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Samstag, 9. März 2013

Der Fluch einer verrotteten Ordnung

Als ich hier vor bald drei Monaten Michael Reeves' Witchfinder General (1968) besprach, wollte ich dem eigentlich bald möglichst einen Artikel über Blood on Satan's Claw (1970) folgen lassen. Daraus ist aus verschiedenen Gründen nichts geworden, und bis jetzt habe ich mich nicht wieder in die richtige Stimmung versetzen können, um mir Piers Haggards superben Film noch einmal anzuschauen. Und man glaube mir, der Streifen über die Umtriebe eines Hexenzirkels im ländlichen England des ausgehenden 17. Jahrhunderts ist nichts, was man sich mal so nebenbei angucken sollte. Vergessen ist der damals versprochene zweite Teil von "Horror im Zeitalter von Englands Revolutionen" jedoch nicht.

Als erster Schritt in diese Richtung mag gelten, dass ich mir mit Cry of the Banshee (1970) vor Kurzem einen Film zu Gemüte geführt habe, dessen Name manchmal in Verbindung mit Blood on Satan's Claw und vor allem Witchfinder General genannt wird. Wie in diesen spielen auch in ihm Hexenkult und Hexenverfolgung eine zentrale Rolle, allerdings ist er nicht im 17., sondern im 16. Jahrhundert angesiedelt. Mit Reeves' Film verbinden ihn außerdem Vincent Price und Hilary Heath (Hilary Dwyer). Anders als Blood on Satan's Claw und Witchfinder General wurde er jedoch nicht von Tigon British Film Productions, sondern von AIP produziert, der langjährigen amerikanischen Heimstatt von Price.

Doch bevor wir den Streifen etwas genauer in Augenschein nehmen, erst einmal der faszinierende Vorspann mit Animationen von Terry Gilliam, dessen grotesker Stil, den wir alle so gut aus Monty Python's Flying Circus kennen, hier ein wenig düsterere Formen angenommen hat:



Der Film genießt im Allgemeinen keinen besonders guten Ruf. Doch auch wenn ich viele der gegen ihn vorgebrachten Kritikpunkte nachvollziehen kann, finde ich nicht, dass er es verdient hat, so mies gemacht zu werden, wie dies u.a. auf IMDB geschieht.

Außer für Cry of the Banshee ist Regisseur Gordon Hessler im Horrorgenre vor allem bekannt für The Oblong Box (1969) – einen der legendären Poe-Price-Streifen von AIP – und Scream and Scream Again (1970) – hierzulande unter dem Titel Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse vermarktet, was jedoch bei Weitem nicht das Bizarrste an diesem Flick zu sein scheint, wenn man Jim Moons Besprechung in Episode 34 von Hypnobobs Glauben schenken kann. Daneben drehte er u.a. eine Version von Murders in the Rue Morgue (1971) und den Ray Harryhausen - Streifen The Golden Voyage of Sinbad (1974). Die Meinungen über sein künstlerisches Talent gehen recht weit auseinander. Nach dem, was ich bisher von ihm gesehen habe, würde ich ihn schlicht als kompetent, aber nicht aufsehenerregend einschätzen.
Das stimmungsvolle Flair von Cry of the Banshee haben wir jedenfalls weniger seiner Regie, sondern vor allem der Kameraarbeit von John Coquillon zu verdanken, der sein Talent u.a. bereits in Witchfinder General, The Oblong Box und Robert Fuests Adaption von Wuthering Heights unter Beweis gestellt hatte.
Was die schauspielerischen Leistungen angeht, so überragt Vincent Price recht deutlich die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen. Von einzelnen Nebendarstellern abgesehen, bekommen wir jedoch nichts gar zu erbärmliches präsentiert, und zumindest Essy Persson und Hilary Heath/Dwyer beweisen durchaus Talent.
Das Hauptproblem des Filmes besteht ohne Zweifel in seinem Drehbuch. Das ursprüngliche Script von Tim Kelly fand offenbar nicht die Gunst von Gordon Hessler und wurde daraufhin von Christopher Wicking überarbeitet, der auch an The Oblong Box und Scream and Scream Again beteiligt gewesen war. Inwieweit diese etwas verquirrlte Herkunft für die eigenartigen Brüche in Plot und Charakterzeichnung verantwortlich gemacht werden kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf jedenfall zeichnet sich die Geschichte durch einige auffällige Ungereimtheiten aus.

