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Montag, 19. März 2018

Notizen von unterwegs

Was macht man, wenn man sich zu einem kleinen Urlaub in eine Stadt abgesetzt hat, die man im Grunde gar nicht kennt, in dem naiven Glauben, man werde schon irgendwie Ablenkung und Unterhaltung finden?
Na ja, wenn der Abend zu kalt ist, um einfach durch die Gegend zu streifen und sich überraschen zu lassen, erscheint das um die Ecke gelegene Kino eigentlich als eine gute Alternative, oder? Wobei ich wohl hinzufügen sollte, dass es in meiner heimatlichen Waldeinsamkeit keine Lichtspielhäuser gibt*, ein Kinobesuch für mich also nicht *ganz* so banal ist, wie das anderen vielleicht vorkommen mag. Doch leider war die Auswahl an Filmen nicht gar so üppig, weshalb ich schließlich in Maria Magdalena gelandet bin.

Vielleicht sollte ich ein paar Worte über mein Verhältnis zu Bibelfilmen im Allgemeinen vorausschicken.

Ich bin christlich-katholisch aufgewachsen. Meine Eltern waren ziemlich fromm, in einem durchaus traditionellen Sinne. Beengt oder unterdrückt habe ich mich dadurch aber eigentlich nie gefühlt. Meine spätere Abwendung von der Religion hatte nur wenig mit einer Rebellion gegen das Elternhaus zu tun. Für einige Zeit gehörte der sonntägliche Gottesdienstbesuch zu meiner ganz normalen Wochenroutine, ohne dass ich je dazu gezwungen worden wäre. Mit 14/15 war ich vielmehr selbst zimelich gläubig, wenn auch wohl schon damals nicht im streng "orthodoxen" Sinne. Wenig später folgte eine relativ kurze Phase der religiösen Suche und des "Ausprobierens" {wenn es gestattet ist, hierfür einen so vulgären Ausdruck zu verwenden}, über die ich jetzt aber nichts weiter erzählen will. Mit 17/18 schließlich wurde ich zu dem überzeugten Atheisten und Materialisten, der ich bis heute geblieben bin.

Eine Faszination für Religionen hat sich freilich auch später erhalten. Und das nicht nur in einem "historischen" Sinn {auch wenn ich Religionsgeschichte ungemein spannend finde}. 
Alle religiösen Lehren und Mythen waren irgendwann einmal Ausdruck sehr starker kollektiver Empfindungen. Und ganz so wie manche z.T. uralte Kunstwerke, können uns auch einige von ihnen selbst heute noch auf einer emotionalen Ebene berühren, weil wir die ihnen zu Grunde liegenden Gefühle, Ängste, Hoffnungen usw. nach wie vor in uns tragen.

Was nun Bibelfilme angeht, so gestehe ich gerne, dass ich eine große Schwäche für die Monumentalschinken der 50er/60er Jahre à la Quo Vadis? (1951), Das Gewand (1953), König der Könige (1961) oder Die größte Geschichte aller Zeiten (1965) habe. Auch empfinde ich eine Menge Sympathie für den großen Cecil B. De Mille (Die zehn Gebote [1923 und 1956]). Der gute Mann liebte prächtigen Schlock ebenso sehr wie er die Bibel verehrte, und es ist genau diese Mischung aus Kitsch und Ernsthaftigkeit, die ich so anziehend finde. 
Darüberhinaus findet sich in vielen dieser alten Streifen ein Element der Auflehnung gegen Tyrannei und Ungerechtigkeit. Das frühe Christentum erscheint in ihnen für gewöhnlich als eine Bewegung der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Inwieweit dieses Bild der historischen Wirklichkeit entspricht, sei jetzt mal dahin gestellt. Und natürlich sind diese farbenfrohen Epen nicht eben subtil oder tiefgründig, wenn es um dieses Motiv geht. {Sie sind es eigentlich nirgendwo.} Aber dennoch trägt auch dies zu dem Charme bei, den diese alten Schinken für mich haben.
Nicht unerwähnt bleiben darf außerdem Pier Paolo Pasolinis Matthäusevangelium (1964), der nun freilich in eine ganz andere Kategorie von Film gehört. Unter den Adaptionen biblischer Stoffe bleibt das Werk des großen italienischen Regisseurs in seiner poetischen Kraft und Humanität für mich bis heute unübertroffen.
Mit neueren Bibelfilmen habe ich es allerdings nicht so. Martin Scorseses Letzte Versuchung Christi (1988) hab' ich seinerzeit im Kino gesehen, aber außer dem Trara, den der Streifen damals auslöste {yep, da waren tatsächlich protestierende Fromme am Eingang}, ist bei mir wenig im Gedächtnis hängengeblieben. Auf Mel Gibsons fundamentalistische Folterorgie The Passion of the Christ (2004) habe ich dankend verzichtet. Und leider hat auch Maria Magdalena diesen Trend nicht ändern können.

