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Samstag, 26. August 2017
Strandgut der Woche
Freitag, 25. August 2017
Back in the U.S.S.R. (VIII)
In den Gedichten Nikolai Kljujews und Sergei Jessenins, von denen hier bereits einmal die Rede war, nahm der Traum von einem russischen Bauernparadies, das aus der Revolution hervorgehen sollte, naturgemäß die Gestalt einer in poetische Bilder gekleideten Vision an. Sehr viel nüchterner tritt er uns in Alexander W. Tschajanows kurzer Erzählung Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie entgegen.
Der Verfasser war weder Bauer noch Dichter, sondern ein Ökonom und Agrarwissenschaftler, der sich eher nebenbei auch als Schriftsteller betätigte.
Tschajanows literarisches Werk besteht in erster Linie aus fünf zwischen 1918 und 1928 geschriebenen und publizierten unheimlich-phantastischen Erzählungen, die ganz in der Tradition der Romantik und vor allem in der E.T.A. Hoffmanns stehen – voller "mermaids, mirrors, mesmerists, and card-playing demons who worship Satan in London gentlemen’s clubs." (1) Jelena Belaserskaja, die Ehefrau von Michail Bulgakow, erwähnt in ihren Memoiren, dass die Geschichten einen tiefen Eindruck auf ihren Mann hinterließen und schließlich zu einer der Inspirationsquellen für sein phantastisches Meisterwerk Der Meister und Margarita (1940) wurden.
Im Unterschied zu diesen ist die Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie sehr viel direkter ein Ausdruck von Tschajanows politischen und sozialen Idealen.
1888 in eine bürgerliche Familie hineingeboren, studierte Alexander Wassiljewitsch Tschajanow von 1906-12 am Moskauer Agrarinstitut, um anschließend selbst zu lehren und zu publizieren. Wenn man Wikipedia glauben darf, arbeitete er ab 1914 für verschiedene staatliche Institutionen. Nach der Revolution wurde er 1919 zum Direktor des Seminars für Landwirtschaftliche Ökonomie an der Moskauer Timirjasew-Akademie ernannt. Ein Posten, den er für zehn Jahre innehaben sollte, obwohl er kein marxistischer Ökonom war, und seine Ansichten über die Entwicklung der bäuerlichen Wirtschaft in diamentralem Gegensatz zu denen Lenins standen, wie sie dieser u.a. in seiner umfangreichen Studie Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland dargelegt hatte. (2) Er wäre sogar beinahe Mitglied der Staatlichen Planungsbehörde GOSPLAN geworden, doch wurde seine Ernennung im letzten Moment widerrufen.
Tschajanow war ein begeisterter Anhänger der Kooperativbewegung, stand jedoch der Idee einer sozialistischen, kollektiv organisierten Landwirtschaft äußerst skeptisch gegenüber. In den Jahren von Stalins Aufstieg zur absoluten Macht dürfte ihn dies allerdings kaum in Konflikt mit der dominierenden Clique im Politbüro gebracht haben. Eher im Gegenteil, denn in ihrem Verlangen nach Ruhe und Stabilität verfolgte die Bürokratie, die in Stalin ihren Woschd (Führer) gefunden hatte, fürs erste eine ausgesprochen zurückhaltende Wirtschaftspolitik, die im Agrarsektor vor allem die wohlhabenderen Schichten des Dorfes begünstigte. In ihrem Kampf erst gegen die Linke, dann gegen die Vereinigte Opposition (Trotzki, Sinowjew, Kamenew) ging die Stalinfraktion ein vorübergehendes Bündnis mit dem rechten Flügel der Bolschewistischen Partei um Nikolai Bucharin (3), Alexei Rykow und Michail Tomski ein.
Zwei Jahre nach der Zerschlagung der Vereinigten Opposition sollte sich die stalinistische Führung dann allerdings mit einer rasch wachsenden ökonomisch-politischen Krise auf dem Lande konfrontiert sehen, auf die sie nicht anders zu antworten verstand, als mit einem überhasteten, ultraradikalen Kurswechsel.
Jewgeni Preobraschenski, der wohl bedeutendste Ökonom in den Reihen der Linken Opposition, hatte 1921 in seiner Schrift Von der N.E.P. zum Sozialismus dargelegt, wie die auf Lenins Intitiative hin eingeleitete "Neue Ökonomische Politik", die eine partielle Wiederherstellung der Marktwirtschaft darstellte, schließlich in den Sozialismus hinüberwachsen sollte. {Als Kuriosum am Rande sei erwähnt, dass diese Abhandlung – wenn schon nicht dem Inhalt, so doch der Form nach – in Verwandtschaft zur literarischen Phantastik steht, denn Preobraschenski kleidete seine Überlegungen in die Gestalt einer Vortragsreihe, die im Jahre 1970 – lange nach dem Sieg der Weltrevolution – im Moskauer Polytechnischen Museum von dem Historiker Minajew, "who was also a fitter in a railway workshop", gehalten wird.}
Doch die wirtschaftliche Entwicklung unter der NEP verlief anders als erhofft. Zwar erholte sich der Agrarsektor relativ rasch, doch das Wachstum der staatlichen Industrie blieb im Vergleich dazu immer weiter zurück. Eine zentrale Planung existierte fast nur auf dem Papier, und aus fiskalischen Gründen fuhr man die staatlichen Kredite an die Industrie massiv herunter – mit den abzusehenden Folgen. Dieses Ungleichgewicht zeigte sich am augenscheinlichsten in der sog. "Schere": Während der Getreidepreis immer weiter fiel, stieg der Preis für Industrieprodukte rapide an. Vor allem den besser gestellten Bauern (Kulaken) floss zwar immer mehr Geld zu, doch konnten sie sich dafür kaum mehr leisten. Sowohl Preobraschenski als auch Trotzki kritisierten diese Wirtschaftspolitik aufs schärfste, doch alle Aufrufe der Linken Opposition, Planung und Industrialisierung zu intensivieren, stießen bei der herrschenden Fraktion auf taube Ohren. (4)
Schließlich begannen die Kulaken, ihr Getreide zu horten, die Versorgung der städtischen Bevölkerung schien bedroht, und die wachsende Furcht, es könne früher oder später zu einem offenen Bauernaufstand gegen das Regime kommen, war wohl nicht ganz unbegründet. Die bürokratische Führung wusste darauf nicht anders zu reagieren als mit der desaströsen Politik der restlosen Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die Ende 1929 eingeleitet wurde. Dieser abenteuerliche Kurswechsel führte schon bald zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen auf dem Land, fürchterlichen Hungsernöten und dem Tod von Millionen. Die ihn flankierende mörderische Politik der "Liquidierung des Kulakentums als Klasse" bedeutete in Wahrheit die Entfesselung von Massenterror gegen breite Schichten der bäuerlichen Bevölkerung.
Dass Alexander Tschajanow alsbald ins Visier der GPU geriet, ist nicht weiter verwunderlich. Unter den radikal veränderten politischen Bedingungen galt der Ökonom nunmehr als "Verteidiger des Kulakentums" und damit als gemeingefährlicher Konterrevolutionär. Er wurde 1930 verhaftet und zwei Jahre später in einem geheimen Prozess gegen die fiktiven Verschwörer der fiktiven "Arbeiter-Bauern-Partei" zu fünf Jahren Zwangsarbeit in Kasachstan verurteilt. Kaum hatte er seine Strafe abgebüßt, landete er 1937 im Zuge des Großen Terrors erneut vor einem stalinistischen Tribunal, das ihn diesmal im Schnellverfahren zum Tode verurteilte. Noch am selben Tag fand er sich vor dem Erschießungskommando wieder. {Preobraschenski ereilte übrigens im selben Jahr das gleiche Schickasl, obwohl er 1929 vor Stalin kapituliert hatte}
Bizarrerweise hatten Stalins Mordschergen den Namen der angeblichen Verschwörergruppe, zu deren Führungszirkel der Wirtschaftswissenschaftler gehören sollte, Tschajanows Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie entlehnt. So verknüpft ein makabres Band die utopische Erzählung mit dem tragischen Schicksal, dem ihr Verfasser schließlich anheimfallen sollte.
Der Verfasser war weder Bauer noch Dichter, sondern ein Ökonom und Agrarwissenschaftler, der sich eher nebenbei auch als Schriftsteller betätigte.
