Seiten

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Back in the U.S.S.R. (IV)

In der offiziellen sowjetischen Ikonographie erscheint die Oktoberrevolution stets und ausschließlich als ein Aufstand der Industriearbeiter – und in geringerem Maße der Soldaten & Matrosen. Man denke etwa an die entsprechenden Szenen aus Filmen wie Sergei Eisensteins Oktjabr / Oktober (1928), Wsewolod Pudowkins Konjez Sankt-Peterburga / Die letzten Tage von St. Petersburg (1927) oder Dsiga Wertows Schestaja Tschast' Mira / Ein Sechstel der Erde (1926). {Die ich nebenbei bemerkt alle drei sehr schätze.}
In gewisser Hinsicht ist das natürlich auch nicht ganz falsch. Schon in der Februarrevolution, die der Zarendespotie ein Ende bereitet hatte, spielte die Arbeiterklasse die entscheidende Rolle (1), und als sich die Bolschewiki Anfang November (2) daran machten, die Provisorische Regierung von Alexander Kerenski zu stürzen, stützten sie sich dabei ganz auf die Belegschaften der großen Fabriken, die Soldaten in den Kasernen von Petrograd und die Matrosen der Baltischen Flotte. Auch waren es die aus ganz Russland zusammengekommenen Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte, die in Ausführung des direkten Auftrags ihrer Wählerschaft auf dem Zweiten Allrussischen Sowjetkongress die erste Sowjetregierung – den Rat der Volkskommissare mit Lenin an der Spitze – wählten, derweil Rotgardisten und revolutionäre Soldaten den Winterpalais stürmten. (3)
Doch sollte man darüber nicht vergessen, dass sich parallel zur Machtübernahme durch die Räte draußen auf dem Land ein Bauernkrieg von gewaltigen Ausmaßen zu entfalten begann.

Die Oktoberrevolution vollendete, woran die großen Bauernaufstände des 17. und 18. Jahrhunderts, die mit den Namen Stjenka Rasin und Jemeljan Pugatschow verbunden sind, gescheitert waren, und was die sog. "Bauernbefreiung" von 1861 nie ernsthaft angestrebt hatte – sie rottete auch die letzten Überbleibsel des Feudalismus in Russland mit Stumpf und Stiel aus. In den Monaten zwischen Februar und Oktober hatte sich der bäuerliche Kampf gegen die Großgrundbesitzer trotz aller Bemühungen der Provisorischen Regierung, den Muschik auf die irgendwann einzuberufende Konstituierende Versammlung zu vertrösten, immer weiter verschärft. Hatte der Bauer sich zu Beginn mit friedlichen Appellen an die bürgerlichen Minister zu Gunsten einer Agrarreform begnügt, begann er schließlich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, setzte dem Gutsbesitzer den Roten Hahn aufs Dach, plünderte die Herrenhäuser und teilte gewaltsam den großen Landbesitz unter den Mitgliedern der Dorfgemeinschaft auf.
Die Machtübernahme durch die Bolschewiki wäre kaum von Dauer gewesen, wenn sich diese nicht an die Spitze der bäuerlichen Revolution gestellt und deren Programm übernommen hätten. Neben dem Dekret über die schnellstmögliche Beendigung des Krieges durch einen demokratischen Frieden und der Bildung einer Sowjetregierung war das von Lenin verfasste Dekret über Grund und Boden der wohl wichtigste Beschluss des Zweiten Allrussischen Sowjetkongresses:
1. Das Eigentum der Gutsbesitzer an Grund und Boden wird unverzüglich ohne jede Entschädigung aufgehoben.
2. Die Güter der Gutsbesitzer sowie alle Apanage-, Kloster- und Kirchenländereien mit ihrem gesamten lebenden und toten Inventar, ihren Wirtschaftsgebäuden und allem Zubehör gehen bis zur Konstituierenden Versammlung in die Verfügungsgewalt der Amtsbezirks-Bodenkomitees und der Kreissowjets der Bauerndeputierten über. (4) 
Damit wurde das Fundament für die sog. "Smytschka" – das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern – gelegt. Politisch fand dieses Bündnis in den ersten Monaten der Revolution seinen Ausdruck in einer Allianz zwischen Bolschewiki und Linken Sozialrevolutionären, die allerdings schon bald an der Frage des Friedensvertrags von Brest-Litowsk zerbrach. (5)

