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Sonntag, 27. Oktober 2013

Nicht so mies wie oft behauptet

Cthulhu von Dan Gildark und Grant Cogswell ist ein sehr ehrgeiziger Film. Aus diesem Ehrgeiz bezieht er seine Stärke, an ihm scheitert er letztendlich aber auch.

Doch bevor wir ihn uns ein bisschen genauer anschauen, scheint es mir nötig, ein paar Worte über die extrem negativen Reaktionen zu verlieren, die der Streifen nach seiner Premiere auf dem Seattle International Film Festival im Juni 2007 vielerortens ausgelöst hat. Nun ist es ja nicht so, als gäbe es massenhaft gelungene Lovecraftadaptionen. Die Fangemeinde dürfte eigentlich schon so einiges gewohnt sein. Warum also schlug gerade Cthulhu soviel Hass und Verachtung entgegen?
Schaut man sich ein wenig im Netz um, so scheint es vor allem drei Argumente zu geben, die immer wieder gegen den Streifen vorgebracht werden:
1) Der Titel ist irreführend, da der tentakelbewehrte Herr von R'lyeh überhaupt nicht in ihm auftritt. Schlimmer noch – abgesehen von einigen nur kurz und schemenhaft auszumachenden Kreaturen in den Gewölben unter der Stadt, tauchen überhaupt keine Monster in ihm auf.
2) Der Film spielt nicht im neuenglischen "Lovecraft-Country", sondern an der amerikanischen Pazifikküste.
3) Die Homosexualität des Protagonisten nimmt einen viel zu großen Raum in der Geschichte ein. Und überhaupt – warum ist der Typ schwul?
Keines dieser Argumente ist für mich nachvollziehbar. 
1) Ich werde etwas später darlegen, warum ich den Titel eigentlich sehr treffend finde, doch davon einmal abgesehen, finde ich es depremierend, dass so viele Lovecraftfans mit dem Namen des alten Gentlemans offenbar ausschließlich irgendwelche schleimigen Monstrositäten verbinden. Von denen gibt es in seinen Geschichten mehr als genug, aber ist der Cthulhu-Mythos im Kern nicht außerdem eine Metapher für ein bestimmtes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der menschlichen Existenz? Und gerade diese metaphorische Ebene haben Gildark und Cogswell filmisch umzusetzen versucht, was man von den wenigsten anderen Filmemachern, die sich an einer Lovecraftadaption versucht haben, behaupten kann.
2) In der Tat spielt das neuenglische Setting eine wichtige Rolle für die Atmosphäre von Lovecrafts Geschichten. Doch Cthulhu ist der Versuch einer modernen Adaption, und das muss ganz automatisch zu einer veränderten Atmosphäre führen. Hätte man den Film im Massachusetts des beginnenden 21. Jahrhunderts gedreht, wäre das dem Setting der Geschichten auch nicht viel näher gekommen. Ich nehme nicht an, dass das heutige Salem sehr viel Ähnlichkeit mit Lovecrafts Arkham hat. {Macht der Umstand, dass Stuart Gordons Re-Animator (1985) im fiktiven Arkham/Massachusetts spielt, den Flick irgendwie zu einer werkgetreueren Adaption von Herbert West Re-Animator? Wohl eher nicht. Was nichts über seine Qualität aussagen soll ...}
3) Ja, die sexuelle Orientierung des Protagonisten ist ein zentrales Motiv der Geschichte, und wie wir noch sehen werden aus gutem Grund. Wenn viele damit ein so großes Probem zu haben scheinen, fallen mir dafür eigentlich bloß zwei Gründe ein. Entweder sie interessieren sich ganz allgemein nicht für Horrorfilme, in denen die menschlichen Charaktere ihre Gefühle und Geschichten eine wichtige Rolle spielen. Was sie sich wünschen sind ausschließlich Monster & Gemetzel. Das ist ihr gutes Recht, aber dann dürfte ihnen ein Gutteil des cineastischen Grusels nicht munden. Solchen Leuten würde ich z.B. ganz sicher nie Jack Claytons & Truman Capotes The Innocents  einen meiner Lieblingshorrorfilme vorspielen. Oder aber {und leider ist das nicht so unwahrscheinlich} hier spielen homophobe Vorurteile mit hinein. Es ist ihnen einfach unangenehm, wenn sie in einem Horrorstreifen eine schwule Sexszene zu sehen bekommen.

