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Donnerstag, 31. Januar 2013

Eine gute Nachricht?

Auf Computerspielen basierende Filme genießen allgemein gesprochen einen ziemlich schlechten Ruf. Und das wohl nicht ganz zu Unrecht. Angefangen mit dem bizarren Pionier des "Subgenres" Super Mario Bros. (1993) haben sich solche Adaptionen meist als ziemlich katastrophal erwiesen. Sei es die Resident Evil - Reihe, deren erstaunlichste Eigenschaft in ihrer kaum zu erklärenden Langlebigkeit besteht. Seien es die beiden Tomb Raider - Flicks, deren einziger Daseinszweck es zu sein scheint, eine besonders drastische Illustration dafür zu liefern, auf welch schändliche Weise die Hollywood-Industrie eine talentierte Schauspielerin wie Angelina Jolie zu einem bloßen Sexsymbol umfunktioniert hat. Seien es die Silent Hill - Streifen, bei denen das Ausgangsmaterial doch noch am ehesten geeignet erschienen wäre, als Inspiration für einen wirklich interessanten Film zu dienen. {Ich muss allerdings gestehen, dass ich selber eine mit Argumenten nur schwer zu verteidigende Schwäche für den ersten Silent Hill - Film habe}.
Vor diesem Hintergrund betrachtet weiß ich nicht so recht, wie die Nachricht aufzufassen ist, dass Duncan Jones die Regie in dem schon seit längerem geplanten World of Warcraft - Film übernehmen wird.
Freilich bin ich wohl auch kaum der Richtige, um darüber ein Urteil zu fällen. Das ganze WoW - Phänomen ist an mir vorübergegangen, ohne mich je wirklich zu berühren. Meine persönliche Bekanntschaft mit dem Franchise beschränkt sich auf die längst vergangenen Tage von Tides of Darkness und Beyond the Dark Portal. Auch bin ich kein ausgemachter Fan von Duncan Jones. Ja, Moon (2009) hat auch mir gefallen, aber ich glaube, der Grund dafür war weniger, dass dem Film eine intelligente Idee zugrunde gelegen hätte, als vielmehr, dass es sich um das Werk eines SF-Film-Fans für SF-Film-Fans handelt. Welcher berühmte SciFi-Streifen der letzten Jahrzehnte wurde da nicht anzitiert? Und mit Source Code (2011) konnte ich nun so gar nichts anfangen. Für mich ist das einer jener heute leider nicht seltenen Filme, die ganz auf einem cleveren Gimmick basieren. Tom Charitys Vergleich mit Nolans Memento ist da gar nicht so abwegig, wenn auch nicht in dem von ihm beabsichtigten Sinne.
Nun denn, wir werden noch früh genug erfahren, was bei all dem herauskommen wird. Ich werde versuchen,  unvoreingenommen zu bleiben. 

Mittwoch, 30. Januar 2013

News, die mir am Arsch vorbeigehn

Seit einigen Tagen ist es also offiziell: J.J. Abrams wird der Regisseur des nächsten Star Wars - Films sein. Und ein Gutteil des Internets der Geeks & Fans scheint sich genauso aufzuführen, wie {leider} vorauszusehen war. Wilde Schlachten werden ausgefochten darüber, ob diese Neuigkeit eine glorreiche Wiedergeburt des Franchises oder dessen endgültigen Untergang bedeutet. Emotionen kochen hoch {ein besonders peinliches Beispiel muss sich wohl in der BlackDog-Facebook-Group abgespielt haben; vgl. dazu Jim Moons Profanasaurus in der aktuellen Episode des Schwarzen Hunds [00:36:25]). Und ganz allgemein gesprochen, zeigt sich wieder einmal, wie maßlos überbewertet George Lucas' Edeltrash aus den 70er Jahren ist.
Der Grund dafür, dass mir dieses ganze Tohuwabohu völlig am Arsch vorbeigeht, ist nicht der, dass ich eine so abgeklärte und ausgeglichene Persönlichkeit wäre, dass ich mich niemals über etwas so "banales" wie einen Scifi-Fantasy-Film aufregen könnte. {Ihr habt mich noch nicht wirklich über Peter Jacksons Lord of the Rings reden hören.} Vielmehr bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass Star Wars ohnehin bereits mit dem Abspann von Return of the Jedi hätte enden sollen, was nur deshalb nicht geschehen ist, weil einige Leute – allen voran natürlich der alte George – eine Shitzillionen $$$ mit dem Franchise verdienen konnten. Vom künstlerisch-erzählerischen Standpunkt aus betrachtet, war das Potential der Serie bereits zu diesem Zeitpunkt ausgeschöpft. Nichts, was heute geschieht, kann daran etwas ändern – weder in positiver noch in negativer Richtung.
Mal ehrlich: Was genau macht den Charme der ursprünglichen Star Wars - Trilogie aus? {Und dass die Prequels unter jedem nur erdenklichen Blickwinkel betrachtet einen großen Haufen tricktechnisch aufgeblähter Scheiße darstellen, setze ich als allgemein akzeptiert voraus}.
Ich sehe das so: Es ist kein Geheimnis, dass die Filme eine Hommage an die pulpigen SciFi - Serials der 30er und 40er Jahre – à la Flash Gordon oder Buck Rogers – darstellen. Dabei jedoch sind sie – und das ist in meinen Augen ganz entscheidend  – völlig frei vom postmodernen Zynismus unserer Tage. In ihnen drückt sich eine ehrliche Liebe zu den Pulp-Wurzeln des Genres aus. Was wiederum nicht bedeuten soll, dass sie einfach bloß naiv wären. Es wird vielmehr überdeutlich, dass keine der beteiligten Personen {zu Beginn vielleicht nicht einmal Lucas selbst}, das Ganze bierernst genommen hätte. Star Wars ist zwar keine Parodie, aber es besitzt so etwas wie spielerische Leichtigkeit. 
Daneben verleiht das Motiv der gegen die schier unbezwingbare Übermacht des Imperiums ankämpfenden Rebellen der Geschichte etwas mehr oder weniger aufrüherisches. Zu genau darf man in dieser Hinsicht zwar nicht nachfragen, weil man sonst unausweichlich bei David Brins Ansicht enden würde: "[T]he oppressed ‘rebels’ in ‘Star Wars’ [...] can only choose sides in a civil war between two wings of the same genetically superior royal family. They may not meddle or criticize. As Homeric spear-carriers, it's not their job." Aber hey, das hier ist spaßiger Pulp-Trash, da fang ich nicht an, politologisch-soziologische Überlegungen anzustellen. Das Imperium verkörpert ganz offensichtlich Militarismus und Bürokratie, das reicht, um der Rebellion meine volle Sympathie zu sichern.
Im Guten wie im Schlechten atmet Star Wars etwas vom Geist der Hippie-Ära. Mit letzterem meine ich natürlich vor allem den Instant-Mystizismus. Aber auch hier gilt: Die Filme zwingen mich nicht dazu, die pseudoasiatischen Weisheiten Yodas ernst zu nehmen. Mag George Lucas noch so viel über die "tiefgründigen" Anliegen seiner Saga geschwafelt haben. Für mich bleibt der kleine grüne Kerl bloß ein weiteres liebenswertes Versatzstück einer Pulp-Story.
Was all dies mit J.J.Abrams zu tun hat? Ganz einfach: Die Grundidee von Star Wars war zwar sympathisch und wurde in den ursprünglichen Flicks auch recht kompetent umgesetzt, aber für weitere Filme konnte sie unmöglich genug Stoff hergeben. Der beste Beweis dafür ist Return of the Jedi. Manche der gegen den Streifen vorgebrachten Anschuldigungen erscheinen mir zwar maßlos übertrieben – er ist ohne Zweifel der Schwächste der alten Drei, aber er ist kein schlechter Film und er bringt die Story auf angemessene Weise zu einem Abschluss –, dennoch sieht man ihm bereits sehr deutlich an, dass der Boden des Fasses erreicht ist. Das etwas einfallslose Recyceln von Elementen des ersten Films wäre andernfalls wohl kaum nötig gewesen.
Die Pulp-Hommage hatte mit der ersten Trilogie ihre maximalen Ausmaße erreicht. Weiterspinnen kann man die Geschichte eigentlich nur noch, indem man Lucas' pseudomythologische, banale und zutiefst autoritäre Ideen ernst nimmt. Das muss nicht notwendigerweise auf handwerklich so grausliche Art geschehen, wie es der gute George in den Prequels  vorexerziert hat. Abrams würde ich da nach Star Trek etwas mehr zutrauen. Nur warum sollte ich dem entgegenfiebern? In oberflächlicher Hinsicht ordentlich gemachte und recht spannende Phantastik-Blockbuster sind nicht wirklich gar so selten. Und mehr kann Star Wars VII, ganz gleich wer die Regie führt, unmöglich werden.

Montag, 28. Januar 2013

To the Bat-poles !

Nachdem uns Lee und Darren in jüngerer Vergangenheit mit solchen Grauslichkeiten wie dem Star Wars Holiday Special und Star Trek IX: Insurrection gefoltert haben, steht bei den BlackDoggern diese Woche endlich einmal wieder etwas rundum erfreuliches auf dem Programm: Der Adam West - Batman - Film von 1966!


Oh glorreiche Zeiten von Camp und Irrsinn! Dumm nur, dass ich momentan nicht die Möglichkeit habe, mir diesen Klassiker selbst einmal wieder anzuschauen. Aber dafür bietet einem Youtube die Gelegenheit, sich sämtliche Folgen der alten TV-Serie, deren Ableger dieser Streifen ja war, zu Gemüte zu führen. Und auch wenn mir für einen regelrechten Bat-Marathon gerade nicht der rechte Augenblick zu sein scheint, konnte ich doch der Versuchung nicht widerstehen, mich für ein paar Stunden in das quietschbunte Universum zu stürzen, in dem jedes Abenteuer mit dem legendären Ausruf beginnt: "To the Bat-poles!"

Ich kann hier kaum etwas über die Serie sagen, was Jim Moon nicht schon sehr viel eloquenter im dritten Teil seiner epischen Natural History of the Batman erzählt hätte. Darum auch nur ein paar spontane Gedanken:

Über die Jahrzehnte haben eine Menge Leute sich einen Spaß daraus gemacht, Adam West in seiner Rolle als Caped Crusader zu verspotten. "Hölzern" und "untalentiert" waren da noch einige der freundlicheren Ausdrücke. Meiner Meinung nach jedoch ist er genau der richtige Mann für den Job gewesen. Und dasselbe gilt für Burt Ward als Robin. Beide mögen nicht gerade die vorzüglichsten Vertreter der Schauspielkunst sein, aber sie verstanden es großartig, den beiden Ebenen, über die die Serie verfügt, gerecht zu werden. Einerseits agierten sie ernsthaft genug, um dem jüngeren Publikum nicht seine spannenden Abenteuer zu verderben, andererseits kann für den älteren Betrachter nicht der leiseste Zweifel daran bestehen, dass sie sich der genialen Absurdität des Ganzen voll auf bewusst waren. Und man denke nicht, die Serie sei einfach bloß Trash. Die Drehbücher beweisen beinahe durchgehend Intelligenz, Humor und Wortwitz. Und was schauspielerische Leistungen angeht, so können hier {naturgemäß?} besonders die Schurken brillieren, sei es Cesar Romero als Joker, Burgess Meredith als Penguin oder Julie Newmar als Catwoman.

