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Donnerstag, 19. April 2018

The Witches and the Grinnygog

Das phantastische Kinderfernsehen der Briten ist eine Welt, mit der ich mich auf meinem Blog bisher viel zu selten beschäftigt habe. In den frühen Tagen von Skalpell und Katzenklaue habe ich mal eine Besprechung der Tripods / Dreibeinigen Herrscher (1984/85) veröffentlicht, dann einen Post über Children of the Stones (1977), den legendären "Wicker Man for Kids", und schließlich einen vorweihnachtlichen Beitrag über The Box of Delights (1984). Na ja, The Worst Witch (1986) gehört wohl auch noch dazu. Ein Artikel über den walisischen Arthur of the Britons (1972/73) ist leider nie über den ersten Entwurf hinausgelangt und wartet bis heute auf seine Vollendung.
Ich glaube, es war Mr. Jim Moons Podcast-Episode über King of the Castle (1977), die mich vor einiger Zeit dazu animierte, einmal wieder einen Abstecher in diese Gefilde zu unternehmen. Eher zufällig landete ich bei der 1983 von TVS {damals noch Teil von ITV} produzierten Miniserie The Witches and the Grinnygog. Ich hab' halt was übrig für Geschichten über Hexen, auch hatte es mir der frühneuzeitlichen Holzschnitten nachempfundene Vorspann sofort angetan.

Als die alte Kirche St. Cuthbert abgerissen und {auf Druck einer kleinen Bürgerinitiative} Stein für Stein zum künftigen Wiederaufbau an einen anderen Ort transportiert wird, fällt eine groteske Skulptur von einem dahinrasenden Laster und der guten Mrs. Firkettle (Jane Wood) quasi in den Schoß. Die alleinerziehende Mutter dreier Kinder beschließt, das {ähem} "Fundstück" mitzunehmen und ihrem Vater zu schenken. Schließlich hat sich Granddad Adams (John Barrard) schon immer einen Gartenzwerg gewünscht. Derweil machen sich auf Initiative von Reverend Sogood (Robert Swann) dessen Kinder Colin (Giles Harper) und Nan (Heidi Mayo) zusammen mit ihren Freunden Essie (Zoe Loftin) und Dave (Adam Woodyatt) Firkettle daran, ein kleines Heimatmuseum einzurichten. Unter den potentiellen Exponaten finden die vier das Tagebuch eines früheren Pastors der Gemeinde, in dem von den örtlichen Hexenverfolgungen während des 17. Jahrhunderts die Rede ist.
Dinge beginnen etwas wunderlich zu werden, als Daves und Essies kleiner Bruder Jimmy (Paul Curtis) felsenfest behauptet, dass die groteske Steinfigur im Garten zu ihm gesprochen habe, und wenig später der geheimnisvolle Mr. Twebele Alabaster (Olu Jacobs) im Dorf auftaucht. Der aus Afrika angereiste Gentleman behauptet, Anthropologe zu sein und die englische Folklore erforschen zu wollen. Sein besonderes Interesse gilt einem Artefakt, das er "Grinnygog" nennt, und das sich schon bald als Granddads neuer "Gartenzwerg" entpuppt.
Mr. Alabaster bleibt nicht der einzige ungewöhnliche Neuankömmling. Da wären zuerst einmal drei ältliche und ziemlich exzentrische Frauen: Mrs. Ems (Heila Grant), die sich zusammen mit ihrer stummen und leblos wirkenden Tochter bei den Firkettles einmietet; Miss Bendybones (Patricia Hayes), die eine Stelle als Haushälterin bei Rev. Sogood antritt; und die umhervagabundierende Miss Edie (Anna Wing), die ihr Lager zeitweilig auf dem Golfplatz aufschlägt -- sehr zum Ärger des versnobten Major Gilmour, der sich allerdings überraschend schnell durch eine ihm angebotene Tasse Tee versöhnen lässt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöses Mädchen namens Margaret (Eva Griffith), das etwas verloren und verängstigt wirkend durch die Gegend streift und scheinbar auf seine Mutter wartet.
Wie unsere vier jungen Heldinnen und Helden nach und nach herausfinden, stehen alle diese Geschehnisse in Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen. Auch wenn der stets skeptische Dave dies lange Zeit nicht eingestehen will, kann doch schon bald kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es sich bei den drei seltsamen Frauen um die zurückgekehrten "Hüterinnen" ("Guardians") handelt, die in dem alten Tagebuch erwähnt werden und die im 17. Jahrhundert der Hexerei angeklagt worden waren. So wie es aussieht, geht es darum, eine uralte Geschichte von Intoleranz und Gewalt endlich zu einem friedvollen und versöhnenden Abschluss zu bringen. Eine zentrale Rolle scheinen dabei der "Grinnygogg" und das herannahende Mittsommerfest zu spielen.