Wie angedeutet ist Cthulhu in mancherlei Hinsicht sicher ein misslungener Film. Dennoch lohnt es sich, ihn anzuschauen. Vorausgesetzt man interessiert sich für intelligenten Horror und glaubt, dass auch phantastische Kunst der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit dienen sollte.



Drehbuchschreiber Grant Cogswell ist eine faszinierende und schillernde Persönlichkeit. 
Der 1967 in Los Angeles geborene Autor, Musikkritiker, Dichter* und Aktivist hat seine Kindheit einmal als "die Hölle" beschrieben. Seine Eltern trennten sich, als er vier Jahre alt war, und er wuchs bei seinem Vater auf, der als Vertreter eines Flugzeugbauers (und geheimer Mitarbeiter der CIA) von einem europäischen Land zum anderen reiste. Die unsteten Verhältnisse, die Abwesenheit der Mutter, der Alkoholismus des Vaters hinterließen in  Cogswell ein tiefes Gefühl der Einsamkeit und Heimatlosigkeit. 1984 kehrte die Familie nach Kalifornien zurück, doch die verlorene Heimat, die der Siebzehnjährige in LA zu finden gehofft hatte, existierte nicht mehr. Nach dem Abschluss des Collegestudiums zog er 1994 nach Seattle. Hier glaubte er, das finden zu können, was ihm bislang verwehrt geblieben war: Eine Gemeinschaft, in die er sich einfügen, ein Zuhause, in dem er Wurzeln schlagen konnte. 
Dieses Verlangen dürfte der emotionale Motor für seinen bald einsetzenden kommunalpolitischen Aktivismus gewesen sein. 1996 wurde er zum wichtigsten Organisator der Initiative Citizens for More Important Things, die den mit Steuergeldern finanzierten Bau eines neuen Baseballstadiums zu verhindern versuchte. In gerade mal zwei Monaten gelang es 74.000 Unterschriften für eine entsprechende Petition zu sammeln. Doch musste Cogswell schon bald die Erfahrung machen, dass auch in Seattle die Wünsche millionschwerer Unternehmen mehr zählen als die einfacher Bürger und Bürgerinnen. Der Stadtrat ließ das Stadium trotzdem bauen. Als nächstes stürzte er sich in eine Kampagne für eine umweltfreundliche Einschienenbahn und erreichte es, dass eine entsprechende Initiative im September 1997 die Unterstützung der Mehrheit der Wählerschaft erhielt. Zur Feier seines "Sieges" ließ Cogswell sich das Stadtsiegel von Seattle auf die Schulter tätowieren. Offenbar glaubte er, endlich die ersehnte "Heimat" gefunden zu haben. Die Enttäuschung muss um so grausamer gewesen sein, als er miterleben musste, wie der vom Wählerwillen geforderte Bau der Bahn von den politischen Klüngeln im Stadtrat verschleppt und sabotiert wurde. Nachdem er 1999 an den Massenprotesten gegen die WTO-Konferenz in Seattle teilgenommen hatte, startete Cogswell 2001 seine ehrgeizigste politische Aktion. Unterstützt von Phil Campbell, den er über die alternative Wochenzeitung The Stranger kennengelernt hatte, für die beide ab und an Artikel schrieben, trat er als unabhängiger Kandidat zu den Stadtratswahlen an. Ihre Kampagne war erstaunlich erfolgreich, und am Ende unterlag Cogswell dem demokratischen Amtsinhaber Richard McIver mit gerade einmal 45 gegen 55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Stephen Gyllenhaal hat aus dieser Geschichte 2011 den Film Grassroots gemacht.**
Seine wenn auch knappe Wahlniederlage markierte den Endpunkt in Cogswells Karriere als politischer Aktivist. Stress, Enttäuschungen und öffentliche Anfeindungen hatten über die Jahre deutliche Spuren bei ihm hinterlassen. Und als wäre dies noch nicht genug gewesen, kam es zur selben Zeit auch noch zur Trennung von seiner damaligen Lebensgefährtin. Doch das wichtigste war wohl, dass sein Traum von Seattle als einer echten "Heimat" gestorben war. Wie er später einmal erklärte: "I didn’t give up because I lost. I gave up because I saw it was a place where I wouldn’t be able to get anything done ..." Und: "[T]he cynicism and false progressive stance of Seattle burnt out my hope for that place." Als schließlich nach langem hin und her im Juni 2005 auch noch das Einschienenbahnprojekt endgültig scheiterte, war der Tiefpunkt in Cogswells persönlicher Krise erreicht:
When it finally did crash, I walked around in tears for a week. My vision of what I was doing with my life, my future, my identity as a poet they were all wrapped up in it. That’s when I gave up on Seattle. It was my muse. I haven’t written poetry since.
Depression und Selbstmordgedanken erfüllten den Autor, und es war sicher kein Zufall, dass die Idee für Cthulhu in eben dieser Zeit entstand.

