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Samstag, 1. Februar 2014

Ein paar ungeordnete Gedanken zum Tod von Maximilian Schell

In der letzten Nacht verstarb in einem Krankenhaus in Innsbruck im Alter von dreiundachtzig Jahren Maximilian Schell. Wollte ich mich an einer ernsthaften Würdigung des Schauspielers versuchen, so würde dies voraussetzen, dass ich mir zuerst einmal eine ganze Reihe Filme wie Edward Dmytryks The Young Lions (1958), Vittorio de Sicas I sequestrati di Altona (Die Eingeschlossenen von Altona; 1962), Jules Dassins Topkapi (1964), Sidney Lumets The Deadly Affair (1966) oder Sam Peckinpahs Cross of Iron (1977) erneut oder zum ersten Mal anschauen müsste. Da mir dies nicht möglich ist, will ich mich auf einige kurze Bemerkungen zu zwei seiner Filme beschränken, die ich oft genug gesehen habe, um auf einen erneuten Besuch verzichten zu können.

Maximilian Schells Durchbruch in Hollywood, der auch gleich mit einem Oscar gekrönt wurde, kam mit Stanley Kramers Judgment at Nuremberg (1961). Ein Film über die Kriegsverbrecherprozesse gegen führende Nazis, an dem neben ihm so vorzügliche Schauspieler und Schauspielerinnen wie Spencer Tracy, Marlene Dietrich, Burt Lancaster, Montgomery Clift, Judy Garland und Richard Widmark {außerdem Werner Klemperer und William Shatner} mitwirkten. 
Schell spielt den jungen Strafverteidiger Hans Rolfe, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, einen Freispruch für die von ihm vertretenen Chefjuristen des Dritten Reiches zu erwirken. Er tut dies nicht, weil er irgendwelche Sympathien für das gefallene faschistische Regime hegen würde, sondern weil er den Hauptangeklagten Ernst Janning für einen Vertreter des "guten" Deutschland hält, der nur durch die widrigen Zeitumstände dazu gezwungen worden sei, eine führende Position im Justizapparat der Nazis zu übernehmen. Ihn zu verurteilen, würde für Rolfe bedeuten, ganz Deutschland zu verurteilen.
Alle an dem Projekt Beteiligten gingen ohne Zweifel mit großer Ernsthaftigkeit und viel Leidenschaft an den Stoff heran. Leider jedoch war Stanley Kramer ein Filmemacher von eher beschränktem Talent. Der große Kritiker Andrew Sarris schrieb 1968 über ihn:   
If Stanley Kramer had not existed, he would have had to have been invented as the most extreme example of thesis or message cinema. Unfortunately, he has been such an easy and willing target for so long that his very ineptness has become encrusted with tradition. He will never be a natural, but time has proved that he is not a fake.*
Die meisten Filme Kramers, die es überhaupt noch wert sind, heute gesehen zu werden, zeichnen sich durch eine steife und trockene Inszenierung, einen liberal-moralisierenden Tonfall und eine häufig eher ungelenk wirkende Cinematographie aus. Bloß schauspielerische Großleistungen wie die von Sidney Portier und Tony Curtis in The Defiant Ones (1958) oder von Spencer Tracy und Fredric March in Inherit the Wind (1960) retten sie vor der Mittelmäßigkeit. Judgement in Nuremberg bildet da leider keine Ausnahme. Wie David Walsh 2001 in seinem Nachruf auf den Regisseur geschrieben hat:
Much of the film is stodgy and predictable. The zooms in the courtroom scenes are disastrous and look almost parodic today. There is a great deal of discussion about collective guilt, but none of the historical issues that gave rise to fascism are even mentioned.**
Was nicht heißt, dass es nicht einige wirklich berührende Sequenzen gäbe. Das gilt insbesondere für die Zeugenaussagen des Eisenbahners Peterson (Montgomery Clift), der einer Zwangssterilisierung unterzogen wurde, und der jungen Irene Wallner (Judy Garland), die in einem Schauprozess der "Rassenschande" angeklagt wurde. 
Maximilian Schells Spiel ist zugegebenermaßen sehr beeindruckend, doch die von ihm verkörperte Figur des Anwalts Rolfe ist aufs engste mit den problematischen Grundideen des Filmes verknüpft. Wie Walsh ganz richtig bemerkt, weicht der Film einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Wurzeln des Faschismus aus. Er konzentriert sich ganz auf Fragen der individuellen Schuld und verbindet diese letztenendes mit der fatalen Theorie der "Kollektivschuld", die im Grunde alle Deutschen für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich machte und damit die Rolle des Nazismus als eines blutigen Retters des Kapitalismus verschleierte.
Trotz all seiner Mängel bleibt Judgment in Nuremberg sehenswert und hätte sicher eine detailliertere Besprechung verdient, als ich sie hier geben kann.