Tschajanows literarisches Werk besteht in erster Linie aus fünf zwischen 1918 und 1928 geschriebenen und publizierten unheimlich-phantastischen Erzählungen, die ganz in der Tradition der Romantik und vor allem in der E.T.A. Hoffmanns stehen – voller "mermaids, mirrors, mesmerists, and card-playing demons who worship Satan in London gentlemen’s clubs." (1) Jelena Belaserskaja, die Ehefrau von Michail Bulgakow, erwähnt in ihren Memoiren, dass die Geschichten einen tiefen Eindruck auf ihren Mann hinterließen und schließlich zu einer der Inspirationsquellen für sein phantastisches Meisterwerk Der Meister und Margarita (1940) wurden.
Im Unterschied zu diesen ist die Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie sehr viel direkter ein Ausdruck von Tschajanows politischen und sozialen Idealen.
1888 in eine bürgerliche Familie hineingeboren, studierte Alexander Wassiljewitsch Tschajanow von 1906-12 am Moskauer Agrarinstitut, um anschließend selbst zu lehren und zu publizieren. Wenn man Wikipedia glauben darf, arbeitete er ab 1914 für verschiedene staatliche Institutionen. Nach der Revolution wurde er 1919 zum Direktor des Seminars für Landwirtschaftliche Ökonomie an der Moskauer Timirjasew-Akademie ernannt. Ein Posten, den er für zehn Jahre innehaben sollte, obwohl er kein marxistischer Ökonom war, und seine Ansichten über die Entwicklung der bäuerlichen Wirtschaft in diamentralem Gegensatz zu denen Lenins standen, wie sie dieser u.a. in seiner umfangreichen Studie Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland dargelegt hatte. (2) Er wäre sogar beinahe Mitglied der Staatlichen Planungsbehörde GOSPLAN geworden, doch wurde seine Ernennung im letzten Moment widerrufen.
Tschajanow war ein begeisterter Anhänger der Kooperativbewegung, stand jedoch der Idee einer sozialistischen, kollektiv organisierten Landwirtschaft äußerst skeptisch gegenüber. In den Jahren von Stalins Aufstieg zur absoluten Macht dürfte ihn dies allerdings kaum in Konflikt mit der dominierenden Clique im Politbüro gebracht haben. Eher im Gegenteil, denn in ihrem Verlangen nach Ruhe und Stabilität verfolgte die Bürokratie, die in Stalin ihren Woschd (Führer) gefunden hatte, fürs erste eine ausgesprochen zurückhaltende Wirtschaftspolitik, die im Agrarsektor vor allem die wohlhabenderen Schichten des Dorfes begünstigte. In ihrem Kampf erst gegen die Linke, dann gegen die Vereinigte Opposition (Trotzki, Sinowjew, Kamenew) ging die Stalinfraktion ein vorübergehendes Bündnis mit dem rechten Flügel der Bolschewistischen Partei um Nikolai Bucharin (3), Alexei Rykow und Michail Tomski ein.
Zwei Jahre nach der Zerschlagung der Vereinigten Opposition sollte sich die stalinistische Führung dann allerdings mit einer rasch wachsenden ökonomisch-politischen Krise auf dem Lande konfrontiert sehen, auf die sie nicht anders zu antworten verstand, als mit einem überhasteten, ultraradikalen Kurswechsel.
Jewgeni Preobraschenski, der wohl bedeutendste Ökonom in den Reihen der Linken Opposition, hatte 1921 in seiner Schrift Von der N.E.P. zum Sozialismus dargelegt, wie die auf Lenins Intitiative hin eingeleitete "Neue Ökonomische Politik", die eine partielle Wiederherstellung der Marktwirtschaft darstellte, schließlich in den Sozialismus hinüberwachsen sollte. {Als Kuriosum am Rande sei erwähnt, dass diese Abhandlung – wenn schon nicht dem Inhalt, so doch der Form nach – in Verwandtschaft zur literarischen Phantastik steht, denn Preobraschenski kleidete seine Überlegungen in die Gestalt einer Vortragsreihe, die im Jahre 1970 – lange nach dem Sieg der Weltrevolution – im Moskauer Polytechnischen Museum von dem Historiker Minajew, "who was also a fitter in a railway workshop", gehalten wird.}
Doch die wirtschaftliche Entwicklung unter der NEP verlief anders als erhofft. Zwar erholte sich der Agrarsektor relativ rasch, doch das Wachstum der staatlichen Industrie blieb im Vergleich dazu immer weiter zurück. Eine zentrale Planung existierte fast nur auf dem Papier, und aus fiskalischen Gründen fuhr man die staatlichen Kredite an die Industrie massiv herunter – mit den abzusehenden Folgen. Dieses Ungleichgewicht zeigte sich am augenscheinlichsten in der sog. "Schere": Während der Getreidepreis immer weiter fiel, stieg der Preis für Industrieprodukte rapide an. Vor allem den besser gestellten Bauern (Kulaken) floss zwar immer mehr Geld zu, doch konnten sie sich dafür kaum mehr leisten. Sowohl Preobraschenski als auch Trotzki kritisierten diese Wirtschaftspolitik aufs schärfste, doch alle Aufrufe der Linken Opposition, Planung und Industrialisierung zu intensivieren, stießen bei der herrschenden Fraktion auf taube Ohren. (4)
Schließlich begannen die Kulaken, ihr Getreide zu horten, die Versorgung der städtischen Bevölkerung schien bedroht, und die wachsende Furcht, es könne früher oder später zu einem offenen Bauernaufstand gegen das Regime kommen, war wohl nicht ganz unbegründet. Die bürokratische Führung wusste darauf nicht anders zu reagieren als mit der desaströsen Politik der restlosen Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die Ende 1929 eingeleitet wurde. Dieser abenteuerliche Kurswechsel führte schon bald zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen auf dem Land, fürchterlichen Hungsernöten und dem Tod von Millionen. Die ihn flankierende mörderische Politik der "Liquidierung des Kulakentums als Klasse" bedeutete in Wahrheit die Entfesselung von Massenterror gegen breite Schichten der bäuerlichen Bevölkerung.
Dass Alexander Tschajanow alsbald ins Visier der GPU geriet, ist nicht weiter verwunderlich. Unter den radikal veränderten politischen Bedingungen galt der Ökonom nunmehr als "Verteidiger des Kulakentums" und damit als gemeingefährlicher Konterrevolutionär. Er wurde 1930 verhaftet und zwei Jahre später in einem geheimen Prozess gegen die fiktiven Verschwörer der fiktiven "Arbeiter-Bauern-Partei" zu fünf Jahren Zwangsarbeit in Kasachstan verurteilt. Kaum hatte er seine Strafe abgebüßt, landete er 1937 im Zuge des Großen Terrors erneut vor einem stalinistischen Tribunal, das ihn diesmal im Schnellverfahren zum Tode verurteilte. Noch am selben Tag fand er sich vor dem Erschießungskommando wieder. {Preobraschenski ereilte übrigens im selben Jahr das gleiche Schickasl, obwohl er 1929 vor Stalin kapituliert hatte}
Bizarrerweise hatten Stalins Mordschergen den Namen der angeblichen Verschwörergruppe, zu deren Führungszirkel der Wirtschaftswissenschaftler gehören sollte, Tschajanows Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie entlehnt. So verknüpft ein makabres Band die utopische Erzählung mit dem tragischen Schicksal, dem ihr Verfasser schließlich anheimfallen sollte.
Protagonist der 1920 erstmals veröffentlichten, aber unvollendet gebliebenen Erzählung, ist der Soziologe und Sowjetangestellte Alexei Kremnew – offensichtlich ein alter ego des Autors.