Lord Charles Whitman (Vincent Price) verfolgt in dem seiner Gerichtsbarkeit unterworfenen Bezirk Hexen, Heiden und Häretiker mit ungebremster Gewalt. Obwohl er selbst nicht recht an deren übernatürliche Kräfte zu glauben scheint, sieht er in ihnen doch eine Gefahr für seine tyrannische Herrschaft, untergräbt ihre bloße Existenz doch seine Autorität und die der Kirche. Als sein sadistischer Sohn Sean (Stephan Case) einem Mädchen durch Androhung von Folter und Vergewaltigung das Wissen um den geheimen Treffpunkt des örtlichen Hexenzirkels abgepresst hat, fällt Lord Charles mit seinen Handlangern über die versammelte Gemeinde her, lässt einige von ihnen töten und befiehlt den Überlebenden und ihrer Führerin Oona (Elisabeth Bergner) den Bezirk zu verlassen. Oona verflucht daraufhin den Lord und seine Familie und erfleht von Satan einen übernatürlichen Rächer. Dieser wird tatsächlich geschickt und fährt in den Körper des Dieners Roderick, der nunmehr beginnt, die Whitman-Sippschaft nach und nach ins Jenseits zu befördern, wobei er sich im Augenblick des Mordes jedesmal in ein werwolfartiges Ungeheuer verwandelt.
 
Schon diese äußerst knappe Zusammenfassung lässt das zentrale Problem des Plots erkennen. Warum in Drei-Teufels-Namen verschont Lord Charles den Großteil des Hexenzirkels und vor allem deren Oberhaupt, als er diese in seiner Gewalt hat? Nach allem, was wir in den ersten dreißig Minuten des Films zu sehen bekommen haben, scheint es mehr als unwahrscheinlich, dass Weichherzigkeit zu den Charaktereigenschaften dieses brutalen Despoten gehört. Auch wenn er zuerst nicht an die Macht von Oonas Fluch glauben mag, erscheint es doch reichlich unglaubwürdig, dass er eine Person verschont, die ihm so offen die Stirn zu bieten wagt. Er hat zuvor offenbar schon aus sehr viel geringerem Anlass Menschen foltern und hinrichten lassen. Der einzige Grund, warum er diesmal Milde walten lässt, scheint zu sein, dass der Plot andernfalls nicht funktionieren würde!
Doch wenn wir dieses zentrale Problem (und die Tatsache, dass der Hexensabbat wie eine Mischung aus pseudoantiker Bacchanalie und Hippiefest wirkt) beiseite lassen, besitzt die Geschichte durchaus ihren Reiz.

Schon lange bevor Oona die Waffen der Schwarzen Magie gegen die Whitmans in Stellung bringt, ist von einem Fluch die Rede, der auf der Familie lasten soll. Dazu scheint sehr gut der geistig zerrüttete Zustand von Lord Charles' zweiter Frau, Patricia (Essy Persson), zu passen. Doch wird sehr schnell deutlich, dass für diesen keinerlei übernatürliche Mächte verantwortlich sind, sondern das von krasser Brutalität geprägte Milieu, in dem zu leben sie gezwungen ist. Ihr Ehemann wirft ihr mehr als einmal vor, sie sei zu schwach, um das Leben eines Whitman zu führen, und damit hat er auf seine Art gar nicht so unrecht. Patricia ist offenbar ein viel zu sensibler und weichherziger Mensch, um die ständige Gewalt und das nicht enden wollende Leid zu ertragen, welche sie umgeben. Unter diesem Druck ist ihre Psyche zusammengebrochen.

