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Freitag, 18. Januar 2013

Wie aus dem Rezeptbuch?

Was tun, wenn wieder einmal der schwarze Hund der Depression zu heulen beginnt? – Eine meiner Strategien, um über diese Phasen hinwegzukommen, ist es, mir einen guten alten B-Movie anzuschauen. Die Lösung ist das sicher nicht, aber es hilft. Vorgestern Nacht fiel meine Wahl dabei auf einen echten Klassiker – einen Klassiker, den ich allerdings schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte: William Cameron Menzies' Invaders from Mars aus dem Jahr 1953.


Spaß hat er mir auf jedenfall bereitet, aber was denke ich wirklich über diesen Film?

Auf IMDB findet man einen ganzen Haufen überraschend positiver Rezensionen. Doch bei aller Liebe zum B-Movie kann ich mich ihnen leider nicht aus vollem Herzen anschließen. Da hilft es auch nichts zu wissen, dass Menzies an The Thief of Bagdad (1940) mitgewirkt hat – einem der absoluten Lieblingsfilme meiner Kindheit. Und die vielgepriesene H.G. Wells - Adaption Things to come (1934), bei der er gleichfalls seine Finger im Spiel hatte, habe ich sowieso noch nicht gesehen.

In vielen der Rezensionen ist von "surrealen Szenen" und dem "Blickwinkel des Kindes" die Rede.
Ja, auch mir sind in dieser Hinsicht einige interessante Ansätze aufgefallen. Die Geschichte wird aus der Sicht des kleinen David (Jimmy Hunt) erzählt, der erst ein UFO hinter seinem Haus landen sieht; dann erleben muss, wie seine Eltern in bösartige Marionetten der Marsianer verwandelt werden; und schließlich alles daransetzt, um die Menschheit auf die Bedrohung durch die außerirdischen Invasoren  aufmerksam zu machen. So gesehen ließe sich der Film tatsächlich als eine Auseinandersetzung mit kindlichen Alpträumen und Angstvorstellungen interpretieren. Dafür spricht vor allem auch die bizarre, US-amerikanische Schlusssequenz.* Doch leider hat man nicht den Eindruck, als wäre es den Filmemachern darum gegangen, diesen Gedanken konsequent zu verfolgen. Viel zu vieles passt dabei einfach nicht ins Konzept.
Ebensowenig konnten mich die vereinzelten Szenen überzeugen, in denen durch eigenwillige Kameraperspektiven oder ungewöhnliche Sets tatsächlich eine leicht surreale Atmosphäre heraufbeschworen wird. Zwar wirken vor allem die Passagen in der Polizeistation in dieser Hinsicht faszinierend bizarr, aber auch in diesem Fall fügen sich die interessanten Einzelteile nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Zwar bekommt man ein Gefühl dafür, dass hier Intelligenz und Talent am Werke waren, letztlich scheinen diese jedoch eher verschwendet worden zu sein.

