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Mittwoch, 18. Oktober 2017

Willkommen an Bord der "Liberator" – S02/E04: "Horizon"

Ein Blake's 7 - Rewatch

Zu den Drehbuchschreibern, die während der zweiten Staffel von Blake's 7 zum Team stießen, gehörte auch Allan Prior. 

Einen Namen hatte der Autor sich bis dahin vor allem durch seine prägende Mitarbeit an der Polizeiserie Z-Cars (1962-1978) gemacht. Die Serie darf als ein Produkt der von Hugh Carleton Greene als General Director der BBC zu Beginn der 60er Jahre eingeleiteten Wende gelten, in deren Verlauf der Sender sich von seiner traditionellen Orientierung an Geschmack und Moral der Mittelklasse distanziert, zahlreichen jüngeren {und oft politisch links stehenden} Talenten ein Betätigungsfeld eröffnet und ganz allgemein einen schärferen Blick auf die gesellschaftliche Realität und eine sehr viel größere Experimentierfreudigkeit kultiviert hatte.* Im Vergleich zu älteren Polizeiserien zeichnete sich Z-Cars durch einen härteren Realismus aus, der die soziale Wirklichkeit von nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen Arbeitersiedlungen wie Kirby bei Liverpool beleuchtete. Prior selbst sagte einmal über seine Arbeit an ihr: "I prefer it to a prestige single play because it's topical and about the working class."

Das Szenario für Allan Priors erstes Blake's 7 - Script sollte sich angeblich an Uganda orientieren. Nun muss ich zugeben, dass ich mit der Geschichte dieser afrikanischen Nation in keiner Weise vertraut bin, aber auch eine kurze Lektüre der entsprechenden Wikipedia-Einträge hat mir keine direkten Berührungspunkte zeigen können. So weit ich das beurteilen kann, beschäftigt sich Horizon zwar ohne Frage mit Kolonialismus vielleicht auch mit einigen spezifischeren Charakteristika des britischen Imperialismus , doch irgendwelche Anspielungen auf das Schicksal eines bestimmten englischen "Protektorats" habe ich nicht entdecken können. Da das "einheimische" Herrscherpaar von Darien Angadi und Souad Faress gespielt wird er von teilweise indischer, sie von teilweise syrischer Abstammung –, war ich wenn schon eher geneigt, an die britische Kolonialherrschaft in Indien oder dem Nahen Osten zu denken.** Auch wenn das eigentliche Setting dafür gleichfalls kaum weitere Anknüpfungspunkte bietet.

