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Mittwoch, 14. September 2022

Karfreitag mit den Trommeln des Chaos

Von der sechsten bis zur neunten Stunde herrschte eine Finsternis im ganzen Land.
Um die neunte Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen? [...] Da riss der Vorhang im Tempel von
oben bis unten entzwei. Die Erde bebte, und die Felsen spalteten sich. Die Gräber
öffneten sich, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen waren, wurden auferweckt.
Matthäusevangelium
"Eh-ya-ya-ya-yahaah - e'yayayayaaaa ... ngh'aaaaa ... ngh'aaaa ... h'yuh ... h'yuh ...
 HELP! HELP! ... ff - ff - ff ... FATHER! FATHER! YOG-SOTHOTH!"
H.P. Lovecraft: The Dunwich Horror
 
Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass ich den Roman in absehbarer Zukunft ein zweites Mal lesen werde, habe ich beschlossen, tatsächlich noch eine kurze Besprechung von Richard L. Tierneys The Drums of Chaos hier einzuschieben, bevor wir uns endgültig von Simon of Gitta verabschieden. Zumal ich das zum Anlass nehmen kann, einige Themen noch ein wenig genauer zu beleuchten, die im Rahmen meines Dreiteilers über Sorcery Against Caesar  (1 * 2 * 3) für mein Gefühl etwas zu kurz gekommen sind.
 
Die Handlung schließt unmittelbar an die Ereignisse von Seed of the Star-God an. Dositheus hatte ursprünglich vorgehabt, zusammen mit Menander und Ilione nach Persepolis zurückzukehren. Doch nachdem ihm einige seltene Grimoires aus der Bibliothek des toten Schwarzmagiers Prodikos in die Hände gefallen sind, hat er beschlossen, zuerst einmal einen Abstecher nach Palästina zu machen, um in der Nähe der Stadt Achziv/Ekdippa nach einem verlorenen Artefakt zu suchen. Menander und Ilione müssen ihn wohl oder übel dabei begleiten. Simon derweil will endlich seine langgehegten Rachepläne in die Tat umsetzen und die römischen Beamten und judäischen Kollaborateure, die für den Tod seiner Eltern verantwortlich sind, zur Strecke bringen. Doch kaum haben die vier das "Heilige Land" erreicht, als sie auch schon in ein Netz okkulter Verschwörungen verstrickt werden, die mit dem Erscheinen des mysteriösen Rabbis Yeshua bar Yoseph im Zusammenhang stehen und zum Untergang der Menschheit führen könnten.
 
Die Grundidee von Drums of Chaos fand ich recht interessant: Seit The Winds of Zarr wissen wir, was für eine Wesenheit sich hinter dem Namen Jahwe verbirgt. Und allen, die einigermaßen mit Lovecraft vertraut sind, sollte auch ein Sohn dieses "Gottes" bekannt sein. Tatsächlich enthält ja auch The Dunwich Horror einige ganz leichte Anklänge an die Evangelien. Tierney spinnt das konsequent weiter. Bei ihm ist Yeshua/Jesus in der Tat ein Wilbur Whateley der Antike. Und ja, auch er hat einen "großen Bruder". Hier und da finden sich sogar einige wörtliche Anklänge an Lovecrafts Erzählung.
 
