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Samstag, 26. Juli 2014

"I Vampiri"

Am Einundreißigsten dieses Monats können wir den einhundertsten Geburtstag des großen Mario Bava feiern. Anlass genug sich in den nächsten Wochen etwas eingehender mit einigen Filmen des Maestros zu beschäftigen, der als einer der Gründerväter des klassischen italienischen Horrorfilms zu gelten hat, und zugleich einer der stilprägenden und talentiertesten Vertreter dieses Genres war. 
Meine Absicht ist es, eine Auswahl von Werken aus unterschiedlichen Schaffensperioden Bavas vorzustellen, um so die Vielgestaltigkeit seines Talents {und zugleich auch ein Bisschen die Vielfalt des italienischen B-Movies} zu demonstrieren. Bisher umfasst mein Plan für diese kleine Serie {für dich ich mir wohlweislich keinen zeitlichen Rahmen gesetzt habe} folgende Titel:
  • La maschera del demonio (Black Sunday aka The Mask of Satan) von 1960
  • Ercole al centro della terra (Hercules in the Haunted World) von 1961
  • Sei donne per l'assassino (Blood and Black Lace) von 1964
  • Operazione paura (Kill, Baby, Kill) von 1966
  • l rosso segno della follia (Hatchet for the Honeymoon) von 1970
  • Gli orrori del castello di Norimberga (Baron Blood) von 1972
Zum Auftakt möchte ich heute jedoch erst einmal einen kurzen Blick auf den Film werfen, der ganz am Anfang des italienischen Horrorkinos stand und zu dessen Produktion Mario Bava nicht nur als Kameramann einen entscheidenden Beitrag leistete: Riccardo Fredas I Vampiri von 1956.

Das Horrorgenre war zu Zeiten des Faschismus mit einem offiziellen Bann belegt gewesen, und so existierte zumindest im italienischen Tonfilm keine entsprechende Tradition. Als Freda und Bava mit der Idee für einen solchen Streifen an verschiedene Produzenten herantraten, schlug ihnen deshalb zuerst einmal Misstrauen entgegegen. Erst als Freda versprach, den Flick in zwölf Tagen fertigzustellen, fanden sich Geldgeber. Doch als es nach zehn Drehtagen so aussah, als könne er sein Versprechen nicht einlösen, kam es zu heftigen Konflikten, und der temperamentvolle Freda stieg aus. Kameramann Bava übernahm für die letzten zwei Tage die Regie und stellte den Film tatsächlich in der vorgegebenen Zeit fertig.
Kennt man diese Hintergrundsgeschichte, so wirkt es vielleicht nicht mehr so verwunderlich, dass I Vampri einen etwas wirren und unausgegorenen Eindruck hinterlässt. Man mag auch die wirklich fürchterlich miese Schlussszene etwas gnädiger betrachten. In ein Meisterwerk des Horrorkinos verwandelt das den Flick allerdings nicht. Vor allem der Plot besitzt einfach zu deutliche Schwächen. Trotzdem ist I Vampiri in mancherlei Hinsicht ein recht faszinierender Film.
Zum einen weist das streckenweise sehr eindrucksvolle Spiel mit Schatten und Silhouetten bereits deutlich auf Bavas grandiose diesbezügliche Leistungen in  La maschera del demonio voraus. Zum anderen zeichnet sich der Streifen durch eine interessante stilistische Mischung aus. Die Geschichte von I Vampiri ist mehr oder weniger eine Übertragung der Legende von Gräfin Elisabeth Báthory in die Gegenwart. Das magische Ritual des Badens in Jungfrauenblut ist dabei durch eine "wissenschaftliche" Methode ersetzt worden, die jedoch dem gleichen Ziel dient {ewige Jugend & Schönheit} und ebensoviele Opfer erfordert. Rein inhaltlich betrachtet halte ich diese Adaption der alten Legende für weit weniger interessant und gelungen als etwa Peter Sasdys Countess Dracula (1971) mit Ingrid Pitt. Doch die Transplantation in die Gegenwart hat dazu geführt, dass der Film in stilistischer Hinsicht in zwei deutlich unterschiedliche Teile zerfällt, was ihn irgendwie verdammt faszinierend macht. Auf der einen Seite haben wir "realistisch" gehaltene Szenen im Paris der 50er Jahre, wenn Journalist Pierre und die Polizei eine Mordserie aufzuklären versuchen. Und dann plötzlich finden wir uns in einem klassischen "Gothic" - Universum mit alten Schlössern, staubigen Grüften, Skeletten, Folterkammern, Geheimgängen und einem frankensteinmäßigen Laboratorium wieder. Zwischen diesen beiden Szenarien springt der Film immer wieder hin und her, was ihm einen ganz eigenartigen Charakter verleiht. Die streckenweise geradezu opernhaft-wagnerianisch anmutende Musik von Roman Vlad & Franco Mannino wirkt dabei noch zusätzlich verstärkend.
I Vampiri ist sicher nicht der Film, den ich als Einstieg in den italienischen Horror oder das Werk von Mario Bava empfehlen würde. Einen kleinen Abstecher ist er jedoch allemal wert.

Strandgut der Woche

Mittwoch, 23. Juli 2014

Tanith Lees Beitrag zu "Blake's 7"




Die Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre von der BBC produzierte SciFi-Serie Blake's 7 gehört zu meinen absoluten Favoriten unter den televisionären Space Operas. Die Aufnahme in die allerhöchsten Ränge meines Pantheons – an die Seite von Farscape und Babylon 5 – muss ich ihr zwar verweigern, und meine Beziehung zu ihr ist bei weitem nicht so intensiv und persönlich wie zu Star Trek, aber dennoch mischt sie für mich ganz oben mit.

Ich habe keine Ahnung, wie bekannt oder unbekannt Blake's 7 hierzulande ist. Ich selbst habe die Serie erst im Herbst 2012 kennengelernt. Und da sie nie im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, denke ich, dass eine kurzgefasste allgemeine Einführung angebracht sein dürfte.

Die von Terry Nation – dem Vater der Daleks aus Doctor Who – und Chris Boucher kreierte Serie erzählt von den Abenteuern einer kleinen, bunt zusammengewürfelten Gruppe von Rebellen, Exsträflingen und Underdogs, die sich mit dem Raumschiff Liberator* ständig auf der Flucht vor oder im Kampf gegen die totalitäre Terranische Föderation und ihre machthungrige Diktatorin Servalan (Jacqueline Pearce) befinden. In den ersten zwei der insgesamt vier Staffeln werden unsere Helden und Heldinnen dabei von dem ebenso idealistischen wie egomanischen Freiheitskämpfer Blake (Gareth Thomas) angeführt. Danach wird der sarkastische und zynische, aber hochintelligente Avon (Paul Darrow), der bisher so etwas wie den moralischen Gegenpol zu Blakes Idealismus verkörperte, zur dominierenden Figur der Serie {wenn auch nicht zum unbestrittenen Anführer der Gruppe}.
Das dystopische Szenario, die moralisch ambivalenten Charaktere und die immer wieder aufflammenden Konflikte innerhalb der Gruppe heben Blake's 7 sehr deutlich vom naiven Optimismus à la Star Trek ab. In mancherlei Hinsicht darf die Serie als eine direkte Vorfahrin von Farcsape und Firefly gelten. Und wer immer noch glaubt, Joss Whedon sei der erste gewesen, der es "gewagt" hätte, Hauptfiguren einer TV-Serie sterben zu lassen, wird hier auf sehr eindringliche Weise eines Besseren belehrt. Vor allem das kompromisslos pessimistische Finale wirkt selbst heute noch leicht schockierend.
Eine kleine Warnung muss ich allerdings vorausschicken: Wer über primtive Trickeffekte und "eigenwillige" Kostüme nicht mit einem amüsierten Lächeln hinwegsehen und sich stattdessen auf Story, Charaktere und Dialog konzentrieren kann, sollte einen großen Bogen um Blake's 7 machen. Er oder sie würde bloß eine Entäuschung erleben. Die Serie verfügte nur über ein relativ kleines Budget, und das sieht man ihr auch an. Eine Wiederholung des bei Space 1999 (1975-77) betriebenen technischen Aufwands war nicht vorgesehen.

Eine ausführlichere Besprechung der gesamten Serie muss leider noch etwas auf sich warten lassen, ist aber angepeilt. Für den Moment muss es genügen, zu sagen, dass sie mit dem Ausscheiden von Gareth Thomas am Ende der zweiten Staffel viel von dem politischen Element verliert, das bis dahin einen Gutteil ihres besonderen Reizes ausgemacht hatte. Zwar nimmt die Gruppe spätestens in Staffel 4 den direkten revolutionären Kampf gegen die Föderation wieder auf, aber mit Blake fehlt die Figur, an der die kritische Auseinandersetzung mit dem romantischen Ideal des Guerilleros festgemacht worden war. Über weite Strecken wirkt Blake's 7 in der zweiten Hälfte deshalb eher wie eine typische klassische TV - Space Opera. Dank interessanter Charaktere und einiger ziemlich bizarrer Ideen bleibt die Serie jedoch auch dann immer noch sehr unterhaltsam.

Bei meinem kürzlichen Rewatch fielen mir dabei zwei Episoden besonders auf: Sarcophagus (S3 E9) und Sand (S4 E9). Nicht, weil sie die besten wären, sondern weil sie sich auf ihre je eigene Art sehr deutlich vom Rest der "Weltraumabenteuer" - Folgen abheben. Dabei fällt es auf den ersten Blick gar nicht so leicht, genau festzumachen, worin das Besondere der beiden eigentlich besteht. Es ist jedenfalls nicht allein die Bizarrerie des Erzählten. Schließlich begegnen unsere Heldinnen und Helden allein in der dritten Staffel u.a. auch einem verbannten "Gott", dessen Majordomus wie ein Varieté-Magier gekleidet ist (Dawn of the Gods), sowie einem künstlichen Planeten, in dessen Kern sich ein riesiges Gehirn mit einem Heißhunger auf Informationen und menschliche Hirnmasse verbirgt (Ultraworld). Was Sarcophagus und Sand vom Rest der Serie abhebt, ist meines Erachtens nach vor allem in der Atmosphäre der beiden Geschichten zu suchen. Naturgemäß etwas, was nur schwer konkret zu fassen ist und bei dessen Beurteilung subjektive Eindrücke eine besonders große Rolle spielen.

Interessanterweise wurden die Drehbücher für beide Episoden von ein- und derselben Person verfasst: Der bekannten britischen SF- und Fantasyautorin Tanith Lee.
Nun kann ich nicht behaupten, mit deren Werk besonders gut vertraut zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Doch zum Glück gibt es ja das Forum der wunderbaren Bibliotheka Phantastika und den guten Gerd Rottenecker, der stets bereit ist, sein enzyklopädisches Wissen in Sachen SF&F-Literatur mit uns weniger bewanderten zu teilen. {Danke, Gerd.} Auf meine Frage, wie Tanith Lees Oeuvre der 70er und 80er Jahre in stilistischer Hinsicht charakterisiert werden könnte, antwortete er : "[I]hre beiden SF-Romane aus den 70ern (Don't Bite the Sun ('76) und Drinking Sapphire Wine ('77)), in denen es um ein Utopia geht, das eigentlich ein Dystopia ist, [sind] schon irgendwie ... hm ... "schräg". Ein bisschen anders schräg ist auch The Silver Metal Lover von '81, und die Tales of the Flat Earth [...] sind schon vom Ansatz her sehr merkwürdig. [...] Auffällig ist in so ziemlich allen Romanen, die ich von ihr kenne, eine unterschwellig eigentlich immer vorhandene, manchmal auch sehr vordergründig ausgespielte erotische Komponente. [...] [E]ine Art "Schwüle", ein Getränktsein von mal deutlicher, mal weniger deutlich dargestelltem Verlangen und Begehren, als wenn alles mit einer erotischen Komponente aufgeladen wäre."
Ob diese Charakterisierung auch auf ihre beiden Blake's 7 - Drehbücher zutrifft? Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, doch glaube ich einige verwandte Elemente in den beiden Episoden entdeckt zu haben.


"Schräg" trifft es jedenfalls auch für Sarcophagus ziemlich gut:

Die Episode beginnt mit einer minutenlangen, verwirrend und surreal anmutenden Szene, in der eine Gruppe Frauen in schwarzen und roten Gewändern und mit silbernen Gesichtern eine eigenartige Zeremonie durchführt, in deren Verlauf sie eine Reihe maskierter Gestalten (u.a. einen Hofnarren, einen Musiker und einen Krieger?) heraufbeschwören und wieder bannen. Zum Abschluss streift die Hohepriesterin (?) einen Ring auf die goldene Hand eines verhüllten Leichnams (?). Die vielen Fragezeichen mögen verdeutlichen, wie undurchsichtig das Ganze auf den Betrachter wirken muss.