Im Eingangskapitel sehen wir ihn durch das abendliche Moskau nach Hause wandern, nachdem er einer öffentlichen Versammlung im Audimax des Polytechnischen Museums beigewohnt hat – derselben Instiution also, in der Preobraschenskis Minajew seine Vorträge halten würde. Die in der nahen Zukunft angesiedelte Szenerie wirkt bedrückend und leicht dystopisch. Unser Protagonist wird als "Besitzer des Arbeitsbuches Nr. 37.413" eingeführt. Wo einst Antiquariate zum Stöbern in alten Büchern einluden, kann "man jetzt beim trüben Licht der Laterne die kurze Aufschrift 'Glawbum' lesen". (5) Diese Welt, in der "sich der Sozialismus als uneingeschränkter Herrscher" betrachten darf, wirkt wenig einladend. (6) Und so empfindet es offensichtlich auch Kremnew, wenn er in seiner Wohnung angekommen über seiner Sammlung sozialistisch-utopischer Klassiker wie William Morris, Tschernyschewski und Fourier ins Grübeln gerät:
Im Eingangskapitel sehen wir ihn durch das abendliche Moskau nach Hause wandern, nachdem er einer öffentlichen Versammlung im Audimax des Polytechnischen Museums beigewohnt hat – derselben Instiution also, in der Preobraschenskis Minajew seine Vorträge halten würde. Die in der nahen Zukunft angesiedelte Szenerie wirkt bedrückend und leicht dystopisch. Unser Protagonist wird als "Besitzer des Arbeitsbuches Nr. 37.413" eingeführt. Wo einst Antiquariate zum Stöbern in alten Büchern einluden, kann "man jetzt beim trüben Licht der Laterne die kurze Aufschrift 'Glawbum' lesen". (5) Diese Welt, in der "sich der Sozialismus als uneingeschränkter Herrscher" betrachten darf, wirkt wenig einladend. (6) Und so empfindet es offensichtlich auch Kremnew, wenn er in seiner Wohnung angekommen über seiner Sammlung sozialistisch-utopischer Klassiker wie William Morris, Tschernyschewski und Fourier ins Grübeln gerät:
Eure einsamen Träume sind heute allgemeine Überzeugungen, eure großartigen, kühnen Ideen – offizielles Program und graue Alltäglichkeit! [...] Seid ihr's zufrieden, ihr Pioniere der Utopie?Recht bezeichnend ist allerdings, worin einer der Hauptgründe für Kremnews Unbehagen besteht:
[I]n seinem Kopf brannten schmerzhaft die Worte, Sätze und Bruchstücke von Sätzen, die er eben erst auf dem Meeting im Polytechnischen Museum vernommen hatte: "Indem wir den heimischen Herd zerstören, versetzen wir der bourgeoisen Gesellschaft den Todesstoß!" "Unser Dekret, das die häusliche Verpflegung verbietet, wirft das süße Gift der bourgeoisen Familie hinaus aus unserem Dasein und verankert das sozialistische Prinzip bis ans Ende aller Zeiten." "Die familiäre Behaglichkeit gebiert eigensüchtige Wünsche, die Freude des Kleinbesitzers birgt in sich die Keime des Kapitalismus." Der übermüdete Kopf schmerzte dumpf und war bereits daran gewöhnt zu denken, ohne den Verstand dabei zu gebrauchen, ohne Schlussfolgerungen zu ziehen, während die Beine mechanisch dem halbzerstörten heimischen Herd zusteuerten, der gemäß dem eben erst veröffentlichten und erläuterten Dekret vom 27. Oktober 1921 innerhalb einer Woche dem völligen Untergang geweiht sein sollte.
Das erinnert mich doch sehr stark an Iwan Babitschews "Kopfkissenrede" aus Juri Oleschas Roman Neid, den ich hier vor Zeiten schon einmal besprochen habe:
Genossen! Man will euch euren teuersten Besitz nehmen: euren häuslichen Herd. Die Pferde der Revolution donnern über die Hintertreppen, zerstampfen unsere Kinder und Katzen und brechen in unsere Küchen ein. Frauen, der Herd, euer Stolz, euer Ruhm, ist bedroht! Mütter und Frauen, die Elefanten der Revolution wollen eure Küche niedertrampeln. (7)
Die Vorstellung, der Kommunismus strebe die Aufhebung der Familie an, hatte seine bürgerlichen Gegner seit jeher besonders in Rage versetzt. Natürlich erließ die Sowjetregierung nie ein Dekret, das dem in Tschajanows Erzählung geähnelt hätte. Dennoch reagiert der Schriftsteller hier auf sehr reale Entwicklungen im revolutionären Russland.
Die gesellschaftliche Emanzipation der Frau gehörte zu den erklärten Zielen der Bolschewiki. Nicht zufällig war es die Oktoberrevolution, die mit Alexandra Kollontai als Volkskommissarin für soziale Fürsorge erstmals eine Frau auf einen Ministerposten erhob.
Neben der selbstverständlichen rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter erließ die revolutionäre Regierung eine ganze Reihe dahingehender Gesetze: Verwandlung der Eheschließung in einen simplen Verwaltungsakt im Stile einer "eingetragenen Partnerschaft"; eine extrem unbürokratische Scheidungsregelung ohne langwierige Prozesse oder "schuldige Parteien"; eine neue Sexualgesetzgebung, die u.a. die Homosexualität entkriminalisierte (8); Legalisierung der Abtreibung; Einführung von bezahltem Mutterschaftsurlaub und anderen arbeitsrechtlichen Regelungen im Interesse der Arbeiterinnen usw.
Doch den Bolschewiki war bewusst, dass solche gesetzlichen Initiativen nur der erste Schritt auf einem schweren und langen Weg sein konnten. Wie Alexandra Kollontai 1921 in einer Vortragsreihe, die sie an der Swerdlow-Universität vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen hielt, erklärte, änderte die "formale Gleichheit vor dem Gesetz" nicht automatisch, dass "die Frau [...] aufgrund der noch bestehenden bürgerlichen Traditionen weiterhin diskriminiert und entmündigt" wurde. Dies könne sich nur ändern, wenn die materiellen Grundlagen, auf denen diese Traditionen erwachsen waren, beseitigt würden.
Solange die Frau an den heimischen Herd gefesselt und zugleich von ihrem "Gatten und Ernährer" abhängig blieb, war an an eine wirkliche Emanzipation nicht zu denken. Um noch einmal Kollontai zu zitieren: "Vor dem Hintergrund der Geschichte der Frau ist die 'Trennung von Küche und Ehe' tatsächlich eine sehr wichtige Reform; für die Frau nicht weniger wichtig als die Trennung von Staat und Kirche." (9) Wie ein bolschewistisches Propagandaplakat kämpferisch verkündete: "Nieder mit der Küchensklaverei und vorwärts zu einem neuen Leben!" Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, die Bedeutung des Einfamilienhaushalts durch das Errichten eines dichten Netzwerks von Krippen, Kindergärten, Volkskantinen, öffentlichen Wäschereien usw. immer weiter abzuschwächen und den Übergang zu neuen, kollektiven Formen des Zusammenlebens voranzutreiben. (10)
Unter den Bedingungen von extremem materiellem Mangel und Bürgerkrieg, wie sie während der ersten Jahre der Revolution herrschten, konnten alle dahingehenden Bemühungen natürlich bestenfalls zu sehr primitiven und unzureichenden Resultaten führen. Für alle Verehrer der traditionellen Werte von "Heim & Herd" mussten sie dennoch einen direkten Angriff auf ihr Allerheiligstes darstellen.
Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass auch Tschajanow zu diesen Verehrern gehörte. Ob und wie sich das in seinen Visionen einer utopischen Zukunft niedergeschlagen hat, werden wir noch sehen.
Kehren wir also zu Alexej Kremnew in seiner traurigen Moskauer Wohnung zurück. Kaum hat der gute Mann einen Band des revolutionären Slawophilen Alexander Herzen aufgeschlagen, da wird er auch schon von einem magischen "Zeitwirbel" erfasst, der ihn in das Jahr 1984 schleudert.
Dort hält man ihn irrtümlich für den Amerikaner Charlie Man, der das "neue Russland" besucht, um sich "über die Ingenieuranlagen auf dem Gebiet der Bodenbearbeitung zu informieren." Kremnew beeilt sich nicht, dieses Missverständnis aufzuklären, eröffnet sich ihm damit doch die Gelegenheit, seine Neugier über diese Welt der Zukunft zu befriedigen, ohne dabei Verdacht zu erregen. Und ganz offensichtlich hat sich in den letzten sechzig Jahren vieles verändert, wie ihm schon sein erster Blick aus dem Fenster offenbart:
Nun gehört seit jeher ein spannender Plot nicht unbedingt zu den Grundcharakteristika utopischer Literatur. Und Tschajanows Erzählung macht da keine Ausnahme. Aber natürlich lesen wir solche Bücher auch nicht, um uns von der Handlung fesseln zu lassen oder vielschichtige Charaktere kennenzulernen. Uns interessiert hauptsächlich die in ihnen entworfene Gestalt einer alternativen Gesellschaftsordnung. Die Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie ist darüberhinaus auch eine Kritik an den Zielen und Idealen der bolschewistischen Revolution.