In einem Interview mit Howie Bentley erklärte der Autor 2006 einmal sarkastisch:
I fear Mythos Books has missed two good landmarks for publishing the novel, first by not having it coincide with Mel Gibson’s movie The Passion of the Christ and recently with The Da Vinci Code movie. But of course this is par for my publishing course. I finished writing the novel a bit over 15 years ago! If Drums is ever published, I hope it takes off with the kind of notoriety Dan Brown’s novel has enjoyed. With luck, it may even attract a death-fatwa from Christian fundamentalists, putting me up there with Salman Rushdie. One can always hope. 
Aber auch wenn strenggläubige Christ*innen das Buch sicher anstößig finden könnten, ist es mit ziemlicher Sicherheit nicht geschrieben worden, um in erster Linie zu provizieren oder gar zu verletzen. Tierney verwandelt Jesus nicht einfach in eine cthulhuide Monstrosität. Die Geißelungsszene enthüllt uns zwar ein klein wenig seiner (sehr zurückhaltend beschriebenen) nichtmenschlichen Anatomie. Aber im Ganzen verrät uns bereits seine äußere Erscheinung -- trotz unverkennbarer Ähnlichkeiten --, wie stark sich dieser Yeshua von Wilbur Whateley unterscheidet.
Lovecraft beschreibt den kindlichen Wilbur wie folgt:
His facial aspect, too, was remarkable for its maturity; for though he shared his mother’s and grandfather’s chinlessness, his firm and precociously shaped nose united with the expression of his large, dark, almost Latin eyes to give him an air of quasi-adulthood and well-nigh preternatural intelligence. He was, however, exceedingly ugly despite his appearance of brilliancy; there being something almost goatish or animalistic about his thick lips, large-pored, yellowish skin, coarse crinkly hair, and oddly elongated ears.
Von Yeshua heißt es bei seinem ersten Auftreten:
The sun, edging lower, lined the features beneath the white headband -- the large dark eyes, the prominent curved nose with flaring nostrils, the straggling beard that partly concealed a slightly receding chin. They were strange, rather striking features, somehow sheeplike or goatish in their overall cast.
Während Wilburs Gestalt an die eines Satyrs erinnern sollte, werden die "ziegenartigen" Züge Yeshuas immer wieder mit der Idee des Sündenbocks und des "Lamm Gottes" in Verbindung gebracht. Er wirkt nicht animalistisch, seine Erscheinung wird vielmehr mehrfach als besonders würdevoll und sogar "regal" bezeichnet. Für den Großteil des Romans taucht er nur selten persönlich auf, aber beinah jedesmal betont Tierney die tiefe Traurigkeit und das Mitgefühl, die aus seinen Augen sprechen.
 
