zu herrschen scheinen. Mitunter können sie beinahe wie verfolgte Underdogs wirken, die sich für die ewigen Zurückweisungen, das Misstrauen und die Bigotterie, welche ihnen von den "ehrbaren Bürgern" entgegengebracht werden, zu rächen versuchen.
Dass die meisten ihrer Opfer Kinder oder Heranwachsende wie Rosa sind, zerstört freilich sofort wieder jede Sympathie, die wir für sie entwickeln könnten. Vor allem Skip Martins Zwerg gewinnt im Verlaufe des Films eine wahrhaft dämonische Ausstrahlung. Doch selbst dann noch herrscht eine beunruhigende Symmetrie zwischen der Gewalt der Vampire und der der Dorfbewohner. Zwei Szenen illustrieren dies sehr schön: Wenn Dora über die grausigen Überreste eines Massakers stolpert, das Emil in Pantherform an einer flüchtigen Familie in den Wäldern angerichtet hat, entdeckt sie dabei einen abgerissenen Kopf, der in einem Baum hängt. Und im großen Finale enthauptet Anton seinerseits mit Hilfe einer findig eingesetzten Armbrust den wiederauferstandenen Mitterhaus.

Vielleicht weniger innovativ, aber doch erwähnenswert ist die Darstellung von Erotik und Sexualität in Vampire Circus. Den Höhepunkt der ersten Aufführung des "Circus of Nights" bildet ein erotischer Tanz, bei dem ein "Löwenbändiger"  und eine nur mit Bodypainting "bekleidete" "Tigerfrau" in einen wilden und sinnlichen Zweikampf verwickelt sind. Dieser Tanz setzt den Ton für den gesamten Film. Sex erscheint durchgehend als etwas gefährliches, am deutlichsten natürlich im Falle der naiven Rosa, die Emils animalischem Charme erliegt und dafür am Ende mit ihrem Leben bezahlen muss. Im Gegensatz dazu wirkt die Beziehung zwischen unseren Helden Anton und Dora gänzlich unsinnlich. Dass die beiden ein Liebespaar sein sollen, istt wenig überzeugend. Wobei freilich erschwerend hinzukommt, dass Dora überhaupt erst nach der Hälfte des Films zum ersten Mal auftaucht. Eine bizarre Entscheidung des Drehbuchautors. Ob man all das als latente Sinnenfeindlichkeit zu interpretieren hat, sei dahingestellt.

Zusammenfassend sei gesagt, dass Vampire Circus aufgrund seiner düsteren Atmosphäre und seines Hangs zum Bizarren, der sich vor allem in der Darstellung des "Circus of Nights" – seiner Mitglieder und ihrer abendlichen Aufführungen – äußerst, ein wirklich sehenswerter Vertreter der Spätphase von Hammer ist.

{Ach ja, und wer sich daran stört, dass die Vampire in diesem Film immun gegen Sonnenlicht sind, sei daran erinnert, dass weder Le Fanus Carmilla, noch Bram Stokers Dracula an dem bei "modernen" Vampiren üblichen Handicap litten. Beide hatten zwar eine intensive Abneigung gegen das Tagesgestirn, wurden von diesem aber nicht zu einem Häuflein Asche verbrannt.}
 


* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88.S. 13.
** Zit nach: The House of Horror. The Complete Story of Hammer Films. S. 15.

Samstag, 27. Mai 2017

Strandgut der Woche

Mittwoch, 24. Mai 2017

Cineastischer Vandalismus

Mit dem scheinbar nicht mehr aufzuhaltenden Heraufdämmern des Universal Monsters - Universums, dem von irgendwelchen besonders einfallslosen PR-Typen der aufregende neue Titel Dark Universe verpasst wurde, hat Hollywoods Reboot - Overkill einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Die traurige Saga begann ungefähr vor vier Jahren. Ursprünglich eine Ausgeburt des Hirns von Roberto Orci, wurde die Idee zu dem "Cineastischen Universum" von der Chefetage des Studios gierig aufgegriffen, und im Juli 2014 beauftragte man Orcis alten Kumpel Alex Kurtzman und Fast & Furious - Serientäter Chris Morgan damit, das diabolische Projekt in Angriff zu nehmen. In dem verzweifelten Bemühen, ein Franchise aus dem Boden zu stampfen, das es mit Disneys Marvel Cinematic Universe aufnehmen könnte, schien den Universal-Mächtigen das schamlose Ausplündern des eigenen filmischen Erbes ein brillanter Einfall zu sein. Wie es Studio-Bossin Donna Langley im November 2014 in einem Interview mit dem Hollywood Reporter ausdrückte: "We don't have any capes [in our film library]. But what we do have is an incredible legacy and history with the monster characters." Langleys Ausführungen sprechen Bände sowohl über den respektlosen Umgang der Studios mit den Schätzen ihrer eigenen Vergangenheit, als auch über ihre tiefe Verachtung für das zahlende Publikum: "[W]e took a good, hard look at it, and we settled upon an idea, which is to take it out of the horror genre, put it more in the action-adventure genre and make it present day, bringing these incredibly rich and complex characters into present day and reimagine them and reintroduce them to a contemporary audience." Da das heutige Publikum offenbar unfähig ist, Zugang zu alten Filmen zu finden, muss man diese "neu erfinden", und das bedeutet im Falle der "reichen und komplexen Charaktere" der Universal-Monster, dass man sie zu Actionhelden macht.

Fairerweise sei hier kurz hinzugefügt, dass man etwas ähnliches zehn Jahre zuvor schon einmal mit Stephen Sommers' abgrundtief miesem Van Helsing versucht hatte. Doch waren das noch die friedlichen Zeiten vor der Erfindung der Cineastischen Universen gewesen. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, eine solche Schnapsidee auf die Größe eines Mega-Franchises aufzublähen, dessen künftige Entwicklung man im Stile eines Fünf-Jahres-Plans über eine halbe Dekade im voraus festlegt. Auch war Van Helsing zwar als eine {hust - hust} "Hommage" an den Universal - Horror der 30er Jahre gedacht gewesen, doch hatte man ihn nicht zu einem offiziellen Reboot der alten Klassiker erklärt. Wenn überhaupt,.so konnte man in ihm höchsten eine missglückte Neuauflage der Crossover-Monsterfilme der 40er Jahre sehen, die das Ende der klassischen Ära des Universal-Horrors gebildet hatten.