Die eigentliche Geschichte, die folgt, ist gleichfalls recht eigentümlich. Die Liberator stößt auf ein durchs All treibendes Schiff unbekannter außerirdischer Herkunft ohne Besatzung. Die telepathisch begabte Cally (Jan Chappell) empfängt ein verschwommenes Signal, verschweigt dies jedoch gegenüber ihren Kameraden. Obwohl Avon entschieden davon abrät, beschließt die Mannschaft, dem fremden Schiff einen Besuch abzustatten. Dieses entpuppt sich als eine Art fliegendes Mausoleum. Cally fühlt sich auf eigenartige Weise beobachtet und bedroht, dennoch bringt sie gemeinsam mit Avon und Vila (Michael Keating) ein fremdartiges Artefakt auf die Liberator, wobei es zu unerklärlichen Fehlfunktionen des Transporters kommt. Beinah im selben Augenblick zerstört sich das fremde Schiff selbst. Unglücklicherweise ist mit dem Artefakt auch ein geisterhaftes Wesen auf die Liberator gelangt, das alsbald beginnt, Callys Psyche zu übernehmen und sich einen neuen Körper nach ihrem Vorbild zu erschaffen. Die übrigen Besatzungsmitglieder sollen die Rollen der anfangs in der Zeremonie gezeigten Mitglieder des Hofstaats der "Wiederauferstandenen" übernehmen. (Vila als Hofnarr, Dayna [Josette Simon] als Musikerin und Tarrant [Steven Pacey] als Leibwächter)

Die Handlung wird immer wieder von eigenartigen Visionen und Halluzinationen unterbrochen – an einer Stelle wird dabei sogar ein Lied vorgetragen –, was ihr in der Tat einen ziemlich "schrägen", leicht psychedelischen Charakter verleiht. Das wirklich Interessante ist jedoch, dass die gesamte Episode von dem Leitmotiv Einsamkeit und Verlorenheit durchtränkt zu scheint.
  • Cally hängt melancholischen Gedanken an ihre verlorene Heimat nach und sehnt sich möglicherweise sogar nach Kontakt mit dem geisterhaften Wesen als einer vermeintlich "verwandten Seele", dem sie scheinbar keinerlei ernsthaften Widerstand entgegegensetzt.
  • Vila hat Angst, alleine auf dem Kommandodeck zurückgelassen zu werden.
  • Ein heftiger Wortwechsel zwischen Avon und Tarrant zeigt, wie groß die Spannungen innerhalb der Gruppe sind und dass die Mannschaft der Liberator nur sehr bedingt als eine Gemeinschaft gelten kann, deren Mitglieder sich sicher und geborgen fühlen könnten.
  • All das kulminiert in der Gestalt der "Wiederauferstandenen" und ihrer panischen Furcht davor, erneut in den limboartigen Zustand verbannt zu werden, in dem sie die letzten Jahrhunderte gefangen war: "How can you imagine how it must like to be dead ... To exist in nothingness ... In nowhere ... Blind, deaf, dumb, and yet to be sentient, aware, waiting ... centuries of waiting ... I have to find my world again, my people, my home ..." Dasselbe Gefühl wird auch in dem schon erwähnten Lied zum Ausdruck gebracht: "I left my world to wander in this endless midnight sky. For space is just a starry night where no suns ever rise."
Am Ende ist es das emotionale Band zwischen Avon und Cally, das zur Vernichtung der "Wiederauferstandenen" und zur Rettung der Gruppe führt. Ein motivischer Kontrapunkt, und damit genau der richtige Abschluss für die Geschichte. Dass die Gefühle, die die beiden offenbar füreinander hegen, nur angedeutet, nie ausgesprochen werden, fällt dabei besonders positiv auf. Es bewahrt die Episode davor, in ihrer "Botschaft" – wenn man von einer solchen denn überhaupt sprechen will – gar zu primtiv und offensichtlich zu werden.


Sand ist nicht weniger "schräg" als Sarcophagus, und das Leitmotiv scheint ein ähnliches zu sein. Die Atmosphäre der Episode ist allerdings weniger "psychedelisch" oder "surreal", als vielmehr unheimlich und bedrückend.

Erneut verleiht bereits die Eröffnungssszene der Folge einen ganz eigenen Ton. Wir sehen das Panorama einer toten Fels- und Wüstenlandschaft in unwirklichen Grüntönen. Dazu hören wir die anfangs in resigniert und ruhig wirkendem Tonfall vorgetragene letzte Botschaft des dem Tode geweihten Wissenschaftlers Keller an seine Vorgesetzten. Sie beginnt mit den ebenso poetisch wie gespenstisch anmutenden Sätzen: "I know a land beyond the heart of time. The sun never comes there. No moon ever shines. And man, a grain of sand, nameless and lost, blows with the dust."

Vor fünf Jahren sind Keller und seine Crew auf dem "grünen Planeten" Virn einer unbekannten Seuche zum Opfer gefallen. Zuvor jedoch konnten sie noch an das Hauptquartier der Föderation weitergeben, dass der Planet irgendeine außergewöhnliche, nicht genauer zu definierende Qualität besitzen muss. Den Instrumenten zufolge beherbergt er Leben, doch wirkt er völlig ausgestorben. Kellers kryptischer Bericht dient Exdiktatorin Servalan {seit ihrem offiziellen Tod unter dem Namen "Commissioner Sleer" agierend} als Anlass, gemeinsam mit Investigator Reeve {offenbar einem hochrangigen Offizier der Föderation} zu dem "grünen Planeten" zu fliegen. Wie wir am Ende der Folge erfahren, ist der eigentliche Grunde jedoch, dass Keller vor langer Zeit einmal Servalans Geliebter war. Das Schiff der beiden stürzt aus mysteriösen Gründen auf dem Planeten ab und sie müssen sich zu Fuß auf den Weg zu Kellers Station machen. Doch sie sind nicht die einzigen, die sich für Virn interessieren. Dank ihres Supercomputers Orac haben Avon & Co. gleichfalls Kellers letzte Botschaft kennengelernt und zugleich erfahren, dass die Föderation eine Expedition auf den "Grünen Planeten" geschickt hat. Grund genug sich auch einmal dort umzuschauen.

Die Virn-Kulissen sehen so billig aus, wie man das von einer Blake's 7 - Episode erwarten darf. Dennoch beschwören sie zusammen mit dem unablässigen Säuseln des Windes, Dudley Simpsons Musik und einer recht geschickten Cinematographie eine ziemlich intensive und bedrückende Atmosphäre herauf. Das so offensichtlich Künstliche der Landschaft wirkt in diesem Kontext sogar eher als ein verstärkendes Moment.

Es dauert nicht lange, und Servalan und Tarrent sind die einzigen Überlebenden. Die Kommunikation zu ihren jeweiligen Schiffen ist abgebrochen, und sie sehen sich gezwungen, fürs Erste zusammenzuarbeiten. Gemeinsam erkunden sie Kellers Station und finden die erstaunlich frisch wirkende Leiche des Wissenschaftlers, werden zugleich jedoch von einem mächtigen Sandrutsch in dem Gebäude eingeschlossen. Und wie sie bald darauf erkennen müssen, ist es eben dieser Sand, der die wahre Bedrohung auf Virn darstellt. Eine fremdartige Form von Leben, die sich von der Lebensenergie anderer Wesen {Menschen!} ernährt wie eine Art Vampir ...

Wie gesagt scheint mir auch in Sand das eigentliche Leitmotiv Einsamkeit zu sein, doch ist es hier mit einer sehr viel stärker "erotischen" Komponente verbunden.
  • Investigator Reeve bezeichnet Servalan nicht nur ausdrücklich als "einsam", sondern macht auch einige sehr plumpe Annäherungsversuche gegenüber der ehemaligen Präsidentin.
  • Diese hat sich auf den Planeten begeben, in der Hoffnung ihren ehemaligen Geliebten zu finden. Sie spricht das zwar nie offen aus, aber ihre Reaktion beim Auffinden von Kellers Leiche ist eindeutig.
  • Zwischen Servalan und Tarrant herrscht die ganze Zeit über eine erotisch aufgeladene Atmosphäre, und schließlich schlafen sie sogar miteinander. {Was natürlich nur angedeutet wird und der Exdiktatorin erfreulicherweise nichts von ihrer Kaltblütigkeit raubt.}
  • Selbst die durch den Einfluss von Virn gestörten Computer beginnen plötzlich auf wirre Weise von Liebe zu faseln.
  • Und letztenendes verfolgt sogar der vampirische Sand auf perverse Weise ein "erotisches" Ziel: Er ist bereit von seinen Opfern einen Mann und sämtliche Frauen am Leben zu erhalten, im Glauben, das diese künftige Nahrung für ihn heranzüchten werden.

Beide Geschichten – Sarcophagus wie Sand – scheinen sich mir im Spannungsfeld zwischen den Polen "Einsamkeit/Verlorenheit" und "Erotische Anziehung/Liebe" zu bewegen. Die Akzente sind dabei jeweils etwas anders gesetzt. Zu beurteilen, inwieweit dies Tanith Lees Handschrift ist, überlasse ich denen, die die Autorin und ihr Werk besser kennen als ich.  



PS: Wer sich die beiden Drehbücher {oder zumindest die Dialog-Scripte} einmal durchlesen will, kann dies hier tun.

* Staffel 3, die ursprünglich die letzte der Serie sein sollte, endet mit der Zerstörung der Liberator. In den ersten Episoden der letzten Staffel fällt der Gruppe dann der technisch aufgerüstete Frachter Scorpio in die Hände.

Dienstag, 22. Juli 2014

Vorsehung und Eukatastrophe

Am Ende meines Artikels über Katholische Symbolik im "Herr der Ringe" habe ich geschrieben, dass man die Anklänge an die christlich-katholische Mythologie und Kunst in Tolkiens Roman meiner Meinung nach als "Illustrationen eines tieferliegenden Motivs" betrachten sollte, "das die gesamte Handlung durchtränkt, sie trägt und ihr ihre Bedeutung verleiht: des Motivs der göttlichen Vorsehung." Auf dieses möchte im Folgenden kurz noch etwas genauer eingehen.  
Zuerst jedoch ein paar erklärende Vorbemerkungen: Dieser Artikel war ursprünglich Teil eines sehr viel längeren Textes. Möglicherweise wirkt er deshalb nicht ganz "abgerundet". Aus demselben Grund finden sich in ihm einige kritische und polemische Bemerkungen zu Essays von Frank Weinreich, obwohl diese nicht in allen Fällen zum Erhellen des eigentlichen Themas beitragen mögen. Auch möchte ich klarstellen, dass dieser Artikel nicht als mein "letztes Wort" zum "christlichen Geist" von Tolkiens Werk missverstanden werden darf. Selbiger hat meiner Ansicht nach nämlich auch eine äußerst positive Seite, auf die ich hier jedoch nicht eingegangen bin.