Wie in The Dunwich Horror kann auch in The Drums of Chaos ein Sprössling Yog-Sothoths nicht ohne Mithilfe menschlicher Kultisten/Zauberer entstehen. Dabei übernimmt Joseph von Arimathea (Yosef of Aphairema) die Rolle von Wizard Whateley. Die Parallelen reichen bis zu solchen Details wie dem Albinismus der Mutter. Dass die Empfängnis außerdem Marias Psyche heftigst zerrüttet hat, dürfte eine Anspielung auf Arthur Machens Roman The Great God Pan sein, der ja eine der Inspirationsquellen Lovecrafts gewesen war. Doch anders als Wilbur ist Yeshua nicht das Produkt eines von Degeneration und Zerfall geprägten Milieus. Yosef und seine Anhänger (u.a. der biblische Nikodemus) sind vielmehr extreme Idealisten, die überzeugt davon sind, die Erlösung der Menschheit herbeizuführen. 
Große Teile der Evangelien sind von apokalyptischer Naherwartung erfüllt, der Überzeugung also, dass der Anbruch des Jüngsten Tages unmittelbar bevorsteht: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe." (Mk 1,15) "Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft." (Mk 13,30) Tierney greift dies auf und verknüpft es mit Wilburs Ansinnen, "to clear off the earth" für die Rückkehr der Großen Alten. Wie dieser will auch Yeshua ein Portal für seinen Vater Yog-Sothoth öffnen. Aber was ihn dabei antreibt ist sein tiefes Mitgefühl für die Menschen. Er glaubt, sie auf diese Weise vom Leid befreien zu können. Und ist bereit, dafür die größtmöglichen persönlichen Opfer zu bringen. Folter und Schmerzen der Passion, die für ein Wesen seiner Natur unendlich viel intensiver sein werden als für einen "normalen" Menschen, sollen die nötige Energie freisetzen, um das Große Tor zu öffnen.
Diesem Themenkomplex sind wir nun ja schon mehrfach bei Tierney begegnet. In einem Streitgespräch zwischen Dositheus und Nikodemus wird er noch einmal exemplarisch ausgeführt:
"And why should we prevent him?" grated Nicodemus, his face suddenly as stern and dark as a thundercloud. "Is this earth such a paradise that we should preserve it? No, it is a vale of torment, worthy only of destruction -- and it shall be destroyed, Dositheus! For a thousand ages the Primal Gods have worked their torment upon all life, feeding upon the pain thus generated; the agony of countless victims has fed them --"
"And so you would destroy it all?" Dositheus shook his head sadly. "How do you know that your god will then establish a better world? Does not Him Who is not to be Named demand countless animal sacrifices here before his Temple? And have they not been thus demanded for more than a thousand years?"
 "Aye, in order that His energies might be built up for His Return!" Nicodemus' face, now lifted skyward, shone as with a radiant glory. "In that day the skies shall roll up as a scroll, the thunders of judgement shall descend like a sea-wave upon all the lands, and all suffering shall cease!" 
[...]
"Will you oppose His advent, Dositheus -- you, who once lost a loved one during the reign of the monstrous King Herod? No! You, Dositheus, like all who have become aware of the enormity of the suffering this world bears, know that it is better that all beings should perish and that a new dawn should supersede the long darkness!"
Dositheus swallowed. "There is some truth in what you say, Nicodemus. Yet, is there not also a redeeming flavor in this life? Do you not enjoy a good meal, the drawing of a full breath, the glance of a loved one --?"
"Do these things outweigh the misery of those who are denied them?" snarled Nicodemus. "Does the absence of leprosy in many men outweigh the sufferings of those afflicted with it? Count each of your blessings, Dositheus, and know that for every disease you have not yet contracted, many thousands of others have -- else you would not know of that disease at all! Have no loved ones of yours been slain by Romans recently, or sold into slavery? If you feel lucky on that account, it is because you know of many others who have! Have no friends of yours been slain by bandits, accidents, avalanches --?"
"Peace, Nicodemus. I have experienced sorrow, as you well know. Yet, life is --"
"Speak not to me of life!" hissed the priest, his face rigid. "I am sick of all life! I seek that which is beyond it. Life is suffering. I seek relief from life, and so I follow the One who shall overthrow life and bring Joy to this world."  
Allerdings exisitiert noch eine zweite Fraktion um die Priester (& Zauberer) Annas und Kaiaphas sowie den römischen Tribun Maxentius, die zwar gleichfalls das Öffnen des Portals anstreben, dadurch jedoch weltliche Macht zu gewinnen hoffen. Unwissentlich spielen sie damit Yeshua in die Hände, dessen engster Vertrauter Judah (Judas Iskarioth) als vermeintlicher "Verräter" die Rolle des "Mittelsmanns" zwischen den beiden Gruppen spielt.

