Seiten

Mittwoch, 16. September 2015

Wenn's nicht Star Trek wäre ...

Nächstes Jahr werden wir den 50. Geburtstag von Star Trek feiern können, doch nach wie vor spricht abgesehen von einigen äußerst vagen Gerüchten nichts dafür, dass wir zehn Jahre nach dem Ende von Enterprise endlich eine neue Trek - Serie bekommen könnten. Sicher, die von J.J. Abrams losgetretene Kino-Reinkarnation von Kirk, Spock & Co wird weiter fortgesetzt werden, doch für mich ist das kein Trost zum einen, weil diese Spektakel in meinen Augen nur wenig mit dem zu tun haben, was ich mir unter Star Trek vorstelle, zum anderen, weil die wirkliche Heimat von Trek immer das Fernsehen gewesen ist. Schon The Next Generation funktionierte nicht wirklich im Kino.

Aber neben dem offiziellen Star Trek gibt es ja auch noch das wild wuchernde Universum der Fan-Filme und -Serien, in das ich bislang allerdings nur einige wenige kurze Abstecher unternommen habe, die mich nicht begeistert zurückgelassen haben. Als ich vor einigen Tagen im Netz mitkriegte, dass der schon seit langem angekündigte fan-finanzierte und von Tim "Tuvok" Russ gedrehte Streifen Star Trek: Renegades, in dem neben Russ selbst u.a. Walter Koenig und Robert Picardo mitspielen, tatsächlich fertiggestellt und auf Youtube zu sehen ist, war meine Neugier dennoch geweckt. Wie ich vor Zeiten hier schon einmal dargelegt habe, schien mir die Idee, das Trekuniversum in die Gefilde von "grim & gritty" steuern zu wollen, zwar von Anfang an extrem fehlgeleitet, doch gerade deshalb reizte es mich, mir den Film anzuschauen. Würde er meine Befürchtungen bestätigen oder sollte mich eine angenehme Überraschung erwarten?


Es ist gar nicht so einfach, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Star Trek: Renegades ist ein äußerst uneinheitlicher und widersprüchlicher Film. Das fängt bereits bei der Qualität an.

Einige Szenen sind hübsch anzusehen und recht kompetent gefilmt, andere stürzen beinah bis auf das Niveau des Vorgängers Of Gods and Men ab. Manche der Schauspielerinnen und Schauspieler sind sichtlich bemüht, das Beste aus dem mageren Material herauszuholen, das ihnen zur Verfügung stand, andere liefern eine geradezu erbarmungswürdige Leistung ab. Ich denke da vor allem an Crystal Conway, die Chekovs Ur-Enkelin (?) spielt. Die Chekov-Szenen gehören ohnehin zu den schwächsten des Filmes, doch jedesmal, wenn sie auftauchte, konnte ich ein irritiertes Stöhnen nicht unterdrücken. Das Drehbuch von Ethan H. Calk und Sky Douglas Conway, die bereits für Of Gods and Men verantwortlich  zeichneten, ist mehr oder weniger desaströs. Besonders unangenehm fallen einige äußerst ungelenk eingeflochtene Infodump-Monologe sowie mehrere nachgerade peinliche Fanservice-Szenen auf. Das gilt insbesondere für den gänzlich unmotivierten Auftritt von Robert Picardo als holographischer Version von Dr. Zimmerman. Ach ja, und der Plot selbst ist absoluter Nonsense.

Doch halt! Hier beginnen die Widersprüche. Die Story von Renegades ist ohne Zweifel hanebüchen, aber auf verwirrende Weise könnte man das sowohl zu den Schwächen als auch zu den Stärken des Filmes zählen. Versuchen wir sie kurz zusammenzufassen:

Zehn Jahre nach der Rückkehr der U.S.S. Voyager in den Alpha-Quadranten erwächst der Föderation urplötzlich eine neue tödliche Bedrohung. Ein brutales Kriegervolk mit hübschen Monstermasken hat sich daran gemacht, ganze Planeten aus dem Raum-Zeit-Kontinuum zu kicken. Vorzugsweise die Planeten, auf denen die Föderation Delithium-Kristalle abbaut. Eigenartigerweise halten weder die politische Führung noch die Chefetage von Starfleet diese rüde Verhalten für einen kriegerischen Akt. Kein Wunder eigentlich, dass Pavel Chekov (Walter Koenig), mit hundertvierzig Jahren inzwischen Admiral und Chef der Föderations-Sicherheit, eine Verschwörung wittert. Mit Hilfe seines Kollegen Tuvok (Tim Russ) heuert er deshalb im "Dirty Dozen" -  Stil einen Trupp von Misfits und Outlaws unter der Führung von Khan Noonien Singhs Tochter Lexxa (Adrienne Wilkinson) an, die den Chef der Monstermasken heimlich, still und leise eleminieren soll. Kein so einfaches Unterfangen, zumal Lexxa und ihre Crew gleichzeitig von dem übereifrigen, aber nicht sonderlich kompetenten Starfleet-Captain Alvarez (Corin Nemec) gejagt werden.