An keiner Stelle im Herr der Ringe wird Gott (oder  Ilúvatar) ausdrücklich erwähnt, aber seine Präsenz ist doch stets spürbar. Es ist seine Hand, die im Verborgenen die Geschicke Ardas lenkt. Wie anders soll man Gandalfs Worte über das eigentümliche Schicksal des Einen Rings verstehen:
Im Hintergrund war noch etwas anderes am Werk, das über die Absicht des Ringschöpfers hinausging. Ich kann es nicht deutlicher ausdrücken, als wenn ich sage, daß Bilbo dazu ausersehen war, den Ring zu finden, aber nicht von dem, der den Ring gemacht hatte. In diesem Fall wärst auch du [Frodo] ausersehen. Und das mag vielleicht ein ermutigender Gedanke sein. (1)
Der englische Originaltext (2) ließe zwar die Interpretation zu, dass hier von einem unpersönlichen Schicksal wie der germanischen wyrd die Rede ist, doch nicht nur Tolkiens eigene Erklärungen, die er in unzähligen seiner Briefe gegeben hat, sondern auch Gandalfs Bemerkung, dies könne ein "ermutigender Gedanke" sein, lassen für mich keinen Zweifel daran, dass wir hier an das Wirken einer göttlichen Person denken sollen. Und das hat entscheidende Auswirkungen auf die Handlung. Frodos Aufgabe ist es, seine Bestimmung aus freiem Willen anzunehmen und zu versuchen, ihr so gut wie möglich gerecht zu werden. Hinterfragen kann er sie nicht.
"Ich wollte, ich hätte den Ring nie gesehen! Warum ist er nur auf mich gekommen? Warum wurde ich erwählt?" "Solche Fragen lassen sich nicht beantworten’, sagte Gandalf. ‘Du kannst gewiß sein, daß es nicht wegen irgendwelcher Vorzüge war, die andere nicht besitzen: nicht Macht oder Weisheit jedenfalls. Doch bist du erwählt worden, und daher mußt du alles zusammennehmen, was du an Kraft und Mut und Verstand hast." (3)
Ermutigend an dieser Vorstellung mag sein, dass Frodo auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen nie völlig alleingelassen sein wird. Und tatsächlich gibt es im Verlauf seiner Reise immer wieder Anzeichen für das Eingreifen einer höheren Macht. Nicht dass sich irgendwelche spektaktulären Wunder ereignen würden, die Vorsehung geht subtiler zu Werke. Scheinbar zufällige Ereignisse zeigen sich dem Weisen (oder dem Gläubigen, was bei Tolkien zwar nicht dasselbe ist, aber doch zusammengehört) oft in einem anderen Lichte. So sagt Gildor Inglorion zu Frodo: „Die Elben haben ihre eigene Bürde zu tragen und ihre eigenen Sorgen, und sie kümmern sich wenig um die Wege der Hobbits oder irgendwelcher anderen Geschöpfe auf der Welt. Unsere Pfade kreuzen die ihren selten, aus Zufall oder Absicht. Diese Begegnung mag mehr als ein Zufall sein; doch die Absicht ist mir nicht klar, und ich fürchte, zu viel zu sagen."  (4) Dass Gildor den Begriff "Absicht" ("Purpose") verwendet, macht einmal mehr deutlich, dass wir es nicht mit bloßem "Schicksal" zu tun haben. Und Tom Bombadil antwortet auf die Frage, ob er Frodos Hilferufe im Tal der Weidenwinde gehört habe: „Nein, ich habe nichts gehört; ich war mit Singen beschäftigt. Bloßer Zufall brachte mich dorthin, wenn du es Zufall nennst."  (5)
In beiden Fällen wurden die Hobbits durch diese "zufällige" Begegnung aus einer äußerst bedrohlichen Lage gerettet. Was natürlich nicht bedeutet, dass sich Tolkiens Held mit einem beruhigenden "Gott wird’s schon richten" den Gefahren stellen könnte, die auf ihn warten. Die Queste zum Schicksalsberg verlangt ihm seelisch wie körperlich das Letzte ab, auch trägt er für jede seiner Entscheidungen nach wie vor die volle Verantwortung. Doch das ändert nichts am providentiellen Charakter seiner Fahrt, auf den allein es hier ankommt.

Der Typus des "auserwählten Helden" ist eine jener tolkienschen Altlasten, an denen die Fantasy bis heute zu knabbern hat, auch wenn er längst nicht mehr so populär sein dürfte wie in den 80er Jahren, als die tolkieneske High Fantasy in voller Blüte stand. (6) Von Natur aus wohnt ihm ein elitäres und autoritäres Element inne, doch möchte ich auf diese Problematik jetzt gar nicht näher eingehen. Aus dem Motiv der göttlichen Vorsehung ergibt sich nämlich noch ein anderes Problem, das zwar weniger offensichtlich, gerade deshalb aber vielleicht noch schwerwiegender ist.
1965 schrieb Tolkien in einem Brief an Rayner Unwin:
Die Geschichte [des Hobbit] und ihre Fortsetzung [im Herr der Ringe] handeln nicht von ‘Typen’ oder der Heilung von bourgeoiser Selbstgefälligkeit durch ausgeweitete Erfahrung, sondern von den Leistungen besonders begabter und begnadeter Individuen. Ich würde sagen, wenn man, indem man so etwas sagt, nicht verderben würde, was man explizit machen will, ’von geweihten Personen, die von einem Sendboten inspiriert und zu Zwecken angeleitet werden, die über ihre persönliche Erziehung und Erweiterung hinausreichen’. (7)
Es spricht einiges dafür, dass Tolkien sich zur Zeit der Niederschrift seines Romans noch nicht so ausgedrückt hätte. Mit zunehmenden Alter scheint er dazu tendiert zu haben, das eigene Werk immer stärker durch die religiös-philosophische Brille zu betrachten. Und doch lässt sich nicht leugnen, dass er hier im Grunde nur die letzte Konsequenz aus dem Motiv des Erwähltseins zieht. Aber wenn man diesen Aspekt in den Vordergrund rückt, verliert der Herr der Ringe viel von seinem humanen Gehalt. Denn was bleibt dann noch übrig von der eigentlich so sympathisch anmutenden Botschaft, „daß bei den großen Entscheidungen der Weltgeschichte, ‘im Räderwerk der Welt’ oft nicht die Großen und Mächtigen, [...] den Ausschlag geben, sondern die scheinbar Schwachen und Unberühmten"? (8) Genau genommen dürfen wir Frodo ja überhaupt nicht als ein Beispiel für das allgemein menschliche Potential an Mut, Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft verstehen. Er ist nicht der "Durchschnittshobbit", der in Auseinandersetzung mit bisher ungekannten Herausforderungen aus eigener Kraft über das hinauswächst, was er aufgrund seiner kleinbürgerlichen Herkunft eigentlich geworden wäre. Vielmehr müssen wir in ihm eine durch Gottes Gnade ausgezeichnete Ausnahmeerscheinung sehen.

Aufs Engste hiermit verbunden ist ein Motiv, das Tolkien in seinem Essay Über Märchen zu einem der zentralen Charakteristika der von ihm bevorzugten Form der phantastischen Literatur erklärt hat: Die von ihm als Eukatastrophe bezeichnete  „plötzliche Wendung zum Guten". Er sah in ihr ein konstitutives Element des Märchens und zugleich dessen tiefere Bedeutung: „Die eukatastrophische Erzählung ist die echte Form des Märchens und sein höchster Zweck." Gemeint ist damit nicht einfach das "Happy End" – "Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage" –, sondern eine im Moment der völligen Auswegslosigkeit gänzlich unerwartet eintretende Wende, die den dramatischen Höhepunkt der Erzählung bildet.
Im Herr der Ringe ist das die "zufällige" Zerstörung des Rings durch Gollum, nachdem Frodo an der ihm gestellten Aufgabe gescheitert ist.
Zur Beschreibung der Eukastrophe bediente sich Tolkien nicht zufällig religiös konnotierter Begriffe wie „Gnade" und „Erlösung". Ihre Darstellung soll den Leser zutiefst erschüttern und ihn eine "tiefere Wahrheit" hinter den Dingen erahnen lassen: Sie ist „Evangelium, gute Botschaft, und gewährt einen kurzen Schimmer der Freude, der Freude hinter den Mauern der Welt, durchdringend wie das Leid." Wie diese Formulierungen bereits vermuten lassen, stellte Tolkien eine direkte Verbindung zwischen dem "glücklichen Ausgang" des Märchens und der christlichen Heilslehre her: „Christi Geburt ist die Eukatastrophe der menschlichen Geschichte. Die Auferstehung ist die Eukatastrophe der Erzählung von der Fleischwerdung. Diese Erzählung beginnt und endet in Freude." (9)

Man braucht Tolkiens Sicht des Märchens natürlich nicht zu teilen, und die Verbindung, die er in seinem Essay zwischen dem Volksmärchen und der modernen Phantastik zieht, ist ohnehin höchst fragwürdig. Aber für den Herr der Ringe ergeben sich aus diesem Konzept einige tiefgreifende Konsequenzen.
Die plötzliche und unerwartete Wende trägt den Charakter eines Wunders. Das führt automatisch dazu, dass die Bedeutung menschlichen Handelns abgewertet wird. Das Verhalten der Helden spielt zwar insofern eine wichtige Rolle, als sie es sind, die die Situation geschaffen haben, in der die wundersame Wendung eintreten kann. So hat sich Frodo aus eigener Kraft bis zum Schicksalsberg geschleppt (10), und nur aufgrund seines Mitgefühls ist Gollum überhaupt noch am Leben. Doch letztenendes ist die Eukatastrophe selbst unabhängig von menschlichen Wünschen und Taten. Sie kommt "von außen", ist ein Akt göttlichen Erbarmens.
Tolkien selbst ließ keinen Zweifel daran, dass er die Ereignisse, die letztlich zur Zerstörung des Ringes führen, als Folge eines göttlichen Eingreifens verstanden wissen wollte:
Frodo verdiente alle Ehre, weil er jede Unze Willens- und Körperkraft eingesetzt hat, und das reichte eben aus, ihn bis an den vorbestimmten Punkt zu bringen, aber nicht weiter. Wenige andere, womöglich niemand aus seiner Zeit, wären so weit gekommen. Dann griff die Andere Macht ein: der Autor der Geschichte (womit ich nicht mich selbst meine), 'die eine, immer gegenwärtige Person, die niemals abwesend ist und niemals genannt wird' (wie ein Kritiker gesagt hat). (11)
Tolkien pflegte eine tief pessimistische Sicht auf den Lauf der menschlichen Geschichte: "Ich bin nun einmal Christ, sogar Katholik, und darum erwarte ich von der ‘Geschichte’ nichts anderes als eine ‘lange Niederlage’" (12) Wenn diese "lange Niederlage" ausnahmsweise einmal einem partiellen Triumph weicht, so nicht, weil der Mensch seinem Schicksal eine positive Wendung zu geben vermag, sondern weil der Allmächtige Gnade vor Recht ergehen lässt. Auf paradoxe Weise bestätigt der "glückliche Ausgang" der Eukatastrophe so nur Tolkiens allgemeinen Pessimismus.
Die Queste als ein Stück Welt-Plan mußte scheitern". (13) Allein auf die Handlung bezogen, ist das sicher richtig. Tolkien hätte Frodo zu einer Art Übermenschen machen müssen, wenn er ihn den Ring hätte zerstören lassen. Damit wäre der Figur des Hobbits jede menschliche und moralische Tiefe geraubt worden. Insofern bildet die Szene auf dem Schicksalsberg ein sehr viel befriedigenderes Finale als wir es aus nicht wenigen tolkienesken Epigonenepen kennen, wo die "auserwählten" Helden und Heldinnen ihren "Auftrag" tatsächlich zuendeführen. Doch darüberhinaus besitzt sie noch eine metaphorische Ebene, in der die Queste eben als ein "Stück Welt-Plan" erscheint, d.h. als ein Exempel für menschliches Planen und Handeln schlechthin. Und dieser Aspekt der Geschichte ist meinen Augen äußerst problematisch.