Wie wir erfahren, hatte die in den 20er Jahren errichtete sozialistische Weltrepublik keinen langen Bestand. Schuld daran war der deutsche Nationalismus:
Nachdem das proletarische Regime durch einen Konflikt anlässlich des "Dekrets über die zwangsweise Einführung der »Eugenik«-Methoden" (12) zerbrochen war, gelangten in Russland im Laufe der 30er Jahre die Bauernparteien an die Macht und setzten eine radikale gesellschaftliche Umwälzung in Gang. Kernstück dessen war die völlige Auflösung der Städte und die Umsiedelung ihrer Bewohner auf das flache Land. Ehemalige Metropolen wie Moskau sind bloß noch "soziale Knotenpunkte eines allgemeinen Landlebens" – von weitläufigen Parks durchzogene Ansammlungen kultureller Institutionen, historischer Gebäude und riesiger Hotels, deren permante Einwohnerschaft maximal ein paar Tausende zählt. Grundlage der Ökonomie ist die bäuerliche Einzelwirtschaft, die Tschajanow als die ideale Form des menschlichen Lebens feiert:
Solange die Frau an den heimischen Herd gefesselt und zugleich von ihrem "Gatten und Ernährer" abhängig blieb, war an an eine wirkliche Emanzipation nicht zu denken. Um noch einmal Kollontai zu zitieren: "Vor dem Hintergrund der Geschichte der Frau ist die 'Trennung von Küche und Ehe' tatsächlich eine sehr wichtige Reform; für die Frau nicht weniger wichtig als die Trennung von Staat und Kirche." (9) Wie ein bolschewistisches Propagandaplakat kämpferisch verkündete: "Nieder mit der Küchensklaverei und vorwärts zu einem neuen Leben!" Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, die Bedeutung des Einfamilienhaushalts durch das Errichten eines dichten Netzwerks von Krippen, Kindergärten, Volkskantinen, öffentlichen Wäschereien usw. immer weiter abzuschwächen und den Übergang zu neuen, kollektiven Formen des Zusammenlebens voranzutreiben. (10)
Unter den Bedingungen von extremem materiellem Mangel und Bürgerkrieg, wie sie während der ersten Jahre der Revolution herrschten, konnten alle dahingehenden Bemühungen natürlich bestenfalls zu sehr primitiven und unzureichenden Resultaten führen. Für alle Verehrer der traditionellen Werte von "Heim & Herd" mussten sie dennoch einen direkten Angriff auf ihr Allerheiligstes darstellen.
Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass auch Tschajanow zu diesen Verehrern gehörte. Ob und wie sich das in seinen Visionen einer utopischen Zukunft niedergeschlagen hat, werden wir noch sehen.
Kehren wir also zu Alexej Kremnew in seiner traurigen Moskauer Wohnung zurück. Kaum hat der gute Mann einen Band des revolutionären Slawophilen Alexander Herzen aufgeschlagen, da wird er auch schon von einem magischen "Zeitwirbel" erfasst, der ihn in das Jahr 1984 schleudert.
Dort hält man ihn irrtümlich für den Amerikaner Charlie Man, der das "neue Russland" besucht, um sich "über die Ingenieuranlagen auf dem Gebiet der Bodenbearbeitung zu informieren." Kremnew beeilt sich nicht, dieses Missverständnis aufzuklären, eröffnet sich ihm damit doch die Gelegenheit, seine Neugier über diese Welt der Zukunft zu befriedigen, ohne dabei Verdacht zu erregen. Und ganz offensichtlich hat sich in den letzten sechzig Jahren vieles verändert, wie ihm schon sein erster Blick aus dem Fenster offenbart:
Am blauen Himmel schwammen dicke, herbstliche Wolkenschiffe. Neben ihnen, etwas tiefer, unmittelbar über der Erde schwebten einige Luftschiffe, kleinere und größere, von seltsamer Gestalt, und ihre sich drehenden metallischen Teile funkelten in der Sonne. Unten breitete sich die Stadt aus ...Unter Leitung des freundlichen Nikifor Alexejewitsch Minin beginnt er seine Erkundungstour.
Zweifellos, dies war Moskau. Links ragten die riesigen Kremltürme, rechts schimmerte rot die Sucharewka, und dort in der Ferne erhoben sich stolz die Kadaschi. Ein schon seit vielen, vielen Jahren bekannter Anblick. Doch wie sich ringsum alles verändert hatte! Verschwunden waren die steinernen Monumentalbauten, die einst den Horizont überzogen, ganze Gebäudekomplexe waren nicht mehr vorhanden, das Haus Nirenseje stand nicht mehr an seinem Platz...
Statt dessen versank die ganze Umgebung in Gärten ... Die gesamte Fläche bis dicht an den Kreml füllten weit ausladende Baumgruppen, in denen einsame Inseln architektonischer Einheiten zurückblieben. Alleen kreuzten das grüne, sich bereits gelb färbende Meer. Auf ihnen bewegten sich lebhafte Ströme von Fußgängern, Autos und Equipagen. All dies atmete den Hauch klarer Frische, zuversichtlicher Lebensfreude.
Zweifellos, dies war Moskau, aber ein neues Moskau, ein verwandeltes, lichteres.
Nun gehört seit jeher ein spannender Plot nicht unbedingt zu den Grundcharakteristika utopischer Literatur. Und Tschajanows Erzählung macht da keine Ausnahme. Aber natürlich lesen wir solche Bücher auch nicht, um uns von der Handlung fesseln zu lassen oder vielschichtige Charaktere kennenzulernen. Uns interessiert hauptsächlich die in ihnen entworfene Gestalt einer alternativen Gesellschaftsordnung. Die Reise meines Bruders Alexej ins Reich der bäuerlichen Utopie ist darüberhinaus auch eine Kritik an den Zielen und Idealen der bolschewistischen Revolution.
Wie wir erfahren, hatte die in den 20er Jahren errichtete sozialistische Weltrepublik keinen langen Bestand. Schuld daran war der deutsche Nationalismus:
Die Idee einer kriegerischen Revanche war mit keinerlei Dogmen des Sozialismus aus der deutschen Seele auszumerzen, und aus nichtigem Anlass, wegen der Verteilung der Kohle aus dem Saargebiet, hatten die deutschen Gewerkschaften ihren Präsidenten Radek dazu gezwungen, die deutschen Metallarbeiter und Bergleute zu mobilisieren und das Saarland mit militärischer Gewalt zu besetzen, noch bevor eine Entscheidung in dieser Frage auf einem Kongress des Mirsownarchos [Weltwirtschaftsrat] herbeigeführt werden konnte.Europa war erneut in seine Bestandteile zerfallen. Das Gebäude der Welteinheit stürzte ein, und ein blutiger Krieg begann. (11)Dass Tschajanow keine sonderlich gute Meinung von den Deutschen hat, wird im Laufe der Erzählung mehr als einmal sehr deutlich. Bizarrerweise spielt dabei die Anthroposophie die Rolle der Staatsideologie der verhassten deutschen Räterepublik!
Nachdem das proletarische Regime durch einen Konflikt anlässlich des "Dekrets über die zwangsweise Einführung der »Eugenik«-Methoden" (12) zerbrochen war, gelangten in Russland im Laufe der 30er Jahre die Bauernparteien an die Macht und setzten eine radikale gesellschaftliche Umwälzung in Gang. Kernstück dessen war die völlige Auflösung der Städte und die Umsiedelung ihrer Bewohner auf das flache Land. Ehemalige Metropolen wie Moskau sind bloß noch "soziale Knotenpunkte eines allgemeinen Landlebens" – von weitläufigen Parks durchzogene Ansammlungen kultureller Institutionen, historischer Gebäude und riesiger Hotels, deren permante Einwohnerschaft maximal ein paar Tausende zählt. Grundlage der Ökonomie ist die bäuerliche Einzelwirtschaft, die Tschajanow als die ideale Form des menschlichen Lebens feiert:
Wir betrachteten und betrachten sie immer noch als die vollendetste Form wirtschaftlicher Tätigkeit. Hier tritt der Mensch der Natur entgegen, hier kommt die Arbeit in schöpferische Berührung mit allen Kräften des Kosmos und lässt neue Lebensformen entstehen. Jeder Arbeiter wird zu einem Schöpfer, jede Äußerung seiner Individualität ein Kunstwerk der Arbeit. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass Leben und Arbeiten auf dem Lande äußerst gesund sind, dass das Leben eines Landwirts außerordentlich vielseitig ist, und andere Selbstverständlichkeiten. Dies ist der natürliche Zustand des Menschen, aus dem er von dem Dämon Kapitalismus vertrieben wurde.