Wie dem auch sei, nach 2014 wurde es erst einmal wieder etwas ruhiger um das Projekt. Die kurzzeitig erwogene Idee, Gary Shores Dracula Untold (2014) zu einem Teil des Cineastischen Universums zu machen, wurde schnell fallengelassen, und auch wenn es in der Folgezeit immer klarer wurde, dass wir zumindest um ein Reboot des Reboots von The Mummy wohl nicht herumkommen würden, blieb das Projekt als Ganzes doch angenehm vage. Als Ende letzten Jahres bekannt wurde, dass Dr. Jekyll einen Gastauftritt in dem neuen Action-Mumien-Spektakel haben würde, ließ sich das zwar kaum anders als der offizielle Startschuss für das Universal Monsters - Universum interpretieren, doch selbst dann noch blieben Alex Kurtzmanns entsprechende Kommentare in einem Interview mit io9 auffallend vorsichtig.

Aber die Ereignisse dieser Woche haben auch das das letzte Bisschen Hoffnung, dieser Akt cineastischen Vandalismus werde uns vielleicht doch noch erspart bleiben, gründlich zerstört.

 
Dieser erste offizielle Trailer besteht aus nicht mehr als irgendwelchen zusammengeschnippelten Szenen aus Dracula (1931), Frankenstein (1931), The Mummy (1932), The Invisible Man (1933), Bride of Frankenstein (1935), The Wolf Man (1941) und Creature from the Black Lagoon (1954), aber gerade deshalb wirkt er wie eine zynische Verhöhnung der Klassiker. Dem Ganzen ist ein pseudo-epischer Soundtrack von Danny Elfman unterlegt, mit dem wir auf den Action-Blockbuster-Charakter des kommenden Cineastischen Universums eingestimmt werden, derweil aus dem Zusammenhang gerissene Dialogfetzen wie Imhoteps "Thou Shalt Rise Again" zu PR-Slogans für dieses repektlose Unternehmen umfunktioniert werden.

Die folgende Zusammenfassung der Grundidee von Dark Universe sollte auch dem letzten verdeutlichen, dass dieses Projekt nichts anderes ist als der traurige Versuch, einen Konkurrenten zum Marvel Cinematic Universe aufzubauen, wobei man offenbar glaubte, auf originelle Ideen verzichten zu können, wenn man stattdessen ikonische Figuren der Kinogeschichte zu modernen Action-Hampelmännern machen kann:
Led by the enigmatic and brilliant Dr. Henry Jekyll, Prodigium’s mission is to track, study and - when necessary - destroy evil embodied in the form of monsters in our world. Working outside the aegis of any government, and with practices concealed by millennia of secrecy, Prodigium protects the public from knowledge of the evil that exists just beyond the thin membrane of civilized society…and will go to any length to contain it.     
Man könnte natürlich einwenden, Dr. Jekylls "Prodigium" müsse doch nicht notwendigerweise ein Abklatsch von Marvels S.H.I.E.L.D. sein, sondern könne sich ebensogut an Vorbildern wie Alan Moores League of Extraordinary Gentlemen orientieren. Dazu müsste man allerdings schon verdammt naiv sein ...

Montag, 22. Mai 2017

Der Wij

Das sowjetische Kino ist für vieles bekannt und berühmt, aber ganz sicher nicht für seinen Beitrag zum Horrorfilm. Die stalinistische Kulturdoktrin betrachtete das Genre wohl als einen Ausdruck "westlich-bourgeoiser Dekadenz", und so war es den Filmschaffenden der UdSSR lange Zeit verwehrt, das Schattenreich der Geister und Dämonen, der Vampire und Werwölfe zu erkunden. 

Oft wird die unter der Regie von Georgij Kropatschjow und  Konstantin Erschow 1967 gedrehte Adaption von Nikolai Gogols klassischer phantatischer Erzählung Der Wij als der "erste sowjetische Horrorfilm" bezeichnet. Aber im Grunde tut man dem Streifen meiner Meinung nach mit einer solchen Kategorisierung keinen Gefallen, könnten dadurch doch falsche Erwartungen geweckt werden.



Gogol hatte seiner Geschichte eine Anmerkung hinzugefügt, die auch dem Film vorangestellt ist: "Diese ganze Erzählung ist eine Volksüberlieferung.  Ich wollte an ihr nichts ändern und gebe sie hier fast ebenso schlicht wieder, wie ich sie gehört habe." In Wirklichkeit ist das Werk zwar eine originäre Schöpfung Gogols, auch wenn  sich dieser bei seiner Abfassung durch Elemente der ukrainischen Folklore inspirieren ließ, dennoch scheint mir dies der richtige Kontext zu sein, in dem man auch die filmische Adaption des Wij betrachten sollte.

Der Film war Erschows Regiedebüt, und Kropatschjows Expertise lag ohnehin eher im Produktionsdesign. Für den Charakter des Werkes bestimmend scheinen mir deshalb weniger diese beiden, als vielmehr ihr Lehrer Aleksandr Ptuschko zu sein, der nicht nur Mitverfasser des Drehbuchs, sondern auch "artistic director and filming supervisor" war.