The Witches and the Grinnygog basiert auf dem zwei Jahre zuvor erschienenen, gleichnamigen Kinderbuch von Dorothy Edwards, die ungefähr zur selben Zeit auch "several anthologies of short stories, folklore and poetry for children, chiefly on the subjects of magic, witchcraft and ghosts" herausgab, u.a. Ghosts and Shadows (1980) und Mists and Magic (1983).
In ihrer Darstellung der Hexen knüpfte die Schriftstellerin an die von Margaret Murray (The Witch-Cult in Western Europe [1921]) populär gemachte Vorstellung an, dass es sich bei den Opfern der Hexenprozesse des 16. und 17. Jahrhunderts um die Anhängerinnen einer vorchristlichen Naturreligion gehandelt habe. Eine Idee, die auch bei der Gründung der Wicca - Religion durch Gerald Gardner (1884-1964) eine wichtige Rolle gespielt hatte. Wissenschaftlich haltbar ist diese These nach heutigem Erkenntnisstand zwar nicht, aber das tut meiner Meinung nach nicht wirklich was zur Sache. Als Stellvertreterinnen für alle unterdrückten und marginalisierten Gruppen, die aufgrund ihres "Andersseins" unter Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt zu leiden hatten, funktionieren die "Hexen" allemal. Und eben darin besteht ihre Rolle in dieser Geschichte. So habe ich das jedenfalls interpretiert.
Schon bei der ersten Unterhaltung der Kinder über die Hexenverfolgungen lässt Essie die Bemerkung fallen: "They never burned men, did they?" Historisch ganz korrekt ist zwar auch das nicht, aber es verweist sogleich auf den Subtext der Geschichte. Wie wir später erfahren, gehörten auch die Vorfahren der Firkettles zu jenen "besonderen" {eine bessere Bezeichnung wäre wohl "andersartigen"} Leuten, denen man mit Misstrauen, Intoleranz und im Extremfall brutaler Gewalt begegnete. Was auch erklärt, warum sofort eine übersinnliche Verbindung zwischen dem kleinen Jimmy und dem Grinnygog besteht, und sich Essie im Laufe der Ereignisse immer stärker zu der "paganen" Welt der Hexen hingezogen fühlt. {Und ist es bloßer Zufall, dass Zoe Loftin rote Haare hat?} Eigentlich schade, dass sie am Ende nicht das Erbe ihrer Ahnen antritt und selbst zu einer Hexe wird.* Doch in diesem Punkt ist die Serie eindeutig: Die Hexen sind Vertreterinnen einer vergehenden Welt. Wenn sie in der letzten Epiosode am Abend des Mittsommerfestes gemeinsam mit Mr. Alabaster nach Afrika fliegen, hat das ein bisschen was von der Abfahrt der Elben von den Grauen Anfurten im Lord of the Rings. Auch wenn die drei ganz sicher nichts von der aristokratischen Aura der tolkienschen Eldar an sich haben. Die Magie verlässt die Welt.
Und natürlich ist Mr. Alabaster als Afrikaner selbst einer jener "Anderen". In einer Uminterpretation der alten Folklore übernimmt der Anthropologe und Schamane ("Witch Doctor") die Rolle des "Black Man" für den Hexenzirkel.** Nicht dass er eine diabolische Gestalt wäre. Er selbst erklärt, dass dieselbe Rolle in seiner Heimat oft von einem "weißen Mann" gespielt werde. Was zwar kaum etwas mit realen afrikanischen Traditionen zu tun haben dürfte, aber noch einmal hervorhebt, dass es um das "Anderssein" geht.
Wenn Afrika am Ende der Miniserie als der letzte Zufluchtsort für Magie und Naturreligion erscheint, haftet dem natürlich unverkennbar ein Element von Exotismus an. Doch möchte ich betonen, dass Mr. Alabaster nie als eine Art "edler Wilder" gezeichnet wird. Ab und an legt er zwar die traditionelle Gewandung eines Schamanen an, aber selbst dann bleibt er ganz der kultivierte und höfliche Gentleman. Und wenn er zum Abschluss gemeinsam mit den Hexen nach Afrika fliegt, geschieht dies nicht auf magische Weise, sondern in einem Helikopter, dessen schwarzer Pilot darauf hindeutet, dass er unmittelbar aus Mr. Alabasters Heimat gekommen ist, welche wir uns also nicht als ein antimodernes, magisches Paradies am Ende der Welt vorstellen sollen.