Man wäre vielleicht versucht zu glauben, dass ein Film, der Maria aus Magdala zur Heldin hat, beinah automatisch irgendwie ein bisschen subversiv sein müsste. Doch leider ist dem ganz und gar nicht der Fall. Vielmehr ist die Botschaft des Streifens alles in allem äußerst konventionell. Nichts, was wir zu sehen oder zu hören bekommen, ist irgendwie neu oder provokant.
Für die erste halbe Stunde erzählt der Film ungefähr die Geschichte, die man erwarten konnte.
Maria ist eine selbstbewusste junge Frau, die nicht bereit ist, sich in die Rolle der gehorsamen Tochter und künftigen Ehefrau und Mutter zu fügen. Als sie sich weigert, den von ihrer Familie ausgesuchten Mann zu heiraten und damit "Schande" über ihre Sippe bringt, erklären ihre männlichen Verwandten sie zu einer von Dämonen Besessenen und unterziehen sie einem grausamen "Exorzismus", der als eine pervertierte Form eines Taufrituals erscheint. Als auch dies nicht zu fruchten scheint, ruft man den Wanderprediger Jesus herbei, dem der Ruf eines Wundertäters vorausgeht. Dieser erkennt natürlich sofort, dass er es nicht mit einer Besssenen zu tun hat. Gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer Familie schließt sich Maria Magdalena dem charismatischen Rabbi an. Petrus erhebt zwar Einspruch gegen die Aufnahme der jungen Frau in die Gemeinschaft der Jünger, da dies ihren Ruf schädigen könnte, doch es dauert nicht lange und Maria wird zur engsten Vertrauten Jesu.
All das ist nicht wirklich welterschütternd, gibt aber auch keinen Anlass für Kritik. Doch dann verrückt sich sehr deutlich die inhaltliche Achse des Films. Um das Aufbegehren gegen eine patriarchalische Ordnung geht es im Weiteren kaum mehr. Ins Zentrum rückt ein völlig anderes Thema.
Die männlichen Apostel sind allesamt überzeugt davon, dass das von ihrem Rabbi verkündete Königreich Gottes ein irdisches Reich der Freiheit und Gerechtigkeit sein werde, dessen Errichtung durch einen bewaffneten Volkaufstand gegen die römische Fremdherrschaft eingeleitet werden müsse. Sie sehen es deshalb als ihre eigentliche Aufgabe, Kämpfer für diese Revolution zu rekrutieren. Einzig Maria hält dies von Beginn an für ein Missverständnis. Sie will kein "Soldat" sein.
Als sich die Gemeinschaft zum Pessachfest nach Jerusalem aufmacht, glaubt Petrus, der Zeitpunkt des Kampfes sei gekommen. Er und die übrigen Apostel sehen in Jesu Vertreibung der Händler aus dem Tempel den Startschuss für den allgemeinen Aufstand. Doch wie wir alle wissen, kommt es natürlich ganz anders. Der anschließende Verrat des Judas wird als Versuch interpretiert, Jesus doch noch zur messianisch-revolutionären Machtergreifung zu zwingen. Keine wirklich neue Idee. Auch hätte sie meiner Ansicht nach besser funktioniert, wenn der "Verräter" aus reinem eschatologischen Fanatismus handeln würde, und nicht, weil er seine verstorbene Frau und Tochter im Zuge der erhofften Auferstehung der Toten zurückbekommen will.**
In der finalen Konfrontation zwischen Maria Magdalena und Petrus kommt der eigenartige Doppelcharakter des Streifens noch einmal sehr schön zum Ausdruck. Maria ist soeben als Erste dem Auferstandenen begegnet. Doch die frohe Botschaft stößt bei den Männern auf Unglauben. Petrus wird dabei zur metaphorischen Verkörperung der künftigen Kirche, die die Frau zum Schweigen verurteilt. Dazu passt jedoch nicht wirklich, dass es in der Auseinandersetzung zugleich noch einmal um den Charakter des Gottesreiches geht. Maria erklärt, das Reich sei angebrochen, denn es lebe "in ihnen". Dem hält Petrus entgegen, das die Welt nicht besser geworden sei, die Leidenden sind nicht erlöst, die Sklaven nicht befreit, die Hungernden nicht gesättigt.

