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Dienstag, 19. April 2016

Ein Reisebericht aus den Vier Ländern - Teil 1

Terry Brooks has often been disparaged for imitating Tolkien, particularly by those reviewers who find his books inferior to Tolkien’s own. I can say only that I wish there were more imitators we need them and that all imitations of so great an original must necessarily be inferior.
So schreibt Gene Wolfe in seinem Tolkien gewidmeten Essay The Best Introduction to the Mountains.*

Nun ist Wolfe bekanntlich nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein erzkonservativer Katholik, weshalb es nicht verwundert, dass ein Gutteil seines Essays der Vision einer idealisierten Feudalgesellschaft gewidmet ist, welche der Verfasser ganz wie Tolkien selbst der verdorbenen Moderne entgegenstellt. Der Anfang des Textes lautet:
There is one very real sense in which the Dark Ages were the brightest of times, and it is this: that they were times of defined and definite duties and freedoms. The king might rule badly, but everyone agreed as to what good rule was. Not only every earl and baron but every carl and churl knew what an ideal king would say and do. The peasant might behave badly; but the peasant did not expect praise for it, even his own praise.   
Er schließt mit folgendem Absatz:
We might have a society in which the laws were few and just, simple, permanent, and familiar to everyone — a society in which everyone stood shoulder-to-shoulder because everyone lived by the same changeless rules, and everyone knew what those rules were. When we had it, we would also have a society in which the lack of wealth was not reason for resentment but a spur to ambition, and in which wealth was not a cause for self-indulgence but a call to service. We had it once, and some time in this third millennium we shall have it again; and if we forget to thank John Ronald Reuel Tolkien for it when we get it, we will already have begun the slow and not always unpleasant return to Mordor. Freedom, love of neighbour, and personal responsibility are steep slopes; he could not climb them for us — we must do that ourselves. But he has shown us the road and the reward.
Ich habe nicht vor, mich an dieser Stelle mit Tolkiens feudaler Romantik zu beschäftigen -- das habe ich vor Zeiten schon einmal in einer Reihe von Posts getan (hier, hier, hier, hier & hier). Ebensowenig will ich mich mit Gene Wolfes politischer Philosophie auseinandersetzen. Mich interessiert für den Moment nur die oben zitierte Bemerkung über Terry Brooks. Wolfe begrüßt es, wenn andere Schriftsteller dem Vorbild Tolkiens nacheifern. Doch wie der Essay deutlich macht, sind seine Gründe dafür in erster Linie ideologischer, nicht ästhetischer Natur. Es stellt sich darum die Frage, ob seine "Verteidigung" von Brooks in dieser Hinsicht überhaupt ein einigermaßen stabiles Fundament besitzt. Mit anderen Worten: Können wir aus dem Umstand, dass Brooks in The Sword of Shannara zahlreiche Plotelemente und Figuren aus dem Lord of the Rings mehr oder weniger offen kopiert, automatisch den Schluss ziehen, dass sein Roman ein ähnliches Weltbild zum Ausdruck bringt wie Tolkiens Werk?

Wie ich vor einigen Wochen hier berichtete, habe ich kürzlich nach beinah dreißig Jahren einmal wieder die deutsche Übersetzung von The Wishsong of Shannara gelesen. Die Gründe dafür sind mir immer noch nicht ganz klar, aber es sollte noch merkwürdiger kommen: Kaum hatte ich die Abenteuer von Brin, Jair und Rone beendet, da wanderte auch schon der abgegriffene Goldmann-Band mit Tony Westermeyers Übersetzung von The Sword of Shannara auf meinen Nachttisch. 
Inzwischen bin ich auf Seite 152 angekommen. Keine Ahnung, ob meine eigentümliche Faszination für Terry Brooks lange genug anhalten wird, um mich durch die restlichen vierhundert Seiten zu tragen. Ein wirkliches Lesevergnügen ist das Ganze nämlich nicht. Darum habe ich beschlossen, meine Gedanken über das Gelesene in einer kleinen Reihe von Blogposts darzulegen, und nicht abzuwarten, bis ich den Schmöker ganz durchgeackert habe. Ich hoffe, im Zuge dessen auch eine Antwort auf die oben von mir selbst gestellte Frage geben zu können.

