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Willkommen an Bord der "Liberator" – S03/E09: "Sarcophagus"

Ein Blake's 7 - Rewatch

[M]y overall plan, if time and continuance had allowed, was to have been to write in depth about all the characters – including the ship herself. Even the bothering Orac. (Those who know anything of my other work know robot psychology has never deterred me from leaping in headfirst.) 

Leider sollte Tanith Lee nie die Gelegenheit erhalten, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Dennoch müssen wir Chris Boucher auf ewig dankbar dafür sein, dass er die Schriftstellerin während der Vorbereitungsphase zur dritten Staffel aufforderte, ein Drehbuch zu Blake's 7 beizusteuern. Wie er auf die Idee kam, weiß ich nicht genau. Lee war zu diesem Zeitpunkt (1978/79) bereits eine recht berühmte SFF-Autorin, auch wenn die meisten ihrer Romane in Amerika bei Don & Elsie Wolheims DAW Books erschienen, seit sich ihr Sword & Sorcery Epos The Birthgrave (1976) für britische Verlage als zu "edgy" erwiesen hatte. Da Boucher selbst ein begeisterter SF-Leser war, darf man wohl annehmen, dass er ein Fan ihrer Bücher war und sich deshalb an sie wandte. Wie dem auch sei, auf jedenfall lief er mit diesem Ansinnen offene Türen ein, denn Tanith Lee war ihrerseits von Anfang an recht begeistert von Blake's 7 gewesen. Wie sie in einem Interview mit dem Fanzine Scorpio Attack erzählt hat:

I’d watched almost every episode from the first. After that first show, the nature of the programme seemed to change – the first was very dark, political – worrying. But then fantasy came in more definitely, and the adventures began. I enjoyed both aspects very much. I had, mostly unconsciously, been aware of other potential aspects in the characters that weren’t being used. Chris Boucher gave me the chance to explore these, or some of them. 

Und so schrieb Lee mit Sarcophagus ihr erstes TV-Drehbuch. Für Staffel 4 würde sie dann noch ein weiteres Script beisteuern.

Doch bevor wir uns die Episode ein wenig näher anschauen, eine kurze Vorbemerkung. Ich bin über ein paar Rezensionen gestolpert, in denen erklärt wird, Sarcophagus sei mehr Fantasy als Science Fiction. Ganz falsch ist das vielleicht nicht, aber ich frage mich dennoch, ob es ein bloßer Zufall ist, dass dies ausgerechnet über eine Folge geschrieben wird, deren Drehbuch von der einzigen Autorin verfasst wurde, die an Blake's 7 mitgewirkt hat. Hard SF war die Serie ohnehin nie, und man wird schwerlich behaupten können, eine Episode wie James Folletts Dawn of the Gods sei weniger "Fantasy". Ich erinnere kurz: Da ging's um einen luziferischen Gott, der in einem Schwarzen Loch wohnt, und dessen "Großwesir" im Kostüm eines Varieté-Magiers durch die Gegend stolziert ...  Sollte bei diesen Kommentaren also nicht vielleicht doch ein klein wenig das dumme alte Vorurteil mitschwingen, Frauen könnten keine Science Fiction schreiben?

Freilich besitzt Sarcophagus in der Tat einen sehr eigenen Ton. So beginnt die Episode mit einer etwa fünf Minuten langen, völlig dialogfreien und leicht surreal anmutenden Szene. Was für ein Ritual die silberhäutigen Robenträgerinnen da durchführen, bleibt vorerst mysteriös, doch werden dabei von ihnen drei maskierte Gestalten heraufbeschworen: Der Narr, die Musikantin und der Krieger. Schließlich erscheint ungerufen noch eine vierte, bedrohlich wirkende Figur, die von der zelebrierenden Priesterin aber rasch gebannt wird. Erst zum Abschluss wird klar, dass es sich bei dem Ganzen scheinbar um eine Begräbniszeremonie gehandelt hat.

Sprung auf die Liberator. Cally hat sich seit Stunden in ihre Kajüte verkrochen und hängt trübsinnigen Gedanken über ihre untergegangene Heimatwelt Auron nach. Als Avon kommt, um sie auf die Brücke zu rufen, erkennt er sofort, dass etwas nicht mit ihr stimmt. Und obwohl es ihm nie leicht fällt, seine wahren Gefühle für andere zu zeigen, versucht er ihr auf seine unterkühlte Art Trost zu spenden.