Man wird am meisten Spaß mit Renegades haben, wenn man den Film als ein trashiges Pulp-Abenteuer betrachtet, und für ein solches ist der wirre Plot durchaus angemessen. Auch unsere Heldinnen und Helden passen am Besten in einen solchen Kontext. Ich habe eine große Schwäche für Weltraumpiraten und andere Underdogs in Outer Space. Und auch wenn Lexxa und ihre Crew – bestehend aus Gary Graham (Robotjox & Alien Nation), Dr. Lucien aka Sean Young (Blade Runner & Dune), Voyager-Ex-Borg Icheb (Manu Intiraymi), einer Betazoidin mit besonders aggressiven PSI-Kräften (Chasty Ballesteros), einem mies gelaunten Bajoraner (Kevin Fry), einem Breen, einem Cardassianer und Techno-Genie Fixer (Edward Furlong [Terminator 2]) – in dieser Hinsicht ganz sicher nicht zur ersten Garde gehören, entwickeln sie im Laufe der Handlung doch einen gewissen Charme. Als Charaktere freilich bleiben sie ausnahmslos völlig unterentwickelt. Die wenigen Bröckchen "Hintergrund", die man für einige wenige von ihnen zwischendurch aufgetischt bekommt, eröffnen keinen echten Einblick in ihre Persönlichkeiten oder ihre Motivationen. Das gilt auch für die eher verwirrenden Flashback-Szenen mit Lexxa und ihrer Mutter. Doch als archetypisches "Kollektiv der Underdogs" funktioniert der Trupp am Ende ganz gut, und das reicht, um ihm meine Sympathien zu sichern.

Freilich stellen sich einer solchen Herangehensweise an den Film neben den zahlreichen formalen Schwächen zwei Hindernisse in denWeg.