Ganz allgemein war die "Smytschka" immer wieder schweren Belastungen ausgesetzt. Als die Bolschewiki während des Bürgerkriegs dazu übergingen, das zur Ernährung der Städte und vor allem der Roten Armee nötige Getreide zwangsweise zu requirieren, rief das verständicherweise den Unmut der Bauern hervor. Die bolschewistischen Kommissare, die Mehl und Weizen aus ihren Lagern und Scheunen fortschleppten, waren in ihren Augen nicht viel mehr als Räuber. Und so empfanden nicht nur die Kulaken (Großbauern), sondern auch ein großer Teil der sogenannten "werktätigen" Bauernschaft. Tatsächlich verhielten sich die Führer der Requisitionstrupps mitunter auch entsprechend, wie Lenin selbst eingestehen musste: „They say that our food brigades are degenerating into gangs of bandits. It is quite possible. [...] When the old society perishes, its body cannot be nailed up in a coffin and lowered into the grave. The corpse decomposes in our midst: it rots and infects us.“ (6)
Ein Sieg der Weißgardisten freilich hätte unausweichlich zur Rückkehr der Gutsbesitzer geführt, die nur darauf warteten, ihren verlorenen Besitz wieder an sich zu reißen und dem rebellischen Muschik mit der Nagaika den schuldigen Respekt vor Eigentum und Adelsbrief einprügeln zu lassen. Solange diese Bedrohung bestand, ließen die meisten Bauern deshalb die rauen Maßnahmen des sogenannten "Kriegskommunismus" zähneknirschend über sich ergehen, während sie unterdrückte Flüche auf die "Kommune" und die "gierige Stadt" in ihre Bärte murmelten. Doch als sich das Ende des Bürgerkriegs abzuzeichnen begann, schlug der Unmut der Bauernschaft vielerorts in offene Rebellion um. In den Jahren 1920/21 kam es zu einer ganzen Reihe von Bauernaufständen gegen das Sowjetregime. 
Ab Mai 1920 scharten sich in Sibirien und dem Altai die streitbarsten Elemente der unzufriedenen Bauernschaft um die schwarzrote Fahne der anarchistischen Guerillaführer Nowoseljow, Rogow, Lubkow und Plotnikow und eröffneten einen Partisanenkrieg gegen die Bolschewisten. Im Dezember 1920 rebellierte im nördlichen Donkosakengebiet ein Bataillon der Roten Armee unter Führung eines gewissen Vakulin. Nach dessen Tod im Februar übernahm der Kosak Popow das Kommando. Im selben Monat erhob sich im Osten der Ukraine der ehemalige Rote Kommandant Maslakow. Die Rebellen versuchten eine Allianz mit der Schwarzen Armee des berühmten Anarchistenführers Nestor Machno zu bilden – allerdings ohne Erfolg. In Samara stand der Linke Sozialrevolutionär Saposchkow an der Spitze einer vergleichbaren Revolte. Nachdem er im September 1920 gefallen war, führte ein gewisser Serow die Aufständischen, die bis 1923 Widerstand zu leisten vermochten. Im August 1920 erhoben sich unter Führung Alexander Antonows in der Region Tambow – einer alten Hochburg der Sozialrevolutionäre – ca. 21.000 Bauern und bäuerliche Soldaten. Keine dieser Rebellionen verfügte über ein konkretes politisches Programm, wie selbst der anarchistische Autor Nick Heath eingestehen muss: "The Antonov movement had no ideology, they knew what they were against, but had only the haziest of notions as to how to order Russia in the hour of victory. The Antonovists were a local movement with local perspectives." (7) Der berühmte Kronstädter Aufstand vom März 1921 schließlich bildete so etwas wie den Kulminationspunkt dieser ganzen disparaten Bewegung.
Alle diese Rebellionen wurden von der Roten Armee und der Tscheka (8) mit Waffengewalt niedergeschlagen.
Mit Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NEP), die die Zwangsrequirierungen beendete und eine beschränkte Wiederherstellung des Marktes beinhaltete, beruhigte sich die Lage auf dem Lande dann wieder etwas.

Für eine eingehendere Betrachtung und Analyse dieser Entwicklungen ist hier natürlich nicht der rechte Ort. Es geht mir lediglich darum, den historischen Hintergrund zu skizzieren, vor dem ein nicht unbedeutender Teil der frühen sowjetischen Literatur gesehen werden muss.

Erstaunlicherweise behandelt so weit ich weiß kaum ein Roman oder eine Erzählung aus dieser Zeit das Thema des städtischen Aufstands. In diesem speziellen Fall hatten die Anhänger der sog. "Tatsachenliteratur"  recht, wenn sie erklärten, John Reeds mitreißende Reportage Zehn Tage, die die Welt erschütterten sei allen belletristischen Werken haushoch überlegen. Die wenigen Erzählungen, die in den russischen Metropolen angesiedelt sind  – wie z.B. Anatoli Marienhofs Zyniker oder Jewgeni Samjatins Die Höhle – drehen sich nicht um revolutionäre Arbeiter, sondern um Vertreter der Mittelklasse. Doch der Schauplatz der allermeisten befindet sich ohnehin an der Peripherie, in Provinzstädten (Boris Pilnjaks Das nackte Jahr), den Weiten Sibiriens (Wsewolod Iwanow; Alexander Fadejews Die Neunzehn), dem flachen Land (Nikolai Nikitin), dem dörflichen Wolhynien & Galizien (Issak Babels Die Reiterarmee). (9)
Auch wenn sie die Revolution bejahten, blieb den meisten Schriftstellern deren städtische, proletarische Seite scheinbar eher fremd. Sie konnten sich nur schwer in sie einfühlen, noch viel weniger sich im tiefsten Innern mit ihr identifizieren. Sehr viel leichter fanden sie emotionalen und künstlerischen Zugang zur Elementargewalt des Bauernkriegs. Sei es, dass dieser im Vergleich zur "grauen" Welt der Fabrikkomitees und Arbeiterräte eher ihrer Neigung zum Romantischen entsprach. Sei es, dass in ihnen Überreste der alten volkstümlerischen Traditionen der russischen Intelligenzija fortlebten. (10) Sei es, dass sie in dem Bemühen, ihre geistige Unabhängigkeit gegenüber dem bolschewistischen Regime zu bewahren, eine psychologisch-soziale Stütze in der Bauernschaft suchten.
Mitunter konnte das Züge einer eigenartigen revolutionären Nationalromantik annehmen. So schrieb z.B. Boris Pilnjak – einer der einflussreichsten frühsowjetischen Schriftsteller: 
Ich bin kein Kommunist und sehe nicht ein, weshalb ich Kommunist sein und als Kommunist schreiben muss; aber ich gebe zu, dass die kommunistische Macht in Russland nicht vom Willen der Kommunisten, sondern von den historischen Geschicken Russlands bestimmt wird, und insoweit ich diese historischen Geschicke (so gut ich kann und soweit mein Gewissen und mein Intellekt mich dazu veranlassen) verfolgen will, bin ich für die Kommunisten, d.h. insoweit die Kommunisten für Russland sind, bin ich auch für sie ... (11)
Wenn Pilnjak von "den historischen Geschicken Russlands" sprach, meinte er damit freilich etwas völlig anderes, als was  sich die Kommunisten darunter vorstellten. In seinen Romanen Das nackte Jahr und Maschinen & Wölfe orakelte er in einem etwas gewöhnungsbedürftigen, stark von dem symbolistischen Autor Andrei Bely beeinflussten Stil über eine Wiederauferstehung des "hölzernen", vorpetrinischen Russland. Und er war beileibe nicht der einzige, der solche an das Slawophilentum des 19. Jahrhunderts gemahnende Gedanken vertrat. So verglich z.B. Nikolai Kljujew in seinem Poem Lenin den Führer der Bolschewiken mit dem Protopopen Avvakum, dem Führer der Altgläubigen aus dem 17. Jahrhundert. Leo Trotzki beschrieb die Haltung des großen Bauerndichters zur Revolution einmal wie folgt:
Kljujeff nimmt die Revolution an, weil sie den Bauern befreit, und singt ihr viele seiner Lieder. Aber seine Revolution ist ohne politische Dynamik, ohne historische Perspektive. Für Klujeff ist sie ein Jahrmarkt oder eine prächtige Hochzeit, zu der man aus allen möglichen Orten zusammenströmt, um sich an Dünnbier und Liedern zu berauschen, sich in den Armen zu liegen, und zu tanzen und schließlich zu seinem Hof zurückzukehren: ein eigener Boden unter den Füßen und eine eigene Sonne über dem Kopfe. Für die einen – die Republik, für Kljujeff aber Russland; für die einen Sozialismus – für ihn aber Kitesh-grad. (12)
Auch Sergei Jessenin, das junge Dichtergenie aus dem "Pegasusstall" der Imaginisten, der 1922 erklärte, er sei nie in die KP eingetreten, "weil ich mich bedeutend linker gefühlt habe" (13), feierte in seinen Versen die Revolution in erster Linie als die Geburtsstunde des kommenden Bauernparadieses Inonija. Ja selbst der erzkommunistische Futurist Wladimir Majakowski – Sänger der Massen und Maschinen – verlieh der Gestalt des kollektiven "Iwan" in seinem Epos 150.000.000 die Züge eines altrussischen Recken. 