Auf der Liberator herrscht ziemlich miese Stimmung. Zwar befindet sich das Schiff weit außerhalb der Grenzen der Föderation, und Verfolger sind nicht in Sicht, doch der permanente Stress, unter dem sich unsere Helden & Heldinnen nun schon seit geraumer Zeit befinden, hat in körperlicher wie psychischer Hinsicht deutliche Spuren hinterlassen. Ohne die schier unerschöpflichen Reserven an Aufputschmitteln, mit denen die Liberator gesegnet zu sein scheint, wären sie vermutlich alle längst zusammengebrochen. Ist die Crew schon an guten Tagen selten ein Herz und eine Seele, herrscht nun erst recht eine äußerst angespannte Atmosphäre unter ihnen. Als auf einmal ein Transporter der Föderation in der als unbewohnt geltenden Region aufkreuzt, und Blake beschließt, dem Schiff zu dem weit abgelegenen Planeten "Horizon" zu folgen, hebt das die allgemeine Stimmung nicht gerade, zumal der selbstherrliche Freiheitskämpfer es einmal mehr nicht für nötig empfindet, die Meinung seiner Kameraden & Kameradinnen einzuholen.
Obwohl sie sehr viel lieber in ihrer Kabine im Bett liegen würde, als auf neue Abenteuer auszuziehen, erklärt sich Jenna bereit, Blake auf die Oberfläche zu begleiten. Der Grund, warum er ausgerechnet sie dabei haben will, ist einfach: "Avon might run. But he probably won't without a first-class pilot."
Die beiden habe gerade genug Zeit, um eine Mine zu entdecken, in der Sklaven unter der Aufsicht von Föderationssoldaten malochen, als sie auch schon überwältigt und gefangengenommen werden. Sie treffen Ro (Darien Angadi), den Herrscher des Planeten. Auf die Frage, ob es sich bei seiner Welt um eine Kolonie der Föderation handele, antwortet er: "I dislike the word 'colony.'", aber es wird ziemlich schnell klar, dass "Horizon" genau das ist, wenn auch nicht dem Namen nach. Der Transporter, dem die Liberator gefolgt ist, hat Ros alten Föderations-Mentor, den "Kommissar" (William Squire), hierher gebracht, der augenblicklich die Leitung des Verhörs an sich reißt und Blake & Jenna foltern lässt. Ro scheint nicht wirklich glücklich mit dieser Entwicklung zu sein, aber er wagt es nicht, seinem ehemaligen Lehrmeister zu widersprechen, hat er doch die Lügen geschluckt, die ihm im "Central Educational Complex" eingetrichtert wurden. Er glaubt ermsthaft, dass die Föderation seinem Volk der "Wilden" Zivilisation und Kultur bringen wolle. Und wenn seine Untertanen im Ausgleich dafür in den Bergwerken schuften müssen, um ein äußerst seltenes Erz für die Föderation zu fördern, dann ist das wohl nur rechtens. Oder vielleicht doch nicht? Immerhin fühlt er sich dazu getrieben, auf die Behauptung des "Kommissars": "Without us you'd all be living in caves, as you were when the Federation first colonized you" zu erwiedern: "We may have lived in caves, but we did have our own culture." Auch wenn Ro seinem imperialen "Lehrer" nachplappert, dass die alte Kultur seines Volkes nichts wert und der alte Name seiner Heimat Silmareno deshalb zu Recht verboten worden sei, spricht doch einiges dafür, dass er im Innersten anders darüber denkt. Blakes provozierende und aufrüherische Reden verfehlen nicht ihre Wirkung, auch wenn der Marionettenkönig erst einmal brav "Ja" sagt und seine Gefangenen in die Minen schicken lässt, wie der "Kommissar" dies wünscht.
Während die beiden dort Ros ehemalige Verlobte Selma (Souad Faress) kennelernen, die aufgrunnd ihrer rebellischen Einstellung in Ungnade gefallen ist, werden Gan, Vila und Cally, die ihren Freunden zur Hilfe zu eilen versuchen, gleichfalls gefangengenommen. Avon, der als einziger auf der Liberator zurückgeblieben ist ("I am not expendable, I'm not stupid, and I'm not going."), spielt ernsthaft mit dem Gedanken, das Weite zu suchen, und lässt Orac vorsorglich ausrechnen, wie hoch seine Überlebenschancen wären, wenn er seine Gefährten im Stich lassen würde.

Horizon ist sicher keine tiefgreifende Analyse der Mechanismen des britischen Imperialismus, aber die Episode besitzt doch ihre interessanten Facetten.
Es war eine übliche Methode der Kolonialmächte, Teile der traditionellen einheimischen Elite zu {ungleichen} Verbündeten zu machen, um ihrer Herrschaft eine größere Stabilität zu verleihen und die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonialvölker damit zu erleichtern. Dazu gehörte auch das Bemühen, diese Eliten kulturell zu "europäisieren" {mitunter auch zu christianisieren}. Ihre Kinder holte man häufig in die imperialen Metropolen, um sie in den dortigen Eliteschulen und -universitäten {Eton, Oxford, Cambridge} ausbilden zu lassen. {Das ist auch der Grund, warum zum Personal jeder klassischen englischen "Schoolstory" ein indischer Mitschüler gehört, dessen Figur zwar hauptsächlich dazu dient, rassistische Witze zu reißen, der aber doch als Sohn eine Maharajah eingeführt wird}. Teil dieser Ausbildung war es natürlich, den Schülern das Gefühl zu vermitteln, ihre eigene Kultur sei minderwertig und die Herrschaft der Europäer über ihr Volk deshalb im Grunde ein Segen.
Die Ausbildung von Ro und Selma am "Central Educational Complex" der Föderation ist eine direkte Parallele hierzu. Entsprechend stark wirkt die Szene am Schluss, wenn Ro den traditionellen Herrscherschmuck seines Volkes anlegt und seinen ehemaligen Mentor mit der traditionellen Waffe seines Volkes – dem Blasrohr umbringt. Er bemächtigt sich erneut seines kulturellen Erbes, auf das herabzuschauen ihm eingeimpft wurde, und befreit sich damit aus der Unterwürfigkeit, die man ihm anerzogen hat. Erfreulicherweise bedeutet das jedoch nicht, dass er nun einfach zur überkommenen Lebensweise von Silmareno zurückzukehren wünscht. Auch am Ende nennt er den Planeten immer noch "Horizon", denn "you can't return to the past."

