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Mittwoch, 1. Februar 2012

Johnny und die Alten Mæren


Seit etlichen Wochen tobt nun bereits der vom inzwischen fast sprichwörtlich gewordenen John Asht ausgelöste Shitstorm durch die deutschsprachige Blogosphäre. Zu seinen Pöbeleien und Drohungen gegen Bloggerin Myriel  möchte ich mich gar nicht weiter äußern. Ebensowenig zu seinen paranoiden Verschwörungstheorien über die 'Literaturkriminalität im Internet'. Wen's interessiert, der möge hier oder hier reingucken, im Forum der Bibliotheka Phantastika vorbeischauen oder die neueste Ausgabe des Fandom Observer aufschlagen.  Meine Zeit ist mir zu kostbar, als dass ich mich ernsthaft mit jemandem auseinandersetzen wollte, der nicht nur egomanisch, beleidigend und frauenfeindlich ist, sondern scheinbar auch völkisch-neuheidnischen Kreisen angehört.* Allerdings wurde ich von der Diskussion dazu animiert, mich mal ein Bisschen auf der Website des 'urigen Naturliebhabers' umzuschauen.

Dort erfährt man, dass Asht nicht nur dem Irrglauben verfallen ist, geistreiche Aphorismen verfassen zu können,  sondern auch ein großer Verfechter der "natürlichen Rollenverteilung" zwischen Mann und Frau ist, denn die brauche eine "freie Nation, um als solche überhaupt weiterbestehen zu können". "Emantipation" und Feminismus hätten die "Deutsche Nation" zum Aussterben verurteilt und der "totalen Überfremdung" ausgeliefert. Frauen besäßen kein "von der Natur entsprechend gewickeltes Gehirn", um Erfindungen zu machen oder Unternehmen zu leiten. "Biologisch richtige tickende Frauen" sollten sich von ihrem "kosmischen ICH" leiten lassen ... und Mütter werden, zum Erhalt der NAZION, denn NAZION ist "Heimat + Tradition + Sitte + vertraute Mentalität = Geborgenheit". Ich sehe Johnny Asht bereits Mutterkreuze verteilen ...  Es sind  keine sonderlich appetitlichen Gefilde, in die man sich hier begibt ... Seine Lyrik freilich verbreitet Heiterkeit: "Buntes Blatt im Herbst / du hörst dein Sterben / mit knöchernem Ohr / den Nabel im Moor". Da capo, du stolzer Spross des Volkes der Dichter und Denker!