In einer Zeit, in der Batman vor allem als Protagonist der wirren und misanthropen Filme eines Christopher Nolan bekannt ist, und man offenbar selbst eine so wunderbar absurde Figur wie Superman zum Helden eines "realistischen" und "düsteren" Filmes zu machen gedenkt, erscheint mir ein Besuch in der bunten Bat-Welt der 60er Jahre besonders erfreulich. Mal sehen, was Lee und Darren darüber zu sagen haben werden. Ich jedenfalls kann jedem, der gleich mir denkt, dass Superhelden in erster Linie Spaß machen sollten, eine solche Zeitreise nur wärmstens empfehlen.

Sonntag, 27. Januar 2013

Lovecraft und die Décadence

Clark Ashton Smith lässt sich aus guten Gründen in vielerlei Hinsicht als ein später Nachkomme der Décadence bezeichnen. In seiner Sensibilität für die musikalischen Qualitäten der Sprache; in seinem überbordenden, rauschhaft-wuchernden Stil; in der das Exotische, Morbide und manchmal Erotische verknüpfenden Motivik vieler seiner Gedichte und Geschichten. Nicht zufällig fertigte er Nachdichtungen der meisten Poeme aus Baudelaires Fleurs du Mal an  Und hatte nicht auch sein Mentor George Sterling manch prachtvolles Beispiel für Fin de Siècle - Lyrik verfasst wie etwa A Wine of Wizardry oder The Gardens of the Sea? (1)

Nun besteht kein Zweifel an der tiefen Bewunderung, die Clark Ashton Smith und H.P. Lovecraft einander entgegenbrachten. Doch bedeutet das keineswegs, dass sie sich in ihrem literarischen Schaffen an denselben ästhetischen Idealen orientiert hätten. Ersterer beschreibt die tiefen Unterschiede in der Herangehensweise an das Phantastische und dem daraus resultiernden Stil in einem Brief an seinen Freund sehr treffend wie folgt:    
My own conscious ideal has been to delude the reader in accepting an impossibility, or series of impossibilities, by means of a sort of verbal black magic, in the achievement of which I make use of prose-rhythm, metaphor, simile, tone-color, counter-point, and other stylistic resources, like a sort of incantation. You attain a black magic, perhaps unconsciously, in your pursuit of corroborative detail and verisimilitude. (2)
Lovecrafts berüchtigte Adjektivhäufungen ("eldritch", "blasphemous", "abominable" usw.) könnte man zwar als ein "dekadentes" Stilmittel bezeichnen, doch sein detailgenauer "Realismus", der dem Einbruch des Übernatürlichen in unsere scheinbar so geordnete und überschaubare Welt eine zusätzliche Schockwirkung verleihen soll, verweist ihn auf eine grundsätzlich andere ästhetische Position. Dennoch kann man zu einigen recht interessanten Beobachtungen gelangen, wenn man sich die Frage nach der Beziehung Lovecrafts zur Décadence stellt.

In weltanschaulicher Hinsicht stand der Gentleman von Providence den "Boston Decadents" in vielen Punkten recht nahe. Beeinflusst von John Ruskin und den Präraffaeliten, William Morris, Walter Pater und Oscar Wilde hatte dieser Kreis von Künstlern, zu dem u.a. der neogotische Architekt Ralph Adams Cram, die Dichterin Louise Imogen Guiney und der Fotograf Fred Holland Day gehörten, in den 1890er Jahren in Publikationen wie The Mahogany Tree und The Knight Errant zur Gründung eines "neuen Rittertums" und zu einem Kreuzzug gegen den Ungeist der Moderne, gegen Kommerzialismus und Philistertum aufgerufen. Anders als viele ihrer englischen Vorbilder und die Mitglieder der zur selben Zeit florierenden Arts & Crafts - Bewegung führte sie ihr Abscheu vor der bürgerlichen Gesellschaft jedoch nicht in die Nähe des Sozialismus. Vielmehr vertraten sie radikal konservative Ideen, träumten von einer Rückkehr zu Monarchie, Katholizismus und Ständegesellschaft.
Lovecrafts eigener extremer Konservatismus, der zum Teil recht bizarre Formen annahm – so wenn er in seinen Schriften Stil und Orthographie des 18. Jahrhunderts imitierte oder in einem Essay von 1918 für eine Wiederbelebung der Pastorale (Schäferlyrik) nach dem Vorbild Spensers und Popes eintrat – speiste sich aus ähnlichen Quellen. Wie die Boston Decadents hasste auch er die bürgerliche Ordnung vor allem deshalb, weil sie das Kunstwerk zu einer bloßen Ware herabgewürdigt hatte und über keine anderen Werte verfügte als Erfolg, Reichtum, Cleverness und Luxus. Wie er es einmal in einem seiner Briefe beschrieben hat:

Bourgeois capitalism gave artistic excellence & sincerity a death-blow by enthroning cheap amusement-value at the expense of that intrinsic excellence which only cultivated, non-acquisitive persons of assured position can enjoy. The determinant market for written, pictorial, musical, dramatic, decorative, architectural, & other heretofore aesthetic material ceased to be a small circle of truly educated persons, but became a substantially larger (even with a vast proportion of society starved & crushed into a sodden, inarticulate helplessness through commercial & commercial-satellitic greed & callousness) circle of mixed origin numerically dominated by crude, half-educated clods whose systematically perverted ideals (worship of low cunning, material acquisition, cheap comfort & smoothness, worldly success, ostentation, speed, intrinsic magnitude, surface glitter, &c.) prevented them from ever achieving the tastes and perspectives of the gentlefolk whose dress & speech & external manners they so assiduously mimicked. This herd of acquisitive boors brought up from the shop & the counting-house a complete set of artificial attitudes, oversimplifications, & mawkish sentimentalities which no sincere art or literature could gratify – & they so outnumbered the remaining educated gentlefolk that most of the purveying agencies became at once reoriented to them. Literature & art lost most of their market; & writing, painting, drama, &c. became engulfed more & more in the domain of amusement enterprises. (3)
Was ihn allerdings sehr deutlich von den Boston Decadents unterschied war, dass er sein Ideal nicht im Mittelalter, sondern im 18. Jahrhundert, in der Ära von Klassizismus und Aufklärung erblickte. Auch hatte er als überzeugter Atheist und Materialist für jede Form von Mystizismus oder Spiritualismus nichts als Spott und Verachtung übrig. In dieser Hinsicht war er ganz ein Mensch der Moderne. Seine "love of abstract truth and scientific logick" (4) machte es ihm unmöglich, sich wie so viele seiner konservativen Gesinnungsgenossen in die schützenden Arme der Religion zu flüchten. Seine Achtung vor der menschlichen Vernunft war zu groß, als dass er von einer Wiedergeburt des Katholizismus hätte träumen können. Er selbst drückte es 1929 so aus: "Thus I am an ultra-conservative socially, artistically, and politically, though an extreme modernist despite my 39 years in all matters of pure science and philosophy." (5)

Wie nah Lovecraft in seiner Einstellung zur Welt und zur Kunst den Neoromantikern und Décadents tatsächlich stand, zeigt vielleicht am besten seine 1926 verfasste Geschichte The Silver Key.
Held der Erzählung ist der Schriftsteller Randolph Carter, der im Alter von dreißig Jahren "the key of the gate of dreams" verliert und daraufhin unerfüllt durch die Gesellschaft der Gegenwart irrt. Alle Welt versucht ihm einzureden, die Wirklichkeit sei viel bedeutender als seine poetischen Visionen, doch ihn widert die Realität bloß an. Er muss Interesse für seine Mitmenschen heucheln, dabei weiß er doch, "how shallow, fickle, and meaningless all human aspirations are, and how emptily our real impulses contrast with those pompous ideals we profess to hold". Besonders unerträglich ist es ihm, dass die meisten Menschen scheinbar immer noch glauben, ihre Existenz habe irgendeine Bedeutung, und dass "the common events and emotions of earthy minds were more important than the fantasies of rare and delicate souls". Dieser Irrglaube führe zu "crude notion of ethics and obligations beyond those of beauty" und zu "illusions of justice, freedom, and consistency". Seine Bekannten drängen Carter dazu, "the animal pain of a stuck pig or dyspeptic ploughman in real life" für etwas Großartigeres zu halten als "the peerless beauty of Narath with its hundred carven gates and domes of chalcedony, which he dimly remembered from his dreams". Ja, dem armen Ästheten wird zu allem Überfluss auch noch zugemutet, er solle Mitgefühl für diese erbärmlichen Erdenwürmer empfinden! Am schlimmsten jedoch ist, dass die meisten Menschen  selbst die gebildeten, kultivierten Vertreter der Elite den überkommenen Ordnungs- und Wertvorstellungen Ade gesagt haben:

They did not know that beauty lies in harmony, and that loveliness of life has no standard amidst an aimless cosmos save only its harmony with the dreams and the feelings which have gone before and blindly moulded our little spheres out of the rest of chaos. They did not see that good and evil and beauty and ugliness are only ornamental fruits of perspective, whose sole value lies in their linkage to what chance made our fathers think and feel, and whose finer details are different for every race and culture. Instead, they either denied these things altogether or transferred them to the crude, vague instincts which they shared with the beasts and peasants; so that their lives were dragged malodorously out in pain, ugliness, and disproportion, yet filled with a ludicrous pride at having escaped from something no more unsound than that which still held them. They had traded the false gods of fear and blind piety for those of license and anarchy.
The Silver Key ist vor allem eine Kampfansage gegen die naturalistische und sozialrealistische Literatur, die im Amerika jener Tage gerade zu ihrer höchsten Blüte gelangte mit Autoren wie Theodore Dreiser, Sherwood Anderson, F. Scott Fitzgerald, John Dos Passos und Ernest Hemingway. Für Lovecraft bestand die Aufgabe der Kunst nicht in der Auseinandersetzung mit dem realen menschlichen Leben. Sie sollte vielmehr einen Ausweg aus diesem eröffnen, das Tor aufstoßen zu Dimensionen jenseits der menschlichen Erfahrung. Schönheit war für ihn nur im radikalen Gegensatz zur Wirklichkeit denkbar: "Calm, lasting beauty comes only in a dream, and this solace the world had thrown away when in its worship of the real it threw away the secrets of childhood and innocence."