Glaubte der historische Jesus von Nazareth an den unmittelbar bevorstehenden Anbruch eines messianischen Friedensreiches auf Erden? Wer könnte das mit Gewissheit sagen. Sicher ist jedoch, dass die ersten Christen daran glaubten. Erst als das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Imperiums wurde, machten sich Leute wie Augustinus daran, die Lehre vom 1000jährigen Reich endgültig zu einer bloßen Metapher zu erklären. 
Aber selbstverständlich macht es wenig Sinn, einen Bibelfilm auf seine historische Authentizität hin zu hinterfragen.*** Noch keiner von ihnen hat versucht, ein realistisches Bild dessen zu zeichnen, was sich unter der Statthalterschaft von Pontius Pilatus in Judäa abgespielt haben könnte. Darin besteht nicht der Sinn dieser Art von Filmen. Sie wollen eine Botschaft für heute vermitteln.
Doch gerade unter diesem Blickwinkel betrachtet wirkt Maria Magdalena fast schon perfide. Der Film nutzt einen vermeintlich "feministischen" Ansatz, um eine im Kern extrem konservative Message rüberzubringen. Die Ideen von Revolution und aktivem Widerstand gegen Unterdrückung und Tyrannei, das Verlangen, die reale, materielle Welt gerechter gestalten zu wollen, werden als Ausdruck "männlicher" Aggressivität und Arroganz diffamiert. Und mit dem Munde Maria Magdalenas wird uns die quietistische Lehre vom "Nicht-Widerstehen-dem-Übel", von der inneren moralischen Reinigung des Einzelnen als der Weg zum Heil {und wohl irgendwie auch zu einer besseren Welt} gepredigt.
So gesehen passt es ganz ausgezeichnet, dass der Streifen mit der Erklärung ausklingt, dass der Vatikan 2016 entschieden habe, Maria Magdalena in den Rang einer "Apostolin der Apostel" zu erheben. In der Tat passt er sehr gut zu der kosmetischen Auffrischung, die der reaktionäre Dinosaurier Katholische Kirche unter dem Pontifikat von Franziskus (Jorge Mario Bergoglio) erfahren hat. Man gibt sich einen "progressiven" Anschein, doch predigt weiter die alten Ideen.

PS: Seit diesem etwas missglückten Kinobesuch habe ich u.a. Käthe Kollwitz' Zyklen Ein Weberaufstand und Der Bauernkrieg im Original gesehen, sowie Ziegen, Schafe und Esel gefüttert. Es geht aufwärts!



* Es gab mal eins im Nachbardorf, aber das ist schon seit langem aufgegeben und beherbergt inzwischen ein türkisches Café. Auch nett, aber halt nicht wirklich ein Ersatz ...
** Allerdings war der letzte Abschied zwischen Maria und Judas am Tage nach der Kreuzigung eine der wenigen Szenen des Filmes, die ich irgendwie berührend fand.
*** Etwas irritiert hat mich aber trotzdem, dass Jesus und seine Jünger Taufrituale durchführen, denn in dieser Frage sind sich die Evangelien einig: Jesus wurde zwar von Johannes getauft und erteilt den Jüngern nach seiner Auferstehung den Auftrag zur Taufe, doch der Nazarener selbst tauft nicht.

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