Schon diese kleine Szene zeigt, dass Tanith Lee ein gutes Gespür für die Figuren hatte. Sarcophagus ist im Grunde eine "Bottle Episode", die völlig auf den Auftritt irgendwelcher Gastcharaktere verzichtet. Wenn man von dem surrealen Prolog einmal absieht. Anders als bei solchen Episoden üblich, war der Grund dafür allerdings nicht Kostenersparnis. Lee wollte sich ganz bewusst auf das Kernensemble konzentrieren: "[T]he ill-assorted crew were a glorious ‘family’ to tackle. I could detect a lot of stuff inevitably going on behind their individual masks – some of it obvious and some obscure, tantalising." Mit einer Handvoll Dialogzeilen gelingt es ihr, gleich zwei für die Geschichte wichtige Momente hervorzuheben: Callys Trauer und das Gefühl der Einsamkeit, das für sie als Telepathin unter Nicht-Telepathen besonders schmerzhaft sein muss. Sowie die besondere Beziehung, die zwischen ihr und Avon besteht. Denn obwohl die beiden so grundverschiedene Persönlichkeiten sind, verbindet sie doch ein Gefühl von gegenseitigem Respekt und sogar ehrlicher Zuneigung.

Die anschließende Szene auf der Brücke zeigt, dass Lee auch für die Beziehungen zwischen den übrigen Mitgliedern der Crew ein gutes Auge besitzt. Das gilt sowohl für kleine Details, so etwa, wenn Dayna großen Spaß daran zu haben scheint, den armen Vila zu necken und zu provozieren. Vor allem aber für den großen "Alpha-Männchen" - Konflikt zwischen Tarrant und Avon. Der bricht sofort auf, als ein fremdartiges (und scheinbar unbemanntes) Raumschiff in der Nähe der Liberator auftaucht und man sich entscheiden muss, ob man weiterhin einem Asteroiden mit wertvollen Metallen nachjagen oder lieber das mysteriöse Gefährt untersuchen soll. Avon hält letzteres nicht für besonders ratsam, wird jedoch von den anderen überstimmt. Wenn er daraufhin Tarrant "befiehlt", auf der Liberator zu bleiben, während er selbst zusammen mit Cally und Vila auf das fremde Schiff teleportieren wird, wirkt das wie der Versuch, seine angegriffene "Dominanz" wiederherzustellen. Allerdings hat er wohl noch einen anderen Grund dafür. Denn allen beiden ist Callys merkwürdige Reaktion beim Erscheinen des Schiffes aufgefallen. Doch während Avon seine Gedanken lieber bei sich behält, hat Tarrant sein Misstrauen gegenüber der Telepathin offen zum Ausdruck gebracht. 

Das fremde Schiff entpuppt sich als eine Art fliegender Sarkophag, der schon seit einer halben Ewigkeit durchs All gewandert sein muss. Stärker noch als zuvor machen sich bei Cally irgendwelche Psi-Einflüsse bemerkbar, auch wenn sie das weiterhin ihren Kameraden gegenüber leugnet. Und das, obwohl das Gefühl einer fremden Präsenz schließlich so stark wird, dass sie ihre Strahlenpistole abfeuert. Als dadurch ein Selbstzerstörungsmechanismus ausgelöst wird und das Trio zur Liberator zurückgeholt werden soll, werden Vila und Avon vom Teleporter unerklärlicherweise zurückgelassen. Erst als Cally noch einmal zurückkehrt und ihre Freunde direkten Körperkontakt mit ihr haben, gelingt es, alle drei herüberzuholen, kurz bevor das fremde Schiff explodiert. Außer einem merkwürdigen, eiförmigen Artefakt (und einem Ring, den Cally heimlich eingesteckt hat) konnte nichts geborgen werden.