Diese Idealisierung des bäuerlichen Lebens geht mit einer slawophil anmutenden Verherrlichung "altrussischer" Kultur einher. Zwar können die Menschen der Zukunft das Wetter mit Hilfe ihrer "Meteorophoren" kontrollieren und fliegen, wenn's schnell gehen soll, rasch mal mit einem "Aeropil" nach Moskau, doch auf dem Jahrmarkt von Belaja Kolp
[pfiffen] die kleinen Lausbuben [wie in der guten alten Zeit] auf tönernen, vergoldeten kleinen Hähnen, wie sie dies im übrigen bereits zur Zeit eines Iwan Wassiljewitsch oder in Groß-Nowgorod getan hatten. Eine zweireihige Harmonika spielte schwungvoll zur Polka auf. Mit einem Wort: Alles war genau so, wie es sein sollte.
Die Bauerngarde trägt "malerische Strelitzenkostüme", Susdaler Ikonen und "Geistliche Glockenkonzerte" stehen hoch im Kurs, das Knöchelspiel ist zum Nationalsport erhoben worden und die traditionelle russische Kochkunst feiert fröhliche Urstände – ergänzt durch ein paar Bananen und Koka-Saft. Die neue Nationalhymne ist übrigens Alexander Skrjabins Prometheus.
Apropos Kochkunst: Selbstverständlich hat sich auch die traditionelle Familie von den Erschütterungen der "großen Revolution" erholt und bildet erneut die Kernzelle der Gesellschaft – mit dem graubärtigen Patriarchen an der Spitze und dem Töchterlein in der Küche. {Fairerweise sei allerdings hinzugefügt, dass wir der guten Katharina, in die sich Kremnew selbstredend leidenschaftlich verliebt, später auch kurz als Schwadronskommandeurin in der "leichten Kavallerie der Amazonen" begegnen}. Dem siebten Kapitel seiner Erzählung hat Tschajanow den Zusatz beigefügt "das alle, so sie es wünschen, davon überzeugt, dass eine Familie eine Familie ist und immer eine Familie bleiben wird". Er hätte kaum deutlicher werden können.
Das erste neue Monument, das Kremnew bei seiner Fahrt durch das deurbanisierte Moskau ins Auge sticht, ist eine gewaltige Säule.
Das erste neue Monument, das Kremnew bei seiner Fahrt durch das deurbanisierte Moskau ins Auge sticht, ist eine gewaltige Säule.
Sie war aus lauter Kanonenmündungen hergestellt, und ein mit einem Basrelief geschmücktes metallisches Band rankte sich an ihr spiralenförmig von unten nach oben. Drei aus Bronze gegossene, riesige Figuren, die mit dem Rücken zueinander standen und sich freundschaftlich an der Hand hielten, krönten diese kolossale Säule. Kremnew hätte fast laut aufgeschrieen, als er die ihm wohlbekannten Gesichter erblickte. Kein Zweifel: auf den Tausenden vonGeschützmündungen standen einander freundschaftlich stützend Lenin, Kerenski und Miljukow. .
Kremnews Überraschung ist verständlich, denn solch eine brüderliche Harmonie zwischen dem Führer der Bolschewiki, dem in der Oktoberrevolution gestürzten Ministerpräsidenten und dem imperialistischen Haupt der bürgerlich-liberalen Kadettenparte muss in der Tat absurd wirken. Doch liegt in dieser absurden Umarmung der Kerngedanke von Tschajanows Utopie als einer Mixtur aus Liberalismus, Sozialismus und Agrarpopulismus. Neben den bäuerlichen Einzelwirtschaften existieren sowohl ein weitgespanntes Geflecht kooperativer Zusammenschlüsse als auch einige Restbestände eines gezähmten Kapitalismus. Eine der ersten Initiativen der Bauernregierung war die Wiedereinführung des "persönlichen Anreizes": Wie der alte Alexej Minin, der zu ihren Führern gehörte, berichtet:
Tschajanows emphathisches Bekenntnis zum politischen Pluralismus und seine Abneigung gegen dikatorische Gewaltmaßnahmen seitens des Staates wirken zwar sehr sympathisch, aber auch etwas naiv im Kontext einer Revolution, die sich zum Zeitpunkt der Niederschrift der Erzählung nicht bloß gegen die weißen Armeen der Konterrevolution verteidigen musste, sondern auch gegen die britischen, französischen, amerikanischen, japanischen Interventionstruppen – um nur die wichtigsten zu nennen. Auch ist ziemlich klar, dass die Initiatoren seiner erträumten Bauernrevolution gleichfalls nicht davor zurückschreckten, ihr Utopia mit Hilfe von Dynamit und Maschinengewehren zu errichten, auch wenn sie inzwischen auf dererlei Werkzeuge verzichten können.
Interessanterweise verliert Kremnew am Ende das Vertrauen seiner Gastgeber, wird gar für einen deutschen Spion gehalten, versucht vergeblich, seine Herkunft aus der Vergangenheit zu beweisen, und geht "allein, ohne Beziehungen und mittellos" "einem Leben in einem fast unbekannten utopischen Land entgegegen". Man bedauert es beinahe, dass Tschajanow nie dazu gekommen ist, seine Erzählung zu vollenden.
Als wir die Organisation des Wirtschaftslebens übernahmen, haben wir unverzüglich alle Motoren, die die private Wirtschaftstätigkeit stimulieren, in Gang gesetzt, als da sind: Leistungslohn, Tantiemen für Organisatoren, und wir haben zusätzlich zu den Preisen Prämien auf jene Produkte der bäuerlichen Wirtschaft gezahlt, deren Förderung wir für unerlässlich hielten, wie z. B. die Produkte des Maulbeerbaums im Norden.Zugleich bemühte man sich, die Besitzunterschiede durch ein ausgeklügeltes Steuersystem auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
Tschajanows emphathisches Bekenntnis zum politischen Pluralismus und seine Abneigung gegen dikatorische Gewaltmaßnahmen seitens des Staates wirken zwar sehr sympathisch, aber auch etwas naiv im Kontext einer Revolution, die sich zum Zeitpunkt der Niederschrift der Erzählung nicht bloß gegen die weißen Armeen der Konterrevolution verteidigen musste, sondern auch gegen die britischen, französischen, amerikanischen, japanischen Interventionstruppen – um nur die wichtigsten zu nennen. Auch ist ziemlich klar, dass die Initiatoren seiner erträumten Bauernrevolution gleichfalls nicht davor zurückschreckten, ihr Utopia mit Hilfe von Dynamit und Maschinengewehren zu errichten, auch wenn sie inzwischen auf dererlei Werkzeuge verzichten können.
Interessanterweise verliert Kremnew am Ende das Vertrauen seiner Gastgeber, wird gar für einen deutschen Spion gehalten, versucht vergeblich, seine Herkunft aus der Vergangenheit zu beweisen, und geht "allein, ohne Beziehungen und mittellos" "einem Leben in einem fast unbekannten utopischen Land entgegegen". Man bedauert es beinahe, dass Tschajanow nie dazu gekommen ist, seine Erzählung zu vollenden.
(1) Obwohl die Wahl E.T.A. Hoffmanns als literarisches Vorbild im Kontext der frühsowjetischen Literatur auf den ersten Blick recht exzentrisch anmuten mag, war Tschajanow darin doch nicht alleine. Aus gutem Grund hatte sich eine der bedeutendsten literarischen Gruppierungen der frühen 20er Jahre, zu der u.a. Wsewolod Iwanow, Nikolai Nikitin, Konstantin Fedin, Nikolai Tichonow, Wenjamin Kawerin und Viktor Schklowski gehörten, den Namen "Serapionsbrüder" gegeben. In ihrem 1922 veröffentlichten, von Lew Lunz verfassten "Manifest", hieß es u.a.: "Für wen sind wir Serapionsbrüder? Wir sind für den Eremiten Serapion. Wir glauben, dass literarische Phantastereien eine Wirklichkeit sind. Wir wollen keinen Utilitarismus. Wir schreiben nicht für die Propaganda. Die Kunst ist real wie das Leben selbst, und so wie das Leben selbst ist sie ohne Ziel und Sinn, sie existiert, weil sie existieren muss." (Zit. nach: Gleb Struve: Geschichte der Sowjetliteratur. S. 73.)
(2) Eine englische Übersetzung von Tschajanows wirtschaftswissenschaftlichem Hauptwerk Organizatsiya krest'yanskogo khostyaistva (Peasant Farm Organisation) findet sich hier.
