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Sonntag, 29. Oktober 2017

Der schweigende Stern

Dass Deutschland für seine Science Fiction - Filme berühmt wäre, würde vermutlich niemand zu behaupten wagen. Natürlich existieren da solche Klassiker wie Fritz Langs Metropolis (1927) und seine Frau im Mond (1928/29) die ich nebenbei bemerkt alle beide gar nicht so dolle finde , aber spätestens im Nachkriegsfilm sieht es in Bezug auf das Genre dann doch recht duster aus. Zwar brachten die 70er Jahre hierzulande noch einmal solche Juwelen wie Tom Toelles Das Millionenspiel (1970) und Rainer Werner Fassbinders Welt am Draht (1973) hervor {die beide wohl nicht zufällig fürs Fernsehen, nicht fürs Kino produziert wurden},  aber wenn man nach einem Gegenstück zum angloamerikanischen SciFi-Film der 50er/60er Jahre mit seiner starken Pulp-Prägung Ausschau halten wollte, sähe die Ausbeute in der Tat ziemlich mau aus. 

Oder vielleicht doch nicht? Immerhin gibt es da ja den DEFA-Streifen Der schweigende Stern aus dem Jahr 1960, eine polnisch-ostdeutsche Koproduktion. Zwar schreibt der deutsch-vietnamesische Filmemacher Huan Vu (Die Farbe [2010]) in seinem sehr lesenswerten Essay Die Gedanken sind frei wohl nicht zu unrecht über die parteidiktierte Linie in der SF der DDR: "Deutlich sichtbar ist der Wunsch, sich von den Genre-Entwicklungen in der westlichen Welt unbedingt distanzieren zu müssen. Es war ideologisch so gut wie verboten, ähnlich zu erzählen und zu inszenieren, wie es in den USA oder Westeuropa üblich war." Dennoch ist es ziemlich offensichtlich, dass Der schweigende Stern als bewusste Antwort auf amerikanische SciFi-Streifen wie Forbidden Planet (1956) konzipiert war, wobei Abgrenzung und Nachahmung Hand in Hand gingen.

Der Film kam drei Jahre nach dem Start von Sputnik 1 und ein Jahr vor Juri Gagarins erstem Raumflug in die Kinos  zu einer Zeit also, als die Sowjetunion im Wettlauf zu den Sternen noch ganz klar die Nase vorn hatte. Kein Wunder, dass selbst die von Berufs wegen fantasielosen stalinistischen Kulturbürokraten der Science Fiction plötzlich etwas abzugewinnen vermochten. 
Die Leitung des Projektes übernahm Kurt Maetzig, einer der Mitbegründer und leitenden Filmemacher der DEFA. 
Mit Filmen wie seiner zweiteiligen Ernst Thälmann - Hagiographie (1954/55), die den militanten Hamburger Arbeiterführer, der 1925 als persönlicher Handlanger Stalins an die Spitze der KPD aufgestiegen und 1944 im KZ Buchenwald ermordet worden war, zu einem unfehlbaren "sozialistischen" Heiligen und Märtyrer heraufstilisierte, hatte Maetzig seine Linientreue im Grunde ausreichend unter Beweis gestellt.  Zwar würde ihm fünf Jahre später Das Kaninchen bin ich (1965) den Zorn der Parteiführung einbringen und zu einer jener demütigenden öffentlichen Selbstanklagen führen, zu denen sich viele Künstler & Künstlerinnen in den stalinistischen Staaten immer wieder gezwungen sahen, aber das wäre zu diesem Zeitpunkt noch kaum abzusehen gewesen. Mäetzig war kein heimlicher Dissident.
Dennoch wurde Der schweigende Stern während seiner Entwicklung einer scharfen ideologischen Kontrolle unterworfen. Die zensorische Oberaufsicht übernahm dabei Herbert Volkmann, der schon seit Gründung der DEFA zu den berufenen Wächtern der ideologischen Reinheit im Filmwesen der DDR gehörte. Volkmanns Eingriffe verzögerten die Produktion immer wieder und führten zum Mitwirken von sage und schreibe zwölf Drehbuchschreibern, die das Script eins ums andere Mal überarbeiten mussten, bis es den offiziellen Segen erhielt.
Als Vorlage diente Stanislaw Lems 1951 erschienener Debütroman Astronauci, den der gute Bartholomäus Figatowski vor ein paar Monaten auf seinem Blog Metaphernpark besprochen hat. Der Autor fand den Film offenbar hundsmiserabel, wie man in dieser ausführlichen Rezension von Michael Haul nachlesen kann. Aber das braucht uns nicht weiter zu stören. Versuchen wir uns lieber selbst ein Bild zu machen.