Doch schließlich stieß ich da auf einen Eintrag mit dem recht eigentümlichen Titel  'Burzenland - Burdsassenland der Kriemhild-Nibelungen'. Beim Lesen war mir dann abwechselnd zum Lachen, Weinen, Kotzen und Kreischen zumute.
Mich verbindet eine alte Liebe zum Nibelungenlied und ich reagiere deshalb besonders allergisch auf alle Versuche rechter Kreise, das mittelalterliche Heldenepos für ihre Ideen zu vereinnahmen. Und genau dieses Ziel verfolgt John Asht hier, wenn auch auf besonders bizarre Weise. Seine umfang-reichen "historischen und ethnologischen Recherchen" haben ihn nämlich zu der "ethnologischen Erkenntnis" geführt, dass die Nibelungen die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen gewesen sind!** Ein Drittel des Burgunderstammes habe sich nach der (natürlich rein fiktiven) Hochzeit Kriemhilds mit Hunnenkönig Attila/Etzel in Transsylvanien angesiedelt, um sich "wacker, wie kein anderer okzidentaler Stamm in der Fremde des Ostens, bis tief ins 20. Jahrhundert hinein" zu behaupten.
Ashts 'Argumentation' beginnt mit einer philologischen Merkwürdigkeit. Eigentlich müsste man den Germanenstamm 'Burdkunder',  nicht ‘Burgunder’ nennen: "Worms, im 5. Jahrhundert. In den damaligen Sümpfen der Rheinauen lebte das westfränkische Volk der Nibelungen (Nebel-Volk). Sie wurden auch Burdkunder (Burgunder) genannt - denn sie waren Kundige des Burd (Sumpf) also Sumpfkundige. Sie besaßen die Fähigkeit, Sumpfauen in fruchtbares Weide- und Ackerland zu verwandeln, weswegen man ihnen auch magische Kräfte zumaß - mystische Fabelwesen sollten ihnen dabei zu Hilfe gehen." Die nebligen Nibelungen lassen wir jetzt mal beiseite, aber dass ‘Burd’ ‘Sumpf’ bedeuten soll, ließ mich aufhorchen. In welcher Sprache? Ich war mir ziemlich sicher, dass das weder im Althochdeutschen noch im Mittelhochdeutschen der Fall ist. Ein kurzer Blick in die entsprechenden Wörterbücher bestätigte meinen Verdacht. Genauer gesagt, es gibt schon ein mittelhochdeutsches Wort ‘burd’, das aber bedeutet (ich zitiere G.F.Benecke/W.Müller/F.Zarncke): "ein von einem hengste und einer eselin gezeugtes pferd.( lat.burdo)." Ah ja ... Andere Formen des Germanischen vielleicht? Das lässt sich nachprüfen, wozu gibt es denn das wunderbare Internetportal Mediaevum? Ich machte mir also den Spaß gotische, altsächsische, altfriesische, altenglische und altnordische Wörterbücher zu durchforsten. Das Ergebnis? Nada. Vielleicht werde ich in einem Wörterbuch des Gemeingermanischen fündig? Fehlanzeige. Noch weiter zurück? Na schön, also stracks ins Indogermanische ... Doch wie zu erwarten, auch hier kein Eintrag. Aber Ashts Aufsatz ist ja angeblich bloß "die Kurzfassung eines umfangreicheren literarischen Werkes". Vielleicht würde man dort die philologische Aufklärung über die sumpfkundigen Burdkunder erhalten. Auch gestehe ich gerne ein, dass ich mich in fränkischen Dialekten nicht auskenne. Vielleicht gibt es da ja tatsächlich ein 'Burd' mit der Bedeutung Sumpf. Andererseits, was kann ich von einem Autor erwarten, der die Snorra-Edda "Sonorra-Edda" und die Völsungasaga "Volsungta-Saga" nennt, von "Protagonisten des Nibelungen-Goldes" spricht und offenbar nicht weiß, dass die nordische Nibelungenüberlieferung eine ältere stoffgeschichtliche Entwicklungsstufe widerspiegelt, in der nicht Gudruns/Kriemhilds Rachedurst, sondern Atlis/Attilas Goldgier zum Untergang der Gjukungen/Burgunder führt? Und wie habe ich die Fähigkeiten eines Schriftstellers zu beurteilen, der folgenden Satz zustande bringt: "Die Rache war vollbracht – die Sühne gesühnt"? Man kann ein Verbrechen sühnen, aber eine Sühne? Vielleicht meinte Asht Sünde, aber bei seiner heftigen Aversion gegen das 'semitische' Christentum scheint mir das eher unwahrscheinlich zu sein. 