(3) Yep, das ist derselbe Bucharin, dem wir in einem früheren Beitrag als Führer der sog. Linkskommunisten während der ersten Jahre der Revolution begegnet sind. Intellektuell brillant, äußerst begeisterungsfähig und persönlich sehr gutmütig, zeichnete sich der in Lenins politischem "Testament" als "Liebling der ganzen Partei" beschriebene Bucharin nicht eben durch theoretische Standfestigkeit aus.
(4) Diese Zusammenfassung simplifiziert die wirtschaftlichen Fragen der Zeit natürlich sehr stark und ignoriert u.a. die zentrale Bedeutung, die dabei dem internationalistischen Charakter der Oktoberrevolution und damit zusammenhängend den Folgen des Scheiterns der Revolution in Westeuropa – vor allem in Deutschland – zukam. Wer an einer etwas ausführlicheren Darlegung interessiert ist, sei auf Nick Beams Aufsatz "Socialism in One Country" and the Soviet economic debates of the 1920s verwiesen:. Part 1 * Part 2a * Part 2b
(5) GLAWBUM = Staatliches Hauptamt für Papierzuteilung.
(6) Interessanterweise vertreten einige Literaturwissenschaftler die These, Tschajanows Erzählung könnte eine der Inspirationen für Jewgeni Samjatins berühmte Dystopie Wir (1924) gewesen sein.
(7) Jurij Olescha: Neid. S. 148.
(8) Was nicht heißen soll, man habe Homosexualität allgemein vorurteilsfrei betrachtet.
Die Beziehung der sozialistischen Arbeiterbewegung zu Schwulen und Lesben war lange Zeit äußerst zwiespältig. Was angesichts der über Jahrhunderte verfestigten homophoben Vorurteile wohl auch kaum anders hätte sein können. Marx und Engels hatten auf den von Karl Heinrich Ulrichs in den 1860ern unternommenen Versuch, eine erste politische Schwulenorganisation in Deutschland zu schaffen, noch mit Spott und Häme reagiert. August Bebel hingegen erwies sich Ende der 1890er als streitbarer Kämpfer gegen den berüchtigen §175. Magnus Hirschfeld berichtet über die offene Haltung des Sozialistenführers: "Als ich Bebel im Sommer 1897 auf seine Aufforderung hin in Schöneberg besuchte, teilte er mir mit, dass ihm der Gegenstand unserer Petition [zur Abschaffung des §175] sehr wichtig erscheine, dass er den Entschluss gefasst habe, die Frage vor versammeltem Hause selbst vorzubringen. [Was Bebel in der Reichtagssitzung vom 13. Januar 1898 auch tat.] Da er nicht Medizin studiert hatte, sich demnach nicht von vornherein als Sachverständiger für alles ansah, was Leib und Seele des Menschen betrifft, stützte er seine Kenntnisse nicht auf Homosexuelle, die zufälligerweise zu ihm kamen, sondern suchte sie wie ein echter Forscher an ihren Sammelpunkten auf, hörte unvoreingenommen an, wie sie ihr Tun und Lassen erklärten, was sie zu ihrer Rechtfertigung vorbrachten und vertiefte sich dann in die einschlägige Literatur." (Zit. nach: Hans-Georg Stümke: Homosexuelle in Deutschland. Eine politische Geschichte. S. 38.)
Für die in der revolutionären Sowjetära erlassenen Gesetze war wohl vor allem die Überzeugung ausschlaggebend, dass der Staat sich nicht in das Sexualleben erwachsener Menschen einzumischen habe und nicht dazu berufen sei, den "Sittenwächter" zu spielen. Wie Grigori Batkis, der Direktor des Instituts für Sozialhygiene, 1923 erklärte: "[D]ie sowjetische Rechtsprechung [legt] die absolute Nichteinmischung von Staat und Gesellschaft in sexuelle Belange fest, solange die Interessen des Einzelnen nicht angerührt werden. Bezüglich Homosexualität, Sodomie und anderer Formen der sexuellen Befriedigung, die in der europäischen Rechtsprechung als Akt gegen die öffentliche Moral angesehen werden, behandelt die sowjetische Regelung sie genauso wie sogenannten 'natürlichen' Verkehr."
Doch unter den Mitgliedern der bolschewistischen Partei gab es in sexuellen Fragen zweifelsohne sehr unterschiedliche Ansichten. Erwähnt sei allerdings, dass der Rat der Volkskommissare mit Grigori Tschitscherin ein offen schwules Mitglied hatte.
Mit dem endgültigen Triumph der stalinistischen Bürokratie kam es in den 30er Jahren auch auf diesem Gebiet zu einer reaktionären Kehrtwende und 1933 wurde Homosexualität erneut unter Strafe gestellt.
(9) Alexandra Kollontai: Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung. S. 171; 196.
(10) Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Bolschewiki glaubten keineswegs, dass durch eine solche Veränderung der materiellen Rahmenbedingungen die alten patriarchalischen Denk - und Verhaltensweisen automatisch und von heute auf morgen aussterben würden. Ihnen war durchaus klar, dass es dazu einer bewussten kulturellen Anstrengung bedurfte. Auch gaben sich Leute wie Lenin oder Trotzki keinerlei Illusionen darüber hin, dass viele Kommunisten trotz ihrer Lippenbekenntnisse zur "Frauenbefreiung" im täglichen Leben immer noch ganz die alten Chauvinsten waren. "Leider heißt es auch bei vielen unserer Genossen: 'Kratzt den Kommunisten, und der Philister erscheint'. Natürlich muss man an der empfindlichsten Stelle kratzen, an seiner Mentalität in puncto Frau. [...] Das alte Herrenrecht des Mannes lebt versteckt weiter." (Zit. nach: Clara Zetkin: Erinnerungen an Lenin. In: Dies. Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. III. S. 150.) "[W]e often witness psychological contrasts in the same mind. A man is a sound communist devoted to the cause, but women are for him just “females,” not to be taken seriously in any way." (Leon Trotsky: The Struggle for Cultured Speech). Bolschewistische Feministinnen wie Alexandra Kollontai hatten immer wieder gegen heftige Widerstände seitens der mehrheitlich männlichen Parteimitgliederschaft anzukämpfen.
P.S.: Fjodor Gladkows "proletarischer" Roman Zement (1927) ist in vielerlei Hinsicht ein bestenfalls mittelmäßiges Werk, doch die ungeschönte Darstellung der zwischenmenschlichen Konflikte, die durch die beginnende Auflösung der traditionellen Geschlechterrollen ausgelöst wurden, rechtfertigt eine Lektüre.
(11) Zwar spielte der in Polen, Deutschland und Sowjetrussland aktive Karl Radek in der Tat eine wichtige Rolle in der Entwicklung der deutschen kommunistischen Bewegung, aber dass Tschajanow ihn zum künftigen Gewerkschaftsführer macht, wirkt trotzdem etwas bizarr.
(12) Worauf genau Tschajanow hier anspielt, ist mir nicht ganz klar. Wir assoziieren die Eugenik heute in erster Linie mit Faschismus und Rassismus, doch während ihrer "Blütezeit" finden wir ihre Ideen über das gesamte politische Spektrum verbreitet. Auch in Sowjetrussland besaß sie ihre Anhänger, obwohl Friedrich Engels derartige Vorstellungen im abschließenden Kapitel seines Anti-Dühring (1878) auf verdiente Weise der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Dennoch wäre es reichlich übertrieben, behaupten zu wollen, die Eugenik habe zu den zentralen Programmpunkten der Bolschewiki gehört.
Samstag, 19. August 2017
Strandgut der Woche
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Samstag, 12. August 2017
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- Dust & Corruption: An August Evening at the Phantom Tavern
Sonntag, 6. August 2017
Willkommen an Bord der "Liberator" – S02/E01: "Redemption"
Ein Blake's 7 - Rewatch
Als Blake's 7 nach einer gut achtmonatigen Pause am 9. Januar 1979 auf die britischen Fernsehschirme zurückkehrte, war klar, dass die Auflösung des Cliffhangers aus Orac einer der Aufhänger für die erste Episode der zweiten Staffel sein würde. Sollte die Liberator wirklich zerstört werden? Und wenn ja, was würde das Schicksal unserer Helden und Heldinnen sein? Wenn nein, wie würde es der Gang gelingen, der Prophezeiung ihres neuen Supercomputers zu entgehen?
