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Montag, 8. Oktober 2012

Schlockfest auf Camelot (I)

Aufruhr und Tumult in Raskolniks Gehirn! Der kleine Mediävist in mir  erleidet gerade einen Tobsuchtsanfall und fuchtelt wie wild mit der mittelhochdeutschen Crône herum, die ich schon lange gemeinsam mit ihm lesen wollte. Der kleine Filmsnob in mir rümpft angewidert die Nase und erinnert mich indigniert an den Post über Orson Welles' Macbeth, den zu schreiben ich ihm versprochen habe. Doch statt mich solch edlen Kulturgütern zu widmen, habe ich mich auf die {epische? verrückte?} Queste begeben, alle vier Staffeln von Merlin am Stück anzuschauen.

"Warum?! Warum?!" heult der kleine Mediävist. "Diese Serie hat soviel mit dem Mittelalter und der Artusdichtung zu tun wie Hercules mit der Antike und der griechischen Heldensage!"
"Warum?! Warum?!" kreischt der kleine Filmsnob. "Sind wir inzwischen so weit gekommen, dass wir uns uns nur noch Trash angucken? Denk an deine Götter! Was würde Fassbinder, Pasolini, Kurosawa oder Kiarostami dazu sagen?"

Ja warum eigentlich? Im Grunde haben die beiden ja völlig recht. Und habe ich mich selbst nicht vor kurzem an dieser Stelle über die Anachronismen in Nebel von Avalon aufgeregt? Bin ich also ein prinzipienloser Heuchler? Oder gar ein versteckter Frauenfeind, der einer feministischen Bearbeitung des Artusstoffes eine trashige TV-Serie vorzieht, in der zwei Männer gegen eine Phalanx weiblicher Bösewichter antreten? Ich hoffe nicht.

Natürlich ist Merlins Mittelalterbild und sein Umgang mit der Artussage völlig lachhaft. Aber genau das ist der springende Punkt. Nicht für einen Moment könnte man auf den Gedanken verfallen, dass irgendetwas davon ernst gemeint sei. Die Geschichte spielt offensichtlich in Fantasyland, nicht im mittelalterlichen Britannien, und ich könnte wetten, dass keiner der Verantwortlichen jemals auch nur einen Blick in die Werke von Chrétien, Malory, Tennyson oder T.H. White geworfen hat. Aber es ist genau dieser völlig respektlose Umgang mit den Quellen, der mir Spaß bereitet. Selbstverständlich ist Merlin keine ernstzunehmende filmische Auseinandersetzung mit dem Artusstoff. Doch abgesehen von Robert Bressons Lancelot du Lac (1974), hat es eine solche meines Wissens nach bis heute sowieso noch nicht gegeben.* Ich betrachte Merlin eher im Kontrast zu einem Film wie John Boormans Excalibur (1981). Beide plündern hemmungslos den populären Fundus der Artusüberlieferung. Aber während Boorman aus den dabei erbeuteten Versatzstücken ein pathetisches, pseudowagnerianisches Mythenspektakel zusammenzubasteln versuchte, geht es den Machern von Merlin offensichtlich bloß darum, eine Reihe von amüsanten, unterhaltenden und abenteuerlichen Geschichtchen zu erzählen. Und das tun sie auf durchaus sympathische Art und Weise. Auch wenn dies kaum ihre Absicht gewesen sein dürfte, erweist sich ihre Serie damit als ein erfrischendes Antidot zu allen übertrieben ernsthaften Mythisierungsversuchen des Artusstoffes, bei denen die Substanz in den seltensten Fällen dem mit humorlosester Stimme vorgetragenen Anspruch genügt.

Meine Einschätzung stützt sich freilich bislang bloß auf eine unvollständige Bekanntschaft mit den ersten beiden Staffeln. Die eingangs erwähnte Queste habe ich ja gerade erst gestartet, weshalb ich mir auch die Möglichkeit für eine jederzeitige Neubewertung der Serie offenhalte. Nach Beendigung einer jeden Staffel werde ich hier einen kurzen Missionsbericht abgeben. Bis dahin: Wünscht mir alles Gute auf meiner Aventiurefahrt! Und möge der Allmächtige seine schützende Hand über euch halten!


* Monty Python and the Holy Grail (hierzulande unter dem grauslichen 70er Jahre - Titel Die Ritter der Kokosnuss bekannt) lassen wir jetzt mal außen vor. Das ist noch mal ganz etwas anderes ...

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