Frank Weinreich interpretiert die Eukatastrophe als ein „religiös vermittelte[s] Vertrauen auf den glücklichen Ausgang der Weltgeschichte". Dabei scheint er vor dem tiefen Geschichtspessimismus, der uns auf Schritt und Tritt in Tolkiens literarischem Werk und seiner Korrespondenz begegnet, willentlich die Augen zu verschließen. Und auch aus den theoretischen Ausführungen in Über Märchen geht eigentlich sehr klar hervor, dass sich in der Eukatastrophe nicht die Hoffnung auf einen Sieg des Guten in der Geschichte ausdrückt, dass sie vielmehr auf eine Erlösung "jenseits" der Geschichte verweisen soll.
Aber auch wenn wir den Ausgang des Herr der Ringe als uneingeschränkt optimistisch deuten – immerhin wird Sauron gestürzt –, stellt sich immer noch die Frage: Wem haben wir den Triumph des Guten zu verdanken? Dem Mut, der Klugheit, Selbstlosigkeit und Standhaftigkeit von Menschen {Hobbits, Zwergen, Elben}oder dem Erbarmen Gottes?
Man könnte natürlich die Meinung vertreten, es sei doch letztenendes egal, ob die Geschichte deshalb eine gute Wendung nimmt, weil Menschen ihr eine solche verleihen oder weil Gottes Vorsehung sie dahingehend gelenkt hat. Ich jedoch sehe das anders. Ersteres Szenario könnte uns darin bestärken, die Herausforderungen der realen Geschichte selbstbewusst anzugehen, erfüllt von der Überzeugung, dass wir es sind, die sie formen und dass wir ihr eine positive Richtung zu geben vermögen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, braucht es Menschen, die sich ihres Potentials und ihrer Bedeutung bewusst sind und die kämpfend und planend in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreifen. Tolkiens eukatastrophische Erzählung hingegen führt uns zu einem ganz anderen Ideal: Wir sollen uns gerade nicht als die bewussten und aktiven Gestalter von Geschichte verstehen – das ist der böse Weg Sarumans –, sondern als die Instrumente von Gottes Heilsplan.
Neben seinem Mitgefühl und seiner Opferbereitschaft ist es vor allem seine Demut, die Frodo zum Helden des Herr der Ringe macht. Er nimmt seinen Auftrag als Ringträger „in völliger Bescheidenheit" an, „mit dem Eingeständnis, daß er für seine Aufgabe völlig ungeeignet sei." (14) So gesehen erscheint auch die besondere Rolle der „scheinbar Schwachen und Unberühmten" in Tolkiens Mythologie in einem etwas anderen Licht. Nicht weil sie die Kraft besitzen würden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, geben sie „bei den großen Entscheidungen der Weltgeschichte, ‘im Räderwerk der Welt’ oft [...] den Ausschlag", sondern weil sie die bevorzugten und besonders geeigneten Werkzeuge Gottes sind. Oder um Tolkiens eigene Worte zu benutzen: „aufgrund des geheimen Lebens in der Schöpfung und desjenigen Teils in ihr, das allem Wissen außer dem des Einen unzugänglich bleibt". (15) Im Christentum hat dieser Gedanke seine vioelleicht schönste Verkörperung in der Gestalt Mariens gefunden. Und wenn Frodo nach langem Zögern seine Bestimmung annimmt und sagt: „Ich werde den Ring nehmen [...], obwohl ich den Weg nicht weiß" (16) , so verhält er sich tatächlich ähnlich wie die Jungfrau, die dem Erzengel Gabriel antwortet: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast." (Lk 1,38)
Man mag zurecht einwenden, dass kaum jemand aus der Lektüre des Herr der Ringe solche religiös-moralischen Schlüsse ziehen dürfte. Welcher Tolkienist hält sich schon selbst für den Knecht oder die Magd Gottes? Doch die religiöse Komponente scheint mir in diesem Zusammenhang auch nicht die wirklich entscheidende zu sein. Wir leben in einer Zeit, in der den allermeisten Menschen tagtäglich eingebleut wird, dass sie sich Umständen anzupassen haben, die sie angeblich nicht beeinflussen können. Sich einzuschränken, keine zu hohen Ansprüche zu stellen und nur ja nicht auf den Gedanken zu verfallen, an den herrschenden Verhältnissen ließe sich irgendetwas grundsätzlich verändern, gilt als Tugend des Realismus, und es ist die größte Furcht der herrschenden Eliten, dass sich  die "einfachen" Leute von dieser Hypnose befreien könnten. Eine Demutsmoral, wie sie Tolkien vertritt, halte ich nicht deshalb für gefährlich, weil sie religiöse Wurzeln besitzt, sondern weil sie den Glauben an den eigenen Willen untergräbt und damit das vorherrschende Klima der Hilflosigkeit verstärkt.
Nebenbei bemerkt ist der Bilbo des Hobbit ein sehr viel freierer und "humanistischerer" Held als sein Neffe im Herr der Ringe. Zwar wird er durch Gandalfs Manipulationen quasi gezwungen, an der Fahrt zum Einsamen Berg teilzunehmen, aber alle seine wichtigen Entscheidungen während des Abenteuers trifft er nicht unter Anleitung irgendwelcher wohlmeinender Autoritäten oder in demütiger Hinnahme eines göttlichen Auftrags, sondern aus eigener Initiative und Einsicht heraus. Dies gilt insbesondere für den "Diebstahl" des Arkenjuwels – seine vielleicht größte Heldentat.

Zu Weinreich Interpretation der Eukatastrophe als "Vertrauen auf den glücklichen Ausgang der Weltgeschichte" sei außerdem noch folgendes angemerkt: Nicht immer ist der Optimismus eines Schriftstellers etwas Positives, sein Pessimismus etwas Negatives. Ohne es zu wollen, eröffnet uns der gute Frank in einem anderen seiner Essays eine ausgezeichnete Möglichkeit, dies zu demonstrieren.
Um den angeblichen Optimismus von Tolkiens Werk hervorzuheben, kontrastiert er es mit dem Robert E. Howards. Nun wäre ein genauerer Vergleich zwischen den beiden Erzvätern der modernen Fantasy sicher höchst interessant und fruchtbar, doch leider dient ihm "Two-Gun" Bob einfach nur als dunkle Folie, auf der man den "Professor" um so heller und freundlicher erstrahlen lassen kann. Völlig zurecht weist er darauf hin, dass die Welt von Conan & Co. düsterer, härter und hoffnungsloser ist als Mittelerde. Aber er beweist eine extrem oberflächliche Herangehensweise an Howards Werk, wenn er schreibt: „Das einzige was man bei Conan als Gutes ausmachen kann, ist die Kampfkunst und an deren Ende steht immer wieder nur der Tod. Das Gute bei Tolkien, das in den Handlungen der Gefährten, besonders in denen der Hobbits, zum Ausdruck kommt, ist dagegen lebensbejahend."
Für eine wirkliche Analyse und Kritik von Howard ist hier nicht der Platz, aber meiner Meinung nach enthält sein tiefer Pessimismus unbeabsichtigterweise ein größeres Stück Wahrheit als Tolkiens Eukatastrophe. Denn selbstverständlich ist es nicht allein seine Geschicklichkeit im Umgang mit dem Schwert, die den Cimmerier zum Helden macht. Weinreich zitiert zwar eine Beschreibung von Conans gnadenlosen Stammesgott Crom, um den Unterschied zwischen dieser finsteren Gottheit und Tolkiens gütigem Ilúvatar hervorzuheben, verschweigt jedoch, was Conan in Queen of the Black Coast über sein Verhältnis zu den Göttern sagt:
I have known many gods. He who denies them is as blind as he who trusts them too deeply. I seek not beyond death. It may be the blackness averred by the Nemedian skeptics, or Crom's realm of ice and cloud, or the snowy plains and vaulted halls of the Nordheimer's Valhalla. I know not, nor do I care. Let me live deep while I live; let me know the rich juices of red meat and stinging wine on my palate, the hot embrace of white arms, the mad exultation of battle when the blue blades flame and crimson, and I am content. Let teachers and priests and philosophers brood over questions of reality and illusion. I know this: if life is illusion, then I am no less an illusion, and being thus, the illusion is real to me. I live, I burn with life, I love, I slay, and am content.
Howards Ideal war die unabhängige, sich keiner Autorität – gleich ob göttlich oder weltlich – unterordnende, nur ihren natürlichen Trieben gehorchende Persönlichkeit. Man rufe sich nur einmal die berühmte Beschreibung Conans aus The Phoenix on the Sword in Erinnerung: "[B]lack-haired, sullen-eyed, sword in hand, a thief, a reaver, a slayer, with gigantic melancholies and gigantic mirth, to tread the jeweled thrones of the Earth under his sandalled feet." Der Cimmerier wäre niemals bereit gewesen, ein demütiges Instrument der Vorsehung zu werden wie Frodo. Im Ringkrieg hätte er beiden Seiten die Gefolgschaft verweigert. Er hätte als Glücksritter, Pirat oder Söldner seinen eigenen Kampf gekämpft und wäre dabei vermutlich untergegangen, weil er sich weder Sauron noch dem zurückgekehrten König gebeugt hätte.
Diese starke und egoistische Einzelpersönlichkeit stellt Howard in vielen seiner Stories der Macht der Geschichte gegenüber. In diesem Zweikampf muss sie notwendigerweise unterliegen. Daraus resultiert der Pessimismus von "Two-Gun" Bob – und er ist vollkommen berechtigt, denn im Grunde ist er nichts anderes als das ungewollte Eingeständnis, dass das Ideal des "rugged individualism", dem Howard anhing, einer Prüfung durch die Wirklichkeit nicht standhält. Der Einzelne, so willensstark und unabhängig er auch immer sein mag, kann sich nicht gegen die Geschichte durchsetzen. Am großartigsten finden wir dies in Worms of the Earth dargestellt, dem düster-tragischen Finale von Howards Zyklus um den Piktenkönig Bran Mak Morn, der sein Volk gegen die vordringende römische Zivilisation zu verteidigen versucht und damit letztenendes nur dessen Untergang besiegelt.
Auch wenn "Two-Gun" Bob dies nicht beabsichtigte, zeigt uns der Pessimismus seiner Geschichten also, worin die Lösung nicht bestehen kann, ohne dass es dabei zu einer Abwertung des Menschen und seines Willens kommen würde. Tolkiens "Optimismus" – der ja in Wirklichkeit gar keiner ist – preist uns hingegen eine falsche Lösung an, hinter der sich eine viel tiefere Misanthropie verbirgt als die Howards. Die von Gott gesandte Euakatastrophe ist nur die Kehrseite von Tolkiens Überzeugung, dass jeder Versuch der Menschen, ihr Schicksal selbst zu formen, in Tyrannei und Zerstörung enden muss.

Solche Überlegungen besitzen natürlich nur dann Gewicht, wenn man der Meinung ist, dass gute Literatur etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben sollte, dass sie der Leserin oder dem Leser die Möglichkeit eröffnen sollte, Erkenntnisse und Inspirationen aus ihr zu beziehen. Ob Weinreich das so sieht, scheint mir jedoch eher fraglich. Seine Essays enthalten diesbezüglich recht widersprüchliche Aussagen. Als beispielhaft sei da folgender sprachliche wie gedankliche Schnitzer zitiert
Tolkiens von christlichem Gedankengut durchtränkte Kosmogonie einer von einem liebenden Schöpfergott erschaffenen Welt, in der jeder seines Glückes Schmied ist und in der, wer sich nur bemüht, am Ende auch errettet wird, diese Welt ist trotz Saurons und trotz Mordors letztlich doch eine sehr schöne und erstrebenswerte Welt.
Solch eine Welt mag manchem wünschenswert erscheinen, erstrebenswert kann sie auf keinen Fall sein, da ihre Existenz ja nicht vom menschlichen Willen – individuell oder kollektiv – abhängt. Entweder gibt es einen Gott, der letztenendes alles zum Guten lenkt, oder nicht. Wir Menschen können ihn nicht erschaffen.
Tolkien betrachtete es als eine der edelsten Aufgaben des Märchens, Trost zu spenden inmitten einer Welt, die nicht nur vom Grauen der Moderne, sondern auch von „Hunger und Durst, Armut, Schmerz, Leid, Ungerechtigkeit und Tod" erfüllt ist. Man kann aus gutem Grund kritisieren, dass ein solcher "Trost" letztenendes auf ein Aussöhnen mit Verhältnissen hinauslaufen würde, die keineswegs alle naturgegeben und unveränderlich sind. Das Märchen als ein weiteres "Opium des Volkes" sozusagen. Aber es wäre ausgesprochen arrogant, wollte man nicht anerkennen, dass dieser Idee ein ehrlicher und tiefempfundener Glaube zugrundelag. Die Freude, die uns ein wahres Märchen bescheren soll, erschöpfte sich für Tolkien nicht in netten Geschichten von einer herbeifantasierten schöneren Welt: „Es ist eine Freude, die nach einer primären Wahrheit schmeckt. (Andernfalls hieße sie nicht Freude). Sie blickt voraus (oder zurück, die Richtung ist in dieser Hinsicht unerheblich) auf die große Eukatastrophe." Daraus ergeben sich allerdings auch gewisse Probleme. Der Apostel Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos." (1 Kor 15, 13f.) Ähnliches ließe sich auch über die tolkiensche Eukatastrophe sagen. „Das Besondere, der ‘Freude’ im gelungenen Phantasiewerk kann [...] als ein plötzliches Durchschimmern der tieferen Wahrheit oder Wirklichkeit erklärt werden." Wenn es jene „Freude hinter den Mauern der Welt, durchdringend wie das Leid", auf die sie verweisen soll, aber nicht gibt, dann ist auch die Eukatastrophe ‘leer’ und ‘sinnlos’; schlimmer noch: sie ist ein Betrug. (17)
In ihrer ganzen Konsequenz will Frank Weinreich diese Verbindung nicht sehen. Er gehört zwar nicht zu jenen Tolkienisten, die die tiefe Frömmigkeit ihres Idols ignorieren oder kleinzureden versuchen, vielmehr erklärt er die Eukatastrophe ganz offen zu einem Ausdruck der „christliche[n] Weltsicht" des Autors. Aber eigenartigerweise bereitet es ihm keinerlei Schwierigkeiten, sie als etwas Positives zu betrachten, ohne deshalb den Glauben Tolkiens teilen zu müssen. Der christliche Bezug sei „beileibe nicht nötig, um Mittelerde zu verstehen" und  berge „statt dessen sogar die Gefahr, Tolkiens Welt zu missverstehen." Für ihn genügt es offenbar,, wenn ihm der Herr der Ringe die hübsche Mär von „einer vielleicht schöneren und trotz aller Spannung und Gefahr doch behüteteren Welt"  vorsetzt. Nicht im Sinne der klassischen Utopien, die ja als Antrieb zur aktiven Weltveränderung dienen sollten, sondern als phantastisches Neverland, in das er sich ab und an zu einem entspannenden "Urlaub" zurückziehen kann. Damit erweist er sich als ein größerer Eskapist, als es Tolkien jemals gewesen ist. Diesem ging es in seiner Dichtung um die Wahrheit. Ein Begriff, der in Weinreichs Überlegungen zur Literatur scheinbar keine Rolle spielt. Obwohl er die Phantastik unablässig gegen ihre ignoranten Feuilleton-Kritiker verteidigt, bin ich mir deshalb auch nicht sicher, ob er sie selbst wirklich ernst nimmt.