Als Blake's 7 nach einer gut achtmonatigen Pause am 9. Januar 1979 auf die britischen Fernsehschirme zurückkehrte, war klar, dass die Auflösung des Cliffhangers aus Orac einer der Aufhänger für die erste Episode der zweiten Staffel sein würde. Sollte die Liberator wirklich zerstört werden? Und wenn ja, was würde das Schicksal unserer Helden und Heldinnen sein? Wenn nein, wie würde es der Gang gelingen, der Prophezeiung ihres neuen Supercomputers zu entgehen?
Nun ist es zwar so, dass dieses Dilemma in Redemption tatsächlich seine Auflösung findet, doch offenbar war weder Terry Nation noch Chris Boucher, der mittlerweile zum zweiten Haupt-Drehbuchschreiber der Serie aufgerückt war, ein grandioser Einfall gekommen, wie man dies auf elegante Weise bewerkstelligen könnte. So verwundert es nicht, dass man das Hauptgewicht der Folge anderswo plazierte. Man beschloss, das Geheimnis um die Herkunft der Liberator zu lüften. Eine gute Idee? Schaun wir mal ...
Die Episode startet stark.
Blake bemüht sich verbissen, herauszufinden, wie es zu der von Orac vorhergesagten Zerstörung der Liberator kommen wird und was man dagegen unternehmen könnte. Ohne Erfolg, zumal das Elektronenhirn jede Mithilfe verweigert. Nachdem er mehrere Stunden vergeblich über dem unheilsverkündenden Video gebrütet hat, gibt Avon ihm zu verstehen, dass er selbst längst die Lösung für ihr Problem gefunden habe. Im Hintergrund der Aufzeichnung sind Sternkonstellationen zu erkennen, und aus diesen lässt sich ohne größere Probleme errechnen, wo genau die Katastrophe sich abspielen soll – mehr oder weniger auf der anderen Seite der Milchstraße! Als Blake verärgert zu wissen verlangt, warum Avon diese Information so lange zurückgehalten habe, bekommt er eine Antwort, die ihm kaum gefallen kann:
Blake: How long have you known?Avon: Oh, several hours.Blake: And you just let the others go on worrying?Avon: Well, all they had to do was ask. Perhaps in future, they won't rely on you to provide all the answers.
Die Szene etabliert erneut das antagonistische Verhältnis, das zwischen den beiden prominentesten Figuren der Serie besteht. Sie unterstreicht Avons unbezweifelbare Intelligenz, zugleich jedoch seine maßlose Selbstverliebtheit. Zudem wird hier erstmals angedeutet, dass das arrogante Computergenie mit dem Gedanken spielt, eines Tages die Kontrolle über die Liberator und ihre Crew an sich zu reißen. Damit werden einige der wichtigsten Parameter für die zweite Staffel von Blake's 7 abgesteckt.
Zu einer offenen Konfrontation zwischen den beiden kommt es freilich noch nicht, denn im nächsten Augenblick wird die Liberator urplötzlich von zwei unbekannten Raumschiffen attackiert. Mit geradezu unheimlicher Effizienz legen die Angreifer die Waffen, den Energieschild und das Steuerungssystem des Schiffes lahm und zwingen es auf diese Weise, mit Höchstgeschwindigkeit auf einem unbekannten Kurs durchs All zu rasen.
Übel genug, doch sehen sich unsere Helden & Heldinnen schon bald vor noch sehr viel größere Probleme gestellt. Nicht nur haben sie die Kontrolle über ihr Schiff verloren, die Liberator wendet sich aktiv gegen ihre eigene Crew. Bordcomputer Zen hatte zwar schon in vergangenen Episoden wie The Web und Breakdown ein recht eigenwilliges Verhalten an den Tag gelegt, doch war es dabei nie zu offener Feindseligkeit gekommen. Die Idee, dass es sich bei der Liberator um eine Art denkendes Wesen handelt, war in Cygnus Alpha eingeführt worden, hatte danach aber kaum mehr eine Rolle gespielt. Nun erlebt sie eine höchst beunruhigende Wiederkehr. Alle Versuche, die entstandenen Schäden zu reparieren, werden von der Liberator sabotiert. Zen ist entweder unfähig oder unwillig, noch länger mit der Crew zu kommunizieren. Und schließlich werden Blake und Avon sogar von zu schlangengleichem Leben erwachten Elektrokabeln attackiert.
Was mir an dieser ersten Hälfte der Episode so gut gefällt, ist u.a. die absolute Hilflosigkeit der Crew. Zwar durchschaut Avon schon bald, was genau hier vor sich geht, und Blake stellt sogar die korrekte Vermutung auf, dass es sich bei den Angreifern um die Schöpfer der Liberator handelt, doch all das nützt unseren Helden & Heldinnen wenig. Als ihr Schiff schließlich geentert wird, bleibt ihnen trotzdem nichts anderes übrig, als kampflos zu kapitulieren und sich gefangennehmen zu lassen, derweil die Liberator zur Landung in einer gewaltigen Raumstation ansetzt. Und es ist pures Glück, dass Blake kurz zuvor wenigstens den unwilligen Orac reaktiviert hat, um ihm den Auftrag zu erteilen, die Kontrolle der Angreifer über Zen zu brechen.
Warum die Episode als Ganzes dennoch einen etwas schalen Nachgeschmack hinerlässt, lässt sich erahnen, wenn man einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige wirft. Es sind nur noch zwanzig Minuten übrig!
Das Zusammentreffen mit den Schöpfern der Liberator hätte ein wichtiger Moment in der Serie sein müssen. Und aus eben diesem Grund, hatte man sich ja auch dazu entschieden, damit die zweite Staffel zu eröffnen. Leider jedoch ist das Ergebnis nicht besonders spannend.
Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Volk der Konstrukteure um eine Gesellschaft, die von einem Netzwerk allmächtiger Computer – genannt "The System" – kontrolliert wird. Geboren aus dem permanenten Wettrüsten zwischen drei Planeten, hat das "System" eine Ordnung geschaffen – "[where] there's no war, no famine ... and no freedom". Das" System" übermittelt seine Befehle durch menschliche "Dronen", bei denen es sich eigenartigerweise ausschließlich um Frauen handelt.
Zugegebermaßen kein besonders originelles Szenario, aber in Redemption wirkt es besonders banal. Natürlich erwarte ich von einer Blake's 7 - Episode kein Alphaville, aber wenn man zum Vergleich wieder einmal Star Trek heranzieht, so hatte die Originalserie, die eine übermäßig große Vorliebe für derartige Szenarien besaß, in Folgen wie The Return of the Archons oder A Taste of Armageddon bewiesen, dass man nicht Jean-Luc Godard sein muss, um diesem Klischee eine interessante Wendung abzugewinnen. In der Tat würde Blake's 7 selbst das Motiv später mit deutlich größerem Erfolg erneut aufgreifen. Hier jedoch erreicht es nicht einmal das Niveau einer grobschlächtigen "Kommunismus" - Allegorie. Selbst dafür bleibt es zu blass.
Dabei hätte das Szenario im gegebenen Kontext durchaus interessante Möglichkeiten eröffnen können. Dass die Liberator von einer Gesellschaft konstruiert wurde, die von Computern beherrscht wird, macht durchaus Sinn, besitzt in Wahrheit doch Zen die letztendliche Kontrolle über das Schiff. Und wie die Folge selbst uns sehr eindringlich vor Augen geführt hat, wäre die Crew absolut hilflos, wenn der Bordcomputer sich gegen sie wenden würde. In Cygnus Alpha kam es zu einer Art Gedankenverschmelzung zwischen Jenna und dem Schiff, die von der Pilotin erst als bedrohlich, dann als friedvoll-positiv empfunden wurde. Danach erklärte sich Zen bereit, den Befehlen seiner neuen Crew zu folgen. Man könnte sich vorstellen, dass die Beziehung zwischen dem "System" und seinen Schöpfern ursprünglich vielleicht ähnlich geartet war. Doch mit der Zeit wurde aus der wohlwollenden Aufsicht der Computer eine totalitäre Diktatur, aus der Symbiose zwischen Mensch und Maschine Herrschaft / Sklaverei, aus der Gedankenverschmelzung telepathische Kontrolle.
Doch selbst wenn Terry Nation ähnliche Gedanken gekommen sein sollten, bot der kümmerliche Rest der Episode nicht mehr genug Raum, um derartige Ideen erzählerisch umzusetzen. Redemption hätte der erste Teil eines Zweiteilers sein müssen. Aber obwohl man im Laufe dieser Staffel ein wenig mehr mit größeren Handlungsbögen und verstärkter Serialisierung herumexperimentieren wollte, war man zu so etwas offenbar noch nicht bereit. Ein fataler Fehler.