Interessanter vielleicht noch als diese innere Verwandtschaft ist die Art, in der Lovecraft die Décadence als Motiv in seinen eigenen Geschichten verwendet hat.
Betrachten wir uns zuerst einmal ein Beispiel dafür, wie dies trotz einer scheinbaren Anknüpfung an die dekadente Tradition nicht geschieht. Die 1923 entstandene Kurzgeschichte The Rats in the Walls wird nicht selten mit The Fall of the House of Usher verglichen. Da es sich bei dem Namen des Erzählers und Protagonisten De La Poer um eine recht offensichtliche Anspielung auf Edgar Allan Poe handelt, und in beiden Erzählungen vom Untergang eines aristokratischen Geschlechtes berichtet wird, scheint es auf den ersten Blick einleuchtend, eine solche Verbindung herzustellen. Tatsächlich jedoch stehen die beiden Erzählungen in ihrer Thematik in diametralem Gegensatz zueinander. In Rats in the Walls geht es um Atavismus und Degeneration, um die Furcht davor, dass  der dünne Firniss der Zivilisation jederzeit abbröckeln und die Bestie im Menschen freilegen kann. De la Poers Abstieg in die Gewölbe unter seinem Familiensitz ist zugleich ein Abstieg in die Vergangenheit der Menschheit und in sein eigenes Unterbewusstsein, in dem nach wie vor der kannibalistische Barbar der Urzeit lebt. Roderick Usher hingegen leidet an einem Übermaß von Kultiviertheit und Verfeinerung. In seiner krankhaften Melancholie und Sensibilität ist er in der Tat das Urbild des Décadent. Doch gerade dieses Motiv übernimmt Lovecraft nicht in seine Geschichte. Was im Grunde leicht verständlich ist, fürchtete er doch vor allem den Zusammenbruch der überkommenen, von der Tradition geheiligten Ordnung, weshalb Fäulnis, Verfall und das drohende Hereinbrechen des Chaos die zentralen Themen seines literarischen Werkes sind.

Gavin Callaghan allerdings vertritt die These, Lovecraft habe auch das Motiv der Décadence "in the form of ‘languid’ sculptors like Henry Wilcox in ‘The Call of Cthulhu’, and degenerate painters like Richard Pickman in ‘Pickman's Model’, as symbols within a larger Spenglerian polemic criticizing Western societal and racial decay" benutzt. Gibt es bei Lovecraft neben den Bildern von Fäulnis und Auflösung also tatsächlich noch ein zweites symbolisches Repertoire zur Illustrierung des Niedergangs der westlichen Zivilisation?
Mehr oder weniger dekadente Künstler und Intellektuelle tauchen tatsächlich immer wieder in seinen Erzählungen auf, aber Figuren wie der hypersensible, leicht neurotische Wilcox oder der dem Morbiden verfallene Pickman machen auf mich einen eher zwiespältigen, keinen eindeutig negativen Eindruck. Sie als Symbole des gesellschaftlichen Verfalls zu interpretieren, scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein. Vielmehr spiegelt sich in ihnen Lovecrafts eigenes ambivalentes Verhältnis zur Décadence wider.
Sein alter ego in The Silver Key Randolph Carter ist z.B. gleichfalls ein klassischer Décadent:
He decided to live on a rarer plane, and furnished his Boston home to suit his changing moods; one room for each, hung in appropriate colours, furnished with befitting books and objects, and provided with sources of the proper sensations of light, heat, sound, taste, and odour.
Die Beschreibung erinnert wohl nicht zufällig an Joris-Karl Huysmans berühmten Roman À rebours  (Gegen den Strich) und das ästhetizistische Refugium seines Helden Des Esseintes.
Das genaue Gegenbild dazu finden wir in der Kurzgeschichte The Hound. Auch ihre Protagonisten haben sich, nachdem die literarischen Welten Baudelaires und Huysmans ihren Reiz für sie verloren haben, eine Art Eremitage geschaffen, deren Charakter allerdings ein völlig anderer ist:
Our museum was a blasphemous, unthinkable place, where with the satanic taste of neurotic virtuosi we had assembled an universe of terror and a secret room, far, far, underground; where huge winged daemons carven of basalt and onyx vomited from wide grinning mouths weird green and orange light, and hidden pneumatic pipes ruffled into kaleidoscopic dances of death the line of red charnel things hand in hand woven in voluminous black hangings. Through these pipes came at will the odors our moods most craved; sometimes the scent of pale funeral lilies; sometimes the narcotic incense of imagined Eastern shrines of the kingly dead, and sometimes - how I shudder to recall it! - the frightful, soul-upheaving stenches of the uncovered-grave.
Around the walls of this repellent chamber were cases of antique mummies alternating with comely, lifelike bodies perfectly stuffed and cured by the taxidermist's art, and with headstones snatched from the oldest churchyards of the world. Niches here and there contained skulls of all shapes, and heads preserved in various stages of dissolution. There one might find the rotting, bald pates of famous noblemen, and the flesh and radiantly golden heads of new-buried children.
Statues and painting there were, all of fiendish subjects and some executed by St John and myself. A locked portfolio, bound in tanned human skin, held certain unknown and unnameable drawings which it was rumored Goya had perpetrated but dared not acknowledge. There were nauseous musical instruments, stringed, brass, wood-wind, on which St John and I sometimes produced dissonances of exquisite morbidity and cacodaemoniacal ghastliness; whilst in a multitude of inlaid ebony cabinets reposed the most incredible and unimaginable variety of tomb-loot ever assembled by human madness and perversity.


Die Schilderung des Schatzgewölbes der beiden Ästheten und passionierten Grabräuber ist eine Karrikatur der morbiden Phantasien der Décadence. Ob wir St.John und seinen Freund deshalb als Argumente in Lovecrafts "Spenglerian polemic" betrachten dürfen, scheint mir jedoch eher fragwürdig. In seiner Übertriebenheit macht dieses Panorama auserlesener Scheußlichkeiten eher den Eindruck einer schwarzhumorigen Parodie.
Der These Callaghans entspricht am ehesten die Figur des Edward Derby aus The Thing on the Doorstep. Ein frühreifes Wunderkind schreibt er schon im Alter von sieben Jahren Gedichte "of a sombre, fantastic, almost morbid cast". Willensschwach, verzärtelt, unselbstständig und einzelgängerisch gelingt es ihm nicht, seinen Platz im Leben zu finden. Er lässt sich treiben, veröffentlicht mit achtzehn Jahren eine Sammlung seiner "nightmare-lyrics" unter dem Titel Azathoth and Other Horrors und besucht die Miskatonic-Universität, "looking enviously at the 'daring' or 'Bohemian' set – whose superficially 'smart' language and meaningless ironic pose he aped, and whose dubious conduct he wished he dared adopt." Nach dem Tod seiner Mutter, von der er sich nie zu lösen vermochte, stürzt er sich als Mittdreißiger endgültig in das perverse Leben der Décadents:
He began to mingle in the more "advanced" college set despite his middle age, and was present at some extremely wild doings – on one occasion paying heavy blackmail (which he borrowed of me) to keep his presence at a certain affair from his father's notice. Some of the whispered rumors about the wild Miskatonic set were extremely singular. There was even talk of black magic and of happenings utterly beyond credibility.
Schon immer fasziniert von allem Düsteren und Abnormen wendet Derby sich dem Okkultismus zu, studiert das Necronomicon und andere "verbotene Bücher", betätigt sich aber auch weiterhin als Künstler.

He was a close correspondent of the notorious Baudelairean poet Justin Geoffrey, who wrote The People of the Monolith and died screaming in a madhouse in 1926 after a visit to a sinister, ill-regarded village in Hungary.

Thomas Ligotti – sicher einer der anerkanntesten literarischen Erben Lovecrafts – zieht in seinem Essay Thoughts Concerning A Decadent Universe eine Parallele zwischen den Werken der Décadence und den "verbotenen Büchern" der Horrorliteratur. Beide stellten den paradoxen Versuch dar, das Unaussprechliche auszusprechen:
H. P. Lovecraft [...] invented a fascinating instance of the decadent poetry collection as a forbidden book in the form of The People of the Monolith, by the ‘notorious Baudelairean poet’ Justin Geoffrey, which figures incidentally in 'The Thing on the Doorstep' and was perhaps inspired by David Park Barnitz's [‘Book of Jade’]
Lovecraft hatte Park Barnitz’ Werk  – das wohl morbideste Beispiel amerikanischer Décadence-Lyrik – durch seinen Bekannten Donald Wandrei kennengelernt. Justin Geoffrey dürfte allerdings kaum nach seinem Vorbild geschaffen worden sein, handelt es sich bei dem Dichter doch um eine Erfindung Robert E. Howards. (6) Trotzdem ist Ligotti auf der richtigen Fährte, wenn er eine Verbindung zwischen der dekadenten Poesie und dem verbotenen Wissen des Necronomicon postuliert. Nur sieht diese Verbindung meiner Meinung nach etwas anders als, als er es in seinem Essay formuliert. Sie besteht nicht in dem vermeintlich "Unaussprechlichen", sondern gerade in dem deutlich auszumachenden Inhalt dieser Dichtungen, in der kompromisslosen Entwertung aller Werte durch die Décadents. Park Barnitz ist dafür ein besonders extremes Beispiel, so etwa in den Schlusszeilen seines Gedichtes Fragments:

Ah not in nothingness is any peace,
Nor in peace any peace, nor in the whole,
Nor in the vine nor in the vision, nor
In being nor non-being, nor in all
That man hath dream'd of and hath anguisht for.
Nay not in joy nor the vine jovial,
Nor in the perfume of the lov'd one's breath,
Nay nor in anything anywhere at all;
Nor in illusion; nor what sundereth
Illusion; in the sundering of that chain
There is no joy; and not alas in death
Find I that thing whereof my soul is fain.
All these things also are all vanity
No less than sun and stars that wax and wane
Forever in the everlasting sky.
Nun war Lovecrafts eigene Weltsicht nicht weit entfernt von diesem absoluten Nihilismus, und wenn er sich in seinen Briefen über das "nasty, cynical Book of Jade" äußerte, diesen "remarkable volume of decadent verse", so geschah dies nie in einem negativen Tonfall. (7) Dennoch witterte er offensichtlich eine Gefahr in dieser Art Literatur. Für Park Barnitz war die radikale Verneinung die unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung einer Kunst der Zukunft, deren Geburt er herbeisehnte, ohne sich freilich eine genauere Vorstellung von ihrer Gestalt machen zu können. Das Alte muss in seiner Bedeutungslosigkeit entlarvt und zerstört werden, bevor das Neue sich entwickeln kann. Eine solche Perspektive war Lovecraft notwendigerweise fremd. Bei aller Sympathie musste er in der Décadence letztenendes einen gefährlichen Angriff auf all jene traditionellen Werte sehen, die das einzige Bollwerk gegen die stets drohenden Mächte des Chaos bilden. Als aufgeklärte Menschen wissen wir zwar, dass diese Werte jeder "göttlichen" oder "natürlichen" Grundlage entbehren, doch im Interesse der gesellschaftlichen Ordnung dürfen wir ihre Gültigkeit dennoch nicht in Frage stellen. Tun wir es doch, so öffnen wir damit jenen Kräften Tür und Tor, die unter der Oberfläche der Zivilisation lauern und diese zu vernichten streben. Lovecraft war ein Nihilist, der den Nihilismus fürchtete.
So betrachtet besitzt Edward Derbys Werdegang in The Thing on the Doorstep exemplarischen Charakter. Als Spross einer angesehenen und wohlhabenden Arkhamer Familie gehört er zur traditionellen Elite, doch seine Willensschwäche und seine kränkelnde Gesundheit legen Zeugnis ab von deren psychischem wie biologischem Niedergang. Seine Neigung zur Décadence ist nicht nur ein weiteres Symptom dieses Zerfalls, sie verstärkt und beschleunigt auch den Degenerationsprozess. Die Verse Baudelaires und Justin Geoffreys führen Derby schließlich zum Necronomicon und zum Buch von Eibon. Sie zersetzen sozusagen die geistige Widerstandskraft des jungen Mannes und öffnen ihn für den Einfluss der Großen Alten.
Der Feind tritt auf in Gestalt Asenath Waites, der Tochter des als Hexenmeister verschrieenen Ephraim aus Innsmouth. Die heruntergekommene Hafenstadt ist die wohl eindrücklichste Verkörperung von gesellschaftlichem und oralischem Zerfall in Lovecrafts Werk. Dass Asenaths Mutter, "who always went veiled", offenbar zu den hybriden Nachfahren der Tiefen Wesen ("Deep Ones") gehörte, unterstreicht noch einmal, mit welchen Kräften wir es hier zu tun haben. Derby lernt die junge Frau in den Kreisen der dekadenten "Intelligenzija" kennen und verfällt ihr in kürzester Zeit. Was ihn an ihr fasziniert ist nicht nur ihr umfassendes Wissen in okkulten Angelegenheiten, sondern auch ihre Erscheinung. Daniel Upton, der Erzähler der Geschichte, beschreibt sie so: "She was dark, smallish, and very good-looking except for overprotuberant eyes; but something in her expression alienated extremely sensitive people". Derby aber fühlt sich auch körperlich zu Asenath hingezogen. Diese sinnliche Dimension ist deshalb von Bedeutung, weil Sexualität in Lovecrafts Erzählungen stets und immer ein Zeichen von Degeneration ist. Wichtiger ist jedoch, dass die "natürlichen Instinkte" des Arkhamer Décadents offenbar in ihr Gegenteil verkehrt worden sind. Er fühlt sich von dem angezogen, was ihn eigentlich abstoßen müsste. Verweisen Asenaths Augen mehr als deutlich auf ihre nichtmenschlichen Vorfahren, so erweckt ihre übrige Erscheinung doch zumindest den Eindruck des exotischen, fremdländischen, nicht-angelsächsischen. Und diese Person erklärt Derby zu seiner Göttin. Denn er verliebt sich nicht einfach in sie. Er unterwirft sich vollständig ihrem Willen. Upton erklärt dies mit der andauernden Unselbstständigkeit seines Freundes: "The perennial child had transferred his dependence from the parental image to a new and stronger image, and nothing could be done about it." Fassen wir Derby als den exemplarischen Vertreter der alten Elite, so bedeutet das aber auch, dass eine schwach gewordene Aristokratie von einem an sich minderwertigen, aber willensstarken, zielstrebigen und machthungrigen Gegner überwältigt zu werden droht. Wir haben es mit einem beinah nietzscheschen Gedankengang zu tun: Décadence bedeutet Schwächung des Willens zum Leben, also Schwächung des Willens zur Macht. Und dann kommen die Innsmouth-Kreaturen aus ihren Löchern gekrochen und greifen nach der Herrschaft.



Dass der arme Derby es in Wirklichkeit überhaupt nicht mit Asenath, sondern mit dem alten Ephraim zu tun hat, dessen Geist vom Körper seiner Tochter Besitz ergriffen hat, ist dabei gar nicht so wichtig. Entscheidend ist vielmehr, dass schon bald ein verzweifeltes Ringen um Selbstbehauptung einsetzt. Denn was Derby droht ist nicht so sehr der Tod, als vielmehr die Zerstörung seiner Persönlichkeit. Asenath-Ephraim macht sich daran, ihn aus seinem Körper zu verdrängen. Zu Anfang findet dieser "Seelentausch" – eine perverse Karrikatur des alten Liebesmotivs der getauschten Herzen – noch freiwillig statt, doch schließlich beginnt Derby, sich zu wehren. Er versucht, zu "gaining his identity", wie er selbst es nennt. Doch wie sollte der charakterschwache Décadent diesen Kampf gewinnen können? Wohin ihn der Weg führen wird, von dem es nun kein Zurück mehr gibt, erfährt er, als er eines nachts unbeabsichtigterweise in seinen eigenen Körper zurückversetzt wird, während dieser sich gerade in einem geheimen Tempel in den Wäldern von Maine befindet. Dem Wahnsinn nahe berichtet er seinem Freund Upton:

Dan, for God's sake! The pit of the shoggoths! Down the six thousand steps... the abomination of abominations... I never would let her take me, and then I found myself there - Ia! Shub-Niggurath! - The shape rose up from the altar, and there were five hundred that howled - The Hooded Thing bleated 'Kamog! Kamog!' - that was old Ephraim's secret name in the coven - I was there, where she promised she wouldn't take me - A minute before I was locked in the library, and then I was there where she had gone with my body - in the place of utter blasphemy, the unholy pit where the black realm begins and the watcher guards the gate - I saw a shoggoth - it changed shape - I can't stand it

Über die Shoggothen und ihre Bedeutung in Lovecrafts Mythologie gäbe es noch einiges zu sagen. Doch muss dies auf ein andermal verschoben werden, da es mit dem Thema Décadence nichts zu tun hat. Im Moment mag es genügen, wenn wir in ihnen die Verkörperung der tiefsten Ängste Lovecrafts sehen – die grausigsten Vertreter der animalischen Urkräfte, denen der von der Décadence untergrabene Willen nichts mehr entgegenzusetzen vermag.
 


à à Wer noch ein wenig länger in den Gefilden der Décadence verweilen will, der gieße sich ein Gläschen Absinth ein, mache es sich im Lehnstuhl bequem und lausche Jim Moons taufrischer Hypnobobs - Episode Leg of Toad & Eye of Gorgon.  In der Bibliothek der Träume wird eine nachträgliche Geburtstagsfeier für den "Imperator der Träume" Clark Ashton Smith zelebriert. ß ß




(1) Siehe meinen alten Blogeintrag Rausch der Poesie.
(2) Brief an H.P. Lovecraft [c. 24.Oktober 1930]. In: Selected Letters of Clark Ashton Smith. S. 126.
(3) H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. V. S. 397/398. Zit.. nach: S.T. Joshi: H. P. Lovecraft.
(4) H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. I. S. 110. Zit. nach: S.T. Joshi: H. P. Lovecraft.
(6) Ligotti schreibt: "As usual with bibliographic impostors of this type, the actual substance of The People of the Monolith is, as they say, left to the reader's imagination, which in this case (and possibly all others) is a completely false conception, since the whole allure of these works is that they are quite impossible to imagine in a conventional sense. One does not mentally compose a single imaginary phrase that might belong to this slim or massive text" Unglücklicherweise beginnt Howards Geschichte The Black Stone ausgerechnet mit einem "Zitat" aus The People of the Monolith. Dort erfahren wir auch näheres über Geoffreys Besuch in dem ominösen ungarischen Dorf.
(7) Brief an Maurice W. Moe [18.9.1932] / Brief an James F. Morton [21.9.1932]. In: H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. IV. S. 66/68. Zit. nach: Words of Praise for "The Book of Jade".

Donnerstag, 24. Januar 2013

Wenn Werbeagenturen die Welt beherrschen

Überzogene Erwartungen führen oft zu Enttäuschungen und damit zu unfairen Urteilen. Und wie hätten die Erwartungen, die ich in  The Space Merchants gesteckt hatte, nicht überzogen sein sollen? Der 1952 erschienene Roman von Cyril M. Kornbluth und Frederik Pohl gilt als einer der Meilensteine der SF - Literatur. Glaubt man Wikipedia, so trug das Buch "significantly to the maturing and to the wider academic respectability of the [..] genre, not only in America but also in Europe" bei. Und warum sollte man diese Aussage in Zweifel ziehen, wenn man als Beleg dafür eine Reihe von äußerst positiven Bemerkungen aus der Feder verschiedener Kritiker und Akademiker geliefert bekommt? Daneben hatte mir ein Artikel von James Palmer bei Strange Horizons den Mund wässrig gemacht. Was meine Erwartungen jedoch am meisten angeheizt hatte, war folgende Lobeshymne von Alfred Bester. Schließlich hat dieser mit The Stars My Destination einen meiner Lieblings-SF-Romane geschrieben:
Now Fred’s novel which he wrote with Cyril Kornbluth, The Space Merchants, is, I think, the finest novel ever written in the history of science fiction. It is a brilliant piece of work. Many brilliant things have followed it, but this came along when everybody was obsessed with Doc Smith space opera, which has its own charm  it’s great fun  and suddenly comes this realistic extrapolation of what American life, American advertising, American ecology and American psychosis will lead to eventually. Horace Gold ran it as a three parter in Galaxy. Gravy Planet, he called it. A tremendous piece of work  exciting, ravishing.
Und klingt die Idee einer Welt, in der die Werbeagenturen de facto die Herrschaft übernommen haben, nicht so oder so wie der Stoff für ein Buch, das man einfach gelesen haben muss?

Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich Space Merchants endlich in Händen hielt – in Helga Wingert-Uhdes Übersetzung, unter dem Titel Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute und mit einem reichlich merkwürdigen Cover versehen, das aussieht wie das Poster zu einem verschollenen Roger Corman - Flick {"The Attack of the Giant Coffeepots"}.
In wenig mehr als einem Tag war das gerade mal 144 Seiten umfassende Büchlein ausgelesen. An sich ein gutes Zeichen, aber alles in allem war ich – wie angedeutet – dennoch ein wenig enttäuscht.  Nicht dass es ein schlechtes Buch wäre. Beileibe nicht. Aber irgendwie hatte ich etwas mehr von ihm erwartet.
Was seine Bedeutung für die Geschichte der literarischen Science Fiction angeht, so reichen meine eher bescheidenen Kenntnisse des Genres nicht aus, um darüber ein informiertes Urteil abgeben zu können.  Ich glaube jedoch gerne, dass Alfred Besters Kommentar in dieser Hinsicht ganz den Tatsachen entspricht. Ebenso denke ich, dass Frederik Pohls Einschätzung der Rolle der SF zu Beginn der 50er Jahre bei aller Übertreibung nicht so falsch ist:
[D]uring the Senator Joe McCarthy era, there was not an awful lot of political free speech in America. Most of the newspaper editors and political leaders were running for the storm cellars because they didn’t want to get in the way of “Tail-gunner Joe.” And at that time science fiction was saying all sorts of revolutionary, critical, socially penetrating things – to the extent that an old friend of mine who was then minister of a church in Los Angeles used to sell copies of Galaxy and the other science-fiction magazines outside the church after services, because he said it was the only free speech in America.
The Space Merchants gehört ganz ohne Zweifel zu dieser sozialkritischen Science Fiction, und die große Stärke des Buches besteht darin, eine recht intelligente und witzige Satire auf die amerikanische Gesellschaft seiner Zeit zu sein. Seine große Schwäche hingegen sehe ich darin, dass es nicht viel mehr ist als das. Doch dazu später mehr. Schauen wir uns zuerst einmal an, wie treffend und gehaltvoll die satirischen Attacken von Kornbluth & Pohl tatsächlich sind.

In der Welt von Space Merchants herrscht ungezügelter Kapitalismus. Die überkommenen politischen Institutionen (Kongress & Präsidentenamt) existieren zwar noch, führen aber nur noch ein belächeltes Schattendasein. Die wahre Macht liegt bei riesigen transnationalen Konzernen, die ganze Länder (Indien etwa) wie ihren Privatbesitz behandeln und an deren Spitze offenbar die Werbeagenturen stehen. Der Konkurrenzkampf zwischen diesen Giganten nimmt von Zeit zu Zeit vendettahafte Formen an. Der Einsatz von Spionen, Saboteuren und Auftragskillern gehört (in allgemein anerkannten Grenzen) zum normalen Geschäftsgebahren. Zugleich haben explosionsartiges Bevölkerungswachstum und grassierende Umweltzerstörung (ganz Nordamerika scheint eine einzige Stadt zu sein) die Erde in einen zunehmend unbewohnbaren Planeten verwandelt. Die Masse der Bevölkerung lebt unter elendesten Verhältnissen und ist der Willkür der großen Unternehmen hilflos ausgeliefert. Im Zentrum der Handlung steht das Projekt der Fowler Schocken AG, Menschen für eine Kolonisation der Venus zu gewinnen, obwohl die Bedingungen auf dem Planeten für menschliches Leben eigentlich völlig ungeeignet sind.
Die Satire in The Space Merchants wirkt immer dann am schärfsten und treffsichersten, wenn sie die Methoden des Marketing aufs Korn nimmt. Generalstabsmäßig geplante Marktforschungs- und Werbekampagnen; die psychologisch ausgefeilten Methoden der Manipulation, mit denen das Bedürfnis nach Waren geweckt wird, die niemand wirklich braucht; die Verknüpfung von Image und Produkt (wer das kauft ist "sexy", "männlich", "ein Abenteurer") usw. usf. Hierin zeigt sich wohl auch, dass Pohl – quasi zu Recherchezwecken – eine Zeit lang in einer echten PR-Agentur gearbeitet hatte.  Auf uns mögen diese Tricks heute "laughably simple" wirken, wie Jo Walton auf Tor.com schreibt, doch zu seiner Zeit war das Buch in dieser Hinsicht ebenso treffend wie aktuell.
Aber so amüsant sich das auch liest, letztlich handelt es sich bei den Tricks der Marketingbüros nur um ein Oberflächenphänomen des modernen Kapitalismus. Und betrachtet man sich das Gesamtbild der Gesellschaft, das der Roman entwirft, so entstehen einige Fragen.
Mir scheint das Buch zwei zwar zeitlich nahe beieinander liegende, aber dennoch deutlich voneinander verschiedene Phasen der US-Geschichte widerzuspiegeln.
Da hätten wir zum einen die verelendeten Massen. In dieser Hinsicht enthält The Space Merchants einige durchaus starke Passagen. Sei es in der Schilderung extremer Ausbeutungsverhältnisse in einer mittelamerikanischen Fabrik, sei es – in meinen Augen noch überzeugender – im Bild der US-"Konsumenten", die sich nicht einmal ein noch so elendes Dach über dem Kopf leisten können und deshalb gezwungen sind, gegen Bezahlung in den Foyers und Treppenhäusern der großen Unternehmen zu übernachten. Solche Szenen scheinen mir von den Erfahrungen der Großen Depression geprägt zu sein.
In der zentralen Rolle, die die Themen Werbung und Konsum spielen, sehe ich hingegen eher eine Reaktion auf die Verhältnisse des einsetzenden Nachkriegsbooms.
In gewisser Hinsicht widersprechen sich diese beiden Motive. Was wir heute als "Konsumgesellschaft" bezeichnen, konnte sich ja erst zu voller Blüte entfalten, als breitere Schichten der Bevölkerung zu bescheidenem Wohlstand gelangten. Ein völlig verelendetes Proletariat passt da nicht so recht ins Bild.
Der Roman bewerkstelligt die Verknüpfung beider mit Hilfe des Motivs der Überbevölkerung, was ernsthafte Konsequenzen für die Geschichte hat. Die Armut der Massen erscheint somit nämlich mindestens ebensosehr als Produkt ihres ungebremsten Fortpflanzungstriebs und ihres Konsumverhaltens wie ihrer Ausbeutung durch die großen Konzerne. Viele wollen gerade in dieser "ökologischen" Sichtweise den Beleg dafür sehen, wie vorausschauend Kornbluth und Pohl gewesen seien. Umweltzerstörung war 1952 zwar keineswegs ein neues Thema {man schaue sich nur einmal einige Passagen aus Friedrich Engels 1845 erschienenem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England an}, aber zum Fokus politischer Auseinandersetzung wurde sie ja tatsächlich erst in den 70er und 80er Jahren. Ich interpretiere dies allerdings eher als Ausdruck der zu jener Zeit unter den linken Intellektuellen um sich greifenden Demoralisation.
In den 30er Jahren hatten die beiden Schriftsteller zur berühmten New Yorker SF-Clique der "Futurians" gehört, deren Mitglieder im Großen und Ganzen eher zur politischen Linken tendierten. Frederik Pohl war von 1936 bis 1939 Mitglied der stalinistischen KPUSA gewesen, und seine spätere Ehefrau Judith Merril hatte sich zeitweilig sehr stark bei den trotzkistischen Young Socialists engagiert. Wie bei den meisten radikalisierten Intellektuellen jener Epoche muss man sich allerdings auch bei ihnen fragen, inwieweit die Sympathie für den Kommunismus tatsächlich etwas mit dem Glauben an eine bevorstehende Arbeiterrevolution in den Vereinigten Staaten zu tun hatte. Pohl selbst sagte dazu später:
Most of the people attracted to leftwing parties were driven there by revulsion against white men lynching black ones in the south. And crooked politicians calling their police out to spray strikers with machine-gun fire. And by about a million other social injustices.
Ohne Zweifel sehr ehrbare Motive, aber kaum das, was man ein "sozialistisches Bewusstsein" nennen würde. In den meisten Fällen ging dies Hand in Hand mit einem naiven Glauben an Präsident Roosevelts New Deal, von dem die meisten der linken Intellektuellen wie selbstverständlich annahmen, dass er nach dem Sieg über Nazideutschland bruchlos fortgesetzt werden würde. Als es stattdessen nach dem Weltkrieg zu einem abrupten Rechtsruck in der amerikanischen Politik kam, und sich die Linken plötzlich als Vaterlandsverräter und "Commie"-Schweine verfolgt sahen, erwiesen sich die meisten von ihnen als gänzlich unvorbereitet. Die Folge waren Desorientierung, Demoralisation und Pessimismus.
Der dystopische Gesellschaftsentwurf der Space Merchants lässt davon so manches erkennen. Zwar sind wir noch nicht so weit, dass die Mehrheit der Bevölkerung als ein konsumgeiler Mob dargestellt werden würde. Vielmehr ist die mit Abstand sympathischste Figur des ganzen Romans ein einfacher Arbeiter. Wenn jedoch der Konsumverzicht als Königsweg zu einer besseren Gesellschaft gepredigt wird, zeigt sich daran bereits sehr deutlich, in welch konservative Gefilde all dies einmal führen sollte. Was noch zusätzlich unterstrichen wird durch die unvermittelt danebenstehenden Bilder von krasser Armut und Ausbeutung, die jeden Appell zur "Einschränkung" extrem zynisch erscheinen lassen. Ganz offensichtlich konsumieren diese Menschen nicht zu viel, sondern zu wenig!
Die Untergrundbewegung der "Natschus" (im Original "Consies") trägt zwar die (leicht karrikierten) Züge einer revolutionären Organisation, und ihre Dämonisierung folgt dem realen Vorbild der antikommunistischen Hetze der McCarthy-Ära, aber ihre Mitglieder sind keine Sozialrevolutionäre, sondern radikale Umweltschützer. Ihr höchstes Ziel ist nicht der Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung, was innerhalb des Überbevölkerungsszenarios des Romans ja auch in der Tat keinen Ausweg aus der Misere eröffnen würde, sondern die Auswanderung auf die Venus, wo sie mittels Terraforming eine neue und bessere Welt erschaffen wollen.

Soviel zum satirischen Gehalt von The Space Merchants. Dass ich manches davon kritisch betrachte, hat mir nichts von dem Vergnügen genommen, welches mir die wirklich gelungenen Elemente bereiteten. Schließlich lese ich Bücher nicht, um in ihnen bloß meine eigenen politischen Ansichten wiederzufinden. Das größte Problem waren für mich deshalb nicht die Ideen, sondern die Geschichte, mit Hilfe derer sie transportiert werden. Dass der Plot an vielen Stellen reichlich absurd wirkt, ist dabei eher nebensächlich. Es mag sich zwar um ein Vorurteil handeln, aber ich erwarte von 50er Jahre SF keine glaubwürdige und ausgefeilte Handlungsstruktur. Im Gegenteil, es darf da ruhig ein bisschen verrückt zugehen. Sehr viel schwerer ins Gewicht fallen die Schwächen in der Charakterzeichnung und der Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen. Besonders ärgerlich ist, dass The Space Merchants eigentlich auch in dieser Hinsicht recht gute Ansätze aufweist, die zuguterletzt jedoch so gründlich verhunzt werden, dass man das Buch schließlich mit einem Gefühl tiefer Irritation beiseite legt.
Die Geschichte wird ganz aus der Sicht von Mitch Courtenay erzählt, einem der führenden Angestellten von Fowler Schocken, dem die Verantwortung für das Venusprojekt übertragen wird. Mitch ist – kurz gesagt – ein Arschloch. Von unerschütterlichem Glauben an das System erfüllt, strebt er nach nichts anderem als danach, die nächste Sprosse auf der Karriereleiter zu erklimmen und seinen schon erreichten Status mit Zähnen und Nägeln gegen alle etwaigen Konkurrenten zu verteidigen. Wie selbstverständlich benutzt er dabei andere Menschen als Werkzeuge, manipuliert und intrigiert was das Zeug hält. Am menschlichsten wirkt noch seine Vernarrtheit in die Chirurgin Kathy Nevin, mit der eine "Ehe auf Zeit" eingegangen ist, die sich jedoch von ihm abgewandt hat, da sie das Gefühl hat, er sehe in ihr lediglich so etwas wie ein besonders begehrenswertes Besitztum, ein weiteres Statussymbol. Eine Einschätzung, die der Leser oder die Leserin eigentlich nur teilen kann.
Solange Mitch das unverbesserliche Arschloch bleibt, macht der Roman richtig Spaß. Unser Held ist zwar ein rechter Widerling, aber kein ausgemachtes Monster, so dass es durchaus möglich bleibt, sich bis zu einem gewissen Grad mit ihm zu identifizieren. Und der Trick, eine grotesk ungerechte und grausame Welt von einer Person geschildert zu bekommen, die sie gar nicht als eine solche wahrnimmt, besitzt seinen Reiz.
Doch leider kommt es schließlich dann doch noch zur scheinbar unverzichtbaren "Bekehrung" des Protagonisten. Und damit bricht die Erzählung im wahrsten Sinne des Wortes in sich zusammen. Psychologisch bleibt Mitchs Wandlung zum "Natschu" völlig unverständlich. Im Laufe seiner Odyssee, die den Hauptteil des Romans ausmacht, hatte er zuvor bereits die ganze Grausamkeit des Systems am eigenen Leibe erfahren, ohne dass ihn das auch nur für einen Augenblick an dessen Legitimität hätte zweifeln lassen. Selbst als er auf das Niveau eines einfachen Arbeiters in einem wirklich höllischen Ausbeutungsbetrieb herabgesunken war, hatte er nur ein Ziel gekannt: Seine Rückkehr in die Chefetage von Fowler Schocken. Schlimmer jedoch als die Unglaubwürdigkeit der finalen Wendung ist der Umstand, dass damit vieles von dem, was zuvor erzählt wurde, eine völlige Neubewertung erfährt. Das gilt vor allem für die Beziehung zwischen Mitch und Kathy. Hatte seine "Liebe" zu der erfolgreichen, selbstbewussten Ärztin in ihrer aufdringlichen, chauvinstischen Art bisher wie ein besonders abstoßender Ausdruck seiner konformistischen Persönlichkeit gewirkt, so wird sie nun quasi im Nachhinein geadelt. Denn in Wirklichkeit hat ihn Kathy, die selbst zu den "Natschus" gehört, selbstverständlich ebenfalls die ganze Zeit geliebt (Warum? Er besitzt nicht einen liebenswerten Zug!), und mit seiner politischen Bekehrung steht einer glücklichen gemeinsamen Zukunft auf der Venus nun nichts mehr im Wege. Das Unbefriedigende und Absurde dieses Finales wird noch dadurch besonders betont, dass sich Mitchs Erzählerstimme mit seiner Wende kein bisschen ändert. Er sagt zwar, dass er nun alles verabscheue, für was Fowler Schocken und die übrigen Konzerne stehen, aber die Art, wie er darüber erzählt, verrät mitnichten einen veränderten Blick auf die Welt.
Sollte dieser Schluss selbst satirisch gemeint gewesen sein? Eine Parodie auf das melodramatische Klischee des Happy End? Keine Ahnung ... Ich bin verwirrt ... 