   
Den DEFA - Trailer kann man sich hier anschauen, aber da ich mir die unter dem Titel First Spaceship on Venus bekannte amerikanische Fassung des Streifens angeschaut habe, dachte ich mir, dieser US-Trailer sei angemessener. Auch finde ich es irgendwie amüsant, wie ein DDR-Film hier auf exakt die gleiche Weise beworben wird, wie jeder x-beliebige amerikanische SciFi - Flick der Zeit.

Als bei Bewässerungsarbeiten in der Wüste Gobi eine geheimnisvolle Spule außerirdischer Herkunft entdeckt wird, stecken die größten Wissenschaftler der Welt ihre Köpfe zusammen, um das Rätsel zu lösen. Ihre Untersuchungen führen zu der spektakulären Erkenntnis, dass der vermeintliche Meteoriteneinschlag von Tunguska (1908) in Wahrheit die Explosion eines venusianischen Raumschiffs war, dessen Black Box die Forscher mit der mysteriösen Spule in Händen halten. Trotz aller Anstrengungen gelingt es jedoch nicht, deren Inhalt vollständig zu decodieren. Auch werden alle Versuche, Funkkontakt zur Venus aufzunehmen, mit Schweigen beantwortet. Also beschließt man, ein internationales Expertenteam mit dem hypermodernen Raumschiff Kosmokrator zu unserem Nachbarplaneten zu schicken. Während des Flugs dämmert es den Kosmonauten allerdings, dass es sich bei dem Tunguska-Schiff um den Vorboten einer Invasionsstreitmacht gehandelt haben muss. Warum der Angriff von der Venus nie erfolgte, bleibt rätselhaft, doch ist zu vermuten, dass die Kosmokrator-Mannschaft kein gastlicher Empfang erwarten wird. Die Wissenschaftler setzen ihre Reise dennoch fort und stoßen schließlich auf eine offenbar ausgestorbene Welt. Sie beginnen, die bizarre Landschaft des "schweigenden Sterns" zu erkunden, und gelangen nach und nach zu der Erkenntnis, dass sich die Venusbewohner mit ihren eigenen, monströs "fortschrittlichen" atomaren Waffen, die eigentlich der Eroberung der Erde dienen sollten, selbst zerstört haben. Als einige der Forscher unwissentlich die venusianische Superwaffe reaktivieren, eskaliert die Lage dramatisch.   .

Aus der US-Version des Films wurden selbstverständlich alle gar zu offenen propagandistischen Elemente entfernt. Insbesondere jede Erwähnung des Manhattan-Projekts und des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, sowie eine Szene mit ein paar fiesen amerikanischen Kapitalisten. Was dem Film meiner Ansicht nach jedoch nicht schadet. Vielmehr denke ich, dass die Szene, in der die japanische Ärztin Sumiko Omigura die von der Hitzwelle einer nuklearen Detonation in den Felsen eingebrannten Schattenrisse zweier Venusianer entdeckt, sehr viel eindringlicher wirkt, wenn uns zuvor nicht bereits immer wieder die offensichtliche Parallele zu Hiroshima eingehämmert wurde. Und auf simplistische Karrikaturen böser Yankee-Imperialisten kann ich im Grunde auch dankend verzichten.