Die seltsame Fehlfunktion des Teleporters verstärkt Tarrants Misstrauen gegenüber Cally noch weiter. Er sagt ihr unumwunden ins Gesicht, dass sie etwas verheimliche. Sie reagiert ausweichend. Bevor er sie weiter bedrängen kann, greift Avon ein. ("Shut up!") Warum genau er dies tut, ist etwas unklar. Schließlich hegt er selbst einen ganz ähnlichen Verdacht. Aber vermutlich geht es ihm einfach gegen den Strich, dass ausgerechnet Tarrant eine Freundin von ihm unter Druck setzt. Augenblicklich explodiert der untergründig stets vor sich hin brodelnde Konflikt zwischen den beiden.
Tarrant: Don't try and bluff your way with me, Avon. I know what's been needling you right from the start. With Blake gone, you thought you'd got it made, didn't you? Thought you'd got control of this ship and a crew of three who'd say, "Yes, Avon. Whatever you want, Avon." But you reckoned without me.
Avon: That wouldn't be too difficult.
Tarrant: Oh, really? I don't think so. When you found me on the Liberator, it was quite a blow. And every time you look at me, it hits you harder, doesn't it? I'm faster than you and I'm sharper. As far as it goes, I've made a success of my life. But you? The only big thing you ever tried to do you failed at. The greatest computer swindle of all time ... but you couldn't quite pull it off, could you? If it hadn't been for Blake, you'd be rotting on Cygnus Alpha right now. No, you failed, Avon. But I win. Not just at games, at life.
Avon: You also talk too much.
Tarrant: Be thankful I'm restricting myself to talk.
Avon: Well now, that's fascinating. You mean you can do something else?
Bevor die beiden handgreiflich werden können, geht Dayna dazwischen. 
Schließlich kommt man überein, dass es das Beste wäre, um die Gemüter zu beruhigen, wenn der Rest der Crew Vilas Vorbild folgen und sich erst mal eine Runde aufs Ohr hauen würde.
 
Was folgt ist die einzige Gesangseinlage in der Geschichte von Blake's 7. Während wir Bilder der in der sternenübersäten Schwärze des Alls schwebenden Liberator zu sehen bekommen, hören wir Josette Simon (Dayna) folgende Verse singen:
I left my world to wander in
this endless midnight sky,
for space is just a starry night
where no suns ever rise 

Tanith Lee hat über diesen eigenwilligen Part ihres Drehbuchs gesagt:

I was startled when, having allocated the song, I learned Josette was a professional singer. I thought she sang magically, and was more than happy. [...] And why the song? Well I compose them now and then, and this one arrived with the script, music and words.
Welche erzählerische Funktion diese Gesangseinlage hat? Zum einen schafft sie eine Atmosphäre von Verlorenheit, auch wenn es dabei sicher sinnvoller gewesen wäre, wenn Jan Chappell (Cally) die Verse gesungen hätte. Zum anderen kennzeichnet sie den Wendepunkt, von dem ab die Episode *wirklich weird* wird.
 
Zuerst kommt es zu einigen leichten Spukhaus- und Poltergeistphänomenen. Dann fällt das eiförmige Artefakt, dessen Funktionsweise auch Supercomputer Orac nicht wirklich zu ergründen vermochte (wobei er sich seiner typisch irritierende Ausdrucksweise bedient: "I am not willing to speculate on so tenuous and oblique a basis."), wie fauliges Obst in sich zusammen. Die Systeme der Liberator werden von heftigen Energiefluktuationen erfasst und ein Eindringlingsalarm ausgelöst.
 
Was ist geschehen? Eine außerirdische Entität, bei der er sich um die "Seele" der auf dem Sarkophag-Schiff Bestatteten handelt, ist in Callys Bewusstein eingedrungen. Dabei hat sie deren Gefühl der Einsamkeit ausgenützt.

Cally, you've been so long alone. Cut off from your people. You've been homesick for your own world, your own kind, haven't you? For someone to communicate with. True communication: one brain speaking to another. But you won't ever be alone again, Cally. Not now, not for as long as you live.

Deshalb hat Cally zu lange gezögert, um sich energisch gegen diese psychische Überbahme zu wehren und liegt nun in einer Art Koma. Die Entität hat ihren Körper als Blaupause verwendet, um sich einen neuen Leib zu erschaffen, ohne dabei freilich auf goldglänzende Haut und prächtige Gewänder zu verzichten. Um ihre noch instabile physische Form aufrechtzuerhalten, pumpt sie nicht nur die Energieressourcen der Liberator an, sondern saugt auch vampirgleich Callys immer schwächer werdende Lebenskräfte in sich auf. Freilich hat sie im Zuge dieser Reinkarnation auch Callys Erinnerungen und Teile ihrer Persönlichkeitsstruktur in sich aufgenommen. Unglücklicherweise besitzt sie aber auch die Fähigkeit, tödliche Energieblitze auszuteilen.