Erstmals kennengelernt hatten sich Grant Cogswell und Dan Gildark 1995. Doch inzwischen hatte letzterer nach einigen bizarren Abenteuern in Jugoslawien und Tschechien seine Ausbildung am Northwest Film Center in Portland beendet, und als die beiden 2003 ihre Freundschaft erneuerten, dauerte es nicht lange und sie beschlossen, gemeinsam einen Film zu drehen. Wie es Cogswell in einem Interview beschrieben hat:
In 2003, my girlfriend broke up with me, I lost my job and my apartment, and I was living on his [Gildark's] floor. The Iraq war was starting, and we were watching it on a little cheap black and white TV, which made it feel like Night of the Living Dead. I was at a point in my life when I was very open to doing whatever was next, and he said "I want to make a movie and I want you to write it." [...] We wanted to make a piece of art that said something about our alarm over the political condition of the country. And we wanted people to see it, we wanted it to be visceral and intense [...]
Die Entscheidung, sich dabei des Horrorformats zu bedienen, war anfangs eher pragmatisch motiviert. Keiner der beiden war ein echter Fan. Im Gegenteil, wie Gildark später zugegeben hat: "[W]e didn't really respect the genre." Doch wenn sie ein möglichst großes Publikum erreichen wollten, schien es nur sinnvoll, ein populäres Format zu verwenden. Diese Einstellung änderte sich etwas, nachdem Cogswell sich entschieden hatte, die Erzählungen Lovecrafts als Inspirationsquelle zu benutzen.
After signing on, I spent a summer as caretaker of the weird triangular modernist house in the woods under St. Mark's Cathedral. The road was closed for construction and freeway noise absorbed every sound, including the alarm when I was burglarized. I slept with a baseball bat. We threw parties, bands playing at concert volume until dawn. Across the street was a row of condos condemned after the mudslides of '97, filled with bottles, bags of feces, and burnt cardboard, all of it slowly sliding under the 5, abandoned to the bad-crazy drifters the other homeless feared. In 10 days I typed a 200-page draft of a "Gothic, apocalyptic, anti-Bush gay horror" script (no idea what I was doing) titled The Festival. Then the title changed to Leviathan, then Mayday, and then, most improbably, Cthulhu.
Cogswell hat den langen Weg zur Produktion und Fertigstellung des Films 2008 in einem Artikel für The Stranger ebenso ausführlich wie lebendig geschildert. Eine spannende Lektüre, vor allem dank des wenig romantisch anmutenden Bildes, das der Autor dabei von einem Milieu auf dem schmalen Grat zwischen Bohème und Obdachlosigkeit zeichnet. Zum Verständnis von Cthulhu ist gerade dies von einiger Bedeutung.