Hier meine ersten, grob skizzierten Eindrücke:
(1) Die Art, in der Terry Brooks in seinem Erstling die Expositionen handhabt, ist wirklich erschreckend mies. Es gehört zu den Klischees der High Fantasy, dass Bücher dieses Genres mindestens ein paar Kapitel besitzen müssen, in denen auf Dutzenden von Seiten die langwierige Hintergrundsgeschichte der aktuellen Ereignisse und die Historie der Sekundärwelt als solcher dargelegt werden. In The Lord of the Rings waren das vor allem The Shadow of the Past und The Council of Elrond. The Sword of Shannara besitzt zwei vergleichbare Passagen, in denen der Druide Allanon einmal in Shady Vale (der Heimat unseres Helden Shea) und dann in der Zwergensiedlung Culhaven lange Reden über die Geschichte der Welt, die vergangenen Kriege gegen den Dämonen-Lord und das sagenumwobene Schwert von Shannara hält. Doch während die entsprechenden Kapitel bei Tolkien durchtränkt sind von der reichen Historie und Mythologie Mittelerdes und wie der erste verführerische Einblick in eine gewaltige und poetische Welt wirken, erinnern Brooks' Expositionen in ihrer inhaltlichen und sprachlichen Dürftigkeit an die Infos für den DM aus einem alten D&D - Modul.
(2) Wie nicht anders zu erwarten, sind die Ähnlichkeiten zum Lord of the Rings leicht auszumachen: Shady Vale = The Shire/Das Auenland; Allanon = Gandalf; Shea = Frodo; Flick = Sam; der Dämonen-Lord = Sauron; das Schädelreich = Mordor; die Schädelträger = die Nazgûl; Culhaven = Rivendell; Balinor = Aragorn; Durin & Dayel = Legolas; Höndel = Gimli. Und das tentaklelbewehrte Nebelgespenst weckt natürlich Assoziationen zu Tolkiens "Watcher in the Water" am Westtor von Moria. Auch was den Plot angeht, bleibt die Story sehr eng ihrem Vorbild verhaftet. Verfolgt von den Schädelträgern müssen sich Shea und Flick alleine nach Culhaven durchschlagen, wo dann eine Art Rat abgehalten und eine "Heldengruppe" zusammengestellt wird, mit der sie weiterziehen.
(3) Auch wenn Culhaven in gewisser Weise die Rolle von Imladris übernimmt, haftet dem Ort doch nichts von der Magie des "Letzten Heimeligen Hauses östlich der See" an. Wie auch, besitzt Brooks' Welt doch nichts von der historisch-mythischen Tiefe und der Poesie Mittelerdes.
(4) Auf einige interessante Ideen bin ich allerdings trotzdem gestoßen:
  • Die Menschen {und damit auch Shea} betrachten sich selbst als die "ewigen Opfer" der Geschichte, die von den anderen Rassen in der Vergangenheit stets verfolgt und unterdrückt wurden. Ein Selbstverständnis, dass durch Allanons Enthüllungen gründlich in Frage gestellt wird. In Wahrheit waren sie die fanatischsten Anhänger des Dämonen-Lords, als dieser vor Jahrhunderten zum ersten Mal Tod und Vernichtung über die Vier Länder bringen wollte. Ob Brooks in der Folge noch einmal auf dieses eigentlich ganz spannende Motiv zurückkommen wird? Ich fürchte eher ncht ...
  • Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Shannara-Stories in einer postapokalyptischen Zukunft angesiedelt sind. Wie innovativ dieses Setting innerhalb der Fantasyliteratur der Zeit war, kann ich nicht wirklich beurteilen. Zumindest Fred Saberhagen hatte etwas ähnliches bereits in seiner Empire of the East - Serie getan, die er 1983/84 mit den Books of Swords fortsetzen würde. In The Sword of Shannara ist das Motiv -- abgesehen von Allanons Monologen über die Großen (Atom)Kriege -- bislang nur zweimal kurz aufgetaucht. Die Wirkung auf mich war dabei recht unterschiedlich. Da hätten wir zum einen den "König vom Silberfluss", eine eigentlich eher mythisch-märchenhafte Gestalt, die aber ganz offensichtlich mit einer Taschenlampe herumhantiert: "Das seltsame Licht in seiner Hand wirkte aus der Nähe grell, und in der Mitte konnte man keine Flamme erkennen. Plötzlich verschwand es, und stattdessen umklammerte die knorrige Hand des alten Mannes einen zylindrischen Gegenstand. [...] 