Eine der auffälligsten Eigenheiten von The Witches and the Grinnygog ist, dass es keine wirklichen Antagonisten in der Miniserie gibt. Trotz des Subtextes über Intoleranz und Verfolgung begegnen wir niemandem, der als Vertreter von christlicher Bigotterie, weißem Rassismus oder männlichem Chauvinismus erscheinen würde. Das schlimmste, was man von den Erwachsenen sagen kann, ist, dass sie blind für die ungewöhnlichen Ereignisse sind, die sich um sie herum abspielen. Doch dafür gibt es eine gute Erklärung: Sie haben schlicht keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. So erscheint vor allem Mrs. Firkettle oft ungeduldig und genervt, aber wir können ihr Verhalten recht gut verstehen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sie eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern ist, die täglich in eine Nachbarortschaft pendeln muss, wo sie {für einen recht mageren Lohn} in einem kleinen Kaufhaus als Verkäuferin arbeitet.  
Damit wird dem Thema sicher etwas an Schärfe genommen. Ganz allgemein herrscht ein Geist der Versöhnung. Doch gerade das hat für mich auch zum besonderen Charme der Miniserie beigetragen. Das große Mittsommerfest, mit dem The Witches and the Grinnygog ausklingt, erhält dadurch beinah eine Art utopischen Vibe.
Wenn z.B. Miss Edie ihre Nachfahrin Miss Possett (Anne Dyson) besucht, eine fromme Christin und ehemalige Sonntagsschullehrerin, und ihr als Geschenk einen prächtigen, mit zahllosen farbenfohen Blumen geschmückten Hut herbeizaubert, ist klar, dass sie der stets schwarze, puritanisch anmutende Kleider tragenden alten Dame etwas Lebensfreude schenken will, die ihr durch ihre Religion {scheinbar} verwehrt wurde. Dennoch kommt es nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei gegensätzlichen  Weltanschauungen. Miss Possett freut sich über das Geschenk, aber das ändert nichts an ihrem Glauben. Man trennt sich in einm Geist gegenseitigen Respektes.
Interessanterweise hält Miss Possett die Firkettle-Kinder davon ab, während der finalen Szene ein "heidnisches" Lied anzustimmen, das sie zuvor mit ihrem Großvater gesungen hatten und das bei Essie ein euphorisches Gefühl des Losgelöstseins, beinah des "Fliegens", ausgelöst hatte. Aber dies muss wohl in erster Linie im Kontext des Motivs vom "Schwinden der Magie" gesehen werden. Was dem versöhnlichen Abschluss eine leicht wehmütige Note verleiht. Das Mittsommerfest ist in gewisser Hinsicht ein letztes Abschiedsgeschenk jener, die nun für immer verschwinden werden. Beinahe als ginge es darum, die Dorfgemeinschaft daran zu erinnern, was sie nun verloren haben.