Eine offene Parteinahme für die gegen das Sowjetregime rebellierenden Bauern wäre natürlich auch schon zu dieser Zeit aufgrund der staatlichen Zensur unmöglich gewesen. Und doch haben wir Bücher wie Leonid Leonows Roman Die Dachse, in dem eine Gruppe bäuerlicher, antibolschewistischer Rebellen nicht ohne Sympathie beschrieben wird.
In die Handlung eingeflochten sind eine Reihe von Märchen und volkstümlichen Geschichten, die sich die "Dachse" am abendlichen Lagerfeuer erzählen. Eines von ihnen ist die Geschichte vom Rasenden Kalafat:
Der Großvater hörte es vom Urgroßvater, dem Urgroßvater hat es ein Altgläubiger aus einem Buch vorgelesen.
... Die alten Zeiten hatten Weite! Felder und Vögel, Wälder und Füchse und Schluchten und Quellen. [...] Zaren wurden damals geboren, die waren menschenscheu, einer immer scheuer als der andere.
Am Morgen tritt so einer auf den Turm und blickt über die Wälder – sehr gut pflegt die Aussicht zu sein; die Wolken laufen, die Wälder lärmen, die Flüsse rollen. Kommt über den Zaren die große Traurigkeit, dann brüllt er vom Turm:
"Alles mein: und Flüsse und Wälder und Sümpfe und Schluchten, und Bauern, und der Bär, und das Land, und die Welt ..."
Den Bauern kränkte das gar nicht, wenn er es auch hörte. Auch der Hahn schreit von der Stange über den Hof, und man füttert ihn dafür noch mit Ameiseneiern. 
Doch eines Tages wird einem dieser gekrönten Gockel ein Sohn geboren, der glaubt, dass es so nicht mehr weitergehen dürfe, dass die Welt auf vernünftige Weise geordnet werden müsse:
"Du Papachen, lebst nicht richtig: dein ganzes Reich hat keine Ordnung. Kannst du mir zum Beispiel sagen, wieviel Gräser auf deinen Feldern wachsen, wieviel Bäume in deinen Wäldern stehen? Wieviel Fische in den Flüssen, wieviel Sterne am Himmel sind? Jeder Grashalm muss erfasst sein." 
Für elf Jahre zieht sich der Zarewitsch in die Einsamkeit der Berge zurück. "Ein anderer hätte in dieser Zeit wer weiß wieviel Land gepflügt; dieser aber dachte nur an die Geometrie." Als er zurückkehrt, ist er zu monströser Größe angeschwollen, stößt seinen Vater vom Thron, errichtet seine eigene Herrschaft und nennt sich von nun an "Kalafat", was "ich schaffe alles" bedeutet.
Die Fische stempelte er, den Vögeln gab er Personalausweise, ein jedes Gras schrieb er auf in sein Buch, ob ledig oder blühend.
Aus den Bauern macht er Soldaten, die sieben Länder für ihn unterwerfen müssen. Mit Hilfe der versklavten Völker beginnt der Kalafat daraufhin einen gewaltigen Turm zu errichten, nachdem er die Warnungen eines alten Mannes {der offensichtlich Leo Tolstoi darstellen soll} in den Wind geschlagen hat. Immer weiter wächst der Turm.
Bis in den Himmel ragt er schon. Was uns zwanzig Jahrhunderte, sind ihm zwanzig Jahre. Ein Jahr Umfang hat der Turm. Die Wolken stoßen sich an ihm uind fließen in Bächen an ihm herunter. 
Mit dem Turm wächst auch die Anzahl der Diebe im Reich – "auf jeden Ziegelstein kommt ein Dieb" –, und schließlich macht sich der Kalafat zusammen mit sieben Dieben an den Aufstieg. Fünf Jahre klettern sie die Stufen hinauf, fünf der Diebe sterben vor Erschöpfung. Doch am Ende ist es dem Kalafat vergönnt, mit einem letzten gewaltigen Sprung die Spitze seines Turmes zu erklimmen.
[Er] sah sich um und heulte auf.
Ein Altgläubiger hat's erzählt, kein gehetzter Hund hat je so geheult, wie dieser Zar heulte. Die ganze Geometrie war wie weggeblasen. Während der Zar den Turm erstieg, da hatte der Turm das Gewicht des Zaren nicht ertragen, war immer tiefer in die Erde gerutscht. Nicht einen Zoll war Kalafat höher gekommen: tritt er einen Schritt nach oben, gleich sinkt der Turm einen Schritt zurück in die Erde.
Und ringsum lärmen wieder die Wälder, und in ihnen schleichen die Füchse. (14)  
Es dürfte nicht schwerfallen, diese Parabel zu deuten.