Der im Jahre 1900 als Aleksandr Lukitsch Ptuschkin in eine ukrainische Bauernfamilie hineingeborene Filmemacher und SFX-Künstler war so etwas wie ein sowjetischer Ray Harryhausen. Er begann seine Karriere bei Mosfilm 1927 als Modelleur und Puppenmacher für Stop-Motion-Kurzfilme, bei denen er bald darauf auch die Regie führte. 1932 übernahm er ein Lehramt am Staatlichen All-Unions-Institut für Kinematographie (VGIK). Im selben Jahr drehte er mit Vlastelin byta / The Lord of Daily Life den ersten sowjetischen Animations-Tonfilm von abendfüllender Länge. Bald darauf begannen er und sein Team mit der ehrgeizigen Arbeit an Der Neue Gulliver, in dem menschliche Akteure mit einer ganzen Armee von 3.000 Stop-Motion-Figuren interagieren. Der 1935 fertiggestellte Film ist streckenweise sehr charmant, aufgrund des stalinistischen "Junge Pioniere" - Pathos mitunter aber auch etwas irritierend. In der Sowjetunion war der Streifen jedenfalls ein großer Erfolg und führte dazu, dass Ptuschko zum Leiter der Mosfilm-Abteilung für Puppen und Animation ernannt wurde. In der Folge begann er sich verstärkt dem Märchen zuzuwenden, und schuf u.a. Adaptionen von Alexander Puschkins Geschichte vom Fischer und dem Fischlein (1937) und Alexej Tolstois Pinocchio-Variante Das Goldene Schlüsselchen (1939).
Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Ptuschko nach dem Zweiten Weltkrieg, als er sich vom Animationsfilm abwandte und stattdessen begann, episch-phantastische Filme zu drehen, als deren Quellen ihm die Volksüberlieferung (Die Steinerne Blume [1946]), die altrussischen Bylinen / Heldenepen (Sadko [1953], Ilja Muromez [1956]), das finnische Kalevala (Sampo [1958]) und erneut die Werke Puschkins (Das Märchen vom Zaren Saltan [1966]; Ruslan und Ljudmila [1973]) dienten.
Es wäre äußerst lohnend, sich einmal ausführlicher mit Ptuschkos phantastischem Nachkriegs-Oeuvre zu beschäftigen, doch für den Moment muss eine oberflächliche und allgemeine Einschätzung genügen: Der Zugriff der stalinistischen Doktrin machte selbst vor dem Reich der Mythen und Sagen nicht halt, was sich u.a. in einem stellenweise recht aufdringlichen Patriotismus und dem staatlich verordneten Optimismus, den alle "sozialistischen Kunstwerke" zu verkörpern hatten, äußert. Allerdings enthalten die Filme daneben auch immer wieder leicht subversive Elemente. Doch was ihre besondere Qualität ausmacht ist vor allem die großartige Cinematographie, der fantasievolle Einsatz von Tricktechnik, die mitunter wahrhaft epischen Dimensionen {in Ilja Muromez erleben wir sage und schreibe 11.000 Pferde in Aktion!} sowie der originelle und poetische Umgang mit  Farben und Kulissen.

Episch ist Der Wij natürlich nicht, doch davon abgesehen teilt er viele Charakteristika mit Ptuschkos phantastischen "Sowjet-Blockbustern".

Die Handlung folgt ziemlich getreu der gogol'schen Vorlage. Die drei Seminaristen/Bursaken Choma Brut (Leonid Kurawljow), Chaljawa (Wadim Sachartschenko) und Gorobetz (Wladimir Salnikow) verirren sich auf ihrer Wanderung in die Heimat in einer scheinbar menschenleeren Wildnis. Schließlich stoßen sie doch noch auf ein einsames Gehöft, und es gelingt ihnen, die dort lebende Greisin dazu zu überreden, sie bei sich nächtigen zu lassen. Freilich müssen sie an getrennten Orten schlafen. Choma hat es sich gerade notdürftig in einem Heuhaufen bequem gemacht, als die Alte wieder auftaucht und ihn bedrängt. Es erweist sich schnell, dass es sich bei ihr um eine Hexe handelt, die den armen Bursaken dazu zwingt, mit ihr auf dem Buckel durch die Nacht zu fliegen. Als sie schließlich wieder landen, gelingt es Choma den Bann zu brechen und er prügelt das alte Weib halb tot. Die ohnmächtige Hexe verwandelt sich vor seinen Augen in eine wunderschöne junge Frau, woraufhin er verstört das Weite sucht.
Zurück im Priesterseminar erfährt Choma, dass die Tochter eines reichen Wohltäters der Institution im Sterben liegt und ganz speziell ihn als geistlichen Beistand angefordert hat. Choma ist alles andere als begeistert von diesem Auftrag, doch alle seine Versuche, sich ihm zu entziehen, scheitern, und schließlich gelangt er zusammen mit einer Gruppe von Kosaken auf den großen Gutshof des Hauptmanns. Die Tochter allerdings ist in der Zwischenzeit bereits verstorben. Entsetzt muss Choma feststellen, dass es sich bei ihr um die Hexe aus seinem nächtlichen Abenteuer handelt. Ihr Vater zwingt ihn dazu, drei Nächte lang in der Kirche für die Erlösung ihrer Seele zu beten. Und jedesmal erhebt sich die Tote (Natalja Warlej)  aus ihrem Sarg, um Rache an ihrem Mörder zu nehmen, der sich zwar durch einen magischen Kreidekreis zu schützen versteht, jedoch zunehmend von der Angst in den Wahnsinn getrieben wird. In der letzten Nacht schließlich beschwört die Erschlagene ein Pandämonium von Geistern, Dämonen und Untoten herauf, unter deren Ansturm Choma schließlich zusammenbricht.