Montag, 21. Januar 2013

Let's have some fun !

Ich hätte den heutigen Tag wirklich nicht besser beginnen können als mit der neuesten Episode von Mr. Jim Moons Hypnobobs
Es bereitet mir ohnehin stets großes Vergnügen, den Gentleman aus Darlington bei seinen Streifzügen durch die Gefilde des Wunderbaren und Phantastischen zu begleiten. Diesmal aber hat er sich außerdem ein besonders liebenswertes Objekt für seine Betrachtungen ausgesucht. Vier klassische phantastische Filme der 70er Jahre voller Gummimonster und fesselnder Abenteuer: The Land That Time Forgot (1974), At the Earth's Core (1976), The People That Time Forgot (1977) und The Warlords of Atlantis (1978). Die ersten drei basieren auf Stories aus der Feder des großen Pulp-Pioniers und Tarzan-Schöpfers Edgar Rice Burroughs. Das soll jetzt aber nur insofern eine Rolle spielen, als es darauf hindeutet, womit wir es bei diesen Flicks zu tun haben. Mit prallem, fantasievollem, buntem, altmodischem, abenteuerlichem Unsinn! Und davon könnten wir wahrhaftig mal wieder eine ordentliche Dosis gebrauchen! All der modische Zynismus und düstere Pseudorealismus unserer Zeit hat dazu geführt, dass die Phantastik nur noch selten einer ihrer wichtigsten Aufgaben gerecht wird: Ganz einfach, Spaß zu machen und Freude zu bereiten!

Sonntag, 20. Januar 2013

Von Arkham ins Hinterland

Samstag Abend ... Die Nacht begann über dem verschneiten Herzen des Odenwaldes hereinzubrechen. Zeit, den Sessel zurecht zu rücken, ein kühles Bierchen zu öffnen und sich zu überlegen, mit welchem cineastisch-phantastischen Werk (oder Machwerk) ich mir die nächsten anderthalb Stunden versüßen könnte.
Sollte ich mir zuerst einmal Rocketship XM zu Ende anschauen? – Lieber nicht, den hatte ich nach gut dreißig Minuten abgebrochen, weil der "charmante" Chauvinismus der 50er Jahre irgendwann einfach zu unerträglich geworden war ... Tja, was dann? ... Im Gedenken an Edgar Allan Poes Geburtstag wäre es vielleicht passend, sich wieder einmal einen von Roger Cormans grandiosen Adaptionen der Werke des Meisters des Makabren zu Gemüte zu führen. The Masque of the Red Death möglicherweise oder The Fall of the House of Usher? ... Hmmm ... Doch was erblicke ich da auf einmal inmitten von Jim Moons wunderbarer Gallerie The Lost Art of Movie Posters? Eine 70er-Jahre-Verfilmung von H.P. Lovecrafts The Dunwich Horror?
Mir war nicht ganz unbekannt, dass die klassische Erzählung des Gentlemans von Providence ihren Weg auf die Leinwand gefunden hat. Wenn ich mich recht entsinne, sogar schon mindestens zweimal. Im Allgemeinen jedoch stehe ich filmischen Adaptionen von Lovecrafts Geschichten eher skeptisch gegenüber. Von den großartigen Werken der H.P. Lovecraft Historical Society einmal abgesehen. Ja, ich mag Cormans Charles Dexter Ward - Adaption The Haunted Palace mit Vincent Price. {Die Gestalten der deformierten Dorfbewohner haben ihrerzeit einen bleibenden Eindruck auf meiner jungen Psyche hinterlassen}. Doch darüber hinaus ... Es scheint nicht eben leicht zu sein, das Éch-Pi-Els Fantasie entsprungene Grauen auf Celluloid zu bannen.
Dennoch packte mich auf einmal das unbändige Verlangen, mir Daniel Hallers Flick aus dem Jahre 1970 anzuschauen. {Produzent: Roger Corman. Dem alten Schlockmeister ist einfach nicht zu entkommen!} Auf rottentomatoes erfährt er zwar die einmalig miese Bewertung von sage und schreibe 20% (!!) und rangiert damit sogar noch weit hinter so legendären Gurken wie Troll 2 (42%) oder Bride of the Monster (44%), aber wer verlässt sich schon auf rottentomatoes? Die dort versammelten Kritiker haben schließlich auch einem so grotesken Haufen cineastischen Bullshits wie Revenge of the Sith eine positive Wertung von 80% verpasst.

Wie dem auch sei, die Entscheidung war jedenfalls gefallen ...
                                        ... und die Enttäuschung folgte sozusagen auf dem Fuße.

Was ich bei Youtube auf den ersten Blick für eine vollständige Fassung des Streifens gehalten hatte, entpuppte sich als eine Ansammlung mit katalanischen Untertiteln versehener Schnipsel, die zusammengenommen ungefähr die erste Hälfte des Films ausmachen. Das vorhandene Material wirkt ziemlich interessant. Dean Stockwell als Wilbur Whateley mit Sixties-Schnauzbart ist nicht ohne gruseligen Charme, und einige der Szenen im Anwesen der Hexersippe üben einen nicht unbeträchtlichen psychedelischen Reiz aus. Man wird daran erinnert, dass der Regisseur für das Design der phantastischen Sets von Pit and Pendulum und Fall of the House of Usher verantwortlich war. Außerdem wären da noch die grotesken Traumszenen, in denen sich die Studentin Nancy (Sandra Dee) von einer Horde Horror-Hippies verfolgt sieht.


Verdammt ärgerlich also, dass einem die zweite Hälfte des Flicks vorenthalten wird. Ich werde wohl mal schauen, ob man ihn irgendwo zu einem vertretbaren Preis erwerben kann.
Doch da ich nun schon einmal einen {wenn auch brutal unterbrochenen} Trip nach Dunwich unternommen hatte, dachte ich mir, wenn ich schon nichts Definitives über Hallers Streifen erzählen kann, wäre dies vielleicht die richtige Gelegenheit, ein bisschen in meinen alten Lovecraft-Aufzeichnungen herumzuwühlen und etwas über den echten Horror of Dunwich zusammenzubasteln.

