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Mittwoch, 9. November 2016

Bloß eine Fußnote, und nicht die spannendste

Als Riccardo Freda 1956 auf die Idee kam, mit I Vampiri einen Horrorfilm drehen zu wollen, fiel es ihm extrem schwer, einen Geldgeber für sein Projekt zu finden. Zwar hatte die Stummfilmära mindestens einen italienischen Horrorflick hervorgebracht -- Eugenio Testas Il mostro di Frankenstein (1920) --, aber unter Mussolini war das Genre des Makabren für zwei Jahrzehnte mit dem staatlichen Bannfluch belegt gewesen. Italiens Produzenten waren äußerst skeptisch, ob ein einheimischer Gruselstreifen ein Publikum finden würde, dass groß genug wäre, um eine Investition zu rechtfertigen. Um das nötige Geld aufzutreiben, musste Freda schließlich hoch und heilig versprechen, den Streifen in zwölf Tagen runterzudrehen. Eine Zusage, die er nicht einhalten konnte, weshalb er nach Ablauf der Frist von Kameramann Mario Bava abgelöst wurde, der I Vampiri nach zwei weiteren Drehtagen fertigstellte.

Der Film, den ich vor Zeiten hier kurz besprochen habe, erwies sich als kein großer Kassenschlager. Auch wenn er der erste italienische Horrorstreifen der Talkie-Ära war, wäre es dehalb falsch, in ihm den Auslöser des wenige Jahre später einsetzenden Horrorbooms in Italiens Grindhouse-Kinos zu sehen. Der Anstoß dazu kam vielmehr von jenseits der Grenze, aus dem Großbritannien der Hammer - Produktionen. Wie Drehbuchschreiber Ernesto Gastaldi, der eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Genres spielen sollte, einmal gesagt hat:
It was [Terence] Fisher's Dracula that unleashed Italian producers, and a hailstorm of vampire movies flooded the screens: vampires popped up everywhere, with a notable preference for musical stage plays. Opera was a typical wallpaper for these films and ballerinas were the bloodsucker's favorite victims.*
Wie passend, dass Gastaldis eigener Einstieg ins Filmgeschäft ein Streifen war, der in den USA unter dem Titel The Vampire and the Ballerina in die Kinos gelangte, auch wenn sein Name im heimatlichen Italien L'Amante del Vampiro gelautet hatte.


Dass die beeindruckendste Szene dieses Streifens beinah bis ins Detail aus Carl Theodor Dreyers Klassiker Vampyr (1932) entwendet wurde, scheint mir irgendwie aussagekräftig zu sein. Ich weiß bloß nicht, ob ich das jetzt eher positiv oder negativ einzuschätzen habe. Auf der einen Seite beweist es, dass es unter den an der Produktion des Flicks Beteiligten Leute mit Geschmack und einer gewissen Kenntnis der Filmgeschichte gegeben haben muss. Auf der anderen Seite spricht es nicht eben für die Qualität eines Films, wenn sein ästhetischer Höhepunkt das Ergebnis eines dreisten cineastischen Klaus ist. {Und es findet sich noch manch anderes Diebesgut in diesem Flick.}
Was Gastaldi, der zusammen mit Regisseur Renato Polselli das ursprüngliche Script überarbeitet hatte, über die bei Auswahl der Darstellerinnen & Darsteller angewandten Kritierien zu erzählen hat, erhöht nicht unbedingt das Vertrauen, das man als vorurteilsfreier Mensch vielleicht trotzdem geneigt ist, in L'Amante del Vampiro zu setzen:
Polselli took me to the production offices, squalid, near the Termini station. We already had the vampire, Walter Brandi, who brought the deal. The vampire's friend will be a big boy from Tuscany (Gino Turini), who put in part of the money. The vampire's victim is Hélène Rémy because we're going to sign a co-production deal with France the heroine will be Tina (Gloriani) because she's the director's lover, while the hottie vampire's lover Maria Luisa Rolando, a big-busted protégé of the general manager.**
Und oh Wunder -- The Vampire and the Ballerina ist wirklich kein großartiger Film. Aber doch kurios und eigenartig genug, um die Aufmerksamkeit aller Freundinnen & Freunde altmodischer Horror -B-Movies oder des klassischen italienischen Genrefilms im Allgemeinen zu verdienen.

