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Montag, 6. März 2017

Back in the U.S.S.R. (VII)

Interplanetarische Revolution 

Natürlich habe ich vor, im Rahmen dieser Artikelreihe irgendwann auch Aëlita vorzustellen. Und zwar sowohl Alexei Tolstois Roman, als auch Jakow Protasanows Film aus dem Jahre 1924. Wann es soweit sein wird, steht allerdings noch in den Sternen. Darum möchte in an dieser Stelle zum einen auf Fritzi Kramers Besprechung des Films hinweisen, und meine Leserinnen und Leser zum anderen mit einem kleinen filmischen Juwel beglücken, das so etwas wie ein bizarres Gegenstück zu Aëlita bildet. 

Der kurze Animationsfilm Mezhplanetnaya revolyutsiya / Interplanetarische Revolution (1924) ist ein wunderbar exzentrisches Beispiel für die frühsowjetische Verschmelzung von revolutionärer Propaganda und filmerischer Avantgarde. Er war die erste Schöpfung der Experimentellen Werkstatt für Animation, die der Bildhauer Nikolai Chodatajew nach Abschluss seines Studiums an den Wchutemas (Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten) zusammen mit den Malern Zenon Komissarenko und Juri Merkulow gegründet hatte. Motivisch speist sich der Film aus dem "proletarischen" Kosmismus (vgl. hier) und dem Vorbild von Wladimir Majakowskis Mysterium Buffo, kann jedoch zugleich als eine Art Parodie auf Aëlita verstanden werden, an dessen Produktion Komissarenko selbst beteiligt war. Ironischerweise fand die Arbeit an Mezhplanetnaya revolyutsiya in dem selben Gebäudekomplex statt, in dem auch Protasanow seinen Film drehte. Einer der Beteiligten erinnerte sich später:
Life on the other side of our studio wall was making a great din. Silent films were made very noisily. Actors and extras would constantly be coming to look into our quiet abode. Exotically dressed "martians", breathless with curiosity, would observe our strange work. It all seemed like black magic and sorcery to them, and they related to us with a special understanding. And the animators examined with great interest their "martian" costumes, made of silk and silvery cellophane, designed by the artist Alexandra Ekster.*
Das experimentierfreudige Künstlerkollektiv bediente sich bei der Realisierung von Mezhplanetnaya revolyutsiya einer Reihe unterschiedlicher Animations- und Montagetechniken. Das Endergebnis ist ein verwirrendes Werk von prächtiger Exzentrizität. Wer schon immer mal das Verlangen hatte, zu sehen, wie sich grotesk fette Kapitalisten mit riesigen nackten Ärschen aus Furcht vor der Weltrevolution unter ihrem Bett verkriechen und schließlich in einem gigantischen Schuh die Flucht ins Weltall antreten -- hier ist die Gelegenheit! 



P.S.: Dass Chodatajew in den 30er Jahren Probleme mit den stalinistischen Kulturbehörden bekam und sich schließlich aus der Filmkunst zurückzog, wird wahrscheinlich niemandem überraschen.
P.P.S.: Manchen wundert es vielleicht, dass einige der kapitalistischen Bösewichter Hakenkreuze tragen. Obwohl im Jahr zuvor der gescheiterte Putschversuch Hitlers in München stattgefunden hatte, muss es sich dabei nicht um eine Anspielung auf die Nazis handeln. Auch abseits der NSDAP bedienten sich eine ganze Reihe reaktionärer und faschistischer Organisationen in der Weimarer Republik des alten Symbols, wie man z.B. auf diesen beiden Fotografien von Freikorps-Truppen während des konterrevolutionären Kapp-Putsches von 1920 sehen kann. Vgl. auch George Grosz' Zeichnung Der weiße General aus dem Jahre 1923.

* Zit. nach: Giannalberto Bendazzi: Animation: A World History. Vol. 1. S. 76.

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