Der Gedanke, der mich nach einiger Zeit vor allem beherrschte, war vielmehr: Mein Gott, dieser Film erfüllt bis ins Detail jedes einzelne Klischee der 50er Jahre - SciFi - Flicks!
  1. Die amerikanische Kleinstadt als Setting. (Ländliche Gefilde wurden im Hollywood-Kino traditionell als Orte der Unschuld dem Sündenbabel Großstadt entgegengesetzt. Wollte man die Bedrohung des "amerikanischen Idylls" in Szene setzen, war hier also genau der richtige Ort.)
  2. Die zentrale Rolle der Kleinfamilie. (Brauche ich wirklich auf die Bedeutung der Familie als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft eingehen? Wenn sie durch die Marsianer, die Mom und Dad zu Davids gruseligsten Gegnern machen, zerstört wird, bedeutet dies deshalb einen Angriff auf das Herzstück des American Way of Life.)
  3. Die Bedrohung durch eine fremde Macht von außen. (Wie so oft auch hier in Gestalt einer Anleihe aus dem seiner ursprünglichen subversiven Bedeutung beraubten War of the Worlds.)
  4. Das Motiv der Unterwanderung der amerikanischen Gesellschaft durch Agenten des Feindes. (Red Scare!)
  5. Die semi-unabhängige, akademisch gebildete Frau als weibliche Hauptfigur. (Man könnte vielleicht glauben, der Unterhaltungsfilm der 50er Jahre habe für Frauen nur die Rollen Eheweib, Mutter oder Sexobjekt vorgesehen. Dem war aber nicht so. Möglicherweise hatte es etwas damit zu tun, dass während des 2. Weltkriegs sehr viele Amerikanerinnen in den Arbeitsmarkt vorgestoßen waren. Jedenfalls finden wir in den klassischen phantastischen B-Movies meist eine Ärztin, Lehrerin oder Wissenschaftlerin in einer führenden Rolle. Bei Invaders from Mars ist dies die von Helena Carter sehr sympathisch verkörperte Dr. Pat Blake. Dem üblichen Schicksal, am Ende dem männlichen Protagonisten in die Arme zu sinken, entgeht sie zwar, doch muss sie im Finale trotzdem die Rolle der "damsel in distress" übernehmen.)
  6. Die männliche Autoriätsperson, meist in Gestalt eines Wissenschaftlers. (In diesem Fall der von Arthur Franz gespielte Astronom Dr. Stuart Kelston, der in der zentralen Szene im Observatorium den Plot so haargenau erklärt, als habe er das Drehbuch gelesen.)
  7. Patriotismus & Militarismus. (Hier in besonders massiven Dosen. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft wir minutenlang irgendwelche Panzerkolonnen über die Leinand rollen sehen. Nicht, dass die Tanks irgendeine erkennbare Funktion im Plot des Filmes besitzen würden ...)
Wie aus dem Rezeptbuch also. Grund hierfür mag allerdings sein, dass Invaders from Mars selbst dieses Rezeptbuch war. Menzies' Film war zwar weder der erste "Außerirdische Invasions" - Streifen aus Hollywood noch das erste Beispiel für die Verschmelzung von SciFi - Motiven mit der paranoiden Atmosphäre der McCarthy - Zeit (man denke z.B. an Mikel Conrads unverhüllt antikommunistischen Untertassen-Flick The Flying Saucer von 1950), aber dennoch stellte er das vermutlich einflussreichste Vorbild für einen Großteil des SciFi-Schlocks dar, der in den folgenden Jahren über die Leinwände der Autokinos flimmern sollte.    

Das Motiv der außerirdischen Infiltration konnte der Ausgangspunkt für sehr interessante filmische Erzählungen sein, wie u.a. Nigel Kneales Quatermass II (1955) und Don Siegels Invasion of the Body Snatchers (1956) zeigen würden. In Invaders from Mars wirkt es jedoch wie verschwendet. Seine unheimliche Wirkung entfaltet es nur in den ersten fünfundzwanzig Minuten des Films (wirklich gruselig ist dabei vor allem das kleine Nachbarsmädchen), danach ist es nur noch ein "technisches Detail" im Kampf zwischen den heroischen US-Militärs und den Marsianern. Anders als bei Siegel oder Kneale kann es darum auch nicht zur Metapher für gesellschaftliche Entfremdung oder Verunsicherung werden. Vielmehr wird man es auf die übliche Weise als eindeutiges Symbol für die "rote Gefahr" lesen müssen.

Als Invaders from Mars gedreht wurde, erreichte die antikommunistische Hysterie der Nachkriegsjahre gerade ihren Höhepunkt. Das beginnende atomare Wettrüsten, der Koreakrieg und die von Politik & Medien aufgepeitschte Angst vor allgegenwärtigen "roten" Agenten prägten das öffentliche Leben in den USA. "Hexenjäger" Joseph McCarthy befand sich auf dem Gipfel seiner politischen Laufbahn. In Hollywood herrschte das Regime der Schwarzen Listen.