Auf den ersten Blick könnte es seltsam erscheinen, dass zwei linke Bohèmiens wie Cogswell und Gildark etwas ihnen verwandtes in Lovecrafts Werk entdeckten. Immerhin war der Gentleman von Providence ein extremer Rechter, dessen elitäre und rassistische Überzeugungen in vielen seiner Erzählungen einen recht deutlichen Niederschlag gefunden haben. Aber im Grunde ist das gar nicht so verwunderlich. Trotz diametral entgegengesetzter ideologischer Standpunkte haben sie in anderer Hinsicht doch sehr viel gemein. Lovecraft war ebenfalls ein Bohèmien, wenn schon nicht seinem Lebenswandel, so doch seiner sozialen Stellung nach. Auch er führte eine gesellschaftliche Randexistenz, die in seinen letzten Lebensjahren allmählich in den Pauperismus abzugleiten drohte. {Am Ende war er so arm, dass er sich nicht einmal mehr ausreichend zu Essen leisten konnte.} Diesem sozialen Außenseitertum entsprang ein Gefühl tiefer Machtlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen, die er als äußerst bedrohlich empfand. Ein Gefühl, dass er mit vielen Bohèmiens der letzten zwei Jahrhunderte gemein hat. Was nur logisch ist. Als eine Art Randzone der intellektuellen und künstlerischen Mittelklasse ist die Bohème in der Tat eine gesellschaftlich weitgehend machtlose Gruppe, die durch den oft extremen Individualismus ihrer Mitglieder noch zusätzlich geschwächt wird. So gesehen ist es eigentlich verständlich, dass sich Cogswell von Lovecrafts Werk angesprochen fühlte. Wie der alte Gentleman sah auch er sich von einer allmählich verrottenden und auf einen allgemeinen Zusammenbruch zutreibenden Gesellschaft umgeben. Und wie dieser kam auch er sich angesichts der drohenden Apokalypse völlig hilflos vor. In seinen eigenen Worten: "On a cross-country Greyhound bus trip some years before, I'd read H. P. Lovecraft's tales of ancient cults dooming humanity, and what I saw riding through freeway sprawl after sprawl had looked a lot like a vast conspiracy to end the world."
Cogswell und Gildark wandten sich Lovecraft zu, nicht weil sie Fans seiner Spielart des Horrors gewesen wären, sondern weil sie etwas ihnen verwandtes in seiner Sicht auf die Welt entdeckt hatten. Das erklärt, warum sich in ihrer Adaption anders als in allen mir sonst bekannten Lovecraftverfilmungen {einschließlich der wundervollen Werke der HPLHS} tatsächlich etwas von dem wiederfindet, was jenseits kosmischer Schrecken und tentakelbewehrter Monstrositäten die Seele des Cthulhu-Mythos ausmacht.