Zuerst einmal ist es ziemlich offensichtlich, dass die Macher von Renegades nicht die Absicht hatten, amüsant-absurden SciFi-Schlock zu drehen. Sie verfolgten das Ziel, eine "zeitgemäße", und das bedeutete in ihren Augen grimmig-düster-pseudorealistische, Variante von Star Trek zu kreieren. Dass dabei ein halbwegs unterhaltsames Pulp-Abenteuer herausgekommen ist, verdanken wir ausschließlich der mangelnden Kompetenz der Drehbuchschreiber. 
Ihr Script besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die sich nicht zu einem organischen Ganzen zusammenfügen. Wie alles übrige ist darum auch das "grimmig-düstere" Element nichts, was der Handlung selbst eigen wäre, durch sie erzählerisch entwickelt würde. Vielmehr lässt es sich auf eine Handvoll von Szenen reduzieren, die ganz offensichtlich geschrieben wurden, um der Story einen entsprechenden Touch zu verleihen. So etwa, wenn Chekovs Enkelin die Hand abgeschnitten werden muss, weil die bösen Verschwörer ihr heimlich einen Miniatursprengsatz in selbige injiziert haben, um damit den guten Pawel ins Jenseits zu befördern.  
Die Ungeschicklichkeit, mit der Calk & Conway zu Werke gegangen sind, macht es nicht nur sehr leicht, diese Szenen zu identifizieren, es raubt ihnen auch die Fähigkeit, die Story als Ganzes entsprechend einzufärben. Was ein großes Glück ist. Nicht nur wird uns damit die Möglichkeit eröffnet, den Film als trashigen Spaceadventure - Spaß statt als Grimdark - Star Trek zu goutieren, als Bonus erhalten wir außerdem die Gelegenheit, uns über die Tumbheit des Drehbuchs zu amüsieren. Es ist fazinierend, wenn man miterleben kann, wie ein Film dank der Inkompetenz seiner Macher zu etwas besserem (oder zumindest unterhaltsamerem) geworden ist, als das, was selbige geplant, aber nicht umzusetzen verstanden hatten.
Eine der Ideen, die das Renegades-Team hatte, war, dass es unter den Protagonisten heftige Konflikte geben sollte. Wie sie selbst es ausgedrückt haben, sollten ihre Helden & Heldinnen ständig gegen den Wunsch ankämpfen müssen, sich gegenseitig abzumurksen. Seine Umsetzung hat diese Idee in der Beziehung zwischen dem bajoranischen und dem cardassianischen Crewmitglied gefudnen. Dass ich sie nicht beim Namen nenne, ist kein Zufall. Keiner der beiden ist ein auch nur ansatzweise entwickelter Charakter, vielmehr bleiben sie gänzlich reduziert auf ihre ethnische Zugehörigkeit. Der Konflikt zwischen ihnen hat deshalb auch nichts mit ihnen persönlich zu tun. Mr. Bajor hasst Mr. Cardassia, weil dessen Volk sein Volk unterdrückt hat. Das Motiv wird nicht weiter ausgeführt {wie könnte es das auch, bleiben die beiden Charaktere doch bloße Schablonen}, und dreißig Minuten später sind beide tot! 
Offenbar wollten Calk & Conway da zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es sollte einen potentiell mörderischen Konflikt in der Gruppe geben, aber die Drehbuchschreiber wussten nicht, wie sie einen solchen glaubwürdig entwickeln sollten. Also fielen sie auf das Klischee der rassischen Resentiments zurück. Zugleich schien es ihnen wichtig, einige der Crewmitglieder sterben zu lassen, denn das Ganze sollte ja "grim & gritty" sein. Und da sie mit dem Konflikt zwischen Mr. Bajor & Mr. Cardassia über seine bloße Existenz hinaus nicht wirklich etwas anzufangen wussten, wählten sie diese beiden als Opfer aus. 
Für uns Zuschauer & Zuschauerinnen hat das den Vorteil, dass das Motiv des mörderischen Konfliktes zeitig aus dem Weg geräumt wird und wir das zu sehen bekommen, was wir von einer Story dieses Typs erwarten: Wie sich unsere Misfits angesichts einer gewaltigen Übermacht schließlich zusammenraffen und gemeinsam obsiegen. Denn mal ehrlich: Streitereien unter den Underdog-Helden sind schön und gut – siehe Blake's 7 oder Farscape –, aber regelrechte Mordgelüste? Nein Danke! Am Ende sollte es in Geschichten dieser Art doch um Kameradschaft und Solidarität, um das Überwinden von Feindseligkeiten und Voruteilen gehen. 
Den meisten "grim & gritty" - Szenen {und nicht nur denen} fehlt der größere Kontext, um wirklich funktionieren zu können. Ist Mr. Bajor in einem Flüchtlingslager aufgewachsen? Hat er miterleben müssen, wie Freunde oder Familienangehörige von den cardassianischen Besatzern misshandelt oder ermordet wurden? Ein noch so kleines Bröckchen Hintergrundinformation hätte geholfen, seinen Hass auf alle Cardassianer authetischer wirken zu lassen.  
Bei einer anderen "grim & gritty" - Szene führt dieser fehlende Kontext dann allerdings zu einem potentiell äußerst unangenehmen, auf jedenfall aber irritierenden Eindruck. Wenn die Figur der Shree (Courtney Peldon) einer andorianischen Hackerin, die für Chekov arbeitet  eingeführt wird, bekommen wir etwas zu sehen, was entweder eine lesbische Gedankenvergewaltigung oder Teil eines in gegenseitigem Einverständnis stattfindenden sadomasochistischen Sexspiels sein könnte. Uns fehlt ganz einfach die nötige Information, um entscheiden zu können, um was es sich handelt. Ganz offensichtlich wurde auch diese Szene nur geschrieben, um der Story und der Figur einen "dunklen" Touch zu verleihen. Doch die Vorstellung, eine unserer Heldinnen (am Ende wird Shree in die Renegades - Crew aufgenommen) könnte eine Serienvergewaltigerin sein, ist weniger "dunkel" als vielmehr ungeheuer geschmacklos.