Etwas ärgerlicher ist es da schon, dass die nationale Zusammensetzung der Kosmokrator-Mannschaft durcheinander gewirbelt wurde.
Dass die Mission nicht länger von dem Russen Arsenjew (Michail N. Postnikow), sondern von dem Amerikaner Heddingway angeführt wird, versteht sich beinah von selbst. Immerhin verwandelte man im Gegenzug den amerikanischen Atomphysiker Hawling (Oldrich Lukes) in einen {vermutlich} russischen Professor Orloff. {Ironischerweise ist Hawling ein leidenschaftlicher Schachspieler, was ja recht gut zum Klischeebild eines russischen Wissenschaftlers passt!}
Der deutsche Pilot Robert Brinkmann (Günther Simon) kann in der synchronisierten Fassung ohne große Veränderungen als amerikanisch durchgehen. Doch warum sah man sich dazu veranlasst, den polnischen Kybernetiker Soltyk (Ignacy Machowski) in den Franzosen Durand zu verwandeln?
Unverändert erhalten geblieben sind nur der chinesische Linguist und Biologe Tschen Yü (Tang-Hua Ta), die japanische Medizinerin Sumiko Omigura (Yoko Tani), der indische Wissenschaftler Sikarna (Kurt Rackelmann) sowie der "afrikanische" Funker Talua (Julius Ongewe). {Sich ein konkretes Herkunftsland für Talua auszusuchen, war den Drehbuchschreibern offenbar zu mühselig.}

Der internationale Charakter der Mission gehört zweifellos zu den sympathischen Zügen des Schweigenden Sterns. Und gegen die Antikriegsbotschaft lässt sich natürlich auch nichts einwenden.Dennoch macht es einem der Film nicht eben leicht, ihn zu mögen.

Jim Morton schreibt auf seinem East German Cinema Blog: "CIP bought the distribution rights to The Silent Star, dubbed it (badly), and chopped fifteen minutes out of it, rendering the already complicated story nearly incomprehensible." Dass die von Newton P. Jacobs' B-Movie-Schmiede Crown International Pictures in Auftrag gegebene Synchronisation mies ist, würde ich nicht in Frage stellen wollen. Doch der Grund für das eigenartig Verwirrende der Handlung ist denke ich weniger in den zensorischen Eingriffen des US-Verleihs zu suchen. Sei es, dass Kurt Maetzig für einen Film dieser Art einfach der falsche Mann war, sei es, dass die permanenten Änderungs"wünsche" der von Herbert Volkmann vertretenen stalinistischen Kulturbehörden eine organische Entwicklung des Projektes unmöglich machten, die Dramaturgie des Filmes wirkt auf jedenfall äußerst steril und dröge.
Zu keinem Zeitpunkt fühlt man sich von dem Geschehen auf der Leinwand richtig gepackt. Selbst wenn unsere Helden sich mit potentiell tödlichen Meteoritenschauern oder wüsten Venusstürmen herumschlagen müssen, kommt nie wirkliche Spannung auf. Ja selbst eine Notreperatur, die an der Außenhülle des Kosmokrator vorgenommen werden muss, wirkt extrem undramatisch. Der Film schleppt sich in einer schwer zu beschreibenden Gleichförmigkeit dahin, die dazu führt, dass die eigentlich ziemlich gradlinige Handlung einen seltsam verworrenen und schwer zu folgenden Eindruck hinterlässt, da nichts dramatisch akzentuiert wird. Alles bleibt sozusagen auf der gleichen Ebene. Wenn Hawling vergeblich versucht, Soltyks Superroboter Omega beim Schach zu schlagen, wirkt das ebenso ebenso dramatisch oder undramatisch, wie wenn Brinkmann mit dem Beiboot die Landung auf der Venus wagtSzenen, die in thematischer Hinsicht entscheidende Fix- oder Höhepunkte der Handlung hätten sein müssen, werden in keiner Weise filmerisch-erzählerisch hervorgehoben und drohen deshalb, sang- und klanglos unterzugehen. Inhaltlich betrachtet hätte der Film in zwei Szenen kulminieren müssen: Sumikos Konfrontation mit den eingebrannten "Schatten" und Tschen Yüs und Sumikos Entdeckung, dass es doch noch Leben auf der Venus gibt: Die Warnung vor dem Horror eines Atomkriegs einerseits das Zeichen der Hoffnung andererseits. Doch der Film tut nichts, um diese Wirkung beim Publikum hervorzurufen.
Natürlich hilft es auch nicht gerade, dass sämtliche Mitglieder der Crew als Charaktere äußerst blass bleiben.
Ironischerweise fühlt man sich gleichzeitig dazu gedrängt, es zu begrüßen, dass der einzige ernsthafte Versuch, die Beziehungen unter ihnen mernschlich zu vertiefen, schon im Ansatz stecken bleibt: Offenbar dachten die Drehbuchschreiber, dass das Hinzufügen einer Frau zum Kosmokrator - Team {in Lems Roman ist die Crew rein männlich} notwendigerweise mit einer Liebesgeschichte verknüpft werden müsste. Also gab man Brinkmann und Sumiko eine nur vage angedeutete gemeinsame romantische Vergangenheit. Immerhin beweist die Medizinerin in ihrer Reaktion auf die erneuten Annäherungsversuche des Piloten eine gewisse Professionalität. Dennoch darf man sich glücklich schätzen, dass diese klischeehafte Storyidee schon bald fast völlig fallengelassen wird und im weiteren Verlauf der Handlung so gut wie keine Rolle spielt.        