Wer an den Wij mit der Erwartung herangeht, es mit einem Horrorfilm zu tun zu haben, wird möglicherweise eine herbe Entäuschung erleben. Der Film enthält keinerlei Gore und auch keine echten Schockmomente. Chomas Nachtwachen haben eine wundervoll phantasmagorische Atmosphäre, aber auch sie zielen nicht wirklich darauf ab, dem Publikum Angst einzuflößen.
Dem Charakter des Films sehr viel näher kommt man meiner Ansicht nach, wenn man ihn als eine Art düsteres Märchen betrachtet. Statt ihn mit dem britischen, amerikanischen oder italienischen "Gothic Horror" der 60er Jahre zu vergleichen, sollte man ihn lieber in der Tradition der sowjetischen "folkloristischen" Phantastik sehen, wie sie durch Künstler wie Ptuschko geprägt wurde. Das nicht unbedingt optimistische Ende unterscheidet ihn freilich recht deutlich von den meisten anderen Vertretern dieses Genres.
Ganz so wie Nikolai Gogols Erzählung sowohl humoristische als auch unheimliche Elemente enthält, vermischt der Film eine ganze Reihe unterschiedlicher ästhetischer Herangehensweisen. Das Treiben der Bursaken im Priesterseminar und Chomas gemeinsames Besäufnis mit den Kosaken tragen burleske Züge. Die Darstellung des Lebens der Bauern und Kosaken wirkt eher bodenständig-realistisch. Und während der nächtlichen Attacken der untoten Hexe stößt der Film schließlich in surrealistische Gefilde vor. Dennoch bildet der Film so etwas wie eine organische Einheit. Dabei unterstreicht der häufige Einsatz von Liedern und Gesängen den "folkloristischen" Charakter des Ganzen.
Leonid Kurawljow glänzt in der Rolle des Choma, der sich von einem lebensfrohen Taugenichts nach und nach in ein psychisches Wrack verwandelt. Besonders beeindruckt hat mich die Szene nach der zweiten Nachtwache, wenn der gänzlich verstörte Seminarist wie wild einen Kosakentanz auf dem Dorfplatz aufzuführen beginnt. 
Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob ich die Nachtwachen selbst als die Höhepunkte des Films bezeichnen würde, doch handelt es sich bei ihnen ganz ohne Frage um äußerst beeindruckende Szenen. Unter der Leitung ihres Lehrer Ptuschko verwandeln die beiden Regisseure das Innere der kleinen Dorfkirche mit ihren verblichenen Ikonen und unzähligen, flackernden Kerzen in eine gespenstische Anderswelt. Der äußerst atmosphärische Einsatz von farbigem Licht macht aus dem untoten Mädchen eine wahrhaft dämonische Gestalt. Wilde Kamerafahrten versinnbildlichen die Panik und den wachsenden Wahnsinn Chomas. Und auch wenn der finale Auftritt des Wij aufgrund der bescheidenen Tricktechnik etwas antiklimaktisch wirkt, gefällt mir im großen und ganzen doch auch das Pandämonium umherwuselnder grauer Gestalten in der letzten Nacht.

Kritiker und Filmhistoriker Tim Lucas hat Aleksandr Ptuschko offenbar einmal mit Mario Bava verglichen. Und tatsächlich erinnert auch in Der Wij manches an den Stil des italienischen Maestros. Am augenfälligsten ist dabei natürlich der Umgang mit Farben. Doch auch über solche visuellen Ähnlichkeiten hinaus, ist es recht interessant, den Film mit dem italienischen Horrorkino der 60er Jahre, zu dessen größten Vertretern Bava gehörte, zu vergleichen. Zwar enthält der sowjetische Streifen nichts von dem offenen Erotizismus der Italiener, dennoch scheint er mir im Kern ein stark "erotisches" Motiv zu enthalten.
Das "verwerfliche" Treiben der Hexe besteht letztenendes darin, sexuelle Dominanz über Männer haben zu wollen. Das wird nicht nur in Chomas unfreiwilligem "Ritt durch die Lüfte" versinnbildlicht, sondern auch in einer Geschichte, die die Bauern über die verstorbene Gutsherrentochter erzählen. Damit verstößt die junge Frau auf "teuflische" Weise gegen die Moral der patriarchalischen Gesellschaft, in der die Handlung angesiedelt ist. Für diesen Verstoß wird sie von Choma bestraft, der sie quasi zu Tode prügelt.  So gesehen ist die Konfrontation zwischen dem Bursaken und der rachsüchtigen Untoten nicht mehr einfach ein Kampf zwischen Gut und Böse, und wir sind uns gar nicht mehr so sicher, auf welcher Seite unsere Sympathien liegen.

Aber auch wenn man sich einer solchen Interpretation nicht anschließen kann, bleibt Der Wij doch ein faszinierender, atmosphärisch dichter kleiner Film, den ich allen Freunden & Freundinnen des phantastischen Kinos nur wärmstens empfehlen kann.

Samstag, 20. Mai 2017

Strandgut der Woche

Montag, 15. Mai 2017

Willkommen an Bord der "Liberator" – S01/E09: "Project Avalon"

Ein Blake's 7 - Rewatch
 
Project Avalon ist eine der schwächeren Episoden der ersten Staffel von Blake's 7. Grund hierfür ist weniger die Story, die für sich genommen durchaus passabel erscheint, als vielmehr das eigenartige Pacing. Die Handlung entfaltet sich in einem reichlich zähen Tempo, bis es in den letzten zehn Minuten urplötzlich zu einem überhasteten und gänzlich unbefriedigenden Finale kommt. Die Bedrohung, die so umständlich aufgebaut wurde, verpufft auf ungeheuer ineffektive Weise, wenn simples Glück und ein ungeschickt plaziertes Kleidungsstück unsere Helden und Heldinnen vor dem sicheren Tod bewahren.

Dennoch besitzt auch diese Folge ihre interessanten Momente. Doch bevor ich auf sie eingehe, zuerst einmal eine kurze Inhaltszusammenfassung:

Auf einem unwirtlichen Eisplaneten bereiten sich die Rebellenführerin Avalon (Julia Vidler) und ihre Anhänger darauf vor, ihr unterirdisches Winterlager zu beziehen, bevor die monatelange "Große Kälte" über ihre Hemisphäre hereinbricht. Zugleich hat die äußerst rührige Dissidentin, die bereits auf einer ganzen Reihe von Welten Widerstandsbewegungen aufgebaut hat, Kontakt zu Blake aufgenommen, um gemeinsame Aktionen gegen die Föderation zu planen. Doch bevor die Liberator den Planeten erreicht, wird Avalon von einem ihrer Leute an das Regime verraten. Commander Travis lässt die Rebellengruppe auf bewährte Weise abmetzeln. Nur Avalon selbst wird verschont. Nicht nur ist sie im Besitz wertvoller Informationen, ihre Gefangennahme ist außerdem Teil eines Plans, mit dem der bislang recht erfolglose Space Commander hofft, endlich Blake zu eleminieren und zugleich die Liberator in seine Hände zu bekommen. Wenig später trifft Supreme Commander Servalan auf dem Planeten ein, um das "Projekt Avalon" persönlich zu überwachen. Als es Blake, Jenna und Vila zusammen mit dem Rebellen Chevner (David Bailie), der als einziger das Massaker in den Höhlen überlebt hat, gelingt, in den Gefängniskomplex einzudringen und Avalon zu befreien, scheint Travis erneut eine Niederlage erlitten zu haben. Doch ist die Person, die unsere Helden auf die Liberator mitbringen, tatsächlich die berühmte Revolutionärin?