Trotz des im allgemeinen so versöhnenden Tones, besitzt die Miniserie durchaus auch ihre düsteren Momente. Diese konzentrieren sich hauptsächlich auf die Figur der jungen Margaret oder Daisy. Bei dieser handelt es sich um Mrs. Ems' Tochter, die während des blutigen Chaos der Hexenverbrennungen von ihrer Mutter getrennt wurde und seitdem verloren durch die Zeitalter irrt. Besonders eindringlich ist dabei vor allem eine Szene. Mrs. Firkettle begegnet der verängstigen Margaret bei Anbruch der Nacht im Wald, und plötzlich verwandelt sich das abendliche Dorf in der Ferne in die Szenerie aus dem 17. Jahrhundert mit den flackernden Lichtern der Scheiterhaufen und dem fernen Gegröhle des Lynchmobs.
Während Margaret offenbar unablässig von der Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit verfolgt wird, scheint der Verlust ihres Kindes bei Mrs. Ems ein so großes Trauma verursacht zu haben, dass sie nicht bereit ist, sich offen mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen, sondern stattdessen eine Schaufensterpuppe als ihre Tochter kostümiert und felsenfest davon überzeugt zu sein scheint, dass es sich bei dieser tatsächlich um Margaret handelt. Wenn man etwas länger darüber nachdenkt, ist das ziemlich düster.

Eine weitere recht interessante Eigenart der Miniserie ist es, dass unsere kindlichen Heldinnen und Helden letztenendes nur wenig zum glücklichen Ausgang der Geschichte beitragen. Trotz all ihrer Nachforschungen und kleinen Abenteuer erschöpft sich ihre Rolle hauptsächlich darin, Zeugen der Ereignisse zu sein, die sich um sie herum abspielen. Die Serie macht das sogar ganz explizit, wenn Nan am Ende von Miss Bendybones die Aufgabe erteilt wird, die "Wahrheit" aufzuschreiben, was diese dann auch in ihrem Tagebuch macht. Ich habe das für mich als ein weiteres Leitmotiv der Geschichte gedeutet: Versöhnung ist nur möglich, wenn sich eine Gesellschaft über die von ihr in der Vergangenheit verübten Verbrechen Rechenschaft ablegt und die Wahrheit über sich und ihre Opfer ausspricht.

Es erübrigt sich eigentlich, am Ende noch einmal zu sagen, dass ich The Witches an the Grinnygog für ein sehr sehenswertes Stück TV-Phantastik halte. Aufgrund rechtlicher Komplikationen ist die Miniserie leider nie auf DVD erschienen. Allerdings kann man auf Youtube die Videoaufzeichnung einer alten Fernsehausstrahlung finden.



* Die thematisch verwandte, aber sehr viel düsterere Episode The Witch's Bottle aus der ITV-Serie Shadows (1975) geht auch in dieser Hinsicht deutlich weiter.
** Aufgrund von Nathaniel Hawthornes The Scarlet Letter und H.P. Lovecrafts Dreams in the Witch House hatte ich den "Black Man" bislang immer für eine spezifisch amerikanische Zutat zur Hexen-Folklore gehalten. Tatsächlich jedoch war seine Gestalt auch in England fester Bestandteil des volkstümlichen Aberglaubens, wie ich durch meine Lektüre von Frank J. Gents sehr informativem Büchlein über die Hexenprozesse von Bideford (1682) erfahren habe. Das "schwarz" bezog sich übrigens nie auf die Hautfarbe, sondern stets auf die Kleidung.

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