Zum Abschluss noch ein rasch hingeworfener Gedanke: Ich werde das Gefühl nicht los, dass Michael Moorcock mit dem Finale der ersten Trilogie seines Corum-Zyklus in gewisser Weise eine Parodie auf Tolkiens Eukatastrophe schaffen wollte: Der willkürliche Eingriff des anarchischen und gänzlich amoralischen Gottes Kwll hat zur Vernichtung der "bösen" Chaos-Götter geführt. Moorcocks Held ist dankbar und beglückt – das Gute hat wider Erwarten obsiegt! –, als er erfahren muss, dass Kwll – da er schon mal dabei war – auch gleich die "guten" Götter der Ordnung erschlagen hat. Corum ist entsetzt und verwirrt: „’Aber das kosmische Gleichgewicht – ?’ ‘Laß es seine Waagschalen schwingen. Es hat nun nichts mehr zu wiegen. Ihr steht jetzt auf euren eigenen Beinen, ihr Sterblichen.’" Vorbei ist die Zeit der großen Kriege zwischen den Anhängern des Chaos und der Ordnung. Und wie Corum selbst schon bald feststellen kann: „Eine Welt ohne Götter ist eine Welt ohne viel Furcht." Die Menschen nehmen ihr Schicksal in die eigenen Hände und das Ergebnis kann sich sehen lassen: „Nachdem ihnen ihre Götter genommen worden waren, wurden die Mabden [Menschen] ein freundliches und weises Volk." Befreit von göttlichen Manipulationen können sie damit beginnen, ihre eigene "Eukatastrophe" zu schaffen – nicht im glückhaften Augenblick, sondern im allmählichen Auf- und Ausbau ihres Glücks. (18)


(1) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. I. S. 78.
(2) "Behind that there was something else at work, beyond any design of the Ring-maker. I can put it no plainer than by saying that Bilbo was meant to find the Ring, and not by its maker. In which case you also were meant to have it. And that maybe an encouraging thought."
(3) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. I. S. 84.
(4)  Ebd. Bd. I. S. 111f.
(5) Ebd. Bd. I. S. 160.
(6) Mit Harry Potter sorgte allerdings vor noch nicht all zu langer Zeit ein typischer Vertreter dieser Gattung immer noch ordentlich für Furore.
(7) Brief an Rayner Unwin [15. Dezember 1965]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 281. S. 476. 
(8) Brief an Milton Waldman [1951?]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 131. S. 198.
(9) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 197; 200.
(10) Als einem „Werkzeug der Vorsehung" wurde ihm allerdings auch hierbei schon eine mit der „Gnade" Gottes einhergehende „Steigerung [seiner] Kräfte" zuteil. (Brief an Mrs. Eileen Elgar (Entwürfe) [September 1963]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 246. S. 427.)
(11) Brief an Amy Ronald [27. Juli 1956]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 192. S. 333.
(12) Brief an Amy Ronald [15. Dezember 1956]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 195. S. 336.
(13) Brief an Michael Straight (Entwürfe) [Januar/Februar 1956?]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 181. S. 308.
(14) Brief an Mrs. Eileen Elgar (Entwürfe) [September 1963]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 246. S. 427.
(15) Brief an Milton Waldman [1951?]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 131. S. 198.
(16) J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Bd. I. S. 329.
(17) J.R.R. Tolkien: Über Märchen. In: Ders.: Die Ungeheuer und ihre Kritiker. S. 195; 201; 199; 197.
(18) Michael Moorcock: Das Buch Corum. S. 463; 464; 472.

Samstag, 19. Juli 2014

Strandgut der Woche

Freitag, 18. Juli 2014

Wo sind meine Voodoo-Puppen?

Im April dieses Jahres verkündeten Alex Kurtzman und Roberto Orci, dass ihre langjährige Zusammenarbeit im Kinobereich beendet sei und sie als "Drehbuchschreiber, Produzenten und Regisseure" von nun an getrennte Wege gehen würden. Ob der Grund für diese Trennung in der Erkenntnis bestanden hatte, dass sie als Einzelkämpfer doppelt soviel Schaden in der Filmwelt anrichten könnten wie zuvor? Es sieht beinah so aus.
Nachdem ich bereits vor einiger Zeit erfahren musste, dass Orci {nicht ohne Hilfe seines Kumpels J.J. Abrams} das Kommando über die Enterprise an sich zu reißen vermocht hat, erreicht mich nun auch noch via The Dissolve die Hiobsbotschaft, dass Kurtzman mit der Mission beauftragt wurde, das Pantheon der alten Universal - Monster in  ein "zeitgemäßes" Action-Franchise nach Vorbild der Avengers (!?!) zu verwandeln. Als seinen Igor hat er sich dafür Chris Morgan, das "kreative Hirn" {* Hysterisches Gekicher *} hinter der nicht enden wollenden Fast and Furious - Serie, auserkoren.  Kennen die Götter von Hollywood wirklich keine Gnade?!?
Der Univeral - Horror der 30er und 40er Jahre zeichnete sich durch Stil, Atmosphäre, Intelligenz und Humanität aus. Er wurde geprägt von so großartigen Regisseuren wie Tod Browning, Karl Freund, Edgar G. Ulmer & James Whale und von so genialen Schauspielern wie Lon Chaney Jr., Boris Karloff & Bela Lugosi. Ist es wirklich nötig, auch dieses edle Erbe dem erniedrigenden Schauspiel eines Reboots zu unterziehen?
Zugegeben: So gut wie jede der ikonischen Figuren des Universal - Horrors {Dracula, Frankensteins Ungeheuer, die Mumie, der Werwolf, der Unsichtbare Mann} hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten mindestens eine eher unwürdige Wiederauferstehung im Kino erlebt. So gesehen gibt es da wohl kaum mehr etwas zu verhunzen. Dennoch tut es mir weh, wenn ich hören muss, dass unter der Leitung eines untalentierten Hacks wie Kurtzman ganz offiziell das Mausoleum des klassischen amerikanischen Horrorkinos geschändet werden soll.
Angesichts dessen würde ich nur zu gerne wie Boris Karloffs Imhotep in The Mummy die mörderische Macht der altägyptischen Katzengöttin Bastet gegen die Verantwortlichen entfesseln. Und wenn das nichts hilft: Ich arbeite schon seit längerem an zwei Voodoo-Puppen in der Gestalt von Kurtzman und Orci ...

Donnerstag, 17. Juli 2014

Katholische Symbolik im "Herr der Ringe"

Der Herr der Ringe ist natürlich ein von Grund auf religiöses und katholisches Werk,  unbewußtermaßen zuerst, aber bewußt im Rückblick.
So schrieb Tolkien 1952 in einem Brief an seinen Freund, den Jesuitenpater Robert Murray. (1)