Gar zu viel habe ich über Project Avalon nicht zu sagen. Die Rebellenführerin selbst bleibt eine äußerst blasse Figur. Im Grunde ist sie ein bloßes MacGuffin, und es verwundert darum nicht gar zu sehr, dass die Serie sie nie wieder erwähnen wird. Aber auch unsere Helden und Heldinnen hinterlassen keinen besonders starken Eindruck, wenn man von einigen kurzen Momenten absieht, in denen auf ebenso sympathische wie zurückhaltende Weise angedeutet wird, dass zwischen den Mitgliedern der Liberator-Crew inzwischen ein quasi-familiäres Verhältnis herrscht. Einmal mehr denke ich hier vor allem an eine kurze, wortlose Szene zwischen Cally und Avon.

Doch der stärkste Part der Episode ist ganz ohne Frage das erneute Zusammentreffen von Travis und Servalan. Das Zusammenspiel von Stephen Greif und Jacqueline Pearce ist einfach großartig. Wie wir bereits aus Seek-Locate-Destroy wissen, sieht sich Travis als der harte Frontsoldat, der tut, was getan werden muss. Für das ewige Intrigieren und Taktieren der höheren Ränge und der politischen Führung hat er nur Verachtung übrig. Gleichzeitig ist er sich bewusst, dass er auf Servalans Wohlwollen angewiesen ist. Die Oberste Befehlshaberin ihrerseits weiß sehr gut, dass sie am längeren Hebel sitzt, und lässt ihn das auch deutlich spüren. Zwischen den beiden herrscht eine permanente Spannung.
Wenn Servalan erwähnt, dass es kürzlich zwei Anschläge auf ihr Leben gegeben habe, und Travis darauf erwiedert "I have [heard]. I was very concerned", ist deutlich zu spüren, dass der Space Commander in Wahrheit nie auch nur einen Gedanken an das Wohlergehen seiner Vorgesetzten verschwendet hat. Doch diese macht ihm sehr schnell klar, dass er sich in einer Position befindet, in der er gänzlich von ihr abhängig ist: "I think you should know that there's been considerable criticism of your handling of the Blake affair. [...] [S]o far your operation has been very costly and there have been no worthwhile results." Anders als die Oberste Befehlshaberin, die ihr wahren Gefühle stets hinter einem charmanten Lächeln verbirgt, reagiert Travis auf diesen Vorwurf mit offener Wut. Er fühlt sich ungerecht behandelt und zeigt dies auch sehr deutlich: "That's not entirely just. There have been two occasions where I could have destroyed Blake. It was only the Administration's insistence that the Liberator be captured undamaged that stopped me." {Von einem derartigen Befehl hatten wir bislang noch nichts gehört. Vielmehr hatte Travis in Duel ganz klar versucht, die Liberator zu zerstören. Doch übergehen wir das für den Moment.} Servalan versichert ihm, dass er zumindest für den Moment immer noch ihr Vertrauen genießt, macht ihm jedoch im selben Atemzug deutlich, dass sie ihn jederzeit fallen lassen kann.
Travis: I think Project Avalon will silence the critics.
Servalan: It does seem an excellent plan. It should have every chance of success.
Travis: I'm glad you approve.
Servalan: Oh, Travis, you know better than that. In my position one never approves anything until it is an undisputed success.   
Alles in allem eine großartige Szene.

So, viel mehr will mir zu Project Avalon nicht einfallen. Außer vielleicht noch, dass ich es schade finde, dass es sich bei Travis' Mutoid-Adjutantin nicht um die Pilotin aus Duel handelt.
  

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Samstag, 13. Mai 2017

Strandgut der Woche

Mittwoch, 10. Mai 2017

Expeditionen ins Reich der Eighties-Barbaren (XVII): "Thor Il Conquistatore"

Es ist über anderthalb Jahre her, seit unsere abenteuerliche Queste durch die wüste und wunderliche Welt des Sword & Sorcery - Films der 80er Jahre mit Franco Prosperis Gunan Il Guerriero (1983) ihr ungeplantes und vorzeitiges Ende fand. 
Nun stecke ich schon seit einiger Zeit in einer besonders bedrückenden und quälenden depressiven Phase, und da dachte ich mir, ein erneuter Abstecher in das verrückte Reich des Barbarenkinos könnte mir wenigstens anderthalb Stunden amüsanter Ablenkung verschaffen. Es sollte anders kommen, denn unglücklicherweise fiel meine Wahl dabei auf Tonino Riccis Thor Il Conquistatore (1983).

Die deutschsprachige Wikipedia behauptet, bei dem Flick handele es sich "nach Ansicht vieler Kritiker um den schlechtesten Beitrag zum Genre des Barbarenfilms". Diesem Urteil kann ich mich zwar nicht voll anschließen, doch ist er ganz ohne Frage der abstoßenbdste Vertreter seiner Gattung, den ich bislang unter die Augen bekommen habe. Und das will nach solchen Monstrositäten wie Deathstalker (1983), Deathstalker and the Warriors from Hell (1988) und Sorceress (1982) einiges heißen. Doch wie unappetitlich diese Streifen in mancherlei Hinsicht auch sein mögen, keiner von ihnen verherrlicht ganz offen Vergewaltigung. So weit wäre Roger Corman selbst in seinen schmierigsten Fantasyproduktionen nicht gegangen. Tonino Ricci hingegen waren derlei Skrupel offenbar fremd.

Nachdem ich anderthalb Stunden meines Lebens durch sein übles Machwerk verschwendet hatte, fühlte ich mich nicht dazu getrieben, die Karriere des 1927 in Rom geborenen Filmemachers, der seine Flicks für gewöhnlich unter dem Pseudonym Anthony Richmond veröffentlichte, genauer zu erforschen. Es sei nur soviel gesagt, dass Ricci als Regieassistent zwar unter solchen Titanen des italienischen Genrefilms wie Mario Bava und Lucio Fulci gearbeitet hat, selbst jedoch nie über den Status eines Low Budget - Hacks hinausgelangte.