Wie in den Simon of Gitta - Kurzgeschichten spielt Tierney natürlich auch in seinem Roman mit allen möglichen literarischen und historischen Versatzstücken, wobei die Dichte aber nicht ganz so groß ist wie etwa in Seed of the Star-God, The Worm of Urakhu oder The Dragons of Mons Fractus. Das im Detail auseinanderzuklamüsern, wäre mir im Rahmen dieses Artikels zu aufwendig. Darum nur ein paar Beispiele: 
  • Wie zu erwarten gibt es jede Menge Anspielungen auf die Evangelien. So begegnen wir u.a. der Samariterin am Brunnen; erfahren, wie es tatsächlich zum Einsturz des Turms von Siloam gekommen ist; und werfen einen Blick hinter einige der "Wundertaten" Jesu, wie die Vermehrung der Brote & Fische oder die zahlreichen Dämonenaustreibungen. Simon selbst schlüpft nacheinander in drei "biblische" Rollen: Er ist das Vorbild für das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, tritt zwischendurch als Simon der Aussätzige verkleidet auf und ist der von Pilatus begnadigte Barrabas.
  • Artefakte wie der Gral (der allerdings nie so genannt wird), die Bundeslade und "the abomination of desolation" (der  "unheilvolle Greuel" aus Dan 9 & 11) -- ein heidnisches Kultbild, das der seleukidische König Antiochos IV. im Jerusalemer Tempel aufrichten ließ -- spielen bei den okkulten Machenschaften eine wichtige Rolle.
  • Dositheus rekrutiert zwischendurch die Hilfe der "Dreißig", einer Gruppe ehemaliger Jünger des Täufers Johannes, was wieder einmal auf die  pseudo-klementinischen Recognitionen (II, 8) zurückgeht.
  • Vor allem im ersten Drittel des Romans tauchen zahlreiche Anspielungen auf den King in Yellow - Mythos (in seiner derlethschen Version) auf. So fallen mehrfach die Namen "Hali" und "Karakossa". Sowie selbstverständlich Hastur (Assatur).
  • Der hebräische Begriff "Am ha'aretz" ("Volk des Landes"), der durch die Geschichte unterschiedliche Bedeutungen gehabt hat, wird auf cthulhuide Art umgedeutet.
  • Der Rabbi der "Schwarzen Synagoge von Chorazin" hat einen dämonischen, kuttentragenden Begleiter, der deutlich an M.R. James' klassische Spukgeschichte Count Magnus erinnern soll, in der ja von einer "Black Pilgrimage to Chorazin" die Rede ist. 
Da die Handlung in den Tagen vor Pessah und Passion einsetzt, werden natürlich vor allem Elemente aus diesem Kontext aufgeriffen und umgedeutet: Die Salbung in Bethanien, die Nacht im Garten Gethsemane und schließlich die quasi-apokalyptischen Ereignisse rund um Jesu Kreuzigung und Tod: Der sich verfinsternde Himmel, das Erdbeben, das Erwachen der toten "Heiligen". Vor allem dieses Große Finale besitzt denn auch tatsächlich eine hübsch finster-bedrohliche Atmosphäre.   
 
So weit hat mir das alles ziemlich gut gefallen, doch kommen wir nun zu den Aspekten des Romans, mit denen ich meine Probleme hatte.
 
Zuerst einmal bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich 420 Seiten lang hätte sein müssen. Ich denke, eine etwas gestrafftere Handlungsführung hätte dem Buch gut getan. Manche Passagen wirken mäandernd oder repetitiv. Zwischendurch hat man das Gefühl, dass sich einige der Figuren etwas ziellos durch die Landschaft bewegen, sich zufällig begegnen und wieder trennen. Ilione verschwindet nach Zweidritteln der Handlung sogar ganz aus dem Roman! Und mindestens einmal zu oft, fällt eine der Figuren irgendwelchen Bösewichtern in die Hände, um 20, 30 Seiten später von Simon (oder Menander) wieder befreit zu werden. Waghalsige Rettungsaktionen sind sicher eine schmackhafte Zutat für eine Geschichte wie diese, verlieren bei der dritten Wiederholung aber doch stark an Reiz.
 
Der zweite Problempunkt ist etwas ambivalenter. The Drums of Chaos ist nämlich ein Crossover zwischen den Simon of Gitta - und den John Taggart - Geschichten. Das ist nicht automatisch etwas schlechtes. So hat mir z.B. der Prolog mit der Versuchung in der Wüste, in der der Zeitreisende die Rolle Satans spielt und Yeshua erfolglos von seinem Plan abzubringen versucht, ziemlich gut gefallen. Doch leider führt die Einführung all zu vieler SciFi-Gadgets mitunter zu etwas albern wirkenden Resultaten. Tierney ist zwar klug genug, die Strahlenpistolen, die Dositheus und Simon ziemlich am Anfang der Geschichte in die Hände fallen, alsbald wieder von Taggart einsammeln zu lassen. Aber warum hat er sie dann überhaupt in ihren Besitz gelangen lassen? Und später läuft z.B. Menander eine Zeit lang mit einem Diktaphon durch die Gegend, um die Stimme Yeshuas aufzunehmen, damit Taggarts außerirdische Verbündete ein Duplikat des Rabbis herstellen können. Der Zeitreisende selbst schwebt für den Großteil der Handlung auf einer winzigen Fliegenden Untertasse durch das nächtliche Judäa. Wohlgemerkt finde ich die Crossover-Idee nicht grundsätzlich schlecht. Und motivisch passt die Figur Taggart ziemlich gut in die Geschichte. Schließlich hat er selbst einmal den Untergang der Menschheit begrüßt und ist erst später zu der Überzeugung gelangt, dass sein verzweifelter Pessimismus und Menschenhass ein Irrweg war. Nur manchmal sind die Brüche halt doch etwas zu arg.
 