Wenn Der schweigende Stern dennoch einen Besuch lohnt, so beinah ausschließlich aufgrund der phantastischen Kulissen und Modelle, die das Produktionsteam mit großem Aufwand in den Babelsberger Studios kreierte.
Die Leitung oblag dabei dem alten SFX-Veteranen Ernst Kunstmann, der in den 20er Jahren an der Entwicklung des Schüfftan-Spiegeltrick-Verfahrens beteiligt gewesen war, und an der Produktion von Klassikern wie Fritz Langs Der müde Tod (1921), Metropolis (1927) und Das Testament des Dr. Mabuse (1933) sowie F.W. Murnaus Der letzte Mann (1924) mitgewirkt hatte. Über seine politischen Überzeugungen ist mir nichts bekannt, aber offenbar konnte er seine Arbeit im Dritten Reich problemlos fortsetzen, u.a. bei Leni Riefenstahls berüchtigtem Triumph des Willens (1935), der antibritischen Titanic (1943) und Münchhausen (1943). Zu DDR-Zeiten konnte er sein Talent vor allem bei den DEFA-Märchenfilmen Das kalte Herz (1950), Die Geschichte vom kleinen Muck (1953), Das singende, klingende Bäumchen (1957) und Das Feuerzeug (1958) unter Beweis stellen. Seiner Tochter und Mitarbeiterin Vera zufolge bereiteten ihm diese "am meisten Freude [...] Da konnte er sich so richtig ausleben."
Irgendwer hat auf Twitter mal die Frage in den Raum gestellt, ob Der schweigende Stern nicht eine der Inspirationen für Mario Bavas grandiosen SciFi - Horror - Mix Terrore nello spazio / Planet of the Vampires (1965; vgl. hier) gewesen sein könnte. Wie wahrscheinlich das ist, kann ich nicht abschätzen. IMDB zufolge gibt es zwar eine italienische Fassung des Films (Il pianeta morto aka Sojoux 111 terrore su Venere), doch wann diese dem Publikum erstmals zugänglich gemacht wurde, wird dort nicht genannt. Natürlich könnte Bava auch die 1962 herausgekommene US-Version gesehen haben. Aber wie dem auch sei, ich denke in stilistischer Hinsicht sind die Unterschiede doch ziemlich groß.
Wenn die These trotzdem nicht völlig aus der Luft gegriffen scheint, so weil die Venuslandschaft des Schweigenden Sterns bei aller Unterschiedlichkeit in der Tat gleichfalls wunderbar bizarr und beinah surrealistisch wirkt. Die wahren Stars des Filmes sind nicht die schablonenhaften Kosmonauten, sondern der groteske "gläserne Wald", der sich als Teil der venusianischen Superwaffe entpuppt, die "weiße Kugel" und die zerschmolzenen Überreste der Venusmetropole, die konische Miniversion des Turms von Babel, über deren gewendelte Außenrampe unsere Helden vor einem "Blob" - mäßigen Monstrum flüchten.
Sie sind es, die den DEFA-Streifen trotz aller Schwächen zu einem kleinen Klassiker des Science Fiction - Films machen.


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