Es wäre ein faszinierendes und zum Verständnis des Menschen wie des Mythenschöpfers sicher sehr lohnendes Unterfangen, die unterschiedlichen Facetten von Tolkiens Frömmigkeit etwas genauer unter die Lupe zunehmen. Da gäbe es z.B. die enge Verknüpfung seines Glaubens mit der Erinnerung an seine Mutter, die in seinen Gedanken die Gestalt einer Märtyrerin angenommen hatte, war sie nach ihrem Übertritt zum Katholizismus doch von ihren protestantischen Verwandten "verstoßen" worden, worin er den eigentlichen Grund für ihren frühen Tod sah. (Dass Tolkien ein glühender Marienverehrer war, erscheint da auch ohne Bezugnahme auf Sigmund Freud schon beinahe zwangsläufig.) Oder die selbstquälerisch anmutende Regel, die er sich auferlegt hatte, nie zur Kommunion zu gehen, ohne zuvor gebeichtet zu haben. Dabei bedeutete ihm der Empfang der Eucharestie ungeheuer viel und war in Zeiten geistiger Niedergeschlagenheit, die es nicht selten gab, seine vielleicht wichtigste seelische Stütze. Aber all das würde leider zu weit führen, und so beschränke ich mich auf einige Aspekte seiner Religiosität, die mir im gegebenen Zusammenhang von Bedeutung zu sein scheinen:
  • Tolkien war ein extrem traditionalistischer Katholik. Als sich die Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zumindest partiell der modernen Welt anzupassen versuchte, fiel es ihm entsprechend schwer, die damit verbundenen Veränderungen – insbesondere in der Liturgie und im Umgang mit den protestantischen Kirchen – zu akzeptieren. Dass die Messe von nun an in englischer Sprache gelesen wurde, irritierte ihn so stark, dass er den Gottesdienst mitunter vorzeitig verließ. Was ihn dabei noch zusätzlich empörte war, dass er neben allen möglichen lässig gekleideten Gestalten und unartigen Kindern auch „Frauen in Hosen und oft auch mit weder gepflegtem noch bedecktem Haar" (2) unter den Gläubigen entdecken musste. O tempora, o mores! Wen wundert es da, dass zu seinen Glaubenshelden der erzreaktionäre Pius X. gehörte – jener Papst, der den "Antimodernisteneid" für Priester eingeführt hatte und den die berüchtigte Piusbruderschaft aus gutem Grund  zu ihrem Namenspatron erkoren hat?
  • Tolkien fühlte sich als Katholik einer verfolgten Minderheit angehörig. Die Geschichte der konfessionellen Konflikte in England, ihrer Rolle in den revolutionären Kämpfen des 17. Jahrhunderts und damit verbunden der langwährenden Unterdrückung des Katholizismus kann hier nicht einmal ansatzweise nachgezeichnet werden. Es mag genügen anzumerken, dass Tolkiens Behauptung, Katholiken litten „immer noch unter Beschränkungen [...], die nicht einmal für Juden gelten", zumindest reichlich übertrieben war. Der Antisemitismus trieb vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts manch hässliche Blüten in der britischen Gesellschaft – und Katholiken waren daran alles andere als unbeteiligt –, während es in den 20er Jahren unter dem Einfluss Chestertons und Bellocs vor allem in intellektuellen Kreisen sogar eine gewisse katholische Mode gegeben hatte. Ende der 60er Jahre, als Tolkien obige Bemerkung machte,  lässt sich jedenfalls nicht mehr ernsthaft von einer massiven Benachteiligung der Katholiken in Großbritannien sprechen. Aber offensichtlich waren für ihn bereits die liberalen Ansichten des anglikanischen Bischofs Robinson gleichbedeutend mit einer Attacke auf die römische Kirche und ihre Anhänger, die er in eine Linie mit „Folter und Enteignung" unter Heinrich VIII. stellte! (3)
  • Obwohl selbst Philologe und Literaturwissenschaftler pflegte Tolkien eine extrem naive Sicht auf die heiligen Schriften seiner Religion. Über hundert Jahre historisch-kritischer Bibelwissenschaft scheinen beinahe spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Es war insbesondere die „feste leitende Hand der Alma Mater Ecclesia" (4)  – also die kirchliche Autorität –, die ihn selbst an solch offensichtlich fantastische Geschichten wie die vom Garten Eden glauben ließ. Die Berichte der Evangelien betrachtete er wie selbstverständlich als authentische historische Dokumente, denn sie erzählten von „Dinge[n], von denen es so unmöglich ist, daß irgendwer auf der Welt zu jener Zeit sie ‘erfunden’ haben könnte." (5)  Als Beleg dafür führte er in einem Brief an seinen Sohn Michael aus dem Jahre 1963 ironischerweise ausgerechnet Zitate aus dem Johannesevangelium an, das aufgrund seiner überdeutlich hellenistischen Einfärbung auch unter aufgeklärteren Theologen schon damals als das historisch unzuverlässigste aller Evangelien galt.
  • Von alles überragender Bedeutung für ihn war das „Heilige Sakrament", d.h. die Eucharestie. Die vom Papst geführte Kirche dürfe den Anspruch erheben, „die einzige zu sein, die das Heilige Sakrament stets verteidigt hat (und noch immer verteidigt), die ihm höchste Ehre erwiesen und es (wie Christus klar beabsichtigte) an die erste Stelle gerückt hat." Dies war der Hauptgrund für Tolkien, sie als die „Wahre Kirche" anzuerkennen. Die Betonung der Rolle der Eucharestie führte ihn u.a. auch zu einer recht eigenwilligen Interpretation der Reformation: „Dagegen richtete sich in Wirklichkeit die westeuropäische Revolte (oder Reformation) – gegen die ‘blasphemische Fabel der Messe’ –, und die Frage Glauben/Werke war nur ein Vorwand." (6) Die komplexen theologischen Gedankengänge und heftigen persönlichen Seelenkämpfe eines Luther, Zwingli, Calvin nicht mehr als der heuchlerische Deckmantel für eine Revolte gegen die Transsubstantiationslehre, für die es scheinbar keinen anderen Grund gab als reine Boshaftigkeit! Eine mehr als nur ein bisschen bizarre "Theorie"! Wie viel der Empfang der Kommunion für Tolkien persönlich bedeutete, hat Humphrey Carpenter beschrieben: „[S]elbst bei einer englischen Messe in der kahlen modernen Kirche in Headington, die er nach seiner Pensionierung besuchte [...], erlebte er, wenn er die Kommunion empfing, eine starke innere Freude, einen Zustand der Zufriedenheit, den er auf keinem anderen Weg erlangen konnte." (7) So gesehen lässt sich sein Beharren auf der zentralen Bedeutung des "Heiligen Sakraments" menschlich sehr gut nachvollziehen. Doch indem Tolkien die Transsubstantiationslehre auch unabhängig von seiner persönlichen Erfahrung zum Prüfstein wahren Christentums erhob, rückte er damit den sakramentalen – also magischen – Aspekt des Katholizismus ins Zentrum seiner Religion. (8)
  • Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt ist, dass Tolkien zur Umschreibung seines Glaubens und seiner festen Verbundenheit mit der katholischen Kirche Begriffe verwendete, die auf erstaunliche Weise jenem feudalen Vokabular ähneln, mit dem im Herr der Ringe gesellschaftliche und politische Idealzustände umschrieben werden. (9) Hier wie dort ist "Treue" der zentrale Wert. Vom Glauben abzufallen, bedeutete für ihn in erster Linie nicht, der Wahrheit den Rücken zuzukehren, sondern „die Treuepflicht gegen Unseren Herrn aufzukündigen." (10) Das klingt so ähnlich wie die Worte, mit denen Wolframs Parzival sich nach seinem unglücklichen Abenteuer auf der Gralsburg Munsalvæsche und der anschließenden Verfluchung durch Cundrîe von Gott abwendet: „ich was im diens undertân,/ sît ich genâden mich versan./ nu wil i'm dienst widersagn:/ hât er haz, den wil ich tragn."  (‘Ich war ihm im Dienst ergeben, seit ich mein Streben auf das Heil ausrichtete. Nun werde ich meinen Diensteid ihm gegenüber auflösen: Bringt er mir Feindschaft entgegen, so will ich sie ertragen‘). (11) Der Glaube wird hier in Analogie zur feudalen Bindung zwischen Lehnsherr und Vasall gesehen. Doch was bei Wolfram von Eschenbach als ein verkürztes und damit letztlich falsches Verständnis kritisiert wird, scheint bei Tolkien einen Kernpunkt seiner Religiosität ausgemacht zu haben. So schreibt er an anderer Stelle, Apostasie sei „eigentlich die Ablehnung Unseres Herrn und seiner Ansprüche".  Nachdem wir Christus in der Taufe Gefolgschaftstreue geschworen haben, kann er wie ein Lehnsherr gewisse "Ansprüche" an uns stellen. Wer sich von der Kirche abwendet, verhält sich darum wie ein eidbrüchiger Vasall. Ganz dasselbe Verhältnis hat Tolkiens Ansicht nach offenbar auch zwischen dem gläubigen Katholiken und dem Stellvertreter Christi auf Erden zu bestehen, obwohl die „Kirche und ihre Diener" selbstverständlich nicht vor „Unzulänglichkeiten, Dummheiten und sogar Sünden" gefeit sind. (12)
Es war diese Form der Religiosität, die die geistige Grundlage für Tolkiens Weltanschauung bildete. Sein extremer Konservatismus, sein Gefühl der Isolation inmitten einer vom Bösen dominierten Welt, sein zwischen Obskurantismus und Anerkennung hin und her pendelndes Verhältnis zur Wissenschaft und nicht zuletzt sein an feudalen Vorbildern orientierter Autoritarismus fanden hier ihre Bestätigung und ihre "göttliche" Weihe. Die zaghafte Liberalisierung der Kirche drohte deshalb auch, deren Funktion als Bollwerk gegen das Böse (13), die ja zugleich die eines Refugiums für den sich verloren fühlenden Schriftsteller war, in Frage zu stellen. So schrieb er 1967/68 an Michael: „Ich weiß ganz gut, daß die Kirche, die einst eine Zuflucht zu sein schien, Dir ebenso wie mir nun wie eine Falle vorkommt. Nirgendwo sonst können wir hin!" (14)  Es stellt sich nunmehr bloß noch die Frage, inwieweit diese Spielart des Katholizismus ihre Spuren auch im Herr der Ringe hinterlassen hat.

Einige Fanboys und -girls tun sich merkwürdig schwer damit, die christliche Prägung des Buches zu akzeptieren (15) – trotz Tolkiens eindeutiger Aussagen hierüber –, wobei die Gründe von Person zu Person recht unterschiedlich sein dürften.  Dass einige katholische Fundamentalisten immer mal wieder versuchen, den Herr der Ringe als Waffe in ihrem Kreuzzug zur "Neuevangelisierung der säkularisierten Welt" einzusetzen, ist sicher ein abstoßendes Schauspiel. Wer sieht es schon gerne, wenn Mittelerde von  faschistoiden Polit-Katholiken vereinnahmt wird?  (16) Aber das rechtfertigt noch lange nicht, die Augen vor Tatsachen zu verschließen. Es wäre doch wohl auch kaum nachzuvollziehen, wenn der religiöse Glaube eines Schriftstellers von unbezweifelbarer Frömmigkeit keinen Einfluss auf sein literarisches Werk gehabt hätte.

Die Verbindung von Christentum und Phantastik hat im übrigen bereits eine längere Tradition in der englischen Literatur. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte das Werk des viktorianischen Autors George MacDonald (1824-1905) sein, der neben William Morris oft als einer der Urväter der Fantasy bezeichnet wird. Tolkiens Einstellung zu dieser Tradition war allerdings eher ambivalent. Schon als Kind hatte er die Märchengeschichten The Princess and the Goblin und The Princess and Curdie geliebt, und daran änderte sich auch im Erwachsenenalter nichts. Wie er selbst einmal erklärt hat, verdankt die Darstellung der Orks im Hobbit sicher einiges den Kobolden MacDonalds. (17) Anders verhielt es sich mit den stärker religiös geprägten Büchern des Schotten, zu denen seine bedeutendsten Werke wie Phantastes und Lilith zählen. An ihnen missfiel Tolkien vor allem ihr halb allegorischer Charakter. Besonders harsch urteilte er über die kleine Erzählung The Golden Key, für die er im Auftrag eines amerikanischen Verlags in den 60er Jahren ein Vorwort verfassen sollte. Sie sei „schlecht geschrieben, zusammenhangslos und schwach, trotz einiger erinnernswerter Passagen." (18)  Eigentümlicherweise war es jedoch gerade sie, die ihn zu seinem letzten abgeschlossenen Werk – Smith of Wootton Major – inspirierte; neben Leaf by Niggle seine einzige allegorische Erzählung.
Während C. S. Lewis sich ganz bewusst – wenn auch nicht unbedingt berechtigterweise – in die Tradition MacDonalds stellte, den er emphatisch seinen ‘Meister’ nannte, kann also dasselbe nicht auch von Tolkien gesagt werden. (19) Seine Form der christlichen Phantastik war eine völlig andere. Jeder Versuch, den Herr der Ringe als Allegorie zu lesen, muss zu so abstrusen Ergebnissen führen wie Joseph Pearce’ Behauptung, es handele sich bei ihm um „a sublimely mystical passion play. The carrying of the ring – the emblem of sin – is the carrying of the cross." – Nein! Frodos Wanderung zum Schicksalsberg ist keine imitiatio Christi! Es ist zwar möglich, einige spärliche Belege für eine solche Interpretation aus dem Text zusammenzukratzen (Die Last des Ringes als "Last der Sünden"; der Orodruin als Golgatha; der Tag der Ringzerstörung [25. März], der nach angelsächsischer Tradition dem Datum der Kreuzigung entspricht), aber dies war einfach nicht die Art, in der der Schriftsteller Tolkien dachte und arbeitete. Anders als in Lewis’ Büchern stolpern wir bei ihm deshalb glücklicherweise auch nicht über Christuslöwen, die sich opfern lassen, um anschließend wiederaufzuerstehen, oder über grünhäutige Venus-Evas, die von satanischen Physikern zur Ursünde verführt werden sollen.
Dennoch lässt sich der Herr der Ringe nicht angemessen beurteilen, wenn man dabei den Glauben seines Verfassers außer Acht lässt. Das christliche Element zeigt sich auf zwei Arten, die zwar miteinander verbunden sind, die es aber dennoch klar voneinander zu unterscheiden gilt. Von diesen werde ich an dieser Stelle nur die erstere – und eigentlich unwichtigere – behandeln:
Der Roman enthält an einigen Stellen recht deutliche Bezüge zur katholischen Mythologie und Symbolik. Dafür drei besonders augenfällige Beispiele:

1) Lembas, die wundersame Wegzehrung der Elben, die Körper und Seele stärkt und vor allem in den Mordor-Kapiteln eine nachgerade mystische Bedeutung erhält, erinnert recht offensichtlich an die Eucharestie, insbesondere wenn man Tolkiens inniges Verhältnis zur Heiligen Kommunion in Betracht zieht. Und spätestens nachdem man erfahren hat, dass das in Sindarin recht profan als "Reisebrot" bezeichnete Gebäck in Quenya den Namen "coimas" = "Lebensbrot" trägt, können wohl kaum noch Zweifel bestehen, sagt der Christus des Johannesevangeliums doch von sich: „Ich bin das Brot des Lebens." (Joh 6,48).