Mit Abstand am irritierendsten aber waren ... die Frauenfiguren. Ich bin ja schon am Ende meines letzten Beitrags auf dieses Problem zu sprechen gekommen, doch in The Drums of Chaos ist mir das noch einmal  besonders unangenehm aufgefallen. 
Beginnen wir mit Ilione. Nach den traumatischen Erlebnissen von The Seed of the Star-God, als ihr eigener Vater sie den Großen Alten opfern wollte, hatte Dositheus ihr versprochen, sie und Menander nach Persepolis zu bringen, wo ein sicheres und friedvolles Leben unter der Obhut des weisen Daramos auf sie warte, von dem sie in Magie und Philosophie eingeweiht werden würde. Stattdessen schleppt der alte Zauberer sie nun nach Judäa und setzt sie erneut der Bedrohung durch dämonische Mächte aus. Man kann durchaus verstehen, dass sie verärgert und verängstigt ist. Dennoch wird man vor allem ihr feindseliges Verhalten gegenüber Menander kaum besonders sympathisch finden können. Oft kommt sie als etwas zickig und egoistisch rüber, In gewisser Weise hat sie mich damit an die Figur der Tias aus The Ring of Ikribu erinnert. Doch anders als dort haben wir hier halt keine Red Sonja zum Ausgleich. Dass Ilione nach Zweidritteln des Romans (und nachdem sie erneut beinahe zum Jungfrauenopfer geworden wäre) von Taggart dann tatsächlich nach Persepolis gebracht wird, wirkt einerseits zwar irgendwie nett, spricht aber auch dafür, dass Tierney wohl selbst nicht wusste, was er mit der Figur eigentlich anstellen sollte, weshalb er sie einfach aus der Handlung rausgeschrieben hat.
Und leider lässt sich auch über die übrigen weiblichen Charaktere nicht viel gutes oder interessantes berichten. Da hätten wir z.B. die Sklavin Lotis, die Simon aus den Klauen irgendwelcher Halunken befreit. Sie wirkt vor allem anfangs wie eine zweite Ilione -- zwar nicht so missmutig und aggressiv, aber ebenso verängstigt und hilflos. Und ganz wie diese wird auch sie über weite Strecken der Handlung von den männlichen Protagonisten quasi "mitgeschleppt". Ihre Herrin Elissa, die Ex-Geliebte des sadistischen Tribuns Maxentius, ist zwar um einiges selbstbewusster -- und als Figur auch potenziell sehr viel interessanter --, erhält jedoch nur wenig Raum zur Entfaltung. Was bei der doch nicht geringen Länge des Romans schon ein Armutszeugnis darstellt. 
Etwas aktiver und selbstbewusster wird Lotis erst, nachdem ihr und Menander in einer Traumvision offenbart wurde, dass sie "True Spirits" und ein "metaphysisches Paar" sind. 
Und damit kommen wir gleich zu zwei weiteren, verwandten Problempunkten.
Es gibt nämlich zumindest eine sehr souverän wirkende Frauenfigur in The Drums of Chaos -- Maria Magdalena (Miriam). Die "Braut" Yeshuas* beginnt irgendwann an dem Weltvernichtungsplan zu zweifeln, und vertritt ihre Position sehr selbstbewusst gegenüber Joseph von Arimathea und geht dabei so weit, zu behaupten, dass der Messias in Wahrheit ihrem Willen folge:
Yosef's brows knotted, his craggy face glowering down upon Miriam like a storm cloud. "I do not know you, woman. Do you declare, after all your pretense of support, that your deepest hopes are set against my will -- and your Lord's?"
The woman laughed briefly, lightly. "Your will is adamant, O my father. That I well know. Yet with all your wisdom, I think that you have not yet fathomed his deepest will, which is nothing less than to serve me." 
