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Donnerstag, 26. Juli 2012

"It's a queer business"

Meine bisherigen Abstecher in die Welt des britischen Horrorfilms beschränkten sich ja ausschließlich auf Produktionen von Amicus. Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass wir uns endlich auch einmal Hammer, der eigentlichen Geburtsstätte des Brit-Horrors, zuwenden.*

Im Unterschied zu seinem jüngeren Konkurrenten konzentrierte man sich dort vornehmlich auf die Wiederbelebung der klassischen Figuren aus der goldenen Universal-Ära der 30er und 40er Jahre: Graf Dracula, Frankenstein & sein Monster, die Mumie, das Phantom der Oper, Dr. Jekyll & Mister Hyde usw. Einige wie Dracula und Frankenstein beglückte man über die 60er Jahre mit einer nicht enden wollenden Reihe von Sequels. Erst Anfang der 70er nahm man sich dann mit Le Fanus Carmilla eines klassischen Stoffes an, der aufgrund seines für damalige Verhältnisse heiklen Themas (die lesbische Vampirin) bisher noch nie verfilmt worden war. Daneben versuchte man auch altbekannten Geschichten einen neuen Dreh zu verleihen. In beiden Fällen diente ein Bisschen nacktes Fleisch als zusätzlicher Publikumsköder.  Das bekannteste Beispiel für die letztere Masche dürfte Roy Ward Bakers Dr. Jekyll and Sister Hyde aus dem Jahre 1971 sein.

Keine Angst, der Film besitzt keinerlei Ähnlichkeit mit David Price' misogynem Mist Dr. Jekyll and Ms. Hyde. Allerdings bleibt die Idee, dem bösen zweiten Ich des Doktors die Gestalt einer Frau zu verleihen, so oder so reichlich abstrus, wie bereits der Trailer zu Bakers Streifen zeigt:


Und dennoch ist dies ein recht neckischer Hammer-Film, dessen Kultstatus mir zwar nicht ganz verständlich ist, den anzuschauen jedoch keinen verschwendeten Abend bedeutet. Verantwortlich dafür sind nicht nur Bakers erfahrene Regie, an der wir uns ja bereits bei The Vault of Horror erfreuen durften, sowie die hübsch düstere Atmosphäre eines nebligen viktorianischen London, sondern vor allem die hervorragenden schauspielerischen Leistungen praktisch aller Beteiligten.

Mit Robert Louis Stevensons Geschichte hat das Ganze freilich nur noch wenig zu tun. Jekylls Ziel ist es nicht, das Böse und das Gute im Menschen voneinander zu trennen, sondern eine Art Unsterblichkeitsserum zu entwickeln. Den Grundstoff hierfür glaubt er in den weiblichen Hormonen gefunden zu haben. Dabei stellen sich sehr schnell zwei Probleme ein. Zum einen braucht er immer mehr Leichen junger Frauen zur Rohstoffgewinnung, zum anderen verlängert das Serum nicht bloß die Lebenserwartung, sondern verändert für eine gewisse Zeit auch das Geschlecht eines männlichen Probanten. Wie jeder ordentliche verrückte Wissenschaftler unternimmt natürlich auch der gute Doktor Selbstversuche, was zur 'Geburt' von Edwina Hyde führt, die er bei Nachbarn und Freunden im Nachhinein als seine Schwester einführt. Im Unterschied zu Stevensons Mr. Hyde ist sie kein brutales, triebgesteuertes Ungeheuer. Gleichen tun sich die beiden allerdings insofern, als auch Edwina schon bald die alleinige Kontrolle über Jekyll/Hyde zu gewinnen versucht. Das eigentliche Problem stellt jedoch vorerst der nötige Nachschub an toten Frauen dar, den das örtliche Leichenschauhaus schon bald nicht mehr zu liefern vermag. Fürs erste wendet sich Jekyll dafür an Burke und Hare, zwei berüchtigte historische Mörder und Leichenräuber, deren Treiben der Film vom Edinburgh der 1820er Jahre ins spätviktorianische London verlegt hat. Als dann allerdings Burke von der Bevölkerung von Whitechapel gelyncht und Hare geblendet wird, sieht sich der gute Doktor gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und beginnt, junge Prostituierte zu ermorden und auszuweiden. Kurz gesagt: Er wird Jack the Ripper! Jaaa, dieser Film ist schon recht bizarr ... Um den Verdacht seines Freundes Professor Roberston von sich abzulenken, lässt Jekyll die Morde schließlich von 'Sister Hyde' verüben. Die hat dabei keine Skrupel (schließlich geht es um ihre fortgesetzte Existenz), sondern schickt kurzerhand auch den Professor in die Ewigen Jagdgründe. Wie jede Jekyll & Hyde - Geschichte kulminiert auch diese am Ende in einem Kampf zwischen den beiden Persönlichkeitshälften und im Tod des Protagonisten.

Wie gesagt sind es vor allem die Schauspielerinnen und Schauspieler, die diesen Film zu einer amüsanten Unterhaltung machen. Als Führungsquintett hätten wir da Ralph Bates, der nach The Horror of Frankenstein einmal mehr den fanatischen und gequälten Wissenschaftler spielt; Martine Beswick (wohl am bekanntesten aus From Russia with Love und dem 'Caveman'-Flick One Million Years B.C.) als eiskalte, verführerische und wunderbar bösartige Edwina Hyde; Susan Brodrick, die in Countess Dracula die Kammerzofe der blutsaugenden Ingrid Pitt gespielt hatte, gibt Jekylls naive und fürchterlich 'unschuldige' Nachbarin Susan, die sich natürlich unsterblich in den guten Doktor verliebt; Lewis Fiander, Veteran zahlreicher TV-Serien der 60er, brilliert als deren reichlich widerlicher Bruder Howard; und der erfahrene Gerald Sim schließlich gibt Professor Roberston als einen schleimigen, eingebildeten Widerling, was so gar nicht zu dessen 'offizieller' Rolle als 'Streiter wider das Böse' passen will.

Mit der Verwandlung von Hyde in eine Frau nimmt sich der Film allerdings von vornherein die Möglichkeit, das eigentliche Thema von Stevensons Erzählung aufzugreifen. 'Sister Hyde' kann nicht für Jekylls von einer repressiven und heuchlerischen Moral unterdrückten Triebe stehen. Sie eröffnet ihm nicht die Möglichkeit, all jene Begierden auszuleben, die er sich als viktorinanischer Gentleman versagen muss. Es sei denn, wir würden annehmen, der gute Doktor setze mit seiner Wunderdroge eine unterdrückte Transsexualität frei. Und tatsächlich gibt es einige Szenen, die einer solchen Interpretation entgegenkommen würden, so etwa, wenn die 'weibliche' Hyde-Persönlichkeit kurzzeitig auch im männlichen Körper die Oberhand gewinnt und Jekyll sich entsprechend verhält und von sich selbst als Edwina spricht. Natürlich ließe sich dieses Element einfach als Beispiel für die von Hammer zu Beginn der 70er Jahre verfolgte Strategie verstehen, ihre Filme ein bisschen 'anrüchig' und 'sexy' zu machen, um auf diese Weise den zurückgehenden Umsatz an den Kinokassen neu zu beleben. Aber ist diese zynische Erklärung zwingend? Könnte sich daneben nicht vielleicht doch etwas mehr hinter all dem verbergen? Ich bin mir nicht sicher, auf jedenfall ist das Motiv wenn überhaupt nur angedeutet, nicht ernsthaft ausgearbeitet worden. Und so verhält es sich im Grunde mit allen ernsthafteren Ideen, die hie und da in Doctor Jekyll and Sister Hyde aufscheinen.

Naheliegenderweise spielen Genderverhältnisse eine wichtige Rolle. Es dürfte wohl kaum ein Zufall sein, dass praktisch alle männlichen Figuren extrem unsympathisch gezeichnet sind, insbesondere was ihr Verhalten gegenüber Frauen betrifft. So unternimmt Professor Roberston wie für einen Gentleman der Zeit nicht unüblich offenbar regelmäßig Abstecher in die Bordelle von Whitechapel. Daneben hat man den Eindruck, dass ihm beim Anblick jeder hübschen Frau – ganz gleich, ob es sich dabei um die tugendhafte Susan oder um die verruchte Edwina handelt – der Speichel aus den Mundwinkeln zu fließen beginnt. Nicht viel besser benimmt sich Susans Bruder Howard, dem es zudem großen Spaß zu bereiten scheint, seine Schwester abwechselnd zu verspotten und zu bevormunden. Am gruseligsten aber wirkt in dieser Hinsicht der von Philip Madoc ganz wunderbar gespielte Byker, der im Leichenschauhaus arbeitet, und auf den weibliche Leichen ganz offenbar eine erotische Anziehung ausüben. Wenn hier also scheinbar alle Männer in Frauen ausschließlich 'Beute' sehen, so erscheint Jekylls mörderisches Treiben als Jack the Ripper im Grunde nurmehr als eine Extremform dieses 'ganz norrmalen' Verhaltens, und man beginnt sich zu fragen, ob Edwina nicht eigentlich die sympathischere der beiden ist? Sie ist ohne Zweifel skrupellos und manipulativ, aber anders als die übrigen Fauen, lässt sie sich nicht zum Opfer oder zum Spielobjekt machen. Und schließlich ist es Jekyll, nicht sie, der für die meisten Mordtaten verantwortlich ist. Aber letztenendes ist auch dieses Motiv nicht konsequent ausgeführt worden.

Dem ganzen Film haftet etwas irgendwie amorphes und unvollständiges an. Ihm fehlt eine zentrale Idee, um die herum die Handlung hätte angeordnet werden und aus der heraus sie ihre Dynamik hätte beziehen können. Doch der erste Eindruck, Baker habe das Potential seiner Geschichte verschwendet, erweist sich bei genauerem Überlegen als falsch. Es ist die Jekyll & Hyde - Story selbst, die jeder ernstzunehmenderen Beschäftigung mit Genderfragen einen Riegel vorschiebt. Sie ist einfach nicht das geeignete Vehikel hierfür. Und so bleibt Edwina am Ende doch bloß ein etwas absurder Einfall, der dem alten Klassiker zwar eine neue Wendung verpasst, aber keine neuen Möglichkeiten der Interpretation eröffnet. Viel mehr als einen nett unterhaltsamen Filmeabend wird einem Dr. Jekyll and Sister Hyde deshalb nicht bescheren können.     

 
* In der aktuellen Ausgabe des Clarkesworld Magazine befindet sich nebenbei bemerkt ein interessanter Artikel von Mark Cole über den Beitrag, den Hammer im SciFi-Genre geleistet hat. Nicht, dass ich mit allem, was darin gesagt wird, übereinstimmen würde ...

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