Ich will nicht leugnen, dass die Eröffnungssequenz von Thor Il Conquistatore durchaus vielversprechend auf mich gewirkt hat: Zu extrem dramatischer Musik marschieren auf wenig dramatische Weise drei Gestalten durch ein grünes Hügelland. Eine ominöse Stimme aus dem Off verkündet uns in wundervoll pathetischen Worten, dass wir alsbald der Geburt von Thor the Conqueror, Sprössling von Gant the Annihilator, beiwohnen werden, der dazu ausersehen ist, der größte Häuptling der Welt zu werden. Die kleine Gruppe, bei der es sich um Gant, seine Frau und den Zauberer Etna (Luigi Mezzanotte) -- der zugleich der Erzähler der Geschichte ist -- handelt, erreicht eine Waldlichtung, auf der einige "heilige Steine" herumstehen, die von "mystischen Symbolen" geziert werden, die an die Kritzeleien eines besonders fantasielosen Kindes erinnern. Erstmals dürfen wir die grandios riesigen Shoulder Pads des Zauberers und die ebenso grandios riesige Parierstange von Gants Schwert bewundern. Thors Mutter zieht sich in die Büsche zurück, um ihr auserwähltes Kind zu gebären. Kaum hat Klein-Thor das Licht der Welt erblickt, zerstören der böse Bogenschütze Gnut (Raf Baldassarre) und seine Mannen auch schon das Idyll. Wie zu erwarten, werden die Eltern unseres Helden abgemetzelt, derweil sich Etna mit dem Baby auf magische Weise aus dem Staub macht. Gants Schwert verwandelt sich in eine Schlange und sucht gleichfalls das Weite.

Soweit war das alles ganz wunderbarer Fantasy - Schlock. Doch es sollte nicht mehr  lange dauern, und der Streifen würde erstmals sein wahres Gesicht zeigen. 

Zwanzig Jahre später: Unter Etnas Obhut ist Thor zu einem muskulösen Krieger im Lendenschurz (Bruno Minniti) herangewachsen, der mit einem Stich seines Speers gleich drei Fische aufzuspießen versteht. Selbige werden roh verzehrt. Unser Held und sein Ziehvater {der nebenbei bemerkt die meiste Zeit des Tages in Gestalt einer Eule zu verbringen scheint} haben ihr barbarisches Mahl noch nicht ganz beendet, da taucht auch schon ein Trupp Kannibalen in der Nachbarschaft auf. Die üblen Gesellen führen zwei Gefangene mit sich -- einen Mann und eine Frau. Ersterer wird rasch getötet. Doch während die hungrigen Kerle herzhafte Bisse aus dem Arm des Unglücklichen nehmen, erwacht in Thor urplötzlich der Heroengeist. Oder vielleicht will er sich auch bloß dafür revanchieren, dass die Burschen seine eigene Mahlzeit gestört haben. Wie dem auch sei, jedenfalls hat er die armen Menschenfresser schon bald über den Jordan geschickt und kann sich stattdessen dem "Weibchen" ("Female") widmen. 
Während Etna einen Monolog über die Tugenden sexueller Gewalt -- "Play with her. What else is she good for? ... Have your way with her. Take her. She is yours ... Don't treat the woman so gently." -- und die göttergegebene Geschlechterordnung -- "The female is stupid ... The female has to obey her master ... She must fulfill you and bear the fruit that is called children" -- hält, beginnt unser Muskelmann die von ihm "Befreite" mit all der Grazie eines unerfahrenen Teenagers zu betatschen. Aber schließlich ist er Thor der Eroberer, und so geht diese nur gar zu willig auf seine ungeschickten Annäherungsversuche ein. 
Am nächsten Morgen wird sie von einem zufällig in die Höhle gestolperten Kannibalenkrieger getötet, was jedoch kein großer Verlust ist, hat sie doch ihre Aufgabe erfüllt. Denn nun nachdem Thor zum ersten Mal einen Mann erschlagen und eine Frau gevögelt hat, ist es an der Zeit, dass er hinauszieht und seine Bestimmung erfüllt. So sieht das jedenfalls Etna.

Ich denke, man wird verstehen können, warum mir an dieser Stelle erste ernsthafte Zweifel daran kamen, dass es eine kluge Wahl gewesen sei, den Abend mit diesem Flick einzuläuten. Nur die vage Hoffnung, im weiteren Verlauf der Handlung werde Thor schließlich zu der Erkenntnis gelangen, dass sein Ziehvater ein perverser alter Chauvi ist, ließ mich mein fehlgeleitetes Abenteuer fortsetzen. 
Und tatsächlich kehrte der Film erst einmal in unterhaltsam trashige B-Movie - Gefilde zurück. Nach einem denkbar inkompetent choreographierten Kampf gegen einen axtschwingenden Pseudo-Ork wird der gute Thor des nachts von beunruhigenden Visionen gequält, die die Gestalt bizarrer Masken und einer drittklassigen Geisterbahn entflohener Skelette annehmen. Sollte dies das Werk der bösen Hexe sein, die Etna in einem seiner Kommentare erwähnt hatte? {Die Antwort ist nein.} 
Doch dann betritt unser "Held" das Reich der "Kriegerjungfrauen". Kaum war dieses Wort gefallen, da schwante mir auch schon übles. Doch es sollte so viel übler kommen, als ich mir selbst in meinen traurigsten Fantasien hätte vorstellen können ..
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Dass die Helme der drei Amazonen, mit denen es Thor alsbald zu tun bekommt, aussehen wie zweckentfremdete Körbe, entlockten mir zuerst ein kurzes Kichern. Doch das Lachen sollte mir schon bald gründlichst vergehen. Zwei der Kriegerinnen finden rasch den Tod. Die dritte wird von unserem "Helden" erst entwaffnet, dann vergewaltigt.
Anders als im Fall der namenlosen Gefangenen versucht der Film hier nicht, den Akt sexueller Gewalt irgendwie zu beschönigen. Ina (Mari Romano) wird nicht von Thors "rauer Männlichkeit" überwältigt und gibt sich ihm hilflos hin {was übel genug wäre}, sie wird ohne Frage vergewaltigt. Die Szene schließt mit ihren angsterfüllten Schreien.