Die 1928 geschriebene Geschichte ist wie  The Whisperer in Darkness im Hinterland von Neuengland angesiedelt, und die einführende Passage gehört zum evokativsten, atmosphärisch dichtesten, was Lovecraft je geschrieben hat. Viel zu selten scheint mir darauf hingewiesen zu werden, dass eine seiner größten Stärken in der Schilderung von Landschaften bestand, die unter seiner Feder einen eigenartig beunruhigenden und bedrohlichen Charakter annahmen. Ich kann es mir nicht verkneifen, die Passage in voller Länge zu zitieren:
When a traveller in north central Massachusetts takes the wrong fork at the junction of the Aylesbury pike just beyond Dean’s Corners he comes upon a lonely and curious country. The ground gets higher, and the brier-bordered stone walls press closer and closer against the ruts of the dusty, curving road. The trees of the frequent forest belts seem too large, and the wild weeds, brambles, and grasses attain a luxuriance not often found in settled regions. At the same time the planted fields appear singularly few and barren; while the sparsely scattered houses wear a surprisingly uniform aspect of age, squalor, and dilapidation. Without knowing why, one hesitates to ask directions from the gnarled, solitary figures spied now and then on crumbling doorsteps or on the sloping, rock-strown meadows. Those figures are so silent and furtive that one feels somehow confronted by forbidden things, with which it would be better to have nothing to do. When a rise in the road brings the mountains in view above the deep woods, the feeling of strange uneasiness is increased. The summits are too rounded and symmetrical to give a sense of comfort and naturalness, and sometimes the sky silhouettes with especial clearness the queer circles of tall stone pillars with which most of them are crowned.
Gorges and ravines of problematical depth intersect the way, and the crude wooden bridges always seem of dubious safety. When the road dips again there are stretches of marshland that one instinctively dislikes, and indeed almost fears at evening when unseen whippoorwills chatter and the fireflies come out in abnormal profusion to dance to the raucous, creepily insistent rhythms of stridently piping bull-frogs. The thin, shining line of the Miskatonic’s upper reaches has an oddly serpent-like suggestion as it winds close to the feet of the domed hills among which it rises.
As the hills draw nearer, one heeds their wooded sides more than their stone-crowned tops. Those sides loom up so darkly and precipitously that one wishes they would keep their distance, but there is no road by which to escape them. Across a covered bridge one sees a small village huddled between the stream and the vertical slope of Round Mountain, and wonders at the cluster of rotting gambrel roofs bespeaking an earlier architectural period than that of the neighbouring region. It is not reassuring to see, on a closer glance, that most of the houses are deserted and falling to ruin, and that the broken-steepled church now harbours the one slovenly mercantile establishment of the hamlet. One dreads to trust the tenebrous tunnel of the bridge, yet there is no way to avoid it. Once across, it is hard to prevent the impression of a faint, malign odour about the village street, as of the massed mould and decay of centuries. It is always a relief to get clear of the place, and to follow the narrow road around the base of the hills and across the level country beyond till it rejoins the Aylesbury pike. Afterward one sometimes learns that one has been through Dunwich.
Vergleichbare Schilderungen finden sich auch in The Whisperer in Darkness, und nicht nur hierin verraten beide Erzählungen sehr deutlich den Einfluss des von Lovecraft verehrten Arthur Machen. Dieser hatte in Geschichten wie The Novel of the Black Seal und The Shining Pyramid auf ganz ähnliche Weise das Hügelland seiner walisischen Heimat in eine archaische Welt voll unterirdischer Schrecken verwandelt und zur Kulisse für seine ganz eigene Interpretation der keltischen Feenüberlieferungen gemacht. Hinter den Mythen vom Kleinen Volk verbergen sich bei ihm die Nachkommen der vorkeltischen Bevölkerung Britanniens, die einst vor den Eroberern unter die Erde geflohen sind und dort über die Jahrhunderte hinweg weitergelebt haben  ein primitiver Stamm abgrundtief hässlicher, bösartiger, zwergenhafter Kreaturen, Rückentwicklungen der Evolution.
Während The Whisperer in Darkness sich mit einiger Berechtigung als eine Art Verpflanzung dieser Machenschen Feengeschichten auf den amerikanischen Kontinent interpretieren lässt, verhält es sich mit The Dunwich Horror anders. Die oben zitierte Eingangspassage zeigt zwar deutliche Anklänge an den Stil Machens, doch die eigentliche Bedeutung dieses ‘backwater’-Szenarios ist eine andere als in den Geschichten des walisischen Schriftstellers. Lovecraft spart zwar nicht mit Anspielungen auf alte Legenden und das "unheilige" Erbe der indianischen Ureinwohner, aber wichtig ist vor allem das Bild, das er von den Bewohnern des gottverlassenen Fleckchens Dunwich zeichnet. Von ihnen heisst es, sie seien
repellently decadent, having gone far along that path of retrogression so common in many New England backwaters. They have come to form a race by themselves, with the well-defined mental and physical stigmata of degeneracy and inbreeding. The average of their intelligence is woefully low, whilst their annals reek of overt viciousness and of half-hidden murders, incests, and deeds of almost unnamable violence and perversity. The old gentry, representing the two or three armigerous families which came from Salem in 1692, have kept somewhat above the general level of decay; though many branches are sunk into the sordid populace so deeply that only their names remain as a key to the origin they disgrace.
Der Typus des degenerierten Hinterwäldlers taucht mehrfach in Lovecrafts Werk auf, so in Beyond the Wall of Sleep, The Lurking Fear und vielleicht am krassesten in The Picture in the House. (1)
Zum einen spiegelt sich darin wohl die Verachtung des Autors für die ländliche Bevölkerung wider. Bäuerlich geprägte Regionen waren in seinen Augen Überbleibsel der Barbarei, wie sein texanischer Freund Robert E. Howard mehr als einmal zu hören bekam. Darüberhinaus aber sind all die entarteten Primitivlinge, die sich in den Hügeln bei Dunwich (2) oder den Catskillbergen herumtreiben, bloß einmal mehr Verkörperungen des in Lovecrafts Werk allgegenwärtigen Motivs von Degeneration, Fäulnis und Zerfall.
Wie ich in einigen früheren Blogeinträgen (hier und hier) bereits etwas ausführlicher dargelegt habe, sehe ich in diesem Motiv vor allem einen Ausdruck der Furcht Lovecrafts vor dem Niedergang der Zivilisation, die unterhöhlt und zersetzt von Kommerzialismus, Industrie, Kosmopolitismus, "Rassenvermischung", Demokratie und Sozialismus ihrem drohenden Untergang entgegen gehe, woraufhin die dann befreiten animalischen und triebhaften Kräfte in Gestalt des rebellierenden Pöbels eine Orgie der Vernichtung veranstalten würden.
So gesehen finde ich es eigentlich recht passend, dass die Gestalt Wilbur Whateleys in Hallers Film mit der Gegenkultur der 60er Jahre in Verbindung gebracht wird, stellte diese in den Augen der Konservativen doch gleichfalls eine zersetzende Bewegung dar, die die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung und Moral zu zerstören drohte. Das sexuelle Motiv, das dabei vor allem durch erwähnte Traumsequenz eingeführt wird,  erweist sich bei näherer Betrachtung gleichfalls als gar nicht so abwegig, wie man vielleicht annehmen könnte.
Eine Analyse des Ekels vor allem Sexuellen, der in vielen von Lovecrafts Geschichten zum Ausdruck kommt, würde einen eigenen kleinen Aufsatz erfordern. So muss es an dieser Stelle genügen festzuhalten, dass im Weltbild des Schriftstellers ein absoluter Gegensatz zwischen dem Animalischen und Körperlichen auf der einen und dem Rationalen und Ästhetischen auf der anderen Seite bestand. Die Verneinung des Sexuellen war für ihn geradezu die Vorbedingung für die Entwicklung von Kultur:
And as for Puritan inhibitions – I admire them more every day. They are attempts to make of life a work of art – to fashion a pattern of beauty in the hog-wallow that is animal existence – and they spring out of that divine hatred for life which marks the deepest and most sensitive soul ... An intellectual Puritan is a fool – almost as much of a fool is an anti-Puritan – but a Puritan in the conduct of life is the only kind of man one may honestly respect. I have no respect or reverence whatever for any person who does not live abstemiously and purely – I can like and tolerate him ... but in my heart I feel him to be my inferior – nearer the abysmal amoeba and the Neanderthal man ... (3)
Es erscheint darum kaum verwunderlich, dass Sex, wenn er überhaupt in Lovecrafts Erzählungen auftaucht, stets als ein Vehikel der Degeneration dargestellt wird, als ein Schritt hin zu Urschleim und Neandertaler.
The Dunwich Horror ist dafür ein besonders interessantes Beispiel, da die Geschichte alle explizit sexuellen Konnotationen ganz bewusst vermeidet. Dabei handelt es sich bei ihr ja um eine Art Adaption der guten alten Teufelsbuhlschaft an den Cthulhu-Mythos:
Lavinia, die Tochter des Dunwicher Hexers Whateley, wird in der Walpurgisnacht ("May-Eve") von Yog-Sothoth geschwängert und bringt zwei Kinder zur Welt. Den humanoiden Wilbur, der nach dem Tod seines Großvaters dessen okkulte Studien fortsetzt mit dem Ziel, den Großen Alten das Tor zu dieser Welt zu öffnen, und eine absolut monströse Kreatur, die in ihrem Äußeren eher dem unirdischen Vater nachschlägt und sich von Blut ernährt.
Ein waschechter ‘pulp-hack’ hätte bei so einem Szenario natürlich nicht mit zweideutigen Anspielungen auf die unappetitlichen Vorgänge der Walpurgisnacht gespart. Lovecraft hingegen bemüht sich nach Kräften, den sexuellen Ausgangspunkt seiner Geschichte möglichst rasch vergessen zu machen. Was sich zwischen Lavinia und dem widerwärtigen Yog-Sothoth abgespielt haben mag, bleibt viel zu nebulös und unwirklich, um die Fantasie des Lesers zu entzünden. Dass Sex auch hier mit Degeneration im Zusammenhang steht – die Whateleys sind dekadente Nachkommen ehemaliger Kleinadeliger und die Vermischung mit Yog-Sothoth ist so etwas wie der krönende Abschluss des jahrhundertelangen Niedergangs ihrer Sippe – scheint deshalb kaum von zentraler Bedeutung zu sein. Dennoch spielt das Thema Sexualität auf einer abstrakteren Ebene meiner Ansicht nach auch hier eine wichtige Rolle.
An dieser Stelle kommt erneut Arthur Machen ins Spiel.  Nicht ohne Grund wohl spielt Lovecraft auf dessen Roman The Great God Pan an. Als Wilbur in der Universitätsbibliothek in Arkham das Necronomicon auszuleihen versucht, macht sich der Bibliothekar Dr. Armitage so seine Gedanken über den merkwürdigen Besucher:
He thought of Wilbur, goatish and ominous, once again, and laughed mockingly at the village rumours of his parentage.
“Inbreeding?” Armitage muttered half-aloud to himself. “Great God, what simpletons! Shew them Arthur Machen’s Great God Pan and they’ll think it a common Dunwich scandal! But what thing – what cursed shapeless influence on or off this three-dimensioned earth  – was Wilbur Whateley’s father? Born on Candlemas  – nine months after May-Eve of 1912, when the talk about the queer earth noises reached clear to Arkham  – What walked on the mountains that May-Night? What Roodmas horror fastened itself on the world in half-human flesh and blood?”