'Das Licht', sagte Shea stockend. 'Wie ...?' 'Ein Spielzeug von Leuten, die lange tot und verschwunden sind'" (S. 92). Das fand ich ehrlich gesagt eher lächerlich. Zumindest potentiell etwas spannender ist da schon die Szene, in der unsere Heldengruppe auf die Ruinen einer "modernen" Stadt stößt: "Nach kurzer Zeit entdeckte die Gruppe ein ungewöhnliches Gefüge, das sich wie ein riesiger Rahmenbau aus dem Wald erhob. Es schien Teil des Waldes selbst zu sein, wenn man von der geometrischen Ausrichtung der Glieder absah, und nach Augenblicken waren sie nahe genug herangekommen, um eine Reihe von Riesentragbalken zu erkennen, bedeckt mit Rost, quadratische Ausschnitte des Himmels einrahmend." (S. 146f.) Könnten diese Ruinen der Grund dafür sein, dass über dem Wolfsktaag-Gebirge für Gnomen wie Zwerge ein Tabu liegt? Für einen Moment musste ich an die "Forbidden Zone" aus Planet of the Apes denken. Leider zerstörte der Auftritt eines leibhaftigen Cyborg-Monsters schon wenig später die leicht beklemmende Atmosphäre, die sich gerade einstellen wollte. 
  • Das Beste zum Schluss: Terry Brooks liefert uns eine wirklich clevere und innovative Begründung für Sheas Auserwähltenrolle. Warum kann nur er als letzter lebender Nachfahr der elfischen Königsdynastie Shannara das sagenumwobene Schwert einsetzen, um den Dämonen-Lord ein für alle Mal zu vernichten? Die Antwort ist für einen generischen High Fantasy - Roman ziemlich überraschend: Shea ist nicht deshalb "der Auserwählte", weil er von Schicksal oder Vorsehung dazu ausersehen worden wäre oder das Blut der königlichen Familie tatsächlich irgendeine mystische Qualität besitzen würde. Der Grund liegt vielmehr in der Tendenz der Menschen, Mythen zu erschaffen und diese schließlich für Wahrheit zu halten: "Als Brimen Jerle Shannara das Schwert gab, beging er den Fehler, es direkt einem König und einem Königshaus zu übergeben - er übergab es nicht dem Volk. Daraus erwuchs durch menschliches Missverständnis und historische Fehlbeurteilung der allgemeine Glaube, dass das Schwert allein die Waffe des Elfenkönigs sei, und nur jene, die von ihm abstammten, das Schwert gegen den Dämonen-Lord erheben konnten. So kommt es, dass jetzt, wenn es nicht von einem Sohn des Hauses Shannara ergriffen wird, die Person nie ganz an ihr Recht glauben kann, es zu gebrauchen." (S. 125) Das ist ein wirklich spannender Gedanke: Der von Menschen geschaffene Mythos hat ein Eigenleben gewonnen und ist zu einer realen Macht geworden, obwohl er auf einem Missverständnis beruht. Dieses Motiv bildet auch einen ersten deutlichen Hinweis darauf, dass The Sword of Shannara bei aller formalen Abhängigkeit im Geiste vermutlich kein Zwillingsbruder von The Lord of the Rings ist.   
Teil 2 * Teil 3 * Teil 4 * Teil 5 

* Die einzige im Netz verfügbare Fassung des Essays, die ich habe finden können, befindet sich leider auf der Website des ebenso unnachahmlichen wie unerträglichen John C. Wright.

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