An diesem Punkt überkam mich physische Übelkeit. Ich hatte mir ein bisschen eskapistischen Schlock-Spaß erhofft, und stattdessen das. Ich stoppte den Film. Warum sollte ich mich weiter mit solch widerlichem Mist herumquälen? Doch schließlich entschied ich mich dazu, die zweite Hälfte von Riccis erbärmlichem Sword & Sorcery - Machwerk zumindest oberflächlich und unter intensiver Nutzung der "Fast Forward" - Taste in Augenschein zu nehmen. Und soviel sei gesagt: Es wird nicht wirklich besser. Ina verwandelt sich schon bald in Thors unterwürfiges "Weibchen", das jedem Befehl ihres "Herrn" gehorcht, wenn sie nicht gerade in stummer Verehrung neben ihrem Vergewaltiger auf dem Boden kniet. Der Krieger selbst schwingt sich zum Herrscher über ein Volk "verweichlichter" Männer auf und bekommt als Anzahlung für seine königlichen Dienste von diesem eine blonde Jungfrau ins Bett gelegt. {Was Ina übrigens völlig okay findet.} Der böse Gnut kreuzt wieder auf und wird nach einigem sinnlosen Hin und Her von unserem "Helden" abgemurkst. Ina gebärt Thor einen Sohn. Das Ende -- unterlegt mit erneutem pathetischem Gelaber von Etna, dessen größter Beitrag zum "glücklichen" Ausgang der Geschichte im Herbeizaubern eines Pferdes besteht.

Was bleibt mir zu sagen? Thor Il Conquistatore ist trotz einiger wundervoll trashiger Momente ein zutiefst abstoßendes Machwerk. Ich gehe davon aus, dass Drehbuchautor Tito Carpi seine Kenntnis der Sword & Sorcery in erster Linie aus John Normans Gor - Büchern bezogen hat. Oder vielleicht war er bloß ein ebenso sexistischer und untalentierter Schreiberling wie der olle Norman. Was mich unglücklicherweise daran erinnert, dass ich im Laufe dieser Serie irgendwann auch Fritz Kierschs Gor-Adaption aus dem Jahre 1987 werde besprechen müssen. May God have mercy on our souls!

Sonntag, 7. Mai 2017

Schalcken the Painter

Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt.

Karl Marx & Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei

Am 25. Dezember 1978 fand der Zyklus der Ghost Stories for Christmas, mit denen die BBC das britische Publikum seit 1971 beglückt hatte, mit der Ausstrahlung von The Ice House sein offizielles Ende. Die einzelnen Teile habe ich vor Zeiten bereits hier, hier, hier, und hier besprochen, doch gibt es noch eine inoffizielle neunte Folge, die am 23. Dezember 1979 in den Äther geschickt wurde. Kurioserweise geschah dies im Rahmen der Kultursendung Omnibus ganz wie es bei Jonathan Millers M.R. James - Adaption Whistle, and I'll Come to You (1968), dem unmittelbaren Vorläufer des Zyklus, der Fall gewesen war. 
Wie es dazu kam? Als Leslie Megahey manchen vielleicht als Regisseur von The Hour of the Pig (1993) bekannt das Angebot erhielt, die Leitung von Omnibus zu übernehmen, stellte er die Bedingung, seinen Einstand mit einer Adaption von Sheridan Le Fanus Strange Event in the Life of Schalken the Painter feiern zu können. Sein Ansinnen ließ sich damit rechtfertigen, dass mit Gerrit Dou (1613-75) und Godfried Schalcken (1643-1706) zwei reale Vertreter der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts im Zentrum der kurzen Erzählung stehen. Megahey erhielt grünes Licht, und so entstand mit Schalcken the Painter eine der eigenwilligsten und faszinierendsten "Ghost Stories for Christmas".

Der junge Maler Godfried Schalcken (Jeremy Clyde) ist Schüler des erfolgreichen und wohlhabenden Gerrit Dou (Maurice Denham). Er verliebt sich in Rose Velderkaust (Cheryl Kennedy) Nichte und Mündel seines Meisters , und obwohl er sich recht ungeschickt dabei anstellt, ihr seine Gefühle zu offenbaren, scheint sie diese doch zu erwiedern. Doch da er selbst noch ohne Reputation und Einkommen ist, stehen die Chancen nicht eben gut, dass ihr Vormund in die Verbindung einwilligen würde. 
Da taucht eines Abends der geheimnisvolle und unheimliche Vanderhausen (John Justin) aus Rotterdam in Gerrit Dous Leidener Atelier auf und erklärt, er beabsichtige, Rose zu ehelichen. Im Gegenzug bietet er dem Maler eine stattliche Summe in altertümlichen Goldmünzen an. Dou zögert nur kurz, bevor er sich auf den Handel einlässt. 
Rose fühlt sich von der leichenhaften Erscheinung Vanderhausens instinktiv abgestoßen und bittet Schalcken, gemeinsam mit ihr zu fliehen. Doch ihr Verehrer erweist sich als zu feige, um sich auf ein solches Unterfangen einzulassen. Stattdessen erklärt er der Verzweifelten, er werde so lange an seiner Karriere arbeiten, bis er genug Geld verdient hat, um den Heiratsvertrag (und damit sie) "zurückzukaufen". Rose hat keine Wahl, als sich dem Schicksal zu beugen, das die alten Männer für sie bereitet haben. 
Schalcken seinerseits stürzt sich mit verstärkter Energie in seine Arbeit, doch wird dabei schon bald Ehrgeiz und nicht länger der Gedanke an seine verlorene Liebe zum treibenden Motiv. Zumal es so aussieht, als seien Vanderhausen und seine unglückliche Gattin auf unerklärliche Weise spurlos verschwunden.
Jahre später – Schalcken ist inzwischen selbst zu Erfolg und Wohlstand gekommen – taucht urplötzlich eine zutiefst verstörte und scheinbar ausgehungerte Rose bei ihm auf. Es bleibt ein kurzes Wiedersehen, denn offenbar gelingt es ihrem unheimlichen Ehemann sehr schnell, sie zu sich zurückzuholen.
Erneut vergehen Jahre. Gerrit Dou stirbt, und als Schalcken nach dem Begräbnis seines ehemaligen Meisters alleine in einer Rotterdamer Kirche zurückbleibt, kommt es zu einer dritten und letzten Begegnung mit Rose, die den Maler am Rande des Wahnsinns zurücklässt.    