Die Szene, in der wir sehen, wie Lady Patricia von ihrem eigenen Stiefsohn Sean vergewaltigt wird, wirkt in dieser Hinsicht allerdings überflüssig und damit problematisch. Es bräuchte diesen Akt sexueller Gewalt nicht, um ihren seelischen Zustand zu erklären. Und tatsächlich kommt die Geschichte später nicht noch einmal auf ihn zurück.
Ähnlich wie Hammer versuchte auch AIP zu Beginn der 70er Jahre seine Horrorstreifen mit etwas Sex und expliziterer Gewalt aufzupeppen, was Cry of the Banshee leicht exploitationhafte Züge verleiht. Vor allem in der ersten Hälfte des Films hat man mehr als einmal das Gefühl, die Macher hätten sich gedacht, noch ein Paar nackte Brüste mehr könnte nie schaden. Dabei handelt es sich auffälligerweise ohne Ausnahme um Szenen sexueller Gewalt. Die einzige liebevolle sexuelle Beziehung – zwischen Roderick und Charles' Tochter Maureen (Hilary Dwyer) – ist demgegenüber sehr zurückhaltend inszeniert. Die Kritik, die sich vor allem an diesem Punkt entzündet, wirkt auf mich dennoch häufig etwas undifferenziert. Sicher hätte man auf die Hälfte der entsprechenden Szenen ohne weiteres verzichten können. Doch die (für die Zeit) relativ drastische Darstellung sexueller Gewalt ist meiner Ansicht nach im Kontext der Geschichte durchaus gerechtfertigt. Sie führt uns auf ziemlich beklemmende Weise vor Augen, mit was für einer Art von Gesellschaft wir es hier zu tun haben. Die Whitmans stehen an der Spitze einer von Krone und Kirche eingesegneten Ordnung, in der die Masse der Bevölkerung der Willkür der Herren hilflos ausgeliefert ist und ein sadistischer Bastard wie Sean nach Herzenlust seinen perversen Neigungen nachgehen kann.
Einige der Rezensenten auf IMDB bemängeln, dass Cry of the Banshee kein ironisch zu genießender Camp-Spaß sei wie viele frühere Horrorproduktionen von AIP. Abgesehen davon, dass ich es nicht richtig finde, wenn man Vincent Price und den Horror der 60er Jahre unterschiedslos mit dem Label "Camp" versieht (und damit als nicht ganz ernst zunehmend abtut), halte ich dies vor allem deshalb für eine etwas eigenartige Form von Kritik, da Cry of the Banshees doch ganz offensichtlich kein vergnüglicher Spaß sein will. Viele der Szenen sind bewusst darauf angelegt, Ekel und Abscheu im Betrachter zu erwecken. Und dieses Ziel erreichen sie denke ich alles in allem recht gut.

Um auf den Familienfluch der Whitmans zurückzukommen: Ich sehe in ihm eine Art Metapher für die moralisch verrottete gesellschaftliche Ordnung, an deren Spitze die Adelssippe steht. Deren Autorität basiert ausschließlich auf Terror und Gewalt. Jede Form von nonkonformem Denken und Verhalten wird deshalb als tödliche Bedrohung wahrgenommen und muss ausgerottet werden. Aus der Sicht von Lord Charles ist die blutige Hexenjägerei nicht irrational. Sie wurzelt nicht in religiösem Aberglauben, sondern in der uneingestandenen Erkenntnis, dass seine Herrschaft auf tönernen Füßen steht. Früher oder später wird der Tag der Rache anbrechen, und dann werden alle Whitmans für die Verbrechen ihrer Sippe zahlen müssen, selbst die, die sich individuell nichts haben zu Schulden kommen lassen. Denn, und darin besteht eine der Stärken des Films, nicht alle Whitmans sind sadistische Ungeheuer:
Charles' jüngerer Sohn Harry (Carl Rigg), der in Oxford die Rechte studiert hat, wäre am liebsten nie wieder auf den Familiensitz zurückgekehrt. Das Treiben von Vater und Bruder betrachtet er mit unverhohlenem Abscheu, doch für einen echten Rebellen fehlt es ihm an innerer Kraft, und als Oonas Schwarze Magie ein Familienmitglied nach dem anderen hinwegzuraffen beginnt, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als selbst zum Hexenjäger zu werden. Tochter Maureen ist die vielleicht sympathischste Figur des ganzen Films. Die Willensstärke, die sie von ihrem Vater geerbt hat, äußert sich bei ihr nicht in Tyrannei, sondern in der Fähigkeit, alle gesellschaftlichen und familiären Konventionen zu brechen und ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dass Roderick – der Mann, den sie liebt – nicht ihrem Stand angehört, ist für sie belanglos. Ihre Gefühle sind ihr wichtiger als die herrschende Moral oder der Wille ihre Vaters.
Dennoch fallen auch Harry und Maureen am Ende dem Fluch zum Opfer, was in meinen Augen nur konsequent ist. Schließlich waren auch nicht alle französischen Aristokraten, die während der Revolution unter die Guillotine wanderten, despotische Monster. Sie mussten nicht für ihre eigenen Verbrechen, sondern für die Verbrechen ihrer Klasse zahlen.