In die Gefilde des Phantastischen hat sich Maximilian Schell im Laufe seiner Karriere nur sehr selten begeben. Am bekanntesten dürfte wohl sein Auftritt als Dr. Hans Reinhardt in Gary Nelsons The Black Hole (1979) sein, jenem merkwürdig hybrid wirkenden SciFi-Film, mit dem Disney sich von seinem alten keimfrei-quietschbunten Image zu lösen und in "ernsthaftere" und düsterere Dimensionen vorzustoßen versuchte. Beileibe kein Klassiker, aber ein Film, der diese surreale Sequenz enthält, verdient es auf jedenfall, nicht ganz in Vergessenheit zu geraten.
Sehr viel beeindruckender freilich ist die von Maximilian Schell und dem bedeutenden Theaterregisseur Rudolf Noelte 1968 kreierte Adaption von Franz Kafkas Das Schloss. Schell war dieses Projekt offenbar eine echte Herzensangelegenheit, und um das nötige Geld für die Produktion aufzubringen, ließ er sich "für Filme engagieren, die er 'gar nicht nennen will'", wie ein zeitgenössischer Spiegel - Artikel berichtete. Das Ergebnis rechtfertigt diese Opfer voll und ganz. 
Der karg und zurückhaltend in Szene gesetzte Film besitzt eine faszinierende Intensität. Die Welt, die der von Schell gespielte Landvermesser K.betritt ist bedrückend, unmenschlich und grotesk. Aber das Groteske nimmt hier nicht die dekadenten, überbordenden Formen an, wie wir sie z.B. aus den Filmen von Terry Gilliam oder Guillermo del Toro kennen. Ebensowenig findet sich hier der stilisierte Symbolismus von Orson Welles Kafka-Adaption The Trial. In ihrer Monstrosität wirken der verschneite Mikrokosmos und seine Bewohner, die uns in Das Schloss präsentiert werden, dennoch auf perverse Weise "natürlich" und "normal". Doch gerade dadurch hinterlassen sie einen extrem verstörenden Eindruck. Selbst das auf groteske Weise witzige wirkt hier vor allem unheimlich und inhuman. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Und auch wenn unsere Sympathie natürlich dem armen K. gehört, der sich gegen eine undurchdringliche Bürokratie durchzusetzen versucht, hinter der sich eine grausame und willkürliche Macht zu verbergen scheint, so verleiht Maximilian Schell dem Landvermesser doch nicht nur sympathische Züge.
Das Schloss ist ganz sicher nichts für Leute, die mit Action und bunten Bildern unterhalten werden wollen. Doch wer bereit ist, sich auf diesen eher spröden Film einzulassen, wird dabei einen kleinen Klassiker der Phantastik entdecken dürfen. 


* Andrew Sarris: The American Cinema, Directors and Directions 1929-1968. S. 260.
** David Walsh: Why was Stanley Kramer so unfashionable at the time of his death?

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