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Donnerstag, 25. Oktober 2012

"Happy Day"

Nachdem mein Versuch, mich mit Merlin ausnahmsweise einmal einer verhältnismäßig aktuellen Produktion zu widmen, gescheitert ist,  bin ich erneut in die Archive der Vergangenheit hinabgestiegen, um mich dort nach etwas sehens- und berichtenswertem umzuschauen. Und glücklicherweise liegen dort noch genug Schätze, die nur darauf warten, entdeckt, abgestaubt und ans Tageslicht befördert zu werden.

In den 70er Jahren produzierte das britische Fernsehen offenbar eine ganze Reihe phantastischer Kinderserien, über die Stewart Lee in einer  Sendung für BBC Radio 4 so vielversprechende Dinge zu sagen hatte, wie: "Weird and wonderful [...] decadent, psychedelic madness [...] their outrageous and convoluted plot-lines seemed ridden with shaggy counter-cultural concerns". Das klingt doch nach einem lohnenswerten Feld für weitere Forschungen, oder?
Als Kronjuwel dieser Ära gilt die 1977 ausgestrahlte, siebenteilige Serie Children of the Stones, die im Rufe steht, eine der unheimlichsten Kindersendungen zu sein, die je produziert wurde. Und was das betrifft, kann ich nur sagen: Hätte ein paar Jahre später einer unserer heimischen Kanäle eine deutsche Fassung davon ausgestrahlt, meine Kindheit wäre ohne Zweifel um einige Alpträume reicher gewesen. Man braucht sich bloß Sidney Sagers bizarre Titelmusik anzuhören:*


Und zu diesen Klängen stelle man sich die Stehenden Steine von Avebury vor, aufgenommen aus besonders extremen, beunruhigenden und grotesken Winkeln. Allein dieser Vorspann hätte schon ausgereicht, um meine {zugegebenermaßen etwas überempfindliche} kindliche Psyche mit Grauen zu erfüllen.
Es wird berichtet, Regisseur Peter Graham Scott habe nach der Lektüre des Drehbuchs für die erste Episode ausgerufen: "And this is for children?" Grund hierfür war jedoch nicht allein das Unheimliche der Handlung, sondern mehr noch deren außergewöhnliche Komplexität. Auch verzichtet die Serie völlig auf den in Kindersendungen so verbreiteten leicht herablassenden, paternalistischen Tonfall. Die Geschichte wird ganz in Augenhöhe des jungen Publikums erzählt. Nach irgendeiner alles erklärenden, unfehlbaren Autoritätsperson hält man umsonst Ausschau.

Der Astrophysiker Adam Brake und sein Sohn Matthew kommen nach Milbury, einem Ort, der im Inneren eines megalithischen Steinkreises angelegt wurde. Brake will die physikalischen Eigenschaften der Stehenden Steine wissenschaftlich untersuchen. Schon am ersten Tag in dem neuen Zuhause wird Matthew von dem seltsamen Obdachlosen Dai, der in einem "das Heiligtum" ("Sanctuary") genannten ehemaligen Hügelgrab haust, vor einer ominösen Gefahr gewarnt, die ihm hier drohe und die etwas mit den Steinen zu tun habe. Tatsächlich weisen die Menhire scheinbar unerklärliche elektromagnetische Eigenschaften auf. Sehr viel beunruhigender ist jedoch das eigentümliche Verhalten der Dorfbewohner. Alle, die schon etwas länger hier leben, bilden eine verschworene Gemeinschaft, die von sich selbst als den "happy ones" spricht. Ihre Kinder zeichnen sich durch außergewöhnliche mathematische Talente aus. Sie selbst legen häufig eine irgendwie hohl wirkende Fröhlichkeit an den Tag. Ihr Oberhaupt ist der örtliche "Lord of the Manor" Rafael Hendrick; ein ehemaliger Astronom, der seinen Ruhm der Entdeckung eines Schwarzen Lochs im Sternbild Großer Bär verdankt, und der hierhergezogen ist, nachdem er erfahren hatte, dass die Stehenden Steine von Milbury auf eben jenen Punkt am Himmel ausgerichtet sind, an dem vor Jahrtausenden die Supernova zu sehen war, in der 'sein' Schwarzes Loch geboren wurde. Gemeinsam mit der gleichfalls erst vor kurzem zugezogenen Museumskuratorin Margaret und ihrer Tochter Sandra versuchen Adam und Mathhew, das Geheimnis von Milbury zu lüften und gleichzeitig zu verhindern, dass sie selbst zu "happy ones" werden.