Was die Episode dennoch etwas problematisch macht ist zweierlei.
Durchaus realistisch werden Ro und Selma als Aristokraten dargestellt, die sich für etwas besseres als den "Pöbel" ihrer Heimatwelt halten. Doch man bekommt nicht das Gefühl, als halte Horizon diese Einstellung für irgendwie kritikwürdig. Sie erscheint vielmehr als geradezu selbstverständlich, zumal uns das "einfache Volk" von Silmareno tatsächlich als felletragende "Wilde" präsentiert wird. Die Befreiung vom Kolonialismus wird damit auf einen Akt der Loslösung vom Empire durch eine kulturell und politisch selbstbewusst gewordene einheimische Elite reduziert. In der historischen Realität jedoch war die Ära der Dekolonialisierung fast immer zugleich eine Ära heftiger Klassenkämpfe innerhalb der kolonialen Gesellschaften. 
Man könnte Blake in dieser Episode als eine "White Saviour" - Gestalt interpretieren. Schließlich hätte ohne sein Eingreifen Ro vermutlich niemals gegen die Föderation aufbegehrt. Freilich zeigt uns Selma, dass der Wunsch nach Freiheit auf "Horizon" auch schon vor dem Eintreffen der Liberator nicht unbekannt war. Und ganz allgemein kann diese Form der Kritik in sehr ungesunde Gefilde führen, wie uns letztes Jahr im Zusammenhang mit Gary Ross' Film Free State of Jones auf eindringliche Weise vorgeführt wurde. Dennoch hat vor allem eine Szene einen wirklich  unguten Nachgeschmack bei mir hinterlassen: Bei der Essensausgabe im Bergwerk stürzen sich die Sklaven wie wild auf die Schüssel, bis Blake brüllend dafür sorgt, dass die "Wilden" sich schön der Reihe nach ihre Portion Brei holen. Es bleibt unsicher, wie das zu interpretieren ist: Ein weiteres Beispiel für Blakes latenten Autoritarismus? Ein Zeichen dafür, dass die "Wilden" trotz allem die Leitung durch einen wohlmeinenden "weißen Mann" brauchen? Oder ein Ausdruck von Klassenarroganz? Schließlich muss die Aristokratin Selma nicht auf dieselbe Weise diszipliniert werden?        

      






    
* Im letzten Beitrag zu meiner mittendrin abgebrochenen Nigel Kneale - Tour habe ich mich etwas eingehender mit dieser Wende beschäftigt.
** Darien Angadi, der wenige Jahre später tragischerweise Selbstmord begehen sollte, war der Sohn von Ayana Angadi und Patricia Clare Fell-Clarke / Angadi, den Gründern des legendären Asian Music Circle (AMC). Der Zirkel spielte eine herausragende Rolle bei der Vermittlung von indischer Musik und Kultur in Großbritannien. Ayana Angadi war ein erklärter Gegner des britischen Kolonialismus und hatte in den 30er/40er Jahren dem Trotzkismus nahegestanden. Nach dem Weltkrieg wurde das Paar von den Behörden eine Zeit lang als "kommunistische Spione" beäugt. Der von den beiden 1946 gegründete AMC, dem sich in den 50ern u.a. der berühmte Violinist Yehudi Menuhin und der Komponist Benjamin Britten anschlossen, machte das britische Publikum mit so großen indischen Musikern wie Ravi Shankar, Ali Akbar Khan und Vilayat Khan bekannt. Als die Beatles Mitte der 60er die indische Musik für sich entdeckten, spielte der AMC dabei gleichfalls eine wichtige Rolle.

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