Ein Plot-Detail ließ mich in diesem Zusammenhang besonders aufhorchen. Das unmittelbare Ziel der Marsianer besteht nämlich überhaupt nicht in der Vorbereitung einer Invasion, sondern in der Sabotage eines geheimen Raketenprojektes der US-Regierung, an dem auch Davids Vater mitarbeitet. Selbiges Projekt wiederum stellt den ersten Schritt zum Bau einer Raumstation dar, von der aus die USA jeden potentiellen Angreifer auf der Erde mit Raketen ins Visier nehmen könnten. Dass sie damit auch den ins All übergesiedelten Marsbewohnern in die Quere kommen, ist bloß ein dummer Zufall.
Dieses Raketenprojekt mag wie reine Science Fiction klingen. Tatsächlich jedoch warb Wernher von Braun seit 1952 u.a. mit Artikeln im auflagenstarken Magazin Collier für genau diese Idee:  Den Bau einer Orbitalstation als Abschussplattform für mit atomaren Sprengköpfen ausgerüstete Raketen – wie er markschreierisch erklärte die "endgültige Waffe":
Äußerste Zielgenauigkeit des Geschosses ist damit gewährleistet. Der Kernsprengkopf läßt sich exakt über dem Ziel zur Explosion bringen, während das Geschoß noch mit Überschallgeschwindigkeit fliegt. Abwehrmaßnahmen erscheinen nach Lage der Dinge gänzlich unwirksam.
Einer der Hauptvorteile von Raketen, die aus der Umlaufbahn abgefeuert werden, besteht, wenn man so will, in ihrer Uneingeschränktheit. Wie ein Arsenal der Sterne kreisen sie am Himmel, sichtbar für den potentiellen Gegner und dennoch unerreichbar. Wir hoffen, daß ihr Einsatz sich erübrigen wird, aber wenn es zum Schlimmsten kommt, dann soll sich zum maximalen Abschreckungseffekt ein Höchstmaß an Zerstörungswirkung gesellen.**

1953 erschien in der Bundesrepublik der unter von Brauns Anleitung entstandene Roman Menschen zwischen den Planeten aus der Feder des ehemaligen Nazischriftstellers Ernst Ludwig Neher, in dessen einleitenden Kapiteln diese Idee gleichfalls propagiert wird.
Vor diesem Hintergrund betrachtet erscheint die Story von Invaders from Mars nicht bloß als Ausdruck der allgemeinen Kalte-Kriegs-Atmosphäre, sondern konkreter noch der Hysterie um sowjetische "Atomspione". Die Tatsache, dass der Film im selben Jahr in die Kinos kam, in dem auch das Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg hingerichtet wurde***, erhält dadurch eine makabere symbolische Bedeutung. 

Doch so wichtig es meiner Meinung nach auch ist, sich diesen historischen Kontext klarzumachen, sollte das nicht dazu führen, dass man den Film als bloßes Produkt des hysterischen Antikommunismus der 50er Jahre verwirft. Die erwähnten stilistischen Eigenheiten, auch wenn es ihnen an konsequenter Durchführung mangelt, reichen allein schon aus, um eine Begegnung mit Invaders from Mars zu einem lohnenden Erlebnis zu machen. Vom simplen Vergnügen, den einem ein ordentlich gemachter B-Movie in seiner charmanten Naivität bereiten kann, einmal ganz abgesehen. Zu den echten Glanzstücken seiner Art würde ich ihn jedoch ganz sicher nicht zählen. Als eine Art Vorläufer zu Invasion of the Body Snatchers verdient er ohne Zweifel Beachtung, doch davon einmal abgesehen gehört er eher zur breiten Mittelschicht der Fifties-SciFi. Zur Illustration dessen mag es genügen darauf hinzuweisen, dass im selben Jahr 1953 auch It Came from Outer Space seine Premiere erlebte. Und der nach einer Kurzgeschichte von Ray Bradbury gechaffene Alien-Flick des B-Movie-Meisters Jack Arnold  ist sicher sehr viel besser geeignet, einen die verborgenen Qualitäten alter Genrefilme spüren zu lassen.


* Für den britischen Markt wurde ein konventionelleres Ende gedreht.
** Zit. nach: Rainer Eisfeld: Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei. S. 186f.

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