2) Die besondere Verehrung, die die Hochelben ebenso wie Frodo und Sam Elbereth Gilthoniel – der Sternenentzünderin Varda, Gemahlin Manwe Súlimos, des Königs der Valar – entgegenbringen, lässt sich ohne größere Schwierigkeiten als Widerspiegelung von Tolkiens eigener Marienfrömmigkeit interpretieren. Da Tolkien offen religiöse Elemente im Herr der Ringe bewusst nur sehr spärlich eingesetzt hat, fällt es um so mehr auf, dass in dem Roman gleich mehrere Hymnen an Elbereth vorkommen. Keinem anderen Vala wird diese Ehre zuteil.
Snow-white! Snow-white! O lady clear!
O Queen beyond the Western Seas!
O light to us that wander here
Amid the world of woven trees!
Gilthoniel! O Elbereth!
Clear are thy eyes and bright thy breath!
Snow-white! Snow-white! We sing to thee
In a far land beyond the Sea.
O stars that in the Sunless Year
With shining hand by her were sawn,
In windy fields now bright and clear
We see your silver blossom blown!
O Elbereth! Glithoniel!
We still remember, we who dwell
In this far land beneath the trees,
Thy starlight on the Western Seas.
So singen die Elben, denen die vier Hobbits ganz zu Beginn ihrer Reise in den nächtlichen Wäldern des Auenlandes begegnen. Den Anfang eines ähnlichen Hymnus bilden die elbischen Verse, die Frodo in Bruchtal hört, als er gerade dabei ist, mit Bilbo die Halle des Feuers zu verlassen:
A Elbereth Gilthoniel, 
silivren penna míriel
o menel aglar elenath!
Na-chaered palan-díriel 
o galadhremmin ennorath,
Fanuilos, le linnathon
nef aear, sí nef aearon! 
Im Herr der Ringe bleiben diese Verse unübersetzt, doch im Anhang zu Donald Swanns Liederzyklus The Road Goes Ever On gibt Tolkien folgende Übersetzung: „O! Elbereth who lit the stars, from glittering crystal slanting falls with light like jewels from heaven on high the glory of the starry host. To lands remote I have looked afar, and now to thee, Fanuilos, bright spirit clothed in ever-white, I here will sing beyond the Sea, beyond the wide and sundering Sea." (20)
Schließlich wird die Sternenkönigin auch in dem Klagelied erwähnt, das Galadriel bei der Abfahrt der Gefährten aus Lórien anstimmt. Dort erscheint sie als eine strenge Herrscherin, die der Sängerin mit majestätischer Geste die Rückkehr nach Valinor, in das Irdische Paradies, aus dem die rebellischen Hochelben einst verbannt wurden, verwehrt: „Denn nun hat die Entzünderin, Varda, die Königin der Sterne vom Berg Immerweiß, ihre Hände wie Wolken gehoben, und alle Pfade sind tief im Schatten versunken".
Direkte Parallelen zur marianischen Symbolik lassen sich freilich kaum ausmachen, ist die zugrundeliegende Mythologie doch eine völlig andere. So ist die Gottesmutter selbstverständlich keine "Entzünderin der Sterne" – die Behauptung, neben Gott hätten noch andere Wesen an der Schöpfung mitgewirkt, würde im Kontext des Christentums wie Blasphemie wirken; auch ist Maria ja erst am Ende ihres irdischen Lebens durch ihre "Aufnahme in den Himmel" (Assumptio) zu einer quasi göttlichen Gestalt geworden. Ähnliches gilt für das Meeresmotiv in den beiden Hymen, das auf die Verbannung aus Valinor jenseits der Westlichen See anspielt und die Sehnsucht der Exilierten nach einer "Heimkehr" zum Ausdruck bringt.  Auch dafür gibt es in der katholischen Mythologie keine direkte Entsprechung. (21) Abstrahiert man jedoch von den konkreten mythologischen Bezügen, so lassen sich sehr wohl einige Anklänge an die Marienlyrik des Mittelalters aus Tolkiens Versen heraushören.
So war z.B. der Stern ein äußerst beliebtes Mariensymbol. In Verbindung mit dem Meeresmotiv fühlt man sich vor allem an die bekannte Bezeichnung Mariens als "stella maris" – "Meerstern" – erinnert. (22) Doch auch sonst diente der Stern häufig als Sinnbild für die Gottesmutter, so etwa in der höchst artifiziellen Ballat of Our Lady des spätmittelalterlichen schottischen Dichters William Dunbar, die mit den Versen anhebt: „Hale, sterne superne; hale, in eterne/ In Godis sicht to schyne;" (23) – "Heil, hoher [oder himmlischer] Stern! Heil, der du in Ewigkeit vor Gottes Angesicht erstrahlst!". Dann wäre da die Farbe Weiß, die das wichtigste äußerliche Attribut Elbereths zu sein scheint und die aufgrund ihrer Assoziationen mit Reinheit und Keuschheit naheliegenderweise auch sehr häufig mit der Jungfrau in Verbindung gebracht wurde. Das gleiche gilt für den Schnee, der „wegen seiner Farbe und Kälte [...] Mariensymbol" war und „als solches in mittelalterlichen Marienliedern besungen" wurde. (24) Genaugenommen freilich soll das „Snow-white" aus Tolkiens Hymnus eine Übersetzung’des elbischen "Fanuilos" sein, welches weniger auf das Weiß des Schnees, als vielmehr auf das der Wolken verweisen würde.  (25) Aber da wir als Leser hier ein englisches und kein elbisches Gedicht vor uns haben, spielt das letztlich keine Rolle. Schließlich mag es für uns vielleicht etwas ungewöhnlich anmuten, dass im ersten Hymnus Vardas Atem gepriesen wird, aber auch dieses Motiv findet sich in mittelalterlichen Preisliedern auf die Himmelskönigin: „The odour of hir mowthe aromatike/ Dyd coumford the world unyversall." (26) – "Der aromatische Duft ihres Mundes tut der ganzen Welt wohl." Da dürfte wohl das alttestamentliche Hohelied als Vorbild gedient haben. (27)
Was Tolkiens Varda allerdings völlig fehlt, ist der menschliche Zug Mariens, der vielen mittelenglischen Gedichten auf die Gottesmutter ihren anrührenden Charakter verleiht, so wenn wir erzählt bekommen, wie Maria das Jesuskind in den Schlaf singt oder sich von Schmerz und Verzweifelung überwältigt den Tod wünscht, als sie miterleben muss, wie ihr geliebter Sohn ans Kreuz geschlagen wird. Von den drei traditionellen Aspekten Mariens – Jungfrau, Mutter, Königin – verkörpert Elbereth nur den dritten. Hauptgrund für diesen Unterschied ist natürlich die mythologische Grundlage. Varda ist eben kein Mensch, sondern eine Art Erzengel. Auch entspricht diese Distanz dem Charakter der fiktiven Urzeit, in der Tolkiens Geschichten angesiedelt sind. In jenen Tagen besaßen die Völker Mittelerdes keinen direkten Zugang zu Gott, und auch die Valar waren, nachdem sie sich nach Valinor zurückgezogen hatten, zu fernen und beinahe "mythischen" Gestalten geworden. Die biblische Geschichte von Gottes Umgang mit seinen Kindern lag noch in ferner Zukunft.
Aber so unnahbar Elbereth auch immer wirken mag, scheint sie von allen Valar doch diejenige zu sein, der sich die Elben am nächsten fühlen und deren Beistand sie in Momenten der Verzweifelung erflehen. So wird sie von Frodo bei seiner Konfrontation mit den Schwarzen Reitern an der Bruinenfurt angerufen, ebenso von Legolas beim Auftauchen des geflügelten Nazgûls über dem Anduin. Das eindrücklichste Beispiel aber sind die Verse, die Sam in inspiriertem Zustand ausruft, als er der fürchterlichen Kankra gegenübersteht:
A Elbereth Gilthoniel
o menel palan-díriel,
le nallon sí di-nguruthos!
A tíro nin, Fanuilos!
Was Sams Ausruf „in einer Sprache, die er nicht kannte", bedeutet, erfahren wir einmal mehr in The Road Goes Ever On:
O! Queen who kindled star on star,
white-robed from heaven gazing far,
here overwhelmed in dread of Death
I cry: O guard me, Elbereth! (28)
Erstaunlicherweise wird im Silmarillion nichts erzählt, was erklären würde, warum unter den Valar ausgerechnet Elbereth eine gute Wahl als potentielle Nothelferin sein sollte. Nach der "Verhüllung von Valinor" verhält sie sich nicht anders als ihre Brüder und Schwestern und wendet sich von Mittelerde ab. Nichts spricht dafür, dass sie eher als diese dazu geneigt wäre, helfend in die Geschicke der Welt einzugreifen. Legt dies nicht erst recht nahe, dass wir es an dieser Stelle mehr mit Tolkiens Frömmigkeit als mit seiner Mythologie zu tun haben? (29)

3) Gandalf stellt einen etwas heiklen Fall dar. Immerhin haben wir es bei ihm mit jemandem zu tun, der eine Art Opfertod stirbt und später in einer "verklärten" Form – als "Gandalf der Weiße" – unter die Lebenden zurückkehrt. Eine Präfiguration Christi? – Im ersten Moment mag das vielleicht ebenso absurd erscheinen, wie Pearce’ These vom Herr der Ringe als "Passionsspiel", aber es gibt einige durchaus erwägenswerte Argumente, die man für eine solche Interpretation ins Feld führen könnte.
Tolkien beschreibt die Konfrontation zwischen Gandalf und dem Balrog auf der Brücke von Khazad-dûm deutlicher als irgendein anderes Ereignis im Herr der Ringe als ein Aufeinandertreffen himmlischer und höllischer Mächte. Der Zauberer bezeichnet sich selbst als einen „Diener des Geheimen Feuers", seinen Widersacher als „Flamme von Udûn". Im Silmarillion begegnet uns der Ausdruck "Geheimes Feuer" mehrfach als Bezeichnung für die lebensspendende Schöpferkraft Gottes, und Clyde C. Kilby berichtet, Tolkien habe während eines ihrer Gespräche ausdrücklich erklärt, „that the 'Secret Fire sent to burn at the heart of the World' in the beginning was the Holy Spirit."  Ikonographisch passt das sehr gut, man denke nur an die pfingstlichen Flammenzungen. Auch entspricht es Gandalfs Mission, die nicht im direkten Kampf gegen Sauron, sondern im "anfeuern" all jener besteht, die dem Dunklen Herrscher Widerstand zu leisten bereit sind. Udûn wiederum ist der Name der ersten Festung Melkors in Mittelerde. Der Balrog wird also als eine Ausgeburt des Höllenfeuers bezeichnet, und tatsächlich ist er ja ein "Teufel" ganz im christlichen Sinne, d.h. ein gefallener Engel (Maia).
Ist auf diese Weise schon einmal der besondere Charakter der Szene hervorgehoben, so lassen sich in den folgenden Ereignissen tatsächlich einige leichte Anklänge an den christlichen Mythos ausmachen.
Dem Menschen von heute – auch dem Christen oder der Christin – dürfte die Vorstellung von der "Höllenfahrt Christi" nicht mehr so geläufig sein, aber für das Mittelalter stellte sie einen integralen Bestandteil der Passions- und Ostergeschichte dar. Ausgehend vom Bericht des apokryphen Nikodemus-Evangeliums war der Descensus ad infer(n)um –  im Englischen "Harrowing of Hell" genannt – ein beliebtes Thema der christlichen Kunst und besaß z.B. einen festen Platz in den englischen Mysterienspielen des Spätmittelalters, den sogenannten Cycle-Plays (Chester, York, Towneley, N-Town). Demzufolge hat Jesus nach seinem Tod am Kreuz die Unterwelt aufgesucht, ihre Tore zerbochen, den Satan niedergerungen und in Ketten gelegt und die endlich erlösten Seelen der Gerechten hinauf ins Paradies geführt.
Über seinen Sturz in den Abgrund berichtet Gandalf: „Lange Zeit fiel ich. [...] Lange fiel ich, und er fiel mit mir. Sein Feuer war um mich. Es verbrannte mich. Dann stürzten wir in das tiefe Wasser, und alles war dunkel. Kalt war es wie die Stunde des Todes: fast erstarrte mein Herz." Das ließe sich sehr wohl als eine Art Sturz in die Unterwelt interpretieren. Der Zauberer betritt ein Reich, „jenseits von Licht und Wissen", wo er seinen Kampf gegen den Dämon fortsetzt. (30)
Die Ähnlichkeiten sind zugegebenermaßen minimal. Zwar bezwingt auch er einen teuflischen Widersacher, aber der Höhepunkt des Kampfes findet nicht in den Tiefen des Abyssos, sondern auf dem Gipfel der Silberzinne statt. Auch befreit er niemanden durch seinen Sieg. Und doch, wenn der Zauberer sagt, er sei „durch Feuer und Tod gegangen" , könnte man daraus nicht eine versteckte Anspielung auf Christi Triumph über die Mächte von Hölle und Hades heraushören? – „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" (1 Kor 15,55) Zumal Gandalf kurz darauf Gríma mit den Worten anfährt: „Nieder, Schlange! Auf den Bauch mit dir!" Als falscher Ratgeber Théodens ist Gríma der archetypische Verführer, und erinnert der Ausruf des Zauberers nicht an die biblische Verfluchung der Schlange im Paradies: „Auf dem Bauch sollst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens" (Gen 3, 14)?
Natürlich wären diese Indizien viel zu mager, um eine Beziehung zwischen Gandalf und Christus zu konstruieren, wenn sie nicht in direkter Verbindung zu einer ganz expliziten Auferstehung von den Toten stehen würden. Und dieses Motiv nimmt sich im Buch eines gläubigen Christen so außergewöhnlich aus, dass eine dahingehende Vermutung meiner Meinung nach nicht von der Hand zu weisen ist.
Ist der Zauberer also eine Art Christus mit weißem Bart und buschigen Augenbrauen? – Das natürlich nicht. Tolkien selbst sagte über Gandalfs Tod und Wiederkehr: „Aber obwohl man darin an die Evangelien erinnert werden mag, ist es in Wahrheit keineswegs dasselbe. Die Inkarnation Gottes ist etwas unendlich Größeres als alles, was ich mich getrauen würde zu schreiben." (31)  Es gibt keinen Grund, diese Aussage anzuzweifeln. Was genau nach dem Tod des Zauberers geschehen ist, bleibt absichtlich vage. Er selbst sagt dazu nur: „Dann umfing mich Dunkelheit, und ich irrte umher ohne Gedanken und Zeitgefühl, und ich wanderte auf Wegen, die ich nicht nennen will. Nackt wurde ich zurückgeschickt – für eine kurze Zeit, bis meine Aufgabe erfüllt ist."  Klar ist damit nur – aber das ist sehr wichtig –, dass er nicht aus eigener Macht von den Toten zurückgekehrt ist. Er wurde von Gott zurückgesandt. Er wird darum auch nicht zu einer Erlöserfigur. Als Gandalf der Weiße ist seine Macht zwar gesteigert und er übernimmt eine aktivere Rolle, aber er ist kein Messias.
Hätte ein mittelalterlicher Gelehrter den Bericht über Gandalfs Tod und seine Wiederkehr im "Roten Buch der Westmark" gelesen, so hätte er ihn vielleicht typologisch gedeutet. „Bei der Typologie kehrt ein Geschehen der Alten Zeit in einem Geschehen der Neuen Zeit wieder, und zwar in gesteigerter Spiegelung. Im neuen Gegenbild des alten Vorbilds müssen Gemeinsames und Unterscheidendes sich verbinden." (32) Für den frommen Kleriker hätte Gandalfs Geschick in ähnlicher Weise auf Christus verwiesen wie die Geschichte von Jonas im Bauch des Wals.  Normalerweise findet sich der "Typus" für den neutestamentlichen "Antitypus" in der "realen" Geschichte, d.h. in erster Linie im Alten Testament, mitunter auch in anderen historischen Überlieferungen und Sagen. Aber es konnte auch vorkommen, dass Dichter in offensichtlich fiktionalen Texten mit typologischen Bezügen spielten. So vermischen sich z.B. im mittelenglischen Sir Orfeo, von dem Tolkien selbst eine Übersetzung anfertigte, Elemente aus dem antiken Orpheusmythos, den keltischen Feengeschichten und dem höfischen Ritterroman, wobei der von der christlichen Orpheustradition übernommene typologische Bezug auf Jesus sicher eine der Sinnebenen dieses faszinierenden "bretonischen Lais" darstellt, ohne dass deshalb ein Anspruch auf Faktizität des Erzählten erhoben werden würde.
Ist man tatsächlich gewillt, die Gandalfszene aus dem Herr der Ringe typologisch zu lesen, so könnte man sie als ein Einbinden der fiktiven tolkienschen Urgeschichte in die christliche Heilsgeschichte verstehen, auch wenn das etwas weit hergeholt erscheinen mag.