Schalcken the Painter ist zugleich eine Liebeserklärung an die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts und eine beißende Kritik an der bourgeoisen Gesellschaft, auf deren Grundlage sie sich entwickelte.

Formal ist der Film an den Typus des Dokudramas angelehnt, was natürlich auch mit dem Kontext zu tun hat, für den er ursprünglich produziert wurde. Er geht von der Betrachtung einiger Gemälde des realen Godfried Schalcken aus, die junge Frauen im Schein einer Kerze oder Lampe zeigen. Der Maler ist berühmt für seinen exquisiten Umgang mit Kerzenlicht und Schatten. Als Übergang zur eigentlichen Story dient ein Gemälde, das eigens für den Film nach der Beschreibung Le Fanus und im Stile Schalckens angefertigt wurde, und mit dem verstörenden Finale im Zusammenhang steht. Im weiteren Verlauf wird die Handlung immer wieder von kurzen Sequenzen unterbrochen, die sich mit Aspekten von Schalckens realem Oeuvre beschäftigen.
Doch das besondere ist nicht diese Verknüpfung von kunsthistorischer Dokumentation und Spukgeschichte. Vielmehr ahmt der Film in beinah jeder Szene die großen Werke der niederländischen Malerei nach. So ist z.B. das Interieur von Gerrit Dous Atelier Jan Vermeers Die Malkunst nachempfunden. Selbst das räumliche Arrangement der Schauspieler & Schauspielerinnen ruft immer wieder Assoziationen zu den Werken der alten Meister wach. Der äußerst atmosphärische Einsatz von Kerzenlicht wurde ohne Frage vor allem von den Gemälden Rembrandts und Schalckens selbst inspiriert, auch wenn Walerian Borowczyks Film Blanche (1971) scheinbar ein zusätzlicher Einfluss gewesen ist. An einer Stelle kommt es gar zu einem kurzen Cameo von Rembrandt van Rijn, wie wir ihn von seinem berühmten Selbstporträt  kennen.
Der Effekt all dieser offenbar von viel Liebe und Kenntnisreichtum angetriebenen Bemühungen ist schlicht atemberaubend. Selten wohl wurde ein malerischer Stil so gelungen wie hier in das Medium Film übertragen.

Aber der Streifen bleibt nicht bei dieser visuellen Bezugnahme auf die niederländische Malerei stehen. Er beschäftigt sich außerdem auf ebenso pointierte wie verstörende Weise mit deren sozialer Basis.

Die Vereinigten Niederlande waren die am weitesten entwickelte kapitalistische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. In ihrer Hinwendung zu Szenen des Alltagslebens, in ihrer Konzentration auf das menschliche Individuum und in der starken Sinnlichkeit ihrer Gemälde spiegeln die Meister des Goldenen Zeitalters der niederländischen Malerei diese gesellschaftliche Entwicklung wider. Ihre Kunst stand nicht länger im Dienst von Kirche und Aristokratie, sondern atmete einen durch und durch bürgerlichen Geist.
Doch diese Befreiung besaß auch ihre Schattenseite. Sie waren die ersten Maler, die vollständig darauf angewiesen waren, für den "freien Markt" zu produzieren. Viele von ihnen fanden sich an dem einen oder anderen Punkt ihrer Karrieren in äußerst bedrückenden ökonomischen Verhältnissen wieder.*
Freilich ist es weniger dieser spezielle Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklung, mit dem sich Schalcken the Painter auseinandersetzt, als vielmehr die allgemeinere, mit dem Triumph des Kapitalismus einhergehende Tendenz, das Geld zum einzigen Vermittler der sozialen Beziehungen zwischen Mensch und Mensch zu machen.

Wenn wir Gerrit Dou zum ersten Mal zu sehen bekommen, ist er dabei, Goldmünzen zu zählen, wobei er sich eines Vergrößerungsglases bedienen muss, da sein Augenlicht durch seine Arbeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das Motiv zieht sich durch den gesamten Film. Immer wieder sehen wir, wie Schalcken verschiedenen Frauen Münzen in den Schoß fallen lässt – der Prostituierten Hendrijke (Helena Clayton) in einem Rotterdamer Bordell; einem seiner weiblichen Modelle (Val Penny), das er mit größter Herablassung behandelt; der gespenstischen Rose in seiner finalen Konfrontation mit der verlorenen Geliebten. 
Und natürlich ist es ihr Schicksal, in dem die ganze Unmenschlichkeit der bourgeoisen Gesellschaft am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Die junge Frau ist nicht mehr als eine Ware, über deren Verkauf ihr Vormund und der monströse Vanderhausen verhandeln. Letzterer bringt dies offen zum Ausdruck, wenn er erklärt: "She is your property, she will become mine, if you like to make her so. She has no choice." In ganz demselben Geist vertröstet der rückgratlose Schalcken die Unglückliche darauf, sie irgendwann "zurückzukaufen". 
Eine der großen Stärken des Films besteht darin, dass wir nie erfahren, was genau mit Rose nach ihrer Hochzeit tatsächlich geschieht. Der Zustand, in dem sie sich bei ihrem kurzen Wiederauftauchen befindet, lässt uns zusammen mit Schalckens letzter sexuell-surrealer Vision in der Krypta der Kirche zwar erahnen, zu welch grausamem Schicksal sie von den Männern verurteilt wurde, doch bleibt dies nicht mehr als eine Andeutung, was gerade deshalb einen besonders eindringlichen und verstörenden Eindruck hinterlässt.

Leslie Megaheys Schalcken the Painter ist ein großartiges Beispiel der britischen TV-Phantastik der 70er Jahre. Nur schwer vorstellbar, dass heutige Fernsehschaffende etwas hervorbringen könnten, das auf ähnliche Weise ein tiefes Verständnis für Kunst und Geschichte mit einem kritischen Blick auf die Gesellschaft und einer ebenso zurückhaltend inszenierten wie bedrückenden phantastischen Erzählung verbinden würde.           


Samstag, 6. Mai 2017

Strandgut der Woche