Machens Roman erzählt auf suggestive und zum Teil sehr verstörende Weise von der Furcht der viktorianischen Gesellschaft vor den entfesselten Kräften der Sexualität. Er beginnt mit einer Gehirnoperation, die an einer jungen Frau vorgenommen wird, und die bewirken soll, dass diese die unter der Oberfläche der Welt verborgene Wirklichkeit wahrnehmen kann – jene Naturkräfte, die die Alten in Gestalt des Gottes Pan verehrten und fürchteten. In Folge der Prozedur wird die Frau schwachsinnig, schenkt jedoch neun Monate später einer Tochter das Leben. Im weiteren Verlauf der Erzählung erfahren wir aus den Berichten unterschiedlicher Personen, wie das Mädchen – Helen Vaughan – zu einer wunderschönen, aber irgendwie unheimlichen jungen Frau heranwächst und reihenweise Männer ins Verderben, in Wahnsinn und Selbstmord stürzt. Die ‘fürchterlichen Schandtaten’, zu denen Helen ihre Verehrer verleitet, sind ohne Zweifel sexueller Natur, auch wenn Machen sich dabei ganz bewusst auf verschwommene Andeutugen beschränkt.
Nun sind ganz sicher weder Wilbur noch sein monströser Bruder in dem gleichen Sinne wie Helen Vaughan Verkörperungen von Sinnlichkeit und Sexualität. An ihnen ist nichts verführerisches, sie sind einfach bloß widerwärtig. Und doch lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen und Machens ‘Heldin’ ausmachen – abgesehen davon, dass sie alle drei keinen menschlichen Vater haben. Der gehirnchirurgische Eingriff am Anfang von The Great God Pan ist ja tatsächlich erfolgreich. Die junge Frau sieht die wahre Beschaffenheit der Welt, sie wirft einen Blick auf die unmenschlichen Kräfte, die die Natur beherrschen, und diese Erkenntnis raubt ihr den Verstand. Betrachtet man den weiteren Verlauf der Geschichte, so wird deutlich, dass Machen den Sexualtrieb zu den bedrohlichsten dieser Kräfte zählt. Trotz all des magischen Brimboriums – Walpurgisnacht, Beschwörungsformeln, Opfer – ließe sich die Begegnung Lavinias mit Yog-Sothoth auf dem Sentinel Hill durchaus mit der Hirnoperation vergleichen. In beiden Fällen findet eine Konfrontation mit der fürchterlichen Wahrheit statt, die sich hinter der scheinbar so geordneten Welt verbirgt. Und wie Machens Gott Pan repräsentieren auch Lovecrafts Große Alte die ungezügelte Macht des Triebhaften. Zumindest ist das ein Aspekt ihres Wesens. Als Produkte dieses Zusammentreffens verkörpern sowohl Helen Vaughan als auch Lavinias Kinder das Eindringen dieser zerstörerischen Gewalten in die Welt der Menschen.
 Dies wird vielleicht noch etwas deutlicher, wenn man sich die Gegenspieler der Whateley-Sippe anschaut. The Dunwich Horror ist die einzige Lovecraft-Geschichte, in der es so etwas wie einen klassischen Kampf ‘Gut gegen Böse’ gibt. Um so wichtiger ist, wer hier die Rolle der Verteidiger der Menschheit übernimmt. Als Dozenten der Miskatonic-Universität sind Dr. Armitage, Prof. Rice und Dr. Morgan exemplarische Vertreter jener vernunftorientierten und gebildeten Elite, die Lovecraft in seinen politischen und sozialen Reflexionen stets dem triebhaften Mob entgegenstellt. Wilbur Whateley hingegen zeichnet sich durch seine "mixed occult erudition and general illiteracy" aus. Anders als etwa bei Clark Ashton Smith sind Zauberer bei Lovecraft meist keine kultivierten Aristokraten, die in Schlössern leben, sondern primitive Hinterwälder, die bevorzugt in halb eingestürzten Häusern oder vermoderten Katen hausen und sich mit viel Dreck und schimmligen Büchern umgeben.
In seinem Buch The Philosophy of H. P. Lovecraft vertritt Timo Airakinsen die These, in The Dunwich Horror gehe es um "a cultural struggle between the familial, fecund and religious Whateleys and the clinical, bureaucratic and rigid academics of Miskatonic" (4) Gegen diese Interpretation ließe sich manches einwenden. So bilden die Whateleys zwar tatsächlich eine Sippe, doch der Umstand, dass Wilbur offenbar seine eigene Mutter tötet und auch seine Großmutter einen "unexplained death by violence" gefunden hat , spricht nicht eben für ihren Familiensinn. Und was das angeblich ‘klinische’ Leben der Akademiker betrifft, so hat Dr. Armitage eine Frau – für einen lovecraftschen Helden beinah eine kleine Sensation. Trotzdem denke ich, dass Airakinsens Ansatz gar nicht so falsch ist. Die dizipliniert arbeitenden, in geordneten Verhältnissen lebenden Intellektuellen aus Arkham sind tatsächlich die Repräsetanten der Zivilisation, denen in den Whateleys das Produkt von Degeneration und Barbarei gegenübersteht. Dunwich gleicht in vielerlei Hinsicht Innsmouth. Die heruntergekommenen Bewohner des Dorfes leiden zwar selbst unter dem Treiben der monströsen Kreatur, doch ihr verrottetes Gemeinwesen, in dem alle Regeln von Anstand, Gesetz und Moral zerbrochen sind, ist der Misthaufen, auf dem dieses Ungetüm herangewachsen ist.
Dass die Whateley-Brut im Gegensatz zu den kopflastigen Akademikern das Sinnenverhaftete und Triebhafte verkörpert, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in ihrem Aussehen. Von Wilbur heisst es: "He was, however, exceedingly ugly despite his appearance of brilliancy; there being something almost goatish or animalistic about his thick lips, large-pored, yellowish skin, coarse crinkly hair, and oddly elongated ears." Da mag man noch an die klassischen Bilder von Satyr und Teufel denken. Doch über das, was sich unter seiner Kleidung verbirgt, bekommen wir später zu lesen:
Below the waist, though, it was the worst; for here all human resemblance left off and sheer phantasy began. The skin was thickly covered with coarse black fur, and from the abdomen a score of long greenish-grey tentacles with red sucking mouths protruded limply. Their arrangement was odd, and seemed to follow the symmetries of some cosmic geometry unknown to earth or the solar system. On each of the hips, deep set in a kind of pinkish, ciliated orbit, was what seemed to be a rudimentary eye; whilst in lieu of a tail there depended a kind of trunk or feeler with purple annular markings, and with many evidences of being an undeveloped mouth or throat.
Ist es gar zu freudianisch, bei schmatzenden Tentakeln, die aus dem Unterleib einer Kreatur heraushängen, an Sexuelles zu denken? Und erwecken die zahllosen Münder nicht zugleich die Vorstellung von Schmecken, Besabbern und Verschlingen und damit von primtiver Sinnenhaftigkeit? Natürlich ist das keine bewusste Symbolik. Doch vergessen wir nicht, dass Lovecraft die Inspiration für seine Monstren nicht selten aus seinen Träumen bezog. Nicht zufällig wohl stellt er der Erzählung ein Zitat aus Charles Lambs Essay Wiches and Other Night-Fears voran, in dem sich der englische Romantiker u.a. mit den Alpträumen seiner Kindheit beschäftigt:
Gorgons, and Hydras, and Chimaeras – dire stories of Celaeno and the Harpies – may reproduce themselves in the brain of superstition – but they were there before. They are transcripts, types – the archetypes are in us, and eternal. How else should the recital of that which we know in a waking sense to be false come to affect us at all?
Wir dürfen also wohl davon ausgehen, dass Wilbur Whateley mehr ist als ein besonders groteskes Ungetüm.
Lavinias zweites Kind zeichnet sich im Gegensatz zu der wenigstens noch ansatzweise humanoiden Gestalt seines Bruders vor allem durch seine Formlosigkeit aus.Wie einer der Dorfbewohner bei seinem Anblick ausruft: "nothin’ solid abaout it – all like jelly, an’ made o’ sep’rit wrigglin’ ropes pushed clost together".  Die Auflösung jeder festen Struktur ist in Lovecrafts ‘Phänomenologie des Grauens’ das Endprodukt des Verfalls. Seine fürchterlichsten Ungeheuer sind stets gallertartig. Doch zumindest verfügt das Monstrum über "ten or twenty maouths or trunks a-stickin’ aout all along the sides, big as stovepipes, an’ all a-tossin’ an’ openin’ an’ shuttin’". Genau in diesem interessanten Detail besteht also Familienähnlichkeit mit Wilbur. Von Intelligenz hingegen ist nichts zu spüren. Die groteske Kreatur, die nach Einschätzung ihres Bruders nicht viel "earth brain" besitzt, scheint nur einen Antrieb zu kennen: Das Verlangen nach Nahrung. Wenn Wilbur einen verschlagenen Eindruck macht, so ist dafür sein menschliches Erbteil verantwortlich. Sein Zwilling wirkt einfach nur monströs.
Yog-Sothoth und seine Artgenossen dürften ihm in dieser Hinsicht gleichen, sie sind triebgesteuerte Bestien und keine schlauen Verführer. Das Verbrechen der Whateleys besteht darin, dass sie diesen Kräften des Geistlos-Animalischen einen Zugang zu unserer Welt öffnen wollen: "the beings those Whateleys were so fond of – the beings they were going to let in tangibly to wipe out the human race and drag the earth off to some nameless place for some nameless purpose." Nach der Vernichtung der Menschheit sollen nur noch Kreaturen wie Lavinias zweites Kind gemeinsam mit den Großen Alten die Welt bevölkern.
Warum der alte Whateley die abscheulichen Wesen ‘von draußen’ bei ihrem Vorhaben unterstützt, ist eigentlich nicht recht nachzuvollziehen, denn auf einer vom Menschen ‘gereinigten’ Erde, wie Wilbur es nennt, wäre natürlich auch für solche wie ihn kein Platz mehr. Zwar ist mehrmals in der Erzählung von antiken Goldmünzen die Rede, mit denen der Hexer seine Rechnungen begleicht und deren Herkunft niemand zu nennen weiß, und wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die Großen Alten ihm den Fundort dieses Schatzes verraten haben. Aber reicht das aus, um sein ganzes Leben dem Ziel der Ausrottung der Menschheit zu widmen und dafür auch die eigene Tochter zu opfern?
Denselben scheinbaren Haken weisen viele von Lovecrafts Geschichten auf. Es gibt einfach kein glaubwürdiges Motiv, warum irgendjemand die hirnlosen Götter des Cthulhu-Mythos bei ihrem zerstörerischen Werk unterstützen sollte. Diese Kreaturen scheinen wenig geeignet, einem die Vorteile zu verschaffen, die man sich für gewöhnlich von einem Pakt mit dem Teufel verspricht. Unter den Großen Alten wird man keinen Mephisto und keinen Samiel finden.
Doch die Frage ist letztlich falsch gestellt. Lovecrafts Geschichten gehorchen einer anderen Logik. Ein Mann wie Whateley will Yog-Sothoth nicht deshalb ein Tor in unsere Welt öffnen, weil er sich dadurch irgendeinen Gewinn verspricht, sondern weil die Großen Alten in Reimform das verkörpern, was ihn selbst auszeichnet. Ganz Dunwich steht für den Zerfall aller überkommenen Ordnung und Moral. Die Whateleys sind ein besonders reines Produkt dieses krankhaften Milieus. Lavinias monströse Kinder stehen am Ende einer Entwicklung, die nicht erst mit dem alten Hexenmeister begonnen hat. Der selbstzerstörerische Zug im Handeln des alten Whateley ist aber nicht nur auf diese eher abstrakte Weise folgerichtig, er ist selbst Ausdruck der Dekadenz. Wer die Ordnung der Gesellschaft zerstören will, der arbeitet – ob bewusst oder unbewusst – auf die allgemeine Vernichtung hin, denn er will die animalischen Urgewalten im Menschen entfesseln. Dem Triumph der Anarchie aber werden auch auch die Anarchisten zum Opfer fallen.
So zumindest sah es der selbsternannte Aristokrat Howard Phillips Lovecraft.


(1) Ein weiteres Beispiel wären die degenerierten Bewohner des Dorfes Chorazin [eine Anspielung auf M.R. James’ Count Magnus] in The Diary of Alonzo Typer, allerdings bin ich mir nicht sicher, wie groß der Anteil HPLs an der 1935 entstandenen Geschichte ist, die als eine Kooperation zwischen ihm und William Lumley gilt.
(2) Wikipedia zufolge stellt Dunwich nach Lovecrafts eigenen Angaben "a vague echo of the decadent Massachusetts countryside around Springfield –  say Wilbraham, Monson and Hampden" dar.
(3) H. P. Lovecraft: Selected Letters. Bd. I. S. 315. Vgl.: contrasoma.com/writing/lovecraft.html
(4) Zit. nach: Bruce Lord: The Genetics of Horror: Sex and Racism in H. P. Lovecraft’s Fiction.