Da die Wiederauferstandende in ihrem alten Leben offenbar eine Art Aristokratin war, genügt es ihr nicht, die Liberator zu kapern. Sie hätte auch ganz gerne ihre Domestiken zurück. ("When I was alive before, I was accustomed to being served by intelligent menials.) Also sollen Vila, Dayna und Tarrant in die im Prolog eingeführten archetypischen Rollen von Hofnarr, Musikantin und Krieger schlüpfen. Was u.a. dazu führt, dass wir die Drei immer mal wieder kurz in der entsprchenden Gewandung durch die Gegend laufen sehen.

Etwas schade finde ich es, dass nicht Dayna die Kriegerrolle verpasst bekommt. Bei allem, was wir über sie wissen, würde das eigentlich wie die Faust aufs Auge passen. Und warum nicht Tarrant eine bisher unbekannte Vorliebe fürs Leierspielen andichten? Das wäre bei ihm nicht überraschender als bei der aggressiv-impulsiven Amazone. Nun ja ... Vila freilich ist für die Rolle des Gauklers und Narren wie geschaffen. (Und in The Keeper hatte er sie ja sogar schon einmal gespielt). Allerdings legt die Auferstandene (bzw. Tanith Lee) dabei eine recht profunde Einsicht in seine Persönlichkeit an den Tag: "He has a very high IQ and yet he acts like an imbecile." Interessanterweise war Lee scheinbar eine von denen gewesen, die Chris Boucher dazu gedrängt hatte, eine Episode in die Staffel aufzunehmen, in der der liebenswerte Dieb und Feigling einmal der Held sein darf. Was mit City At The Edge Of The World dann ja auch gemacht wurde.

Am Ende ist es Avon, der den Schwachpunkt der Auferstandenden erkennt und auszunutzen versteht. Da ein Teil von Callys Persönlichkeit in ihr fortlebt, gilt das auch für die Gefühle, die sie ihm gegenüber hegt. Deshalb ist es ihr unmöglich, ihn zu töten, als er sich ihr herausfordernd entgegenstellt. Und so kann Avon schließlich in die Rolle der geheimnisvollen vierten Figur aus dem Prolog schlüpfen. Einer Figur, die man nun als eine symbolische Verkörperung des Todes interpretieren kann. Allerdings bedeutet der "Tod" für das außerirdische Wesen nicht einfach ein Verlöschen:

I HAVE to keep this body. I have to live. I've waited so long. Centuries. More time than you could comprehend. How can you imagine what it must be like to be dead, to exist in nothingness, in nowhere. Blind, deaf, dumb, and yet to be sentient, aware, waiting. Centuries of waiting. I have to find my world again, my people, my home. I want to breathe and see and feel. And know. Don't send me back into the dark, Avon, let me live.

Angesichts eines derartigen Schicksals ist man beinah geneigt, Mitgefühl für die Wesenheit zu empfinden, ganz gleich wie hochmütig und gnadenlos sie sich zuvor auch aufgespielt hatte. Avon zögert natürlich trotzdem keinen Moment, den Ring zu zerstören, der die eigentliche Verbindung zwischen der Verstorbenen und dieser Welt darstellt, und sie damit in ihre Limboexistenz zurückzustoßen.

Dass Cally von einer fremden Intelligenz auf telepathische Weise manipuliert wird, ist natürlich keine neue Idee. Vergleichbare Episoden hatte es zuvor schon eine ganze Reihe gegeben. Was Sarcophagus zu etwas besonderem macht, ist zum einen die wunderbar bizarre Atmosphäre, die mit dem Prolog etabliert wird und vor allem in der zweiten Hälfte der Handlung dann voll zum Durchbruch gelangt. Außerdem ist die Auferstandene kein eindimensionaler Bösewicht, sondern verfügt über eine wirkliche Persönlichkeit. Jan Chappell gelingt es sehr überzeugend, sowohl ihre arrogant-aristokratische Fassade, als auch die Furcht und Verlorenheit, die sich dahinter verbergen, zum Ausdruck zu bringen. Schließlich aber verbindet Tanith Lee das geläufige Motiv mit einem tiefen Verständnis der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander. All dies zusammen macht Sarcophagus zu einem weiteren Highlight der dritten Staffel von Blake's 7.