Wie auch immer man diese motivischen Anspielungen auf die christlich-katholische Tradition im Einzelnen bewerten mag, dass sie existieren kann meiner Meinung nach nicht bestritten werden.
Ständen sie für sich alleine, so besäßen sie freilich keine größere Relevanz für die Beurteilung des Romans. Sie fielen dann ungefähr in dieselbe Kategorie wie Bilbos Pokalraub im Hobbit und sein Vorbild aus dem Beowulf oder die Parallelen zwischen der Kullervo-Episode des Kalevala und der Geschichte von Túrin und Nienor.
Tatsächlich aber scheinen sie mir Illustrationen eines tieferliegenden Motivs zu sein, das die gesamte Handlung durchtränkt, sie trägt und ihr ihre Bedeutung verleiht: des Motivs der göttlichen Vorsehung. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem verschiebe ich jedoch lieber auf einen anderen Tag.


Hinzugefügt: 
Vor beinah genau zehn Jahren hat der gute Molo übrigens auch schon einmal einen {meiner Meinung nach sehr lesenswerten} Artikel über den christlichen Gehalt von Tolkiens literarischem Werk veröffentlicht.


(1) Brief an Robert Murray, S.J. [2. Dezember 1952]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 142. S. 228.
(2) Brief an Michael Tolkien [1. November 1963]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 250. S. 442.
(3) Brief an Michael Tolkien [1967/68]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 306. S. 514.
(4) Brief an Christopher Tolkien [30. Januar 1945]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 96. S. 147.
(5) Brief an Michael Tolkien [1. November 1963]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 250. S. 442.
(6) Ebd. S. 442f.
(7) Humphrey Carpenter: J.R.R. Tolkien. Eine Biographie. S. 151.
(8) Dass die Wunderheilungen von Lourdes für ihn unumstößliche Tatsachen darstellten, sei nur nebenbei erwähnt. Vgl.: Brief an Christopher Tolkien [7./8. November 1944]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 89. S. 134f.
(9) Zu diesem Aspekt von Tolkiens Werk habe ich vor gut zwei Jahren schon einmal einen mehrteiligen Aufsatz veröffentlicht: (1) * (2) * (3) * (4)
(10) Brief an Michael Tolkien [1. November 1963]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 250. S. 441.
(11) Wolfram von Eschenbach: Parzival. X, 332, 5-8.
(12) Brief an Michael Tolkien [1967/68]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 306. S. 513; 514.
(13) "Wie in früheren dunklen Zeiten wird die christliche Kirche allein größere (doch nicht unveränderte und vielleicht auch nicht unbeschädigte) Traditionsbestände einer höheren geistigen Zivilisation retten können, allerdings nur, wenn sie nicht abermals in die Katakomben getrieben wird." (Brief an Christopher Tolkien [22. August 1944]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 79. S. 123.)
(14) Brief an Michael Tolkien [1967/68]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 306. S. 513; 512.
(15) Man schaue sich z.B. diese, streckenweise äußerst skurrile Diskussion auf dem Tolkienforum an.
(16) Als ein besonders unappetitlicher Vertreter dieser katholisch-fundamentalistischen Tolkienisten präsentiert sich Dr. Ken Craven in seinem Essay Catholic Poem in Time of War: The Lord of the Rings. Bei ihm findet sich wirklich alles: Die Kreuzzüge als glorreiche Verteidigungskriege gegen den bösen Islam; das europäische Mittelalter als zivilisatorischer Höhepunkt der Menschheitsgeschichte; der Protestantismus als "Unreligion"; C. S. Lewis’ „shameful treatment of [...] Roy Campbell" – d.h. seine Verurteilung der offen faschistischen Sympathien des Dichters – als Ausdruck der unheilbaren Katholikenfeindschaft aller Anglikaner; die Verdammung der gesamten Tradition des wissenschaftlichen Denkens seit Francis Bacon; glühender Hass auf alle "liberalen" oder "linken" Intellektuellen; das Patriarchat als "natürliches" Verhältnis der Geschlechter zueinander; die Identifikation von Abtreibung und Holocaust; der sog. "Krieg gegen den Terror" als Feldzug gegen "das Böse", und zugleich Verständnis, ja Sympathie für die reaktionärsten Seiten des islamischen Fundamentalismus als eines Ausdrucks des berechtigten Abscheus vor dem verrotteten, gottlosen Westen (gleich und gleich gesellt sich halt gern). Mich schaudert’s!
(17) Vgl.: Brief an Naomi Mitchison [25. April 1954]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 144. S. 235.
(18)  Zit. nach: Humphrey Carpenter: J.R.R. Tolkien. Eine Biographie. S. 275.
(19) Lewis und MacDonald werden oft in einem Atemzug genannt, was sehr schnell zu einem verzerrten Bild des schottischen Schriftstellers führen kann. Wie Robert N. Lee in seinem einfühlsamen Essay Mastery and Moorditch: George MacDonald and True Faith schreibt: „MacDonald and Lewis are not similar writers at all, nor were they similar people or similar Christians. In fact, I would go so far as to put it this way: George MacDonald is the Anti-C.S. Lewis." Der Schotte war ein Häretiker, der aufgrund seiner unorthodoxen Ansichten seine Pastorenstelle verlor. Er leugnete die Prädestination, den stellvertretenden Opfertod, mit dem Christus uns von der wohlverdienten Strafe für unsere Sünden befreit habe, indem er sie selbst auf sich nahm, sowie die ewige Verdammnis. Diese Lehren erschienen ihm unvereinbar mit einem Gott der Liebe. Für Lewis hingegen wäre ein Christentum ohne Hölle völlig undenkbar gewesen. Um so bizarrer wirkt es, dass er in seiner Jenseitsdichtung The Great Divorce, die u.a. der Verteidigung des Höllenglaubens gewidmet ist, ausgerechnet MacDonald die Rolle des Führers – ähnlich der des Virgil in Dantes Göttlicher Komödie – spielen lässt.
(20) J.R.R. Tolkien & Donald Swann: The Road Goes Ever On. S. 72.
(21) Allerdings könnte man argumentieren, Maria sei diejenige, durch die für die Christen eine vergleichbare Sehnsucht in Erfüllung gegangen ist. In ihrem "Schoß" ist Gott Mensch geworden, und so konnten wir durch Christi Opfertod vom Satan freigekauft und von der Erbsünde reingewaschen werden. Damit ist die Rückkehr ins Paradies möglich geworden. Maria wird deshalb auch als die "neue Eva" bezeichnet, denn wie durch die Urmutter Sünde und Tod, sind durch sie Erlösung und Ewiges Leben in die Welt gekommen. Und der Aufruhr der Hochelben und ihre Verbannung aus Valinor ähnelt ja in mancherlei Hinsicht der biblischen Geschichte vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies.
(22) Der eigenartige Beiname verdankt seine Existenz übrigens einem Schreibfehler des Hl. Hieronymus. Dieser übersetzte den hebräischen Namen Miriam als "Tropfen des Meeres", aber aus "stilla" ("Tropfen") wurde dabei irrtümlich "stella" ("Stern") ... und eines der beliebtesten und poetischsten Mariensymbole der mittelalterlichen Dichtung war geboren.
(23) William Dunbar: The Complete Works. §4. V. 1f.
(24) Gerd Heinz-Mohr: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. S. 281.
(25) Vgl.: J.R.R. Tolkien & Donald Swann: The Road Goes Ever On. S. 74. Allerdings heißt es dort abschließend: „Fan-uilos thus in full signified ‘bright (angelic) figure ever white (as snow)", obwohl ‘fan-‘ ursprünglich ‘Wolke’ bedeutet habe.
(26) Karen Saupe (Hg.): Middle English Marian Lyrics. §50. V. 11f.
(27) „Apfelduft sei der Duft deines Atems, / dein Mund köstlicher Wein" (Hld 7, 9-10). In der allegorischen Schriftdeutung des Mittelalters wurde die in dem Liebeslied besungene Schöne oft mit Maria identifiziert.
(28) J.R.R. Tolkien & Donald Swann: The Road Goes Ever On. S. 72. Dies ist keine genaue "Übersetzung" (eine solche findet sich gleichfalls in The Road Goes Ever On), sondern eine "Nachdichtung".
(29) Eine weitere Madonnengestalt ist Galadriel. Zur Illustration möge eine Zeile aus dem Gedicht auf die Herrin des Goldenen Waldes genügen, das Gandalf in Meduseld zitiert und das offenbar von einem Sänger Rohans verfasst wurde: „White is the star in your white hand."
(30)  Mit ganz derselben Symbolik spielt übrigens auch J. Michael Straczynski in Babylon 5, wenn er seinen Helden John Sheridan auf dem Höllenplaneten Z’ha’dum in einen scheinbar bodenlosen Abgrund springen lässt, wobei er "stirbt", um anschließend von Lorien, "dem Allerersten", wieder zum Leben erweckt zu werden. Mit dem flammenden "Auge" der "Schatten" und seiner bewusstseinsbeinflussenden Macht wird im selben Zusammenhang auch recht eindeutig auf den Herr der Ringe angespielt. Anders als bei Tolkien steht bei Straczynski am Ende allerdings eine wenn auch ziemlich verschwommene, so doch deutlich antimythische und humanistische Botschaft.
(31) Brief an Michael Straight (Entwürfe) [Januar/Februar 1956?]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 181. S. 312.
(32) Friedrich Ohly: Halbbiblische und außerbiblische Typologie. In: Ders.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. S. 364.