Das zweite und größte Problem, das ich mit Renegades habe, ist, dass der Flick ganz einfach kein Star Trek - Film ist. Er sieht nicht aus wie Trek. Er fühlt sich nicht an wie Trek. Er ist kein Trek.
Selbst wenn es einem gelingt, das Ganze als amüsanten SciFi-Trash zu genießen, hilft das in dieser Hinsicht nur wenig. Die Bösewichter mögen nicht wirklich pulpiger erscheinen als die Son'a aus Insurrection oder die Remaner aus Nemesis, aber es ist kein gutes Zeichen, wenn man zur Legitimation den traurigen Endspurt der allgemein eher traurigen TNG-Filme heranziehen muss. Und ja, natürlich besaß die Original Series einen ordentlichen Anteil Schlock {ich denke da z.B. an Spock's Brain}, aber das war nie, was Star Trek eigentlich ausmachte, selbst zu Zeiten von Kirk, Spock und McCoy nicht. Für mich zumindest ist Trek vor allem eine bestimmte Geisteshaltung und Weltsicht. Wie ich vor anderthalb Jahren hier schon einmal geschrieben habe: "Star Trek hätte in meinen Augen nur dann eine Zukunft, wenn das Franchise einerseits zum humanistischen Optimismus seiner Ursprünge zurückkehren und andererseits die Lehren aus TNG und DS9 ziehen und seine utopische Vision einer besseren Zukunft realistischer, komplexer, kritischer und lebendiger gestalten würde, als dies in der Ära Gene Roddenberrys möglich gewesen war." Genau das jedoch tut Renegades nicht.
Auch wenn der "düster-grimmige" Ton sich als weniger penetrant herausgestellt hat, als ich befürchtet hatte, reicht er doch aus, um den Film als legitimen Beitrag zum Trek-Universum zu disqualifizieren. Das gilt insbesondere für die Darstellung der Föderation.
Die Föderation von Renegades ist nicht die Föderation von Star Trek. Das zeigt sich bereits an so kleinen Details wie dem Umstand, dass Shree, als Chekov sie beauftragt, sich in das Sicherheitssystem von Starfleet einzuhacken, eine "doppelte Bezahlung" verlangt. Spätestens in TNG wurde die Föderation als eine quasi-sozialistische Post Scarcity - Gesellschaft etabliert. Welche Art von Bezahlung könnte Shree, die offenbar auf der Erde lebt, verlangen? Oder man schaue sich Dr. Luciens Hintergrundsgeschichte an. Offenbar erwies sich ein Experiment der Wissenschaftlerin als ein katastrophaler Fehlschlag, wobei ihr Assistent ums Leben kam. Daraufhin wurde sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgestoßen und zum Pariah erklärt.  Die Trek-Föderation ist keine Gesellschaft, die jemanden für einen Fehler, so schlimm die Konsequenzen auch gewesen sein mögen, auf diese Weise bestrafen würde. Es passt einfach nicht zu ihrem Ethos. Renegades ist sichtlich bemüht, die Föderation in einem möglichst negativen Licht erscheinen zu lassen. Ein korrupter bürokratischer Apparat voller Karrieristen, Opportunisten und Intriganten.
Und unsere Starfleet-Helden Chekov und Tuvok? Bei denen sieht es aus ganz anderen Gründen auch nicht viel besser aus. Von allen Trek - Serien entfernte sich Deep Space 9 am weitesten von Roddenberrys ursprünglicher Vision. {Mit zwiespältigen Resultaten, wie ich meine.} Doch als DS9 "Section 31" einführte, wurden der Geheimdienst und seine skrupellosen Mitglieder immer noch als etwas dargestellt, was im Grunde gegen die Prinzipien der Föderation verstößt. Renegades macht die Methoden von "Section 31" nicht nur akzeptabel, der Film stellt sie in einem positiven Licht dar, verglichen mit dem feigen Verhalten der Politiker und Diplomaten, die sich hinter der "Prime Directive" verstecken. Dass Renegades die Ermordung des Führers eines anderen Volkes, initiiert von irgendwelchen Geheimdienstleuten, die hinter dem Rücken des Parlamentes ("Federation Council") agieren, als etwas positives darstellt, wirkt angesichts der Tatsache, dass immer mehr westliche Regierungen (USA, Frankreich, Großbritannien) "gezielte Tötungen" zur offiziellen Politik erklärt haben, besonders unangenehm. Doch selbst wenn man diesen realen politischen Hintergrund einmal außen vorlässt: Das ist nicht meine Föderation! Das ist nicht mein Star Trek!

Was bleibt am Ende zu sagen? Die Chancen, dass CBS aus Renegades eine reguläre Star Trek - Serie macht, dürften ähnlich hoch sein, wie dass der Sender Michael Dorns inzwischen nicht mehr gar so neue Idee einer Captain Worf - Serie aufgreift. Was mich beruhigt. Stattdessen werden wir wohl noch mindestens zwei Web-Episoden von Renegades präsentiert bekommen. Was mich nicht weiter stört. Ich werde sie mir vermutlich sogar anschauen, wenn sie irgendwann tatsächlich auftauchen sollten. Schließlich mag ich absurden SciFi-Schlock. Es wäre halt bloß besser gewesen, wenn Tim Russ & Co nicht versucht hätten, ihre neckischen Abenteuergeschichten im Star Trek - Universum anzusiedeln.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen