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Samstag, 4. Mai 2013

Eine CAS-Verfilmung? Nicht wirklich, aber ...

Ich könnte diesen Eintrag mit einem langen Sermon über die schlechte alte britische Tradition beginnen, die Kultur und Religion Indiens als dekadent, obszön, unheimlich und bedrohlich darzustellen, und als Kronzeugen dafür Autoren wie Wilkie Collins, Arthur Conan Doyle und natürlich Rudyard Kipling aufrufen. Im Anschluss daran wäre es ein Leichtes, zu zeigen, dass Freddie Francis' Film The Ghoul von 1975 in genau dieser Tradition steht, woraufhin mir nichts weiter zu tun übrig bliebe, als den Flick als ein rassistisches Machwerk zu verdammen und zur Tagesordnung überzugehen. Doch genau dies werde ich nicht tun. Nicht, weil der Rassismus nicht wirklich bedenklich wäre, sondern weil der Film meiner Meinung nach trotzdem sehenswert ist, und ich außerdem eine ganz andere Frage stellen will: Wurde The Ghoul von Clark Ashton Smiths Kurzgeschichte The Nameless Offspring inspiriert?

Als ein Film der Mittsiebziger wirkt The Ghoul sehr altmodisch. Die goldene Ära des Brit-Horrors war zu diesem Zeitpunkt längst vorbei. Spätestens der große internationale Erfolg von The Exorcist (1973) hatte gezeigt, dass das Genre endgültig in eine neue Ära eingetreten war.* Amicus hatte sich daraufhin seinen Edgar Rice Burroughs - Adaptionen zugewandt, während Hammer vergeblich versuchte, seinen Niedergang an den Kinokassen mit so charmanten Kuriositäten wie dem in Kooperation mit Hongkongs Shaw-Brüdern entstandenen Horror/Martial Arts - Mix The Legend of the 7 Golden Vampires aufzuhalten.
Veteran Freddie Francis hatte in der Vergangenheit etliche Male für beide Hochburgen des Brit-Horrors gearbeitet. Für Hammer waren unter seiner Regie Paranoic (1962), Nightmare (1964), The Evil of Frankenstein (1964), Hysteria (1965) und Dracula Has Risen from the Grave (1968) entstanden. Für Amicus hatte er Dr. Terror's House of  Horrors (1965), The Skull (1965), The Psychopath (1966), The Deadly Bees (1967), They Came from Beyond Space (1967), Torture Garden (1967) und Tales from the Crypt (1972) gedreht. Daneben hatte er außerdem noch bei Tigons The Creeping Flesh (1973) auf dem Regiestuhl gesessen. Wie man sieht, war er mit dem Genre ähnlich eng verbunden wie etwa dessen große Stars Christopher Lee oder Peter Cushing. Und bevor er sich in den 80er Jahren wieder seiner ursprünglichen Berufung als Kameramann zuwandte und neuen Ruhm mit der Arbeit an David Lynchs The Elephant Man (1980) und Dune (1982), Walter Murchs Return to Oz (1985) und Edward Zwicks Glory (1989) erwarb, drehte er 1975 noch zwei Horrorflicks für Tyburn Film Productions: The Ghoul und Legend of the Werewolf.
Tyburn war ein eigentümliches und von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Gegründet von Freddie Francis' eigenem Sohn Kevin, hatte es sich die Produktionsfirma zum Ziel gesetzt, den klassischen Brit-Horror  trotz der eigentlich so offensichtlichen Trendwende weiter am Leben zu erhalten. Für dieses irgendwie sympathische, aber auch schrecklich realitiätsferne Projekt hatte Kevin Francis nicht nur seinen Vater, sondern auch den altgedienten Hammer-Autor Anthony Hinds (alias John Elder) und vor allem den großen Peter Cushing gewinnen können. Mit einem äußerst kleinen Budget ausgestattet, machten sie sich gemeinsam daran, eine Art Zeitreise in die Mitte der 60er Jahre zu starten. Denn selbst im Vergleich zu den Hammer-Produktionen der frühen 70er wirkt The Ghoul überraschend altbacken. Hatte der späte Brit-Horror versucht, seinen Niedergang durch etwas mehr Sex und Gewalt hinauszuzögern, sucht man in diesem Flick vergeblich nach nackten Brüsten oder Strömen von Blut. Für sich genommen spricht das weder für noch gegen ihn, unterstreicht aber doch sehr deutlich, dass Tyburn ein Projekt hoffnungsloser Nostalgiker war. Was natürlich auch bedeuten könnte, dass mir The Ghoul deshalb gefallen hat, weil ich selbst alles andere als frei von nostalgischen Sehnsüchten bin.

Die Geschichte beginnt mit dem, was wir uns wohl als die typische Freizeitbeschäftigung der Upper Class - Jugend der Goldenen Zwanziger vorstellen sollen: Einer wilden Party, viel Champagner und einem spontanen Autorennen durchs nächtliche England Richtung Land's End. Dummerweise geht Billy (Stewart Bevan) und Angela (Alexandra Bastedo) dabei mitten in den nebelverhangenen Mooren von Cornwall der Sprit aus, und als der junge Mann auf der Suche nach einer Tankstelle zu lange ausbleibt, macht sich die alles andere als unselbstständige Angela selbst auf den Weg. Sie stößt auf ein einsames Herrenhaus und den offensichtlich geistig zurückgebliebenen Tom (John Hurt), der sie erst am Betreten des Anwesens zu hindern versucht, um sie dann niederzuschlagen und in seine eigene Kate zu schleppen. Doch Angela ist keine hilflose "damsel in distress". Sie setzt Tom mit einem gezielten Tritt zwischen die Beine außer Gefecht und flieht in Richtung Herrenhaus, wo sie auf den Besitzer Dr. Lawrence (Peter Cushing) stößt.
Der höfliche Gentleman und passionierte Violinenspieler ist ein ehemaliger Priester und Missionar, der seit seiner Rückkehr aus Indien hier das Leben eines Einsiedlers führt. Neben Tom besteht die Dienerschaft lediglich aus der "mysteriösen" Inderin Ayah (Gwen Watford). Im Laufe des Abends erzählt Lawrence, wie er seinen Glauben an Gott verlor, als er miterleben musste, wie sich seine Ehefrau und sein Sohn – verführt von einem indischen Prinzen – irgendeinem "perversen", "orientalischen" Kult anschlossen. Seine Frau habe später Selbstmord begangen.
Nachdem sich Angela zu Bett begeben hat, beginnt Ayah eine "heidnische" Zeremonie durchzuführen und öffnet anschließend eine Tür im Obergeschoss. Von dem zuvor dort eingesperrten Wesen, das sich sofort in Angelas Schlafzimmer aufmacht, um die junge Frau zu ermorden, sehen wir nur die nackten, sandalenbewehrten Füße. Als nächstes erleben wir, wie Ayah am nächsten Morgen den Leichnam als Essen für den "Ghul" zubereitet.
Um es kurz zu machen: Der Eingesperrte ist Lawrence' Sohn, der in Indien zum Kannibalen geworden ist. Im Rest des Films bekommen wir dann erzählt, wie das zweite an dem Autorennen beteiligte Paar Geoffrey (Ian McCulloch) und  Daphne (Veronica Carlson) – auf der Suche nach ihren verschwundenen Freunden ebenfalls zu dem Herrenhaus gelangt, woraufhin erwartungsgemäß das blutige Finale steigen kann.

Der Film lebt vor allem vom exzellenten Spiel Peter Cushings und John Hurts.
Lawrence ist eine von Verlust und Schuld gequälte Seele. Er weiß ganz genau, welch furchtbare Dinge sich unter seinem Dach abspielen, und da es dabei um seinen Sohn geht, tut er alles notwendige, damit sich daran auch in Zukunft nichts ändert. Zugleich jedoch ist er bemüht, die blutige Realität aus seinem Bewusstsein zu verdrängen, und überlässt alle praktischen Schritte Tom und Ayah. Während Angela ermordet wird, sehen wir ihn z.B. wie besessen Geige spielen.  Cushing versteht es meisterhaft, dieser tragischen Gestalt Leben einzuhauchen.**
Fast noch beeindruckender ist Hurts Leistung. {Einmal ganz davon abgesehen, dass es ein eigenartiges Erlebnis ist, einen jugendlichen John Hurt zu sehen.} Tom ist kein gruseliger Diener Marke Igor, sondern ein vielschichtiger Charakter. Sein offensichtliches Verlangen, sowohl Angela als auch Daphne zu vergewaltigen {was ihm bei keiner der beiden gelingt}, macht ihn nicht eben zu einem Sympathieträger, doch gleichzeitig vermittelt uns der Film sehr deutlich, dass Tom ein Mensch ist, der Zeit seines Lebens erniedrigt und missbraucht wurde. Dies hat seine Persönlichkeit geprägt, und viele seiner Handlungen stellen missgeleitete Versuche einer Rebellion gegen diejenigen dar, die er {nicht ganz zu unrecht} für seine Lage verantwortlich macht. Er hasst es, herablassend behandelt zu werden {"Don't call me names!"}, und kann doch nicht anders, als zu gehorchen, wenn ihm jemand mit (männlicher) Autorität entgegentritt – so wie etwa der ehemalige Offizier Geoffrey. Und in gewisser Weise hat er zu Beginn ja tatsächlich versucht, Angela vor dem Tod zu bewahren. Er ist eine zugleich abstoßende und mitleidserregende Kreatur.
Ein kleiner Bonus für Genrefans ist der Auftritt Ian McCullochs, der sich vier Jahre später mit Lucio Fulcis Zombie Flesh-Eaters für ewig in die Annalen des Horrorfilms eintragen sollte. Die große Enttäuschung hingegen ist das finale Erscheinen des "Ghuls". Solange man nur seine Füße zu sehen bekommt, gelingt es dem Flick, eine unheimliche Atmosphäre aufrecht zu erhalten. Doch sobald wir ihn in seiner ganzen grünstichigen, fettleibigen Herrlichkeit zu sehen bekommen, ist es aus mit der Stimmung. Aber so bedauernswert das auch ist, es bleibt ein eher marginales Problem.

Jetzt aber endlich zu meiner anfänglich gestellten Frage: Ist The Ghoul eine CAS - Adaption? Die einfache Antwort ist "nein". Und wahrscheinlich ist das sogar ganz gut so, denn der dekadente Zauber von Klarkash-Tons Erzählungen, der sehr viel stärker auf der Atmosphäre als auf der Handlung beruht, ließe sich vermutlich nur schwer ins Medium Film übertragen. Und wenn überhaupt, so wäre das klassische Brit-Horror-Format dafür wohl kaum der geeignetste Weg. Allerdings weist Freddie Francis' Film tatsächlich eine Reihe auffälliger Parallelen zu der erstmals 1932 im Magazine of Horror erschienenen Kurzgeschichte The Nameless Offspring auf.
Der Erzähler von Smiths Story macht eine Motorradtour durch England und gelangt, nachdem er sich offenbar verfahren hat, in einer nebligen Nacht zufällig zu einem abgelegenen Herrenhaus, in dem ein ältlich wirkender Gentleman – Sir John Tremoth – mit seinem Butler Harper in eremitenhafter Zurückgezogenheit lebt. Doch die beiden sind nicht die einzigen Bewohner von Tremoth Hall. In einem seit Jahren fest verriegelten Zimmer haust ein leichenfressender Ghul, der Sohn von Sir Johns verstorbener Gattin.
Die Ähnlichkeiten sind denk ich auffällig. Die zentrale Idee der Story freilich ist eine völlig andere als in Francis' Film. Smiths Ghul ist kein degenerierter Mensch, sondern ein wirkliches Monster, und vermutlich nicht einmal der biologische Nachkomme von Sir John. Wie der Autor in einem Brief an H.P. Lovecraft erklärt hat***, stammte die Inspiration für die Geschichte aus Arthur Machens The Great God Pan. Hinzu kommt der offensichtliche Einfluss von Poes The Fall of the House of Usher. Ganz wie Rodericks Zwillingsschwester Madeline ist auch Sir Johns Ehefrau einst in eine kataleptische Starre verfallen und wurde daraufhin lebendig begraben. Ihr Schicksal war freilich noch grauenerregender, wurde sie in diesem Zustand doch scheinbar von irgendeinem monströsen Bewohner der Grüfte und Grabgewölbe vergewaltigt, woraufhin sie neun Monate später den Ghul gebar und im Kindbett starb.
So gesehen bleibt vielleicht nicht mehr viel von den Parallelen übrig. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass es eine Verbindung zwischen Kurzgeschichte und Film gibt. Auch wenn ich dafür keinerlei handfeste Belege habe, würde es mich nicht wundern, wenn Drehbuchautor Anthony Hinds aka John Elder einen Teil seiner Inspiration von dort bezogen hätte. Bis zu den Pulps hätte er dafür nicht zurückgehen müssen, wurde die Story doch auch in der 1960 erstmals erschienen und 1972 noch einmal aufgelegten Anthologie The Abominations of Yondo abgedruckt.


* Uns heute mögen George Romeros Night of the Living Dead (1968) und Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre (1974) als bedeutendere Vertreter dieses Wandels erscheinen, sie hatten jedoch keine so unmittelbare Auswirkung auf den damaligen Filmmarkt wie Friedkins Streifen.
** In einer Szene sehen wir Lawrence ein Bild seiner verstorbenen Gattin betrachten. Tatsächlich ist auf dem Foto Cushings 1971 verstorbene Ehefrau Helen zu sehen, deren Tod den Schauspieler an den Rand des Selbstmords gebracht hatte.
***c. 27. Januar 1931. Vgl.: D.E. Schultz & S. Connors (Hg.): Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 145f.

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