Es ist ziemlich offensichtlich, dass Tierney bei der Arbeit an The Drums of Chaos von Robert Graves' The White Goddess beeinflusst wurde. Und die einzige "starke" und selbstbewusste Frauenfigur, die zu zeichnen er fähig ist, ist denn auch die einer Quasi-Göttin, die das abstrakte "Prinzip des Lebens" verkörpert. Und selbst deren Funktion besteht hauptsächlich darin, den "Mann" zum Handeln zu inspirieren, also sozusagen "Muse" zu sein. Das erklärt übrigens auch die Rolle, die Helen(a) in den Simon of Gitta - Kurzgeschichten spielt.
Eng damit verknüpft scheint mir die Art, in der romantische und sexuelle Beziehungen in der Welt der Simon of Gitta - Geschichten dargestellt werden. Oder besser gesagt, nicht dargestellt werden. Denn zumindest im Story - Zyklus gibt es sie praktisch nicht. Die einzige Ausnahme bildet Gretchen in The Dragons of Mons Fractus, und auch da fühlte sich Tierney offenbar getrieben, die aufblühende Beziehung nach ein-zwei Seiten wieder zu "annullieren", praktisch "ungeschehen zu machen". Mich selbst hat das nicht weiter gestört. Vielmehr fand ich es sehr angenehm, dass den Geschichten damit auch all das Macho-Gehabe und die sexuelle Aggressivität fehlen, die man von Sword & Sorcery - Helden der Conan-Tradition sonst gar zu oft gewöhnt ist. Auffällig fand ich es aber schon. 
The Drums of Chaos wiederum macht auf mich den Eindruck, als habe Tierney sich irgendwie verpflichtet gefühlt, nun doch ein solches Element in seine Erzählung einzufügen. Das Ergebnis ist ... awkward. Am Ende von The Seed of the Star-God war angedeutet worden, dass Menander und Ilione ein Paar werden könnten. Und eigentlich hätte ich es ganz nett gefunden, wenn die beiden jugendlichen Zauberlehrlinge zusammen gekommen wären. Aber gerade das macht Tierney nicht. Er treibt sie vielmehr auseinander. Doch nachdem er Ilione schließlich glücklich nach Persepolis abgeschoben hatte, scheint ihm der Gedanke gekommen zu sein, dass seine Erzählung doch noch eine "Liebesgeschichte" braucht. Also verkuppelt er Menander und Lotis. Aber das kann er nur, indem er sie (wie schon Simon und Helen(a) zuvor) zu Inkarnationen göttlicher Prinzipien macht. Ihre Liebe erwächst nicht aus dem natürlichen Miteinander zweier menschlicher Individuen und wirkt entsprechend "hohl" und "abstrakt".
Wie man all das zu deuten hat? Ich habe keine Ahnung. Mein Gefühl ist, dass Tierney schlicht kein Interesse daran hatte, romantische Gefühle und Beziehungen zu beschreiben. Oder es einfach nicht gut konnte. Aber es wäre reine Spekulation, wollte man daraus irgendwelche Rückschlüsse auf den Autor oder seine Sexualität ziehen.   
      
Was bleibt mir am Ende zu sagen? Wer wie ich Spaß an Sorcery Against Caesar hatte, wird auch in The Drums of Chaos genug unterhaltsames und interessantes finden. Doch die Schwächen des Romans sind in meinen Augen zu groß, um eine vorbehaltslose Empfehlung aussprechen zu können.   
  
 
 
 


* Tatsächlich enthält der Roman auch Spuren des ganzen san greal / sang real - Humbugs, der erstmals von Michael Baigent, Richard Leigh & Henry Lincoln in The Holy Blood and the Holy Grail aufgebracht wurde, den meisten aber vor allem aus Dan Browns Da Vinci Code bekannt sein dürfte. Dankenswerterweise bleibt es da aber bei einigen wenigen Andeutungen.

Dienstag, 13. September 2022

Strandgut