Eine der Eigenheiten von I Vampiri war eine seltsame Mischung von Stilen gewesen, das unvermittelte Nebeneinander der eher einem Kriminalthriller angemessen erscheinenden Welt der modernen Großstadt und eines "Gothic"-Universums voller kerzenerleuchteter Schlösser, staubiger Grüfte und finsterer Verliese. Diese Mixtur spiegelte sich thematisch in einer pseudowissenschaftlich aufbereiteten Neuerzählung der Elisabeth Báthory - Geschichte wider. L'Amante del Vampiro weist ähnliche Charakteristika auf, wenn eine Gruppe junger Tänzerinnen, die sich aus nicht ganz geklärten Gründen im Landhaus des alten "Professore" (Pier Ugo Gragnani) aufhalten und zu den fetzigen Klängen von Giorgios (Gino Turini) Klavier {und einer unsichtbaren Band} ihre Nummern proben, sich plötzlich mit der "mittelalterlich-gotischen" Welt der in einer benachbarten Burg residierenden Vampir-Comtessa Alda (Maria Luisa Rolando) und ihres monströsen Liebhabers Herman (Walter Brandi) konfrontiert sehen.
Doch wenn diese merkwürdige Mischung in Fredas & Bavas Film etwas durchaus faszinierendes hatte, wirkt sie in diesem Flick alles in allem eher abstrus. Ich denke dabei vor allem an eine Szene, die visuell eher dem "Gothic"-Universum zuzuordnen ist, doch mit derselben Musik unterlegt ist, die die zweite lange Tanzszene begleitet. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der bizarre stilistische Mix in diesem Streifen nicht die Frucht einer bewussten Entscheidung, sondern das ungewollte Nebenprodukt der Tatsache, dass der ganze Vampir-Plot auf wenig durchdachte Weise einer konventionellen Story hinzugefügt wurde, aus keinem anderen Grund als dem, den italienischen Vampir-Hype finanziell auszuschlachten.
Nicht verschwiegen sei allerdings, dass dabei auf vermutlich eher zufällige Weise etwas herausgekommen ist, was für das erste Drittel des Films beinah wie ein gar nicht so uninteressantes Motiv wirkt. In welcher Beziehung genau der "Professore" zu der Tanztruppe steht bleibt wie gesagt etwas schleierhaft, aber wir wissen, dass der von den jungen Frauen oft "Großvater" genannte Mann ein wohlhabender Grundbesitzer ist. Brigitta (Brigitte Castor?) -- das erste Vampiropfer, dem wir begegnen -- gehört zu den Landarbeitern, die sein Gehöft bewirtschaften. "Held" Luca (Isarco Ravaioli), der offensichtlich mit dem "Professore" verwandt ist {sein Neffe?} hat soeben sein Universitätsdiplom erworben. Und auch wenn wir nicht wissen können, aus welcher sozialen Schicht die Tänzerinnen selbst stammen, repräsentieren sie doch ohne Zweifel eine modern-städtische Kultur. In kultureller wie klassenmäßiger Hinsicht hebt sich die Gruppe der Menschen, auf der der Fokus der Geschichte liegt, damit sehr deutlich von dem ländlich-hinterwäldlerischen Milieu ab, in dem sie spielt. Die Vampire ihrerseits sind trotz ihres aristokratischen Habitus Teil dieser Welt, in der die Tanztruppe beinah so etwas wie Eindringlinge darstellen. Sehr schön wird das anhand des kleinen Wasserfalls deutlich, bei dem es sich um eines der hübschesten Settings des Films handelt. Wie die Eröffnungsszene mit Brigitta zeigt, dient er der bäuerlichen Bevölkerung als eine Art Brunnen. Für Luca, Georgio und die Tänzerinnen ist er hingegen so etwas wie ein natürliches Planschbecken. Das die entsprechende Szene mit dem Begräbniszug Brigittas schließt, den die jungen Frauen aus der Ferne beobachten, hebt diesen Gegensatz noch einmal besonders hervor.
Leider verflüchtigt sich dieses Motiv vollständig, sobald Luca, Luisa (Hélène Rémy) und Francesca (Tina Gloriana) zum ersten Mal das Schloss der Vampire betreten und der Comtessa begegnen. Von da ab spielt die bäuerliche Welt nicht einmal mehr als pittoresker Hintergrund eine Rolle. Sexuelles Verlangen und Eifersucht scheinen nunmehr die Leitmotive zu werden, allerdings auf wenig überzeugende oder fesselnde Weise, vor allem, da es Maria Luisa Rolando völlig an der dafür nötigen erotischen Ausstrahlung mangelt.
Vielleicht am spannendsten bleibt bis zum Ende das in einigen Details durchaus originelle Bild der Vampire, das der Film zeichnet. Einerseits handelt es sich bei ihnen um typische untote Blutsauger mit all den üblichen Schwächen ihrer Gattung -- als da wären Knoblauch, Kruzifix, Holzpflöcke, Sonnenlicht. Andererseits ist ihr Verhalten mitunter recht eigenwillig. So vernichtet z.B. Herman eigenhändig die von ihm selbst vampirifizierte Brigitta, sobald sie zum ersten Mal aus ihrem Grab gekrochen kommt, mit der Begründung in seiner Welt dürfe es "nur einen Herren" geben.  Und Comtessa Ada ihrerseits saugt selbst keine lebenden Menschen aus, sondern bekommt ihren "Stoff" auf dem Umweg über Herman, dem sie in lustvoller Umarmung die Fangzähne in die Kehle jagt.  Zwischen den beiden herrscht ein leicht sadomasochistisch anmutendes Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit, bei dem mal der eine, mal die andere den dominanten Part übernimmt. All das ist gar nicht so uninteressant, bleibt jedoch als Motiv leider recht unterentwickelt. Wie so ziemlich alles in diesem Film.

In seinem Buch Italian Horror Film Directors beschreibt Louis Paul The Vampire and the Ballerina als "an important footnote in the history of Italian horror for being among the first films to blatantly mix sex and horror".*** Dem mag so sein, aber wenn, dann geschieht das hier auf reichlich uninteressante Weise. Höchstens die Szenen zwischen Ada und Herman lassen etwas von dem morbiden Erotizismus und Fetischismus erahnen, der zum Markenzeichnen vieler italienischer Horrorfilme werden sollte. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Ernesto Gastaldi als Drehbuchschreiber später an solchen Werken mitwirken sollte wie Riccardo Fredas  L' Orribile segreto del Dr Hichcock / The Horrible Secret of Dr. Hichcock (1962), Mario Bavas La Frusta e il corpo / The Whip and the Body (1963) und Sergio Martinos Gialli Lo strano vizio della Signora Wardh / The Strange Vice of Mrs. Wardh (1971),  Tutti i colori del buio / All the Colors of the Dark (1972) und  Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave / Your Vice Is A Locked Room And Only I Have The Key (1972)



* In: Roberto Curti: Italian Gothic Horror Films, 1957-1969. S. 1.
** Zit. nach: Ebd. S. 62. 
*** Louis Paul: Italian Horror Film Diretcors. S. 14f. 

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