(1) Am Beginn der Revolution hatten Massendemonstrationen von Arbeiterinnen gestanden, was später dazu führen sollte, dass der 8. März von der Komintern zum Internationalen Frauentag erklärt wurde. Der Fest- und Kampftag selbst war zwar älter {er geht auf eine Intiative Clara Zetkins auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz vom August 1910 zurück}, doch das bis heute gültige Datum wurde zu Ehren der Petrograder Arbeiterinnen festgelegt, die dem Zaren furchtlos die Stirn geboten hatten.

(2) Der Umsturz in Petrograd fand am 6./7. November statt, was nach dem damals in Russland noch gültigen Julianischen Kalender der 24. / 25. Oktober war.

(3) Von den 670 Delegierten gehörten zwar nur 300 den Bolschewiki an, doch ganze 505 erschienen mit dem gebundenen Mandat, für eine "Übertragung aller Macht an die Sowjets" zu stimmen. (Vgl.: Alexander Rabinowitch: The Bolsheviks Come to Power. The Revolution of 1917 in Petrograd. S. 291f.) 
Der Sturm auf den Winterpalais war übrigens weit weniger dramatisch, als man meinen könnte. Dieses berühmte Foto z.B. wurde nicht 1917 während des Aufstands, sondern drei Jahre später während eines von Nikolai Jefreinow inszenierten Massenspektakels geschossen. In Wirklichkeit zog sich die Einnahme des Palastes über Stunden hin, und war bei weitem nicht so wild und blutig, wie man das von einer Revolution vielleicht erwarten würde.  