Auf weitere Eigentümlichkeiten wie die Teutonischen Ritter, die Erklärung des Namens 'Siebenbyrgen' als 'Sieben-Mysterien' oder die transsylvanischen "Nebel- und Sumpfgeister" will ich gar nicht erst eingehen, denn um was es Asht in Wirklichkeit geht, erfahren wir in aller wünschenswerten Deutlichkeit z.B. aus folgender Passage über die Rumänen:
Die Wlachen (Flachlandbewohner) südlich von Siebenbyrgen verdingten sich in den osmanischen Türkenheeren als Janitscharen und Kundschafter. Sie selber nannten sich Rumannen, weil sie zum größten Teil von Rum (Rîm) abstammten, dem ehemaligen Byzanz (Ostrom), später Constantinopol, welches sie im 15. Jahrhundert fluchtartig verlassen mussten, weil die türkischen Osmanen die Stadt eingenommen hatten und sie ab da, Istanbul nannten. Sie vermischten sich südlich der Karpaten mit Kumanen, Petschenegen, Slawen sowie Nachkommen der ehemaligen römischen Sträflingskolonie 'Drobeta'.
Dieses Volk rückte nach und nach immer näher ans Burdsenland heran - sie tricksten die restlichen Tschangos aus und ermöglichten den Mongolen und Tataren Überfälle in Siebenbyrgen, eben weil sie dort ortskundig waren, indem sie bei den Burdkundern als Hilfskräfte angeheuert hatten. Die Burduzen (Burd-Sassen / ehemalige Burdkunder und Kriemhild-Nibelungen) nannte diese Scharen: 'Werbes' oder auch übersetzt 'Plagen' (Pliæch / Bliæch). Kronstadt förderte deren Ansiedlung, weil es billige Arbeitskräfte waren – doch diese hintergingen die Burduzen in jedem seither dahingegangenen Krieg systematisch - zuletzt in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Nach und nach ergatterten sie das ganze Burdsenland und Siebenbyrgen, wo sie jetzt als Nation herrschen."
Ach ja, die armen Deutschen hatten also schon im Mittelalter Ärger mit Gastarbeitern aus der Türkei. Und dass deren Nachfahren dann nicht in Scharen der Eisernen Garde (oder gleich der SS) beigetreten sind, war schon ganz schön hinterfotzig, was?!
Mir kommt gerade das Abendessen hoch ....
Ashts Aufsatz endet mit folgenden Reflexionen über die fatalen Folgen der Christianisierung der Germanen:
"Und ich frage mich, wie sich all die Burgunderstämme wohl entwickelt hätten, wenn ihnen nicht das Christentum die ethnisch geistigen Wurzeln entzogen hätte: Ewig verzeihen und immer nur noch eine weitere Wange hinhalten, war wohl doch nicht die optimale Lösung für die Selbstbehauptung eines tugendhaften Volkes - im Gegensatz zu solchen Völkern, die es nie genau genommen haben mit ihrem Glaubensbekenntnis, und die sich nur der eigenen Sündenbefreiung durch einen bereits Gekreuzigten bedienten, nur und nur zum Zwecke der Begehung von neuen Sünden mit trotzdem reinem Gewissen. Paradox!"
Dass die korrekte Handhabung der deutschen Sprache nicht eben zu den Stärken dieses Schrift-stellers gehört, dürfte inzwischen jedem klar sein. Ebenso jedoch, welche Botschaft er hier verbreiten will: Oh ihr edlen Germanenbrüder, lasst euch nicht von artfremdem Geschmeiß übermannen! Schluss mit Mitgefühl und Nächstenliebe! Ab Morgen wird zurückgeschossen!

Der Nibelungenstoff ist in der Neuzeit immer wieder Inspiration für bedeutende Kunstwerke wie Hebbels Dramentrilogie, Richard Wagners Ring, Fritz Langs Filme oder Heiner Müllers Germania Tod in Berlin gewesen. Mindestens ebenso oft ist er für völkische und faschistische Propaganda missbraucht worden. Und dass John Asht kein großer Künstler ist, zeigen uns die Texte, die er uns in seinem Blog serviert, zur Genüge.


* His Ashtness gewährt uns auf seiner Website Einblick in eines seiner 'hochliterarischen' Werke, das den Titel Maag Mell - Die friedlichen Gefilde trägt und mit folgendem Satz anhebt: "Vier Reiterscharen, gebildet aus je zehn Dutzend Firr Bolg, ritten in diesen Tagen vor dem großen Ostarafest in alle vier Himmelsrichtungen, weit hinaus in die Gefilde der Stämme, um die von den Heilern auserwählten jungen Männer zum Fest der Fruchtbarkeit abzuholen und an den Tullach na Coibche zu bringen – den Hügel, an dem die Braut dich holt." Ostarafest? Woran erinnert mich das doch gleich ... Ach ja, bei Germanentümlern ist es seit jeher beliebt, den Namen 'Ostern' auf ein heidnisches Fest zu Ehren der (praktisch nirgends belegten) Frühlingsgöttin Ostara zurückzuführen. Aber da war doch noch was anderes ... RICHTIG!  Die berüchtigten antisemitischen Schundblätter des Jörg Lanz von Liebenfels (auch so ein Mann mit übergroßem Ego und einem ordentlichen Sprung in der Schüssel): Ostara – Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler.
** Das Burzenland aus dem Titel ist eine Region in Siebenbürgen, benannt nach dem Fluss Burzen (rum. Bârsa; ung. Barca). In Wirklichkeit sind die Siebenbürger Sachsen Nachfahren von Einwanderern, die Mitte des 12. Jahrhunderts nach Transsylvanien kamen.

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