Haben wir Oona und ihren Hexenzirkel demnach als die Vertreter der Unterdrückten anzusehen? Ich würde sagen: Ja und nein. Ganz sicher sind sie die unmittelbarsten Opfer von Lord Whitmans Terrorregiment, doch andererseits repräsentieren sie nicht wirklich einen Gegenentwurf zur herrschenden Ordnung. Je mehr Mitglieder der Adelssippe ihrem Rachefeldzug zum Opfer fallen, desto unmenschlicher erscheint auch die Oberhexe. Ihre Freude über den Tod von Lady Patricia, die selbst doch ein Opfer der Gewaltätigkeit ihres Mannes war, wirkt besonders abstoßend. Der Wunsch Oonas nach Rache ist verständlich, seine Umsetzung aber wird uns nicht als etwas präsentiert, was wir vorbehaltslos bejubeln könnten. Dass Roderick als ihr Instrument dazu gezwungen wird, seine eigene Geliebte Maureen zu ermorden, macht dies besonders deutlich, wirkte deren Beziehung bisher doch wie ein einsamer Lichtblick in einer sehr sehr düsteren Welt.
Als die wirklichen Vertreter des einfachen Volkes würde ich den bärtigen Totengräber und das blonde Schankmädchen betrachten. Ersterer ist zynischer Beobachter des blutigen Geschehens, schlägt sich auf keine Seite und versucht vielmehr das Beste für sich selbst herauszuholen. Letztere ist zwar selbst kein Mitglied des Hexenzirkels, zeigt jedoch als einzige echtes Mitleid mit den Verfolgten und verweigert sich selbstbewusst (wenn auch nicht erfolgreich) Seans brutalen Annäherungsversuchen.

Das größte Problem, das ich mit Cry of the Banshees habe, ist, dass der Film die einfachen Dorfbewohner fast ausnahmslos als ebensolche brutalen Bastarde darstellt wie Lord Charles und seine Gefolgsleute. Man möge mich bitte nicht missverstehen: Eine idealisierte Darstellung "des Volkes" wäre mir ebenso unangenehm. Dies sind Menschen, die von einer äußerst harten, brutalen und ungerechten Welt geprägt worden sind, und so halte ich es z.B. für durchaus glaubwürdig, dass sie sich abends in der Schenke mit Liedern über Vergewaltigung und blutige Rache vergnügen. Warum jedoch müssen wir zu sehen bekommen, wie sie Sean bei der versuchten Vergewaltigung des Schankmädchens begeistert anfeuern? Hier verfällt der Film eindeutig in jene damals allmählich in Mode geratende Misanthropie, die unsere Kultur inzwischen leider in hohem Maße prägt.

Wie also fällt mein abschließendes Urteil über Gordon Hesslers Film aus? Verglichen mit Witchfinder General (und erst recht mit Blood on Satan's Claw) ist dies ein deutlich schwächerer Streifen. Dennoch halte ihn für durchaus sehenswert. Viele seiner Motive sind zwar nicht konsequent durchgearbeitet worden und das Drehbuch lässt sogar in Sachen formaler Logik einiges zu wünschen übrig, aber dennoch besitzt dieser Horrorflick genug interessante Elemente, um einen Besuch lohnenswert erscheinen zu lassen. Und das Finale ist wirklich wunderbar bösartig und cool!

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