Nach diesem langwierigen Vorgeplänkel ist es wohl allmählich an der Zeit für eine kurze Zusammenfassung des Inhalts von Cthulhu:
Der Tod seiner Mutter zwingt den jungen Geschichtsprofessor Russ Marsh (Jason Cottle) nach vielen Jahren in seine Heimatstadt Rivermouth zurückzukehren, um der Regelung ihres Nachlasses beizuwohnen. Das Wiedersehen mit seiner Familie verläuft so quälend wie befürchtet. Sein Vater (Dennis Kleinsmith) ist das Oberhaupt einer örtlichen Sekte – des Esoterischen Ordens von Dagon –, der die Homosexualität seines Sohnes nie akzeptiert hat und diesen nun erneut bedrängt, "nach Hause" zurückzukehren und eine Familie zu gründen. Kein Wunder, dass Russ lieber durch die nächtliche Ortschaft streift, statt sich den bigotten Blödsinn seiner Verwandten anzuhören. Dabei beobachtet er nicht nur eine eigenartige Prozession düsterer Kapuzenmänner in einem verlassenen Lagerhaus, sondern trifft auch seinen Jugendfreund Mike (Scott Green) – Russ' erste große Liebe und die Blondine Susan (Tori Spelling), die es offenbar darauf abgesehen hat, ihn zu verführen. In der Folge wird der Plot immer eigenartiger und unzusammenhängender. Nach einer Nacht voll wirrer Träume, findet Russ eine Art steinernes Ritualbeil in seinem Bett. Der Säufer Zadok erzählt ihm, dass der Kult seines Vaters Menschen entführe und umbringe. Susan setzt ihn unter Drogen und vergewaltigt ihn. Eine verängstigte junge Verkäuferin bittet ihn, ihren verschwundenen Bruder zu suchen. Mit der zu Beginn eher unwilligen Hilfe von Mike gelingt es Russ tatsächlich, den kleinen Jungen zu finden, doch verirrt er sich danach in den labyrinthischen Gängen und Gewölben unter der Stadt, wo irgendwelche monströsen Kreaturen zu hausen scheinen. Nach seiner Rückkehr aus der Unterwelt von Rivermouth klären Russ und Mike endlich ihre wechselseitigen Gefühle und verbringen eine gemeinsame Nacht, doch am nächsten Morgen scheint die Welt endgültig aus den Fugen zu geraten. Der kleine Junge ist ermordet worden und Russ wird verhaftet. Wenig später bricht das Chaos los. Ein Lynchmob versucht das Gefängnis zu stürmen, und die Menschen beginnen ganz allgemein Amok zu laufen. Schließlich wird Russ von seinem Vater die ganze Wahrheit offenbart: Der Untergang der menschlichen Zivilisation steht kurz bevor, die Ozeane werden über die Ufer treten und die Kontinente verschlingen. Die Anhänger des Esoterischen Ordens von Dagon jedoch, die sich bereits seit längerem mit Kreaturen aus dem Meer gepaart haben, werden die Herren der neuen Ära sein. Wenn Russ seinen rechtmäßigen Platz in dieser Ordnung einnehmen will, muss er zum Beweis seiner Hingabe an den Orden Mike als Opfer darbringen.

Die große Schwäche von Cthulhu ist, dass der Film wie die mehr oder weniger unzusammenhängenende Aneinanderreihung einzelner Sequenzen und Subplots wirkt, die sich nicht auf befriedigende Weise zu einer Einheit zusammenfügen. Damit meine ich nicht notwendigerweise Storylogik im konventionellen Sinne. Es gibt nicht wenige phantastische Filme die erratisch, verwirrend und "unlogisch" wirken. Auf die richtige Weise eingesetzt kann dies ein legitimes und mitunter sehr mächtiges Stilmittel sein. Dies setzt jedoch voraus,dass der Film als Ganzes über eine außergewöhnlich intensive Atmosphäre verfügt, die dann sozusagen als Klammer für seine disparaten Teile dient. Um dies zu demonstrieren, ist es gar nicht nötig, gleich die Meisterwerke eines Dario Argento oder Lucio Fulci mit ihrer verstörenden "Traumlogik" heranzuziehen. Es reicht vollkommen, auf einen Streifen wie Messiah of Evil (1973) zu verweisen, der eine Menge Ähnlichkeiten mit Cthulhu aufweist, als Film jedoch sehr viel besser funktioniert. Gildarks Streifen enthält eine Reihe sehr atmosphärischer Szenen, doch im Ganzen betrachtet fehlt ihm die nötige Intensität, und so ruft der eigentümlich zerstückelte Plot schon bald nicht Faszination, sondern Irritation {im negativen Sinne}hervor.

Nichtsdestotrotz stecken einige recht interessante und intelligente Ideen in Cthulhu
Ganz gleich wie viele Fanboys den Titel als Etikettenschwindel bezeichnet haben, ich halte ihn für ungemein passend. Der Name "Cthulhu" fällt im Film nur ein einziges Mal. Als Russ den vom Orden entführten Jungen findet, sitzt dieser vor einem kaputten Fernseher. Auf die Frage, was er denn da tue, antwortet er: "Warten" – "Warten? Worauf?" – "Wir warten auf Cthulhu". Wie ich vor langem hier schon einmal dargelegt habe, halte ich den schlafenden Herrn von R'lyeh nicht bloß für irgendein groteskes Monstrum, sondern für die Verkörperung der Mächte der Anarchie und triebhaften Zügellosigkeit, die in Lovecrafts Augen die Grundfesten der Zivilisation zu zerstören drohten. Einen ganz ähnlichen Motivzusammenhang finden wir auch in Cogswells und Gildarks Film. Der Streifen beginnt mit apokalyptisch anmutenden Bildern einer Welt am Rande des Abgrunds, gezeichnet von Krieg, Terror, sozialen Unruhen und Klimakatastrophe. Dieser allgemeine Zusammenbruch ist es, auf den der Orden von Dagon wartet. In ihm sehen seine Anhänger die Rückkehr ihrer Götter und den Tag ihres Triumphes. Ein genuin lovecraftianisches Motiv! 
Allerdings vermittelt der Film nur ganz zu Anfang und im Schlussteil so richtig das Gefühl einer aus den Fugen geratenen Welt. Der Großteil der Handlung wird von einer anderen Stimmung dominiert.
Wie unschwer zu erkennen, basiert Cthulhu in erster Linie auf Lovecrafts Shadow over Innsmouth. Gedreht wurde der Film in Astoria, wozu Cogswell gesagt hat:
The film grew out of the town of Astoria, Oregon, at the mouth of the Columbia river. It's the oldest American town on the Pacific. It was founded right after Lewis & Clark came through. It's old, it's weird, it's creepy, it used to be a lot more important and now kind of a little meth town. Very Lovecrafty.
In der Tat vermittelt der Film streckenweise recht gut das Flair einer halbverlassenen und dem allmählichen Verfall preisgegebenen amerikanischen Kleinstadt. Auch dies, wie Cogswell ganz richtig bemerkt, ein sehr lovecraftianisches Motiv. Die zerfallene Hafenstadt Innsmouth mit ihren hybriden Bewohnern verkörpert auf eindringliche Weise die Kräfte von Zersetzung und Verfall, die in den Augen des alten Gentlemans die Zivilisation bedrohten. Rivermouth/Astoria übernimmt eine ähnliche Funktion. Im Grunde geben die verlassenen Lagerhäuser und verödeten Straßen sogar ein sehr viel besseres Symbol der gesellschaftlichen Krise ab, als die fiktiven Nachrichten über Terror und Krieg, mit denen der Film beginnt. Hier berührt Cthulhu eine Facette der sozialen Wirklichkeit der USA, die wie kaum eine andere den fortgeschrittenen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus widerspiegelt. Man denke bloß an das traurige Schicksal Detroits.
Leider jedoch kommt es genau an diesem Punkt zu einer etwas unglücklichen Vermischung von Themen und Motiven, was dem Film viel von seiner potentiellen Kraft raubt. Rivermouth steht nämlich nicht nur für den gesellschaftlichen Verfall, sondern auch für die Bigotterie des kleinstädtischen Amerika. Um noch einmal Cogswell zu Worte kommen zu lassen:
The plot grew from resonances between Lovecraft's The Shadow Over Innsmouth [...] and the experiences of several gay friends who returned in their 30s to small towns they had left in their youth (to bury a parent or help with a divorced sibling's children or a family business). The union of these storylines seemed a credible strategy for updating the novella.
Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Entscheidung gewesen ist. Außenseitertum und gesellschaftliche Entfremdung sind lovecraftsche Themen, aber für eine filmische Adaption wäre es vermutlich klüger gewesen, sich auf ein Hauptthema zu konzentrieren.
Auch diese Seite der Geschichte besitzt ihre starken Momente. Sie ist es auch, aus der sich erklärt, warum der Film der Homosexualität seines Helden eine so große Bedeutung beimisst. Russ' Situation als Schwuler, der sich einem homophoben Vater und einem bigotten Kleinstadtmilieu gegenübersieht, vermittelt sehr eindringlich das Gefühl der Verlorenheit in einer feindseligen Welt. Das Problem ist, dass dabei die metaphorische Dimension von Rivermouth unscharf und widersprüchlich zu werden beginnt. Das Motiv der spießigen Kleinstadt verträgt sich nicht so recht mit dem Motiv der gesellschaftlichen Krise. Wenn Rivermouth in seiner Zerfallenheit ein Symbol für den Zustand der US-Gesellschaft als Ganzer sein soll, kann der Ort nicht gleichzeitig für die rückständigsten Teile dieser Gesellschaft stehen. Noch verwirrender wird es, wenn der Orden von Dagon in der Gestalt von Russ' homophobem Vater einerseits selbst die Bigotterie religiöser Fundamentalisten verkörpert, andererseits im Milieu von Rivermouth eine Art Fremdkörper darstellt, der Bewohner des Ortes entführt und opfert und vom faschistoiden Sheriff offenbar als Teil der "reichen", "liberalen", "dekadenten" Elite angesehen wird, die dieser hasst und verabscheut. Auf motivischer Ebene ist da manches nicht wirklich gut durchdacht worden, was sehr stark zu dem streckenweise wirren und etwas frustrierenden Eindruck beiträgt, den der Film hinterlässt.

Dennoch würde ich all denen, die intelligentes Horrorkino und H.P. Lovecraft lieben, empfehlen, sich Gildarks und Cogswells Werk bei Gelegenheit einmal anzuschauen. Ein wirklich befriedigendes Erlebnis wird dies vermutlich nicht werden, doch enthält Cthulhu genug intelligente Ideen und beeindruckende Szenen, um eine solche Empfehlung zu rechtfertigen.



* Cogswell hat ein Gedicht von epischer Länge über den linkspopulistischen Abgeordneten Marion Anthony Zioncheck (1901-1936) geschrieben, einen radikalen Verfechter von Roosevelts New Deal. Enttäuscht von dem zögerlichen Vorgehen des Präsidenten wurde Zioncheck zum Führer einer "loyalen" linken Opposition im Kongress. Stress, Alkohol und eine brutale Hetzjagd durch die Regenbogenpresse führten schließlich zu seinem psychischem Zusammenbruch und Selbstmord. 
** Es ist schon lustig, welch positives Bild von McIver Filmkritiker Marshall Fine in seinem Artikel für die "liberale" Huffington Post zeichnet: "As entrenched as McIver is, he's also a liberal, perhaps even a progressive, one who has learned how to get things done and what is and isn't possible." Kleine Skandälchen wie dieses hier fallen offensichtlich nicht so ins Gewicht, wenn es darum geht, die Illusionen über den "progressiven Flügel" der Demokratischen Partei aufrechtzuerhalten. Was auch immer man über Cogswells & Campbells Kampagne denken mag, Fines Artikel dient nur einem Ziel: Die Botschaft zu verbreiten, dass man Politik den "Realisten" der beiden Big Business - Parteien überlassen sollte. Alles andere sei bloß kindischer Idealismus. {Richard McIver zog sich 2009 aus der Politik zurück und starb im März dieses Jahres.}

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