Warum sich auch erwachsene Freundinnen & Freunde des Phantastischen dieses kleine Juwel unter den britischen Kinderserien auf keinen Fall entgehen lassen sollten? Dafür gibt es eine ganze Reiher guter Gründe.
Zuerst einmal hätten wir da eine Riege von zum Teil wirklich ausgezeichneten Schauspielern. Neben den Kinderdarstellern Peter Demin (Matthew), Katharine Levy (Sandra) und Gary Lock (Jimmo) wären da u.a. Gareth Thomas, der ein Jahr später die Titelrolle in der {nicht uninteressanten} SciFi-Serie Blake's 7 übernehmen sollte, als Adam Brake; der fantastische {wenn auch schwer verständliche} Freddie Jones als Dai; und in konkurrenzloser Spitzenposition Iain Cuthbertson, der der Figur des Rafael Hendrick eine ebenso unheimliche wie zwiespältige Ausstrahlung zu verleihen versteht.
Vor allem jedoch ist Children of the Stones im besten Sinne des Wortes "weird". Sagers gespenstische, dissonante Musik; eine kunstvolle Cinematografie; und eine streckenweise {vor allem in den Nachtszenen} leicht psychedelische Farbgebung verleihen der Serie eine intensive und beunruhigende Atmosphäre.
Die von Jeremy Burnham und Trevor Ray entwickelte Story weist sowohl Anklänge an den klassischen britischen SciFi-Horror (Village of the Damned; Quatermass) als auch an den sog. "Folk Horror" auf. Aus gutem Grund haben einige Kritiker der Serie den Spitznamen "The Wicker Man for Kids" verpasst. Wie in Robin Hardys genialem Film aus dem Jahre 1973 spielen auch in Children of the Stones folkloristische Motive eine wichtige Rolle. Am augenfälligsten sind die Morris-Tänze auf dem Dorfanger. Außerdem erwähnt Margaret an einer Stelle den alten Brauch des "Clipping the Church". Und auch auch bei den "Ley Lines" sollte man nicht nur an Esoterik denken, entstammt diese Vorstellung doch ursprünglich dem Bereich der Hobbyarchäologie, nicht des Mystizismus. Eine noch deutlichere Parallele zu The Wicker Man besteht darin, dass es in beiden Fällen um heidnische Kulte und ihre Wiederauferstehung geht. Rafael Hendrick und Lord Summerisle besitzen manches gemeinsam.
Trotz dieser Verwandtschaftsbeziehungen ist Children of the Stones ein höchst originelles Werk. In symbolischer Übereinstimmung mit dem Kreis der Stehenden Steine liegt der Geschichte die Vorstellung von einem Kreislauf sich ewig auf beinahe gleiche Weise wiederholender Ereignisse zugrunde, die sich in Milbury abspielen. Dieses Konzept wird jedoch nie im Detail ausgeführt, und nicht alle Ereignisse fügen sich ihm nahtlos ein oder finden in ihm seine Erklärung. Vieles bleibt mysteriös. War es wirklich nur ein Zufall, dass Matthew das eigenartige Gemälde des Steinkreises gefunden hat? Woher stammt das Bild? Warum verfügen die "happy ones" ausgerechnet über gesteigerte mathematische Fähigkeiten? Welche Rolle genau spielt Dai? Was hat es mit seinem Amulett auf sich und warum trägt einer der Steine dasselbe Schlangensymbol? Worin besteht seine Beziehung zu dem vor Jahrzehnten zu Tode gekommenen Bader? Solche offenen Fragen und lediglich angedeuteten Verbindungen verstärken noch den phantastischen, fast ein wenig alptraumhaften Charakter der Serie.
Children of the Stones ist verschiedentlich als eine Geschichte über Konformismus und Individualität, Aberglauben und Vernunft gedeutet worden. Auf den ersten Blick bietet sich eine solche Interpretation fraglos an. Doch bei genauerer Betrachtung kommen mir in dieser Hinsicht Zweifel. Ist Hendrick wirklich nur der Bösewicht? Ist seine Gemeinschaft der 'happy ones' tatsächlich der emotionslose Alptraumkult, den Adam und Matthew in ihm sehen? Und wenn dem so ist, warum bemühen sich die beiden nicht stärker darum, ihre Freundinnen Margaret und Sandra davon zu überzeugen, sie bei ihrer Flucht aus Milbury zu begleiten? In seiner Ambiguität unterstreicht das Ende noch einmal, was den besonderen Reiz dieser Serie ausmacht.
Hier muss jeder seine eigenen Antworten finden. Oder aber er verzichtet auf eindeutige Lösungen, was ich persönlich ja sehr viel reizvoller finde.

Ohne deshalb gleich einen Sermon darüber anstimmen zu wollen, dass früher sowieso alles besser gewesen sei, kann ich nicht umhin, mich zu fragen, ob das Fernsehen heutzutage noch phantastische Abenteuerserien für Kinder produzieren lassen würde, die sich durch ein so hohes Maß an künstlerischer Qualität und Intelligenz auszeichneten wie Children of the Stones. Ich fürchte, die Antwort müsste wohl "nein" lauten. Ein Grund mehr, einen kleinen Abstecher in die Vergangenheit zu unternehmen {und sich dabei von 70er Jahre - Klamotten und - Frisuren nicht abschrecken zu lassen}. Als kleiner Appetitanreger zum Abschluss deshalb die ersten zehn Minuten von Episode 1: "Into the Circle":


Und so bleibt mir nichts weiter übrig als zu sagen:
Happy Day, Ladies and Gentlemen!


* Dass mit den Ambrosian Singers einer der berühmtesten Chöre Londons für die Musik verpflichtet wurde, zeigt einmal mehr, welch hohe künstlerische Standards im britischen Fernsehen jener Zeit herrschten.

2 Kommentare:

  1. Erinnert sich hier jemand noch an "The Moon Stallion"? Davon lief um 1980 herum eine deutsche Fassung, die mich als Knirps sehr beeindruckt hat.

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  2. Muss ich leider verneinen, aber die paar Informationen, die sich bei imdb dazu finden, haben mich doch neugierig gemacht. Könntest du vielleicht noch ein bisschen mehr darüber erzählen?

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