Selbst die Rätsel um das ursprüngliche Auftauchen der Liberator in Space Fall werden von der Episode nicht gelöst. Wie ist das Schiff in den Tausende von Lichtjahren entfernten Raum der Föderation gelangt? Was hat es mit dem Gefecht auf sich, in das es dort verwickelt war? Das "System" hat keine Antworten auf diese Fragen.
Dass Blake & Co ihre erfolgreiche Flucht am Ende mehr Oracs Eingreifen als ihrem eigenen Geschick verdanken, verleiht der Folge zwar eine hübsche motivische Symmetrie {der Computer als Bedrohung – der Computer als Retter}, doch dafür findet der Cliffhanger um die Zerstörung der Liberator am Ende eine Auflösung, die die bedrohliche Prophezeiung in einen billigen Witz verwandelt.
Aufgrund der etwas missglückten zweiten Hälfte, nicht eben der großartigste Auftakt für die zweite Staffel.
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Zu einer offenen Konfrontation zwischen den beiden kommt es freilich noch nicht, denn im nächsten Augenblick wird die Liberator urplötzlich von zwei unbekannten Raumschiffen attackiert. Mit geradezu unheimlicher Effizienz legen die Angreifer die Waffen, den Energieschild und das Steuerungssystem des Schiffes lahm und zwingen es auf diese Weise, mit Höchstgeschwindigkeit auf einem unbekannten Kurs durchs All zu rasen.
Übel genug, doch sehen sich unsere Helden & Heldinnen schon bald vor noch sehr viel größere Probleme gestellt. Nicht nur haben sie die Kontrolle über ihr Schiff verloren, die Liberator wendet sich aktiv gegen ihre eigene Crew. Bordcomputer Zen hatte zwar schon in vergangenen Episoden wie The Web und Breakdown ein recht eigenwilliges Verhalten an den Tag gelegt, doch war es dabei nie zu offener Feindseligkeit gekommen. Die Idee, dass es sich bei der Liberator um eine Art denkendes Wesen handelt, war in Cygnus Alpha eingeführt worden, hatte danach aber kaum mehr eine Rolle gespielt. Nun erlebt sie eine höchst beunruhigende Wiederkehr. Alle Versuche, die entstandenen Schäden zu reparieren, werden von der Liberator sabotiert. Zen ist entweder unfähig oder unwillig, noch länger mit der Crew zu kommunizieren. Und schließlich werden Blake und Avon sogar von zu schlangengleichem Leben erwachten Elektrokabeln attackiert.
Was mir an dieser ersten Hälfte der Episode so gut gefällt, ist u.a. die absolute Hilflosigkeit der Crew. Zwar durchschaut Avon schon bald, was genau hier vor sich geht, und Blake stellt sogar die korrekte Vermutung auf, dass es sich bei den Angreifern um die Schöpfer der Liberator handelt, doch all das nützt unseren Helden & Heldinnen wenig. Als ihr Schiff schließlich geentert wird, bleibt ihnen trotzdem nichts anderes übrig, als kampflos zu kapitulieren und sich gefangennehmen zu lassen, derweil die Liberator zur Landung in einer gewaltigen Raumstation ansetzt. Und es ist pures Glück, dass Blake kurz zuvor wenigstens den unwilligen Orac reaktiviert hat, um ihm den Auftrag zu erteilen, die Kontrolle der Angreifer über Zen zu brechen.
Warum die Episode als Ganzes dennoch einen etwas schalen Nachgeschmack hinerlässt, lässt sich erahnen, wenn man einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige wirft. Es sind nur noch zwanzig Minuten übrig!
Das Zusammentreffen mit den Schöpfern der Liberator hätte ein wichtiger Moment in der Serie sein müssen. Und aus eben diesem Grund, hatte man sich ja auch dazu entschieden, damit die zweite Staffel zu eröffnen. Leider jedoch ist das Ergebnis nicht besonders spannend.
Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Volk der Konstrukteure um eine Gesellschaft, die von einem Netzwerk allmächtiger Computer – genannt "The System" – kontrolliert wird. Geboren aus dem permanenten Wettrüsten zwischen drei Planeten, hat das "System" eine Ordnung geschaffen – "[where] there's no war, no famine ... and no freedom". Das" System" übermittelt seine Befehle durch menschliche "Dronen", bei denen es sich eigenartigerweise ausschließlich um Frauen handelt.
Zugegebermaßen kein besonders originelles Szenario, aber in Redemption wirkt es besonders banal. Natürlich erwarte ich von einer Blake's 7 - Episode kein Alphaville, aber wenn man zum Vergleich wieder einmal Star Trek heranzieht, so hatte die Originalserie, die eine übermäßig große Vorliebe für derartige Szenarien besaß, in Folgen wie The Return of the Archons oder A Taste of Armageddon bewiesen, dass man nicht Jean-Luc Godard sein muss, um diesem Klischee eine interessante Wendung abzugewinnen. In der Tat würde Blake's 7 selbst das Motiv später mit deutlich größerem Erfolg erneut aufgreifen. Hier jedoch erreicht es nicht einmal das Niveau einer grobschlächtigen "Kommunismus" - Allegorie. Selbst dafür bleibt es zu blass.
Dabei hätte das Szenario im gegebenen Kontext durchaus interessante Möglichkeiten eröffnen können. Dass die Liberator von einer Gesellschaft konstruiert wurde, die von Computern beherrscht wird, macht durchaus Sinn, besitzt in Wahrheit doch Zen die letztendliche Kontrolle über das Schiff. Und wie die Folge selbst uns sehr eindringlich vor Augen geführt hat, wäre die Crew absolut hilflos, wenn der Bordcomputer sich gegen sie wenden würde. In Cygnus Alpha kam es zu einer Art Gedankenverschmelzung zwischen Jenna und dem Schiff, die von der Pilotin erst als bedrohlich, dann als friedvoll-positiv empfunden wurde. Danach erklärte sich Zen bereit, den Befehlen seiner neuen Crew zu folgen. Man könnte sich vorstellen, dass die Beziehung zwischen dem "System" und seinen Schöpfern ursprünglich vielleicht ähnlich geartet war. Doch mit der Zeit wurde aus der wohlwollenden Aufsicht der Computer eine totalitäre Diktatur, aus der Symbiose zwischen Mensch und Maschine Herrschaft / Sklaverei, aus der Gedankenverschmelzung telepathische Kontrolle.
Doch selbst wenn Terry Nation ähnliche Gedanken gekommen sein sollten, bot der kümmerliche Rest der Episode nicht mehr genug Raum, um derartige Ideen erzählerisch umzusetzen. Redemption hätte der erste Teil eines Zweiteilers sein müssen. Aber obwohl man im Laufe dieser Staffel ein wenig mehr mit größeren Handlungsbögen und verstärkter Serialisierung herumexperimentieren wollte, war man zu so etwas offenbar noch nicht bereit. Ein fataler Fehler.
Selbst die Rätsel um das ursprüngliche Auftauchen der Liberator in Space Fall werden von der Episode nicht gelöst. Wie ist das Schiff in den Tausende von Lichtjahren entfernten Raum der Föderation gelangt? Was hat es mit dem Gefecht auf sich, in das es dort verwickelt war? Das "System" hat keine Antworten auf diese Fragen.
Dass Blake & Co ihre erfolgreiche Flucht am Ende mehr Oracs Eingreifen als ihrem eigenen Geschick verdanken, verleiht der Folge zwar eine hübsche motivische Symmetrie {der Computer als Bedrohung – der Computer als Retter}, doch dafür findet der Cliffhanger um die Zerstörung der Liberator am Ende eine Auflösung, die die bedrohliche Prophezeiung in einen billigen Witz verwandelt.
Aufgrund der etwas missglückten zweiten Hälfte, nicht eben der großartigste Auftakt für die zweite Staffel.
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Samstag, 5. August 2017
Strandgut der Woche
- Lost in the Omniverse: Hello! An Introduction to LITO
- SFFaudio Podcast: Counter-Clock World by Philip K. Dick
- Hypnobobs - Hypnogoria 65: Knight of the Living Dead
- Trilogy of Terror: Steve Miner
- Trekabout - Episode 257: The Thaw / Tuvix
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Fantastic Beasts And Where To Find Them - Movies Silently: Warning Shadows (1923) - A Silent Film Review von Fritzi Kramer
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