(4) In: Wladimir I. Lenin: Ausgewählte Werke. Bd. 4. S. 28. 
Diese politische Wende, die darauf hinauslief, dass die Bolschewiki de facto das Agrarprogramm der Sozialrevolutionären Partei übernahmen, war unter Marxisten nicht unumstritten. Rosa Luxemburgs Fragment gebliebener Text Die russische Revolution ist heute, wenn überhaupt, so vermutlich ausschließlich für ihre Kritik an den diktatorischen Maßnahmen der Bolschewisten bekannt. Tatsächlich jedoch bildet der Abschnitt über die Fragen von Diktatur & Demokratie, der den berühmten Satz "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" enthält, bloß einen Teil des Aufsatzes. Daneben attackiert Luxemburg auch sehr heftig die bolschewistische Nationalitätenpolitik ("Selbstbestimmungsrecht der Nationen") sowie die leninsche Agrarreform Indem sie gar nicht erst versuchten, die großen Güter in Gemeinbesitz zu überführen, sondern deren Zerstückelung akzeptierten, hätten die Bolschewiki "dem Sozialismus auf dem Lande eine neue mächtige Volksschicht von Feinden geschaffen, deren Widerstand viel gefährlicher und zäher sein wird, als es derjenige der adeligen Großgrundbesitzer war." (In: Rosa Luxemburg: Politische Schriften. S. 550.)

(5) Wie die linkskommunistische Fraktion um Nikolai Bucharin plädierten auch die Linken SRs dafür, die äußerst brutalen Friedensbedingungen der Mittelmächte abzulehnen und stattdessen einen "revolutionären Krieg" gegen die deutschen Armeen zu eröffnen. Als sie sich damit nicht durchsetzen konnten, begannen sie eine Terrorkampagne gegen deutsche Würdenträger, um den Friedensvertrag auf diese Weise zu torpedieren. Die Ermordung des deutschen Gesandten Mirbach und der anschließende bewaffnete Aufstandsversuch der Linken SRs in Moskau am 6./7. Juli 1918 führte zur weitgehenden Unterdrückung der Partei durch das nunmehr rein bolschewistische Regime.

(6) Zit. nach: Victor Serge: Year One of the Russian Revolution. Chap 7.

(7) Nick Heath: The Third Revolution? Peasant resistance to the Bolshevik government. S. 6.

(8) Tscheka = "Tschreswytschainaja komissija po borbe s kontrrewoljuziej, spekuljaziej i sabotaschem" / "Außerordentliche Kommision zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage". Das von dem polnischen Revolutionär Felix Dserschinski angeführte Instrument des Roten Terrors. Aus ihr ging später die geheime Staatspolizei GPU / NKWD / KGB hervor.

(9) Ich beziehe mich hier natürlich nur auf Werke, die in der unmittelbaren Revolutions- und Bürgerkriegszeit (1917-1920) spielen. Romane wie Fjodor Gladkows Zement oder Juri Libedinskis Die Woche, die sich mit den Problemen des beginnenden Aufbaus einer neuen Gesellschaft nach dem Ende des Bürgerkriegs beschäftigen, sind naturgemäß in einem städtisch-industriellen und sehr "kommunistischen" Milieu angesiedelt.

(10) Für die radikale Intelligenzija des 19. Jahrhunderts war "das Volk" mehr oder weniger identisch mit der Bauernschaft gewesen, in der sie die Trägerin eines genuin russischen Demokratismus & Sozialismus gesehen hatte.
  
(11) Zit. nach: Gleb Struve. Geschichte der Sowjetliteratur. S. 282f. 

(12) Leo Trotzki: Literatur und Revolution. S. 55.

(13) Zit. nach: Sergej Jessenin: Gedichte. S. 74.

(14) Leonid Leonow: Die Dachse. S. 341f.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen